Falkan und der Feind - Gerhard Krieg - E-Book

Falkan und der Feind E-Book

Gerhard Krieg

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Beschreibung

Nächtliche Aktivitäten in einem Hinterhof der Lagerhausstraße erwecken Kurt Falkans Aufmerksamkeit. Transporte im Dunkeln deuten immer darauf hin, dass jemand etwas zu verbergen hat. Als sich dann noch ein folgenschwerer Unfall auf der nahen Autobahn ereignet, wird es für den pensionierten Kriminalhauptkommissar interessant.

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Seitenzahl: 227

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 1

Der Winter näherte sich seinem Ende. Die ersten Kraniche zogen über den Himmel des Kinzigtals in Richtung Wetterau, die Knospen brachen aus den Ästen hervor, und die Vögel riefen in den heller werdenden Morgen. Die wärmer werdende Luft lockte die Leute aus ihren Häusern, in denen sie die verregneten, nasskalten letzten Wochen verbracht hatten, und die Wege in der Gemarkung Linsengericht füllten sich mit Spaziergängern.

Auch Kriminalhauptkommissar im Ruhestand Kurt Falkan und seinen Dackel Fritz trieb es an diesem sonnigen Nachmittag Ende Februar aus dem Haus, nur war es nicht das schöne Wetter, das ihn lockte, sondern die Aussicht auf Beendigung des kriminalistischen Winterschlafs. Der erwachende Frühling hielt zum ersten Mal seit Monaten einen Klienten für ihn bereit. Die genaue Art des Auftrags war aus dem gestrigen Telefongespräch nicht hervorgegangen, aber es schien sich um Recherche zu handeln, und Recherche war das, was Falkan gelernt hatte.

Er war mit dem Mann, einem gewissen Jens Falkenberg, für zwei Uhr verabredet. Der Name sagte ihm nichts, die Adresse musste irgendwo in der Nähe der Reinhardtsschänke sein. Ein altes Haus mit Scheune, hatte Falkenberg gesagt. Falkan hatte eine ungefähre Vorstellung. Seine Wege hatten ihn die letzten Jahre über viele Straßen des Ortes und an vielen Häusern vorbei geführt.

Pünktlich zum Zwei-Uhr-Läuten der Kirchenglocken stand er vor dem alten Hoftor, dessen blass-blaue Farbe schon seit Jahrzehnten abgebröckelt war. Auf dem Kopfsteinpflaster dahinter kauerte das Gras vom letzten Jahr noch in den Ritzen, und auf dem alten Misthaufen links von der Scheune wucherten grüne Stängel von Pflanzen unbekannten Namens. Das Haus sah unbewohnt aus, Falkenberg hatte gesagt, dass er und seine Frau erst vor kurzem hergezogen waren.

„Wir hatten schon schickere Verabredungen, was, Fritzchen?“, grinste Falkan und folgte seinem Dackel durch das offenstehende Türchen zur Haustreppe. Auf dem Schildchen neben der Haustür mit den zwei blinden Glasscheiben waren nur noch ein `N´ und ein halbes `L´ zu erkennen. Die Klingel selbst schien nicht zu funktionieren. Falkan klopfte. Keine zwei Sekunden drauf wurde die Tür geöffnet, als habe Falkenberg nur auf das Signal gewartet.

„Herr Falkan, schätze ich.“

„Sie schätzen richtig“, bestätigte Falkan und machte sich auf die Schnelle ein erstes Bild seines potenziellen Auftraggebers. Der erste Eindruck war, dass er nicht zu dem Haus passte. Er hatte etwas von einem Banker kurz nach Feierabend, ein bisschen elegant, ein bisschen lässig. Falkenberg trat zu Falkan auf die oberste Treppenstufe.

„Ich würde Sie ja gerne hereinbitten, aber wir sind noch nicht auf Besuch eingerichtet. Es ist alles noch etwas … einfach. Kommen Sie in den Hof. Dort können wir alles besprechen.“

Als sie gemeinsam die Treppe hinunterstiegen, fragte sich Falkan etwas befremdet, ob das Innere des Hauses wirklich noch `einfacher´ sein konnte als der vergammelte Hof.

„Ich bin auch vor Jahren ins Linsengericht eingewandert“, eröffnete Falkan auf dem alten Kopfsteinpflaster die Geschäftsverhandlungen. „Wie lange sind Sie denn schon hier?“

Statt einer Antwort zog Falkenberg einen Schlüsselanhänger mit einer kleinen Taschenlampe dran aus der Hosentasche.

