Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Aktuell Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Es war fast acht Uhr abends, als Dr. Daniel Norden zu einem dringenden Krankenbesuch ins nahegelegene Dorf gerufen wurde. »Paß gut auf dich auf, mein Schatz«, sagte Fee besorgt. »Auf dieser Straße passiert in letzter Zeit soviel!« Er wußte das und fand es sehr ärgerlich, daß die erst kürzlich ausgebaute Straße von leichtsinnigen jungen Motorradfahrern als Rennstrecke benutzt wurde. Sie gefährdeten nicht nur die vernünftigen Fahrer, sondern störten auch mit dem ständigen Geknatter die Anlieger, die ihre hübschen neuerbauten Eigenheime nicht gerade billig erworben hatten. Doch an diesem Abend ging es friedlich zu. Anscheinend hatte die Polizei doch mal durchgegriffen. Auf der Straße, die durch den Wald führte, war es sogar beängstigend ruhig. Aber Dr. Norden war das nur recht. Er hatte einen anstrengenden Tag hinter sich und noch anstrengendere Stunden vor sich, denn bei Marthe Deubler meldete sich das Baby an. Sie war nicht dazu zu bewegen gewesen, in die Klinik zu gehen, weil ihre Mutter einen Schlaganfall erlitten hatte und ihr Zustand bedenklich war. Auch die Mutter hätte Dr. Norden lieber in der Klinik gewußt, aber die Deublers hatten ihre eigenen Ansichten. Seit Generationen saßen sie auf ihrem schönen Hof, und wo sie zufrieden lebten, wollten sie auch sterben. Marthe, die durch ihre Heirat eigentlich Simmer hieß, hatte ihren Namen behalten wollen und der gutmütige Franzl Simmer hatte eingewilligt, da es nach dem neuen Gesetz für einen Mann nun möglich war, den Namen der Frau anzunehmen. Der Name Deubler bedeutete hier viel. Sie trugen ihren Reichtum zwar nicht zur Schau, aber jedermann wußte, daß Besitz hinter diesem Namen stand.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 155
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Es war fast acht Uhr abends, als Dr. Daniel Norden zu einem dringenden Krankenbesuch ins nahegelegene Dorf gerufen wurde.
»Paß gut auf dich auf, mein Schatz«, sagte Fee besorgt. »Auf dieser Straße passiert in letzter Zeit soviel!«
Er wußte das und fand es sehr ärgerlich, daß die erst kürzlich ausgebaute Straße von leichtsinnigen jungen Motorradfahrern als Rennstrecke benutzt wurde. Sie gefährdeten nicht nur die vernünftigen Fahrer, sondern störten auch mit dem ständigen Geknatter die Anlieger, die ihre hübschen neuerbauten Eigenheime nicht gerade billig erworben hatten.
Doch an diesem Abend ging es friedlich zu. Anscheinend hatte die Polizei doch mal durchgegriffen. Auf der Straße, die durch den Wald führte, war es sogar beängstigend ruhig. Aber Dr. Norden war das nur recht. Er hatte einen anstrengenden Tag hinter sich und noch anstrengendere Stunden vor sich, denn bei Marthe Deubler meldete sich das Baby an. Sie war nicht dazu zu bewegen gewesen, in die Klinik zu gehen, weil ihre Mutter einen Schlaganfall erlitten hatte und ihr Zustand bedenklich war.
Auch die Mutter hätte Dr. Norden lieber in der Klinik gewußt, aber die Deublers hatten ihre eigenen Ansichten. Seit Generationen saßen sie auf ihrem schönen Hof, und wo sie zufrieden lebten, wollten sie auch sterben.
Marthe, die durch ihre Heirat eigentlich Simmer hieß, hatte ihren Namen behalten wollen und der gutmütige Franzl Simmer hatte eingewilligt, da es nach dem neuen Gesetz für einen Mann nun möglich war, den Namen der Frau anzunehmen.
Der Name Deubler bedeutete hier viel. Sie trugen ihren Reichtum zwar nicht zur Schau, aber jedermann wußte, daß Besitz hinter diesem Namen stand. Allerdings nahmen sie keine Ausnahmestellung in diesem Dorf ein, das auf Tradition hielt und sich mit Erfolg dagegen gewehrt hatte, daß durch Neubauten die herrliche Landschaft verschandelt wurde. Wer hier bauen wollte, mußte sich dem Stil anpassen, dafür sorgten die einflußreichen Familien Deubler, Henning und Barthel. Ja, sie hatten ihren eigenen Willen. Wollte man mit ihnen auskommen, mußte man diesen Willen akzeptieren oder zumindest tolerieren.
