Falkan und der Fluch von Kali - Gerhard Krieg - E-Book

Falkan und der Fluch von Kali E-Book

Gerhard Krieg

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Beschreibung

Michael Grebner, persönlicher Freund von Kriminalkommissar im Ruhestand Kurt Falkan und zeitweiliger freier Mitarbeiter von dessen Detektei, hatte sich seinen Urlaub in der Heimat gewiss anders vorgestellt. Nach einem Treffen mit Bekannten landet der nichts ahnende Wahlafrikaner in einer Zelle in Preungesheim. Kurt Falkan setzt alles daran, diesen Zustand schnellstmöglich zu beenden und die Hintergründe des Verdachts gegen Grebner aufzudecken.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1

Böse Überraschung

Gelegentlich trug der Wind das leise Rauschen vorbeifahrender Nachtschwärmer von der A66 herüber, sonst war die Nacht still. Es war zwei Uhr, die Stadt schlief. Die Laternen beschienen die einsamen Straßen der Innenstadt und spiegelten sich in den Schaufenstern. Vom Himmel leuchtete die volle Scheibe des Mondes herab. Viele der dunklen Fenster standen offen, denn es war wieder eine dieser schwülen Sommernächte, die die Hitze des Tages nicht hatte verdrängen können und die einem den Schweiß auf die Haut trieb. Die Menschen verkrochen sich in die kühlsten Ecken ihrer Betten, niemand streckte den Kopf in der Hoffnung auf Kühlung aus dem Fenster. Daher sah auch niemand die schwarz gekleidete Gestalt, die sich an den Wänden entlang bis in den Hinterhof eines der Häuser schlich, stets darauf bedacht, den Lichtschein der Straßenlaternen zu meiden. Schlimm genug, dass man den Vollmond nicht ausschalten konnte.

Der Nachtschärmer wartete, bis sich seine Augen einigermaßen an die Dunkelheit des Hofs gewöhnt hatten, dann suchte er nach einer Hintertür. Er entdeckte sie neben den leeren Flaschenkästen und den Mülltonnen, von denen die typischen Düfte der Gastronomie ausgingen. Es roch nach Essensresten südlicher Küche.

Der Mann sah sich um. Der Hof war umschlossen von Bäumen, einer Abstellhalle und einem Zaun, an den ein Nachbarsgarten angrenzte. Nirgendwo brannte Licht, daher wagte er es, die Taschenlampe anzuknipsen, um sich das Schloss der Hintertür anzusehen. Der erste Blick sagte ihm, dass es kein Problem darstellte. In solchen Sachen hatte er noch Routine von früher. Schlösser knacken war wie Fahrradfahren, man verlernte es nie. Als die Tür nach einer Minute aufschwang, hielt er die Luft an. Keine Sirene, keine blinkenden Lichter auf dem Dach. Eine direkte Leitung zur Polizei hatte die alte Bude sicherlich auch nicht. Es handelte sich ja schließlich nicht um die Kreissparkasse.

Im Schein der Lampe tastete er sich an den Toiletten und dem Eingang zur Küche vorbei in den Gastraum. Was er suchte, sollte irgendwo hier hängen. Sein Herz schlug schneller, nicht, weil er nachts unerlaubt in fremdes Eigentum eingebrochen war, sondern in Erwartung des Anblicks von Kali. Er war nicht besonders religiös, doch die Geschichten, die sich um die Göttin des Todes rankten, waren schauerlich und grausam und machten auch einen realistisch denkenden Menschen nachdenklich.

Der Schein seiner Lampe glitt an der Theke vorbei über die Tische zu den Wänden. Wie zu erwarten war, hingen überall Bilder aus Italien. Schwarz-weiß Aufnahmen aus dem Rom der fünfziger Jahre, einfache Gemälde von sonnigen südlichen Landschaften und überall das Meer und der Strand. Und mittendrin – der Atem stockte ihm für eine Sekunde – hing sie. Unscheinbar, kaum zu bemerken, ein Bildchen, kaum zwanzig mal zwanzig Zentimeter groß.

