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Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Barbara Heinickes Beine konnten sich sehen lassen, doch dafür hatte Dr. Daniel Norden keine Augen. Sie stand auf nackten Füßen in seinem Sprechzimmer vor ihm, aber sein Blick war schnell wieder zu ihrem schmerzverzerrten Gesicht gewandert. »Wie lange haben Sie diese Schmerzen schon, Frau Heinicke?«, fragte er. »Ich habe sie schon öfter gehabt, aber noch nie so schlimm«, gab sie zu. »Im Urlaub wurde es dann ganz blöd. Ich konnte nicht mal mehr barfuß am Strand laufen. Aber Sie können ruhig Fräulein zu mir sagen, Herr Doktor, mir macht es nichts aus, wenn ich auch langsam ein altes Mädchen werde.« »Na, na, na«, lächelte er, »nur nicht übertreiben.« »Das sind doch sicher schon Verschleißerscheinungen«, sagte sie. »Mir scheint es eher, dass Sie Einlagen tragen müssten, aber das muss ein Orthopäde entscheiden, und zum Glück haben wir doch einen recht guten in der Nähe.« »Was, doch nicht den Schnabel? Zu dem geh' ich nimmer.« »Der hat seine Praxis doch aufgegeben, wissen Sie das noch nicht?« »Nein, ich habe mich darum nicht mehr gekümmert. Der hatte doch von Tuten und Blasen keine Ahnung. Erinnern Sie sich nicht, dass ich mit meinem geschwollenen Bein dann zu Ihnen gekommen bin?« »Aber sicher erinnere ich mich. Es stellte sich heraus, dass Sie sich einen Dorn eingetreten hatten.« »Und Schnabel hatte behauptet, ich hätte mir den Fuß verstaucht«, seufzte sie. »Ob dieser Dorn schuld an den Schmerzen ist?« »Bestimmt nicht«, widersprach Dr. Norden. »Aber ich werde Sie zu Dr. Rosen schicken. Er hat mich bereits überzeugt, dass er ein ausgezeichneter Orthopäde ist.« »Wenn Sie es sagen. Mir wäre
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Seitenzahl: 134
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Barbara Heinickes Beine konnten sich sehen lassen, doch dafür hatte Dr. Daniel Norden keine Augen. Sie stand auf nackten Füßen in seinem Sprechzimmer vor ihm, aber sein Blick war schnell wieder zu ihrem schmerzverzerrten Gesicht gewandert.
»Wie lange haben Sie diese Schmerzen schon, Frau Heinicke?«, fragte er.
»Ich habe sie schon öfter gehabt, aber noch nie so schlimm«, gab sie zu. »Im Urlaub wurde es dann ganz blöd. Ich konnte nicht mal mehr barfuß am Strand laufen. Aber Sie können ruhig Fräulein zu mir sagen, Herr Doktor, mir macht es nichts aus, wenn ich auch langsam ein altes Mädchen werde.«
»Na, na, na«, lächelte er, »nur nicht übertreiben.«
»Das sind doch sicher schon Verschleißerscheinungen«, sagte sie.
