George Hungerlundts Zeitreisen - Rolf Gänsrich - E-Book

George Hungerlundts Zeitreisen E-Book

Rolf Gänsrich

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Beschreibung

Was wäre wenn ... sich das Universum anders entwickelt hätte, man Berlin zum Zeitpunkt seiner Gründung erleben könnte, man Atlantis fände, man beim Bau der Pyramiden dabei sein könnte, Mammutsteak essen dürfte, sich durch einen Schwarm Moas bewegte, Atlantis noch immer existierte? Zeitreisen sind ganz einfach! Man nimmt die entsprechende App quf seinem Handy, isst etwas Chedrun-Paste und ... Sie kennen Chedrun? Nein? Sind Sie aus einem Paralleluniversum?

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Inhalt:

Vorwort

Verpasste Gelegenheiten

Zwischenspiel

Georges Zeitreisen

Hinweise auf weitere Bücher von mir

Arbeitsstadien & Copyright:

Rolf Gänsrich ab 21.4.2021 – Schreibpause vom 1.11. -

22.12.2021 – inhaltliches Ende Band 1: 2.4.2022

Grobschliff bis 24.4.2022

Rechtschreibprüfung 25.4.2022 – 2.5.2022

Einfügen der eigenen Werbung: 2.5.2022

optischer Nachschliff: 2. - 5.5.2022

Vorwort

Dass daraus mal ein längerer und mehrteiliger Roman, eine Hexalogie sogar, wird, hatte ich nie geplant. Mein Kumpel Micha und ich hatten uns mal in der Kneipe bei mir an der Ecke auf ein, zwei oder vielleicht drei Glas alkoholfreien Bieres, weil mir die Fuselalkohole im Industriebier immer im Kopf am Tag danach nicht gut tun, getroffen und wir hatten uns gegenseitig vorgejammert, wie es wohl wäre, wenn sich sein Vater nicht umgebracht, ich das Werben von Christine mitbekommen oder Kristin aus der Apotheke nie ihren Kerl geheiratet hätte.

Das ging mir auch am nächsten Tag nicht aus dem Kopf und ich wollte daraus eine kleine, maximal zwei Seiten lange Kurzgeschichte machen. Dabei durchstöberte ich auch mein altes Fotoalbum, um mir das Gesicht von Christine wieder zu vergegenwärtigen und ich überlegte, wie es wohl wäre, wenn man einfach in ein altes Foto, zum Beispiel mit einer Zeitmaschine, hinein springen würde. Was würde man da riechen, schmecken, sehen? Und um das einfach mal zu erleben, machte ich mich mit Hilfe meiner tippenden Finger auf der Computertastatur schließlich selbst auf den Weg.

Nun ist ein rein fiktionaler Roman, sei es einer die Zukunft oder die Historie betreffend, schwieriger zu schreiben, als einer, der sich hier, jetzt, heute und in meiner Straße abspielt. Bei letzterem brauche ich nur vor die Tür zu gehen und es mir anschauen! Beim fiktionalen Roman muss ich mir aber mein Universum dazu erst selbst erschaffen. Wie sieht eine Strahlenwaffe aus? Welche Geräusche macht ein Vogel, den es überhaupt nicht gibt? Wie fliegt, läuft oder gräbt er? Deshalb sind fiktionale Romane schwerer, langwieriger zu schreiben. Sie sind anstrengender, weil man in jeder neuen Zeile, die man tippt, dieses neue, selbst erschaffene Universum mit sich mit herum trägt. Und so wurde es immer mehr, auch von den Figuren her, und aus einer kleinen geplanten Kurzgeschichte, die mir dazu dienen sollte, mir selbst einmal als Kind zu begegnen oder noch einmal in der Schuldisco mit Christine zu tanzen, wurde ein ganzer Roman. Weil es so viel wurde, beschloss ich, etwa genau ab da, wo von "dem Portal" die Rede ist, eine Fortsetzung zu planen.

"Das Portal" ist bisher nur angedacht und soll vor allem die eigentlich schon hierfür geplanten Ausflüge meines Protagonisten in die ferne Vergangenheit beinhalten.

"Aldebaraan" ist ein bereits vor Jahrzehnten von mir aufgeschriebener Plot, der im Star-Trek-Universum spielen sollte. Aber ich möchte mich schlicht aus Kostengründen nicht an die Markenrechteinhaber von Star Trek wenden und so werde ich das, was ich davon bereits habe, hier ohne Star-Trek-Bezug mit einbinden.

"Der Mann im Mond" liegt auch schon länger und ist zum Zeitpunkt des Schreibens dieses Vorworts bereits zweiundzwanzig A-4-Seiten lang und muss nur noch fertig geschrieben und an die Zeitreisen inhaltlich etwas angepasst werden. Für einen eigenständigen Roman ist es vermutlich zu wenig, als Teil einer Hexalogie müsste es aber funktionieren.

Ursprünglich sollte in diesem zweiten Teil hier Bernau die Hauptstadt Deutschlands werden, aber die Panke ist nicht Schiffbar. Daher machte Spandau dann mit seinem Zusammenfluss von Havel und Spree mehr Sinn. Hab es erst später geändert.

Na, dann laden Sie jetzt mal die Zeitreise-App aus dem Blubbel-Store, öffnen sie die Dose mit der Chedrun1-Paste und folgen Sie mir!

1 Chedrun-Paste gibt es in unserem Universum nicht, genau so wenig, wie den Blubbel-Store

Verpasste Gelegenheiten

Das Leben besteht aus Zufällen und aus vorbestimmtem Schicksal. Spätestens seit der Filmtrilogie "Zurück in die Zukunft" wissen wir, dass es durchaus alternative Zeitlinien geben kann. Oft ist es eine eigene oder fremde Entscheidung, die über den Rest des Lebens entscheidet. Seit "Star Trek" wissen wir auch von Paralleluniversen, die Zeitgleich mit unserem bestehen. Einige Wissenschaftler sprechen von elf parallel existierenden Universen, andere von unendlich vielen.

Ist die sogenannte "Dunkle Materie" ein Hinweis auf sie? Entschwinden wir in unseren Träumen in andere Universen? Warum kommen uns manche Dinge, die wir in unserer derzeitigen Existenz zum ersten mal erleben, so bekannt vor? Woher kommen Vorahnungen? Warum sind uns manche Dinge, manche Menschen, so vertraut und warum mögen wir manche Menschen von Anfang an nicht?

Im Schriftlichen möchte ich dies einmal für mich, an meinem Leben, einfach nur durchspielen. Das ganze ohne Groll über die "verpassten Gelegenheiten", aber mit dem Gedankenspiel: "was wäre wenn"! Eine ziemlich zynische Kurzgeschichte zu diesem Thema ist die von mir verfasste, mit dem Titel: "Ideale", veröffentlicht in meinem Band "Die weiße Hand im schwarzen Käse".

Also spielen wir, in Gedanken, mal einiges durch.

Der Urknall findet nicht statt. Unser Universum existiert nicht. Damit existieren auch wir in diesem Universum nicht.

Der Urknall findet statt, aber Materie und Antimaterie sind zu gleichen Teilen vorhanden und so löscht sich das Universum sofort wieder selbst aus.

Der Urknall findet statt, es gibt auch genug Materie, aber es expandiert in eine andere Richtung. Dadurch kann sich unsere Galaxis nicht bilden und wir somit auch nicht.

Der Urknall findet statt, es gibt genug Materie, das All expandiert in die richtige Richtung, aber ein Wasserstoffatom befindet sich an der falschen Stelle im Raum. Dadurch entsteht der später explodierende Stern, aus dessen Gaswolke sich nach dessen Tod auch unsere Sonne entwickelt, nicht.

Nun stimmen alle Voraussetzungen und unser Sonnensystem entsteht. Aber was ist das? Der Kern unserer Urerde, bisher nur faustgroß, wird durch die Schwerkraft des entstehenden Jupiter, dessen Bahn nur fünf Meter von seiner ursprünglichen abweicht, aus unserem Sonnensystem heraus katapultiert und schlägt als Meteorit nach zwölf Milliarden Jahren auf einem Planeten im Aldebaran-System ein.

