Falkan und der Zirkus - Gerhard Krieg - E-Book

Falkan und der Zirkus E-Book

Gerhard Krieg

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Beschreibung

Wieder einmal ist es ein kleiner, unscheinbarer Auftrag, der sich im Laufe der Ermittlungen für KHK im Ruhestand Kurt Falkan zu einem immer größer werdenden Problem entwickelt. Es beginnt alles mit dem Futtergeld für hungernde Zirkustiere und endet mit dem spurlosen Verschwinden von Menschen. Falkan macht sich auf die Suche.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Der Mann auf der Parkbank widmete seine ganze Aufmerksamkeit den beiden Enten, die sich nahe dem Ufer um einige Brocken stritten, die auf den vom Herbstwind gekräuselten Wellen schwammen. Die wenigen Menschen, die vor ihm auf dem Kiesweg vorbeigingen, beachtete er kaum. Es war kühl an diesem frühen Morgen im Central Park. Über dem dunklen Wasser waberten graue Nebelschleier wie gelangweilte Geister. Drüben, im `San Remo´, gingen eben die letzten Lichter aus.

Der Mann zog die linke Hand aus der Manteltasche und sah auf die Uhr. Seine Augenbrauen zogen sich ärgerlich zusammen. Er hasste Unpünktlichkeit.

„Werden Sie schon wieder nervös, Ben?“

Der mit Ben angeredete löste den Blick von seiner Uhr und sah den Mann an, der neben der Parkbank stehengeblieben war.

„Manchmal denke ich, Sie sollten sich eine andere Beschäftigung suchen, Keller. Vielleicht bei der Post oder der Bahn, da kommt es nicht so auf Pünktlichkeit an.“

Keller lachte und ließ sich auf die Bank plumpsen. Die Latten der alten Holzbank ächzten unter seinem Gewicht.

„Nicht jeder ist zum Buchhalter geboren, Ben. Was machen die Bilanzen?“

„Sind in Ordnung, danke der Nachfrage. Ich habe etwas für Sie.“

Henderson zog einen schmalen Umschlag aus der Tasche und reichte ihn seinem Nachbarn, der ihn, ohne einen Blick drauf zu werfen, zusammen mit seiner linken Hand in der Manteltasche verschwinden ließ.

Die beiden ungleichen Männer hielten sich bei ihren Treffen nie mit unnötig viel Gerede auf.

„Ist diesmal ein Job in Europa. Gut fürs Geschäft. Der Kandidat ist extrem heiß.“

Ben Henderson sah wieder den Enten zu, die inzwischen ihren Streit beendet hatten und auf der Suche nach neuer Beute Kreise zogen.

„Es ist ja bald Winter, da kann er sich abkühlen.“

Henderson erhob sich von der Bank und trat auf den Kiesweg. Es knirschte unter seinen Schuhen. Sein Blick ging über den See, hinüber zu den Bäumen am jenseitigen Ufer und dem steinernen Häusermeer dahinter.

„Ich mag die Winter in New York. Ich glaube, ich werde dieses Jahr zu Weihnachten nicht nach Hause fahren.“

Keller stand nun ebenfalls auf. Die Hand in seiner Tasche hielt immer noch den Umschlag fest, als habe er Angst, der Herbstwind könnte ihn davonwehen. In der Branche, in der Henderson und er tätig waren, hielt man nicht viel von Nachrichten, die sich durch die undurchsichtige Welt des Internets bewegten und man nie wusste, bei wem sie vorbeikamen und auf wessen Bildschirm sie auftauchten. Digitale Spuren konnten tiefere Eindrücke hinterlassen als ein Stiefel im Tiefschnee. Ein Umschlag in der Tasche, ein gutes Gedächtnis und ein Feuerzeug zur rechten Zeit waren immer noch die besten Garanten dafür, die Dinge dort zu belassen, wo sie hingehörten.

„Na dann bis zum nächsten Mal, Ben.“

„Machen Sie’s gut, Keller.“

Die beiden Männer gingen in verschiedene Richtungen davon. Ihr Treffen hatte keine drei Minuten gedauert, alles Weitere würde wesentlich mehr Zeit in Anspruch nehmen.

Kapitel 1

„Grüß dich, Erhard, ich bin’s, Willi.“

„Moin, was gibt’s?“

„Du hast mich doch vor ein paar Wochen gebeten, dir Bescheid zu sagen, falls der Mensch vom Zirkus wieder auftaucht.“

„War er da?“

„Vor einer Minute. Ich hab’ ihm einen Fünfer gegeben.“

„Alles klar, danke. Dann wird er ja auch bald bei mir aufkreuzen.“

Erhard Piek beendete das Gespräch und kramte in der Schale neben dem Telefon nach der Visitenkarte, die ihm Kurt Falkan vor einiger Zeit im Bäckerladen von `Alex backt’s´ gegeben hatte.

„Herr Falkan?“

„Der selbst.“

„Hier spricht Erhard Piek, erinnern Sie sich? Wir haben uns mal bei Alex getroffen.“

Falkan wühlte kurz in seiner Erinnerung.