Dr. Norden akzeptierte ihn. Er mochte diese fleißigen, aufrichtigen Menschen, die an ihrem Gut und Boden festhielten und nicht daran dachten, sich ein bequemes Leben zu verschaffen, in dem sie ihr Land für viel Geld verkauften, wie manch anderer es getan hatte.
Ein wunderschönes, blitzsauberes Anwesen war Dr. Nordens Ziel. Der Franzl empfing ihn schon recht aufgeregt, wenn er sich auch sehr bemühte, gelassen zu wirken. Man liebte es bei den Deublers nicht, wenn Wirbel um eine Geburt gemacht wurde.
»Der Mutter geht es schlecht«, murmelte er, »und das regt Marthe freilich auf.«
Das war verständlich. Marthe Deubler, schon von Wehen geplagt, saß am Bett der Kranken. Die Mutter lag im Sterben, wie Dr. Norden mit Bedauern feststellen mußte. Es war tragisch, aber Marie Deubler hätte die Geburt ihres Enkelkindes ohnehin nicht mehr wahrgenommen.
Marthe, eine hübsche, kernige junge Frau, war sehr tapfer. Jetzt mußte sie an ihr Kind denken.
»Schön wäre es schon gewesen, wenn Muttel es noch erlebt hätte«, sagte sie, »aber sie ist ja schon gar nicht mehr richtig da.«
So wie sich das Kind nun immer heftiger ins Leben drängte, verlöschte mehr und mehr das Leben der alten Frau, die ihre einzige Tochter erst nach zwölfjähriger Ehe zur Welt gebracht hatte. Marthe ging auch schon auf die Dreißig zu, und sie wollte so gern mehrere Kinder haben.
Es war schon arg, daß Dr. Norden Marie Deublers Tod feststellen mußte, kaum daß der kräftige Hoferbe sich ins Leben schrie.
Aber Tränen der Trauer konnten sich mit Tränen des Glückes mischen. Marthe und Franzl waren Eltern eines Prachtjungen geworden. Die alte Hebamme, die wahrhaftig nicht mehr viel zu tun hatte, wollte im Hause bleiben und Marthe versorgen. Dr. Norden sorgte dafür, daß Marie Deubler bald hinausgetragen wurde.
Es war spät geworden, und Dr. Norden ahnte nicht, daß die Nacht noch viel länger und dramatischer werden sollte.
Er fuhr durch den Wald zurück. Wieder lag die Straße still da, aber plötzlich erfaßten seine Scheinwerfer eine taumelnde Gestalt.
»Sei vorsichtig, Daniel«, schien Fees Stimme zu sagen. Er konnte gerade noch bremsen, bevor der Mann vor seinen Wagen fiel.
Daniel stieg aus und ließ den Motor laufen. Er kniete bei dem Mann nieder, dessen Gesicht blutüberströmt war.
»Vorsicht«, stieß der mühsam hervor. »Überfall.« Da sprangen auch schon zwei Gestalten aus dem Gebüsch und hinein in Dr. Nordens Wagen. Er konnte gerade noch den Verletzten von der Straße ziehen, und das geschah rein mechanisch, dann brausten die Burschen rasend schnell davon. Der Verletzte konnte ihm keine Auskunft mehr geben. Er war jetzt bewußtlos. Für Dr. Norden war es ein Schock, so schnell hatte sich dies alles abgespielt, und irgendwie wunderte es ihn dann, daß er wohl aus Gewohnheit seinen Arztkoffer gleich mit aus dem Wagen genommen hatte.
Der Wagen war weg. Man höre auch kein Motorengeräusch mehr, aber er konnte dem Verletzten wenigstens erste Hilfe leisten.
Dabei dachte er an Fee, die auf ihn warten würde, die vielleicht besorgt bei den Deublers anrief, um dann zu erfahren, daß er längst auf dem Heimweg sei. Aber wie sollte er jetzt heimkommen?
Er konnte den Verletzten nicht allein liegen lassen, aber tragen konnte er den kräftigen Mann auch nicht.