Endlich bildet sich nun doch die Urerde als Planet in unserem Sonnensystem heraus. Teja aber kollidiert nicht mit der Urerde. Der Grund? Zwanzig Jahre zuvor hat ein aus einem anderen Sonnensystem stammender Asteroid die Bahn von Teja um 0,00000001% geändert und deshalb rast Teja jetzt an der Urerde vorbei. Dadurch entsteht kein Mond und die Urerde torkelt bis heute auf ihrer Achse so stark herum, dass an die Bildung höheren Lebens nicht zu denken ist. Damit einher geht eine sehr schnelle Eigenrotation, die den Tag auf vier Stunden verkürzt und das Innere der Erde erkaltet zunehmend, wie beim Mars. Teja wird durch den Nichtzusammenprall in den Kuipergürtel katapultiert. Durch die geringere Masse dank der ausbleibenden Kollision mit Teja, wandert die Urerde gleichfalls an den Rand des Sonnensystems und nimmt schließlich eine stabile Bahn zwischen Neptun und Uranus ein.

Nun lassen wir Teja die Urerde auch nicht treffen. Sie schrammen nicht einmal aneinander vorbei. Nein, sie fangen sich gegenseitig ein und tanzen im Schwerefeld des jeweils anderen. Statt des Mondes die Erde umkreisen sich jetzt Teja und Urerde. Das geht viereinhalb Milliarden Jahre gut. Sie umkreisen sich wie zwei Liebende immer enger. Der Vulkanismus nimmt auf beiden Planeten von Jahr zu Jahr zu. Die Gezeiten sind gewaltig. Der Meeresspiegel schwankt dabei um rund sechstausend Meter. Kein guter Ort für Leben! Die am höchsten entwickelten sind einzellige Amöben. Bis gestern. Gestern nun kollidierten Teja und Urerde. Der Aufprall geschah so sanft, dass jetzt beide Planeten miteinander verschmelzen. Ein Mond entsteht nicht. Diese neue Erde ist nun aber so schwer, dass sie in vierhunderttausend Jahren in die Sonne stürzen wird. Schade!

Jetzt aber! Teja kollidiert mit der Erde. Der Mond entsteht. Die Ozeane entstehen. Das Leben entsteht. Bakterien und Amöben entstehen. Einzellige Pflanzen entstehen. Und die Erde friert zu. Die sogenannte Schneeballerde waren mehrere Kaltzeiten, in denen die Erde jedes mal fast bis zum Äquator zu fror. Vulkanismus und eine leichte Änderung der Erdbahn um die Sonne, womöglich ausgelöst durch Gravitationswellen oder den Einfluss des uns nächsten Sternes Alpha-Centauri, ließen die Erde aber immer wieder auftauen. In diesem Szenarium jetzt schlägt aber ein Kleinfamilienhaus großer Asteroid nicht auf der Erde ein. Diesen Einschlag hätte es indes gebraucht, um einen Vulkan auf der dem Einschlag gegenüberliegenden Erdseite ausbrechen zu lassen. Durch diesen einen nicht ausbrechenden Vulkan bleibt die Erde eine Schneeballerde, dessen am höchsten entwickelten Lebewesen weiterhin Einzeller sind, die sich in schlammigen Tümpeln in der Äquatorregion befinden. ... bis heute ...

Na dann, auf zum nächsten Versuch. Alles klappt! Die Erde beendet ihr Schneeballdasein. Es kommt zur kambrischen Explosion des Lebens. In einem Schlammloch entwickeln sich die Vorfahren aller Wirbeltiere. So etwas wie die Neunaugen. Aber was ist das? Seeskorpione entdecken den Tümpel, in dem sie sich entwickelt haben und fressen die gesamte Population auf. Das Leben entwickelt sich dennoch weiter. Heute dominiert eine Spinnenart alles. Sie hat sogar die Raumfahrt entdeckt, hat Computer und Handys. Aber Wirbeltiere sucht man vergebens auf der Erde.

Nun muss es ja aber mal langsam klappen. Das tut es auch. Im Kambrium explodiert das Leben, aber im Wasser vermehrt sich nach einem Seebeben statt Sauerstoff erzeugender Pflanzen Mikroben, die statt Sauerstoff Schwefel ausscheiden. Statt Regen aus Wasser fällt dafür Schwefelsäure vom Himmel. So ein Pech aber auch. Dadurch entwickelt sich das Leben nicht weiter, höheres Leben erlischt und heute leben nur noch Einzeller auf unserem Planeten.

Wir aber geben nicht auf. Im Kambrium läuft das Leben auf vollen Touren. Die Wirbeltiere sterben nicht aus. Das Land wird erst durch Pflanzen, dann durch Tiere besiedelt. Aus Fischen entwickeln sich Lurche, aus Lurchen Reptilien. Die Reptilien spalten sich auf in Säuger und Dinosaurier. Aus den Dinosauriern entwickeln sich die ersten Vögel. Vor sechsundsechzig Millionen Jahren rast ein Asteroid auf die Erde zu. Er dringt in die oberen Atmosphärenschichten ein und ... fliegt in einem Abstand von etwa fünfzig Kilometern an der Erde vorbei.

Das Aussterben der Dinosaurier findet also nicht statt. Heute haben Dinosaurier die Raumfahrt entwickelt und bereits unser Sonnensystem besiedelt, während wir Primaten als gerade einmal faustgroße Winzlinge in den Kiefernzapfenplantagen der Saurier unser Dasein als Schädling fristen, denn wir leben von der Rinde und den jungen Trieben der Kiefern hoch in deren Wipfeln.

In diesem Szenarium jetzt trifft vor 66 Millionen Jahren der Asteroid, so wie er es sollte, die Erde und die Dinosaurier sterben aus. Aber was ist das? Wir Primaten sind auch jetzt nur Faustgroß. Außerdem hält man uns in Käfigen. Unsere Kommunikation mit unseren Artgenossen, unsere Sprache, wird von anderen Wesen, denen, die die Welt beherrschen, als lustiges Gezwitscher wahr genommen, weswegen man uns in Gefangenschaft hält. Die Art, die die Welt dominiert und die uns als Haustier hält, sind heute die Nachfahren der Dinosaurier, die Vögel.

Noch 'n Versuch. Alles läuft wie gewünscht, ... fast. Vor rund sieben Millionen Jahren aber entwickeln sich nicht nur vier Arten von Elefanten, der Afrikanische, der Indische, das Mammut und der Eurasische, sondern noch eine weitere Art. Sie ist wesentlich kleiner, als alle anderen Arten und um einiges intelligenter. Ihr Rüssel spaltet sich recht bald kurz hinter dem Nasenbein, so dass sich jedes Nasenloch unabhängig vom anderen bewegen kann und der Rüssel damit sehr viel beweglicher ist. Sie entwickeln recht bald Werkzeuge, benutzen vor fünf Millionen Jahren bereits das Feuer und sie machen Jagd, vor allem in Afrika, auf Primaten. Dadurch ist der Evolutionsdruck auf unsere Art so hoch, dass sich kein Hominide entwickeln kann. Schon seit einer Millionen Jahre besiedeln diese Elefanten das All, während die meisten Primatenarten als Nutztiere gehalten werden.

Kommen wir nicht bald zum modernen Menschen? Ja, bald, aber noch nicht jetzt. Die Kontinentaldrift verläuft etwas anders. Der indische Subkontinent schiebt sich nicht unter Asien, sondern in Richtung Beringstraße. Dadurch wird eine festere Landverbindung zwischen Eurasien und Nordamerika geschaffen. Nun fehlt die Barriere, die für das Abregnen des Monsun verantwortlich ist. In Ostafrika wird es deshalb nicht trocken und der durchgehende Dschungel zieht sich vom Atlantik bis nach Ostafrika. Es entstehen keine Savannen und damit auch nicht der Evolutionsdruck auf unsere gemeinsamen Vorfahren. Deshalb spaltet sich unsere Art nicht auf. Es bleibt eine Linie, die der Schimpansen.

