Fairy Tale of New York - wie man seinen Prinzen findet - Lilly Autumn - E-Book

Fairy Tale of New York - wie man seinen Prinzen findet E-Book

Lilly Autumn

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Beschreibung

»Fairy Godfather Agency – wir finden Ihren Prinzen für Sie« Kreativ, erfolgreich, single. Sarah hat in der Liebe kein Glück und das könnte ihr zum Verhängnis werden. Um einen wichtigen Auftrag für ihre Bäckerei zu ergattern, braucht sie dringend einen Verlobten an ihrer Seite. Da sie den nicht selbst backen kann, nimmt sie die Dienste der Fairy Godfather Agency in Anspruch, die verspricht, die perfekten Prinzen für solche Anlässe zu vermitteln. Mit Finn bekommt sie tatsächlich den perfekten Mann: Er hat eine große Familie, die Sarah sich schon lange wünscht, ist warmherzig und aufmerksam. Während sie nicht nur vor Sarahs Geschäftspartnern das perfekte Paar spielen, sondern auch vor Finns Familie, entstehen bei beiden Gefühle. Doch sind diese echt oder nur dem Märchen geschuldet, in das sie gemeinsam hineingestolpert sind? Romantischer Einzelband im festlichen New York. Kann etwas, das als Schauspiel begann, echt werden?

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Fairy Tale of New York

WIE MAN SEINEN PRINZEN FINDET

LILLY AUTUMN

Copyright © 2024 by Lilly Autumn

c/o WirFinden.Es

Naß und Hellie GbR

Kirchgasse 19

65817 Eppstein

www.lillyautumn.at

[email protected]

Umschlaggestaltung: Nina Hirschlehner

Lektorat&Korrektorat: Julie Roth

Satz: Bettina Pfeiffer

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Diese Geschichte ist für alle, die ihren Traumprinzen schon gefunden haben. Und für alle, die ihn noch suchen.

Kleine Warnung: dieses Buch sollte nur mit ausreichend Kuchen im Haus gelesen werden. Denn Kuchen versteht einen immer.

Inhalt

1. Sarah

2. Finn

3. Sarah

4. Finn

5. Sarah

6. Finn

7. Sarah

8. Finn

9. Finn

10. Sarah

11. Sarah

12. Finn

13. Sarah

14. Finn

15. Sarah

16. Finn

17. Sarah

18. Finn

19. Sarah

20. Finn

21. Sarah

22. Finn

23. Sarah

24. Finn

25. Sarah

26. Finn

27. Sarah

28. Finn

29. Sarah

30. Sarah

31. Finn

32. Sarah

33. Finn

34. Sarah

Epilog

Danksagung

Was wohl aus Julia und Callahan geworden ist?

Über den Autor

Bücher von Lilly Autumn

KAPITEL1

Sarah

Sarah?«

Nein. Das darf nicht wahr sein. Nicht er.

Kalter Schweiß läuft meinen Rücken hinab. Die Schachtel in meiner Hand bebt, aber ich bemühe mich, nicht zu fest zuzudrücken, um den Inhalt nicht zu beschädigen. Zweimal atme ich tief durch, dann straffe ich die Schultern und drehe mich um. Das Lächeln auf meinen Lippen schmerzt, so unecht ist es.

»Ruben. Hi.«

Er kommt näher, durchschreitet die Empfangshalle von Thorne&Smith in langen Schritten. Sein dunkelgrauer Anzug sitzt perfekt, genau wie seine blonden Haare. Der Stoff umschmeichelt seinen trainierten Körper und die breiten Schultern. Obwohl das Licht in dem großen Raum kühl wirkt, strahlen seine grünen Augen förmlich.

Ich kämpfe den Impuls nieder, in meine Haare zu greifen, um zu sehen, ob die Frisur noch sitzt, oder mein dunkelblaues Etuikleid glatt zu streichen. Ruben soll nicht ahnen, dass seine bloße Anwesenheit mich aus dem Konzept bringt.

Nur eine Armlänge vor mir bleibt er stehen. Sein Blick gleitet über meinen Körper und dann zu der Schachtel in meiner Hand. Ein schiefes Lächeln erscheint auf seinen vollen Lippen. »Du bist also die zweite Bewerberin um den Auftrag.«

Seine Stimme trieft vor Hohn. Das lässt einen kleinen Vulkan in meinem Magen hochgehen. Gut. Wut ist besser als die Unsicherheit, die ich in Rubens Nähe empfinde, seit wir uns vor knapp drei Jahren getrennt haben.

»Du klingst verwundert.« Ich recke mein Kinn und vermeide es, die Schachtel anzusehen, die er bei sich hat. »Dabei solltest du doch damit rechnen. Immerhin sind es meine Rezepte, denen du und Gwen es verdanken, dass ihr groß im Geschäft seid.«

Sein Lächeln verändert sich nicht, allerdings werden seine Augen eiskalt. »Deine Rezepte? Ich bitte dich. Gwen und du habt sie zusammen entwickelt.«

Ich mache einen Schritt auf ihn zu. Ruben weicht nicht zurück, sieht mich immer noch kühl lächelnd an. Wenn ich ihm so nahe stehe, kann er auf mich herabsehen, weil ich ausgerechnet heute eher flache Schuhe trage. Das gefällt mir nicht, aber jetzt ist es so und ich werde nicht zurückweichen. »Du weißt sehr genau, dass es meine Rezepte sind, die Gwen gestohlen hat. Und zwar nachdem ihr eine Affäre begonnen habt und ich euch in meinem Bett erwischt habe.«

»Zu dem Zeitpunkt war es unser Bett«, wagt er es zu erwidern.

Will der mich reizen? »Egal. Du weißt, dass es meine Rezepte waren. Gwen weiß es auch. Seit sie nicht mehr meine Geschäftspartnerin ist, hat sie keine einzige neue Kreation herausgebracht. Zufall?«

Ruben lacht. Für andere würde es warm klingen, als hätten wir nicht gerade ein Streitgespräch. Aber ich kenne den gehässigen Unterton gut genug. Genau so hat er gelacht, als ich ihn damals gefragt habe, warum er etwas mit Gwen begonnen hat, wo unsere Beziehung in meinen Augen doch perfekt war.

»Oh, Sarah.« Er bedenkt mich mit demselben Blick, den man einem einfältigen Kind schenkt, wenn es etwas vollkommen Dummes gesagt hat. »Unsere Kreationen laufen so gut, wir brauchen nichts Neues.« Ruben beugt sich zu mir herab, bis sein Gesicht knapp neben meinem schwebt. »Etwas Neues brauchen wir nur, wenn wir aufhören, besser zu sein als du.«

Atme, ermahne ich mich in Gedanken. Atme weiter. Wenn du ihm hier eine reinhaust, kannst du den Deal mit Thorne&Smith vergessen. Und du willst diesen Deal. Schon allein, um Ruben und Gwen eins auszuwischen. Wenn sie die zweiten Bewerber sind, kannst du ihnen endlich geben, was sie verdienen.

