Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben ... - Toni Waidacher - E-Book

Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben ... E-Book

Toni Waidacher

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Beschreibung

Mit dem Bergpfarrer hat der bekannte Heimatromanautor Toni Waidacher einen wahrhaft unverwechselbaren Charakter geschaffen. Die Romanserie läuft seit über 13 Jahren, hat sich in ihren Themen stets weiterentwickelt und ist interessant für Jung und Alt! Toni Waidacher versteht es meisterhaft, die Welt um seinen Bergpfarrer herum lebendig, eben lebenswirklich zu gestalten. Er vermittelt heimatliche Gefühle, Sinn, Orientierung, Bodenständigkeit. Zugleich ist er ein Genie der Vielseitigkeit, wovon seine bereits weit über 400 Romane zeugen. Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Heimatromanen interessiert. Die Kirchturmglocke von St. Johann begann die zwölfte Stunde anzuläuten, als Max Trenker seinen Dienstwagen am Rand des Pfarrplatzes parkte, den Motor abstellte und ausstieg. Es war ein warmer Tag, die Sonne stand wie ein Fanal hoch über den Bergen im Süden, die wie stumme, versteinerte Wächter das Wachnertal säumten. Unterhalb der Gipfel, in den Schattenfeldern, konnte man noch den Schnee vom letzten Winter erkennen. Die getragenen Töne der Glocke hallten weit ins Tal hinein und verschmolzen mit dem Läuten der Glocken von Waldeck und Engelsbach. Es verlieh dem gesamten Tal eine beschauliche, geradezu idyllische Atmosphäre, wie man sie von den alten Heimatfilmen aus den Fünfzigern des vergangenen Jahrhunderts kannte. Max reckte die breiten Schultern, gab sich einen Ruck und setzte sich in Bewegung, schritt schnurstracks auf die Haustür des Pfarrhauses zu und spürte das Knurren in seinem Magen, das ihn auch ohne das Läuten der Kirchenglocke darauf aufmerksam gemacht hätte, dass es an der Zeit war, etwas zwischen die Zähne zu bekommen. Sophie Tappert, die mütterliche Pfarrhaushälterin, öffnete ihm die Tür. Sie musste, um ihm ins Gesicht zu schauen, den Kopf in den Nacken legen, denn Max war weit mehr als einen ganzen Kopf größer als sie. »Habe die Ehre, Frau Tappert«, grüßte er. »Ein warmer Tag wieder.« Er hatte seine Dienstmütze abgenommen und erwiderte Sophies freundliches Lächeln. »Treten S' näher, Max«, sagte Sophie, nachdem sie seinen Gruß erwidert hatte. »Ja, es stimmt. Die Hitze ist schon bald nimmer erträglich. Ich hab' heut' früh beim Terzing mit dem Sammetbauern seiner Frau, der Margit, geredet, und sie hat ganz arg lamentiert. Wenn's net endlich regnet, hat s' gemeint, dann werden die Ernteausfälle wieder drastisch sein.« Sie war zur Seite getreten hatte so für Max den Weg in den Flur freigegeben.

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Der Bergpfarrer – 484 –

Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben ...

Eine alte Familienfehde sorgt für Aufregung

Toni Waidacher

Die Kirchturmglocke von St. Johann begann die zwölfte Stunde anzuläuten, als Max Trenker seinen Dienstwagen am Rand des Pfarrplatzes parkte, den Motor abstellte und ausstieg. Es war ein warmer Tag, die Sonne stand wie ein Fanal hoch über den Bergen im Süden, die wie stumme, versteinerte Wächter das Wachnertal säumten. Unterhalb der Gipfel, in den Schattenfeldern, konnte man noch den Schnee vom letzten Winter erkennen.

