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»Colin Hunter wird von mir begeistert sein. Er wird den Boden anbeten, auf dem ich schreite.« Meine Mundwinkel wandern hoch und Selbstsicherheit überkommt mich. Bis zu dem Moment, da sich jemand hinter mir räuspert. »Colin Hunter wird den Boden, auf dem Sie schreiten, eher nicht anbeten«, sagt eine tiefe, brummige Stimme. Bei ihrem Neuanfang als künftige Lady of Rosebury hat Rachel ein großes Problem – in Form eines attraktiven, aber mürrischen Schotten. Colin Hunter war in den letzten Jahren als Erbe ihres Vaters vorgesehen und hat sich um die Whiskybrennerei der Grafschaft gekümmert. Natürlich ist er alles andere als begeistert davon, dass Rachel all das geschenkt bekommen soll, wofür er hart gearbeitet hat. Also schlägt er ihr eine Wette vor, um zu entscheiden, wer von ihnen Nachfolger des Earl werden soll. Rachel stimmt zu, entschlossen, sich ihr Erbe zu verdienen und Colin auf diese Weise von sich und ihren Fähigkeiten zu überzeugen. Je mehr Zeit die beiden miteinander verbringen, desto mehr kann Rachel hinter Colins dicke Mauern blicken. Und dort entdeckt sie einiges, mit dem sie nicht gerechnet hat … Spicy Einzelband (kann aber in Kombination mit »Taste of Pleasure - Ein Boss zum Verlieben« gelesen werden) im malerischen Schottland und einem sturen Highlander mit einem Herz aus Gold.
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Copyright © 2024 by Lilly Autumn
c/o WirFinden.Es
Naß und Hellie GbR
Kirchgasse 19
65817 Eppstein
www.lillyautumn.at
Umschlaggestaltung: Madeleine Hirdt
Lektorat&Korrektorat: Julie Roth
Satz: Bettina Pfeiffer
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Für Dich. Falls es Dir noch niemand gesagt hat: Du bist eine echte Lady und jeder, der das anders sieht, verdient Dich nicht in seinem Leben!
1. Rachel
2. Colin
3. Rachel
4. Colin
5. Rachel
6. Colin
7. Rachel
8. Colin
9. Rachel
10. Colin
11. Rachel
12. Colin
13. Rachel
14. Colin
15. Rachel
16. Colin
17. Colin
18. Rachel
19. Rachel
20. Colin
21. Rachel
22. Colin
23. Rachel
24. Colin
25. Rachel
26. Colin
27. Rachel
Epilog - Colin
Danksagung
Was wäre ein Happy End - ohne eine Hochzeit?
Über den Autor
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Einatmen, ausatmen, sage ich mir selbst gedanklich immer wieder vor, während ich aus dem Fenster des Autos starre. Obwohl bereits Anfang November ist, ist das Gras noch saftig grün. Liegt wohl an dem Klima der schottischen Highlands. Die Bäume, welche den Weg zum Anwesen meines Vaters säumen, haben da weniger Glück gehabt. Ihre kahlen, dunklen Äste wirken unfreundlich und so, als wollten sie mich dazu bewegen, umzudrehen.
Vielleicht sollte ich das.
Zwar war ich in den letzten Monaten immer wieder hier, weil mein Vater krank war und ich ihn sehen wollte. Aber das waren eben nur Besuche. Jetzt komme ich, um zu bleiben.
Möglicherweise war meine Idee, den Titel und die Brennerei meines Vaters zu übernehmen, doch nicht so grandios, wie ich zuerst gedacht habe.
Was mache ich nur hier?
Ach ja, vor meinem bisher so verkorksten Leben davonlaufen. Genau, das war es.
Mein Vater bietet mir einen Neuanfang. Einen, den ich dringend brauche. Warum habe ich dann solche Angst, zu versagen?
Ich wünschte, Mum wäre mit mir gekommen. Herrgott, wie das klingt. Ich bin dreiunddreißig und komme nicht ohne meine Mama klar. Peinlicher geht es nicht mehr. Allerdings hätte ihre Anwesenheit mir den Mut gegeben, den ich dringend brauche. Immerhin habe ich keine Ahnung, wie ich mich als künftige Lady of Rosebury zu benehmen habe.
»Muss ich es eben allein schaffen«, murmle ich meinem Spiegelbild in der Fensterscheibe zu.
»Haben Sie etwas gesagt, Madam?«, fragt der Fahrer.
Es ist mir unangenehm, ich habe seinen Namen vergessen, obwohl er ihn mir vorhin am Bahnhof genannt hat. Mit Namen kann ich nämlich nicht besonders gut.
»Oh, nein, Entschuldigung, nur ein kleines Selbstgespräch.« Ich kichere verlegen und schaue weiter aus dem Fenster.
Nebel kriecht vor dem Anwesen über den Boden, verschlingt die grünen Wiesen und zeichnet ein düsteres Bild. Die Bäume, die am Straßenrand wachsen, sehen noch bedrohlicher aus als jene, an denen ich bisher vorbeigekommen bin.
Ob das ein Omen ist?
Sollte ich doch umkehren?
Nervös knete ich meine Finger und starre zu dem altertümlich anmutenden Schloss, das einst mein Zuhause war und sich jetzt so fremd anfühlt. Werde ich mich in der Gesellschaft zurechtfinden? Passe ich hier überhaupt her?
Ich werde es auf mich zukommen lassen müssen, denn zurück nach Österreich kann ich nicht gehen.
Der Wagen rollt über den Schotter der kreisrunden Einfahrt direkt vor dem Schlosseingang. Ein Mann in dunklem Anzug steht auf der Treppe vor der Tür. Kaum hält das Auto, bewegt er sich darauf zu. Der Fahrer murmelt etwas, ehe er aussteigt.
Schnell taste ich nach meinem schwarzen Barett, das ich immer trage, atme durch und öffne die Tür. Als ich aussteige, sehen mich sowohl der Fahrer als auch der Mann im Anzug mit großen Augen an.
»Vergeben Sie mir, Madam, dass ich Sie warten ließ«, stammelt der Butler.
Ich versuche, mich an seinen Namen zu erinnern. Haggis? Oder war das diese fürchterliche Speise mit Schafsmägen und der Mann heißt Higgins?