Der Eindringling näherte sich ihr mit klopfendem Herzen und schalt sich gleichzeitig einen Narren. Es war doch nur das Bild einer Frau mit vielen Armen, die mit einem abgeschlagenen Kopf in einer Hand und einem Schwert in einer anderen auf einer am Boden liegenden kopflosen Leiche tanzte. Aus ihrem grausam verzogenen Mund tropfte Blut. Nichts also, worüber man besorgt sein müsste, und dennoch zitterten seine Finger, als er nach dem Rahmen griff. Ihm war, als würde sie ihn mit ihren grausamen Augen direkt anstarren. Unwillkürlich ließ er den Strahl der Lampe sinken, sodass ihre Augen im Dunkeln lagen. Nun, da er sich nicht mehr beobachtet fühlte, löste er das Bild vom Haken und steckte es in den mitgebrachten Beutel. Geschafft, sagte er sich und machte sich auf den Rückweg. Als er an der Theke vorbeikam, verharrte er einen kurzen Moment und überlegte, ob er noch einen Blick in die Kasse werfen sollte.

Er war noch zu keinem Entschluss gekommen, als von der Hintertür eine Stimme in den Gastraum drang. Es klang, als fluche jemand auf Italienisch. Gehetzt sah sich der Mann um, doch noch ehe er in der Garderobe am Haupteingang verschwinden konnte, flammte das Licht auf, und ein dicklicher Mann in kurzer Hose und fleckigem T-Shirt kam vom hinteren Flur herein.

Die beiden Männer starrten sich an, jeder auf seine Art erschrocken. Der Dicke überwand seine Überraschung zuerst und machte einen Satz in die Küche. Der Weg zur Hintertür war frei, der Eindringling hätte einfach abhauen können, doch stattdessen folgte er dem Dicken mit langen Sätzen. Er fand es nicht gut, dass der Kerl ihn gesehen hatte, und die unerwartete Situation verwirrte ihn. Als er das lange Küchenmesser in der Hand des Dicken sah, wollte er im ersten Impuls doch durch die Hintertür hinaus, doch er war es nicht gewohnt, richtige Entscheidungen schnell zu treffen und zögerte noch.

„Hau’ einfach ab!“, forderte ihn der Dicke mit kaum unterdrückter Angst in der Stimme auf. Der Einbrecher verharrte eine Weile auf der Stelle und tat dann aus einem Impuls heraus, was ihm sein schwerfälliger Verstand als richtig suggerierte. Er sprang aus dem Stand in die Luft, wobei sein rechter Fuß nach vorne schnellte und die Brust des Dicken traf. Dieser taumelte mit aufgerissenen Augen gegen einen Ofen und ließ das Messer fallen. Keuchend bückte er sich, um es wieder an sich zu bringen, doch sein Gegner war schneller. Fast berührten sich ihre Hände auf den Fliesen, als der Einbrecher den Griff zu fassen bekam und die Klinge mit einer ihm bis dahin unbekannten Kaltblütigkeit senkrecht nach oben stieß, dorthin, wo das Gesicht des Dicken schwebte. Mit einem gurgelnden Ächzen sackte der schwere Mann zu Boden. Der Mörder erhob sich schwer atmend und besah sich sein Werk. Aus dem Mund des Toten, in den das Messer bis zum Griff eingedrungen war, sickerte Blut und floss zähflüssig auf den Beutel zu, der dem Eindringling bei der Attacke entfallen war. Schnell hob er ihn auf und presste ihn mit den Händen besitzergreifend an sich.