„Der Mann mit dem Zirkusproblem, stimmt’s?“

„Kein Problem, mehr eine informative Sache. Ich wollte nur wissen, ob der Mann, der jeden Herbst von mir Geld für Tierfutter bekommt, wirklich vom Zirkus ist oder nur die Gutmütigkeit der Menschen ausnutzt.

Hätten Sie Zeit?“

Falkan legte das Netz mit Zwiebeln, das er noch in der Hand hielt, in den Einkaufswagen.

„Bin gerade beim Einkaufen. Ich könnte in zehn Minuten bei Ihnen sein. Ist er schon lange weg?“

Falkan war trotz der kühlen Witterung mit dem Rad unterwegs.

„Er war noch gar nicht da. Ich hatte ein paar Leute gebeten, mir Bescheid zu sagen, wenn er in unserer Gegend auftaucht. Einer hat gerade aus der Hauptstraße angerufen. Ich schätze, er wird als nächstes in die Wildhausstraße einbiegen.“

„Alles klar. Ich muss noch ein bisschen was organisieren, dann komme ich.“

Falkan beendete seine Einkaufstour schneller als sonst und bat seine Nachbarin Simone telefonisch, sich ein wenig um seinen Dackel zu kümmern, sollte er länger fortbleiben. Sein neuer Klient hatte ihn vor einiger Zeit gebeten, den Mann, der jeden Herbst vor seiner Tür stand und Futtergeld für Zirkustiere sammelte, zu überprüfen. Das konnte bis in die Abendstunden dauern. Nur ein Routineauftrag, aber immerhin.

Wenig später schob er sein Rad auf den Hof in der Wildhausstraße. Es herrschte Schmuddelwetter, typisch November, grau und kalt. Falkan bezog in Pieks Küche Posten. Den Käse und die Wurst verstaute er in dessen Kühlschrank.

„Mir ist in letzter Zeit kein Zirkus in der Gegend aufgefallen.“

„Ich habe auch keinen gesehen.“ Piek goss Falkan einen Kaffee ein. „Er hat mir mal gesagt, sein Zirkus würde jedes Jahr auf angemieteten Plätzen in Frankfurt oder Umgebung überwintern.“

Falkan schlürfte den heißen Kaffee. Bei dem Wetter konnte man nach einer Runde mit dem Fahrrad etwas Aufwärmung vertragen.

„Hoffentlich ist er nicht mit dem Auto unterwegs. Dann wird’s schwierig, ihm zu folgen.“

„Ich habe ihn immer nur zu Fuß gesehen, aber wenn er tatsächlich irgendwo ein Auto stehen hat, können Sie ja die Nummer aufschreiben. Sie haben doch bestimmt Beziehungen und bekommen den Halter raus.“

Piek grinste. Falkan grinste zurück. Sein Bekannter bei der Zulassungsstelle war kürzlich in Rente gegangen, aber er hatte ja immer noch Friedrichsen, Kriminalhauptkommissar und guter Nachbar mit Draht zum Kraftfahrt-Bundesamt.

„Mein Auftrag lautet also Beschattung. Was ist, wenn ich herausfinde, dass das mit dem Zirkus stimmt? Soll ich ihn dann ansprechen, oder wollen Sie sich mit ihm in Verbindung setzen? Sie sagten doch, dass Sie dem Zirkus dann etwas spenden wollen.“

„Will ich. Ich bin nämlich Zirkusfan, seit ich damals immer Salto Mortale im Fernsehen geguckt habe.“ Piek dachte einen Moment nach. „Aber das habe ich mir, ehrlich gesagt, noch gar nicht so recht überlegt. Ich schätze, es wäre das Beste, wenn Sie mit ihm reden. Sie könnten sich die Kontonummer des Zirkus geben lassen oder so. Wenn er dann das nächste Jahr wieder kommt, erzähle ich ihm die Geschichte, und wir lachen mal herzlich drüber.“

Falkan kam nicht mehr dazu, die Rede auf seine Bezahlung zu bringen, denn in diesem Moment klingelte es an der Haustür. Piek legte unnötigerweise den Zeigefinger auf die Lippen und verließ die Küche.

Kurz darauf vernahm Falkan unverständliche Worte. Er riskierte einen Blick aus dem Fenster, um sich das Gesicht des Mannes einzuprägen. Auf der Treppe wurde kurz gelacht, dann kam Piek zurück.

„Ich hab’ ihn gefragt, wie lange er so am Tag unterwegs ist“, flüsterte er und nahm ein Portemonnaie aus der Schublade. „Er hat gesagt, er macht immer so bis in den frühen Nachmittag, damit er noch bei Tageslicht heimkommt. Er fährt übrigens mit dem Zug.“

„Versuchen Sie, genauer rauszubekommen, wann er fährt. Dann kann ich ihn am Bahnhof erwarten und muss ihm nicht die ganze Zeit hinterherrennen. Man ist schließlich nicht mehr der Jüngste. Außerdem ist die Gefahr, entdeckt zu werden, bei solchen Aktionen nicht auszuschließen.“

Piek nickte und ging, seine Spende loszuwerden. Als er zurückkam, machte er ein enttäuschtes Gesicht.