»Oh, Sie haben mich nicht warten lassen«, erwidere ich mit einem unsicheren Lächeln. »Ich habe nur … Hätte ich die Tür nicht selbst öffnen sollen?«
Haggis-Higgins verschränkt die Hände hinter dem Rücken. »Madam, es ist mir eine Ehre, die Autotür für Sie zu öffnen.«
Sein harter schottischer Dialekt schlägt mir entgegen und es fällt mir schwer, ihn richtig zu verstehen. Als wir Schottland verlassen haben, war ich ein kleines Kind. Zwar hat Mum darauf bestanden, dass ich mir in Englisch in der Schule besonders Mühe gebe – und ich bin auch stolze Besitzerin eines Cambridge Certificate –, aber der schottische Dialekt ist eine Herausforderung. Anders als mein älterer Bruder Duncan, bei dem ab und an noch zu hören ist, dass Deutsch nicht seine erste Sprache war, habe ich mich nämlich sehr von meinen sprachlichen Wurzeln verabschiedet.
»Entschuldigen Sie, Higgins«, sage ich und betrachte den Butler, der keine Miene verzieht. Also ist das wohl sein Name. »Ich versuche, mich daran zu gewöhnen, die Autotür nicht selbst zu öffnen.«
Wieder lächle ich, doch Higgins verzieht immer noch keine Miene. »Sehr wohl, Madam. Darf ich Ihnen mit Ihrem Gepäck helfen?«
Sein Blick gleitet zu der großen Tasche, die ich mit mir aus dem Auto gehievt habe. Ich ziehe sie enger an mich.
»Die trage ich selbst, danke. Mit den beiden Koffern könnte ich aber Hilfe gebrauchen. Die restlichen Sachen werden laut Spedition im Laufe der Woche geliefert«, verkünde ich in perfektem Cambridge-Englisch.
Higgins neigt den Kopf. »Sehr wohl, Madam, ich lasse Ihre Koffer in Ihr Zimmer bringen. Erlauben Sie mir, Sie zuerst in den Salon des Earl zu begleiten.«
Mein Herz schlägt wild in meiner Brust. Letzte Chance, umzudrehen. Noch kann ich Dorian sagen, dass ich es mir anders überlegt habe.
Reiß dich zusammen, schimpfe ich mich selbst in Gedanken und straffe die Schultern.
»Sehr gerne«, sage ich laut. »Bitte bringen Sie mich zu meinem Vater.«
Higgins dreht sich elegant um und schreitet voran zum Schloss. Ich sehe den Fahrer an, der in etwa so alt sein dürfte wie ich, und schenke ihm ein Lächeln. »Danke, dass Sie mich abgeholt haben.«
Er senkt den Blick. »Madam.«
Mehr sagt er nicht. Okay, vielleicht war das wieder falsch. Ich muss wohl noch viel lernen.
Da Higgins bereits die oberste Stufe erreicht hat, eile ich ihm hinterher. Die Tasche ist verflucht schwer, aber ich möchte sie nicht im Wagen lassen. Oder Higgins geben. Ich bin eine emanzipierte Frau, die ihre viel zu schwere Tasche selbst schleppen kann.
Kaum betrete ich das Schloss, beschleunigt sich mein Herzschlag. Das Gebäude ist mehrere Hundert Jahre alt und seit vielen Generationen im Familienbesitz der McFinleys. Mit den dicken, dunklen Mauern und schmalen Fenstern, die kaum Licht ins Innere lassen, erinnert es mich an eine mittelalterliche Festung. Rosebury Manor müsste dringend ins einundzwanzigste Jahrhundert gebracht werden. Vielleicht gelingt mir das ja.
Wortlos führt Higgins mich durch die Eingangshalle, in der Ritterrüstungen vor sich hinstauben. Alte Banner hängen von den Wänden und etwa fünf Meter über unseren Köpfen flackert ein Kronleuchter, als würden noch echte Kerzen darin brennen und keine elektrischen Lichter. Ja, das Schloss braucht dringend ein wenig Zuwendung.
Der Gedanke verhärtet sich, während ich Higgins weiter folge, vorbei an der Treppe, die in den Wohntrakt führt. Teppiche liegen auf dem Boden. Ich schätze, sie waren mal leuchtend rot, jetzt sehen sie aus, als wären sie seit mindestens zwanzig Jahren nicht mehr gereinigt worden. Ein gräulicher Schleier hat sich über das Gewebe gelegt. Die sollten wir schleunigst austauschen lassen. Jemand mit einer Stauballergie stirbt hier sonst nämlich.
Vor der Tür aus dunklem Holz bleibt Higgins stehen, wirft mir einen Blick über die Schulter zu, als wäre er sich nicht sicher, ob ich noch hinter ihm bin, und klopft. Geduldig wartet er auf die Antwort von drinnen, öffnet erst danach und lässt mich eintreten.
»Lady Rachel, Mylord«, sagt der Butler in versnobtem Ton.
Sofort fällt mein Blick auf Dorian, der in seinem Rollstuhl am Feuer sitzt. Schläuche stecken in seiner Nase, weil er ohne Hilfe nicht mehr atmen kann. Er sieht auf und schenkt mir ein Lächeln.
»Rachel«, krächzt er.
Ich eile zu ihm und sinke vor ihm in die Hocke, damit wir uns umarmen können. »Hallo, Paps«, sage ich heiser.
Dorian ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Wobei … so genau weiß ich das nicht. Meine Erinnerungen an ihn sind nicht besonders klar. Als er sich von meiner Mutter getrennt hat, weil seine Eltern das wollten, war ich fünf. Ich weiß also nicht mehr, ob Dorian jemals die Stärke besessen hat, die Duncan ausstrahlt – obwohl Mum oft meint, die beiden wären sich ähnlich. Wenn ich meinen Vater so ansehe, kann ich das nicht glauben.
»Darf ich Tee servieren, Sir?«, fragt Higgins, nachdem ich Dorian losgelassen habe.
»Ich bitte darum«, erwidert dieser und sieht mich an.
So anmutig wie möglich lasse ich mich auf dem Sessel vor ihm nieder. Seine Hände zittern, als er nach meinen greift. Sanft streiche ich über die wächserne Haut.
»Wie geht es dir?«, frage ich.
Er verzieht den Mund. »Wie es einem eben so geht, wenn man von einem Gerät beatmet wird.«
»Also fühlst du dich, als würdest du schweben?«, scherze ich.