Die getragenen Töne der Glocke hallten weit ins Tal hinein und verschmolzen mit dem Läuten der Glocken von Waldeck und Engelsbach. Es verlieh dem gesamten Tal eine beschauliche, geradezu idyllische Atmosphäre, wie man sie von den alten Heimatfilmen aus den Fünfzigern des vergangenen Jahrhunderts kannte.

Max reckte die breiten Schultern, gab sich einen Ruck und setzte sich in Bewegung, schritt schnurstracks auf die Haustür des Pfarrhauses zu und spürte das Knurren in seinem Magen, das ihn auch ohne das Läuten der Kirchenglocke darauf aufmerksam gemacht hätte, dass es an der Zeit war, etwas zwischen die Zähne zu bekommen.

Sophie Tappert, die mütterliche Pfarrhaushälterin, öffnete ihm die Tür. Sie musste, um ihm ins Gesicht zu schauen, den Kopf in den Nacken legen, denn Max war weit mehr als einen ganzen Kopf größer als sie. »Habe die Ehre, Frau Tappert«, grüßte er. »Ein warmer Tag wieder.« Er hatte seine Dienstmütze abgenommen und erwiderte Sophies freundliches Lächeln.

»Treten S‘ näher, Max«, sagte Sophie, nachdem sie seinen Gruß erwidert hatte. »Ja, es stimmt. Die Hitze ist schon bald nimmer erträglich. Ich hab‘ heut‘ früh beim Terzing mit dem Sammetbauern seiner Frau, der Margit, geredet, und sie hat ganz arg lamentiert. Wenn’s net endlich regnet, hat s‘ gemeint, dann werden die Ernteausfälle wieder drastisch sein.«

Sie war zur Seite getreten hatte so für Max den Weg in den Flur freigegeben. Er ging an der Haushälterin vorbei zur Garderobe, legte seine Mütze auf die Hutablage, zog seine Jacke aus und wandte sich der Haushälterin zu. »Das Wetter können wir uns halt net aussuchen. Und dass wir seit Jahren jeden Sommer von einer Hitzeperiode heimgesucht werden, kann man fast schon als Gesetz der Serie bezeichnen.«

»Tja, das ist so.« Ein Seufzer stieg aus Sophies Kehle. »Damit mit dem, was ich Ihnen gleich kredenzen werd‘, Ihr Körper und der Ihres Bruders bei dieser Hitze net unnötig belastet wird und einer von euch am Ende noch einen Kreislaufkollaps erleidet, hab‘ ich was leicht Verträgliches gekocht.«

Max schnupperte in die Luft. »Ich rieche gebratenen Fisch. Geh‘ ich richtig in der Annahme, dass es Forelle und Gemüse gibt?«

»Der Kandidat hat hundert Punkte«, versetzte Sophie lachend. »Gehen S‘ nur schon ins Esszimmer. Ihr Herr Bruder wird auch gleich kommen. Er ist noch einmal hinüber in die Kirche und bespricht was mit dem Mesner. Was möchten S‘ denn trinken, Max? Mineralwasser oder lauwarmen Kräutertee. Ich würd‘ den Tee empfehlen. Er erweitert die Blutgefäße, die Flüssigkeit wird besser vom Blut aufgenommen und der Flüssigkeitsverlust durch die Hitze wird dementsprechend besser ausgeglichen.«

»Also warmen Kräutertee, Frau Doktor Tappert«, erwiderte Max grinsend und begab sich ins Esszimmer.

Während er wartete, lehnte sich Max auf dem Stuhl zurück, verschränkte die Hände über dem Leib und schloss die Augen. Er entspannte ganz einfach. Seine Lider zuckten hoch, als Sebastian den Raum betrat. »Habe die Ehre, Bruderherz«, grüßte der Bergpfarrer. »Ich hoff‘, ich hab‘ dich net allzu lange warten lassen.«

Max nahm die Hände vom Bauch und setzte sich gerade. »Es hält sich in Grenzen. Grüaß di, Sebastian. Alles im grünen Bereich?«

»Ich kann net klagen«, erwiderte der Pfarrer und setzte sich seinem Bruder gegenüber an den Tisch. »Außer, dass mich wieder mal unser verehrter Bürgermeister mit dem geplanten Vergnügungspark nervt, ist alles in Butter.«

»Wie ich dich kenn‘, wirst du dem guten Markus diese Flausen schon noch austreiben«, versetzte Max lachend.