Das gleiche Ergebnis bildet ein anderes Szenarium. Der Himalaya entsteht, aber die Plattentektonik zerreißt Afrika nicht. Der Afrikanische Grabenbruch entsteht nicht, der gesamte Gürtel entlang des Äquators bleibt Dschungel, wodurch keine Savannen entstehen und der Druck zur Entwicklung eines aufrecht gehenden Affen entfällt. Das höchst entwickelte Lebewesen bleibt der Schimpanse.

Wir kommen der heutigen Situation immer näher. Himalaya und Afrikanischer Grabenbruch entstehen, unsere Vorfahren spalten sich auf. Unsere Art besiedelt aber nicht nur die Savanne, sondern auch Flussmündungen, Deltas, die Mangrovensümpfe an den Küsten der Meere. Wir entwickeln den Tauchreflex, den wir bis heute haben, das Unterhautfettgewebe, das uns bis heute unter den Primaten einmalig macht, es entstehen Schwimmhäute zwischen Fingern und Zehen, wir verlieren unsere Haare und das was wir an Fell behalten macht uns bis heute im Wasser Stromlinienförmig. Jetzt reiten wir aber auf der Welle der sogenannten Wasseraffentheorie des Evolutionsbiologen Alister Hardy von 1930 weiter. Am Wasser kommt man leichter an tierische Proteine, die für die Entwicklung des menschlichen Gehirns notwendig sind. Wir finden genug Muscheln und Krebse, die sich roh verzehren lassen. Mit unseren leichten Speeren und ihren Klingen aus Feuerstein, vor allem aber aus Perlmutt jagt es sich leichter, als an Land. Seetang gibt’s als pflanzliche Ergänzung. Unsere Art spaltet sich auf in eine Art, die halbaquatisch im Süßwasser, Seen und Flüssen Afrikas lebt und eine Art, die das Landleben schließlich fast komplett aufgibt und in den Meeren und an deren Küsten, sowie im Brackwasser der Küsten lebt. Diese beiden Arten besiedeln heute die ganze Welt. Da wir aber nie gelernt haben, das Feuer zu zähmen, weil das nicht notwendig war, sind wir weiter Jäger, Fischer und Sammler.

Nein, es kommt doch anders. Unsere Vorfahren entdecken die Nutzung des Feuers. Unsere Art ist dabei, die Welt zu erobern.Vor etwa sechzigtausend Jahren gibt es nur noch zwei Menschenarten, den Neandertaler in Europa und unsere Art. Bis heute beschäftigt die Frage, warum der Neandertaler ausgestorben ist, ob er überhaupt ausgestorben ist, denn im Erbmaterial der Mitteleuropäer finden sich Reste seines Genoms? Vor rund sechzigtausend Jahren gibt es von unserer Art nur noch eine kleine Restpopulation an der Nordküste Afrikas, die von Wüsten und dem Meer von allen anderen Menschenarten abgeschnitten ist. Wir sind eine aussterbende Art.

Und jetzt zwei unterschiedliche Szenarien, die beide mit dem Aussterben unserer Art enden.

Die eine: Unsere Art erholt sich, überwindet diese Trockenheit und dringt in die Jagdgebiete der Neandertaler ein. Der Neandertaler ist körperlich robuster als wir und hat ein größeres Hirn. Seine Vermehrungsrate erhöht sich nun aber auf Grund des Evolutionsdrucks, den wir als Art auf ihn ausüben. Vor rund dreißigtausend Jahren stirbt deshalb nicht der Neandertaler aus, sondern unsere Art.

Die andere Variante: Wir überleben die Dürre in Nordafrika als Art nicht. Statt dessen bleibt bis heute der Neandertaler die einzige überlebende Menschenart. Er haust nach wie vor in Höhlen, sammelt und jagt, hat aber nach der letzten Eiszeit die ganze Erde, bis auf die Polynesischen Inseln, erobert.

Nun ist es an der Zeit, den Neandertaler auszurotten. Das tun wir auch und beginnen uns weiter zu entwickeln. Die letzte Eiszeit endet aber nicht vor zehntausend Jahren. Durch eine minimale Verschiebung der Erdbahn um die Sonne, ausgelöst durch einen Meteoriteneinschlag in Nordamerika, den es nur in diesem Szenarium hier gibt, fällt deshalb die nächste und bis heute anhaltende Warmzeit aus. Darum wird der Mensch nicht sesshaft, sondern er bleibt bei seinem nomadischen Leben. Zwar zähmen wir den Wolf und machen aus ihm unseren Jagdgefährten, aber das relativ kalte und trockene Klima auf unserem Planeten zwingt uns hier dazu, weiterhin Jäger und Sammler zu bleiben. Die ersten Hochkulturen mit ihrem Ackerbau und ihrer Viehzucht entstehen nicht. Heute leben wir in einfachen Jurten und ziehen den großen Herden der Wisente und Mammuts hinterher.

Jetzt aber gelingt es uns. Der Mensch wird sesshaft, die Hochkulturen entstehen. Das römische Reich entsteht.

Wir haben jetzt zwei Szenarien mit demselben Ergebnis. In dem einen stirbt Arminuis bei einem Duell in Rom. Die Varusschlacht im Jahre 9 n. Chr. findet nicht statt. In dem anderen gewinnt Varus die Schlacht im Teutoburger Wald. Das römische Reich weitet in beiden Szenerien sein Herrschaftsgebiet bis an den Ural aus. Heute sprechen wir in ganz Europa, in weiten Teilen Asiens und auf dem gesamten afrikanischen und amerikanischen Kontinent Latein. Die anderen beiden Reiche sind die der Mongolen und das der Chinesen, das sich bis Australien ausgeweitet hat. Der Sitz der UNO ist nicht New York, sondern Rom. In Indien gibt es noch einige wilde Stämme, die sich einer möglichen Besatzung durch Römer oder Chinesen erwehren. Noch immer gibt es Sklaven, die aus den Reihen angeblicher Verbrecher rekrutiert werden. Der technische Entwicklungsstand gleicht dem heutigen.

Hier wird es jetzt erstmals persönlich. Mein Vorfahre der Wandalenfürst Geiserich taucht auf. Er zieht durch Andalusien bis nach Nordafrika, macht Karthago zu seiner Hauptstadt und plündert 455 Rom. Dabei geht jedoch etwas schief und bereits jetzt werden die Wandalen durch die Weströmer vernichtend geschlagen. Das führt zu einem unerwarteten Aufschwung des Weströmischen Reiches, das erneut damit beginnt, Mitteleuropa, nun aber erfolgreich, zu erobern. Heute leben wir hier im römischen Reich. Mich aber gibt es nicht, weil Geiserich sich nicht oft genug fortgepflanzt hat.

Nun ist das Szenarium wieder ähnlich. Das Reich der Wandalen entsteht, Geiserich plündert 455 erfolgreich Rom und nimmt den Papst als Geisel gefangen. Unser Zeitstrahl weicht aber weiterhin ab, denn es gibt 534 keinen Aufstand auf Sardinien, den das Wandalische Heer niederschlagen muss, deshalb steht es in Karthago bereit, als die Oströmer unter Kaiser Justinian I die Wandalen angreifen. Sie werden vernichtend geschlagen und das oströmische Reich fällt nach und nach den Wandalen zu. Ich bin heute Kaiser eines Wandalischen Reiches, das sich von Marokko über Nordafrika, die gesamte Sahelzone, den Nahen Osten bis nach Indien, China und Russland erstreckt. Der muslimische Glauben ist heute eine Randnotiz in der Geschichte, weil er sich durch das Wandalische Reich nie entwickeln konnte.

Ein neuer Versuch. Das Oströmische Reich vernichtet die Wandalen. Fünf Jahre danach gerät die Erde direkt in den Fokus eines Gammastrahlenausbruchs, weil in unser Nachbargalaxie, im Andromedanebel, zweieinhalb Millionen Lichtjahre von uns entfernt, zwei Sterne in der Größe unserer Sonne in ein Schwarzes Loch stürzen. Der Gammastrahlenausbruch vernichtet auf der Erde umgehend alles Leben, bis auf wenige Mikroben und Einzeller. Die Entwicklung höheren Lebens beginnt damit in unseren Ozeanen erneut.

