Falkan und das Glück dieser Erde - Gerhard Krieg - E-Book

Falkan und das Glück dieser Erde E-Book

Gerhard Krieg

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Beschreibung

Kriminalhauptkommissar im Ruhestand Kurt Falkan bekommt es bei seinem neuesten Auftrag mit einem Fall von Pferdediebstahl zu tun. Ein ungewöhnliches Ansinnen, doch Falkan übernimmt. Schließlich wirbt er mit dem Slogan: Sie suchen, wir finden. Und Falkan findet. Doch dann kommen ihm während der Ermittlungen für seinen nächsten Klienten Zweifel, ob seine Suche tatsächlich so erfolgreich war, wie es den Anschein hatte, oder ob er sich von dem allzu Offensichtlichen hat trügen lassen. Und da Zweifel nicht zu Falkans bevorzugten Gemütszuständen gehören, beschließt er, sie aus dem Weg zu räumen.

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Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig oder gewollt

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 1

Susanne Weelers war mit dem Tag zufrieden. Na ja, fast jedenfalls, bis auf die blöde Auseinandersetzung am Morgen. Und selbst die hatte, wenn sie sich’s recht überlegte, ihr Gutes, hatte der unsinnige Streit ihr doch gezeigt, dass der Beruf, den sie sich gewählt hatte, auch Schattenseiten haben konnte. Die Schule des Lebens eben. Es war, alles in allem, jedenfalls ein schöner Tag gewesen und, wie schon so oft, musste sie sich wieder einmal zu ihrer Entscheidung beglückwünschen, den geerbten Hof nicht verkauft zu haben, sondern ihre eigene kleine Praxis in dem alten Gemäuer einzurichten.

Der Tag hatte sich eine kleine Belohnung verdient, fand Susanne und bog von der Westspange auf die Lagerhausstraße ab. Kurz darauf durchstreifte sie auf der Suche nach besagter Belohnung die Regale des Rewe-Markts am Stadtweg. Sie schwankte noch zwischen etwas Süßem, vielleicht Cremigem, vielleicht etwas mit Schokolade und Nugat, oder doch ein Fläschchen Prickelndes. Am Ende wartete sie mit einem Piccolo in der kleinen Schlange an der Kasse.

„Hallo, Frau Doktor“, begrüßte sie die Kassiererin, als sie an der Reihe war. „Na, gibt’s was zu feiern?“

Die Frau hob das Fläschchen kurz in die Höhe, bevor sie es über den Barcodeleser zog. Susanne lächelte. Es war schön, wenn die Menschen einen kannten, weil man ihnen und ihrem vierbeinigen Liebling geholfen hatte. Sie erinnerte sich, die Katze der Frau hieß Lorchen. Würmer, soweit sie noch wusste. Susanne schielte unauffällig auf das Namensschildchen.

„Mit der richtigen Lebenseinstellung gibt es jeden Tag etwas zu feiern, Frau Burger. Was macht das Kätzchen?“

„Alles bestens. Macht eins vierundzwanzig. Aber unser Ludwig, unser Foxterrier, kommt mir in letzter Zeit ein bisschen müde vor. Man könnte meinen, er käme ins Alter, aber er ist doch erst fünf.“

„Ich sehe ihn mir gerne mal an“, empfahl sich Susanne und legte das abgezählte Geld in die ausgestreckte Hand. „Sie wissen ja, wo meine Praxis ist. Tschüss.“

Und wieder ein neuer Patient, frohlockte sie geschäftstüchtig beim Hinausgehen. So konnte es weitergehen. Sie stieg in den Corsa und kroch mit ihm im geforderten 30 Kilometer Schneckentempo den Stadtweg hinauf.

Sie wohnte erst zwei Jahre in Altenhaßlau, aber sie kannte viele Leute, die von den Zeiten schwärmten, als man die lange Straße noch mit fünfzig hinunterrauschen konnte und nicht in jeder Seitenstraße mit einem Blitzer rechnen musste. Sie sah auf die Uhr. Es war gleich sechs. Mutig verschärfte sie das Tempo und kam gerade noch rechtzeitig im Bäckerladen `Alex backt’s´ an. Jenny Fuchs wollte soeben das Gitter vor die Eingangstür ziehen.

„Nur keine Panik“, lachte die junge Frau und ließ Susanne an sich vorbei, bevor sie den Laden schloss. „Du kannst ja dann hinten raus.“ Sie ging hinter die Theke und zog einen Korb mit verschiedenen Brötchen aus dem Regal. „Wie viele willst du heute?“

Susanne überschlug in Gedanken ihre morgigen Hausbesuche und rechnete die Patienten dazu, die sie zuhause in Kurzpension hatte.