Sophie jonglierte ein Tablett mit den gebackenen Forellen, einer Terrine voll Gemüse und einer Kanne voll Tee herein, stellte es auf dem gedeckten Tisch ab und legte jedem der Brüder einen der goldbraun gebackenen Fische auf den Teller.

»Mir läuft das Wasser im Mund zusammen«, freute sich Max, der sich einmal mehr als größter Fan von Sophies Kochkünsten outete.

»Sabber‘ mir aber net den Fußboden voll«, mahnte Sebastian mit gespieltem Ernst.

»Ich kann mich beherrschen«, knurrte Max.

»Gemüse müssen S‘ sich selber nehmen«, sagte Sophie. »Sparen brauchen S‘ net, denn es ist genug da. Tee bitt‘ ich Sie ebenfalls, sich selber einzuschenken.«

»Und wie schaut’s bei dir aus?«, fragte Sebastian, nachdem Sophie das Esszimmer wieder verlassen hatte.

Max, der gerade an einem Bissen von dem Fisch kaute, schluckte und antwortete: »Mir ist wieder eine Anzeige gegen den Baumgartner-Xaver auf den Tisch geflattert. Beleidigung und Bedrohung. Er hat seinem Nachbarn, dem Hofstetter-Werner, einige recht handfeste Verbalinjurien um die Ohren gehaut und gedroht, ihm bei passender Gelegenheit ein paar saftige Ohrfeigen zu verpassen.«

Sebastians Brauen schoben sich zusammen. »Das ist doch net das erste Mal, dass der Baumgartner seine Nachbarn terrorisiert und schikaniert. Da gibts doch alle Augenblick was.«

»Ja, das ist richtig«, erwiderte Max. »In letzter Zeit werden die verbalen Attacken allerdings immer heftiger und die Drohungen immer massiver. Der Hofstetter meint, dass man den Baumgartner mal auf seinen Geisteszustand untersuchen sollt‘. Der gehört in die Klapsmühle, sagt er.«

Max konnte mit seinem Bruder offen über alles reden, denn er wusste, dass das, was er erzählte, innerhalb der vier Wände des Pfarrhauses bleiben würde. Falls sich Sebastian auf einen seiner Hinweise hin veranlasst fühlte, mit einem der von Max Benannten ein Gespräch zu führen, dann würde er niemals erwähnen, woher er den Tipp hatte.

»Und, wirst du der Strafanzeige nachgehen?«, fragte der Pfarrer.

»Mit dem Baumgartner kann man doch net vernünftig reden. Sobald der Name Hofstetter fällt, sieht er rot. Woher dieser Hass – anders kann ich’s net bezeichnen -, rührt, weiß der Kuckuck.« Max zuckte mit den Schultern. »Natürlich muss ich der Sach‘ nachgehen, und ich werd‘ die Anzeige auch der Staatsanwaltschaft vorlegen. Was dabei rauskommt, das kann ich dir allerdings jetzt schon sagen.«

»Das Verfahren wird eingestellt, wie?«

»Höchstwahrscheinlich. Der Baumgartner ist nämlich kein Dummer. Wenn er den Hostetter angeht, dann geschieht das ohne Zeugen und es steht Aussage gegen Aussage. Du kennst ja den Gerichtsgrundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten.«

»Aber der Xaver muss doch auf irgendeine Art und Weise zur Raison zu bringen sein«, brachte Sebastian zwischen zwei Bissen zum Ausdruck.