Zuckersüß lächle ich. »Ihr, besser als ich? Davon träumst du.« Ruben öffnet den Mund, doch ich lasse ihn nicht zu Wort kommen. »Wieso bist eigentlich du hier? Gwen führt doch normalerweise solche Gespräche.«

»Ach, weißt du das nicht?« Er wackelt mit den Augenbrauen. »Das Baby kommt bald. Gwen soll sich ausruhen, deswegen habe ich den Termin übernommen.«

Ein fieses Stechen bohrt sich in meine Brust. An Rubens selbstgefälligem Grinsen erkenne ich, dass mir meine Gesichtszüge entglitten sein müssen. Dass Gwen und Ruben geheiratet haben, wusste ich aus den Zeitungen. Ihre Bilder waren überall in den Society-Teilen. Die beiden haben ein großes Fest mit jeder Menge Prominenz geschmissen. Das war im Mai. Jetzt ist Ende Oktober. Also war Gwen da wohl bereits schwanger …

»Zunge verschluckt, Sarahlein?« Wieder lacht Ruben. »Wären Glückwünsche zu viel verlangt?«

»Glückwunsch«, ringe ich mir ab.

Hoffentlich merkt er nicht, wie sehr mich das trifft. Seit unserer Trennung vor drei Jahren hatte ich keinen festen Partner mehr. Etwas in mir ist durch den Verrat meiner besten Freundin und des Mannes, den ich mehr als jeden zuvor geliebt habe, zerbrochen. Da ich auch um meinen großen Traum von einer Konditorei bangen musste, weil Gwen nicht nur meinen Freund, sondern auch mein Rezeptbuch gestohlen hatte, habe ich mich in Arbeit vergraben, nur dafür gelebt. Seit einem Jahr expandiere ich und habe große Kunden gewonnen. Darunter Julia Bellmont, die in Manhattan die Grande Dame der Wirtschaft ist. Ihr gehören unzählige erfolgreiche Unternehmen. Sie hat mich in ihrem Freundeskreis empfohlen und mittlerweile sind sie und ich eng befreundet. Damit können Gwen und Ruben zwar nicht mithalten, doch sie sind ebenfalls sehr erfolgreich. Was mich nicht stören würde – wenn ihr Erfolg nicht nur durch meine Kreationen entstanden wäre.

Ihnen diesen Auftrag wegzuschnappen würde mich mit dem Schicksal etwas aussöhnen. Ich brauche keinen Mann in meinem Leben. Früher oder später würde er mich enttäuschen. Aber mein Geschäft … das brauche ich.

»Ms Morgan? Mr Vandekamp?« Eine Frau in grauem Kostüm mit streng zurückgebundenen blonden Haaren und einem Headset erscheint vor uns. »Ms Thorne und Mr Smith sind dann so weit für Ihre Präsentationen. Wenn Sie mir bitte folgen möchten?«

»Heißt das, wir sehen die Präsentation des jeweils anderen?«, frage ich, während ich der Empfangsdame zum Aufzug folge.

»Ja.« Mehr sagt sie nicht, drückt nur den Knopf und sieht die Tür an.

Ruben steht neben mir, lehnt sich zu mir und flüstert: »Sei nicht zu traurig, wenn du verlierst.«

Ich werfe ihm einen frostigen Blick zu. »Dito.«

Der Fahrstuhl setzt sich in Bewegung und gleich darauf gleiten die Türen erneut auf. Die Dame führt uns durch den milchweißen Gang, an dessen Wänden Produktbilder auf Leinwänden hängen. Es riecht klebrig süß, als hätte man Keksduftessenz versprüht. Thorne&Smith sind eine landesweite Kette an Lebensmittelläden. Vieles in ihrem Sortiment produzieren sie selbst. Jetzt wollen sie ihre Linie im Cupcake-Bereich ausweiten und exklusive Kreationen von bekannten Konditoren ins Programm nehmen. Meine Vorschläge könnten also bald nicht mehr nur im Staat New York, sondern an der gesamten Ostküste genossen werden. Ein riesiger Schritt, den ich unbedingt gehen möchte. Dazu muss ich aber besser sein als Ruben und Gwen.

Was ich bin. Ich muss mich nur besser verkaufen. Das ist es. Gut zu sein in dem, was ich mache, ist das eine. Es anderen zu erzählen und meinen Wert hervorzuheben das andere. Das liegt mir nicht. Aber heute … heute werde ich es schaffen.

Vor einer Kirschholztür bleibt die Dame stehen, klopft und öffnet. Sie lässt mich vor Ruben eintreten. Eine Frau in einem erdbeerroten Kostüm mit graumeliertem Haar und ein Mann in blauem Nadelstreifanzug mit Glatze und Schnurbart kommen uns entgegen.

»Ms Morgan«, begrüßt die Frau mich lächelnd. »Schön, Sie kennenzulernen. Julia hat so von Ihnen und Ihren Kreationen geschwärmt, dass ich gespannt war, wie Sie aussehen.«

Ich versuche mich ebenfalls an einem Lächeln und schüttle ihre Hand. »Danke für die Chance.« Ich wende mich Mr Smith zu, gebe auch ihm die Hand.

»Bitte, setzen Sie sich«, sagt Ms Thorne und deutet auf die Stühle. »Dürfen wir Ihnen etwas zu trinken anbieten?«

Ich winke ab.

»Kaffee, bitte«, sagt Ruben, der einen Stuhl Abstand zwischen uns lässt, seine Aktentasche auf den Tisch legt und die Prospekte herausholt. Die Schachtel mit den Kostproben schiebt er von mir weg. Soll mir recht sein. Auch ich platziere meine Schachtel so weit von ihm entfernt, wie ich kann.

Dann öffne ich ebenfalls meine Tasche und ziehe die Mäppchen heraus, die ich für die Präsentation zusammengestellt habe.

»Wer möchte beginnen?«, fragt Ms Thorne.

»Wenn Sie erlauben, dann sehr gerne ich.« Ruben schenkt ihr ein gewinnendes Lächeln. »Meine Frau erwartet unser erstes Kind und unsere Vorschläge sind von diesem besonderen Ereignis inspiriert worden.«

Innerlich verdrehe ich die Augen. Obwohl Thorne&Smith ein Großkonzern ist, wird er von einer Familie geführt. Die beiden Eigentümer sind Cousin und Cousine, die gesamte Verwandtschaft arbeitet in dem Unternehmen. Auf ihrer Website unterstreichen sie, dass ihnen familiäre Werte wichtig sind. Das hat Ruben mir also in jedem Fall voraus. Ich kann lediglich mit einer alten Großtante aufwarten, die mich als kleines Kind aufgenommen hat, nachdem meine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Sonst habe ich keine Verwandten. Nur eine Katze.

»Dann bitte, wir sind gespannt.« Mr Smith nimmt die Unterlagen entgegen und blättert sie durch.