„Fünfzehn dürften reichen. Es ist ja bald Wochenende.“

Sie streckte den mitgebrachten Beutel hin, und Jenny Fuchs warf ihr die übrig gebliebenen Brötchen hinein. Es waren siebzehn.

„Danke. Und wenn du dir mal einen Vierbeiner zulegst, du weißt, wo du ihn gut und kostenlos versorgen lassen kannst.“

Susanne huschte durch die Hintertür ins Freie, während Jenny Fuchs sich weiter um die Reste des Tages kümmerte. Die Brötchen, die auf dem Beifahrersitz des Corsa landeten, dienten bei Susannes Hausbesuchen als gern gesehenes Mitbringsel für tierische Patienten, die Getreideprodukte vertrugen. Außerdem hielt sie sich seit ein paar Wochen selbst vier Hühner, die klein gekrümelten Bäckereiartikeln gegenüber auch nicht abgeneigt waren. Alle paar Tage füllte Susanne ihren Vorrat kostenlos bei `Alex backt’s´ auf und hoffte, dass Jenny sich irgendwann wenigstens mal eine Katze anschaffen würde, um sich revanchieren zu können.

Als sie wenig später auf dem Hof ankam, zogen erste Wolken am Himmel auf. Ein Frühlingsgewitter war im Anzug.

Wie immer, wenn sie durch das offen stehende Tor auf den Hof fuhr, streifte ihr besorgter Blick den eingeknickten Pfosten, der den einen Torflügel halten sollte, diese Aufgabe aber nicht mehr hundertprozentig wahrnehmen konnte. Irgendwann würde es knacks machen, und Pfosten und Eisentor lagen um. Überhaupt war der ganze Hof, wenn sie ehrlich sein wollte, in einem bedauernswerten Zustand. Onkel Herbert hatte in seinen letzten Jahren keinen großen Wert mehr auf Äußerlichkeiten gelegt. In einigen Jahren, wenn die Praxis sich amortisiert hatte, musste einiges getan werden. Das Geld hatte gerade mal für gebrauchte medizinische Geräte und das Nötigste im Haushalt gereicht.

Susanne hockte sich – was sie gerne tat, um ihr neues Reich für einen Augenblick in aller Stille zu genießen – auf die Bank neben der Vordertür, bevor sie hinein ging und die Brötchen in den Korb auf der Anrichte in der Küche schüttete. Henriette, genannt Henni, ihre American Shorthair Katze, kam schnurrend unterm Tisch hervor, strich ihr schmeichlerisch um die Knöchel und verschwand, als sie nichts abbekam, beleidigt über den Gang im Anbau, in dem Susanne ihre Praxis eingerichtet hatte.

„Vielfraß“, grinste Susanne und goss sich ein Glas kalte Milch ein. Den Piccolo sparte sie sich für später auf. Sie wählte Jans Nummer, wie sie es oft um diese Zeit tat, wenn die Arbeit getan und im Kopf Platz für andere Dinge war.

Sie war mit Jan seit Beginn seines Studiums zusammen. Seit Susanne den Hof in Altenhaßlau übernommen hatte, führten sie die meiste Zeit eine Fernbeziehung, was den Gefühlen allerdings keinen Abbruch tat. Bei beiden war es, kitschig hin, kitschig her, von Anfang an die große Liebe gewesen. Daran konnten auch die vierhundert Kilometer zwischen hier und Hannover nichts ändern.

„Na, Frau Doktor, wie viele Kälbchen hast du heute wieder auf die Welt gebracht?“, meldete sich Jan außer Atem. Um diese Zeit machte er immer einen Dauerlauf.

„Student müsste man sein. Den ganzen Tag auf der faulen Haut sitzen und abends durch die Gegend rennen. Was für ein Leben.“

Jan lachte.

„Du kannst mir glauben, ich würde mich lieber mit dir von Kuhstall zu Kuhstall hangeln, als hier einsam und allein Dolce Vita zu betreiben.“