„Wissen Sie, was das ist?“

„Na ja.“ Falkan wusste nicht so recht, ob die Frage ernst gemeint war. Die Antwort war zu offensichtlich. „Ich würde sagen, es ist irgendein Werbegeschenk.“

„Richtig.“ Falkenberg streckte seinem Gast das Ding unter Nase. „Raiffeisen Warenzentrale. So was bekommt man, wenn man was mit Landwirtschaft zu tun hat.“

Falkan konnte und wollte nicht widersprechen. Er selbst hatte zuhause mehrere Exemplare in der Schublade liegen. Beigaben aus den Zeiten, in denen er seinen Garten vom Acker hinter dem Haus zur blühenden Oase umgewandelt hatte.

„Sie sagten am Telefon, ich solle etwas oder jemanden für Sie ausfindig machen“, versuchte er, die Verhandlungen wieder in eine Richtung zu bringen, die ihm etwas Klarheit über die Art des Auftrags geben würde. Falkenberg ließ das Lämpchen vor Falkans Gesicht baumeln.

„Genau. Und das hier könnte hilfreich für Ihre Arbeit sein.“

Eine Aussage, die Falkan ohne zusätzliche Erklärungen bezweifeln musste. Er hatte leistungsstärkere Taschenlampen zuhause.

„Erzählen Sie.“

Falkenberg drückte Falkan den Anhänger in die Hand und ließ sich auf der Betonumrandung des Misthaufens nieder.

„Ich habe dieses Ding letzte Woche oben im ersten Stock gefunden. Wir haben dort mit Aufräumen angefangen.“

„Wir?“

Falkan kannte gerne die Umstände.

„Meine Frau und ich.“ Er fuchtelte mit der Hand durch die Luft, als wolle er eine Fliege verscheuchen. „Sie ist nicht hier. Geschäftsreise. Also, was ich sagen will, ist, dass dieser Anhänger vorher nicht dort oben auf dem Fußboden gelegen hat. Wir haben die alte Stube gründlich sauber gemacht. Der Staub von Jahrzehnten liegt überall.“

„Ich nehme an, eine Spielzeugtaschenlampe auf dem Fußboden ist nicht der einzige Grund, warum Sie mich engagieren wollen.“

Ein Hauch von Missmut erschien in Falkenbergs Gesicht.

„Da ich weiß, was sich wo in diesem Haus befindet oder nicht, würde es mir durchaus genügen, aber Sie haben Recht. Es ist nicht der einzige Grund. Kommen Sie.“ Er ging zum Scheunentor, entriegelte es und zog den rechten Flügel auf. Zum Vorschein kamen eine große Anzahl landwirtschaftlicher Geräte aus vergangenen Tagen. An den Sandsteinwänden hingen Rechen, Harken und Sensen an eisernen Haken. Es roch nach altem Holz. In der Mitte stand ein alter Deutz-Traktor auf dem Erdboden. „Als wir herkamen, habe ich mir das ganze Anwesen genau angesehen. Ich habe ein sehr gutes Gedächtnis, das ist in meinem Beruf wichtig.“

„Was sind Sie denn von Beruf?“, wollte Falkan der Vollständigkeit halber wissen. Wieder erschien dieser Anflug von Unmut in Falkenbergs Miene.

„Ich arbeite in Darmstadt bei der ESA. Sie wissen schon, Raketen, Kometen, kleine grüne Männchen.“

Falkan nickte und hoffte gleichzeitig, dass es bei seinem Auftrag nicht um das Auffinden letzterer ging.

„Kenn’ ich.“

Falkenberg deutete der Reihe nach mit der Hand an den Wänden entlang auf einzelne Gerätschaften.

„Das da und das und das, das hing alles vor zwei Wochen noch an dem Balken da hinten. Und das da war, als wir herkamen, noch auseinandergenommen. Jetzt ist es am Stück. Aber das Beste ist dieser alte Bulldog. Der hat vor zwei Tagen mitten in der Nacht angefangen zu rattern. Als ich runterkam, ging er wieder aus. Daraufhin habe ich Sie angerufen.“

Falkans Befürchtung, die Suche nach außerirdischem Leben betreffend, rückte in greifbare Nähe. Er fühlte sich plötzlich fehl am Platz.

„Und Sie glauben jetzt, dass…?“

Er ließ die Frage unausgesprochen, um dem Mann Gelegenheit zu geben, sich zu erklären.

„Ich glaube, Herr Falkan, dass irgendwer, der früher einmal in diesem Haus gewohnt oder eine Beziehung dazu gehabt hat, aus irgendeinem Grund zurückgekommen ist.“

Immerhin keine grünen Männchen, nur Gespenster. Falkans Erleichterung hielt sich dennoch in Grenzen.