»Die Geburt eines Kindes ist etwas Besonderes und soll mit der gebührenden Eleganz gefeiert werden«, beginnt Ruben seine Präsentation und löst in mir den Drang aus, erneut die Augen zu verdrehen, weil es so offensichtlich ist. »Deswegen haben wir unseren beliebten Red-Velvet-Cupcake genommen, eine Vanille-Zimt-Ganache und Swiss Meringue vermengt und mit Glitzer versehen. Im Inneren ist der Cupcake mit einer süßen Marmelade aus dunklen Kirschen gefüllt. Jeder Bissen wird damit zum Genuss.«

Er öffnet die Box mit sechs Cupcakes, die wunderschön dekoriert sind. Glitzer, Herzen aus roter Schokolade, ein tiefroter Streifen in dem sonst cremefarbenen Meringue-Türmchen. Ja, dekorieren kann Gwen. Aber die Geschmäcker, die Ruben aufgezählt hat, sind nicht neu. Sie haben nur aus zwei unterschiedlichen Cupcakes in ihrem Programm einen gemacht.

Das scheint Ms Thorne nicht zu stören. Sie schließt genießerisch die Augen, nachdem sie von ihrem Cupcake abgebissen hat, und seufzt. »Wirklich köstlich.«

Danach gehen sie die Zahlen durch. Ich lausche nur mäßig interessiert, denn alles, was Ruben erzählt, stammt eigentlich von mir. Ihre Kalkulationen haben Gwen und er nie verändert. Sie haben also nicht nur meine Rezepte, sondern mein gesamtes Konzept einfach übernommen.

»Gut, dann wollen wir mal Ihre Präsentation hören.« Mr Smith nickt mir auffordernd zu.

Ich räuspere mich. Ruben rührt ausgiebig Zucker in seinen Kaffee, aber ich lasse mich von dem Geklimper nicht irritieren.

»Cupcakes sind vor allem eines: Seelentröster«, beginne ich. Ruben schnaubt leise. »Und schöne Erinnerungen. Aufmerksamkeiten. Ein Liebesbeweis.« Ich öffne meine Schachtel. »Wenn wir Pekannüsse essen, denken wir an die Thanksgiving-Feiern mit unseren Familien. Bei Minze und Schokolade an Weihnachten. Dekadente Champagner-Creme für Silvester oder Valentinstag. Karottenkuchen für Ostern.« Lächelnd schiebe ich den beiden die Schachtel mit den Mini-Cupcakes hin. »Ich habe Geschmäcker gewählt, die schöne Erinnerungen wecken. Oder die zu schönen Erinnerungen werden können. Der Geschmack von Champagner und Erdbeeren, der an den besonderen Heiratsantrag erinnert, oder der Pekannuss-Tonkabohnen Cupcake, der einen an den köstlichen Pie denken lässt, den man mit seiner Granny gebacken hat.«

Mit angehaltenem Atem beobachte ich, wie Mr Smith und Ms Thorne einen Cupcake nach dem anderen kosten. Das zufriedene Lächeln auf ihren Lippen löst die Anspannung in meinen Schultern. Sie mögen meine Kreationen.

Auch mit mir gehen sie Zahlen und Auslastungen durch. Mir entgeht nicht, wie Ruben auf meine Unterlagen schaut. Schnell lege ich meinen Arm darauf. Er soll gar nicht erst auf die Idee kommen, sie zu kopieren.

»Wir haben gewusst, dass Sie beide mit wundervollen Kreationen aufwarten werden.« Ms Thorne lächelt mich an. »Auch Ihre Konzepte sind gut ausgearbeitet, beide Angebote kommen für uns infrage. Deswegen werden wir heute keine Entscheidung treffen können.«

»Wir möchten Ihre Betriebe besuchen, mit den Mitarbeitern sprechen. Außerdem möchten wir Ihre Familien kennenlernen. Sie wissen, dass uns Familie sehr wichtig ist«, fügt Mr Smith hinzu.

Mein Magen zieht sich zusammen. Ich kann mit meinem Können punkten. Mit meinem Ehrgeiz. Aber Familie?

»Sobald meine Tochter geboren ist, würden wir Sie gerne bei uns im Betrieb und anschließend bei einem Abendessen begrüßen«, sagt Ruben sofort.

Gerade hasse ich ihn noch ein Stück mehr als sonst.

»Das wäre wundervoll.« Mr Smith wendet sich mir zu. »Wie sieht es bei Ihnen aus?«

»Ja, Sarah.« Ruben dreht sich zu mir und bedenkt mich mit diesem überheblichen Blick. »Wie sieht es bei dir aus? Du versteckst deine Familie ja akribisch vor der Öffentlichkeit.«

Der Mistkerl weiß doch, dass ich niemanden habe. Er kennt meine Geschichte. Dank ihm glaube ich auch nicht mehr an die Liebe.

Unter dem Tisch balle ich die Hände zu Fäusten. Ich will diesen Auftrag. Soll ich ihn wirklich verlieren, weil ich ohnehin schon Pech in meinem Leben habe? Ich hätte auch gerne eine Großfamilie mit fünf Geschwistern, jede Menge Nichten und Neffen, die ich verwöhnen kann.

»Mein Verlobter und ich freuen uns sehr, Sie demnächst bei uns zu Hause zum Essen einzuladen«, höre ich mich selbst sagen, bevor ich es verhindern kann.

Ruben hebt eine Augenbraue. Ich halte seinem forschenden Blick stand, hoffe, ich vermittle ihm das Gefühl, absolut glücklich zu sein. Hoffentlich bemerkt er nicht, dass ich nicht einmal mehr atme.

»Wunderbar, dann werden wir uns in den nächsten Tagen bei Ihnen wegen möglicher Termine und dem weiteren Ablauf melden.« Ms Thorne erhebt sich und streckt mir die Hand entgegen. »Es hat mich sehr gefreut. Ich kann es nicht erwarten, den Mann kennenzulernen, der Ihr Herz erobert hat.«

Ja, da sind wir dann schon zwei.

»Er muss etwas Besonderes sein«, fügt Mr Smith hinzu.

Verstohlen sehe ich zu Ruben, der mich mit verkniffenem Ausdruck mustert.

»O ja, das ist er.« Ich kichere. »Ich bin sicher, er wird Ihnen gefallen.«

Meine Wangen schmerzen von dem verkrampften Lächeln.

Verdammt. Verdammt. Verdammt!

Was habe ich mir nur dabei gedacht? Ich habe seit drei Jahren kaum Dates gehabt, keinen Mann öfter als einmal getroffen. Wo zum Teufel soll ich also in den nächsten Tagen jemanden herbekommen, den ich als meinen Verlobten ausgeben kann?

KAPITEL2

Finn

Mit einem Ächzen stelle ich das leere Glas auf den Tresen zurück. »Noch eine Runde«, lalle ich.