„Tut mir leid, genauer als Nachmittag ging es nicht. Ich bin nicht so gut im Ausfragen.“

Falkan kam also um einen Spaziergang von unbekannter Länge durch den grauen, kalten Novembernachmittag nicht herum. Er verließ Piek und sah gerade noch, wie der Mann ein paar Häuser weiter an der Tür klingelte. Die Häuser dazwischen hatte er ausgelassen. Scheinbar hatte er seine festen Anlaufstellen, wo er sicher sein konnte, dass man ihn nicht abwies.

Falkans vierzigjähriger Erfahrung als Ermittler hatte er es zu verdanken, dass er in den vier Stunden, die er dem Mann durch die Straßen Altenhaßlaus hinterherlief, nicht aufflog und gegen drei Uhr einen Waggon weiter als der Verfolgte in den RB 51 nach Frankfurt stieg. Seine Dauerkarte hatte er stets bei sich.

Falkan nahm ein paar Reihen von seiner Zielperson entfernt Platz. Bei jeder Haltestelle sah er hinüber zu dem Fensterplatz, aber erst kurz vor Frankfurt Süd erhob sich der Mann und kam in Richtung Ausgang an Falkan vorbei, wobei sein Blick ihn wie zufällig streifte. Falkan vermied Blickkontakt und folgte in gebührendem Abstand aus dem Bahnhof hinaus, wobei er erstaunt feststellen musste, dass ihn seine Observation über den Diesterwegplatz hinüber in die Kneipe führte, in der er unlängst mit seinem ehemaligen Kollegen Walter Matschureit eine feuchtfröhliche Fahndung eingeleitet hatte.

Sie betraten das `Sternche´, wie die Gaststätte hieß, zeitgleich. Dabei kreuzten sich zum ersten Mal ihre Blicke. Es gab ein kurzes Nicken unter Männern, die sich in der Kneipe trafen, mehr nicht. Die Art, wie die Wirtin den neuen Gast begrüßte, ließ darauf schließen, dass er nicht das erste Mal in die Gaststätte kam. Durch die freundschaftliche Begrüßung erfuhr Falkan zudem, dass der Mann Friedel hieß und seine Trinkgewohnheiten hier bekannt waren.

„Und Sie?“

Die Wirtin sah Falkan fragend an, während sie für Friedel bereits zapfte.

„Das gleiche.“

In den Augen der Frau war kein Wiedererkennen.

Falkans Gastspiel vor einigen Wochen draußen im Biergarten war wohl zu kurz gewesen, und die Zeiten, in denen er mit Matschureit noch hin und wieder seinen Feierabend im `Sternche´ eingeläutet hatte, waren lange her.

Friedel hatte es sich inzwischen an der Theke gemütlich gemacht und unterhielt sich angeregt mit einer grauhaarigen Frau, die nach Stammgast aussah. Falkan hockte sich ein paar Meter weiter neben den Spielautomaten, der fröhlich seine Runden drehte. Der dazugehörige Spieler war wahrscheinlich gerade eine Treppe tiefer.

Kurz bevor Falkan mit Friedel gemeinsam durch die Tür gekommen war, hatte er seine Pläne bezüglich des weiteren Vorgehens geändert, beziehungsweise an das Wetter angepasst. Zur Kälte und der einsetzenden Dunkelheit hatte sich nun auch noch unangenehmer Nieselregen gesellt, und die Zeiten, in denen er verdächtigen Personen bei Nacht und Nebel durch Frankfurt hinterhergerannt war, waren ebenfalls lange her. Da Friedel genau genommen auch keine verdächtige Person war und kein verabscheuungswürdiges Verbrechen aufzuklären war, hatte Falkan beschlossen, die Sache bei einem Bierchen zu klären. Ob er dem Mann jetzt bis in die Manege nachlief oder hier im Warmen `zufällig´ mit ihm ins Gespräch kam, war am Ende egal.

Während er an seinem Bier nuckelte und der Spieler wieder die Treppe heraufkam, überlegte Falkan, wie er unauffällig Friedels Bekanntschaft machen konnte. In so einer Kneipe ging so etwas erfahrungsgemäß am besten mit einer Lokalrunde. Er zählte nur sechs Gäste, die Kosten würden sich in Grenzen halten.

Falkan kam aber nicht mehr dazu, seinen Plan in die Tat umzusetzen, denn in diesem Moment legte Friedel ein paar Münzen auf die Theke, nickte der Wirtin zu und ging. Falkan verzog enttäuscht den Mund, zahlte ebenfalls und folgte dem Mann in die kalte Nacht.

Nichts mit kleinem Dienstweg.

Die billige Markise über dem Eingang schützte ihn vor der Nässe. Drüben, vorm Südbahnhof, zog sich die Lichterkette der Stadtbusse und S-Bahnen dahin. Im Schein der Straßenlaternen waberten dünne Regenschleier durch die Luft. Falkan ließ seinen Blick über die nassen Straßen und zur Bushaltestelle gegenüber schweifen. Friedel hatte einen alten Armeeparka getragen und war in der feuchten Dämmerung schwer auszumachen.