Im jetzigen Szenarium reisen wir bis ins 20. Jahrhundert. Die Geschichte nahm ihren weiteren Verlauf, so wie wir sie kennen. Doch jetzt geschieht folgendes: Im Sternsystem Sirius, etwa 8,6 Lichtjahre von uns entfernt, wird durch den Einschlag eines Kometen auf einem seiner Planeten vor viereinhalb Millionen Jahren, dieser um wenige Zentimeter aus seiner ursprünglichen Bahn gedrückt. Die nicht mehr nachweisbare Gravitationswelle verschiebt die Bahn eines Kometen in unserem Sonnensystem um den tausendsten Teil eines Millimeters. Dadurch schlägt am 30. Juni 1908 der Tunguska-Komet nicht in Sibirien, in der Nähe des Flüsschens Tunguska ein, sondern er explodiert in vier Kilometer Höhe direkt über Berlin. Meine Urgroßmutter stirbt bei diesem Vorfall sofort, und damit existiere ich nicht. Aber auch der Deutsche Kaiser mit seiner Familie stirbt. Durch die darauf folgende Hungersnot gibt es eine Hungerrevolution im Deutschen Kaiserreich. Der Erste Weltkrieg findet nicht statt, der Zweite Weltkrieg entfällt gleichfalls aus diesem Grund. Heute ist Deutschland ein Agrarland in den Grenzen von 1871, eine Räterepublik, die aber an ihren Kolonien festhält. Auch sonst hat sich die Welt seit dem nun "Berliner Einschlag" genannten Ereignis, wenig verändert, denn die Volksaufstände in den Überseegebieten Frankreichs und Großbritanniens blieben aus, weil der dafür nötige Zündfunke im Ergebnis des Zweiten Weltkriegs fehlte. Das Vereinige Königreich hat somit auch noch all seine Kolonien und lebt das Empire, das die USA im nun ausgebliebenen Krieg nie zu unterstützen brauchte. Durch diese fehlende Unterstützung des europäischen Kriegsschauplatzes wurde die Wirtschaft der Vereinigten Staaten nie auf volle Leistung gefahren. Ein Kriegseintritt des Landes einzig und allein auf Grund der Bombardierung Pearl Harbors durch Japan, war deshalb der amerikanischen Bevölkerung nie vermittelbar. Die USA blieben deswegen in ihrer isolationistischen Politik und wurden keine Weltmacht. Die Weltmächte heißen heute Japan, das sein Herrschaftsgebiet bis Australien ausgeweitet hat, Frankreich und Großbritannien.

Wir nähern uns dem Jetzt und Heute bis zum Jahr 1938. Ein Neffe Neville Chamberlains bringt am Vorabend der Unterzeichnung des Münchner Abkommens eine schlechte Schulnote in Mathematik nach hause. Der Onkel regt sich deshalb über die Unfähigkeit des Lehrers auf, trinkt ein Glas Scotch zu viel und fliegt am anderen Tag wütend, verkatert und geladen nach München. Er bleibt hart und unterzeichnet das Abkommen mit Frankreich, Deutschland und Italien nicht. Als die Wehrmacht am 1. Oktober 1938 dennoch ins Sudetenland einmarschiert, kommen Frankreich und England ihren Bündnisverpflichtungen gegenüber der Tschechoslowakei nach. Der Zweite Weltkrieg beginnt ein Jahr eher. Darauf ist die deutsche Rüstungsindustrie noch nicht eingerichtet. Obendrein fehlt ein Abkommen mit der Sowjetunion. Somit ist der Zweite Weltkrieg von vornherein ein Zweifrontenkrieg und weitet sich gar nicht erst zum Weltkrieg aus. Innerhalb von zwei Jahren ist Deutschland von französischen, britischen, polnischen und sowjetischen Truppen besetzt. Bei einem Putsch kurz vor Kriegsende werden Hitler und seine Anhänger entmachtet und vom wütenden Mob auf der Straße gelyncht. Es tritt wieder die Verfassung der Weimarer Republik in Kraft. Der Weltenbrand bleibt aus. Mich gibt es nur zur Hälfte, denn nur mein Vater wird 1941, im Frieden, geboren. Meine Großmutter mütterlicherseits lernt zwar 1939 noch ihren Rolf kennen, sie heiraten aber nicht. Mein Großvater Rolf wird als glühender Anhänger Hitlers vom Mob, so wie alle SS- und SA-Leute, mitgelyncht und stirbt, bevor er mit meiner Oma Kinder zeugen kann. Meine Großmutter lernt darauf hin einen netten Abteilungsleiter in der Firma, in der sie arbeitet, bei Maggi, kennen und zieht mit ihm 1942 in ein Landhaus bei Neuruppin. Meine Mutter wird zwar geboren, da sie aber in Neuruppin aufwächst, lernt sie meinen Vater nie kennen. Ich werde 1961 zeitgleich als Sohn meines Vaters in Berlin und als Sohn meiner Mutter in Neuruppin geboren, lerne mein anderes Ich aber nie kennen.

Ein anderes Szenarium. Aber eines, das uns Gott sei Dank erspart geblieben ist. Der zweite Weltkrieg beginnt, wie wir es kennen, am 1. September 1939. Mein Vater wird 1941 in Berlin geboren, meine Mutter 1943 in Neustadt bei Gossenthin in der Nähe von Danzig 1943, denn meine Oma hat ihren Rolf geheiratet und ist mit ihm 1941 dort hin gezogen, so wie ich es aus der eigenen Familiengeschichte her kenne. Doch wiederum ist etwas anders. Als 1942 die Sowjetarmee vor Stalingrad versucht, die 6. Deutsche Armee einzukesseln, geht etwas schief. Die mit Deutschland verbündeten Rumänen, Ungarn und Italiener an den Flanken schaffen es hier, warum auch immer, die Einkesselung der Wehrmacht zu verhindern. Dadurch kann weiter Nachschub nach Stalingrad gelangen und die 6. Armee kapituliert im Februar 1943 nicht, sondern sie nimmt die Stadt ein. Der Weltkrieg in Europa endet, wie wir es aus den Geschichtsbüchern her kennen, am 8. Mai 1945. Jedoch nicht mit der Kapitulation Deutschlands, sondern mit der Kapitulation der Sowjetunion und Englands, nachdem am 6. Juni 1944 in einer gigantischen Landungsoperation die Wehrmacht nach Großbritannien übergesetzt und das Vereinigte Königreich erobert hatte. Nach den französischen gelangen jetzt auch die britischen "Überseegebiete" in deutsche Hand.

Bis Ende der 40er Jahre besetzt nach dem eigentlichen Krieg, laut Goebbelsscher Schreibweise "friedlich", Deutschland auch die Gebiete seiner im Krieg Verbündeten und verleibt sich ganz Afrika ein. Während dessen erobert Japan Südamerika und einen Teil Nordamerikas. Die USA schrumpfen auf einen kleinen Reststaat im Osten des Kontinents zusammen. Heute gibt es, bis auf ein paar Stadtstaaten und einige Inseln im Südatlantik, sowie den Rest-USA, bestehend aus den ehemals ersten dreizehn Kolonien, nur noch zwei Länder, die sich die Welt untereinander aufgeteilt haben: Deutschland und Japan.

Weil meine Großmutter nie aus Neustadt bei Gossenthin flüchten musste und dadurch meine Mutter nie meinen Vater kennen gelernt hat, gibt’s mich auch hier zweimal. Ich lerne mein anderes Ich sogar selbst kennen, ohne es zu wissen. Das in Neustadt geborene Ich ist Leiter eines Konzentrationslagers für politische Gefangene, in dem mein anderes Ich inhaftiert ist, denn dieses andere Ich ist bei einer illegalen Flugblattaktion der verbotenen SPD, deren Mitglied ich bin, festgenommen worden und wird nun durch mich gefoltert, damit ich meine Hintermänner verrate.