»Mir scheint es eher, dass Sie Einlagen tragen müssten, aber das muss ein Orthopäde entscheiden, und zum Glück haben wir doch einen recht guten in der Nähe.«
»Was, doch nicht den Schnabel? Zu dem geh’ ich nimmer.«
»Der hat seine Praxis doch aufgegeben, wissen Sie das noch nicht?«
»Nein, ich habe mich darum nicht mehr gekümmert. Der hatte doch von Tuten und Blasen keine Ahnung. Erinnern Sie sich nicht, dass ich mit meinem geschwollenen Bein dann zu Ihnen gekommen bin?«
»Aber sicher erinnere ich mich. Es stellte sich heraus, dass Sie sich einen Dorn eingetreten hatten.«
»Und Schnabel hatte behauptet, ich hätte mir den Fuß verstaucht«, seufzte sie. »Ob dieser Dorn schuld an den Schmerzen ist?«
»Bestimmt nicht«, widersprach Dr. Norden. »Aber ich werde Sie zu Dr. Rosen schicken. Er hat mich bereits überzeugt, dass er ein ausgezeichneter Orthopäde ist.«
»Wenn Sie es sagen. Mir wäre es lieber, Sie könnten mir helfen.«
»Das Übel muss an der Wurzel gepackt werden, und dafür gibt es in solchem Fall eben Orthopäden. Natürlich nicht solche, die sich selbst dazu ernennen. Es hat sich herausgestellt, dass besagter Schnabel Masseur war, der sich zum Facharzt berufen fühlte. Schwamm drüber. Dr. Rosen ist ein wirklicher Facharzt.«
Er war froh, dass er das sagen konnte. Er hatte Dr. Rosen zu einem guten Start verholfen, da er es vermittelt hatte, dass der junge Arzt bis zur Eröffnung seiner Praxis in der Behnisch-Klinik arbeiten konnte, und auch Dr. Behnisch war so angetan von ihm gewesen, dass er ihn am liebsten behalten hätte. Aber inzwischen gab es so viel Bewegungsgeschädigte, dass sie recht froh waren, einen Facharzt mit einer so modern eingerichteten Praxis in der Nähe zu haben. So konnte Dr. Norden der hübschen Barbara Heinicke auch ganz unbesorgt die Überweisung schreiben. Es nützte ihr nichts, wenn er ihr schmerzstillende Mittel verschrieb.
»Am besten suchen Sie Dr. Rosen gleich auf«, sagte er. »Es ist nicht weit zur Buchenstraße.«
»Gleich bei mir um die Ecke«, sagte Barbara. »Und ich hatte keine Ahnung. Da sehen Sie mal, wie wenig Zeit ich habe, mich um die Nachbarschaft zu kümmern.«
Sie war als Reiseleiterin fast ständig unterwegs. Es hatte ihr auch mächtigen Spaß gemacht, überall herumzureisen, aber in letzter Zeit waren die Schmerzanfälle immer häufiger geworden und hatten es ihr fast verleidet, beinahe jede Nacht in einem anderen Bett zu schlafen. Andererseits brauchte sie den Verdienst, denn in der recht schwierigen Wirtschaftslage war es nicht so einfach, eine Stellung zu finden, bei der sie ähnlich viel verdienen konnte, und ihre Wohnung war nicht gerade billig.
Barbara war achtundzwanzig, und es war lange her, dass sie mal von einem Familienleben geträumt hatte. Zwei Enttäuschungen hatten ihr gelangt, um sich fortan nur auf sich selbst zu verlassen.
Sie hatte aber auch so manchen anderen Schicksalsschlag hinnehmen müssen, und es nun doch mit der Angst bekommen, was werden sollte, wenn diese Schmerzen immer stärker wurden.
Jetzt strengte sie sogar das Autofahren an, und kalter Schweiß bedeckte ihren Körper, als sie vor dem Haus in der Buchenstraße hielt, in dem sich jetzt Dr. Rosens Praxis befand.
Die Sprechstundenhilfe, noch ziemlich jung, aber unscheinbar, musterte sie recht aufdringlich. So jedenfalls empfand es Barbara, aber dann erschien schon Dr. Rosen, der gerade den Anruf von Dr. Norden bekommen hatte, sich diese Patientin recht genau anzuschauen.
Dr. Rosen machte auf Barbara, die über eine gute Menschenkenntnis verfügte, die sie ja auch in ihrem Beruf brauchte, einen vertrauenerweckenden Eindruck. Er sah, dass sie sehr bemüht war, ihre Schmerzen zu unterdrücken.
»Wir werden zuerst ein paar Röntgenaufnahmen machen«, erklärte er, »dann werden wir uns unterhalten.«
Im Augenblick war Barbara alles gleich, weil es ihr richtig übel war von den Schmerzen.