„Suchst du mich?“

Falkan fuhr herum. Neben der Eingangstür drückte sich eine Gestalt gegen die Getränkekarte. Friedel fixierte ihn mit einer Mischung aus Furcht und Entschlossenheit. Er machte keinen gefährlichen Eindruck, war mehr wie ein in die Enge getriebenes Kälbchen, das alles riskieren würde, um nicht als Schnitzel zu enden.

„Ich wollte gerade eine Runde schmeißen.“

„Und um mir das zu sagen, läufst du mir nach?“

„Du siehst durstig aus.“

„Hattest ja lange genug Zeit, das zu bemerken. Meinst du, ich hätte dich nicht schon früher bemerkt? Du warst schon im Zug hinter mir.“

Falkan vermerkte sich für später, an seiner Tarntechnik zu arbeiten. Erst jetzt bemerkte er Friedels geballte Fäuste, die wie Stummel aus seinen Ärmeln herausschauten. Das Kälbchen schien doch auf Krawall gebürstet zu sein.

„Ist alles ganz harmlos“, sagte er beschwichtigend.

„Spionierst du für Jegor?“

„Jegor?“

„Du kannst ihm ausrichten, dass ich das Maul halte, auch wenn ich ihm am liebsten den Hals umdrehen würde. Aber es geht schließlich ums Geschäft, oder?“

Friedels Fäuste entspannten sich etwas. „Also sag’ ihm, er braucht sich wegen mir keine Sorgen zu machen, und das Flittchen kann er behalten. Mir ist ein gefülltes Bankkonto lieber, okay?“

Die Tür ging auf, und die grauhaarige Frau kam leicht torkelnd ins Freie. Unter dem Schutz der Markise zündete sie sich eine Zigarette an, dann erst bemerkte sie die beiden Männer.

„Hey Jungs, auch eine flammen?“

Sie hielt Friedel ihre Packung hin, er griff danach, Falkan lehnte dankend ab. Sie zuckte mit den Schultern und zog genussvoll an ihrer Zigarette, während Friedel sich ebenfalls eine ansteckte.

„Warum rauchst’n nicht drinnen, Frieda?“

Das `Sternche´ war eine Raucherkneipe.

„Wollte mal an die frische Luft“, grinste Frieda und stieß ein heißeres Raucherlachen aus. Friedel sah Falkan durch den ersten Rauch fragend an.

„Also?“

Falkan trat auf die Eingangstür zu.

„Komm’ mit rein, ich gebe einen aus und erzähle dir, um was es geht.“ Misstrauische Augen sahen ihn an.

„Ich hab’ dir doch gesagt, es ist ganz harmlos. Und deinen Jegor kenne ich nicht. Ich heiße übrigens Kurt Falkan.“

Wenige Sekunden später hockten sie nebeneinander an der Theke, und Falkan bestellte zwei Bier. Die Lokalrunde, um Friedels Bekanntschaft zu provozieren, hatte er immerhin gespart, ein paar Euro weniger auf Pieks Rechnung. Während sie ihr erstes Bier konsumierten, berichtete Falkan Friedel von seinem Auftrag. Zuerst lauschte der noch zweifelnd und blickte hin und wieder misstrauisch drein, doch beim zweiten Bier und nach Falkans Eröffnung, dass der Zirkus im Fall eines positiven Berichts an Falkans Auftraggeber mit einer ordentlichen Spende rechnen könne, tauten Friedels Gesichtszüge langsam auf.

„Klar gibt es unseren Zirkus. Zirkus Ramov. Wir sind übern Winter drüben in Niederrad. Kannst ja mitkommen und dich überzeugen. Noch zwei, drei Bier, und ich mach’ mich auf’n Weg.“

Falkan sah auf die Uhr. Mit dem Bus waren es zwanzig Minuten, und ein paar Fotos würden seinem mündlichen Bericht sicherlich etwas mehr Würze verleihen.

„Müssen wir weit laufen. Es ist ungemütlich draußen.“

„Die Haltestelle ist keine Minute von unserem Platz entfernt. Wenn wir irgendwo in der Pampa campieren würden, wäre ich bestimmt nicht mit den Öffentlichen unterwegs.“

Nach den angekündigten zwei, drei Bier waren sie eine halbe Stunde drauf mit dem Bus durch die Stadt unterwegs. Vor den regennassen Scheiben zog Falkans altes Revier vorbei. Er kannte viele der Namen über den Geschäften und Kneipen, es waren die letzten Jahre aber auch viele unbekannte dazugekommen.

„Wer ist eigentlich dieser Jegor?“, fragte er wie nebenbei und musste lächeln, als der Bus an einer Kneipe vorbeifuhr, in der er vor zwanzig Jahren gemeinsam mit Matschureit Dieter Knotte eingesammelt hatte, der dort einen Teil des Geldes am Versaufen gewesen war, das ihm einige Tage zuvor bei einem Raubüberfall an der Konstablerwache in die Finger gefallen war.