Die Welt ist durch Zufälle bestimmt. Wir nähern uns immer mehr dem Heute an. In der Tanzschule, auf die sie beide gehen, lernen meine Eltern zwar einander kennen, aber mein Vater ist zu schüchtern, meine Mutter zum ersten Date einzuladen oder ein anderer Herr ist eine Minute schneller, als mein Vater. Nun geht sie mit dem anderen aus und verliebt sich in den. Heute gibts mich zweimal. Meine Mutter gebar mich als Mädchen und ich arbeite heute, so wie bereits meine Großmutter, in einem Gebäude der Senatsverwaltung für Finanzen in der Klosterstraße und bin Beamtin. Aber nicht nur das! Ich bin zweifache Großmutter und werde bald eine ordentliche Pension bekommen. Das erste Kind meines Vaters bin auch ich, aber als Junge. Ich lernte, so wie er, auf dem Bau. Weil ich anfing, nach der Wende in Deutschland zu trinken, ist dieses Ich heute Obdachlos und hält sich regelmäßig rund um den U-Bf. Klosterstraße auf. Mein weibliches Ich gibt dort meinem männlichen Ich immer mal 'n Euro in meinen, zum betteln aufgestellten Hut.

Nun aber wird es. Mein Vater hat mit meiner Mutter sein Date, sie verlieben sich und im Herbst 1960 werde ich in Brieselang "gemacht". Aber irgendwie werden ein X- und ein Y-Chromosom beim Zeugungsakt vertauscht und ich werde als Mädchen geboren. Heute bin ich zweifache Großmutter und Beamtin in der Senatsverwaltung für Finanzen und arbeite wie einst meine eigene Großmutter in der Klosterstraße.

Manchmal kann eine kleine Entscheidung ein ganzes Leben drehen. Ich werde, wie vorgesehen, als Junge geboren. Wenige Tage nach meiner Geburt, konkret am 10. August 1961, ist meine Mutter bei ihrer Oma in Westberlin in der Uhlandstraße. Ich habe diese Geschichte so oft gehört. An diesem Tag wurde eine wichtige Weiche für mein späteres Leben gestellt. Nur weil meine Mutter meinen Vater vor ihrem Besuch in der Uhlandstraße auf Arbeit nicht mehr erreichte, fuhr sie abends wieder zurück nach Ostberlin. Die Koffer für die Flucht waren angeblich schon gepackt. Sie wollten es nun eine Woche später wagen. In diesem Szenarium jetzt erreichte sie meinen Vater, fuhr mit mir zur Uhlandstraße und Vaddern kam mit den Koffern nach. Am nächsten Tag meldeten sie sich im Notaufnahmelager Marienfelde. Und hier trennt sich der Zeitstrahl erneut. In dem einen Zeitstrahl komme ich durch falsche Freunde in der Schule auf die schiefe Bahn, werde zum Junkie und verrecke kurz nach dem Mauerfall an einer Überdosis Heroin. In dem anderen Zeitstrahl lässt der Onkel aus Steglitz seine Beziehungen spielen. In dieser Umgebung werde ich zum Finanzbeamten im Wohnbezirk meiner Eltern, in Wilmersdorf und weil ich mich in meiner Jugend etwas für Umweltschutz engagiert hab, sitze ich heute für die Grünen in der Wilmersdorf-Charlottenburger BVV.

Das Leben ist hart und ungerecht, könnte man zum nächsten Lebensweg sagen. Meine Mutter versuchte ursprünglich mich schon mit fünf Jahren in der Vorschule anzumelden. Sie nahm mich aber schon nach vier Wochen wieder heraus, weil ich danach immer nur geweint habe und schulte mich deshalb ein Jahr später ein. Gesetzt den Fall, sie hätte das nicht gemacht, wäre ich schon 1967 in die 1. Klasse gekommen. Weil ich jünger, als die meisten anderen war, wäre ich im Unterricht weiter zurück geblieben, hätte schlechtere Noten gehabt, wäre von den anderen Kindern deshalb gehänselt worden und wäre innerlich so sehr zerbrochen, dass ich den "Bruder Alkohol" nicht mehr hätte bändigen können. Ich wäre kurz vor dem Mauerfall mit billigem Fusel im Magen auf einer Parkbank verreckt, so wie es der eine Sohn eines der Cousins meines Vaters aus Havelberg gemacht hat.

So langsam kommen wir in die Gegenden der eigenen wichtigen Entscheidungen, die ich hätte machen müssen. Aber davor noch ein paar andere "Gelegenheiten", auf die ich zum Glück verzichten konnte.

Da wäre die Möglichkeit, dass sich meine Eltern, beides Fischer, am Mekong kennen gelernt haben und ich in einem Dorf in Nordvietnam aufgewachsen bin. Unsere Gegend wird im Vietnamkrieg mehrfach bombardiert, so dass meine Eltern dabei umkommen. Ich selbst verkohle mir den Großteil meiner Haut bei einem Angriff der Amis mit Napalm und komme damit in ein Krankenhaus nach Hanoi. Nach dem Krieg versuche ich mich erneut als Fischer, aber die Flüsse sind durch den Krieg hoch verseucht und so lande ich letztendlich auf dem Bau. Heute arbeite ich als Lohnsklave, von Vietnam ausgeliehen, in Kathar.

Auch das folgende Szenarium wäre denkbar und Millionen von Menschen leben so. Meine Eltern lernen sich in einem Dorf auf den Philippinen kennen. Da werde ich hinein geboren. Nach zwei Taifunen ist unser Land nicht mehr zu bewirtschaften und meine Eltern gehen mit mir als Kleinkind, um Geld zu verdienen, in die große Stadt nach Manila. Mein Vater legt sich, rein versehentlich, mit jemandem des Regierungsklans Marcos an und verschwindet als politischer Gefangener der Diktatur für mehrere Jahre in einem Gefängnis. Muttern versucht in der Zeit mich und meine anderen acht Geschwister irgendwie durchzufüttern. Als Vaddern aus der Haft entlassen wird, ist er ein gebrochener Mann und versäuft das bisschen Geld, das Muttern durch Näharbeiten zusammenkratzt. Heute bin ich ein alter Mann ohne Zähne und mit Glatze, unterernährt, ohne Schulbildung und ich hause in einem Slum am Rande Manilas, ohne fließend Trinkwasser, ohne Strom, ohne Toilette. Ich versuche, etwas Geld mit einer eigenen Rikscha zu verdienen und Touristen "meine" Stadt zu zeigen.

Oder so: Ich werde im Jahr 1740 als Onondaga im Ohiotal in Nordamerika geboren. Eigentlich bin ich glücklich, bis zu dem Zeitpunkt, als Briten und Franzosen expandieren und sich in einem Krieg um Nordamerika in einander verheddern. Die Briten gewinnen und treiben uns immer weiter nach Westen. Dabei sind wir gezwungen, schlicht um zu überleben, uns mit anderen Stämme herum zu schlagen. Als Indianer bleibe ich mein Leben lang Jäger, Fallensteller, Bauer und leider auch Krieger. Heute kennt niemand mehr meinen Namen.

Eine weitere Möglichkeit wäre: Meine Eltern regieren einen Stamm im Nahen Osten, der im Gebiet des heutigen Saudi-Arabien liegt. Bereits in Ihrer Jugend, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, fand man im Territorium unseres Stammes ein bedeutendes Ölfeld. Meine Hochzeit wurde arrangiert, um unser Ansehen zu vergrößern. Deshalb wurde ich im 16. Lebensjahr mit der jungen Fatima, die gerade das 8. Lebensjahr vollendet hatte, zwangsverheiratet. Wir mochten uns beide nie, zeugten aber dennoch den gewünschten Erben. Heute bin ich unglücklich verheiratet, meine Frau hasst mich, aber wir sind steinreich.