Tatsächlich lächelt er. »Ein wenig. Vor allem jetzt, da du hier bist.« Er drückt meine Hände. »Ich freue mich.«
»Ich mich auch«, sage ich und meine es vollkommen ernst. »Danke, dass du für mich gekämpft hast.«
Mein Vater zuckt leicht zusammen und ich bereue meine Wortwahl. Genau das hat er nämlich nicht getan – für uns gekämpft. Als seine Eltern forderten, dass er sich von Mum trennt, hat er schnell nachgegeben und erneut geheiratet. Nur weil seine neue Frau Mabel keine Kinder bekommen hat, sitze ich jetzt hier. Denn nach dem Tod seines älteren Bruders war Dorian der einzige Erbe seines Vaters. Es gibt noch einen weit entfernten Zweig der Familie, der erben könnte, allerdings sind sie nur noch über zwölf Ecken oder so mit uns verwandt. Damit ist ihr Anspruch eigentlich nicht existent. Duncan, der meinem Vater hätte folgen sollen, hat abgelehnt. Einmal kommt mir die Sturheit meines Bruders zugute, denn nur so habe ich die Chance auf diesen Neuanfang erhalten.
Was nach mir geschieht, ist jedoch fraglich. So unfähig, wie ich bin, Beziehungen zu führen, werde ich wohl keine Kinder bekommen und somit keinen Erben haben. Aber das sollte mich jetzt noch nicht bekümmern.
»Ist Mabel nicht hier?«, frage ich, um meine Gedanken zum Verstummen zu bringen.
Dorian räuspert sich. »Sie ist bei einem Blumenfest im Dorf und erst gegen Abend zurück.«
Ich nicke nur. Die zweite Ehe meines Vaters war keine Liebesheirat. Er hat die Frau geheiratet, die seine Eltern für angemessen erachtet haben. Mabel war Mum, Duncan und mir gegenüber immer höflich, aber kühl. Ich kann es ihr nicht verdenken. Ohne eigene Kinder wird sie nur eine Abfindung bekommen, wenn mein Vater stirbt. Außerdem sind mein Bruder und ich der Beweis, dass Dorian sehr wohl in der Lage war, Kinder zu zeugen. Nur mit Mabel nicht. Das scheint an ihr zu nagen.
Als Higgins klopft und Dorian ihn hereinbittet, richte ich mich kerzengerade auf. Geschirr klimpert auf dem silbernen Tablett, das der Butler auf einen kleinen Tisch stellt, ehe er ihn näher an Dorian und mich heranzieht. Der Duft von Pfefferminztee steigt mir in die Nase.
»Den liebe ich«, sage ich mit einem Lächeln.
Dorian schmunzelt. »Ich weiß, deswegen habe ich ihn vorbereiten lassen. Auch die Scones mit Clotted Cream sind nur für dich.«
»Du verwöhnst mich«, murmle ich und nicke Higgins zu, als er mir eine Tasse anbietet.
Er schenkt auch Dorian ein, verneigt sich und geht wieder. Als er fort ist, atme ich geräuschvoll aus.
»Du wirst dich an den Umgang mit dem Personal gewöhnen«, meint Dorian. »Und sie sich an dich.«
Statt zu antworten, nippe ich an dem heißen Tee und schaue seufzend in das Feuer.
»Ich werde dir vor dem Nachmittagstee die Belegschaft im Haus vorstellen«, erklärt Dorian. »Sie wissen natürlich, dass du kommst, aber ich möchte, dass du ihre Gesichter und Namen kennst.«
Ich verkneife mir zu sagen, dass ich mir ihre Namen sicher nicht richtig merken werde. Dorian gibt sich Mühe, also werde ich das auch tun. Ich muss nur aufpassen, dass ich meine Unsicherheit nicht unter zu viel Lebhaftigkeit verstecke. Das mache ich nämlich gerne. Bei meiner Familie ist das nicht schlimm, aber hier, im konservativen Schottland, könnte es katastrophale Auswirkungen haben.
»Außerdem habe ich meine rechte Hand in der Brennerei zum Dinner eingeladen«, sagt Dorian.
Fast fällt mir die Teetasse aus der Hand. »Warte, was? Wieso so früh schon?«
Dorian mustert mich mit hochgezogener Augenbraue. »Damit du ihn kennenlernst? Immerhin … wird er dir in der Brennerei alles zeigen und dir die Belegschaft dort vorstellen.«
»Ich dachte, das wirst du machen«, stammle ich.
Seufzend schüttelt Dorian den Kopf. »So gerne ich das würde, ich halte es für keine gute Idee. Die Fahrt dorthin ist nicht lang, aber ich bin schon müde, wenn ich mich morgens umziehe. Die Leute in der Brennerei sollen nicht wissen, wie schlecht es um mich steht.«
Ich öffne den Mund, um etwas zu erwidern, schlucke die Worte aber hinunter. Mit seinen hängenden Schultern und seinem gesenkten Blick ist Dorian anzusehen, dass er sich unwohl fühlt.
»Okay.« Ich schnappe mir einen Scone und streiche etwas von der hellen Creme darauf. »Was muss ich über den Kerl wissen, damit ich ihn davon überzeugen kann, mit mir zusammenzuarbeiten?«
Dorian lacht. Es klingt, als würden zwei Metallplatten übereinander reiben. »Das ist die richtige Einstellung. Wobei Colin ein guter Mann ist. Er hat die Leitung vor knapp zwei Jahren übernommen, ist verlässlich, kennt sich gut aus, arbeitet hart. Seine Loyalität gehört dem Earldom und somit auch dir.«
Wieder schlucke ich die Worte, die mir auf der Zunge liegen, hinunter, gemeinsam mit einem großen Bissen Scone. Dieser Colin mag seinem Earl ergeben sein, mich aber kennt er nicht. Ich kann mir vorstellen, dass es ihm nicht leichtfallen wird, die Tochter seines Lairds, die fast dreißig Jahre lang keinen Tag in Schottland verbracht hat, als künftige Lady zu akzeptieren. Zumindest würde ich mich damit schwertun.
»Dann sollte ich mich vielleicht in die Unterlagen der Firma einarbeiten«, murmle ich, verputze den Rest des Scones und wische meine Finger an einer Serviette sauber, statt sie abzulecken. Ein wenig Klasse besitze ich also doch schon.