So stand er schweigend eine Zeitlang über der Leiche, unfähig, zu begreifen, was er getan hatte. Nach und nach drang es in sein Bewusstsein, und sein Blick glitt ängstlich zu dem Beutel in seinen Händen. Er wagte nicht, das Bild herauszuholen, doch in seinen Gedanken sah er Kali, mit dem abgeschlagenen Kopf in der Hand und dem Blut, das aus ihrem Mund tropfte. Mit einem Stöhnen drehte sich der Mörder um und rannte zur Hintertür. Nur weg, schrie es in ihm, hinaus in die Nacht, die von alledem nichts mitbekommen hatte.

Kurt Falkan stieg vom Rad, zog den Strohhut vom Kopf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Als er am Morgen losgefahren war, hatten die Schönwetterwolken noch zeitweise für Schatten gesorgt, doch jetzt, am Nachmittag, brannte die Sonne aus dem wolkenlosen Blau unbarmherzig herab und versengte die Welt. Vor ihm lag Somborn, hinter ihm Alzenau und der Meerhofsee. Schon in früheren Zeiten, als Sigi und er ihre Urlaube im Linsengericht verbrachten, hatten sie in Sommern wie diesem hin und wieder Querfeldeinradtouren an den schönen See in Bayern unternommen. Ein paar Kilometer Strampeln, dann ein Sprung ins kühle Wasser und danach eine leckere Feuerbratwurst vom Grill. Dieser Ablauf war ihnen zur kleinen Tradition geworden. Falkan hatte die Tradition heute nach Jahren wieder aufleben lassen, allerdings alleine und etwas mehr außer Puste als damals.

Er zog den Hut wieder auf und setzte seinen Weg fort. Es waren noch ein paar schöne Kilometer bis nach Hause, und der arme Fritz hockte schon den ganzen Tag alleine in der stickigen Bude. Gott sei Dank ging es erstmal bergab, und der Rest der Strecke war ein ständiges seichtes Auf und Ab, das Menschen über sechzig nicht allzu große Anstrengungen abverlangte. Trotzdem war er froh, als er eine knappe halbe Stunde später daheim war und den Kopf unter den Wasserhahn halten konnte. Fritz hatte das Beste aus seiner Einsamkeit gemacht und lag faul im Körbchen. Sein Wasserschälchen und der Fressnapf waren leer.

„Armer Kerl“, sagte Falkan und streichelte seinem Dackel über den Kopf. „Ich hätte dich ja mitgenommen, aber die Leute dort haben etwas gegen kleine Häufchen am Sandstrand.“

Er befüllte Fritz’ Schälchen und machte sich dann an ein frühes Abendessen. Eine Runde durch den See und die zwanzig Kilometer mit dem Rad durch die Hitze des Nachmittags hatten die Feuerbratwurst vom Morgen aufgezehrt. Allerdings musste er feststellen, dass der Kühlschrank nicht mehr allzu viel hergab. Er hatte die Wahl zwischen Rollmops und Gouda, beides erschien ihm angesichts der sportlichen Leistungen des Tages als kulinarische Belohnung eher ungeeignet. Daher stieg er in den Keller hinab, inspizierte die Kühltruhe und kam kurz darauf mit zwei tiefgefrorenen Rouladen zurück. Als er sie zum Auftauen in die Mikrowelle tat, fiel ihm bei einem Blick durchs Fenster der fremde Wagen auf, der drüben vor Friedrichsens Haus parkte. Durch seine langjährige Freund – und Nachbarschaft zu den Friedrichsens kannte Falkan so ziemlich jeden ihrer Bekannten, doch der blaue BMW war ihm fremd.