Sie legte sich in dem dunklen Raum auf den Röntgentisch, dann musste sie sich auch hinstellen, aber sie konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten.
Dr. Rosen merkte es. »So, jetzt ist das überstanden«, sagte er und stützte sie, als er sie in den Nebenraum führte.
»Legen Sie sich bitte nieder«, sagte er ruhig. »Sie können sich entspannen. Bitte zuerst auf den Bauch.«
»Es tut aber weh«, stöhnte sie auf.
»Es wird gleich besser werden«, erklärte er ruhig. Sie merkte es fast nicht, wie er ihr die Injektion gab. Es war nur ein ganz feiner Stich, aber manchmal war es ihr schon so gewesen, als würden Hunderte solcher Stiche in ihre Haut dringen. Das sagte sie dann auch.
»Das sind die Nerven«, erklärte er. »Sie haben sich anscheinend zu viel Stress zugemutet.«
»Ich habe gerade drei Wochen Urlaub hinter mir«, sagte sie.
»Wo?«, fragte er.
»Auf den Malediven.«
»Dann war es wohl nicht der richtige Urlaub.«
»Jedenfalls war es kein Stress«, sagte sie bockig.
»Vielleicht zu heiß«, erklärte er gelassen. »Bei einer akuten Nervenentzündung ist Hitze nicht gerade das Beste.«
»Ich dachte, das wäre gerade gut«, sagte Barbara.
»Sie sind Reiseleiterin, wie mir Dr. Norden sagte, also sehr viel unterwegs.«
»Nicht immer in heißen Zonen«, erklärte sie, da sie jetzt schon nicht mehr diese starken Schmerzen hatte mit fester Stimme.
»Mal hier, mal dort, auch mit Bussen?«
»Überwiegend innerhalb Europas.«
»Und jede Nacht in einem anderer Bett«, sagte er mit einem flüchtigen Lächeln.
»Aber allein«, erwiderte sie aggressiv.
Sein Lächeln vertiefte sich.
»Ich meine es so, mal hart, mal weich.«
»Meistens weich«, gab sie zu, »man kann es sich ja nicht aussuchen, und wenn auch die Bettwäsche gewechselt wird, die Matratzen nicht.«
»So ist es«, sagte er. »Und das macht viel aus. Haben Sie wenigsten daheim eine Bandscheibenmatratze?«
»Jedenfalls eine harte, aber wann bin ich schon mal zu Hause. Ich fühl mich schon bedeutend wohler.«
»Und nun möchten Sie am liebsten aufhüpfen und davonlaufen, neuen Abenteuern entgegen. Aber das dürfen Sie jetzt nicht. Ich werde mir nun die Röntgenaufnahmen anschauen.«
Sie war impulsiv und voller Widerspruchsgeist, aber er hatte eine Art, die ihr die Lippen verschloss. Ihr konnte sie so wenig widersprechen wie Dr. Norden.
Sie spürte, dass er seinen Beruf sehr ernst nahm.
Jetzt lag sie ruhig da und fühlte sich wirklich entspannt.
Zum ersten Mal seit langer Zeit war auch nicht das Kribbeln auf ihrer Haut, das taube Gefühl in den Händen und Füßen.
Dr. Rosen kam zurück. »Wie fühlen Sie sich?«, fragte er.
»Sehr gut.«
»Nun, dann werde ich Ihnen zeigen, welches die Ursache Ihrer Beschwerden ist und wie Sie behandelt werden müssen.«
»Aber jetzt spüre ich doch kaum noch was«, sagte Barbara.
»Das wird aber nicht von Dauer sein, Frau Heinicke. Schauen Sie sich die Röntgenaufnahmen an. Es wird eine ganz gezielte Therapie nötig sein.«
»Nächste Woche muss ich aber wieder auf Reisen gehen.«
»Ich werde Sie krankschreiben müssen.«
Sie sah ihn entsetzt an. »Das geht doch nicht, dann verliere ich meine Stellung.«
»Das ist kein Grund zur Kündigung.«
»Bei solchem Job finden sie schon einen Grund«, sagte sie ironisch.