„Ich weiß, ich weiß. Noch zwei Jahre, das sind nur noch zwei Mal Weihnachten. Außerdem, manchmal ist das Leben eines Landveterinärs gar nicht so romantisch, wie wir uns das bei einer Flasche Rotwein immer vorgestellt haben. Heute Morgen hatte ich eine ziemlich deftige Auseinandersetzung mit einem Kunden. Sag mal, was würdest du tun, wenn du in deiner Eigenschaft als Tierarzt eine Entscheidung treffen müsstest, die zwar vom ethischen Standpunkt aus richtig wäre, aber für einen Dritten äußerst negative Auswirkungen haben würde? Es ist so, dass …“ Von nebenan kamen scheppernde Geräusche. „O je, ich glaube, Henni randaliert. Ich seh’ lieber mal nach ihr, nicht dass sie mir wieder aus den kinesiologischen Bändern einen Raumanzug strickt. Ich ruf’ dich nachher nochmal an.“ Susanne drückte das rote Telefon und ging in Richtung des beunruhigenden Krawalls. Tatsächlich hockte Henriette zwischen dem Karton mit Verbandsresten und der Schale mit Klammern. Sie hatte einen krummen Buckel, als wolle sie einen Satz auf den nahen OP Tisch machen und miaute ängstlich in Richtung Hintertür. „Was hast du denn, meine Süße?“

Susanne wollte ihr Kätzchen gerade mit den Händen greifen, um ihr die scheinbar dringend benötigten Streicheleinheiten zu verabreichen, als sie den Mann in der Hintertür bemerkte.

Schweigend stand er da, eine Flasche in der einen, ein Gewehr in der anderen Hand. Mehr Unverständnis als Angst bemächtigte sich ihrer. Auf was für Ideen die Leute kamen, wenn man ihnen nicht nach dem Mund redete.

„Was soll der Unsinn?“, fragte sie und versuchte, ihrer Stimme einen festen, bestimmenden Klang zu geben. Bei Hunden und Pferden funktionierte so etwas. Als der Mann unbeeindruckt auf sie zukam, wurde ihr allerdings doch etwas mulmig. Er blieb direkt vor ihr stehen, den Gewehrlauf zu Boden gerichtet, und hielt ihr die Flasche hin.

„Trink.“

Kriminalhauptkommissar im Ruhestand Kurt Falkan setzte die Gartenschere über der zweiten Knospe an und kappte das überflüssige Stück vom Stängel. Eigentlich war die Zeit des Rosenschnitts schon längst vorbei, doch hier und da fand sich immer noch ein kleiner Ausreißer, der entfernt werden wollte. Die warme Frühlingsluft und das Surren eines Flugzeugmotors am blauen Himmel ließen Falkan den hinter ihm liegenden schmuddeligen Winter vergessen. Die Motorflieger vom Gelnhäußer Flugplatz am Himmel waren immer ein Zeichen für schönes Wetter, so wie Mücken in Bodennähe Regen verhießen. Die letzten Mücken waren gestern Abend geflogen, und die Erde duftete noch feucht und frisch. Nicht mehr lange, und die Rosen würden in voller Pracht erblühen. Falkan freute sich schon auf den ersten Sonntag, an dem er eine Blume aus Sigis selbst gepflanztem Rosenbusch an ihrem Grab niederlegen konnte. Die eigenen Rosen waren für das Gemüt etwas ganz anderes als die gekauften.

Bei dem Gedanken an seine verstorbene Frau glitt sein Blick wieder zum Nachbarhaus gegenüber hin. Simone saß auf ihrer Veranda und hatte den kleinen Paul im Arm. Paul war jetzt sieben Monate alt und der ganze Stolz seiner Eltern. Simone spürte Falkans Blick und winkte herüber. Falkan winkte lächelnd zurück, doch sein Lächeln war, wie immer in solchen Momenten, nur Fassade. Die Melancholie schlich sich wie ein stiller Schatten in seine Gedanken. Sigi und ihm waren keine Kinder vergönnt gewesen, und nach dem zu frühen Tod seiner Frau war Falkan nun ganz allein auf der Welt. Natürlich, er hatte Freunde, und die Zeit wurde ihm nie langweilig, aber Freunde waren etwas anderes als Familie. Sie gehörten zwar zum eigenen Leben dazu, doch sie gehörten irgendwie nicht zu einem selbst. Und Sigis Schwester und ihr Mann lebten zu weit weg, um sie als Familie bezeichnen zu können.

In Augenblicken wie diesen war Falkan einsam und verlassen und würde sich am liebsten wieder in das gleiche Loch verkriechen, in dem er in den Monaten nach Sigis Tod gesteckt hatte. In Augenblicken wie diesen brauchte er Ablenkung, und für die sorgte soeben dankenswerterweise Birgit Krannich, die ihren Kopf mitsamt einem Staubwedel durch das geöffnete Küchenfenster streckte und einen vernehmbaren, frohlockenden Seufzer von sich gab.

„Ist das nicht ein Wetterchen, was, Herr Falkan? Ihr Fritz ist schon ganz unruhig. Den hält nichts mehr in den vier Wänden.“

Falkans trübe Gedanken verflogen. Er lächelte seine neue Putzhilfe dankbar an. Manchmal war ihr schier endloser Vorrat an Worten eine arge Belastung für seine nach Ruhe lechzende Seele, doch hin und wieder – so auch jetzt – sagte sie genau das Richtige, und er war dem Umstand dankbar, dass er ihr im Hause des auf unnatürliche Art ums Leben gekommenen Hubert von Trabach begegnet war.

