Es war wie in einem Märchen - Patricia Vandenberg - E-Book

Es war wie in einem Märchen E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Dr. Daniel Norden war als ein äußerst toleranter Arzt bekannt, und ungeachtet seiner Fähigkeiten wurde er auch deshalb von einigen Patienten und Patientinnen ganz besonders geschätzt. Aber außer diesen gab es auch ein paar wenige, mit denen er sich höchst ungern befaßte, und dazu gehörte die Frau Konsulin Amanda Hillbrecht.Nicht nur, weil sie stets mit dem Titel angeredet werden wollte, konnte Dr. Norden keine Sympathie für sie aufbringen, sondern vor allem deshalb, weil sie ihre einzige Enkeltochter förmlich unterjochte. Und diese Amanda, die es wenigstens erreicht hatte, daß sie Mandy genannt wurde, mochte Dr. Norden besonders gern, ohne ihr jedoch bisher erfolgreich aus ihrer Verklemmtheit helfen zu können.Mandy war in ihrem jungen Leben zu sehr geduckt worden, wenngleich das die Konsulin als Erziehung bezeichnete, und eine Hillbrecht mußte eine wohlerzogene junge Dame sein.Mandy Hillbrecht war dreiundzwanzig, aber sie sah aus wie siebzehn und wirkte scheu und sogar ängstlich. Sie hatte unter der Herrschaft der Konsulin im Hause Hillbrecht keine Chance erhalten, sich zu entfalten.Auch ihre Mutter hatte in Ehrfurcht vor der Konsulin gelebt, und sie war früh gestorben an einem schweren Nierenleiden, und so meinte dann die Konsulin, daß auch Mandy nicht alt werden würde und sie deshalb möglichst von allem, was Anstrengung bedeutete, ferngehalten werden müßte.Nun, die Konsulin hatte es ihrer Schwiegertochter auch nachgetragen, daß sie ihrem Mann nicht wenigstens einen Sohn geschenkt hatte, und dann mißfiel es ihr außerordentlich, daß ihr Sohn keine Neigung zeigte, nochmals zu heiraten!Walter Hillbrecht wäre nicht abgeneigt gewesen, aber die Frau, die er gern geheiratet hätte, hatte ihm glatt einen Korb gegeben, als er gesagt hatte, daß er seine Mutter nicht vor die Tür setzen könnte. Auch ihn beherrschte die Konsulin, allerdings auch aus dem Grunde, weil sie die Aktienmehrheit besaß und auch das Mitspracherecht an allen geschäftlichen Entscheidungen. Und sie war es auch gewesen, die ihren Sohn, der damals erst dreiundzwanzig Jahre alt gewesen war, mit der Baronesse Candida von Eppen verheiratet hatte, damit der Adel auch zum Geldadel kommen sollte.Walter hatte nichts dagegen gehabt, denn Candida war reizend, sanft und nachgiebig. Daß sie schon immer leicht kränkelte, wußte allerdings seine Mutter nicht. Aber sie war auch nicht unvermögend, was ja auch eine Rolle spielte.Mandy wurde jeder Sport untersagt, und weil sie sich nicht auflehnen konnte, wurde sie zu einem Bücherwurm.

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Dr. Norden Bestseller – 273–

Es war wie in einem Märchen

Patricia Vandenberg

Dr. Daniel Norden war als ein äußerst toleranter Arzt bekannt, und ungeachtet seiner Fähigkeiten wurde er auch deshalb von einigen Patienten und Patientinnen ganz besonders geschätzt. Aber außer diesen gab es auch ein paar wenige, mit denen er sich höchst ungern befaßte, und dazu gehörte die Frau Konsulin Amanda Hillbrecht.

Nicht nur, weil sie stets mit dem Titel angeredet werden wollte, konnte Dr. Norden keine Sympathie für sie aufbringen, sondern vor allem deshalb, weil sie ihre einzige Enkeltochter förmlich unterjochte. Und diese Amanda, die es wenigstens erreicht hatte, daß sie Mandy genannt wurde, mochte Dr. Norden besonders gern, ohne ihr jedoch bisher erfolgreich aus ihrer Verklemmtheit helfen zu können.