Falkan stellte den Apparat auf fünf Minuten, während deren er mit einer Zwiebel, etwas Dörrfleisch und einem halben Suppenwürfel eine kleine Soße anrührte, in denen die bereits gebratenen Rouladen noch eine Weile schmurgeln sollten. Als das leise `Pling´ das Ende der fünf Minuten verkündete, holte er den Teller mit den beiden Fleischrollen aus der Mikrowelle und legte sie zur Soße in den Topf. Drüben, bei den Friedrichsens, machte sich der Besuch soeben auf den Heimweg. Ein Mann und eine Frau, die Falkan noch nie gesehen hatte, und in der Mitte ging Mike, Simone Friedrichsens Bruder. Mike arbeitete zurzeit auf der Rinderfarm der Eltern seiner Freundin Melinda in Kenia und war für eine Woche nach Deutschland gekommen, um sich mit einigen Freunden zu treffen. In der Haustür stand Simone und sah den Dreien hinterher. Falkan glaubte, in ihrem Gesicht eine große Sorge zu erkennen. Die fremde Frau setzte sich hinter das Steuer des BMW, der Mann und Mike stiegen hinten ein. Dann fuhr der Wagen davon. Simone stand noch eine Weile an der Tür, dann ging sie hinein. Irgendwie erinnerte die Szene Falkan an eine Handlung, die er in seinem Arbeitsleben unzählige Male vollzogen hatte. Gott alleine wusste, wie viele Leute er zur Befragung oder zum Haftantritt aus ihren Häusern geholt hatte. Stirnrunzelnd legte er den Kochlöffel beiseite, schaltete den Herd aus und begab sich zur Klärung des Geschehens ins Nachbarhaus.

„Hast du’s gesehen, Kurt?“, fragte Simone Friedrichsen mit ernster Miene.

„Gesehen hab’ ich’s, aber ich weiß nicht, was ich gesehen habe.“

„Sie haben Mike mitgenommen.“

„Wer?“

„Die Polizei.“

„Warum?“

Falkan war sich sicher, dass es sich, egal, um was es ging, um einen Irrtum handeln musste. Er kannte Michael Grebner, seit er damals aus der Haft entlassen und Falkan zu seinem ehrenamtlichen Bewährungshelfer ernannt worden war. Mike hatte die Zeit seiner Jugendsünden schnell hinter sich gelassen und hatte als zeitweiliger Mitarbeiter der Detektei Falkan bewiesen, dass er mit der anderen Seite des Gesetzes abgeschlossen hatte.

„Ach, ich weiß nicht so genau. Es muss wohl irgendwo einen Toten gegeben haben, und sie wollen ihn dazu befragen. Die Freunde, mit denen er sich getroffen hat, müssen da irgendwie mit drinhängen. Sagt die Polizei.“

„Und was sagt Mike?“

Simone lächelte traurig.

„Er sagt, er habe so viele Kriminalisten in der Bekanntschaft, dass die Sache in null Komma nix aufgeklärt sei. Du kennst ihn ja.“

„Hast du Benji schon angerufen?“

Simone nickte.

„Ja, er will sich gleich mit den Hanauer Kollegen in Verbindung setzen. Mein Gott, Kurt. Sie haben ihn behandelt wie einen Verbrecher.“

Falkan legte ihr tröstend die Hände auf die Schultern.

„Lass’ mal, mein Mädchen, nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Du sagst, die Beamten kamen aus Hanau?“

„Haben sie gesagt. Die Sache muss wohl in Langenselbold passiert sein.“

„Ja, da ist, wenn ich mich recht erinnere, Hanau zwei zuständig. Wir warten erstmal ab, was Benji ausrichten kann, aber für den Notfall kenne ich da bestimmt auch noch ein paar Kollegen.“ Falkan fiel ein, dass er schon einige Jahre im Ruhestand war. „Wenn sie inzwischen nicht auch schon pensioniert sind.“

„Das ist ein ziemlicher Schlamassel, in den er da geraten ist.“

Sie saßen zu dritt am Tisch. Falkan, Simone und Bengt Friedrichsen. Es war nach acht, der kleine Paul war schon im Bett.

„Aber sie können ihn doch nicht einfach so dabehalten, Benji.“

Simone hatte den mittäglichen Schock überwunden und war jetzt nur noch verzweifelt. Friedrichsen und Falkan wussten es aus Erfahrung besser.

„Doch, können sie, wenn es eine bestimmte Beweislage gibt“, widersprach ihr daher Friedrichsen und erntete dafür einen wütenden Blick.