„Da hat er ganz recht.“ Falkan legte die Gartenschere fort und schnappte sich kurz entschlossen die Hundeleine. „Wir geh’n mal um die Ecke. Ich brauche sowieso noch Nudeln. Sie kommen ja alleine zurecht.“

Kurz darauf zog Fritz sein Herrchen ungeduldig ins Freie. Fast drehten seine kurzen Dackelbeine durch bei dem Versuch, schneller zu sein als der Mann am anderen Ende der Leine. Der Tatendrang der beiden wurde jedoch jäh von einer mit Gummistiefeln und alpenländisch anmutender Hose und Jacke gekleideten Gestalt gestoppt, die soeben aus einem verdreckten Lada Niva stieg und auf das Haus zukam. Ein Cowboyhut rundete das exotische Outfit des Ankömmlings ab. Falkan vermisste skurrilerweise noch den Gamsbart an der Krempe des Stetsons. Sein Instinkt sagte ihm, dass da jemand kam, der Arbeit brachte. Erfreut blieb er stehen und wartete.

„Knapp“, stellte sich der Besuch vor und tippte mit dem rechten Zeigefinger an den Hut.

„Falkan. Sie wollen zu mir?“

„Wenn Sie der Privatdetektiv sind.“

„Bin ich“, bestätigte Falkan nur zu gerne, während seine Nase von intensivem Stallgeruch getroffen wurde.

„Ich hab’ Arbeit für Sie.“

„Freut mich“, antwortete Falkan wahrheitsgemäß und zog den sich sträubenden Fritz zart, aber bestimmt ins Haus zurück. „Kommen Sie rein und erzählen Sie.“

Entgegen seiner üblichen Gepflogenheit empfing Falkan seinen Klienten im Arbeitszimmer und nicht in der Küche, da diese noch von Frau Krannich auf Vordermann gebracht wurde und er nicht riskieren wollte, dass sein neuester Fall schon morgen Dorfgespräch war. In dieser Beziehung entsprach seine Putzfrau eindeutig den landläufigen Vorurteilen.

„Sie sollen etwas finden, das ich vermisse.“

„Sie haben etwas verloren?“

„Geklaut hat man’s mir.“

Falkan rückte sich auf seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch zurecht und griff nach Block und Kuli.

„Erzählen Sie.“

„Es gibt nicht viel zu erzählen. Am Abend war Orkan noch im Stall, am nächsten Morgen war er weg.“

„Orkan?“

„Mein bestes Pferd im Stall. Hunderttausend Euro wert.“

Falkan ließ überrascht den Kugelschreiber sinken.

„Ich soll ein Pferd suchen?“

Knapp grinste anzüglich.

„In Ihrer Anzeige steht doch: Sie suchen, wir finden. Oder gilt das nur für entflohene Ehemänner?“

Falkan fühlte sich ertappt.

„Nun na, natürlich nicht. Ich bin grundsätzlich für alles aufgeschlossen. Es ist nur etwas ungewöhnlich. Hört sich mehr nach einem Fall für den Sheriff an.“

Knapp nahm seinen Hut vom Kopf und schob ihn Falkan über den Tisch.

„Wenn’s Ihnen hilft, können Sie den haben, bis die Sache erledigt ist.“

Beide Männer lachten und Knapp begann, über sich und sein Anliegen zu reden.

„Ich habe einen kleinen Hof außerhalb von Lützelhausen. Pferde und ein paar Schweine, mehr nicht. Die Pferde sind vor allem zur Zucht. Aber Reitunterricht gebe ich auch. Vor ein paar Jahren hatte ich dann unverschämtes Glück, als ich bei einer Auktion ein Fohlen erstanden habe. Es schien mir gute Anlagen zu haben und sollte mal prima für die Zucht geeignet sein. Tatsächlich hat er sich aber noch besser entwickelt, als ich mir das hatte träumen lassen. Der Bursche war schneller als alles, was ich jemals im Stall gehabt habe. Ich hab’ ihn in Frankfurt und Hassloch laufen lassen, und er hat mir im Laufe der Zeit ganz schön was eingebracht. Seit ein paar Jahren setze ich ihn auch als Deckhengst ein. Er ist sehr gefragt. Na ja, und seit letzter Woche ist er weg.“

„Könnte er nicht einfach weggelaufen sein?“

Falkan wusste, dass er sich in diesem Fall um einen zwar ungewöhnlichen, aber durchaus interessanten Fall bringen würde. Dennoch riskierte er die Frage.