„Unser Chef. Jegor Ramov. Zirkusdirektor, Trapezkünstler, Löwenbändiger und Arschloch.“

Falkan lachte.

„Ihr habt ein angespanntes Verhältnis, oder?“

Ein Anflug von Trauer erschien in Friedels Augen.

„Weibergeschichten.“

Mehr war aus ihm nicht herauszubekommen. Es ging Falkan im Grunde genommen ja auch nichts an und hatte sicherlich nichts mit seinem Auftrag zu tun. Nur Friedels Bemerkung, dass er stillhalten würde und dass es schließlich ums Geschäft ginge, regte Falkans kriminalistische Fantasien an. Maulhalten bedeutete in gewissen Kreisen, dass man im gegenteiligen Fall reden und dadurch für jemand anderen unangenehme Konsequenzen erzeugen würde. Dabei konnte es um die Zielsicherheit eines unsympathischen Kollegen beim Pinkeln gehen oder um die Beobachtung eines heimtückischen Mordes um Mitternacht. Dazwischen gab es unendlich viele Möglichkeiten.

Falkan beschloss, es für dieses Mal gut sein zu lassen.

Es ging ihn ja wirklich nichts an.

„Was machst du eigentlich beim Zirkus, ich meine, außer Futtergeld zu sammeln?“

„Ich sitze an der Kasse und mache alles, was so anfällt, bin so was wie der Hausmeister. Nix Spektakuläres.“

Der Bus hielt, und sie stiegen mit einigen anderen Fahrgästen aus. Die Haltestelle lag in einer trostlosen Gegend. Der stärker gewordene Regen beschleunigte ihre Schritte entlang eines Bauzauns, hinter dem sich die Ausleger von Kränen in den dunklen Abendhimmel streckten. Als der Zaun endete, wurde der Blick auf eine weite Fläche, bestanden mit Wohnwagen, Lkws und einer großen, runden Zirkuskuppel frei. An den Seiten der Wohnwagen stand in bunten, geschwungenen Buchstaben `Circus Ramov´, die Fenster waren erleuchtet, hinter manchen sah man Fernseher flimmern. Es war ein Bild aus einer anderen Welt. Falkan holte sein Telefon aus der Tasche.

„Stell’ dich mal dorthin“, forderte er Friedel auf und legte den Finger auf den Auslöser. Dreimal erhellte der Blitz die Dunkelheit, dann erklärte Falkan den heutigen Auftrag für beendet. Eine Einladung auf ein Abschiedsbier lehnte er ab. Fritz war sicherlich schon ungeduldig. Er notierte sich noch die Kontonummer des Zirkus und übergab im Gegenzug, für alle Fälle und zum Zwecke der Eigenwerbung, sein Kärtchen, dann eilte er zurück zur Bushaltestelle.

„Wer war das?“

Friedel fuhr zusammen. Erst jetzt entdeckte er das glühende Zigarettenende unter dem Vordach des großen Wohnwagens, den er sich mit drei anderen Junggesellen teilte. Jegors riesige Gestalt hob sich wie ein dämonischer Scherenschnitt gegen die schwach beleuchtete Manege im Hintergrund ab.

„Ein Geldgeber.“

Friedel kam sich witzig vor. Die Biere im `Sternche´ hatten ihm etwas von dem Respekt genommen, den ihm Jegor normalerweise einflößte. Außerdem war er noch sauer wegen Anita, die sich seit neuestem lieber mit dem Chef herumtrieb.

„Verarsch’ mich nicht. Der Kerl hat Fotos gemacht.

Warum?“

„Er is’n Zirkusfan.“

Jegor schnippte die Zigarette in eine Pfütze und kam auf Friedel zu. Sein humorloses Grinsen machte Friedel schlagartig nüchtern.

„Zirkusfan, ja? Unser Gast ist vor einer halben Stunde angekommen, und jetzt kommst du mit einem her, der Fotos macht und willst auch noch witzig sein. Weißt du, was die Leute, mit denen wir es zu tun haben, mit einem anstellen, der so was macht?“

Friedel blickte nervös zu Boden. Jegors Kippe erlosch mit einem letzten Rauchfähnchen in der Pfütze. Friedel hatte keine Lust, ebenfalls auf diese Weise zu erlöschen.

„Er hat von einem, bei dem ich jedes Jahr kassiere, den Auftrag bekommen, zu überprüfen, ob ich auch wirklich für die Viecher sammele. Der Kerl will uns was spenden. Ist wohl ein Zirkusfan.“

Friedels Hoffnung, Jegor mit der Aussicht auf leicht verdientes Geld milde zu stimmen, wurde enttäuscht.

Das humorlose wich jenem bösen Grinsen, das ihm noch von Anton Kostics’ `Unfall´ bestens im Gedächtnis war. Kostics hatte monatelang nicht auftreten können und war danach nie mehr derselbe gewesen.