»Mach das.« Dorian lehnt sich im Rollstuhl zurück. »Soll ich Hastings sagen, dass er in deinem Zimmer mehr einheizen soll?«
»Wer ist Hastings?«
Dorians Mundwinkel zucken. »Der Butler.«
»Oh Mist, ich habe ihn Higgins genannt.«
»Mach dir nichts draus.« Mein Vater tätschelt meine Hand. »Du bist heute bestimmt aufgewühlt. Da passiert so etwas.«
»Hm«, mache ich und lege den Kopf schief. »Aber warum sollte er in meinem Zimmer mehr einheizen? Ist es dort kälter als hier?«
Dorian tippt sich an die Schläfe. »Weil du eine Kopfbedeckung trägst.«
»Paps.« Ich verdrehe die Augen. »Ich trage das Barett immer. Es … gehört zu mir.«
»Also ist es wie … Schmuck?« Er sieht mich belustigt an. »Ich habe mich nie getraut, danach zu fragen, als du nur zu Besuch hier warst.«
»So in der Art. Es … gehört eben zu mir«, wiederhole ich meine Worte, weil sie stimmen. Seit ich acht Jahre alt war, habe ich immer ein Barett getragen. Nur nachts nicht. Oder bei besonderen abendlichen Veranstaltungen, zu denen es nicht gepasst hätte.
»Verstehe.« Dorian bedenkt mich mit einem warmen Blick. »Dann habe ich nicht gefragt.«
Ich ringe mir ein Lächeln ab. »Okay. Ich gehe mal in mein Zimmer, packe aus – sofern Hastings das nicht übernommen hat – und lese mich in die Unterlagen der Brennerei ein. Hast du einen Tipp, was ich zum Abendessen tragen soll?«
»Ein schwarzes Cocktailkleid und ein Überwurf aus dem Plaid unseres Clans wären angemessen«, sagt Dorian. »Ob das Barett dazu passt, weiß ich nicht.«
»Ausnahmsweise kann ich darauf verzichten«, erwidere ich, stehe auf und umarme meinen Vater behutsam. »Danke noch mal, dass ich hier sein darf. Ich … danke.«
Dorian sagt nichts, drückt mich nur an sich. Er gibt mich erst frei, als ich mich von ihm löse. Seine Augen schimmern und er gibt sich keine Mühe, die Tränen wegzuwischen.
»Tut mir leid, dass ich nicht früher versucht habe, euch zu sehen«, krächzt er. »Ich habe so viel verpasst.«
»Jetzt bin ich ja da.« Mit einem Lächeln, das meine Muskeln krampfen lässt, nehme ich seine Hände noch einmal in meine. »Wir werden uns besser kennenlernen. Vermutlich wirst du mich in wenigen Tagen wieder loswerden wollen, aber da musst du durch.«
Paps bleibt ernst. »Niemals. Ich bin … so froh, dass du mir vergeben kannst.«
Da mir erneut die Worte fehlen, hauche ich einen Kuss auf seine Stirn. Lächelnd trete ich zurück, verabschiede mich und verlasse den Salon.
Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen habe, lehne ich mich dagegen und atme gegen die Enge in meiner Brust an. Meine Therapeutin meinte, ich müsse meine Probleme mit Paps in den Griff kriegen, um voranzukommen. Dass sämtliche Beziehungen, die ich bisher geführt habe, nicht nur grandios gescheitert sind, sondern auch Narben auf meiner Seele hinterlassen haben, liege daran, dass ich die falschen Männer aussuche. Männer, die in gewisser Weise wie mein Vater sind und mich im Stich lassen, wenn ich sie brauche.
Paps und ich haben diesen Neuanfang beide bitter nötig. Wenn es mir nämlich nicht gelingt, meiner Vergangenheit zu verzeihen, wird es vermutlich keine erstrebenswerte Zukunft für mich geben.
Mit hinter dem Rücken verschränkten Händen schreite ich zwischen den riesigen Kupfertanks hindurch, in denen der Whisky gebrannt wird. Der Geruch von Mais und Roggen liegt in der Luft. Zum ersten Mal in der Geschichte der Rosebury Distillery haben wir uns an einer Bourbon-Whisky-Mischung versucht. Ich bin schon gespannt, wie das Ergebnis aussehen wird, nachdem der Alkohol in den eigens dafür bestellten Fässern ausgereift hat.
Falls ich dann noch hier bin. Seit dem Brief, den ich heute Morgen erhalten habe, bin ich mir nämlich nicht mehr sicher, wie meine Zukunft aussehen wird.
Erst habe ich mich über die Einladung des Earl gefreut. Immerhin bin ich seit Jahren seine rechte Hand in der Brennerei und habe all seine Tätigkeiten übernommen, als er dafür zu krank wurde. Ich war mir sicher, er würde mir mitteilen, dass er mich offiziell zu seinem Erben macht. Da mein Vater nicht mehr lebt, bin ich der nächste Verwandte des Earl. Was traurig ist, da der Anwalt meiner Mutter mir erklärt hat, dass ich ein Cousin zwölften Grades bin. Dass das reichen könnte, um einmal den Titel und die Ländereien der McFinleys zu übernehmen, hat mich überrascht.
Noch mehr hat mich allerdings überrascht, dass der Earl doch Kinder aus einer früheren Ehe hat. Bisher waren sie wie vom Erdboden verschluckt, doch jetzt, da der Earl im Sterben liegt, tauchen sie auf. Aasgeier.
Dass ausgerechnet die jüngere Tochter sich hier einquartiert, weil sie offensichtlich den Titel und die dazugehörende Brennerei übernehmen will, stößt mir noch bitterer auf. Und genau diese Person soll ich heute beim Dinner kennenlernen. Das hat mir zu meinem Glück noch gefehlt.
Schnaubend fahre ich mir durch die Haare und wende mich einem der Pot Stills, wie die Kupferkessel zum Brennen heißen, zu. Der Whisky in diesem Kessel wird gerade das dritte und letzte Mal gebrannt. Danach füllen wir ihn in ein Eichenfass ab, das aus dem Weingut des Earl-Sohnes stammt. Wir haben ihm ebenfalls Fässer geschickt, damit er seinen Wein darin reifen lassen kann. Gegen diese Zusammenarbeit habe ich nichts. Der Sohn des Earl hat auf den Titel verzichtet, will lediglich diese Kooperation mit der Brennerei. Seine Schwester allerdings …
Wut kriecht in mir hoch. Vermutlich ist sie ein verzogenes Gör, das nie gearbeitet hat und jetzt auftaucht, weil sie denkt, es wäre schön, Lady zu spielen. Sie ist nicht in Schottland aufgewachsen, kennt weder die Menschen ihrer Grafschaft noch die Gepflogenheiten. Soweit ich informiert wurde, hat sie als Grafikdesignerin in Österreich gearbeitet und nicht auf dem Weingut der Familie. Sie macht sich also sicher nicht die Hände schmutzig. Ihren Vater hat sie nie besucht, ist erst aufgetaucht, nachdem sie erfahren hat, dass er im Sterben liegt. Das sieht verdammt nach Erbschleicherei aus.