„Nee. Orkan ist zwar ein intelligentes Tier, intelligenter als mancher Mensch, mit dem ich zu tun hatte, aber sich selbst aus seiner Box rauslassen übersteigt selbst seine Fähigkeiten. Außerdem wäre er spätestens am

Abend wieder auf den Hof gekommen. Pferde sind treu, und sie wissen, wo sie gut behandelt werden.“

„Und was sagt die Polizei?“

Knapp winkte ab.

„Der übliche Beamtenkram. Wir tun unser Bestes, die Suchmeldung geht raus, Sie bekommen Bescheid.“

Knapp hieb mit der Faust auf den Tisch. „Ich brauche verdammt noch mal jemanden, der sich ins Zeug legt, und meiner Erfahrung nach tut das nur einer, der gut dafür bezahlt wird.“

Falkan fühlte sich trotz seiner einige Jahre zurückliegenden Pensionierung in seiner Berufsehre verletzt. Einem ersten Impuls folgend wollte er Knapp darauf hinweisen, dass die Kriminalpolizei sehr wohl in jedem Fall tat, was in ihrer Macht stand, auch wenn das Gehalt nicht üppig war, ließ es dann aber bleiben. Er wollte das Verhältnis zu einem neuen Klienten nicht gleich zu Anfang mit Grundsatzdiskussionen belasten.

„Haben Sie denn irgendwelche Anhaltspunkte? Haben Sie jemanden in Verdacht, einen anderen Pferdehalter etwa oder einfach jemanden, der Ihnen eins auswischen will?“

„Es gibt da schon ein paar Kerle, die mir gerne mal ans Bein pinkeln würden. Hab’ ich der Polizei auch gesagt, aber ohne etwas Konkretes können die denen wohl nicht auf den Zahn fühlen. Persönliche Abneigung meinerseits begründe keinen Anfangsverdacht. Also hab’ ich mir gesagt, such’ dir jemanden, der sich ein bisschen ungezwungener durch den Paragraphendschungel bewegen kann. Ihre Anzeige in der Zeitung war ja nicht zu übersehen.“

Falkan tat, als überlege er noch, ob er wirklich dieser jemand sei, dann klopfte er, sozusagen als Zustimmung, mit den Knöcheln der rechten Hand herzhaft auf die Schreibtischplatte und nannte seine Preise. Ein Pferd suchen war etwas Neues und eine Herausforderung. Außerdem versprach der Fall viel frische Luft und genügend Auslauf für Fritz.

Falkan nahm den kleinen Dienstweg. So nannte er die Strecke von seiner Haustür bis zum Neubau auf der anderen Straßenseite. Seit Kriminalhauptkommissar Bengt Friedrichsen mit Freundin und Kind gegenüber wohnte, konnte er sich im Falle des Informationsbedarfs einen Anruf oder die Fahrt zur Polizeistation in vielen Fällen sparen. Nebenbei wuchs er bei seinen Besuchen im Hause Friedrichsen nach und nach in seine Rolle als Onkel Kurt hinein, die er eines Tages im Leben des kleinen Paul spielen würde. Bis jetzt nahm das Baby seine Anwesenheit leider meist nur zum Anlass, seine kleinen Lungen durchzupusten und kräftig zu schreien. Aber was nicht ist, würde sicherlich noch werden.

„Nee, Kurt, ich weiß nix über einen geklauten Gaul“, beantwortete Friedrichsen ein entsprechendes Ansinnen seines Freundes Kurt. Simone saß immer noch mit Paul auf der Veranda, während Papa Bengt sich in der Küche eilig ein Brötchen zwischen die Kiemen schob. „Aber ich habe interessanterweise einen, wenn man so will, dem deinen verwandten Fall. Tote Tierärztin. Wahrscheinlich ein Unfall, aber die Polizei wurde trotzdem eingeschaltet, du kennst das ja. Letzte Woche Montag ist’s passiert. Ich bin gerade auf dem Weg dorthin, um mir den Unfallort nochmal anzusehen, bevor ich meinen endgültigen Bericht schreibe. Wollte nur noch schnell ein bisschen auftanken und mal nach dem Kleinen sehen.“

Falkan fiel, wie in den letzten Monaten schon einige Male, auf, dass Friedrichsen, was dienstliche Auskünfte betraf, sich nicht mehr so anstellte wie früher. Niemals hätte der alte Benji Friedrichsen freiwillig etwas über eine zurzeit stattfindende Untersuchung von sich gegeben, schon gar nicht, wenn Falkan ihn nicht danach fragte. Die Vaterschaft schien in gelegentlich milde zu stimmen. Eine tote Tierärztin dürfte nun wirklich nichts mit einem verschwundenen Pferd zu tun haben, aber Falkan sah eine Möglichkeit, den guten Willen seines Freundes auszuloten.