„Tatsächlich? Noch ein Zirkusfan? Da haben wir ja schon fast das ganze Zelt voll. Und der eine Fan hatte von dem anderen Fan einen Auftrag? Das hört sich ja ganz so an, als interessiere sich da jemand für uns. Sag, Friedel“, er trat so nah an Friedel heran, dass der trotz der eigenen Fahne den Wodka riechen konnte, den Jegor im Winterquartier reichlich konsumierte, „glaubst du, dass es bei unserem kleinen Nebenjob besonders schlau ist, neugierige Menschen bei Nacht und Nebel herzuschleppen und sie Fotos machen zu lassen?

Glaubst du das?“

Zu der Feuchtigkeit, die der Regen auf Friedels Haut hinterließ, gesellte sich jetzt noch kalter Schweiß.

„Der Kerl ist harmlos, Jegor, glaub’ mir. Wir haben einen zusammen getrunken, und er hat mir von seinem Freund erzählt, der uns eine größere Spende zukommen lassen will. Ich hab’ ihm unsere Kontonummer gegeben. Wirst sehen, in ein paar Tagen ist das Geld da. Hier, ich habe sogar seine Karte, kannst ihn ja anrufen.“

Jegor besah sich Falkans Visitenkarte.

„Privatdetektiv.“ Nun erlosch auch noch das böse Grinsen. Seine Stimme bekam einen gefährlichen Unterton. „Das wird ja immer besser.“

Friedel verflucht die blöde Idee, Jegor die Karte gegeben zu haben. Und er verfluchte seine Nachlässigkeit, vorher nicht draufgesehen zu haben.

Außerdem verfluchte er seinen Entschluss, einen Umweg über die Kneipe zu machen. Vor allem aber verfluchte er Jegor, der ihn gestern Abend für heute zum Sammeln eingeteilt hatte, um ungestört mit Anita rumhuren zu können. Der Gedanke daran ließ einen Teil seines verlorengegangenen Muts zurückkehren.

„Es war ja wohl nicht meine Idee, bei dem Scheißwetter auf Achse zu gehen. Ich wäre auch lieber im warmen Wohnwagen geblieben und hätte…“

„Hätte was?“

In dem Moment kam Anita beim übernächsten Wohnwagen die Stufen der Treppe herab und blieb, eine Zigarette zwischen den Lippen, unter dem Vordach stehen. Sie sah zu den beiden Männern herüber, nahm die Zigarette aus dem Mund und blies den Rauch mit erhobenem Kinn in den Regen. Friedel nahm ihr Auftauchen zum Anlass, sich nach einem wütenden Blick auf Jegor aus dem Staub zu machen. Er sprang die Stufen zu seinem Wohnwagen hoch und knallte die Tür lautstark hinter sich zu. Jegor sah grinsend zu Anita rüber. Es war sein Wohnwagen, aus dem sie gekommen war. Dann warf er noch einen nachdenklichen Blick auf Falkans Visitenkarte und ließ sie in der Tasche verschwinden. Möglicherweise würde sich ja jemand für diesen Herrn Falkan und den anderen Zirkusfan interessieren.

„Es könnte ein Problem geben.“

Sie saßen diesmal auf einer Bank auf der anderen Seite des Sees. Henderson sah den grauen Wolken hinterher, die seine Worte in der eisigen Morgenluft erzeugten.

Der erste Schnee würde nicht mehr lange auf sich warten lassen, und sie hatten für dieses Jahr einen harten Winter für die Ostküste angekündigt.

„Könnte?“

„Das Transportunternehmen unseres letzten Kunden hat eine Auffälligkeit gemeldet. Man hat uns gebeten, der Sache sicherheitshalber nachzugehen. Ist wahrscheinlich nichts, aber wir sollten das überprüfen.

Immerhin geht es um unser Renommee.“

„Einzelheiten?“

Henderson wartete, bis ein dick eingemummtes Pärchen vorübergegangen war, dann zog er den Umschlag aus der Tasche und reichte ihn Keller.

„Es geht wohl um einen Privatschnüffler, der in Kontakt zu einem Mitarbeiter stand und sich in der Nähe aufgehalten hat, als der Kunde eintraf. Kann Zufall sein, muss aber nicht.“

Keller nahm die Anweisungen – wie immer schwarz auf weiß – entgegen und verstaute sie in der Manteltasche. Wie er Henderson kannte, war der Sachverhalt detailliert aufgezeichnet. Es würde keiner zusätzlichen Fragen bedürfen.

„Ich bin die nächsten Tage beschäftigt, aber ich schicke jemanden und lasse in ein paar Tagen von mir hören.“

Er legte den Kopf in den Nacken und sah in den Himmel über New York. Seine leise Stimme drang nicht weiter als bis an Hendersons Ohren. „Haben wir Freigabe für weiterführende Maßnahmen, falls es sich doch nicht um einen Zufall handeln sollte?“

„Unbedingt“, bestätigte Henderson und erhob sich von der feuchten Bank. „Wie gesagt, es geht um unser Renommee.“

Er schlenderte wie ein Mann davon, der die kalte, klare Morgenluft des Parks genoss und der sich keine Gedanken um anderer Leute Probleme machen musste.