„Sie meinen, dass diese Leute hier nachts…?“

Falkenberg konnte an Falkans skeptischem Gesichtsausdruck dessen Gedanken ablesen.

„Nicht was Sie denken. Ich bin kein Spinner, ich bin Physiker. Ich sehe die Welt realistisch, und realistisch betrachtet treibt sich hier in der Nacht jemand herum und verändert die Dinge. Im ersten Stock gibt es ein Zimmer mit alten Büchern. Alles durchwühlt.“ Er ging wieder auf den Hof hinaus und schloss hinter Falkan das Tor. „Ich glaube, dass jemand, der früher einmal hier gewohnt hat, etwas sucht. Vielleicht, weil er lange Jahre fort war, vielleicht, weil er gehört hat, dass wieder jemand in dem Haus wohnt und bei der Renovierung etwas finden könnte, was er nicht finden soll.“

Falkan ließ den Blick nachdenklich an der bröckligen Fassade des alten Hauses entlanggleiten. Wenn er sich’s recht überlegte, konnte er Falkenbergs Gedankengänge in gewissem Maße sogar nachvollziehen. Was der Mann von sich gab, war auch nicht weiter hergeholt als seine eigenen Ideen, die er bei der Lösung eines Falles seinem Nachbarn Kriminalhauptkommissar Bengt Friedrichsen manchmal als Lösungsansatz vorschlug. Allerdings fielen ihm hier spontan noch andere Möglichkeiten ein.

„Es könnte doch auch ein Landstreicher sein. Oder Kinder, die das Abenteuer suchen. Oder…“

Zu seiner Überraschung gingen Falkan unerwartet schnell die Möglichkeiten aus.

„Sehen Sie.“ Falkenberg schnipste mit den Fingern. „Das war’s schon. Natürlich habe ich auch schon an sowas gedacht. Aber warum sollte ein Landstreicher die Aufmerksamkeit auf sich lenken, indem er einen alten Bulldog zum Laufen bringt, oder was sollten Kinder in vermoderten Büchern zu suchen haben?“ Falkenberg schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, da steckt etwas anderes dahinter, und ich möchte, dass Sie sich um die Sache kümmern. Finden Sie raus, wer hier gewohnt hat, suchen Sie ihn und klären Sie das. Okay?“

„Von wem haben Sie denn das Haus gekauft?“

„Von einer jungen Frau aus Los Angeles. Sie hat es vor einigen Jahren von ihren Großeltern geerbt, die schon vor Jahrzehnten ausgewandert sind. Die Leute hießen Arnold. Leider ist die Familiengeschichte nicht mehr nachvollziehbar.“

„Aber wenn die ehemaligen Besitzer schon lange fort sind, warum sollten sie jetzt zurückkommen?“

„Das sollen Sie ja herausfinden“, bestand Falkenberg auf seinem Standpunkt. „Es könnten ja auch irgendwelche Verwandte dieser Arnolds sein, die sich eine Zeitlang hier eingenistet haben, oder sonst wer.“

„Haben Sie denn die Nachbarn schon gefragt?“

Es erschien Falkan als das Einfachste, Fragen nach der Vergangenheit eines Hauses mit den Leuten zu klären, die es wissen mussten. Er erinnerte sich an die Sache mit dem Haus am Stadtweg.

„Nein.“

Falkan wartete auf mehr, aber es kam nichts. Nun gut, sagte er sich, dann haben wir immerhin schon mal einen Anfang. Der Mann wollte wissen, wer früher in seinem Haus gewohnt hat, er sollte es erfahren. Falkan beschloss, den Fall anzunehmen. Es schien leicht verdientes Geld zu sein, und er würde nicht viel in der Weltgeschichte herumreisen müssen. Ein Gang zur Gemeindeverwaltung, ein paar Telefonate, etwas Klinkenputzen in der Nachbarschaft. Er kannte sich in solchen Dingen aus. Ein schöner, lukrativer Zeitvertreib.

„Also schön. Ich werde sehen, was ich tun kann. Wenn Sie mir Ihre Telefonnummer noch geben würden. Und was das Finanzielle angeht, da…“

„Das regeln wir wenn’s so weit ist. Kein Problem. Mein Handy wurde mir letzte Woche gestohlen, und einen Festnetzanschluss haben wir noch nicht. Ich ruf’ Sie an.“

Melinda Boatonga schwebte zwischen den vier Stehtischen dahin und verteilte die Teller mit den Häppchen, die Simone Friedrichsen für die Einweihungsparty gezaubert hatte. Der freie Platz in der kleinen Werkshalle diente heute als Empfangsraum für eine kleine Schar geladener Gäste. Es sollte eine kleine Feier geben, damit man später einmal, wenn die Firma gewachsen und aus den roten Zahlen heraus war, etwas zum Erinnern hatte. Auch wenn die offizielle Einweihung erst heute stattfand, liefen die Maschinen bereits seit einer Woche. Es roch nach Öl und heißem Kunststoff.