Mandy war in ihrem jungen Leben zu sehr geduckt worden, wenngleich das die Konsulin als Erziehung bezeichnete, und eine Hillbrecht mußte eine wohlerzogene junge Dame sein.

Mandy Hillbrecht war dreiundzwanzig, aber sie sah aus wie siebzehn und wirkte scheu und sogar ängstlich. Sie hatte unter der Herrschaft der Konsulin im Hause Hillbrecht keine Chance erhalten, sich zu entfalten.

Auch ihre Mutter hatte in Ehrfurcht vor der Konsulin gelebt, und sie war früh gestorben an einem schweren Nierenleiden, und so meinte dann die Konsulin, daß auch Mandy nicht alt werden würde und sie deshalb möglichst von allem, was Anstrengung bedeutete, ferngehalten werden müßte.

Nun, die Konsulin hatte es ihrer Schwiegertochter auch nachgetragen, daß sie ihrem Mann nicht wenigstens einen Sohn geschenkt hatte, und dann mißfiel es ihr außerordentlich, daß ihr Sohn keine Neigung zeigte, nochmals zu heiraten!

Walter Hillbrecht wäre nicht abgeneigt gewesen, aber die Frau, die er gern geheiratet hätte, hatte ihm glatt einen Korb gegeben, als er gesagt hatte, daß er seine Mutter nicht vor die Tür setzen könnte. Auch ihn beherrschte die Konsulin, allerdings auch aus dem Grunde, weil sie die Aktienmehrheit besaß und auch das Mitspracherecht an allen geschäftlichen Entscheidungen. Und sie war es auch gewesen, die ihren Sohn, der damals erst dreiundzwanzig Jahre alt gewesen war, mit der Baronesse Candida von Eppen verheiratet hatte, damit der Adel auch zum Geldadel kommen sollte.

Walter hatte nichts dagegen gehabt, denn Candida war reizend, sanft und nachgiebig. Daß sie schon immer leicht kränkelte, wußte allerdings seine Mutter nicht. Aber sie war auch nicht unvermögend, was ja auch eine Rolle spielte.

Mandy wurde jeder Sport untersagt, und weil sie sich nicht auflehnen konnte, wurde sie zu einem Bücherwurm. Sie war ein hochintelligentes Mädchen, das wußte vor allem Dr. Norden, aber sie wußte anscheinend nichts mit dieser Intelligenz anzufangen. Nur anscheinend, denn Mandy dachte nicht daran, ihr Geheimnis preiszugeben.

Aber für ihre Bildung war viel getan worden, das mußte man auch der Konsulin lassen. Mandy hatte eine internationale Schule besucht, um Sprachen zu lernen, und die beherrschte sie auch, und so konnte die Konsulin mit ihr französische und englische Konversation pflegen Der italienischen Sprache war die alte Dame nicht mächtig. Ab und zu hatte Mandy auch Freundinnen einladen dürfen, aber das hatte sie lieber sein lassen, denn sie wußte genau, daß sich die Großmama da auch eingemischt hätte.

Als Mandy die Schule abgeschlossen hatte, selbstverständlich mit sehr guten Noten, sonst hätte sie sich gar nicht nach Hause gewagt, war sie dem Gesetz nach bereits volljährig, aber sie wurde von der Konsulin behandelt, als wäre sie noch fünfzehn.

Entschieden weigerte sie sich zum ersten Mal, als sie bei einem großen Ball als Debütantin unter ausgewählten jungen Damen der Gesellschaft teilnehmen sollte. Sie brachte es fertig, sich vorher den Arm zu brechen, da sie genau wußte, daß die Großmutter da unnachgiebig sein würde. Es war von ihr allerdings nicht beabsichtigt gewesen, den Arm gleich zu brechen, sie wollte sich nur die Knie aufschlagen und auch die Arme, damit sie nicht richtig laufen, geschweige denn tanzen könnte, und mit aufgeschürften Armen hätte sie ja auch kein ärmelloses Ballkleid tragen können.