Mit solchen Frauen kann ich nichts anfangen. Doch ausgerechnet ich werde ihr heute vorgestellt. Vermutlich erwartet der Earl, dass ich seiner Tochter den Betrieb erkläre und ihn weiterhin für sie führe, damit sie sich nicht überanstrengen muss. Da sie bald meine Lady wird, schulde ich ihr Loyalität. Bei dem Gedanken wird mir übel.
»Colin, die Lieferung der Weinfässer ist da«, sagt Pat, mein bester Freund seit Kindheitstagen.
Wir haben zusammen in der Brennerei begonnen und als ich aufgestiegen bin, habe ich ihn ebenfalls befördert. Auf ihn kann ich mich verlassen. Er ist immer da, wenn ich ihn brauche, egal ob ich etwas feiern will oder Zuspruch benötige. Pat war da, als mein Leben eine unschöne Wendung genommen hat. Ich sollte mit ihm über diese Einladung reden …
»Schön, hast du sie kontrolliert?«, frage ich, ohne meinen Blick von dem Tank zu nehmen.
»Jup.«
»Zweimal?«
»Himmel, Colin, ich habe sie gründlich kontrolliert, wozu sollte ich das ein zweites Mal machen?«
Ich wende mich ihm zu. »Das ist Vorschrift, weil diese Fässer unglaublich wichtig sind, und das weißt du. Wenn sie ein Leck haben, und sei es noch so klein, ist das eine Katastrophe. Falls sie beim Transport einen Schaden genommen haben, müssen wir es melden. Und sollte eine Verunreinigung darin sein, verdirbt sie den Whisky.«
Mein bester Freund sieht mich mit verengten Augen an. Seine Wangen färben sich dunkler und ich könnte schwören, dass Rauch aus seinen hellbraunen Haaren aufsteigt.
»Denkst du, ich wäre unfähig, meinen Job zu machen?«, fragt er gereizt. »Das weiß ich alles. Die Fässer sind in Ordnung, glaub mir.«
Ich zucke mit den Schultern. »Gut, dann kontrolliere ich sie noch einmal.«
Als ich mich in Bewegung setzen will, versperrt Pat mir den Weg. »Schon gut. Ich gehe ein zweites Mal.« Kopfschüttelnd wendet er sich ab und murmelt leise: »Du solltest dich echt mal wieder flachlegen lassen, dann bist du vielleicht entspannter.«
Die Worte ignoriere ich bewusst. Pat weiß nämlich sehr genau, warum ich mich nicht einfach flachlegen lasse.
Von Frauen habe ich genug. Ich will weder eine Beziehung mit einer noch ein lockeres Abenteuer, weil ich für so etwas einfach nicht der Typ bin. Mich auf jemanden einzulassen, würde heißen, ein Stück meiner selbst herzugeben. Und nach meiner Ex bin ich dazu nicht mehr bereit.
Gott, wenn ich so darüber nachdenke … ich habe seit zwei Jahren weder eine Frau geküsst noch mit einer geschlafen. Vielleicht hat Pat recht und ich sollte etwas … Druck abbauen. Vor heute Abend wird das aber nichts mehr.
»Pat!«, rufe ich meinem Freund nach.
Mit finsterem Blick dreht er sich zu mir um. »Ja, Boss?«
Seine Stimme trieft vor Hohn. Ja, ich bin sein Boss, aber er spricht mich nur mit diesem Titel an, wenn er sauer ist.
»Komm nachher in mein Büro. Wir müssen den Whisky aus dem letzten Jahr verkosten, um zu sehen, ob er richtig reift.«
Pat stößt die Luft aus. »Ist das ein Friedensangebot?«
Wie gerne würde ich Ja sagen. Aber ich mache das hauptsächlich deswegen, weil ich dringend mit ihm reden muss.
»Komm einfach, wenn du mit der Kontrolle fertig bist«, antworte ich.
Pat gibt eine Mischung aus Schnauben und Knurren von sich, wendet sich ab und stapft auf den Ausgang der Halle zu.
Einen Moment sehe ich ihm nach, dann mache auch ich kehrt und gehe in den Keller, wo wir den Whisky in Fässern lagern. Der Geruch von würzigem Holz schlägt mir gemeinsam mit der kühlen Luft entgegen. Ich liebe diesen Ort. Er ist still und verströmt einen Duft von Behaglichkeit für mich.
Eigentlich müssten wir den Whisky nicht verkosten. Er lagert seit knapp einem Jahr hier, ist also längst nicht fertig und es ist noch zu früh, um festzustellen, ob er umgelagert werden muss. Aber ich habe eine Ausrede gebraucht. Und um ehrlich zu sein, brauche ich auch etwas, um meine Gedanken durchzuspülen. Was eignet sich da besser als halb fertiger Whisky?
Ich schnappe mir eine kleine Karaffe und fülle eine Kostprobe von der letzten Produktion ab, die ich aus einer Öffnung oben am Fass entnehme. In eine weitere Karaffe schöpfe ich den Whisky aus meinem ersten Jahr als Leiter, schwenke das Glasgefäß und lächle. Die Farbe der Flüssigkeit ist etwas dunkler als jene des Whiskys vom letzten Jahr, der Geruch intensiver. Das wird ein guter Jahrgang.
Mit beiden Gefäßen in den Händen kehre ich in die Halle zurück und gehe zu meinem Büro. Auf dem Weg dorthin begegne ich einigen Arbeitern, die mich freundlich grüßen. In meinen zwei Jahren als ihr Vorgesetzter habe ich mich um sie gekümmert, immer ein offenes Ohr für sie gehabt und sie unterstützt, wo es ging. Es waren keine leichten Zeiten und die Abwesenheit des Earl hat einige verunsichert. Vermutlich wissen sie nicht einmal, wie schlecht es um ihn steht, weil er das verheimlichen möchte. Ich frage mich wozu. So, wie ich es verstanden habe, bleibt ihm nicht mehr viel Zeit.