Mit schief gelegtem Kopf mustert mich mein bester Kumpel Mike. »Mach mal langsamer, Finn. So viel trinkst du doch sonst nicht.«

»Ich habe noch einen Drink bestellt.« Ungeschickt wische ich mir mit dem Ärmel meines karierten Hemds den Mund ab. »Einer geht noch.«

Ich verdränge das Dröhnen in meinem Kopf, das mir jetzt schon sagt, dass ich zu viel hatte. Die Geräusche im vollen Pub sind nur noch ein undefinierbares Gewirr. Außer meinem Freund Mike kann ich nichts klar erkennen.

»Nein, das glaube ich nicht«, sagt er und nimmt das leere Glas an sich.

»Du bist Barmann. Willst du deinen Job verlieren wie ich? Nein? Also … gib mir noch einen.«

»Finn, wir sind Freunde. Ich bezweifle, dass du noch heil von dem Barhocker runterkommst oder allein stehen kannst. Glaubst du, ich gebe dir noch einen Shot?« Ich öffne den Mund, doch Mike spricht schnell weiter. »Was hast du davon? Außer Kopfschmerzen morgen, meine ich? Deinen Job bekommst du deswegen auch nicht wieder.«

Ein schwarzes Loch öffnet sich in meinen Gedanken. Es saugt jegliche Vernunft ein. Schon klar, das war nur ein Job. Einer, den ich verdammt gerne gemacht habe. Es sollte nicht tragisch sein. Aber das ist es. Weil ich damit geholfen habe, die Medikamente für meine kleine Schwester zu bezahlen.

»Du findest bald was Neues.« Mike stellt mir eine Cola hin. »Trink lieber das.«

Ich greife nach dem Glas, drehe es aber nur in meinen Händen. »Als Klavierlehrer ist man momentan nicht so gefragt, weißt du.«

Meine Zunge fühlt sich bleischwer an. Für gewöhnlich trinke ich nur ein Bier in dem Pub, in dem mein Freund arbeitet. Der Laden gehört seiner Familie, also wird Mike seinen Job nicht so schnell verlieren. Glückspilz.

»Häng doch wieder Zettel auf, dass du Privatunterricht anbietest.« Mike deutet zum schwarzen Brett. »Wer weiß, vielleicht kannst du dich vor Anfragen bald nicht mehr retten.«

»Da hängt noch mein letzter Flyer.« Ich nippe an der Cola. »Von den Abreißzettelchen ist genau einer mitgenommen worden.«

»Na, hey, einer …«

»… und den habe ich abgerissen, damit es aussieht, als hätte jemand Interesse.« Ich lasse den Kopf sinken. »Was mache ich jetzt? Molly braucht die Medikamente. Ich will meiner Familie helfen und ihnen nicht zur Last fallen, weil sie zusätzlich zu den Kosten für die Medizin auch noch mich durchfüttern müssen.«

Mike betrachtet mich mitleidsvoll. »Was für Qualifikationen hast du denn, von deinem Musikstudium abgesehen?«

Ich atme gedehnt aus. »Abgesehen davon, eine Rasselbande an Kleinkindern zu unterhalten? Nur meine eigene Kinderstube, die ich meiner strengen Mutter verdanke. Wer sollte mich also einstellen?«

»Sie wären überrascht.«

Ich drehe meinen Kopf zu dem Mann, der gerade gesprochen hat. Der Anzug, den er trägt, sieht aus, als hätte man ihm den an den Leib geschneidert. Seine dunkelblonden Haare sind etwas länger, wie es gerade Mode ist. Er hält ein Glas mit klarer Flüssigkeit in der Hand und mustert mich.

»Haben Sie mit mir geredet?«, frage ich verwirrt.

»Tatsächlich habe ich das.« Sein Blick gleitet von meinem Gesicht über meinen Körper und zurück. »Ich denke nämlich, dass ich einen Job für Sie habe.«

In meinem Kopf schrillen sämtliche Alarmglocken. Exakt so stelle ich mir ein Gespräch vor, das dazu führt, dass mein Körper ohne Organe in irgendeinem Müllcontainer gefunden wird.

»Ähm. Danke. Aber ich …«

»Schon gut.« Der Fremde lächelt verständnisvoll. »Ich kann mir denken, dass das hier seltsam auf Sie wirkt.« Er greift in seine Jackentasche. Wären wir nicht in einer Bar voller Leute, würde ich jetzt vermutlich aufspringen und mich kampfbereit hinstellen. Wenn ich nicht so betrunken wäre, dass ich den Kerl dreimal sehe. Ich halte den Atem an, bis er eine Visitenkarte auf den Tresen legt und zu mir schiebt. »Wenn Sie wieder nüchtern sind, kontaktieren Sie mich. Eventuell interessiert Sie der Job, den ich Ihnen anbieten kann, ja doch.«

Er trinkt aus, legt ein paar Geldscheine auf den Tresen und geht zum Ausgang. Mit zusammengeschobenen Augenbrauen sehe ich ihm nach, wende mich aber ab, als er sich wieder zu mir umdreht.

»Was war das denn gerade?« Mike zieht die Visitenkarte zu sich heran.

»Keine Ahnung. Kennst du den Kerl?«

Mein Freund schüttelt den Kopf. »War heute zum ersten Mal hier.« Er beugt sich über den Tresen aus dunklem Holz und betrachtet die Karte. »Callahan Stirling. Der Name klingt irgendwie … vornehm.«

Ich greife nach der Karte und mustere sie im schummrigen Licht. Außer seinem Namen und einer Mailadresse steht nichts darauf. Also ziehe ich mein Handy und google ihn. Nichts.

»Gibt es doch nicht.« Ich überprüfe, ob ich mich vertippt habe. Habe ich nicht. »Wie kann es eine Person geben, über die Google nichts findet?« Ich blicke zu Mike auf. »Du hast den Kerl doch auch gesehen. Der war nicht nur meinem alkoholgetränkten Verstand geschuldet, oder?«

»Ja, der war wirklich da.« Mike stützt seinen Ellbogen auf dem Tresen ab. »Was wirst du machen?«

»Was meinst du denn jetzt bitte?«

»Na, wirst du dich bei ihm melden? Wegen eines Jobs?«

»Spinnst du? Was für einen Job könnte mir so ein Typ anbieten, nachdem er mich einmal gesehen hat?« Ich schüttle den Kopf. »Vielleicht ist er Zuhälter und sucht jemanden für seine Kunden. Oder er will meine Organe klauen.«

»Dann braucht er dir keine Visitenkarte zu geben«, meint Mike grinsend.

Wieso findet er das lustig?