Mike Grebner kam gemeinsam mit seinem Freund aus Studentenzeiten, Nils Hajek, die stählerne Treppe herunter, die zum Büro hoch führte. Wie die zwei so in ihren schicken Anzügen, Seite an Seite, die Stufen herabstiegen, wirkten sie fast wie Showstars aus früheren Zeiten. Melinda musste unwillkürlich lächeln und hauchte Mike einen Kuss auf die Wange.

„Du siehst aus wie ein Mann auf Erfolgskurs.“

Mike erwidere ihr Lächeln, allerdings sah es bei ihm etwas gequält aus.

„Ich komme mir vor wie ein Pinguin.“

Nils legte ihm freundschaftlich den Arm um die Schultern.

„Ist doch nur fürs Pressefoto. Ich hab’ Joachim Ludwig von der GNZ eingeladen. Ist gut für den Betrieb, wenn man hin und wieder in der Zeitung steht. Sobald die Gesellschaft wieder draußen ist, beschmieren wir uns wieder mit Maschinenöl.“

Wie aufs Stichwort ging die Stahltür neben dem großen Schiebetor auf, und die `Gesellschaft´ betrat in Form von KHK Bengt Friedrichsen und KHK im Ruhestand Kurt Falkan die Halle. Für einen Moment drang der Lärm der nahen Autobahn herein. Falkan hielt die Flasche Sekt, die er gestern nach dem Besuch bei Jens Falkenberg besorgt hatte, in den Händen.

„Wäre nicht nötig gewesen, Kurt“, bedankte sich Mike bei dem alten Freund. „Für ein paar Flaschen Sekt hat das Betriebskapital gerade noch gereicht.“

„Man soll die heimische Industrie unterstützen, wo man kann“, sagte Falkan, stellte die Flasche zu den Schnittchen und sah sich in der Halle um. „Wo sind denn nun die Hubschrauber?“

Mike lachte.

„Wir sind noch in der Vorbereitung. Die Produktion startet erst in ein oder zwei Wochen.“

„Du hörst dich schon an wie ein richtiger Unternehmer.“

„Was dich nicht davon abhalten soll, meine Dienste hin und wieder in Anspruch zu nehmen. Nur für den Fall der Fälle. Ich will ja nicht aus der Übung kommen.“

Für diese Aufforderung erntete Mike ein paar gerollte Augen seiner Freundin Melinda. Sie kannte seine Vorliebe fürs Detektivspielen mit seinem Freund Kurt, hatte ihn aber – genau wie Mikes Schwester Simone – dazu gedrängt, etwas `Richtiges´ mit seinem Leben anzufangen. Die Monate nach dem Umzug von Kenia nach Deutschland hatten sie beide beruflich in der Schwebe gehängt, dann hatte Melinda eine Anstellung als Lebensmittelchemikerin in einer Hanauer Großmetzgerei bekommen, während Mike noch davon geträumt hatte, der Thomas Magnum des Linsengerichts zu werden. Erst ein Wiedersehen mit seinem alten Kommilitonen Nils Hajek hatte die Wende gebracht. Der war gerade im Begriff, seinen alten Traum vom Fliegen zu realisieren, ihm fehlten aber noch zahlungskräftige Partner. Melinda, die die Welt schon immer realistischer als Mike gesehen hatte, hatte sofort die Chance gesehen. Drohnen waren das Geschäft der Zukunft, und Mike brauchte eine Arbeit, die seinen Fähigkeiten entsprach. Mit ihren schwarzen Augen und einigen anderen Streicheleinheiten war es ihr nicht schwergefallen, Mike davon zu überzeugen, bei Nils Hajek einzusteigen. Mike brachte das Fachwissen mit, sie das Startkapital.