Es war ein junger Mann, er hatte einige Verletzungen. Die Situation war ganz abscheulich, denn der Verletzte mußte schnellstens in die Klinik gebracht werden.
Daniel schaute sich hilfesuchend um, und jetzt wünschte er fast, daß die sonst so unbeliebten Motorradfahrer kommen möchten, damit wenigstens die Polizei und der Unfallwagen verständigt werden konnten.
Aber er hörte kein Geräusch, nur das ferne Bellen eines Hundes.
Dann sah er im Seitenweg einen verlassenen Wagen und stutzte. Mit seiner Taschenlampe leuchtete er ihn ab, aber er sah, daß er demoliert war, und kein Autoschlüssel war vorhanden. Also nützte dieser Wagen auch nichts. Vielerlei ging ihm durch den Sinn, während er den Puls des jungen Mannes fühlte, doch dann hob Dr. Norden elektrisiert den Kopf. Motorengeräusch nahte! Er stellte sich auf die Straße und winkte, als die Scheinwerfer näherkamen. Der Wagen verlangsamte die Fahrt, aber er schien nicht anhalten zu wollen. Es war ein heller Kombiwagen, der Dr. Norden bekannt war. In diesem Augenblick mußte ihn die Fahrerin wohl auch erkannt haben.
Sie bremste und machte die Tür auf. »Dr. Norden«, sagte sie bestürzt, »guter Gott…«
»Da liegt ein Verletzter«, erklärte er überstürzt. »Die Burschen haben meinen Wagen gestohlen, als ich helfen wollte. Sie sind jetzt meine Rettung, Fräulein Henning. Benachrichtigen Sie bitte die Polizei.«
Ulrike Henning überlegte blitzschnell. »Ist es nicht besser, wenn wir den Mann gleich in die Klinik bringen? Im Wagen ist Platz. Ich habe Vater eben auch in die Behnisch-Klinik gebracht. Er hat eine Gallenkolik.«
Sie hatte sogar Matratzen im Wagen liegen, und Dr. Norden kannte Ulrike als ein sehr tatkräftiges und hilfsbereites Mädchen.
»Wenn Sie dazu bereit sind«, sagte er.
»Aber freilich. Wer weiß denn, wie lange Sie hier noch warten müßten. Wenn man Hilfe braucht, kann man oft lange warten, hat man dagegen falsch geparkt, ist die Polizei gleich zur Stelle.«
Sie trugen den Verletzten zum Wagen. Dr. Norden setzte sich zu ihm. Es war zwar unbequem, aber nicht so unbehaglich, wie hilflos auf der dunklen Straße zu stehen.
»Ich kenne den Mann nicht«, sagte Ulrike. »Aus unserm Dorf ist er nicht. Ob er vielleicht zu den Gangstern gehört? Hier treibt sich allerlei Gesindel herum in letzter Zeit. Autodiebe. Ein paar Wagen sind sogar bei uns gestohlen worden. Ich meine im Dorf. Auf unsern legt man keinen Wert, der ist nicht fein genug.« Sie fuhr vorsichtig, bis sie die Asphaltstraße erreichten. Zur Behnisch-Klinik war es nun nicht mehr weit.
»Vater hatte eine so scheußliche Kolik, daß ich ihn lieber gleich in die Klinik gebracht habe«, erzählte sie. »Hätte ich erst wieder Sie gerufen, und eine Spritze hätte ihn beruhigt, wäre er wieder nicht bereit gewesen, in die Klinik zu gehen. Sie wissen ja, wie er ist. Es muß jetzt mal gründlich was unternommen werden.«
Ja, Lorenz Henning war auch so ein Dickschädel, richtig stur konnte er sein. Aber die reizende Ulrike hing mit großer Liebe an ihrem Vater.
In der Behnisch-Klinik brannte das Nachtlicht, und staunend riß Dr. Dieter Behnisch die Augen auf, als Ulrike mit Daniel Norden daherkam.
»Wir haben einen Verletzten im Wagen, Dieter«, sagte Daniel Norden erklärend. »Mir haben sie meinen Wagen geklaut, doch davon später mehr. Erst muß der Mann versorgt werden, und Fee muß ich anrufen.«
Der Mann wurde auf einer Trage in den Operationssaal gebracht, aber Dr. Behnisch stellte dann fest, daß innere Verletzungen anscheinend nicht vorlagen. Es war ein sehr kräftiger Mann mit einem gutgeschnittenen Gesicht. Nach einem Gangster sah er nicht aus. Sein Anzug war von guter Qualität und von konventionellem Schnitt. Allerdings war er schmutzig und an verschiedenen Stellen zerrissen.