»Okay, vielleicht kann er über meine Mailadresse irgendwelche anderen Dinge anstellen«, lalle ich. »Cyberkriminalität sollte man nicht unterschätzen.«

Mike verdreht die Augen. »Finn, du bist mein bester Freund, aber manchmal hast du echt einen an der Waffel. Wie sollte er über deine Mailadresse irgendetwas ausrichten? Außer dir Spam zu schicken?«

»Wir leben in New York City. Der Stadt, in der jeden Tag mehrere Morde passieren.«

»Finn.« Mike reibt sich über die Stirn. »Hör auf, diese ganzen Kriminalserien zu schauen. Ehrlich, Mann, du übertreibst.«

»Ist das so?«, frage ich aufgebracht. »Wirst du das auch sagen, wenn man mich tot auffindet, weil ich dem Kerl eine Mail geschickt habe?«

»Alter … ich rede erst wieder mit dir, wenn du nüchtern bist. Geh nach Hause und ruf mich an, wenn du deinen Rausch ausgeschlafen hast.« Er schiebt mir die Visitenkarte in die Hemdstasche. »Verlier das nicht.«

»Warum? Welchen Job könnte mir der Kerl anbieten? Er weiß nichts von mir.«

Und wenn er mich bei Tageslicht sieht, mit meinem ausgeblichenen Hemd und den immer zerzausten dunkelbraunen Haaren, möchte er wahrscheinlich auch nicht mehr über mich wissen, füge ich in Gedanken hinzu. Das Paradebeispiel von Professionalität bin ich im Augenblick sicher nicht.

»Er hat gehört, dass du Klavierlehrer bist und mit Kindern umgehen kannst. Vielleicht hat er was Passendes. Man muss nicht immer vom Schlimmsten ausgehen.«

Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, also rutsche ich vom Barhocker, knicke dabei halb um und klammere mich am Tresen fest.

»Soll ich dir ein Taxi rufen?«, will mein Freund wissen.

Ich winke ab. »Kein Geld dafür.« Mit einem Schnauben ziehe ich die Visitenkarte aus der Tasche. »Vielleicht sollte ich dem Typen doch schreiben und ihn fragen, wie viel meine Organe wert sind …«

»Okay, das reicht.« Mike nimmt mir die Karte ab. »Geh heim, schlaf dich aus und melde dich dann. Ich bringe dir die Karte, wenn du wieder klar bist.«

»Oder du schnappst mir den Job weg.«

Mike grinst. »Nur wenn ich meine Organe behalten darf.« Er wird wieder ernst, hält mir die Karte hin, die ich ihm aus der Hand reiße und einstecke. »Schreib mir, wenn du zu Hause angekommen bist.«

»Jaja.« Ich torkle auf die Tür zu. Dabei remple ich einige Leute an, lalle Entschuldigungen und stolpere schließlich auf den Bürgersteig.

Die kalte Nachtluft versetzt mir eine schallende Ohrfeige. Keine Ahnung wie spät es ist. Vermutlich später, als ich sonst unterwegs bin. Hatte ich eigentlich eine Jacke an, als ich hergekommen bin? Bestimmt. Die ist jetzt im Pub. Einen Moment überlege ich, umzudrehen und sie zu holen. Dann mache ich eine wegwerfende Handbewegung. Bis zu dem Haus, in dem sich meine winzige Wohnung befindet, sind es nur zwei Straßen.

Mit jedem Schritt bereue ich die Entscheidung, die Jacke nicht geholt zu haben, mehr. Aber zumindest werde ich langsam klarer. Allerdings pocht auch mein Schädel immer heftiger. Was bin ich für ein Trottel, so viel Whiskey zu trinken? Ich weiß doch, dass ich nichts vertrage. Drei Shots und ich lalle, bei vier hätte ich mich vermutlich auf den Tresen gestellt und Seemannslieder gesungen. Mike ist ein echter Freund, dass er das verhindert hat.

Der Schlüssel für die Haustür fällt mir dreimal aus der Hand, bevor ich ihn ins Schloss schieben kann. Das Mehrparteienhaus ist schon baufällig. Der Fliesenboden hat mehr Löcher als ein Schweizer Käse. In meinem Zustand stolpere ich über einige dieser Unebenheiten, fluche gedanklich, weil meine Schläfen noch schlimmer pochen als bei meinem ersten Rausch, schleppe mich aber zur Treppe. Ich muss mich am gusseisernen Geländer festhalten, ziehe mich mehr hoch, als dass ich gehe.

Ich werde nie wieder so viel trinken, schwöre ich mir in Gedanken.

Als ich die Tür zu meiner Wohnung öffne, kichere ich vor Erleichterung, torkle in das Ein-Zimmer-Apartment und schließe hinter mir ab. Von der Straße dringt das Licht einer Lampe herein, malt gespenstische Schatten in den dunklen Raum. Ich schlüpfe aus meinen Schuhen, schlurfe zum Bett und werfe mich darauf.

Ächzend vergrabe ich das Gesicht in den zerwühlten Laken. Mein Gehalt als Klavierlehrer hat gerade einmal für eine Bruchbude in Brooklyn gereicht und für eine kleine Unterstützung, die ich meinen Eltern habe zukommen lassen. Trotzdem wollte ich keinen anderen Job. Die Kinder und Jugendlichen zu unterrichten hat mir Spaß gemacht. Außerdem wollte ich in der Nähe meiner Familie bleiben. Hätte ich damals, als ich noch auf der Juilliard School of Music war, das Angebot angenommen und wäre Konzertpianist geworden, hätte ich zwar viel verdient, aber auch viel reisen müssen. Das wollte ich nicht.

Ich bin altmodisch, in vielen Dingen. Meine Familie ist mir wichtiger als alles andere. Allein der Gedanke, dass meine Eltern jetzt vielleicht Probleme haben, das Geld für Mollys Behandlung aufzutreiben, lässt meine Brust zu eng zum Atmen werden. Ich muss schnell etwas Neues finden. Egal was. Und wenn ich Teller abwasche. Wobei … dann verdiene ich vermutlich nicht genug, um ihnen zu helfen.

Mein Kopf droht zu platzen, als ich mich auf den Rücken drehe und die Visitenkarte aus meiner Tasche ziehe, um sie im Licht meines Handydisplays zu betrachten. Die Schrift ist geschwungen und verschnörkelt. Jetzt erkenne ich, dass die Buchstaben glitzern. Das ist mir im Pub nicht aufgefallen.

Bevor ich es mir anders überlegen kann, öffne ich meine Mail-App und tippe die Adresse ein. In die Betreffzeile schreibe ich Jobangebot, weil ich keine Ahnung habe, was sonst passend wäre.

Sehr geehrter Herr Stirling, beginne ich die Mail. Eventuell wäre eine lockere Anrede besser, aber … ich bin wie gesagt altmodisch. Also schreibe ich es so. Mein Name ist Finn Hennessy. Wir haben uns heute im Irish Pub O’Hara kennengelernt und Sie haben mir Ihre Karte dagelassen. Ich würde gerne wissen, welchen Job Sie mir anbieten können. Danke für Ihre Antwort. F Hennessy

Bevor ich noch länger darüber nachdenken kann, schicke ich die Mail ab. So, ich habe es getan. Wenn morgen das FBI hier reinstürmt, weil mit meiner Mailadresse irgendwelche Schindluder getrieben wurden, kann ich es nicht mehr ändern.