Dadurch lernte Mandy Dr. Norden näher kennen, und wenn sie mal gar nicht weiter wußte, flüchtete sie sich zu ihm. Es fiel ihr immer ein, was ihr dann fehlen könnte, allerdings bestärkte es die Konsulin in dem Vorurteil, daß Mandy jung sterben würde. Daß sie selbst auch sterben könnte, kam ihr scheinbar nicht in den Sinn, und in ihrer Gefühlskälte wurde sie sich selbst auch nicht bewußt, daß sie Mandy in Gedanken eigentlich zu einem frühen Tod verurteilte. Freilich sprach sie nicht darüber und zeigte sich anderen gegenüber stets als sehr besorgte und fürsorgliche Großmutter.

Aber weil sie so makabere Gedanken hegte, bemühte sie sich auch gar nicht, für Mandy einen Ehemann zu suchen, und darüber war Mandy von Herzen froh, weil sie das am meisten gefürchtet hatte.

Sie hatte sich an ihr einsames Leben gewöhnt, ja, sie mochte das sogar, denn dann konnte sie sich ausdenken und niederschreiben, was sie über die Menschen in ihrer Umgebung dachte, was sie sich insgeheim wünschte und letztlich auch verdammte. Alles, was sie in sich aufnahm mit Augen und Ohren, verarbeitete sie in sich selbst, weil sie ja mit niemandem darüber sprechen konnte und das auch nun gar nicht mehr wollte.

Sie wartete auf ihren Tag, und der kam, als der Winter sich dem Ende zuneigte. Es war noch einmal bitterkalt geworden. Der Boden war gefroren, die Straßen spiegelglatt.

Die Konsulin hatte ihren siebzigsten Geburtstag, und da sollte es natürlich einen Galaempfang geben. Mandy mußte ihre Großmutter zum Friseur begleiten. Sie hatte aber nicht die geringste Lust, sich eine so aufgetakelte Frisur nach deren Geschmack machen zu lassen. Mandy nahm wieder einmal Zuflucht zu einem Schwindelanfall. Aber diesmal hatte sie keinen Erfolg.

»Heute hältst du durch«, sagte die alte Dame gereizt. »Ich lasse mir das Fest nicht verderben. Ich rufe Dr. Norden an. Er gibt dir eine Spritze, und auf dem Empfang kommst du eben als die graue Maus, die du bist. Es ist mir gleich, was die Leute denken, aber du wirst erscheinen.«

Mandy kam das schon ein bißchen merkwürdig vor. Es geschah in letzter Zeit öfter, daß die Konsulin unbeherrscht war, daß ihr der kalte Befehlston abging. Es kränkte sie nicht, daß sie als graue Maus bezeichnet wurde, sie fand sich selbst sehr unscheinbar, aber das machte ihr nichts aus. Sie hatte sich eine eigene Welt gezimmert, und in der war sie zufrieden und fühlte sich unangreifbar.

Sie hatte nichts dagegen, daß die Konsulin Dr. Norden rief und allein zum Friseur fahren wollte, denn sie hatte den Chauffeur schon bestellt. Aber Amanda Hillbrecht wartete, bis der Arzt kam, der aus der Sprechstunde gerufen worden war.

Erst hier erfuhr Dr. Norden, daß es um Mandy ging, und er hatte schon das dumme Gefühl, daß es ein Notruf kaum sein konnte. Aber er war nun mal hier, und hörte sich geduldig an, was die Frau Konsulin mit überaus schriller, gereizter Stimme sagte.

»Daß Arnanda genauso kränklich ist wie ihre Mutter, weiß ich schon lange«, erklärte sie, »aber es ist doch ungewöhnlich, daß sie immer, wenn ein Ereignis ins Haus steht, schlappmacht.« Einen vornehmeren Ausdruck hatte sie so schnell nicht finden können. »Aber heute abend muß sie wieder auf den Beinen sein. Es gibt doch Mittel, um solche labilen Geschöpfe mal für ein paar Stunden auf die Beine zu bringen.«

Dr. Norden wußte nicht, was er darauf sagen sollte, und Amanda Hillbrecht hatte es nun eilig, zu ihrem Friseurtermin zu kommen. »Ich kann mich auf Sie verlassen, Herr Dr. Norden«, sagte sie in ihrer herablassenden Art.