»Mit dem kann man – wie ich schon gesagt hab‘ -, net reden. Ich hab‘ mehrere schriftliche Stellungnahmen, die er abgegeben hat. Seine Aussagen sind immer die gleichen, nämlich dass der Hofstetter wie gedruckt lügt und ihm nur gegen den Karren fahren will.«

»Aber das ist doch kein Zustand. Für den Hofstetter muss das doch geradezu unerträglich sein«, erklärte Sebastian.

»Er geht nur noch in den Garten, sagt er, wenn er sich vorher versichert hat, dass der Xaver net in der Nähe ist. Mir hat er anvertraut, dass ihm irgendwann wohl auch der Kragen platzt und er sich dann den Xaver schnappt. Davon hab‘ ich ihm allerdings eindringlich abgeraten.«

»Das wär‘ auch net ratsam«, murmelte Sebastian. »Der Werner würd‘ nimmer glücklich werden.«

»Komischerweise geht der Xaver nur auf die männlichen Mitglieder des Hofstetterhaushalts los«, sagte Max. »Das sind der Werner und sein Sohn, der Alexander. Die Adelheid lässt er in Ruhe. Er behandelt sie zwar wie Luft, aber er verschont sie mit seinen Attacken.«

»Das ist in der Tat seltsam«, pflichtete Sebastian seinem Bruder bei. »Vielleicht sollt‘ ich mal versuchen, mit dem Xaver zu reden. Mir gegenüber hat er sich eigentlich immer ganz vernünftig gezeigt. Hin und wieder seh‘ ich ihn sogar in der Frühmess‘. Nach der Andacht redet er auf dem Pfarrplatz mit diesem oder jenem, und ich hatt‘ noch nie einen Grund, in irgendeiner Weise an seinem psychischen Zustand zu zweifeln.«

»Wenn’s dir gelingen würd‘, den Xaver zu veranlassen, den Hofstetter-Werner und den Alexander in Ruhe zu lassen, hätt‘ ich einen Haufen Arbeit weniger«, erklärte Max. »Ich glaub‘, die Anzeige von heut‘ Vormittag ist die sechzehnte oder siebzehnte innerhalb der vergangenen neun oder zehn Monate.«

»Da muss was geschehen«, erklärte Sebastian im Brustton der Überzeugung.

*

Nachdem sich Max verabschiedet hatte, sprach der Pfarrer mit seiner Haushälterin über das Problem, von dem er aus dem Mund seines Bruders erfahren hatte.

»Wie’s scheint«, sagte Sophie, »hat er nur gegen die männlichen Mitglieder der Familie Hofstetter was, der Xaver. Irgendwann war mal die Rede davon, dass der Streit schon in der Zeit seinen Anfang genommen hat, als der alte Hennes – Gott hab‘ ihn selig -, noch Besitzer des Hofstetteranwesens war, zu einer Zeit also, als der Alexander noch gar net auf der Welt gewesen ist. Was Genaues weiß ich aber auch net, Hochwürden.« Sophies Stimme hob sich. »Himmel, der Werner müsst‘ doch selbst Manns genug sein, um den Beleidigungen und Drohungen des Xaver nachhaltig entgegenzutreten. Zum einen ist er mindesten zehn Jahre jünger, zum anderen ist er doch net auf den Mund gefallen.«

»Er will halt net streiten«, war Sebastians Kommentar. »Ich kenn‘ den Hofstetter-Werner als ausgeglichenen, ruhigen Mann, der bei der Gemeindeverwaltung, wo er arbeitet, beliebt und angesehen ist. Es würd‘ einfach net zu ihm passen, dass er sich über den Gartenzaun hinweg mit dem Xaver fetzt.«

»Wenn er sich alles gefallen lässt«, gab Sophie zu verstehen, »dann animiert er den Xaver geradezu, er ermuntert ihn regelrecht, ihm immer noch ein bissel mehr zuzusetzen. Würd‘ er ihn einmal mit den richtigen Worten in seine Schranken verweisen, wär‘ das vielleicht ein Grund für den Xaver, künftig ein bissel vorsichtiger zu sein.«