»Ich würde Ihnen sowieso empfehlen, sich eine andere Stellung zu suchen, die es Ihnen ermöglicht, so oft wie nur möglich im eigenen Bett zu schlafen, das allerdings auch eine Bandscheibenmatratze haben sollte.«
»Man findet jetzt aber nicht so rasch einen gut bezahlten Job«, sagte sie leise.
»Versuchen kann man es, und ich wüsste nicht, warum Ihnen das nicht gelingen sollte. Sie sprechen doch sicher mehrere Sprachen.«
»Sie wissen anscheinend nicht, wie viele mit ebensolchen Kenntnissen auf der Straße sitzen«, sagte sie abweisend.
»Ihre Gesundheit sollte Ihnen dennoch wichtiger sein«, sagte er betont. »Es könnte passieren, dass Sie während einer Reise einen Bandscheibenvorfall bekommen, und dann können Sie sich nicht mehr rühren.«
»Guter Gott, das doch nicht«, murmelte sie.
»Hatten Sie nicht vorhin schon einmal das Gefühl zusammenzubrechen?«
»Aber jetzt geht es doch wieder.«
»Weil der Schmerz betäubt ist. Vorerst muss ja auch etwas getan werden, damit die akute Entzündung zurückgeht.« Er machte eine kleine Pause und deutete dann wieder auf ein Röntgenbild. »Da sehen Sie, es besteht auch ein Halswirbelsyndrom. Das muss auch behandelt werden.«
»Also doch schon Alterserscheinungen«, sagte sie resigniert.
»Aber nein, das bekommen auch junge Menschen. Leistungssport, Verkrampfungen, auch Zugwind spielt da eine Rolle, und auch schlechte Betten. Aber wenn Sie mir nicht trauen, fragen Sie auch Dr. Norden.«
»Ich traue Ihnen ja«, erwiderte Barbara leise, »und Dr. Norden hätte mich nicht zu Ihnen geschickt, wenn er Ihnen nicht auch vertrauen würde. Aber mit meinen Füßen ist doch auch was.«
»Mit den Beinen«, sagte er. »Sie müssten Einlagen tragen.«
»Aber ich kann doch nicht in solchen Latschen herumlaufen«, begehrte sie auf.
»Dafür gibt es auch sehr ansehnliche Schuhe«, erklärte er. »Man hat sich den eitlen Damen bereits angepasst. Vor allem dürfen Sie nicht so hohe Absätze bevorzugen. Und wenn Sie alle Ratschläge befolgen, werden Sie sehen, dass es auch ohne Operation geht.«
»Operation? Das kommt überhaupt nicht infrage!«, widersprach sie heftig.
»Sie könnte eines Tages unvermeidbar werden«, sagte er warnend. »Ich muss Ihnen das ganz eindringlich sagen, Frau Heinicke. Jetzt ist noch Zeit für eine Behandlung. Ich gebe Ihnen jetzt zwei Tabletten mit, damit Sie eine möglichst schmerzfreie, ruhige Nacht haben, und morgen kommen Sie wieder. Aber kommen Sie nicht auf den Gedanken, heute noch tanzen zu gehen.«
»Danach steht mir der Sinn wahrhaftig nicht«, sagte sie. »Überhaupt nicht! Sehe ich etwa so aus?«
Er wurde leicht verlegen.
»Jedenfalls nicht so, als würden Sie sich der Einsamkeit ergeben«, erwiderte er.