»Ja, gewiß«, murmelte er, und er wußte, warum er sie absolut nicht leiden konnte. Ihre Augen waren eiskalt und stechend. Aber er war ein erfahrener Arzt, und ohne es untersucht zu haben, hatte er es im Gespür, daß sie einen zu hohen Blutdruck hatte. Aber sollte er sie jetzt mahnen, darauf zu achten? Sie rauschte davon, und das Hausmädchen geleitete ihn zu Mandys Zimmer.

Mandy sah ihn betrübt an. »Tut mir ja so leid, daß Sie aufgescheucht worden sind, Dr. Norden, aber mir ist es schrecklich, wenn sie vor anderen Leuten so an mir herumnörgelt und kommandiert. Und eine Frisur nach ihrem Geschmack macht mich auch nicht hübscher. Sie war schrecklich gereizt. Schon einige Zeit ist sie manchmal so. Ob es geschäftlichen Ärger gibt?«

»Das glaube ich weniger, Mandy, sie hat einen zu hohen Blutdruck, vermute ich. Fühlen Sie sich tatsächlich schlecht?«

»Nein, das ist psychisch bedingt. Ich habe mich darüber eingehend informiert.«

Dr. Norden lächelte. »Aus Illustrierten?« fragte er.

»O nein, ich habe medizinische Bücher gelesen. Und Sie haben mir doch aus meiner Verklemmtheit auch heraushelfen wollen. Ich mache autogenes Training, aber das braucht ja keiner zu wissen, und außerdem gestalte ich mir mein Leben durchaus sinnvoll, da ich ja nicht ausbrechen kann.«

»Und warum können Sie nicht ausbrechen, Mandy?«

»Dazu fehlt mir noch die Kraft, wirklich, so weit bin ich noch nicht, aber ich komme dahin auch noch. Ich würde ja keine müde Mark bekommen, und gute Freunde, auf die ich mich verlassen könnte, habe ich nicht. Und außerdem würde ich mich stets von Großmutters Schatten verfolgt fühlen. Papa habe ich doch sehr gern.

Er ist ganz anders. Er ist natürlich auch in einer anderen Position als ich, aber dennoch wagte er auch nicht, sich gegen sie aufzulehnen. Nun ja, da geht es um den Besitz. Sie würde ja auch ihren Sohn wie eine heiße Kartoffel fallen lassen, wenn er eine Lippe riskieren würde.«

Dr. Norden staunte. So hatte sie noch nie gesprochen, und solcher Ausdrucksweise hätte sie sich in Gegenwart der Konsulin nie bedient. Aber es war jetzt ein Ausdruck in ihrem Gesicht, der ihn erstaunte. Steckte in diesem Mädchen mehr Kraft, als man vermutete?

»Aber da wir nun mal hier und allein miteinander sprechen können, Dr. Norden, bitte ich Sie, mir ganz ehrlich zu sagen, welche Lebenserwartung ich habe.«

Er sah sie verblüfft an. »Wie kommen Sie denn darauf, Mandy?«

»Ich möchte wissen, ob ich organisch gesund bin oder ähnlich krank, wie meine Mutter es war.«

»Ich habe Sie schon gründlichst untersucht, Mandy, weil sie immer diese Unpäßlichkeiten hatten, und da bin ich doch darauf gekommen, daß es Schwindelanfälle im wahrsten Sinne des Wortes sind.«

Sie errötete. »Und Sie waren so nett, mich nicht zu verraten.«

»Ich habe halt ein bißchen Menschenkenntnis. Organisch fehlt Ihnen gar nichts. Das kann man Ihnen nicht einreden wollen.«