»Der Werner hat - ich weiß net die wievielte -, Anzeige beim Max erstattet. Meiner Meinung nach ist das auch der vernünftigste Weg.«

»Leider hats bis jetzt nix gebracht, Hochwürden«, erklärte Sophie. »Leut‘ wie der Baumgartner-Xaver verstehen nur eine Sprache, Hochwürden, und das ist die Sprache, die sie selber sprechen. Im Umgang mit ihnen ists ein Fehler, den Kopf in den Sand zu stecken und alles über sich ergehen zu lassen. Man muss ihnen herausgeben. Ich schließ‘ jede Wette ab, dass der Xaver im Falle, dass ihm der Werner auch ein paar Dinge an den Kopf wirft, vollkommen perplex ist und nix mehr sagen kann. Ich sag‘ ja net, dass der Werner den Xaver ebenfalls beleidigen oder bedrohen soll. Das ist net notwendig. Er muss ihn mit wohlgezielten Worten zu verstehen geben, was er von ihm hält. Daran wird der Xaver zu kauen haben, und vielleicht überlegt er es sich, ob er ein weiteres Mal den Werner oder seinen Buben in unqualifizierter Art und Weise angeht.«

»Ich fahr mal zu den Hofstetters«, erklärte der Pfarrer. »Antreffen werd‘ ich allerdings nur die Adelheid, denn der Werner und der Alexander sind bei der Arbeit. Und dann läut‘ ich wahrscheinlich auch beim Xaver. Möglicherweise hat er was auf dem Herzen, das ihn net loslässt und das jedes Mal seinen Brass schürt und ihn ausrasten lässt, wenn er den Werner oder den Alexander sieht.«

»Versuchen S‘ Ihr Glück, Hochwürden«, sagte Sophie. »Ich drück‘ Ihnen jedenfalls die Daumen, dass der Xaver mit sich reden lässt und Vernunft annimmt.«

Wenige Minuten später war Sebastian mit seinem Fahrrad unterwegs. Xaver Baumgartner und die Familie Hofstetter wohnten am Hyazinthenweg, und der befand sich am Ortsrand von St. Johann. Nur ein brusthoher Gartenzaun aus Drahtgeflecht trennte das Grundstück Xavers von dem der Hofstetters. Sebastian stellte sein Fahrrad im Hof des Hofstetteranwesens ab und wandte sich der Tür zu, aber da trat Adelheid Hofstetter, die Gattin Werners, schon ins Freie. Sie hatte den Pfarrer durchs Küchenfenster auf den Hof kommen sehen. »Grüaß Ihnen Gott, Herr Pfarrer!«, rief sie. »Ich hab‘ zweimal hinschauen müssen, um es glauben zu können, dass Sie es sind, der da sein Radl in den Hof schiebt.«

»Habe die Ehre, Adelheid«, erwiderte Sebastian den Gruß, trat vor die Einundfünfzigjährige hin und gab ihr die Hand. »Wie gehts denn allweil so?«, fragte er dann.

»O mei, Herr Pfarrer, nix als Probleme. Der Baumgartner-Xaver setzt ins ziemlich zu. Aber das wird Sie kaum interessieren. Wegen was kommen S‘ denn, Herr Pfarrer? Ich geh‘ jeden Sonntag in die Mess‘ und bin mir auch sonst keiner Schuld bewusst.«

Sebastian, der ihre Hand wieder losgelassen hatte, lächelte und erwiderte: »Ich komm‘ auch net, um dich irgendeiner Schuld anzuklagen, Adelheid. Mir ist euer Problem mit dem Xaver zu Ohren gekommen. Er soll des Öfteren und ausgesprochen massiv den Werner und euren Buben, den Alexander, mit Worten attackiert haben. Sogar zu Drohungen soll es von seiner Seite schon gekommen sein.«