Erschöpft lege ich Handy und Visitenkarte weg, lehne mich auf der Matratze zurück und schließe die Augen. Selbst jetzt dreht sich alles. Obwohl ich müde bin, schlafe ich nicht richtig. Jedes noch so kleine Geräusch weckt mich auf. Was nicht schlimm ist, weil mich fürchterliche Träume von Klavieren, die meine Organe essen wollen, quälen.

Ein Surren reißt mich schließlich endgültig aus meinem Dämmerzustand. Ich blinzle und fluche, weil ich den Wecker wohl nicht abgestellt habe. Der Raum ist nicht mehr dunkel. Tageslicht flutet das Zimmer, offenbart das Chaos in meiner winzigen Küchenzeile, das ich gestern nicht mehr weggeräumt habe. Schmutziges Geschirr steht auf dem Boden und der kleinen Arbeitsfläche, weil die Spüle verstopft war und ich sie in meinem Frust nicht reparieren wollte. Darum sollte ich mich kümmern. Später. Erst den Handywecker abstellen und noch eine Runde schlafen.

Ich greife nach dem Mobiltelefon und halte den Atem an. Zwei verpasste Anrufe von einer Nummer, die ich nicht kenne. Ob das jemand ist, der privaten Klavierunterricht möchte? Den Gedanken verwerfe ich schnell. Dann hätte ich ja mal Glück. Vermutlich ist das eine Behörde, die mich wegen eines Verbrechens anruft, das mit meiner Mailadresse begangen wurde.

Ich entsperre das Telefon und bemerke, dass ich eine Sprachnachricht bekommen habe. Gut, hören wir mal, was mir vorgeworfen wird.

»Mr Hennessy, hier spricht Helen Filmore. Ich rufe im Auftrag von Callahan Stirling an. Leider konnte ich Sie nicht erreichen. Bitte rufen Sie mich unter der Nummer 071123467 zurück. Ich möchte Ihnen einen Termin für ein persönliches Treffen mit Mr Stirling vorschlagen. Möglich wären noch heute um vier Uhr, morgen um zwei Uhr oder Freitag um neun Uhr morgens. Vielen Dank und einen schönen Tag.«

Die Nachricht endet. Ungläubig starre ich auf mein Handy. Dann öffne ich die Mails. Keine Antwort von Mr Stirling. Ich rufe meine gesendete Mail auf. Nummer habe ich keine hinterlassen. Woher hat diese Helen meine?

Ich schlucke gegen den Kloß in meinem Hals an. Das ist irgendwie unheimlich.

Schnell wähle ich eine andere Nummer. Die Mailbox geht ran. »Mike? Hier ist Finn … Kannst du vorbeikommen? Ich … muss mit dir über diesen möglichen Job reden und brauche deine Meinung. Ruf mich an.«

Ich lege auf und spiele noch einmal die Sprachnachricht ab. Das alles ist so dubios. Ich weiß noch immer nicht, welchen Job mir Callahan Stirling anbieten könnte. Erst rede ich mal mit Mike. Und dann … überlege ich mir, ob ich tatsächlich zu einem Termin mit diesem Mann gehen soll.

KAPITEL3

Sarah

Julia umarmt mich, kaum dass ich ihr schickes Penthouse betreten habe. »Na, wie war es?«

»Frag nicht«, murmle ich an ihrer Schulter.

»So schlimm? Wer war der andere Bewerber?«

Sie führt mich in ihr Reich, das mit den großen, offenen Räumen und dem dunklen Marmorboden wie ein Palast wirkt. Das Wohnzimmer geht in Esszimmer und Küche über. Das Schlafzimmer ist über eine Treppe zu erreichen, ebenso wie der Raum, in dem Julia arbeitet, wenn sie zu Hause ist.

Ohne mich zu fragen, schenkt sie mir ein Glas Rotwein ein und hält es mir hin. Dankbar nehme ich es ihr ab.

»Also erzähl. Was war los?«, fragt sie sanft.

Wir lassen uns auf dem cremeweißen Sofa nieder. Im Kamin direkt neben uns knistert ein Feuer. Seine Wärme tut mir gut. Draußen weht ein eisiger Wind, der das beklemmende Gefühl in meinem Magen nicht besser gemacht hat.

»Ruben war da«, bringe ich heraus.

Julia verschluckt sich fast an ihrem Wein. »Bitte was?«

Ein tiefes Seufzen entfährt mir. »Gwen und er sind die anderen Bewerber.«

»Oh, Süße.« Meine Freundin greift nach meiner Hand. »Aber gegen deine Kreationen haben sie keine Chance. Sie wärmen doch in Wahrheit nur deine Rezepte, die sie damals entwendet haben, immer und immer wieder auf.«

»Ja, aber sie haben mit etwas gepunktet, in dem ich versage.«

Julia mustert mich interessiert. Wenn mich jemand versteht, dann sie. Wir sind uns ähnlich. Auch Julia hat keine Familie mehr, seit ihr Vater verstorben ist, und genau wie ich hat sie in der Liebe bisher wenig Glück gehabt. Sie lebt für ihren Job und ihre wohltätige Arbeit. Dabei ist Julia ein Hauptgewinn. Sie ist liebevoll, warmherzig, klug und sieht mit ihren schwarzen Haaren, den hellblauen Augen und ihrer schlanken Figur wirklich gut aus.

»Na?« Ein aufmunterndes Lächeln umspielt ihre Lippen. »Was könnten die beiden Arschbacken dir voraushaben?«

Ich nehme einen großen Schluck Wein, ehe ich antworte. »Sie bekommen bald ihr erstes Kind.«

Das Lächeln verschwindet aus Julias Gesicht. Ein bestürzter Ausdruck erscheint stattdessen. Sie stellt ihr Glas ab, rückt näher und umarmt mich.

»Das tut mir so leid.« Ihre Stimme ist sanft und bohrt sich dennoch in mein Herz.

Bis gerade eben habe ich den Schmerz verdrängt. Mein Bewusstsein hat nicht geschnallt, was dieses Baby bedeutet. Nicht dass ich Ruben je zurückgewinnen wollte. Er hat mich tief verletzt. Gwens Verrat war noch schmerzhafter. Schließlich waren wir seit der Highschool beste Freundinnen. Dass die beiden Menschen, die mir am wichtigsten waren und die mich gebrochen haben, jetzt glücklich sind und die Familie gründen, die ich wohl nie haben werde, fühlt sich an wie eiskalte Klauen, die sich in mein Herz bohren.

Ich kann das Schluchzen nicht mehr zurückhalten. Wie ein Kind beginne ich zu weinen.

Julia nimmt mir das Weinglas ab, stellt es neben ihres und streicht über meinen Rücken. »Es ist gut, lass es raus«, raunt sie.

»Weißt du, was mich daran am meisten stört?«, bringe ich zwischen zwei Schluchzern heraus.