Nachdem sie sich mit ihrem Vater nicht über die Art und Weise hatte einigen können, wie eine Rinderfarm im heutigen Kenia geführt werden sollte, hatte sich die Familie darauf geeinigt, dass ihr Bruder die Farm übernehmen sollte. Es war eine große Farm, und mit ihrem Erbteil, den sie ausgezahlt bekommen hatte, war es Melinda leichtgefallen, das benötigte Kapital zur Gründung der `FDZ´ GmbH beizusteuern. Es hatte zwar noch einiger weiterer Streicheleinheiten bedurft, um Mike die Bauchschmerzen wegen der finanziellen Beteiligung seiner Freundin an seiner beruflichen Zukunft auszutreiben, doch heute, am Tag der offiziellen Einweihung der kleinen Firma, waren alle drei Teilhaber froh über die getroffenen Arrangements.

Es wurde eine kleine, nicht allzu überladene Feier, ein paar Freunde und Verwandte der Geschäftsführung kamen noch, der Bürgermeister schaute auf einen Blick vorbei, um das neue Unternehmen am Ort zu begrüßen, und die Presse machte ein schönes Foto für die Zeitung. Gegen fünf Uhr waren die Schnittchen alle und die Gäste bis auf ein paar wenige gegangen.

„Ich hatte vor ein paar Jahren schon mal in diesem Gebäudekomplex zu tun“, erinnerte sich Falkan an einen älteren Fall. „Ich glaube, das war ein bisschen weiter vorne auf der anderen Seite, im Innenhof. Jemand hatte dort ein Warenlager für unrechtmäßig in seinen Besitz gekommene Gegenstände.“

„Kann ich mir gut vorstellen“, nickte Mike und deutete die Treppe hinauf. „Manchmal abends, steh ich oben am Fenster und beobachte den Innenhof. Ich frage mich dann immer, warum manche Leute immer erst mit den Lkws kommen, wenn es schon dunkel ist und was die wohl so transportieren.“

Falkan grinste.

„Kannst das Detektivspielen wohl doch nicht ganz lassen, was?“

Melinda boxte Mike freundschaftlich in die Seite.

„Das werde ich ihm schon austreiben“, versprach sie und hob ihr Glas. „Also dann, auf die `Flügel der Zukunft´ GmbH und darauf, dass sich der erste Propeller bald drehen möge.“

Am nächsten Morgen begann Falkan, die Nachbarschaft des alten Arnoldhauses abzuklappern. Im Haus selbst regte sich nichts. Die Fenster waren dunkel und das Türchen stand immer noch offen. Im Vorübergehen fragte er sich, wo der neue Eigentümer eigentlich sein Auto parkte. Der Hof war so leer wie gestern.

`Wir sind erst vor zehn Jahren hergezogen´.

`So lange ich denken kann, steht die Hütte leer, und wer da mal drin gewohnt hat, keine Ahnung´.

`Da müssen Sie meine Oma fragen, die ist in Geislitz im Altersheim´.

Solche und ähnliche Antworten erhielt Falkan im Laufe seiner ersten Recherche, also nichts wirklich Hilfreiches. Auch der anschließende Besuch auf der Gemeindeverwaltung brachte nicht den schnellen Durchbruch. Im Computer war nichts über irgendwelche Aktivitäten in den letzten vierzig Jahren vermerkt, nur wunderte sich die Mitarbeiterin des Einwohnermeldeamts, dass jemand in dem Haus wohnte, denn eine Familie Falkenberg war noch nicht gemeldet. Sie machte sich eine entsprechende Notiz.

Auf dem Heimweg machte Falkan noch einen kurzen Abstecher zu seinem Klienten, um ihn auf einen eventuell zu erwartenden Brief der Gemeindeverwaltung vorzubereiten, doch auf sein Klopfen öffnete niemand.

Leicht entmutigt, auch nicht den kleinsten Hinweis erhalten zu haben, begab er sich auf den Heimweg. Falkenberg oder seine Frau waren nicht zuhause, Telefon gab es keins, also war die Sache auch nicht so dringend. Falkan beschloss, am Abend einen Zug durch die Kneipen zu machen, um sich unter den Alteingesessenen umzuhören. Vielleicht wussten ja die Zecher um die siebzig, achtzig, was in dem Arnoldhaus in den letzten Jahrzehnten vorgegangen war.

Als der weiße Sprinter von der Lagerhausstraße abbog, erloschen die Scheinwerfer. Die zwei Männer auf dem Vordersitz reckten die Köpfe Richtung Windschutzscheibe. Die wenigen erleuchteten Fenster der Hallen und Schuppen rechts der unbefestigten Straße reichten aus, um die Einfahrt zum Hof zu finden. Der Innenhof des alten Werksgeländes lag im Dunkeln da, nur ein schmaler Lichtstreif am Ende wies den Weg. Der Sprinter bahnte sich seinen Weg durch Pfützen, im letzten Augenblick wich der Fahrer einem Müllcontainer aus. Es hatte den ganzen Tag geregnet. Als sich der Lieferwagen dem Lichtstreif näherte, glitt ein Garagentor zur Seite und der Sprinter verschwand hinter den alten Backsteinmauern. Schnell wurde das Tor wieder geschlossen. Die Männer stiegen aus dem Führerhaus und wurden von einem bärtigen Bullen in alten Armeeklamotten begrüßt, der lachend eine derbe Bemerkung machte, woraufhin der Beifahrer laut lachte. Der Fahrer zog die Seitentür des Sprinters auf.