»Nicht so direkt, aber ich kriege es immer wieder serviert, woran und wie früh meine Mutter starb, und daß ich mich schonen muß und so auch zu verstehen habe, daß die Konsulin darüber wacht, daß ich mich nicht überanstrenge. Ich wollte Papa schon immer mal fragen, ob er auch so gegängelt worden ist, aber ich traue mich nicht.«

»Ich möchte sagen, daß Sie sich doch mal trauen sollten, Mandy.«

Sie sah ihn nachdenklich an. »Vielleicht kann ich bald ganz anders auftreten«, sagte sie ruhig. »Drücken Sie mir die Daumen, daß ich einen zusagenden Bescheid bekomme. Dann wird sie nichts mehr sagen.«

»Darf ich fragen, worum es geht?«

»Sie erfahren es zuerst, das verspreche ich Ihnen. Aber es kann noch ein bißchen dauern.«

Er betrachtete sie gedankenvoll. »Es wird mich sehr freuen, wenn Sie es packen, Mandy. Ich drücke die Daumen.«

Ob es um einen Mann geht, ging es ihm durch den Sinn, aber das kam ihm ziemlich unwahrscheinlich vor, denn Liebe drückte sich auch im Gesicht, im ganzen Wesen aus. Mandy machte nicht den Eindruck, daß sie glücklich war, eher auf eine besondere Weise gedankenvoll. Eines stand für ihn jedenfalls fest, bis auf ihre Hemmungen, die er jetzt aber eher als Introvertiertheit bezeichnen wollte, war Mandy geistig und organisch völlig gesund, und es war unverantwortlich, wenn die Konsulin ihr mit Andeutungen etwas anderes einreden wollte. Er war jetzt froh, daß er gekommen war, obgleich Mandy keine Medizin brauchte. Als er sich verabschiedete, ahnte er nicht, daß er an diesem Tag nochmals in dieses Haus gerufen werden würde, aber dann

in einer überaus ernsten Angelegenheit.

Mandy hatte einige Zeit nachgedacht, als Dr. Norden gegangen war, dann setzte sie sich an ihren Sekretär und nahm aus einem verschlossenen Fach ihr Tagebuch heraus. Den Schlüssel trug sie immer bei sich, denn sie wußte, daß ihre Großmutter sehr neugierig war, und wenn sie auch selten längere Zeit außer Hause war, so nutzte die Konsulin doch die Gelegenheit, in ihrer Korrespondenz zu schnüffeln. Das war ihr mehrmals aufgefallen, obgleich sie nichts darüber sagte, wissend, daß es doch bestritten und sie zurechtgewiesen würde wegen einer solchen Verdächtigung.

Mandy korrespondierte mit ein paar Schulfreundinnen, die mittlerweile in alle Winde verstreut waren und erfuhr so, welch ein abwechslungsreiches Leben sie führten. Sie war nicht neidisch, aber sie wünschte sich insgeheim doch, auch mehr von der Welt kennenzulernen. Für sie war es Pflicht, die Großmutter jedes Jahr zur Kur nach Baden-Baden zu begleiten.

Mandy schlug ihr Tagebuch auf, an der Stelle, an der sie vor vier Wochen eine Eintragung gemacht hatte. Da war sie mit ihrem Vater auf einem Betriebsfest gewesen, einmal nicht unter der strengen Aufsicht ihrer Großmutter, denn die mischte sich nicht unter das Volk, unter die Proleten wie sie herablassend sagte.

Mandy las, was sie geschrieben hatte. Dieser Volker Matthau ist recht nett, und Papa scheint sehr viel von ihm zu halten. Und er hat mich doch tatsächlich behandelt, als sei ich mit maßgeblich für die Firma. Freilich bin ich ja die Tochter des Chefs, oder sagen wir besser, die Enkelin der Konsulin, nach deren Befinden er sich höflich erkundigte. Es gefällt mir gut, daß er sich so gewählt auszudrucken versteht.

Daß sie sich selbst gewählt auszudrücken verstand, war für sie eine Selbstverständlichkeit.

Ein paar Tage später gab es eine andere Eintragung in das Tagebuch, in der Volker Matthau auch erwähnt wurde.