Keller sah ihm eine Weile hinterher und ging dann in die andere Richtung davon.

Kapitel 2

Kurt Falkan genoss die ersten warmen Sonnenstrahlen des Jahres auf seiner Veranda, während sein Dackel Fritz durch die feuchte Gartenerde schlich und neugierig an den Stiefmütterchen schnüffelte, die um den Stamm des Apfelbaums wuchsen. Die bunten Frühlingsboten waren vor wenigen Tagen gemeinsam mit den ersten zweistelligen Plusgraden gekommen.

Seit seinem Zirkusbesuch im November hatte Falkan sich nicht mehr um fremde Angelegenheiten gekümmert, ausgenommen die Hausaufsicht bei den Friedrichsens, die Weihnachten bei der Verwandtschaft in Norddeutschland verbracht hatten.

Falkan erhob sich aus dem Gartenstuhl und ging hinüber ins Gartenhäuschen, in dem der Hasenstall stand. Etwas traurig sah er auf die vier Türchen, von denen nur noch das eine geschlossen war, hinter dem seine letzten beiden Hasen die Nasen rümpften. Er hatte die Zahl der Tiere im letzten Jahr heruntergefahren, nachdem sein Schlachter Walter Steinhaber seine Tätigkeit eingestellt hatte und sich niemand in seinem Bekanntenkreis fand, der es übers Herz brachte, so einem pelzigen Wollknäuel das Fell über die Ohren zu ziehen. Dann war Anfang Januar auch noch der große Schwarze eines natürlichen Todes gestorben, und Falkan hatte das letzte Pärchen nur noch aus Nostalgie behalten. Nicht mehr lange, und bei den beiden würde sich Nachwuchs einstellen, aber da bei Falkan die Euphorie der ersten Jahre inzwischen verflogen war – was auch ein wenig am Tod des großen Schwarzen lag – dachte er über eine Umsiedlung der Jungen in die Nachbarschaft nach. Friedrichsens Sohn Paul würde sich sicherlich über solch kuschelige Spielgefährten freuen.

„Kurt!“

Der Ruf nach ihm riss Falkan aus seinen Hasengedanken. Er bückte sich durch die Tür des Gartenhäuschens nach draußen und sah überrascht auf den unerwarteten Gast. Einen abgewetzten Armeerucksack über der Schulter, seit Tagen nicht rasiert und mit der Aura eines Weltenbummlers umgeben, stand Mike Grebner neben der Veranda und grinste ihn an.

„Wo kommst du denn her?“

Falkan war viel zu überrascht für irgendwelche Höflichkeiten.

„Aus Afrika, du erinnerst dich?“

Michael Grebner, KHK Friedrichsens Schwager, war vor Jahren mit seiner Freundin Melinda Boatonga zu deren Eltern nach Kenia gezogen, um auf der dortigen Rinderfarm zu arbeiten. Falkan hatte ihn das letzte Mal vor fast zwei Jahren auf dem Altenhaßlauer Weihnachtsmarkt gesehen. Er überwand seine Überraschung und umarmte den Ankömmling ungewohnt heftig. Mike musste in diesem Moment als Trost für den gestorbenen alten Hasen und den unaufhaltsamen Niedergang von Falkans Hasenzucht herhalten.

„Schön, dass du da bist, Junge. Warst du schon drüben?“

Mike nahm den Rucksack vom Rücken.

„Es macht keiner auf, und ich hab’ nicht Bescheid gesagt, dass ich komme.“

„Bist du alleine?“

„Ja.“

Falkans geübtem Ohr entging nicht der leise Unterton in Mikes Antwort. Er unterdrückte jedoch seine Neugierde. Mike würde schon reden, wenn es etwas zu reden gab.

„Willst du was trinken? Wasser, Kaffee, Bier, Hausgemachten?“

„Nee, ich will nur schlafen. Bin seit drei Tagen unterwegs. In Kenia war es etwas schwierig, nach Nairobi zu kommen, und bis mein Flug ging, musste ich in der Wartehalle pennen.“

„Du siehst auch ziemlich fertig aus. Du weißt ja, wo das Gästezimmer ist. Ich muss erst mal weg, aber bis du wieder wach bist, sind die von gegenüber bestimmt auch wieder da. Kannst ja dann später erzählen, was so los war die letzten eineinhalb Jahre.“

Mike nickte müde und ging über die Veranda ins Haus.

Falkan sah ihm nachdenklich hinterher. Auch wenn er seine Neugierde im Griff hatte, fragte er sich dennoch, warum Mike scheinbar planlos die Farm in Kenia verlassen hatte und nun wie ein heimatloser Seemann bei seiner Schwester aufgetaucht war.