„Hört mit eurem russischen Kauderwelsch auf. Ich will wissen, worüber ihr redet.“

Der Bulle, sein Name war Fedor Ljubov, grinste dreckig.

„Ich glaube nicht, dass du das willst, mein Freund.“

Der andere klatschte mit der flachen Hand gegen das Blech des Laderaums.

„Wir sind spät dran. Spart euch eure Witzchen. Wo ist das Zeug?“

Der Blick des Bullen verfinsterte sich.

„Ich hab’ dir schon mal gesagt, du musst an deinem Sinn für Humor arbeiten. Mit deiner Art machst du dir keine Freunde.“

Im Gesicht des Angeredeten regte sich kein Muskel.

„Ich bin nicht hier, um Freundschaften zu schließen. Also?“

Ljubov schüttelte schnaubend den Kopf und ging zur hinteren Wand voran. Durch eine Tür gelangten die drei in einen halbdunklen Flur, an dessen Wand acht versiegelte Metallbehälter aufgestapelt waren. „Irgendwann will ich mal wissen, was wir hier überhaupt durch die Gegend kutschieren“, sagte der Fahrer des Sprinters. Der Bulle sah ihn mit kalten Augen an.

„Willst du nicht.“

Zur näheren Erklärung fügte er sich mit dem Zeigefinger einen imaginären Schnitt durch die Kehle zu. Der Fahrer schnappte sich eine Kiste und wuchtete sie sich auf die Schulter.

„Los. Aufladen.“

Es war schon der sechste Transport dieser Art in den letzten zwei Monaten. Es waren immer acht Kisten und es war immer das gleiche Arschloch, das sie abfertigte. Irgendwann würde er dem Kerl mal auf die Schnauze hauen und einen Blick hinter die Tür werfen. Aber nicht heute.

Als der Sprinter beladen war, gab Ljubov dem Fahrer einen Zettel mit dem Fahrtziel und öffnete das Tor. Der Sprinter rollte hinaus in die Nacht. Bevor er es wieder schloss, ging sein Blick zu dem Fenster im ersten Stock gegenüber. Trotz der Dunkelheit kam es ihm so vor, als wäre Bewegung hinter den Scheiben. Es war nicht das erste Mal, dass er das Gefühl hatte, dass dort oben jemand unnötig neugierig war. Er musste bei Gelegenheit mal rausfinden, wer die Nachbarn waren.

Der Frühling nahm in den nächsten Tagen an Fahrt auf, im Gegensatz zu Falkans Ermittlungen im Fall Falkenberg. Zwei Wochen nach Erteilung des Auftrags war er so schlau wie zuvor. Die Tapetenbahn, die er etwas voreilig zur Eintragung von Hinweisen an der Wand im Arbeitszimmer angebracht hatte, war noch so blank wie der Fußboden im Flur, den seine Perle, Birgit Krannich, gerade wischte. Mehrmals hatte Falkan an Falkenbergs Tür geklopft, doch niemand hatte geöffnet. Auch telefonisch hatte sich sein Klient nicht nach dem Stand der Dinge erkundigt.

So saß Kurt Falkan an diesem verregneten Dienstagmorgen am Küchentisch und kaute lustlos auf seinem Brötchen herum, während er den Fall Falkenberg in Gedanken abschloss. Immerhin hatte er noch keine finanziellen Ausgaben, auf denen er sitzen bleiben würde.

„Herr Falkan“, rief es aus dem Flur, „soll ich Ihrem Fritz ein frisches Deckchen ins Körbchen legen?“

„Meinetwegen“, antwortete Falkan ungewollt mürrisch, besann sich aber gleich darauf, dass seine Haushaltshilfe nichts für das Abtauchen seines Klienten konnte. „Danke im Namen meines Dackels.“

Durch die Regenschleier, die am Küchenfenster herunterliefen, sah er seinen Nachbarn Bengt Friedrichsen den Dienstwagen besteigen. Auch wenn Falkan seinen Ruhestand genoss, beneidete er den Freund doch ein wenig darum, stets Nachschub kriminalistischer Art auf dem Schreibtisch zu haben. Friedrichsen und Kollegen mussten ihre Dienste nicht in der Zeitung anbieten und darauf hoffen, dass jemand die Annonce las.