»Die Drohungen nehmen wir net so ernst«, erklärte Adelheid und schaute wie suchend in die Runde, als fürchtete sie, beobachtet zu werden. »Ich glaub‘, hier im Hof ist net der richtige Ort, um drüber zu reden, Herr Pfarrer. Wir …« Sie brach ab und schaute wieder in die Richtung des Nachbargrundstücks. »Sehen S‘ den Xaver an der Hausecke stehen, Herr Pfarrer? Ihm entgeht nix. Mich persönlich hat er ja noch net angegangen, aber wenn er ständig auf den Werner und den Alexander einhackt, dann trifft mich das auch. Kommen S‘, Herr Pfarrer, gehen wir ins Haus. Ich fühl‘ mich unbehaglich, wenn ich weiß, dass mich der Xaver net aus den Augen lässt.«

Tatsächlich stand an einer der Ecken des Nachbargebäudes der fünfundsechzigjährige Xaver Baumgartner, hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und hielt den Blick auf Sebastian und Adelheid gerichtet. Sein Gesicht war wie versteinert.

Als er merkte, dass er entdeckt worden war, trat er schnell einen Schritt zurück und verschwand hinter der Hausecke.

Sebastian nagte an seiner Unterlippe. Das Verhalten Xaver Baumgartners war in der Tat sehr merkwürdig. Es hatte selbst der Priester als bedrohlich empfunden.

Der Pfarrer folgte Adelheid ins Haus. Sie geleitete ihn in die Küche und bot ihm am Tisch einen Platz zum Sitzen an. Auch sie ließ sich nieder, seufzte ergeben und sagte: »Es ist schlimm mit dem Xaver. Bis vor ein paar Monaten hat uns einfach links liegen lassen. Wir waren Luft für ihn. Vor etwa einem dreiviertel Jahr ist es dann plötzlich losgegangen, und er wird mit jedem Mal anmaßender und unverschämter. Ich will die Ausdrück‘, die er dem Werner und dem Buben immer wieder an den Kopf wirft, gar net wiederholen.«

»Er muss doch irgendeinen Grund haben«, versetzte Sebastian. »Einfach so mir nix dir nix greift er doch die beiden net an. Hast du denn eine Ahnung, worum es ihm geht?«

»Es geht um einen drei Meter breiten Streifen Grund und Boden«, erzählte Adelheid. »Eigentlich um sechs Meter«, verbesserte sie sich sogleich. »Der Streifen lag früher mal zwischen den beiden Grundstücken und sollte zu einer Straße ausgebaut werden, sobald die Grundstücke hinter den unseren als Baugebiet ausgewiesen worden wären. Vor etwa fünfunddreißig Jahren, da war noch der Vater vom Werner Hausbesitzer und der Werner ein junger Bursch‘, ist man bei der Gemeinde von dieser Idee abgekommen. Also hat man die Zufahrt zu den hinteren Grundstücken aus dem Bebauungsplan herausgenommen und zum Kauf angeboten. Irgendwie muss das an Xavers Vater und auch am Xaver vorbeigegangen sein. Jedenfalls hat der Hennes, der Vater vom Werner, die sechs Meter für billiges Geld von der Gemeinde erworben. Als man bei den Baumgartners gemerkt hat, was gespielt wird, war die Sach‘ schon erledigt. Und seitdem ist der Wurm drin zwischen den beiden Familien.«

»Das heißt, der Grund für die Verbalattacken Xavers liegt in einer Zeit, in der die Großväter hier noch das Sagen hatten«, resümierte Sebastian ungläubig. »Das darf doch wohl net wahr sein. Er feindet den Werner an, weil dessen Vater seinem Vater einen Streifen Gartenland weggeschnappt hat? Und diese Feindschaft überträgt er auch auf euren Buben, den Alexander, der zu der damaligen Zeit noch in Abrahams Wurstkessel geschwommen ist.«