Nun, spätestens heute Abend würde er es erfahren. Wie er Simone kannte, würde sie ihren Bruder zur Begrüßung erstmal ordentlich bekochen und die Nachbarschaft dabei auch nicht vergessen. Bis dahin war noch Zeit für einige Besorgungen. Falkan schickte Fritz ins Körbchen, schnappte sich den Rucksack und schwang sich aufs Rad. Die Gartenzeit stand vor der Tür und er wollte dieses Jahr mit diversen Kräutern etwas neuen Schwung in die Beete bringen. Daher führte ihn sein Weg in die Lagerhausstraße und an die Samenregale des Raiffeisenlagers. Wie immer, wenn er herkam, um sich mit Utensilien für seine Gartenarbeit einzudecken, roch es im Verkaufsraum nach einer Mischung aus gerade ausgemachten Kartoffeln und Vogelfutter.

Als Falkan eben dabei war, die Saatanweisungen auf der Rückseite eines Dilltütchens zu studieren, betrat ein weiterer Kunde den Raum. Aus den Augenwinkeln erkannte er seinen letzten Klienten Erhard Piek und winkte grüßend.

„Herr Falkan, auch in der Vorbereitungsphase?“

Piek hielt einen Notizzettel in der Hand und begann ebenfalls, das Regal zu durchforsten. Falkan wusste, dass Piek hinter seinem Haus einen Garten besaß, gegen den sein eigener nur ein kleines Frühbeet war.

„Ja, ich will dieses Jahr mal ein bisschen mehr kleines Grünzeug sähen, Petersilie, Dill, vielleicht Schnittlauch.“

Piek hielt seinen Zettel hoch.

„Steht auch alles auf meiner Liste. Ach übrigens, jetzt, wo ich Sie wieder mal sehe. Hat sich eigentlich dieser Ami damals bei Ihnen gemeldet?“

„Was für ein Ami?“

„Na ja, ich nahm an, dass es ein Ami war. Der Akzent.

Vielleicht hab’ ich mich auch getäuscht, auf jeden Fall kam er nicht von hier.“

Falkan lachte.

„Egal wo er her war, bei mir war er nicht. Was wollte er denn?“

„Er kam von dem Zirkus, dem ich damals etwas gespendet habe. Die wollten sich persönlich bei mir bedanken. Schön von den Leuten. Hat mir Freikarten gegeben. Und dann hat er sich noch nach Ihnen erkundigt, was ich von Ihnen weiß, was Sie so machen.

Ich hab’ ihm gesagt, dass Sie früher bei der Polizei waren, jetzt Rentner sind und hobbymäßig noch ein bisschen in der Gegend herumschnüffeln. Kann man doch so sagen, oder?“

Falkan nickte.

„Kann man. Ich frage mich aber, warum der Mann das wissen wollte.“

„Ich nahm an, er wollte sich auch bei Ihnen bedanken.

Schließlich haben Sie ja durch Ihre Schnüffelei“, Piek grinste, „dafür gesorgt, dass der Zirkus ordentlich Futtergeld bekommen hat. Wundert mich, dass er nicht bei Ihnen war.“

„Haben Sie denn so viel gespendet?“

„Zweihundert Euro. Dafür muss dieser Friedel viele Türen abklappern.“

Während sich die beiden Männer schweigend durch das reichhaltige Samenangebot wühlten, dachte Falkan über den Besuch des Mannes bei Piek nach. Natürlich war es ein schöner Zug der Zirkusleute, sich bei einem Gönner zu bedanken, allerdings kam der Betrag Falkan etwas zu gering vor, um gleich jemanden loszuschicken und Freikarten zu verteilen. Und Fremde, die sich bei anderen Leuten nach ihm selbst erkundigten und dann wieder spurlos verschwanden, waren ihm automatisch suspekt.

Als sie ihren Einkauf an der Kasse bezahlt hatten, radelten Piek und Falkan heimwärts. An der Kreissparkasse trennten sich ihre Wege, und als Falkan zuhause ankam, hatte er den merkwürdigen Besucher vom letzten November schon vergessen. Außerdem hüpfte in der Nachbarschaft soeben die Familie Friedrichsen aus dem alten VW-Bus, und Falkan brannte darauf, ihnen die Neuigkeiten zu verkünden.

„Tag Leute, ratet mal, wer oben bei mir im Gästezimmer schlummert.“

„Mike, nehme ich an.“

Verblüfft starrte Falkan Simone Friedrichsen an.

„Er hat doch gesagt, ihr wüsstet nicht, dass…“

„Melinda hat gestern angerufen. Die beiden haben Knatsch.“

Womit der undefinierbare Unterton bei Mike erklärt wäre. Falkan hoffte jedoch dennoch auf ein schönes Willkommensessen für Simones Bruder.

„Was ist denn passiert?“

Bengt Friedrichsen wuchtete eine mit Einkäufen beladene Kiste aus dem hinteren Teil des T3, Simone und Söhnchen Paul lutschten am ersten Eis des Jahres.

„Melinda sagte, Mike sei in den letzten Monaten immer komischer geworden, sei maulfaul und mürrisch und würde sich mit jedem anlegen, auch mit ihren Eltern.

Und dann war er plötzlich ohne Abschied einfach weg.

Sie hat geweint.“