„Was ist passiert?“

„Wahrscheinlich Rauchvergiftung. Sie war schon tot, als die Feuerwehr eintraf.“

Falkan erinnerte sich an ein Martinshorn am Anfang der letzten Woche.

„War das hier in der Nähe?“

Friedrichsen nickte, während der Rest des Brötchens hinter seine Backen rutschte.

„In der Mühlenstraße. Kleiner Bauernhof. Die Feuerwehr konnte den Brand eindämmen, aber für die Frau kam jede Hilfe zu spät. Also, ich muss jetzt.“ Er schlug Falkan auf die Schulter. „Ich wünsche dir viel Glück bei der Suche, Buffalo Bill.“

Falkans Freude über Friedrichsens Auskunftswilligkeit wurde durch dessen letzte Bemerkung ein wenig getrübt, war in ihr doch wieder der alte Kriminalbeamte zum Vorschein gekommen, der sich unbedingt über die manchmal skurrilen Fälle eines pensionierten Kollegen lustig machen musste. Falkan grinste säuerlich und trat, während Friedrichsen das Haus nach vorne hin verließ, auf die Veranda hinaus, um sich noch ein wenig auf seine Rolle als Onkel Kurt vorzubereiten.

Kapitel 2

Falkan parkte den Firebird neben dem aus Hohlblocksteinen gemauerten Unterstand und stieg aus. Am nahen Waldrand bemerkte er Bewegung. Drei Pferde grasten dort und hoben die Köpfe, als sie ihn bemerkten.

Man hatte Falkan gesagt, dass Alwin Keller bei seinen Pferden sei, doch die Koppel, die einige hundert Meter außerhalb von Waldrode lag, war bis auf die Tiere leer. Falkan ließ den Blick am Zaun entlang bis zu den Feldern talabwärts gleiten. Von hier oben hatte man einen prächtigen Blick auf das Kinzigtal. Während ihrer Urlaubsaufenthalte im Linsengericht hatten sich die Falkans auf ihren Spaziergängen oftmals in das hoch gelegene Dörfchen verirrt und bei strahlendem Sonnenschein die Aussicht genossen. Heute versteckte sich die Sonne hinter fetten, schmutzig-grauen Gewitterwolken. Der Regen würde nicht mehr lange auf sich warten lassen, die Luft roch bereits nach ihm.

„Suchen Sie jemanden?“

Falkan wandte den Blick von der Landschaft hin zum Unterstand, aus dem soeben ein Mann in Gummistiefeln und mit einer Mistgabel in der Hand hervor kam. Er hatte eine alte Bundeswehrmütze auf dem Kopf, auf der man noch blasse Reste des schwarz rot goldenen Kreises erkennen konnte. Auch seine Hose schien aus Armeebeständen zu stammen.

„Wenn Sie Alwin Keller sind, dann suche ich Sie.“

Der Mann stützte sein Kinn auf den Stiel der Mistgabel.

„Und?“

Falkan wertete das als Bestätigung der Identität und schwang die Beine über die Begrenzungsleine. Einen Einlass gab es nicht. Er deutete auf die grasenden Pferde am Waldrand.

„Ich würde mir gerne so etwas zulegen.“

Keller sah Falkan abschätzend an, dann deutete er mit dem Daumen auf den alten Pontiac außerhalb des Zauns.

„Dem Amischlitten nach könnten Sie ja Cowboy sein, aber, ehrlich gesagt, machen Sie mir nicht den Eindruck, vom Fach zu sein, und für Reitunterricht dürfte es ein bisschen spät sein.“

Falkan lachte.

„Es ist nie zu spät für neue Erfahrungen. Aber Sie haben schon recht, für mich ist das nichts mehr. Ich suche ein Pferd für meine Enkelin. Sie wird demnächst vierzehn und musste bisher immer auf anderer Leute Tieren reiten. Ich finde, ein eigenes Pferd ist eine schöne Geburtstagsüberraschung.“

„Wie kommen Sie auf mich?“

„Ich habe mich beim Kreisreiterbund nach Pferdehaltern in der Gegend erkundigt. Man nannte mir unter anderem Ihren Namen.“

Keller schien geschmeichelt. Sein Gesichtsausdruck wurde freundlicher, in seinen Augen leuchtete ein Anflug von Geschäftstüchtigkeit auf.