Ich schiebe die Gedanken von mir und betrete mein Büro. Die Wände des Zimmers sind mit Eichenholzpaneelen verkleidet, die Möbel aus einem noch dunkleren Holz. Der Sessel ist mit dunkelbraunem Leder bezogen und vermutlich älter als ich. Aber er ist bequem und ich verbringe ohnehin nur so viel Zeit wie nötig in diesem Raum. Lieber bin ich draußen, rede dort mit den Leuten. Aber für manche Tätigkeiten brauche ich eben einen Schreibtisch. Etwa, wenn ich die Abrechnungen kontrollieren muss oder Lieferscheine absegnen und bezahlen soll.
Da die Luft ein wenig abgestanden ist, öffne ich ein Fenster und lasse die kühle Brise herein. Für Anfang November ist es bereits ziemlich kalt und dichter Nebel sammelt sich vor der aus braunem Stein gebauten Brennerei. Mein Blick wandert zu dem breiten Schiebetor aus Holz, vor dem Pat gerade die Fässer umrundet und dabei etwas auf seinem Klemmbrett vermerkt.
Bevor er mich entdeckt, wende ich mich ab und betrachte den aufgeräumten Schreibtisch. Dort, mitten auf der polierten Tischplatte, liegt das Kuvert mit dem Siegel des Earl. Ich starre den Umschlag an, als könnte ich ihn so dazu zwingen, sich in Luft aufzulösen und die Einladung rückgängig zu machen. Aber das wird nicht gelingen.
Um mich abzulenken, hole ich Gläser aus einem Schrank, platziere sie neben den beiden Karaffen auf dem Schreibtisch und wende mich dann einem Ordner mit Lagerbeständen zu. Die habe ich zwar heute schon kontrolliert, aber ich muss die Zeit überbrücken, bis Pat hier erscheint.
Es dauert eine Weile, dann klopft es an der Tür. Musik in meinen Ohren.
»Komm rein«, sage ich und schließe den Ordner.
Mit finsterer Miene tritt mein bester Freund ein. »So, doppelt kontrolliert und immer noch keine Beschädigung gefunden«, verkündet er. »Zufrieden?«
Ich nicke und deute auf die Karaffen. »Dann hast du dir eine Kostprobe verdient.«
Pat verzieht den Mund. »Hast du wirklich das Zeug vom letzten Jahr abgefüllt?«
»Ja, und den Whisky von vor zwei Jahren.«
Sein Blick wird weicher. »Das klingt schon besser.«
Pat schließt die Tür und kommt zu mir.
»Aber erst den jüngeren«, sage ich.
»Meinetwegen.«
Ich schenke uns jeweils einen Shot in die bauchigen Verkostungsgläser ein. Die Farbe dieses Whiskys ist noch ziemlich hell, fast wie ein Weizenbier. Der Geruch ist scharf und nicht ausbalanciert. Man kann den Whisky bedenkenlos trinken, ein Genuss ist es aber bestimmt nicht.
»Na dann.« Ich hebe mein Glas und grinse Pat an. »Auf die Freundschaft.«
»Sláinte.«
Wir stoßen an und nehmen beide einen Schluck. Pat hustet und klopft sich auf das Brustbein.
»Fuck, das Zeug ist noch scharf«, ächzt er.
Ich nicke nur, weil meine Stimme sonst so kratzig klingen würde wie die meines besten Freunds. Die Blöße will ich mir nicht geben.
»In welchen Fässern reift dieser Whisky?«, will Pat wissen.
Ich räuspere mich. »Eichenholz aus Glasgow.« Bedächtig drehe ich das halb volle Glas in meiner Hand. »Ich glaube, es täte ihm gut, wenn wir ihn in ein anderes umlagern.«
»Verdammt richtig.« Pat stellt das Glas weg. »Und jetzt raus mit der Sprache. Was ist los?«
Meine Mundwinkel zucken, ich kann das Grinsen aber gerade noch unterdrücken. »Du kennst mich echt gut.«
»Jap. Du bist immer ein pedantischer Kontrollfreak, wenn es um die Arbeit geht, aber heute hast du den Vogel abgeschossen. Also, was hat dir so die Laune verhagelt, dass wir um elf Uhr vormittags ein Whisky-Tasting machen?«
Statt zu antworten, schiebe ich den jungen Alkohol zur Seite und schenke uns den zweijährigen Whisky mit der honiggelben Farbe ein. Er wird auch noch nicht vollmundig und ausgewogen sein, aber sicher besser als das Zeug gerade eben.
»Colin.« Pat legt eine Hand auf meine Schulter. »Hat Jenny sich gemeldet?«
Beim Namen meiner Ex ziehen sich meine Eingeweide zusammen. Schnell schüttle ich den Kopf.
»Mit ihr hat das nichts zu tun«, sage ich und hoffe, mein gereizter Tonfall schreckt meinen Freund genug ab, um das Thema zu vergessen. »Es geht um den Earl.«
Ich wische Pats Hand von meiner Schulter, greife nach dem Umschlag und reiche ihn meinem Freund. Der zögert, zieht dann aber die Einladung heraus. Sein Keuchen ist ohrenbetäubend laut.
»Er hat eine Tochter?«, platzt es aus ihm heraus.
Wortlos reiche ich Pat ein Glas und stoße mit ihm an. Diesmal wird die Schärfe des Alkohols von einer warmen Süße abgemildert. Die Aromen des Eichenholzes mischen sich mit denen der Gerste, aus welcher dieser Whisky gebraut wurde. Würde mein bester Freund mich nicht entsetzt anschauen und die Einladung zum Dinner in der Hand halten, würde ich darüber lächeln. Dieser Whisky wird bestimmt verdammt gut, wenn er fertig gereift ist.
»Colin, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen«, fordert Pat.