Das Läuten der Haustürklingel erlöste Falkan von seinen trüben Gedanken.

„Ich mach’ schon auf!“

Manchmal, so dachte Falkan und blieb sitzen, fühlte Birgit Krannich sich etwas zu sehr bei ihm zuhause.

„Hallo Frau Krannich, ist der Hausherr da?“

„Küche, Mike!“, kam Falkan seiner Perle zuvor.

„Grüß dich, Kurt.“

Mike Grebner betrat die Küche, pflanzte sich auf den Stuhl gegenüber und warf ein paar großformatige Fotos auf den Tisch. Falkan zog die Augenbrauen in die Höhe und griff danach.

„Bisschen dunkel.“

„Ging nicht besser. Blitzlicht wäre etwas auffällig gewesen.“

„Dann wäre das ja geklärt. Bliebe die Frage, um was es geht.“

„Das war gestern Nacht, so gegen Mitternacht, im Hof hinter unserer Halle.“

„Läuft die Produktion schon so gut, dass ihr Überstunden machen müsst?“

Falkan grinste.

„Läuft noch ein bisschen schleppend, aber wir haben ja erst angefangen. Nils ist gerade auf Tour, um Kunden zu gewinnen.“ Er deutete auf das Foto in Falkans Hand.

„Das ist jetzt schon das dritte Mal, dass ich dort unten nächtliche Aktivitäten beobachtet habe. Es ist immer ein Kleintransporter, der dort reingefahren wird und nach ein paar Minuten wieder rauskommt. Diesmal hab’ ich’s fotografiert. Man kann das Kennzeichen erkennen.“

„Melinda streicht dir das Budget, wenn sie mitbekommt, dass du euer Büro für private Ermittlungen missbrauchst.“

Mike setzte ein schiefes Grinsen auf.

„Streu noch Salz in die Wunde. Ich fühle mich eh wie der Prinzgemahl. Mir hätte auch ein Trenchcoat und zweihundert Euro plus Spesen gereicht, aber meine Leute wollten ja unbedingt, dass ich was Richtiges anfange.“

„Bist du denn nicht zufrieden? Eure Firma scheint mir doch recht vielversprechend zu sein. Rotoren für Drohnen sind doch das Geschäft der Zukunft. So steht’s in eurem Prospekt.“

„Stimmt ja auch, aber was du machst, finde ich einfach…wie soll ich sagen, romantischer.“

Falkan hielt das Foto hoch.

„Und was meinst du jetzt, was ich damit Romantisches machen soll?“

„Das Kennzeichen wäre ein Anfang.“

„Hast du schon mal deinen Schwager gefragt?“

„Dann kann ich’s ja gleich Melinda auf die Nase binden. Ich dachte, das übernimmst du. Von dir ist er so was ja gewöhnt.“

Falkan betrachtete sich das Bild genauer. Ein weißer Lieferwagen, zwei verschwommene Gesichter hinter der Windschutzscheibe, im Hintergrund eine offene Einfahrt und eine Gestalt im Halbdunkel. Das

Kennzeichen war aus dem Main-Kinzig-Kreis. Wenn man es so betrachtete, wirkte die nächtliche Szene schon recht konspirativ und machte Lust darauf, zu erfahren, wie die Dinge zusammenhingen.

„Also schön. Mir ist sowieso gerade ein Klient abhandengekommen. Ich kann mir ja mal ein paar Gedanken machen.“

Mike nickte erfreut.

„Und ich halte weiter die Augen auf. Wer weiß? Vielleicht sind wir ja was Großem auf der Spur.“

„Versprich dir mal nicht zu viel. Wahrscheinlich ist die Sache ganz harmlos.“ Er prostete Mike mit seinem inzwischen kalten Kaffee zu. „Aber für einen Rentner mit Abneigung gegen Langeweile ist es immerhin eine willkommene Abwechslung.“

Kapitel 2

Falkan fuhr langsam an dem weißen Sprinter vorbei und parkte den Firebird um die Ecke. Er hatte gleich nach Mikes Besuch dessen Schwager kontaktiert und von diesem ohne die üblichen nervigen Verhandlungen den Namen des Halters erfahren. Friedrichsen hatte nicht einmal nach dem Grund gefragt. Falkan war gleichermaßen erfreut und irritiert gewesen. Der Mann hieß Lohfink und wohnte in einem der Wohnblocks am Ortsende von Meerholz.