Ich habe V. M. mit Nadine Pollain gesehen. Sie ist wirklich sehr schön, aber irgendwie paßt sie nicht zu ihm. Ich habe nachgedacht, wie zwei so verschiedene Menschen zusammenkommen, aber vielleicht ist es nur eine flüchtige Bekanntschaft.

Aber Mandy hatte Volker Matthau noch öfter mit dieser Nadine gesehen, die ein sehr bekanntes Fotomodell war und von vielen Titelseiten lächelte.

Und nun schrieb sie in ihr Tagebuch: Ich habe mich entschlossen, nun doch zum Empfang zu gehen. Ich bin sehr gespannt, ob V. M. mit Nadine erscheinen wird, und was Großmutter dann für ein Gesicht macht. Und als sie das Buch wieder verschloß, lag ein rätselhafter Ausdruck auf ihrem schmalen Gesicht.

*

Als Amanda Hillbrecht den Coiffeur verließ, nieselte es. Bedacht darauf, daß ihre kunstvolle Frisur ja keinen Schaden erleiden möge, vergaß sie, daß die Straßen an verschiedenen Stellen spiegelglatt waren. Sie rutschte aus, und sie stürzte wie ein Stein zu Boden. Die Beine glitten ihr buchstäblich unter dem Körper weg, und sie schlug so auch noch mit dem Hinterkopf auf. An ihre Frisur konnte sie nicht mehr denken, denn sie hatte das Bewußtsein verloren.

Der Chauffeur sprang erschrocken hinzu, aber auch er rutschte auf dem Eisstück entlang und wäre noch fast auf sie gefallen. Sogleich waren sie von einem Menschenauflauf umgeben.

»Einen Arzt, schnell einen Arzt«, stammelte Jakob, der Chauffeur. »Es ist die Frau Konsulin Hillbrecht.«

Das scherte diese Leute zwar wenig, aber vom Salon wurde schon der Notarzt verständigt, denn dort fürchtete man jetzt schon, daß man Mitschuld an diesem Unfall zugeschoben bekommen könnte, obgleich sie für das Straßenstück keine Sorge zu tragen hatten.

Der Notarztwagen traf ein. Der verstörte Chauffeur erklärte auch da, um wen es sich handelte, und die Konsulin wurde zur Behnisch-Klinik gebracht, die am nächsten lag.

Dort stellte Dr. Behnisch fest, daß Amanda Hillbrecht eine schwere Gehirnerschütterung und einen Beckenbruch erlitten hatte, und das am Vortag ihres siebzigsten Geburtstages, denn darüber war Dr. Behnisch auch informiert, weil er und seine Frau ebenso wie das Ehepaar Norden zu dem Galaempfang eine Einladung bekommen hatten.

Dr. Jenny Behnisch übernahm es, die Angehörigen zu verständigen. Privat konnte sie niemand erreichen, denn Mandy hatte sich plötzlich doch entschlossen, zum Friseur zu gehen, das aber auch dem Hausmädchen gesagt.

Jenny Behnisch rief in der Fabrik an, aber Walter Hillbrecht war auch nicht im Hause. Seine Sekretärin sagte, daß sie nicht genau wüßte, wann er wiederkommen würde. Da hielt es Jenny doch für angebracht, den Grund ihres Anrufes zu sagen, und sie bat um Herrn Hillbrechts Rückruf.

»O Gott«, murmelte Katharina Gilbert, die bereits seit acht Jahren Chefsekretärin bei Walter Hillbrecht war, seine Vertraute und sogar noch etwas mehr.

Sie hegte für Amanda Hillbrecht keinerlei Sympathie, aber zu diesem Zeitpunkt traf sie die Nachricht doch, denn die Ehrungen zum siebzigsten Geburtstag der Seniorchefin hätte sie ihr schon gegönnt, schließlich und endlich war es doch ihr mit zu verdanken, daß dieses Familienunternehmen erhalten, wachsen und gedeihen konnte, denn Walter war sehr jung gewesen, als sein Vater an einem Herzschlag starb.