»Ich bin so viel mit brabbelnden und vergnügungssüchtigen Leuten zusammen, dass ich sehr gern allein bin«, sagte Barbara. »Und wenn ich eine Chance bekäme, im stillen Kämmerlein eine einigermaßen lukrative Arbeit zu verrichten, würde ich es liebend gern tun, aber meine Miete ist teuer.«
Sie war geradeheraus und gewiss nicht wehleidig. Dr. Rosen wusste, wie arg solche Schmerzen werden konnten, und da legte sich manch starker Mann lieber ins Bett und ließ den Arzt rufen.
»Jetzt sollten Sie nicht Auto fahren«, sagte er.
»Ich wohne ja gleich um die Ecke«, erwiderte sie.
»Um so besser, wenn etwas ist, rufen Sie an.«
Er verabschiedete sich höflich, und als Barbara das Haus verließ, begegnete sie einer bildhübschen jungen Dame, die elastischen Schrittes und sehr gesund aussehend auf das Haus zuging.
Und sie vernahm Dr. Rosens Stimme. »Britta, da bist du ja schon. Gut schaust du aus.«
Wär’ ja auch kaum denkbar, wenn er nicht eine schicke Frau hätte, ging es Barbara durch den Sinn.
»Wer war sie?«, fragte Britta Rosen ihren Bruder.
»Wer?«, fragte er gedankenlos zurück.
»Diese attraktive junge Frau, die eben ging.«
»Attraktiv? Eine Patientin.«
»Dennoch attraktiv, lieber Bruder«, meinte Britta lächelnd. »Tu nicht so!«
»Ich habe mir schon lange abgewöhnt, Patientinnen attraktiv zu finden, Britta, und ebenso auch Kolleginnen, dich ausgenommen.«
»Das wäre allerdings sehr gut, damit du nicht noch mal auf Mona hereinfällst.«
»Na, sie ist doch wohl bestens versorgt«, stellte er gleichmütig fest.
»Anscheinend doch nicht so, wie sie dachte. Der gute Herr Professor Billing scheint die Abwechslung zu lieben.«
»Wie kommst du darauf?«
»Mein lieber Jörg, ich bin an einer großen Klinik tätig, und Billing ist ein bekannter Mann, und da wird so manches gemunkelt. Außerdem zeigte er sich heute Arm in Arm mit einer sehr reizvollen Patientin, die er ganz privat besuchte und um deren Wohlergehen er sehr besorgt schien.«
»Worauf willst du hinaus, Britta?«, fragte Jörg nachdenklich.
»Dass Mona sich wieder in Erinnerung bringen könnte, wenn sie erfährt, dass du eine gut gehende Praxis hast.«
»Sie hat andere Statusvorstellungen, und außerdem ist sie für mich erledigt«, erwiderte Jörg ruhig. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Hoffentlich denkst du ebenso über Horst.«
Ihr reizvolles Gesicht überschattete sich. »Eine Diskussion erübrigt sich«, sagte sie.
Er akzeptierte es, obgleich es ihm lieber gewesen wäre, wenn sich Britta mit ihm ausgesprochen hätte. Ihre Verlobung mit dem Assistenzarzt Horst Mehlsen war auseinandergegangen, als sie festgestellt hatte, dass er sich mit einer obskuren Gesellschaft eingelassen hatte, die zur Drogenszene gezählt wurde. Es waren einige recht bekannte Schauspielerinnen dabei, und zuerst hatte Jörg angenommen, dass bei Britta Eifersucht mitspielte. Horst Mehlsen war ein blendend aussehender junger Mann aus bester Familie.
Sie hatten beide kein Glück gehabt mit den Partnern, dafür nun aber im Beruf.
»Ich habe mir übrigens ein paar Tage Urlaub genommen«, sagte Britta beim Abendessen beiläufig.
»Willst du wegfahren?«, fragte Jörg.
»Nein, ich will am Internistenkongress teilnehmen. Es sind ein paar interessante Vorträge zu erwarten.«
»Du solltest lieber wandern«, sagte Jörg.
»Ich bin nicht so gleichgültig wie manche Kollegen«, erklärte Britta. »Es ist manchmal deprimierend, Jörg.«
»Du kannst ja auch eine eigene Praxis aufmachen«, schlug er vor.