Falkan stieg aus und schlenderte, ganz Rentner auf Verdauungstour, die Straße entlang. An dem Sprinter war nichts Auffälliges. Keine Beschriftung, nur ein Eintracht-Frankfurt-Adler am Heck und der Rest eines ADAC-Aufklebers. Ein Blick durch das Seitenfenster vermittelte einen Eindruck vom Ordnungssinn des Fahrers. Der Aschenbecher quoll über, eine zerfledderte Bildzeitung und angebrochene Chipstüten lagen auf dem Beifahrersitz, und den Fußraum zierten leere Plastikflaschen. Spuren auf dem Armaturenbrett zeugten davon, dass der Innenraum schon längere Zeit keinen Staubwischer gesehen hatte.

„Wird was gesucht?“

Erschrocken zuckte Falkan zusammen, fing sich jedoch schnell wieder und gab den Ahnungslosen.

„Gehört der Ihnen?“

„Wieso? Ist was damit?“

Falkan verspürte eine aggressive Grundhaltung seines Gegenübers, die vortrefflich zu dessen Äußerem passte.

Grüne Bomberjacke über einem schmierigen Wanst, fettige Haare bis auf die Schultern und ein Gesicht wie eine Bulldogge, also genau der Typ, mit dem sich ein älterer Herr lieber nicht anlegen sollte.

„Nein, nein“, beteuerte Falkan unschuldig und ging langsam davon. Er spürte die Blicke des anderen in seinem Rücken, bis der Motor ansprang und der Sprinter an ihm vorbeirauschte. Falkan wendete und ging zum mittleren der drei Hauseingänge. Nach kurzem Suchen fand er den Namen, daneben ein selbstgebasteltes Firmenschildchen mit der Aufschrift

`Transporte´.

Warum aber führte er seine Transporte nachts durch?

Und warum hatte er keine Werbung auf dem Auto?

Das waren zwar keine Beweise für was auch immer, aber immerhin zwei von Falkans so geliebten Nebensächlichkeiten, die er, hätte er bereits ein kleines schwarzes Buch vorbereitet, sich für alle Fälle notiert hätte.

Einem Impuls folgend betätigte Falkan die Klingel.

Lohfinks äußeres Erscheinungsbild ließ zwar nicht auf eine dauerhafte Zweierbeziehung schließen, aber wer konnte wissen? Vielleicht ergab sich ja etwas bei einem Gespräch, das es ebenfalls Wert war, auf der Tapetenbahn verewigt zu werden. Statt einer Stimme aus dem Lautsprecher wurde die Tür geöffnet, und eine ältere Dame trat heraus. Sie bemerkte Falkans Finger auf Lohfinks Klingelknopf.

„Der ist gerade aus dem Haus.“

„Ist seine Frau denn da?“

„Frau?“ Sie stieß ein hämisches Lachen aus. „So nötig hat das keine.“

Sie wollte an Falkan vorbei, doch er trat ihr aus Versehen in den Weg.

„Was ist er denn für ein Typ, der Lohfink?“

„Ein unangenehmer.“

„Sie mögen ihn nicht, was?“

„Sind Sie von der Polizei?“

„Warum? Gäbe es denn Gründe, warum sich die Polizei für Lohfink interessieren sollte?“

Jetzt wurde ihr das Gespräch an der Haustür unangenehm.

„Ich sag’ nichts.“

Diesmal ließ sie sich nicht den Weg versperren und rettete sich vor weiteren Fragen auf den Bürgersteig.

Falkan sah ihr nach und ging dann langsam zum Auto zurück. Viel hatte ihm der Ausflug nach Meerholz nicht gebracht, aber immerhin einen ersten Eindruck von einem der Beteiligten an dem, was unter Mikes hinterem Fenster nach Einbruch der Dunkelheit vorging.

Nils Hajek schloss die Stahltür ab und aktivierte die Alarmanlage. Sie hatten bis in den späten Abend hinein gearbeitet, um die erste Ladung für morgen versandfertig zu bekommen.

„Kommst du noch mit zu Abdel? Mir ist nach Pizza.“

„Nee, wir haben uns eine neue Heißluftfritteuse gekauft, die wollen wir ausprobieren. Wenn du willst, kannst du mitkommen.“

„Danke, aber Pizza und dann ins Bett. Ich bin fix und alle.“

„Alter Mann, was?“, grinste Mike.

„Hab’ letzte Nacht kaum geschlafen.“

„Benita?“

„Hanna.“

„Such’ dir langsam mal was Festes. Du bist keine siebzehn mehr“, zitierte Mike unwissentlich seinen alten Freund Kurt Falkan.