»Erzähl es mir.«

»Thorne&Smith setzt auf familiäre Werte. Das ist ihnen wichtig. Sie mochten sowohl Rubens als auch mein Angebot. Und weil sie sich die Menschen hinter den Produkten ansehen, möchten sie unsere Familien kennenlernen. Ruben und Gwen sind das perfekte Paar und haben bestimmt das perfekte Baby. Und ich? Mit meinen dreißig Jahren kann ich Tante Rosa und Titus präsentieren.«

»Es ist nicht deine Schuld, dass du keine Familie mehr hast«, redet Julia beruhigend auf mich ein.

»Nein. Aber …« Schniefend lehne ich mich zurück, weiche jedoch Julias Blick aus. »Ich war panisch, als Ruben wegen meiner Familie gestichelt hat.«

»Arschloch«, presst meine Freundin zwischen den Zähnen hervor. »Der Mistkerl weiß doch, dass du deine Eltern sehr früh verloren hast.«

»Ja, und er ahnt wohl, dass ich nach ihm nie mehr etwas Ernsthaftes hatte.« Ich knete meine Finger. »Deswegen habe ich etwas Dummes gemacht.« Julia schweigt und wartet darauf, dass ich weiterspreche. Gott, ist mir das peinlich. »Ich habe behauptet, dass ich einen Verlobten hätte.«

Immer noch sagt Julia nichts. Also sehe ich auf. Sie mustert mich mit diesem verständnisvollen Blick, den nur jemand besitzt, der genau weiß, was in einem anderen vorgeht.

»Kann ich verstehen.« Sie reicht mir ein Taschentuch, mit dem ich mein Gesicht abtupfe. »Ich hätte vermutlich genau so gehandelt.«

»Nein. Du hättest Ruben mit Worten so klein gemacht, dass er unter dem Tisch verschwunden wäre.«

»Nur wenn er nicht mein Ex wäre, der mein Herz zerbrochen und meine ehemals beste Freundin geschwängert hat.« Julia greift nach den Weingläsern, wartet geduldig, bis ich meines nehme, und trinkt dann aus ihrem. »Die Frage ist jetzt nur, was du tun kannst. Immerhin hast du deinen potenziellen Geschäftspartnern einen Verlobten versprochen. Tante Rosa wird dich bestimmt decken, aber irgendwann werden Thorne&Smith deinen Partner kennenlernen wollen.« Sie nimmt noch einen Schluck. »Habt ihr schon einen Termin für ein Treffen?«

»Nein.« Ich atme geräuschvoll aus. »Aber selbst wenn sie ihn erst zu Weihnachten treffen wollen würden … das sind weniger als elf Wochen. Ich habe in drei Jahren niemanden gefunden, den ich überhaupt um ein zweites Date bitten wollte. Wie soll ich also in so kurzer Zeit einen Mann finden, der mir nicht nur gefällt, sondern der auch bereit ist, meinen Verlobten zu spielen, nur damit ich meinem Ex einen Deal vor der Nase wegschnappen kann?«

Ein seltsames Lächeln erscheint auf Julias Gesicht. »Willst du echte Liebe oder reicht es dir, wenn du einen Mann hast, den du präsentieren kannst, der dir hilft und dann möglicherweise wieder aus deinem Leben verschwindet?«

»Ich werde wohl beides nicht finden«, antworte ich frustriert und kippe den Wein hinunter.

»Doch.« Sie steht auf, eilt mitsamt ihrem mittlerweile leeren Weinglas zur Arbeitsinsel ihrer Küche, reißt eine Schublade auf und zieht etwas heraus. Breit grinsend kehrt sie zu mir zurück. »Hier. Das könnte die Lösung sein.«

Mit gerunzelter Stirn nehme ich ihr die Visitenkarte ab, die sie mir freudestrahlend hinhält. Das Papier funkelt im Licht, als bestünde es aus Perlmutt. In dunkelrosa verschnörkelter Schrift steht dort: Fairy Godfather Agency – Wir finden Ihren Prinzen für Sie.

Ich hebe den Blick, bis er auf Julias trifft. Sie lächelt und nickt wie ein Wackeldackel. »Was genau ist das?«

»Eine Agentur, die dir Männer vermittelt.«

Ächzend verdrehe ich die Augen. »Julia, ich brauche keine Kuppelagentur. Dating-Apps haben nicht funktioniert. Wieso sollte es hier anders sein?«

»Na, zum einen analysieren sie deine Wünsche, reden mit dir, schlagen dir aussichtsreiche Kandidaten vor für das, was du willst. Zum anderen geht es nicht darum, dich zu verkuppeln. Sie vermitteln Männer für bestimmte Anlässe.«

»Einen Call-Boy?« Ich schüttle den Kopf. »So verzweifelt bin ich nicht.«

»Süße, hör auf, in Schubladen zu denken, und hör mir zu.« Julia schenkt uns beiden mehr Wein ein. »Es ist nicht so, dass du dir diese Männer zu dir nach Hause bestellst, ihr ein bisschen … nennen wir es Spaß … habt und du sie dafür bezahlst. Du legst fest, wofür du einen Mann suchst. Viele meiner Freundinnen haben etwa jemanden gebucht, der sie zu Kunstausstellungen begleitet oder mal zu einer anderen Pflichtveranstaltung mitkommt. Mary, meine Fitnesstrainerin, hat sogar mal einen Mann gebeten, ihren festen Freund vor ihrer eigenen Familie zu spielen. Damit sie endlich Ruhe hat und nicht ständig gefragt wird, wann sie denn vorhat, zu heiraten und Kinder zu bekommen.«

Ich verziehe den Mund. »Also man bucht sozusagen einen Mann, der sich als Partner ausgibt, wenn man keinen hat, aber einen braucht?«

»Ganz genau. Das ist, gerade wenn man wie du erfolgreich im Business ist, ein Segen. Oft fehlt einfach die Zeit, eine richtige Beziehung aufzubauen.« Sie lächelt zwar, aber in ihrer Stimme schwingt Wehmut mit, die ich gut verstehen kann. »Jedenfalls habe ich so immer eine Begleitung, wenn ich auf Hochzeiten eingeladen werde oder zu einem Event muss, bei dem es seltsam aussieht, allein aufzukreuzen. Bei manchen Paaren entwickelt sich auch mehr. Es gibt zwar Regeln, dass alles nur in beiderseitigem Einverständnis passieren darf, aber abgesehen davon ist alles erlaubt.« Sie lehnt sich nach vorn, ein verschwörerisches Schmunzeln auf ihren Lippen. »Mary hat sich übrigens wirklich in ihren Alibi-Partner verliebt. Sie haben vor einem Jahr geheiratet. Und sie ist nicht die Einzige. Florence etwa ist auch mit ihrem Alibi-Partner zusammengekommen.«

»Obwohl er für diese Agentur arbeitet und andere Frauen trifft?« Ungläubig schüttle ich den Kopf. »Das ist doch …«