Ulrike wartete in der Halle, während der Mann entkleidet und versorgt wurde.
Indessen wartete Fee Norden daheim voller Sorge auf ihren Mann oder seinen Anruf. Sie atmete erleichtert auf, als sie seine Stimme vernahm. Was geschehen war, erfuhr sie allerdings nicht. Er sagte ihr nur, daß er noch einen Verletzten in die Klinik hatte bringen müssen. Alles andere wollte er ihr schonend beibringen.
Noch eine Stunde mußte Fee auf ihren Mann warten. In der Behnisch-Klinik hatte aber auch Ulrike gewartet.
Die Polizei war verständigt worden. Dr. Norden hatte zu Protokoll gegeben, was sich zugetragen hatte und auf eine ziemlich anzügliche Frage erklärt, daß es ihm darauf angekommen sei, den Verletzten so schnell wie möglich richtig versorgt zu wissen. Schließlich war die Kleidung des jungen Mannes eingehend untersucht worden, aber man hatte keine Papiere bei ihm gefunden. Anscheinend waren ihm diese mit dem Geldbeutel gestohlen worden. Ulrike bot sich dann an, die Funkstreife zu der Unfallstelle zu fahren, damit auch der demolierte Wagen in Augenschein genommen werden konnte.
Das war nun erledigt, und man konnte sagen, daß auch Dr. Norden ziemlich erledigt war. Schließlich stand er ohne Wagen da. Freilich konnte er sich mit Fees kleinem Wagen behelfen, aber erst mußte er ihr schonend beibringen, was geschehen war.
Was den Verletzten anbetraf, war festgestellt worden, daß er eine Kopfwunde und am ganzen Körper Prellungen hatte. Er mußte geschlagen oder gar getreten worden sein. Kräftig gewehrt hatte er sich anscheinend auch, wie Hautpartikelchen unter seinen Fingernägeln verrieten. Weiterhin hatte man festgestellt, daß er etwa dreißig Jahre sein mochte, rötlichbraunes Haar und graue Augen hatte, außerdem sehr gesunde Zähne besaß. Körperlich durchtrainiert war er, auch harte Arbeit mochte er geleistet haben, aber sehr gepflegt war er auch. Sein Puls war kräftiger geworden, und die Ärzte meinten, daß er mit seiner guten Konstitution bald wieder auf die Beine kommen könnte, wenn nicht noch Komplikationen eintraten.
»Nun bring es mal deiner Fee schonend bei«, brummte Dr. Behnisch, der auch rechtschaffen müde geworden war. »Hoffentlich haben Sie deinen Wagen nicht völlig demoliert.«
Er wußte, wie ungern Daniel sich mit einem neuen Wagen vertraut machte. Früher war das zwar ganz anders gewesen, aber in seiner Ehe mit Fee hatte er sich in allem grundlegend geändert. Er trennte sich schwer von liebgewordenen Dingen, und da sein Auto sein täglicher Gefährte war und eben nicht nur ein Fortbewegungsmittel, grollte er nun sehr, daß ihm solches widerfahren mußte. Aber ein Auto konnte man ersetzen, ein Menschenleben war viel mehr wert. Und vielleicht wurde dieser junge Mann jetzt auch irgendwo sehnsüchtig erwartet. So sehnsüchtig, wie Fee ihren Mann erwartete.
»Was ist passiert?« fragte sie, ihn zärtlich umarmend, froh, daß er wieder heil bei ihr war. Und sie sah es ihm an, daß etwas passiert war, obgleich sie nicht wahrgenommen hatte, daß er mit einem Taxi gekommen war.
Er hatte viel zu erzählen.
*
Ulrike war längst mit den Polizisten an der Unfallstelle angelangt, und diese hatten nun den demolierten Wagen gründlichst untersucht. Da erlebte Ulrike dann eine Überraschung, denn in einer Seitentasche hatte man einen Zettel gefunden, den die Räuber anscheinend übersehen hatten. Es stand nur eine Telefonnummer darauf, die der eine Polizist laut las. Und da riß Ulrike die müden Augen auf.