Und noch der hier: Ich werde als Farmerssohn in der Nähe von Dallas, Texas, geboren. Zwei Jahre nach meiner Geburt finden Geologen im Boden unter unserer Farm mehrere ergiebige Ölfelder. Meine Eltern gründen daraufhin eine eigene Ölfirma und beuten das Land selber aus. Dabei werden sie stinkreich. Ich gehe auf die Havard Universität und lerne dort Lotte Liese kennen, reiche Erbin einer Hotelkette. Nach unserem Studium und unserer Hochzeit übernehme ich die elterliche Ölfirma und baue sie noch aus. Zwar gehe ich dabei nicht immer sauber vor und spinne so manche Intrige, aber was solls, Hauptsache der Dollar rollt. Ich versuche, selbst den Mindestlohn meiner Arbeiter noch zu drücken und habe für deren Bedürfnisse überhaupt kein Verständnis. Ich gehe andauernd fremd, meine Frau geht andauernd fremd, uns aber von einander scheiden zu lassen, kommt überhaupt nicht in die Tüte. Nachher muss einer dem anderen noch einen Teil seiner "sauer ersparten"

Dollars überlassen. Heute bereite ich mich darauf vor, für die Republikaner in den nächsten Präsidentschaftswahlkampf zu ziehen. Ich bin zwar reich, aber meine Frau betrügt mich ständig, so wie ich sie und ich habe keine ehrlichen Freunde. Glücklich bin ich überhaupt nicht.

Aber zurück zum eigentlichen Strang. Ich war jahrelang in unsere Klassenbeste, Christina, verknallt, schon ab der 1. Klasse. Ein süßer, kleiner Blondschopf wie Shirley Temple, in die ich in der 1. Klasse auch verknallt war, mit immer etwas weinerlich klingenden Stimme. Ihre Mutter war für die damalige Zeit relativ alt. In jenen Tagen war es üblich, dass die Frauen kaum älter als 25 Jahre waren, wenn sie Mutter wurden, denn nur mit Kind hatte man Anspruch auf eine eigene Wohnung. Also wurde sehr jung geheiratet und die Familie gegründet. Christinas Mutter war indes bereits so um die vierzig, als Christina eingeschult wurde und damit etwa fünfzehn Jahre älter, als meine Mutter. In der 8. Klasse prügelte ich mich mit Volker, unserem Leistungssportler in der Klasse, um Christina und ich wurde von ihm jämmerlich verhauen. Aber ihr Herz erweichte es nicht. Ab der 9. Klasse ging sie zur Erweiterten Oberschule und machte ihr Abi. Nur zwei aus unserer Klasse durften dies, so sehr wurde ausgesiebt. Was, wenn ich damals doch mit ihr zusammen gekommen wäre? Wäre ich ein besserer Schüler geworden? Hätte ich mehr Ehrgeiz gehabt? .

Was wäre gewesen, hätte man die Schule in der Degnerstraße erst zwei Jahre später fertig gestellt? Diese Frage hab ich mir oft gestellt. Aus drei 6. Klassen machte man zum neuen Schuljahr zwei 7. Klassen. Alle, die jenseits einer gewissen Straßengrenze wohnten, gingen automatisch auf diese neue Schule. Dummerweise waren darunter all meine besten Kumpels. Damit stürzte ich mit Beginn der 7. Klasse ins Bodenlose. Sich als schüchternes Kind in eine neue Schulklasse einzusortieren, in der beginnenden Pubertät und quasi nur mit Rabauken zusammen zu sein, war ganz schön schwer. Letztlich ging es um Revierkämpfe, um Imponiergehabe gegenüber den Mädchen und nur noch in zweiter Linie um lernen. Ich brauchte das gesamte Schuljahr, um dort anzukommen. Sackte vom Zensurendurchschnitt um anderthalb Noten ab, von 1,8 in 6. auf 3,3 in der 7. Klasse, erst dann fing ich mich. Tja, was wäre, wenn die andere Schule erst zwei Jahre später fertig geworden wäre und ich das Umfeld aus meinen Kumpels behalten hätte. Wäre ich dann ehrgeiziger geworden? Hätte ich mehr erreicht?

Meine Mutter hatte ein, wie soll ich es sagen, recht eigenwilliges Verhältnis zu gewissen Dingen, die in der DDR geschahen. Sie hatte manche Sachen oder aus dem System heraus entstandene Anpassungsweisen offenbar manchmal nicht verstanden.

Ja, ich durfte Jung- und dann Thälmannpionier werden, aber der Übergang zur FDJ holperte bei mir. Zweimal war mein Antrag auf Aufnahme in die FDJ ... verschwunden. Das gehörte zum Angepasst sein dazu. Ich war damals viel zu schüchtern und viel zu feige, mich nicht anzupassen. Als alle in unserer Klasse in einem feierlichen Fahnenappell, Abends bei Fackelschein in einer Zeremonie einzeln aufgerufen und dann aufgenommen wurde, fehlte mein Name als einziger in der Klasse. Nachfrage am nächsten Tag von mir beim FDJ-Sekretär der Schule und die Antwort: "Ja, wo der Antrag geblieben ist, wissen wir nicht." Also den Antrag zur Aufnahme dort gleich noch einmal ausgefüllt und abgegeben. Nach vier Wochen meine Nachfrage, wie es mit meiner Aufnahme in die FDJ aussieht und wieder war der Antrag weg und niemand wusste, wohin. War da jemand von den Eltern der Mitschüler, die bei den "bewaffneten Organen", bei der Staatssicherheit, gearbeitet hatten, darunter, der mir Steine in den Weg legen wollte, weil wir regelmäßig Kontakte nach Westberlin hatten? Oder war der Antrag wirklich einfach nur weg? Nach dem Ding mit den Kurzgeschichten, weiter hinten zu lesen, vermute ich ja, dass Muttern da ihre Finger im Spiel hatte.

Meinen dritten Antrag auf Mitgliedschaft wurde dann von Vaddern mitgenommen. Er gab den in seinem Betrieb bei seinem Betriebs-FDJ-Sekretär ab. Und so war ich bis zu meiner Lehre, drei Jahre lang, offiziell Mitglied der FDJ beim VEB BMK Ingenieurhochbau Berlin, war aber in der FDJ-Leitung unserer Schulklasse für Sport und Kultur zuständig. Was, wenn ich nie in die FDJ eingetreten wäre? Ich wäre der Außenseiter in der Klasse und auch später geblieben. Hätte mich entweder dem Alkohol ergeben oder wäre in Opposition zur DDR gegangen, hätte im Knast in Hohenschönhausen eingesessen, wäre als Politischer Mitte der 80er Jahre vom Westen freigekauft und wäre mit dem System in der Bundesrepublik nicht klar gekommen. Womit ich mich auch hier mit allem und jedem anlegen würde. In diesem Zeitstrahl bin ich heute ein verbitterter, alter Mann, ohne Freunde, der mit sich und der Welt unzufrieden ist.

Anderes Grundszenarium mit mehreren Strängen: Ausgangspunkt: Als ich gestern über die Straße gehe, erwischt mich ein LKW. Ich bin auf der Stelle tot. Ich sehe mich auf einmal von außen. Sehe, wie ich da im eigenen Blut liege, wie Rettungskräfte versuchen, mich zu reanimieren. Ich löse mich von mir und gehe auf ein Licht zu. In dem Moment, in dem ich das Licht erreiche, wird es dunkel um mich herum. Dann wache ich plötzlich auf.

Möglichkeit 1: Huch! Ich habe keine Hände? Wo sind meine Beine? Hat man die mir amputiert? Und was ist das auf meinem Rücken? Es ist hart. Ich öffne die Augen und sehe einen Schatten auf mich zu kommen. Instinktiv krümme ich mich und merke, wie ich mich in das da auf meinem Rücken hinein ziehe. Nach ein paar Augenblicken ist der Schatten weg. Ich strecke mich. Eigenartig, meine Augen sitzen wohl auf Stielen. Ich bewege eines meiner Augen, um mich zu betrachten. Oh je, auf meinem Rücken thront ein Schneckenhaus. Vor mir sehe ich etwas Grünes und bekomme mächtigen Hunger. Salat, sagt mir mein Inneres. Ich krieche darauf zu …