»So ist es ja nicht. Er hat dort aufgehört, als Mary sich für ihn entschieden hat.« Julia räuspert sich. »Es gibt da so ein ungeschriebenes Gesetz in der Agentur. Sie nennen es die drei-Dates-Regel. Das bedeutet, dass die Paare auf drei offizielle Dates gehen – also Veranstaltungen oder Familienfeste oder was auch immer. Dazwischen können sie sich natürlich auch sehen, um sich zu beschnuppern – das wird sogar empfohlen. Aber nach diesen drei offiziellen Terminen fragt Callahan, der Agenturleiter, ob sich das Paar etwas Ernstes vorstellen kann. Danach löst er den Vertrag für den Prinzen, wie er die Männer gerne nennt, auf.«

»Aber nur, wenn sie sich füreinander entscheiden?« Julia nickt. »Und du hast so einen Prinzen bereits gebucht?«

»Ja.« Sie seufzt. »Und ich hatte wirklich Hoffnung, dass ich auf diese Weise wie Mary oder Florence den Richtigen finde. Aber … er war bisher nicht dabei. Ich kann dir allerdings sagen, dass die Männer, die Callahan für dich auswählt, alle seinen Ansprüchen genügen müssen. Er bringt ihnen bei, wie man sich einer Frau gegenüber zu verhalten hat, zeigt ihnen, wie sie sich in der Gesellschaft, in der sich ihre Prinzessin bewegt, einfügen können. Du musst dir also keine Sorgen machen, dass dich ein solcher Mann blamiert. Und wenn du eben von vornherein erklärst, dass du jemanden brauchst, der vor Firmenkunden deinen Verlobten spielt, weist er den Prinzen entsprechend ein.«

Ich drehe die Karte in meiner Hand hin und her. »Ich weiß nicht. Das wirkt so … seltsam.«

»Dachte ich anfangs auch. Aber es wird immer schwieriger, den perfekten Mann zu finden und eine lange, glückliche Beziehung mit ihm zu führen. Trotzdem möchte man eben nicht bei jeder Hochzeit am Singletisch sitzen, oder?« Sie wirft mir einen mitfühlenden Blick zu. »Versuch es. Was hast du zu verlieren? Wenn Callahan nicht den passenden Mann für dich hat, musst du noch nicht mal etwas bezahlen. Erst wenn du verbindlich einen Prinzen buchst.«

Unschlüssig studiere ich den Spruch. Fairy Godfather Agency – Wir finden Ihren Prinzen für Sie.

Mit einem Seufzen lasse ich die Karte sinken. Habe ich denn eine Alternative? Nicht wirklich. Ich brauche einen Mann, der meinen Verlobten spielt. Und wenn dieser Callahan seine Prinzen wirklich für genau solche Situationen vorbereitet, ist das sicher besser, als wenn ich irgendeinen Schauspieler dafür engagiere. Was mein eigentlicher Plan gewesen wäre.

»Soll ich einfach dort anrufen und einen Termin machen?«, frage ich leise.

Julia lächelt. »Am besten gleich. Die haben einen vierundzwanzig-Stunden-Service, falls etwas passieren sollte.«

Sie sieht mich so aufgeregt an, dass ich meine Bedenken abschüttle, mein Handy herausziehe und die Nummer eingebe. Es läutet nur einmal, dann hebt eine Frau ab.

»Fairy Godfather Agency, Helen am Apparat. Wie können wir Ihren Märchenprinzen finden?«

Fast entschlüpft mir ein Lachen. Aber nur fast. »Hi, hier ist Sarah Morgan. Ich habe Ihre Karte von einer Freundin bekommen und ich …« Ich beiße mir auf die Unterlippe. »Ich suche einen Prinzen.«

* * *

In meinem Magen brodelt es. Was sicher daran liegt, dass es schon nach vier Uhr ist und ich heute noch nichts gegessen habe. Erst war in der Backstube die Hölle los, weil wir mit Bestellungen für Halloween überschüttet werden, und dann … kam mein Termin mit diesem Princemaker, wie Callahan Stirling genannt wird, immer näher.

Hätte Julia mich nicht bei der Konditorei abgeholt, wäre ich vermutlich gar nicht erschienen. Aber jetzt stehe ich vor dem Hochhaus und blicke die Fassade hinauf. In dem Gebäude befinden sich hauptsächlich Anwaltskanzleien. Dass hier eine Agentur ist, die Männer zu Prinzen ausbildet und an Frauen wie mich vermittelt, hätte ich nie gedacht.

»Callahans Büro ist ganz oben.« Julia hakt sich bei mir unter. »Der Ausblick ist toll. Wird dir bestimmt gefallen.«

»Kennst du diesen Callahan schon besser?«, frage ich überrascht.

Meine Freundin kichert leise. »Ein wenig. Ich war bereits mehrmals bei ihm. Mit ihm zu sprechen ist glaube ich der Hauptgrund, warum ich diese Agentur weiterhin nutze, obwohl ich bezweifle, dass ich hier mein perfect match finde.«

»Aber darum geht es doch gar nicht in erster Linie, oder?« Ich schiebe die Augenbrauen zusammen.

Julias Mundwinkel sinken. »Irgendwie schon. Ich hätte gerne eine Familie, weißt du.« Ich öffne die Lippen, doch sie lässt mich nicht zu Wort kommen. »Ich weiß schon, du und all meine anderen Freunde, ihr seid wie eine Familie für mich. Aber … ich würde gerne jemanden lieben und von ihm ebenso geliebt werden. Ich möchte Kinder. Nicht von einem anonymen Samenspender, den ich in einem Katalog ausgewählt habe. Sondern mit einem Partner.« Das verschmitzte Lächeln kehrt zurück. »Immerhin soll auch er mal die stinkenden Windeln wechseln und die Nächte durchmachen, damit ich schlafen kann.«

Sie lächelt immer noch, aber der Schmerz in ihren Augen ist für mich greifbar, weil er meinem so ähnlich ist. Ich tätschle ihren Arm, schenke ihr ebenfalls ein Lächeln, obwohl es so verkrampft ist, dass es wehtut.

»Du findest den Richtigen«, sage ich. »Vielleicht ist er gar nicht so weit weg.«

»Ja, vielleicht.« Verträumt schaut Julia zur Spitze des Gebäudes. Dann räuspert sie sich. »Aber heute geht es nicht um mich. Wir suchen einen Prinzen für dich. Also … lass uns reingehen, den Fragebogen ausfüllen und sehen, was Callahan zu bieten hat.«

Einmal atme ich durch, nicke und schreite mit Julia auf das Gebäude zu. Erstaunlicherweise bin ich wirklich gespannt, was mich erwartet. Vielleicht ist dieser Callahan tatsächlich die Lösung für mein Problem.

KAPITEL4

Finn

Schon der Warteraum dieser Agentur schüchtert mich ein. Oder eigentlich bereits das Gebäude, in dessen obersten Stockwerken die Räumlichkeiten der Fairy Godfather Agency liegen. Ich meine, jemand, der sich ein Büro in der Park Avenue leisten kann, muss mit seiner Arbeit richtig viel Geld verdienen.

---ENDE DER LESEPROBE---