„Na ja, ich habe schon das eine oder andere Tier an den Mann gebracht. Ich betreibe die Zucht ja nur hobbymäßig, aber die Kundschaft war stets zufrieden, so was spricht sich rum. So ein Tier hat natürlich seinen Preis.“

Falkan hatte sich zuvor über den Hintergrund der drei Männer erkundigt, die Knapp ihm genannt hatte. Keller betrieb einen kleinen Sicherheitsdienst mit fünf oder sechs Mann, soweit Falkan erfahren hatte, alles ehemalige Zeitsoldaten, die sich nach ihrer Dienstzeit zusammengetan hatten. Keller musste wohl schon während der Zeit beim Bund ihr Vorgesetzter gewesen sein und hatte diesen Zustand im Zivilleben beibehalten. Private Sicherheitsdienste hatte Falkan schon während seiner vierzig Jahre bei der Kripo stets mit Skepsis betrachtet. Zivilisten mit Waffen in der Hand waren nicht nach seinem Geschmack. Er deutete wieder zum Waldrand hin.

„Die Auswahl ist aber nicht besonders groß.“

„Die Drei sind auch nur ein Drittel meines Bestandes. Der Rest steht im Stall, zwei Hengste sind zum Decken unterwegs. Aber wir können uns die dort drüben ja schon mal ansehen. Sind zwei schöne Stuten dabei, ruhig und brav, das Richtige für eine Vierzehnjährige.“

„Ihre Hengste sind zum Decken unterwegs? Dann betreiben Sie ja so eine Art Escort Service für Pferde.“

Falkan wollte die Rede unauffällig auf das Thema Zuchthengste bringen. Keller lachte.

„Wenn Sie es so bezeichnen wollen. Aber Sie würden nicht glauben, was man damit verdienen kann, wenn man die richtigen Tiere hat.“

Sie machten sich auf den Weg zum Waldrand. Falkan hatte die guten Schuhe an und kämpfte mit den im dichten Gras lauernden Pferdehaufen.

„Kommt sicherlich auch auf Angebot und Nachfrage an. Gibt es noch andere Züchter, die solche Dienste anbieten?“

Keller musste wieder grinsen.

„So, wie Sie das sagen, hört sich das wirklich ein wenig schmutzig an. Nee, der Einzige bin ich nicht, aber ich denke mal, ich habe die zwei besten Mädels im Stall, um es in Ihrer Sprache auszudrücken. Die beiden sind immer ausgelastet. Drüben in Lützelhausen ist noch ein Kollege mit einem guten Gaul, aber den haben sie ihm geklaut, was man so hört. Also kommen die Leute, wenn sie ihren Stuten ein wenig Spaß gönnen wollen, zu mir.“ Sie waren inzwischen bei den grasenden Pferden angekommen. Keller klopfte einem Braunen mit der flachen Hand auf den Hintern. „Aber Sie sind ja nicht gekommen, um über das Liebesleben meiner Vierbeiner zu sprechen. Das hier ist Sara, drei Jahre alt. Sie ist der Liebling meiner weiblichen Reitschüler. Sanft wie ein Lamm. Kostet natürlich ein bisschen was. Ich weiß ja nicht, ob Sie Vorstellungen haben und was Sie so anlegen wollen.“

Falkan suchte eine Möglichkeit, das Thema wieder zu wechseln. Er wollte sehr wohl über das Liebesleben von Kellers und, vor allem, von Knapps Pferden reden. „Wer klaut denn heutzutage noch Pferde? Wir sind doch nicht im Wilden Westen.“

„Dieser Orkan, so heißt der Gaul, war ein guter Deckhengst. Da kann es um viel Geld gehen. Und etwas Wertvolles aus einem Stall zu stehlen ist sicherlich einfacher, als eine Bank zu knacken. So gesehen wäre es für jemanden vom Fach eigentlich eine einfache Art, an Geld zu kommen.“

Falkan beobachtet Kellers Mienenspiel, wie er es aus vierzig Jahren kriminalistischer Arbeit gewohnt war, doch nichts an Kellers Gesichtsmuskulatur deutete auf ein schlechtes Gewissen oder die heimliche Freude über ein verübtes und nicht entdecktes Verbrechen hin. „Aber so ein Pferd ist doch kein Diamantencollier oder ein Koffer voll Geld, den man so einfach unterm Bett verschwinden lassen kann. Was fängt man denn mit einem gestohlenen Pferd an? Sicherlich wird doch in den einschlägigen Kreisen sein Bild verbreitet. Jeder Züchter würde es doch sicherlich erkennen.“

„Dieser Orkan hat keine besonderen Merkmale. Er ist gut, aber er ist keine ausgesprochene Augenweide. Er sieht gewöhnlich aus. Man muss schon einen Blick für Pferde haben, wenn man ihn aus einer Herde herausfinden wöllte. Vielleicht wollte der Dieb Knapp auch nur eins auswischen.“

„Warum sollte das jemand tun?“

„Weil Knapp ein Arschloch ist, ganz einfach.“

„Sie mögen ihn nicht, was?“

„Keiner mag ihn. Er ist ein eingebildetes Frettchen, hält sich für Professor Dr. Pferd persönlich, nur weil ihm zufällig vor ein paar Jahren ein guter Kauf gelungen ist.“

„Waren denn die anderen Züchter neidisch?“

Keller schnaufte und verzog genervt das Gesicht.