»Mehr als das, was auf dem Wisch steht, weiß ich auch nicht«, erwidere ich, während ich die honiggoldene Farbe des Whiskys bewundere. »Glaub mir, diese Einladung hat mir vorhin den Boden unter den Füßen weggerissen.«
»Das kann ich mir denken.« Pat sieht mich mitfühlend an. »Scheiße, Mann. Deine Mutter wird toben.«
»Hmm.« Ich setze das Glas an die Lippen und nippe daran. »Wird ihr nicht gefallen. Aber wen wundert das? Mir gefällt es auch nicht.« Ein frustriertes Lachen befreit sich aus meiner Kehle. »Ausgerechnet ich soll die rechte Hand einer Lady werden, die keine Ahnung von harter Arbeit hat.«
»Woher willst du das wissen?«, fragt Pat.
»Ist offensichtlich.«
Er blinzelt und legt die Hand erneut auf meine Schulter. »Sie ist nicht Jenny.«
Ich schieße ihm meinen finstersten Blick zu. »Darum geht es nicht. Sie hat in einem Job gearbeitet, der nichts mit der Brennerei oder dem Earldom zu tun hat, ist nicht in Schottland aufgewachsen und kennt sich nicht aus. Und diese Frau soll ich unter meine Fittiche nehmen?«
Kopfschüttelnd stelle ich das Glas ab.
»Vielleicht ist sie ja umgänglich«, versucht Pat es erneut.
»Bezweifle ich.«
»Colin, ich weiß, du hast hart gearbeitet und der Titel hätte nach unserem Wissensstand dir zustehen sollen. Aber Blut ist dicker als Wasser und wenn der Earl sie als seine Tochter anerkennt …«
»So leicht lasse ich mich nicht ausbooten«, unterbreche ich ihn. »Diese Frau hat hier nichts zu suchen und das werde ich ihr klarmachen.«
Mein Kumpel atmet geräuschvoll ein. »Vor den Augen des Earl?«
Ich zucke mit den Schultern. »Vielleicht. Oder wann immer sie sich dazu bequemt, hier zu erscheinen, um die Brennerei zu begutachten. Jedenfalls werde ich nicht kampflos aufgeben. Der Earl begeht einen Fehler, wenn er einer Frau, die mit unserer Tradition und Kultur nicht vertraut ist, den Titel überlässt.«
Pat verzieht den Mund, sagt aber nichts. Besser so. Ich weiß selbst, dass ich gerade wie die beste Freundin meiner Mutter klinge. Genau diese Worte könnte sie für die Tochter des Earl finden, während sie mich darauf einschwört, um den Titel zu kämpfen.
Seit der Vater des Earl verstorben ist und ich somit in der Reihenfolge vorgerückt bin, drängen meine Mutter und ihre Freundin mich, dem Earl ein verbindliches Versprechen abzunehmen. Hätte ich das nur getan. Dann wäre diese Frau nicht hier und ich müsste mir nicht überlegen, wie ich sie wieder loswerde.
»Aber du gehst heute zu dem Dinner?«, will Pat wissen.
Nickend nehme ich das Glas erneut in die Hand. »Ja, das werde ich. Hoffentlich passt mein Kilt noch.«
Bedächtig trinke ich den Whisky aus, genieße das leicht nussige Aroma, das an meinem Gaumen kitzelt, nachdem ich geschluckt habe.
Pat seufzt. »Dann drücke ich dir die Daumen, Mann. Vielleicht besinnt der Earl sich ja.«
»Wir werden sehen«, murmle ich und füge in Gedanken hinzu: Und wenn er nicht erkennt, welchen Fehler er begeht, muss ich eben dafür sorgen, dass seine Tochter sich hier unwohl fühlt. Und das wird sie. Sie gehört hier ebenso wenig her wie ein Clown auf eine Beerdigung.
Seufzend lege ich die Akte auf den Tisch, die Hastings mir im Auftrag meines Vaters gebracht hat, nachdem ich den Angestellten des Hauses offiziell vorgestellt worden war. Was darin steht, beunruhigt mich. Als hätte ich vor dem Dinner heute nicht schon genug Bammel gehabt. Wieso muss der Mann, der die Brennerei für meinen Vater leitet, ausgerechnet der eigentliche Anwärter auf den Titel sein?
Mein Großvater hat angeblich verhindern wollen, dass Rosebury an jemand anderen als seine direkten Nachkommen fällt. Als Paps mit Mabel keine Kinder bekommen hat, hat mein Großvater doch nach möglichen Erben suchen lassen. Colin Hunter senior war der Erbe, jetzt ist es sein Sohn. Genau der Mann, der heute zum Dinner erscheint.
»Ich bin am Arsch«, murmle ich und sinke auf das Bett.
Es knarzt unter meinem Gewicht. Mein Zimmer ist genauso herrschaftlich antik wie der Rest des Schlosses. Dunkelblaue Tapete mit undefinierbaren Mustern ziert die Wände, mein Bett ist aus Eichenholz, so wie fast alle Möbel hier. Neben einem großen Schrank, in dem ich mich als Kind sicher verkrochen habe, gibt es eine Kommode, einen großen Kamin, über dem ein Elchkopf hängt – und mir sicher Albträume bescheren wird –, sowie eine Truhe mit kunstvollen Schnitzereien. Neben dem Bett befindet sich ein kleiner Tisch, auf dem tatsächlich ein Krug und eine Schüssel stehen, als gäbe es hier kein fließendes Wasser. Gibt es, ich habe sogar ein eigenes Bad. Die Fliesen darin sind aber sicher aus dem siebzehnten Jahrhundert, als diese blauen Kacheln aus Holland in Mode waren. Hier gäbe es einiges zu renovieren. Ich habe Fotos von Balmoral Castle gesehen, in dem die Queen jeden Sommerurlaub verbracht hat. Das ist hell und freundlich und dennoch herrschaftlich. So etwas wünsche ich mir für Rosebury.
Die Tatsache, dass ich lieber über Renovierungen als den bevorstehenden Abend nachdenke, spricht Bände. Es ist meine Art, mich mit Problemen zu beschäftigen. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass Colin Hunter besonders glücklich über meine Anwesenheit ist. Immerhin arbeitet er seit Jahren in der Brennerei, kennt die Grafschaft und die Herausforderungen eines Earl sicher besser als ich. Vor zwei Jahren hat er die Leitung der Brennerei von meinem Vater übernommen und führt sie besser, als Paps es je getan hat. Das konnte ich aus den Unterlagen und Jahresabschlüssen deutlich erkennen.
Colin zu verlieren kann ich mir im Moment nicht leisten. Also muss ich schon heute beweisen, was in mir steckt. Blöd nur, dass ich das selbst nicht so genau weiß.