Möglichkeit 2: Als ich erwache, befinde ich mich in einer kleinen Zelle. Ich bestehe wohl nur aus Augen und Maul und hab keine Arme und Beine. Von oben wird der Deckel meiner Zelle angehoben. Ich sehe in ein paar glutrote Facettenaugen. Der Teufel? Nein, das Gesicht speit etwas aus und schiebt es mir in meinen Mund. So geht das ein paar Tage. Trotz meiner Klaustrophobie gewöhne ich mich an die enge Zelle. Dann schlafe ich plötzlich ein. Während des Schlafes passiert irgendetwas mit mir. Als ich erwache, hab ich Hunger. Mein Gesicht hat sich verändert. Plötzlich sind kleine Greifer vor meinen Lippen. Mit denen öffne ich die Zelle und und krabble mit meinen sechs Beinen, die ich auf einmal habe, hinaus. Ich hab eine etwas rot-braune Farbe und laufe mit vielen anderen um mich herum, dem Geruch folgend, zu meiner ersten Mahlzeit nach der Verpuppung. "Ich bin 45782.", sagt jemand neben mir und vor mir begrüßt mich jemand mit den Worten: "Ich bin 45786." "Sehr erfreut!", sage ich und ergänze "Ich bin 45761." Von hinter mir kneift mich jemand ins Bein und ruft unfreundlich: "Beeil dich mal ein bisschen! Ich will endlich arbeiten!" Jetzt spüre ich ihn auch, diesen Wunsch, arbeiten zu müssen. Dieser Wunsch nach Arbeit ist fast schon größer, als der Hunger. Ich gelange mit vielen anderen zum Pilzgarten und labe mich dort. Die Königin ruft, rieche ich und krabbele mit einigen anderen Waldameisen in ihre Richtung.

Heben wir uns weitere Gedankenspiele für später auf.

In der 8. Klasse kam Andrea zu uns. Sie war schon "erfahren" hieß es und hätte sich bereits ein Kind weg machen lassen. Ich war verschossen in sie, aber viel zu schüchtern, sie anzusprechen. Nach einem halben Jahr zog sie mit ihren Eltern in die Neubausiedlung an der Gehrenseestraße um, die vom Ministerium für Staatssicherheit errichtet war. Da ahnte ich, dass ihr Vater oder ihre Mutter wohl dem Verein angehören würden.

Angeblich soll sie sich ein Jahr nach Ende der regulären Schulzeit umgebracht haben, aber ein Facebookaccount mit einem Bild von ihr existiert. ... mh ... Wenn ich mehr Mut gehabt hätte, ob wir dann zusammengekommen wären? Vermutlich, denn sie schien damals nicht abgeneigt. Ich weiß noch, wie sie im Matheunterricht ihre Federtasche direkt vor meine Füße fallen ließ und mich provokant anschaute. Ich wurde puterrot, bewegte mich aber nicht. Als sie Tränen in den Augen hatte, schritt unser Mathelehrer ein und forderte sie auf: "Fräulein Werner, wollen sie nicht mal ihr Schreibzeugs aufheben?" Ihr flossen die Tränen, mir war es peinlich. Was wäre wenn ... wäre ich dann mal ihren Eltern vorgestellt worden? Ich hätte sicherlich dem "Verein" beitreten müssen. Vielleicht wäre ja aus mir ein brauchbarer Ehemann geworden, mit Studium und so und einem tollen Job bei der Stasi, mit guter Abfindung danach und hoher Rente heute?

Andrea und ich würden uns heute im Schaukelstuhl auf unserer Veranda der Datsche einander anschauen und über die alten Zeiten sinnieren.

Kerstin hieß sie wohl und war in der Parallelklasse, Silberweiß oxydierte Haare hatte sie und war angeblich auch schon "erfahren". Als der Film "Blutige Erdbeeren" in den DDR-Randkinos, wie unserem "Venus" in der Degnerstraße lief und darin der Song "give peace a chance" von John Lennon, war es üblich, wenn in der Schuldisko das Stück aufgelegt wurde, dass sich alle Tanzenden im Kreis auf den Boden setzten und wir im Film .... rumm-rummklatsch – rumm-rumm-klatsch ... mitmachten. Dasselbe machte man übrigens ein paar Jahre später bei "we will rock you" von Queen. Der Film "Blutige Erdbeeren" ist von 1970 und lief 1973 – 1974 in den Kinos der DDR, "we will rock you" ist von 1977. Eine Anspielung auf "Blutige Erdbeeren" gibt’s nebenbei bemerkt im Film-Musical "Across the Universe" von 2007. Jedenfalls besagte Kerstin liebte es, sich mit ihren Freundinnen in der großen Mittagsschulpause an das Geländer zu stellen, auf dem wir "coolen Jungs unserer 8. Klasse" saßen und mit rumm-rumm-klatsch meine Oberschenkel zu malträtieren. Heute würde ich sagen, das war doch eine mehr als eindeutige Anmache, oder? ... aber damals war ich viel zu schüchtern ... Den Film hab ich heute auf meiner Wunschliste bei Amazon. ... Wenn ich damals nicht schüchtern gewesen wäre, ... da wäre doch was gegangen!

Ich hab mich in der 8. Klasse aus zwei Gründen als einer der DJ's an der Schuldisko beteiligt. Zum einen hatte ich genügend gute Musik, der Hauptgrund aber war, dass ich mich nicht getraut hab, Mädchen anzusprechen, zum tanzen aufzufordern und auch zu tanzen. Heute ist mir ja sowas scheißegal, aber damals ... da mochte ich Kuschelrunden immer nicht, die aber unweigerlich kamen. Und da dann, vor der gesamten Schule ... Aber ich kann mich entsinnen, dass ich auf der Abschlussfahrt unserer 10.Klasse nach Stralsund meine angeblich alle erfahrenen Schulkumpels damit an die Wand gespielt hab, indem ich mit einer jungen Dame aus Stendal, die wie wir mit ihrer Klasse in der Jugendherberge weilte, vor aller Augen abgezogen bin. Das hat Spaß gemacht! Ich weiß nicht einmal mehr, wie sie hieß. Sie war klein und blond, mit schnuckliger Rubensfigur. Vielleicht wäre ich ja mal in Stendal gelandet.

In der 10. Klasse hatten wir Astronomie, die Sternenkunde. Zweite Unterrichtseinheit und die Frage des Paukers: "Wer hat denn die Funktion des Sternenatlas halbwegs verstanden?" Ich und zwei andere Jungs meldeten uns, ich eher zögerlich. "Rolf, du gehst zu Christine, Peter zu Martina und Paul zu Anita und erklärt es da. Ich erkläre und dann sehen wir weiter." Zu Christine ... mh ... Christine war 'ne Süße, aber mindestens genau so schüchtern, wie ich. Ick würd' ja heute die Nachtijall trapsen hörn, wenn ma 'n Pauker zum Sterne ankieken zu Fräulein Christine schickt, aber damals ... Sie ahnen es ... war ich viel zu schüchtern ... Ich hatte Christine auch immer als Freundin von Frank verortet. Aber Frank war aus der 8. Klasse abgegangen, um in die Lehre zu gehen. Die beiden wohnten in Nachbarhäusern am Weißenseer Weg. Dass die beiden nur ihren Schulweg gemeinsam gingen, hab ich erst Jahre später begriffen. Für mich jedenfalls war Christine Franks Freundin und die Freundin eines anderen baggert man nicht an. Flirten geht, aber baggern nicht, außerdem war ich ... viel zu schüchtern.

Ich kann es noch toppen! Bei der Abschlussfeier unserer Schulzeit, in der Clubgaststätte "Schillerglocke" an der Landsberger Allee, tanzte ich dann auch mal, alle Eltern und Lehrer waren bei dem Ball dabei, auch mit Christine. Nach dem Tanz kamen dann die üblichen Kommentare meiner Mutter: "Wer war das denn? Die sieht aber nett aus! Kennste die schon länger? Soll ich dir mal 'n paar Kondome besorgen? Tanz doch nochmal mit ihr!" Ich hab darauf hin nie wieder mit Christine getanzt. Ich Esel! Christine ist wirklich die verpasste Gelegenheit meines Lebens, die ich bis heute bedauer. Ach könnte ich das Zeitrad doch noch einmal zurück drehen ins Jahr 1978. Wir hätten vermutlich nach unserer beider Lehre geheiratet und ich hätte ein ganz normales Leben geführt.

Die Lehrausbildung als Wirtschaftskaufmann war, von der Theorie her, etwas anstrengend. Nicht wegen des Stoffes, sondern wegen der Umstände. Wir waren neunundzwanzig Personen in der Berufsschulklasse, davon achtundzwanzig weiblich.