»So weit bin ich noch nicht, aber ich behalte es im Auge.«
*
Barbara Heinicke schlief zu dieser Zeit schon, endlich einmal wieder ganz tief und ohne quälende Schmerzen. Dafür aber träumte sie so lebhaft wie schon lange nicht mehr. Und als sie am Morgen erwachte, dachte sie darüber nach, dass sie ihrem Leben vielleicht doch noch eine Wendung geben könnte. Gereist war sie doch wahrhaftig genug. Warum sollte sie nicht all das, was sie gesehen und erlebt hatte, anderweitig verwerten können? Vielleicht in einem Reisebüro?
Es war Samstag, und sie konnte in aller Ruhe die Zeitung lesen und die Stellenangebote studieren. Aber sie hasste es, Bewerbungen zu schreiben, und so meinte sie, dass sie wohl besser selbst eine Anzeige aufgeben sollte.
Sie überlegte, wie sie diese abfassen sollte, aber als sie sich erheben wollte, durchzuckte sie ein stechender Schmerz.
Momentan bekam sie kaum noch Luft und empfand plötzlich Todesangst. In Blitzesschnelle ging es ihr durch den Sinn, dass so etwas auch auf einer Reise hätte geschehen können, im Flugzeug oder im Bus, aber es war nur ein Gedanke, dem der andere folgte, dass sie nicht sterben wollte.
Dr. Rosen hatte sie gewarnt.
Das Telefon war nicht weit entfernt, aber es dauerte Minuten, bis sie sich dorthin geschleppt hatte, mit letzter Kraft und unter peinigenden Schmerzen. Sie hatte sich seine Nummer auf dem Memory notiert, aber sie konnte kaum den Hörer halten. Ihr Wille siegte. Sie konnte die Nummerntasten drücken. Waren es die richtigen? Vor ihren Augen tanzten Nebelschleier.
Eine weibliche Stimme meldete sich, wie aus weiter Ferne. »Praxis Dr. Rosen.«
»Hilfe«, stammelte Barbara, »Heinicke, ich kann nicht …« Und dann sackte sie zusammen.
»Jörg!«, rief Britta erregt. »Hilferuf Heinicke, weißt du Bescheid?«
Er stürzte fast, so schnell kam er aus der Küche. »Kannst du mitkommen?«, fragte er, »es ist gleich um die Ecke.«
Britta fragte nicht erst. Sie lief nur noch in die Küche und zog die Pfanne vom Herd, in der schon die Eier mit Schinken brutzelten.
Sie liefen zu ihrem Wagen. »Lärchenstraße 4, gleich rechts«, sagte er hastig.
Sie waren gleich dort, aber sie konnten doch nicht in die Wohnung hinein. Zum Glück war die Hausmeisterin da, die einen Schlüssel hatte.
Barbara lag am Boden. Sie war nicht bewusstlos, konnte sich aber nicht rühren und sah Dr. Rosen mit schreckensvollen Augen an.
»Hilf mir, Britta«, sagte Dr. Rosen. »Mach die Hüfte frei.«
Er zog eine Injektion auf. Britta griff nach Barbaras Händen, die blutleer waren und eiskalt.
»Es wird gleich besser«, sagte sie tröstend.
Von der Spritze spürte Barbara nichts, dann aber holte Dr. Rosen ein Kissen und schob es unter ihren Nacken.
Barbara hatte die Augen geschlossen. Die schreckliche beklemmende Spannung wich. Sie konnte wieder durchatmen.
»Es tut mir leid«, murmelte sie.
»Was?«, fragte Britta.
»Dass ich Sie gestört habe.«
»Liebe Güte, denken Sie doch nicht so etwas. Dafür ist doch mein Bruder da.«
»Und die Schmerzen haben Sie«, warf Jörg ein. »Aber ich hatte Sie gewarnt. Ist es besser?«