»Das ist doch die Nummer vom Barthel Sepp«, sagte sie. »Ja, ich kenne die doch.«
»Wer ist das?« fragte der Polizist.
»Ein Nachbar. Ein Großbauer. Aber er ist vor drei Tagen gestorben.«
»Fahren wir mal hin«, sagte der ältere Polizist.
»Allmächtiger, wird sich die Minka aufregen«, sagte Ulrike. »Da komm’ ich besser mit.«
»Wer ist Minka?« wurde sie gefragt.
»Die Haushälterin vom Barthel Sepp. Hat sie sich doch schon genug aufgeregt, weil der Sepp gestorben ist, und morgen soll die Beerdigung sein.«
»Na, dann kommen Sie mit, wenn es Ihnen nicht zuviel wird, Fräulein«, sagte nun der jüngere Polizist, der sie schon ein paarmal wohlgefällig gemustert hatte, aber das nahm Ulrike nicht zu Kenntnis. Manchmal konnte sie genauso stur sein wie ihr Vater.
Sie waren nun schnell im Dorf. Ulrike fuhr dem Funkstreifenwagen nach, überholte ihn dann, als ihr ein Wink gegeben wurde, und hielt vor einem Gehöft.
Die Beamten pfiffen durch die Zähne. »Das riecht aber nach Geld«, sagte einer.
»Ehrlich erworben«, erklärte Ulrike. »Wir legen hier Wert darauf, unsere Häuser zu erhalten.«
Freilich war der Barthel Sepp wohlhabend. Eigentlich hatte er den größten Besitz, und man hatte sich schon Gedanken gemacht, wer diesen wohl erben würde. Kinder hatte er keine hinterlassen. Er war immer ein Eigenbrötler gewesen, und man konnte von ihm sagen, daß auch er recht stur gewesen war. Aber er hatte geschafft und gearbeitet bis zum letzten Atemzug, wie ein braves Pferd, von dem man sagte, daß es in den Sielen stürbe.
»Bleiben S’ zurück«, sagte Ulrike zu den Beamten, »sonst trifft am End die Minka auch noch der Schlag.«
Sie hatte Licht gesehen und sich schon gewundert, daß es um diese Zeit noch brannte, denn beim Barthel war man immer früh zu Bett gegangen.
Sie klopfte an das Fenster und rief:
»Minka, ich bin’s, die Ulli!«
Schnell war die alte Frau zur Stelle und noch angekleidet, was Ulrike auch wundern mußte.
»Ulli, was ist?« fragte Minka.
Ulrike wußte, wie man mit der Minka umgehen mußte. »Licht hab’ ich gesehen, ich hab’ Vater in die Klinik bringen müssen, und da bin ich halt vorbeikommen. Fehlt dir was?«
»Ich wart’ auf den Bastian.«
»Auf den Bastian?« fragte Ulrike.
»Kannst dich nimmer an Bastian erinnern?« fragte Minka.
»Freilich kann ich das«, erwiderte Ulrike, »aber der ist doch in Amerika.«
»Aber komme muß er, der Bua. Telegrafiert hat ihm doch der Notar, weil der Sepp weggange ist, Ulli. Muß sich doch jemand kümmern um den Hof. Und der Bastian hat telegrafiert, daß er mit dem Flugzeug kommt. Wird doch dem verdammten Flieger nix passiert sein?«
In Ulrikes regem Hirn klingelte etwas. Der Bastian! Sie hatte ihn zwar schon fünfzehn Jahre nicht mehr gesehen, aber wenn das nun der Verletzte wäre? Sie hielt die Luft an.
»Minka, jetzt reg dich bittschön nicht auf«, sagte sie. »Es sind auch ein paar Polizisten mitgekommen. Da ist ein Unfall passiert, aber der Mann lebt. Es könnte vielleicht der Bastian sein, aber ich bitt’ dich noch mal, daß du dich nicht aufregst.«
»Mei, o mei«, stöhnte die Minka, »erst der Sepp, und dann der Bastian? Nein, Gott verhüt es.«
»Nicht aufregen, Minka«, sagte Ulrike wieder. »Mach die Tür auf, dann setzt du dich, und wir reden miteinander, gell?«
»Das ist ein Mädel, das tät ich gleich nehmen«, sagte der junge Polizist zu dem älteren.