Ächzend lehne ich mich zurück und lege einen Arm über mein Gesicht. Vor einem halben Jahr wäre ich bestimmt nicht so panisch gewesen, wenn ich an einem solchen Dinner teilgenommen hätte. Ich hätte gelächelt und meinen Charme versprüht, den mein Bruder oft als nervtötend betitelt hat – aber Duncan ist auch ein Griesgram. Jedenfalls hätte ich den Abend gemeistert und Colin sicher um den Finger gewickelt.
Bei der Vorstellung schnürt sich meine Kehle zu. Eine verkorkste Beziehung und mein ganzes Selbstwertgefühl ist im Eimer.
Es war nicht nur eine verkorkste Beziehung, erinnere ich mich selbst.
Markus war nur der Letzte in einer langen Reihe von Männern, die nicht gut für mich waren. Dass er mich ständig kontrolliert und mir jeden noch so kleinen Fehler wie ein Schwerverbrechen vorgehalten hat, war allerdings der Knackpunkt für mich. Mir ist klar geworden, dass ich mir immer die falschen Männer ausgesucht habe. Leider hilft das meinem angeschlagenen Selbstbewusstsein im Moment nicht wirklich. Denn ich habe Fehler gemacht. Nicht nur privat, auch beruflich. Was dazu geführt hat, dass ich meinen Job verloren habe. Das hat die Unsicherheit natürlich noch befeuert.
Sagt zumindest meine Therapeutin. Ich stimme ihr zu, weiß aber nicht, wie ich aus dem Loch, das ich mir selbst gegraben habe, wieder rauskommen soll. Da kommt dieser Abend wie gerufen, um den letzten Funken meines Selbstwertgefühls zu löschen.
Ich sinke tiefer in die Matratze. Vielleicht kann ich mit ihr verschmelzen und so dem Abendessen entgehen. Dann wird dieser Colin allerdings fest davon ausgehen, dass ich den Titel nicht verdient habe. Entweder fordert er das Erbe ein oder er geht, um etwas Besseres zu finden. Dafür, dass er die Brennerei so gut führt und Rekordgewinne damit macht, wird er nicht gut genug bezahlt.
Womit wir wieder beim Thema sind: Ich kann es mir nicht leisten, ihn zu verlieren. Im Moment brauche ich seine Unterstützung. Paps wird mir nicht viel helfen können, von ein paar Dinnern, die er gibt, um mich den richtigen Leuten vorzustellen, einmal abgesehen. Also muss ich Colin auf meine Seite bringen.
Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich mich langsam um mein Outfit kümmern sollte. Vorher muss ich aber dringend duschen.
Trotz meiner Entschlossenheit, mein Bestes zu geben, fällt es mir schwer, das Bett zu verlassen. Ich wünschte wirklich, Mum und Duncan wären hier. Aber auf dem Weingut gab es vor kurzem ein Feuer und die beiden müssen sich darum kümmern, alles wieder aufzubauen. Dafür habe ich Verständnis.
Außerdem muss ich das allein schaffen. Wenn ich die Lady von Rosebury Manor werden will, kann ich mich nicht hinter meiner Mutter und meinem Bruder verstecken.
Neuer Elan flutet meinen Körper und trägt mich förmlich ins Bad. Er knickt allerdings ein, als ich die Dusche aufdrehe und zehn Minuten lang nur eiskaltes Wasser aus der Brause fließt. Weil ich Hastings nicht jetzt schon zur Last fallen will, beiße ich die Zähne zusammen und steige unter das frostige Wasser. In Rekordzeit dusche ich, wasche meine Haare und springe schlotternd aus der Kabine. Auf Dauer halte ich das nicht aus, also muss ich den Butler bald informieren. Vielleicht vor dem Essen. Guter Plan.
Einen positiven Aspekt hat die eiskalte Dusche: Ich bin so wach, als hätte ich zehn doppelte Espressi getrunken.
Schnell schlüpfe ich in meinen seidigen Morgenmantel. Da ich heute auf mein Barett verzichten muss, sollte ich etwas mit meinen Haaren machen. Also föhne ich sie und drehe sie auf Lockenwickler, um ihnen Volumen zu verleihen.
Immer noch im Morgenmantel schreite ich zum Schrank und öffne ihn. Hastings oder ein anderer Bediensteter hat ganze Arbeit geleistet und den Inhalt meiner Koffer ordentlich auf Kleiderbügel gehängt. Ein schwarzes Cocktailkleid war zwar sicher nicht unter meinen Sachen, aber vielleicht ein anderes passendes Kleidungsstück. Als ich die Bügel herumschiebe, fällt mein Blick auf ein Kleid, das ich noch nie gesehen habe. Neugierig ziehe ich es heraus und betrachte es. Das Kleid besitzt keine Ärmel, nur ein hoch geschnittenes Bustieroberteil, das an der Seite gerafft ist. Der Rock besteht aus mehreren Lagen Tüll und reicht bis zu meinen Knien. Das ist definitiv ein Cocktailkleid, nur ist es nicht meines. Ich drehe es herum und entdecke einen Zettel, der am Bügel befestigt ist.
Falls du kein passendes Kleid hast. In Liebe, Paps, steht darauf.
Wärme breitet sich in meiner Brust aus, weil Dorian sich die Mühe gemacht hat, mir dieses Kleid zu besorgen. Meine Augen brennen vor Rührung.
Um nicht loszuheulen, nehme ich das Kleid und den Plaid des Clans, der daneben auf einem Haken hängt, mit zum Bett und lege beides darauf ab. Dann suche ich passende Unterwäsche und ziehe sie an, ehe ich in das Kleid schlüpfe. Es sitzt wie angegossen. Paps hat meine Größe wirklich gut geschätzt.
Mit dem Plaid kämpfe ich ein wenig, bis es mir gelingt, ihn hübsch über meiner Schulter zu drapieren. Schließlich gelingt es mir, ihn wie eine Schärpe über meinen Körper fließen zu lassen.
Als mein Handy klingelt, atme ich auf und hebe sofort ab.
»Hi Mum!«, sage ich und gehe ins Bad, um mein Make-up zu machen.
»Schätzchen, geht es dir gut?«, fragt meine Mutter.
»Bestens und euch? Ist Duncan okay?«
Ich stelle das Handy auf Lautsprecher, damit ich beide Hände frei habe.