„Wollen Sie jetzt eigentlich ein Geschenk für Ihre Enkelin kaufen oder über die Befindlichkeiten der Pferdezüchter dieser Gegend diskutieren?“

Falkan lächelte entschuldigend.

„Eine meiner negativen Eigenschaften. Ich bin schrecklich neugierig. Liegt daran, dass ich früher bei der Kriminalpolizei war.“

Wieder studierte Falkan Kellers Gesichtsmuskulatur, und diesmal bemerkte er jenes verräterische Zucken in den Augenwinkeln, das bei Menschen ohne hundertprozentig weiße Weste durch die Erwähnung seiner beruflichen Herkunft ausgelöst wurde. Irgendwo in seiner Vergangenheit – oder seiner Gegenwart – hatte Keller etwas zu verbergen. Doch Kellers Fältchen glätteten sich so schnell wieder, wie sie gekommen waren.

„Also, was meinen Sie zu Sara? Würde sie zu Ihrer Enkelin passen?“

„Da ich mich, was Pferde angeht, auf Sie als Experten verlassen muss, ist das Einzige, wo ich mitreden kann, der Preis.“ Falkan trat an die braune Stute heran und

streichelte ihr über die haarige Flanke. „Was würde Sara denn kosten?“

„Nun, sie ist ein erstklassiges Reittier, wie gesagt von sanftem Charakter, und strotzt vor Gesundheit und Jugend.“ Keller legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen, so, als müsse er sämtliche guten Eigenschaften seines Pferdes in Gedanken addieren.

Als er sie wieder öffnete, wiegte er beinahe entschuldigend den Kopf. „Da müssen Sie schon mit dreitausend Euro rechnen. Die tierärztlichen Bescheinigungen sind selbstverständlich dabei.“

„Wer ist denn Ihr Tierarzt?“

Die Frage war Falkan spontan herausgerutscht, wohl aus der alten Angewohnheit, alles, womit er es während der Klärung eines Falles zu tun bekam, miteinander in Beziehung zu stellen. Die Erwähnung des Tierarztes erinnerte ihn an den Brand mit Todesfolge, von dem Friedrichsen gesprochen hatte.

„Doktor Susanne Weelers in Altenhaßlau. Noch sehr jung, aber sie hat was drauf.“

„Hat sie Ihre Praxis am Ortsrand in Richtung Großenhausen?“

„Ja. Kennen Sie sie?“

„Nein, nein“, sagte Falkan in Gedanken. Er wollte keine Gerüchte in die Welt setzen. „Ich habe nur von ihr gehört. Dreitausend, sagen Sie?“

„Reine Anschaffungskosten. Dazu kommen dann natürlich noch die laufenden Kosten. Tierarzt, Hufschmied, Futter. Wenn das der Opa auch noch übernimmt, dann kommen Sie auf ...“ Wieder legte er den Kopf nach hinten und schloss die Augen.

„Ist schon gut“, unterbrach ihn Falkan. „Das bekommen wir dann schon mit, wenn es soweit ist.“ Er streichelte noch ein letztes Mal über Saras Flanke. „Ich überlege es mir und melde mich dann bei Ihnen, in Ordnung?“

Etwas wie Enttäuschung zeichnete sich in Kellers Gesicht ab. Er hatte wahrscheinlich mit einem schnellen Geschäft gerechnet.

„Aber warten Sie nicht zu lange. Die Nachfrage nach guten Pferden ist groß. Für nächste Woche hat sich ein Interessent aus Österreich angekündigt.“

„Ich werde es Sie wissen lassen, will erst noch mal mit meiner Tochter sprechen. Die Mutter hat schließlich auch ein Wort mitzureden.“

Ein letzter Klaps auf den Rücken des Pferdes, dann machte sich Falkan von der Koppel. Keller sah ihm bedauernd hinterher. Er hoffte inständig, dass der Mann ein großes Herz für seine Enkelin haben würde und dass die Mutter einverstanden war. Der Kunde aus Österreich war schließlich nur erfunden.