»Aber die tät sich einen Burschen schon genau anschaun und nicht so einen Hallodri nehmen wie dich«, bekam er zur Antwort.
Minka machte die Tür auf. Sie sah würdig aus in ihrem schwarzen Gewand, mit dem zerknitterten Gesicht, den trüben, verweinten Augen.
»Hab’ mei Lebe lang nix zu tun gehabt mit der Polizei«, war das erste, was sie sagte.
Die Beamten zeigten sich von einer ganz netten Seite.
Ob sie den Bastian beschreiben könnte oder eine Fotografie von ihm hätte, wollten sie wissen.
»Mei, gesehen hab ich den Buben doch schon ewig nicht«, erwiderte sie, sehr bemüht, hochdeutsch zu sprechen, denn jetzt sollte sie ja offizielle Auskünfte geben. Eine Fotografie des achtzehnjährigen Bastian konnte sie vorweisen, aber sie fügte hinzu, daß er jetzt neunundzwanzig sei. Und auf diesem Bild war er noch ein schmales Bürschchen.
Ulrike dachte nach. Sie hatte den Verletzten ja gesehen, aber nicht einen Augenblick gedacht, daß es Bastian sein könnte. Sie hatte auch nicht seine Augen gesehen. Und der Wagen hatte eine Münchner Nummer gehabt. Wie sollte sie kombinieren, daß der Bastian, der in Amerika lebte, mit einem Münchner Wagen fuhr?
Doch darüber gab Minka Aufklärung. Der Herr Notar Böttinger hätte ihr mitgeteilt, daß Bastian abends eintreffen und daß er ihn vom Flugplatz abholen würde. Dann wollte er ihn noch hinausbringen, weil doch morgen die Beerdigung sei.
Da mußte Minka erst mal wieder schlucken, bevor sie dann sagte, daß sie deshalb ja noch auf sei. Mehr konnte sie halt auch nicht sagen, nur die Adresse vom Notar konnte sie den Beamten geben.
Ulrike beschloß, bei Minka zu bleiben, da ihr Vater ja in der Klinik war.
Der Notar Böttinger aber mußte es sich gefallen lassen, daß er mitten in der Nacht aus dem Bett geholt wurde. Das heißt, nicht er selbst, sondern seine Frau öffnete den Beamten und war zu Tode erschrocken.
Ihr Mann wäre nicht gut beieinander, erklärte sie dann angstbebend. Er wäre auf dem Flugplatz ausgerutscht und hätte sich den Fuß verstaucht.
Vom Bett aus gab dann der Notar Böttinger seine Erklärung ab. Freilich hätte er Herrn Barthel abgeholt, und dann sei eben das Malheur passiert. Und dann wäre Bastian eben mit seinem Wagen allein gefahren, nachdem er ihn heimgebracht hatte.
Notar Böttinger war schon ein alter Herr, und es regte ihn schrecklich auf zu hören, was mit seinem Wagen geschehen sei. Schonend wurde ihm dann beigebracht, was Bastian widerfahren war, denn nun schien es doch festzustehen, daß es sich bei dem Verletzten nur um Bastian handeln konnte.
Ob jemand daran interessiert sein könnte, Bastian Barthel auszuschalten, wurde er gefragt.
»Aber es wußte doch niemand, daß er kommt, Minka ausgenommen«, erklärte Notar Böttinger.
»Gibt es noch andere Verwandte?« lautete die nächste Frage, die ihm gestellt wurde.
»Nein, Bastian ist der einzige Erbe.«
So schien Bastian das rein zufällige Opfer von Straßenräubern geworden zu sein. Wie sich alles abgespielt hatte, konnte wohl nur er selbst erklären.
Ein Mißtrauen gegen Notar Böttinger war unbegründet. Er war über jeden Verdacht erhaben.
Da die Fahndung nach Dr. Nordens Auto bereits aufgenommen worden war, hoffte man, die Täter zu finden.
Und wieder einmal sollte der Zufall eine Rolle spielen, der manchmal von höherer Macht gesteuert zu werden schien.
*
Dr. Hans-Georg Leitner, der Gynäkologe und Freund von Dr. Norden und Dr. Behnisch, wurde im Morgengrauen aus dem Schlaf geläutet. In seiner Klinik bahnte sich eine schwere Geburt an. Die Patientin war eben eingeliefert worden.