Nach dem ersten Tag dort dichteten mir meine Kumpels an: "Na dann biste ja Hahn im Korbe." Schön wäre es gewesen, denn die weiblichen Wesen sahen in mir nur ein Muttersöhnchen und benahmen sich mir gegenüber gar nicht damenhaft, scheu, zurückhaltend, sondern sehr, sehr selbstbewusst, frech, dominant. Dafür war ich dann eher scheu und zurückhaltend. Was, wenn ich das nicht gewesen wäre, sondern frech zurück gekontert hätte. Wäre ich dann "der Hahn" gewesen? Hätte sich dann mein Leben verändert? Heute weiß ich, dass ich an mich nur wenige Leute wirklich ran lasse.

Eine meiner besten Entscheidungen war, ein Jahr nach der Lehre den Betrieb zu wechseln und vom Großhandel zum Einzelhandel zu gehen. Aus der Ausbildung her blieb, dass ich fast blind auf einer Computertastatur schreiben kann. Deshalb mag ich whatsapp und SMS nicht. Das Tippen da dauert mir zur lange. Auf der ausgelutschten Tastatur meines Desktop-PC bin ich schneller. Was, wenn ich damals nicht den Betrieb gewechselt hätte. Ich hab es ja damals nur des Geldes wegen getan. Ob man am Monatsende 420 Mark oder 650 Mark auf die Hand hat, während die Kumpels in ihren Ausbildungsberufen das doppelte verdienen, ist als junger Mensch eine sehr wichtige Frage! Also wäre ich im Büro geblieben, wäre ich dann aufgestiegen? Die Bude, in der du lernst, in der wirste immer nur Lehrpieps bleiben, wusste die gesamte ältere Verwandtschaft. Das befürchtete ich auch. Ich wäre also wohl nur sehr schleppend aufgestiegen. Die Firma wurde mit der Wende zerschlagen. Das heißt, ich wäre noch schneller in die Arbeitslosigkeit gerutscht. Und auf Frauen macht ein ungelenkiger, alter Bürohengst ja doch keinen Eindruck.

Es war gut, dass ich wechselte. Wahrscheinlich weiß ich bis heute mehr über Lebensmittel, als der gesamte Personalstamm einer ganzen Supermarktkette.

Ich hatte damals auch das Angebot, zu einem kleinen Gemüsekrauter nach Marzahn zu gehen. Weil es so schön passte, hab ich mir den Namen gemerkt. Der Mann und seine Frau, beide betrieben diesen Laden gemeinsam, waren sehr agil, aber ragten kaum über 'ne Tischkante, waren die HO-Kommissionshändler Hase im Hänflingsteig. Ja, das wäre vermutlich mit Familienanschluss gewesen, aber aufgestiegen wäre ich dort nicht. Gut, dass ich nicht dort gelandet bin.

Und nun nochmals meine Mutter. Als ich sie mit zwanzig Jahren bat, mir meine Kurzgeschichten abzuschreiben, in die ich absichtlich politische Dinge, wie sie in der DDR von oben gern gehört wurden, hatte einfließen lassen, kürzte Muttern, ohne Absprache mit mir, die Texte um genau diese Passagen. Erst ein halbes Jahr vor ihrem Tod rutschte ihr das mal beiläufig, beim Geburtstag meines Bruders, raus.

Ach hätte ich diese Texte doch selber abgetippt und abgeschickt und das nicht unbesehen Muttern überlassen. Die Mutter aus den TV-Dreiteilern "Ku'damm 56 / 59 / 63" zeigt den Charakter meiner Mutter. Sie musste sich in alles einmischen, denn "sie meinte es ja nur gut" und stiftete damit Unfrieden oder schadete uns sogar.

Also was wäre geschehen, hätte ich selbst meine Geschichten abgetippt und weg geschickt? Ich wäre mit Sicherheit besser gefördert worden von staatlichen Stellen. Und sonst? Wäre ich Nationalpreisträger geworden, oder Bestsellerautor?

Wieder eine verpasste Gelegenheit.

Dass ich mit dem Rauchen angefangen hab, daran bin ich selbst schuld. Dass das aber von der Familie unterstützt wurde, indem man mir in jungen Jahren ständig Fluppen zusteckte, nehme ich ihnen übel. Ohne dem hätte ich heute kein Asthma.

Ich hatte nach der Lehre mal für ein paar Jahre die Idee, nach Stralsund umzusiehen, um mich von zu Hause richtig abnabeln zu können. Aber wie immer im Leben, kommt man dann doch nicht dazu. Was hätte es mit mir gemacht? Ich würde sauberere Seeluft atmen. Ich hätte mir jahrelang Vorwürfe gemacht, dass ich zum Mauerfall nicht in Berlin war. Vielleicht wäre ich mit einer netten Stralsunderin verheiratet. Aber alles andere ist nebulös.

Ich hatte auch mal kurzzeitig die Idee, eine Bäckerlehre in Krakow zu machen. Die gesamte Verwandtschaft riet mir davon ab. Man geht doch nicht in der Familie in die Lehre!

Hätte ich es gemacht, hätte ich aber die Bäckerei 1988 retten können und sie würde noch immer existieren. Ich hätte sie vermutlich nach dem Ausscheiden der ganzen "Alten" von ihnen pachten können und sie ein bisschen modernisiert. Heute wäre ich sicher körperlich fertig, hätte aber meine eigene Bäckerei und wäre damit in so einem Nest wie Krakow ein angesehener Mann. Vielleicht hätte ich sogar die schöne Tochter des Bürgermeisters geehelicht und hätte mit der sieben Kinder, oder so, die alle mit in meiner Bäckerei schuften müssten. Mein Leben wäre sicher erfüllt und angefüllt mit Arbeit, aber mit dem Horizont vom Krakower See bis zu den Mäkelbergen hinter dem Ort auch sehr begrenzt. Trotzdem irgendwie schade!

Wann war der nächste Richtungsknick?

Ah, ich hätte mich nicht damit abspeisen lassen dürfen: "Im nächsten Jahr bekommst du die Fortbildung zum Filialleiter." Mich wollte doch auch mein erster Kaufhallenchef mitnehmen, als der sich selbständig machte. Sein "Hobby" war das Aufschlagen und der Verkauf von gefrosteten Kaninchen. Zwei Jahre, nachdem ich bei der HO angefangen hatte, ging er und machte einen Laden an der großen Brücke in Lichtenberg auf, in dem er nur aufgeschlagene Karnickel und etwas Wild anbot. Mir war Fleisch zu ekelig. Deshalb lehnte ich das Angebot, dort zu arbeiten, ab.

Im Jahr 1983 Einzug in meine Wohnung. Vorübergehend, dachte ich. Noch heute wohn ich darin. Erst 2007 akzeptierte ich, dass ich hier nicht mehr nur vorübergehend lebe. 1995 hatte ich mal die Idee, nach Friedenau zu ziehen. Aber die Wohnung war eine Kellerwohnung, wörtlich aufgehübscht als "Souterrain", mit wenig Licht. Die Miete, für Friedenau, erschwinglich, aber Keller wollte ich nun nicht.

Anja, ach meine geliebte Anja! 1983 kennen gelernt, 1984 verlobt. Sehr klettig, von meiner Seite aus. Was wenn ich sie geheiratet hätte. Sie war so eine hundertprozentig überzeugte Genossin und wohl Großnichte von Artur Becker, dem 1938 verstorbenen KPD-Funktionär. Bei mir sah sie zum ersten mal in ihrem Leben Westfernsehen und die TV-Serie Dallas und bekam große Augen dabei.

Hätte ich sie geheiratet, hätte ich sicher die Funktionärslaufbahn eingeschlagen. Vermutlich bekäme ich dann heute eine gute Rente, wäre aber recht schnell in der Wendezeit meinen Job los geworden und hätte mich seitdem mit allen möglichen Dingen herum geschlagen. Nun gut, meine innere Kündigung folgte gut sechs Jahre nach der deutschen Einheit und dieser folgte wiederum ein paar Jahr später meine reelle.