„Was heißt hier Beweislage? Mike hat doch keinen Menschen umgebracht.“

„Natürlich nicht, aber es sind wohl ein paar Ereignisse zusammengekommen, die es so aussehen lassen, als…“ „Ach, erzähl’ mir nichts, Bengt, sagt mir lieber, was ihr nun zu unternehmen gedenkt.“

„Was sind das denn für Ereignisse?“, wollte Falkan wissen. „Die Kollegen haben dir doch bestimmt Einzelheiten mitgeteilt.“

„Mike hat sich letzte Woche mit einigen Typen getroffen, die er aus dem Knast kennt.“

„So wie du das sagst, hört es sich an, als sei er ein Gewohnheitsverbrecher“, beschwerte sich Simone vorwurfsvoll.

„Aber wenn’s doch wahr ist. Es war sozusagen ein Ehemaligentreffen, wenn dir das lieber ist. Na ja, auf jeden Fall haben die fünf sich in einer Pizzeria in Langenselbold getroffen. Die gehört dem Vater von einem der Knackies, Verzeihung, der fünf jungen Herrn.“ Simone warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Und in dieser Pizzeria wurde vorgestern Nacht eingebrochen. Ein wertvolles Bild wurde geraubt und der Koch erstochen. Eklige Sache, Messer im Mund.“

„Und wie kommt Mike da ins Spiel?“

„Die genauen Einzelheiten kenne ich auch nicht. Ich muss morgen noch mal persönlich nach Hanau fahren und mit den Leuten reden. Am Telefon hat man mir nur gesagt, dass dieser Angelo Pedrone, das ist der Sohn des Inhabers der Pizzeria, im Knast Mike von einem Bild erzählt hat, dass bei seinem Vater in der Kneipe an der Wand hängt und über dreihunderttausend Euro wert sein soll. Er weiß nicht, ob er es noch jemandem erzählt hat, aber Mike wusste auf jeden Fall davon. Und nun ist es so, dass die vier anderen, einschließlich Pedrone, für die Tatnacht ein Alibi haben, nur Mike nicht.“

„Aber vorgestern Nacht war Michael doch…“

Simone stockte mitten im Satz.

„Richtig“, nickte Friedrichsen grimmig. „Vorgestern Nacht war er Zelten, und zwar allein.“

„Zelten?“, fragte Falkan ungläubig.

„Ja, er war früher, als kleiner Junge, immer mit unserem Vater Zelten. Männercamp haben sie es genannt, da war Michael sechs oder sieben. Er sagte, er wollte einfach wieder mal spüren, wie es ist, unter freiem Himmel zu schlafen. Herrje, warum hat er sich nicht eine andere Nacht ausgesucht, der Idiot. „Simone ballte wütend ihre Fäuste. „Also, Alibi hin oder her, was werdet ihr zwei jetzt unternehmen?“

„Wir können erstmal nicht viel tun. Wie gesagt, ich fahre morgen früh nach Hanau und werde mir die Sache mal ansehen.“ Er sah Falkan an. „Ich gehe mal davon aus, dass du mitfahren willst, Kurt.“

Falkan war sauer. Sie hatten ihn einfach auf dem Gang sitzen lassen, wie einen stinknormalen Rentner, schlimmer noch, wie einen, der von polizeilicher Ermittlungsarbeit keine Ahnung hat. Dass er den Dienststellenleiter schon lange Jahre persönlich kannte, hatte auch nichts genutzt, denn dieser Dienststellenleiter war seit zwei Jahren in Pension. So hockte er nun neben der Tür, hinter der Friedrichsen mit Mike und KHK Linda Meiers vor einer halben Stunde verschwunden war und wippte ungeduldig mit den Füßen.

Als sich die Tür endlich wieder öffnete, hob er den Kopf und betrachtete sich die Gesichter. Friedrichsen wirkte zerknirscht, Mike war ganz Unverständnis und Linda Meiers blicke drein wie die fleischgewordene Staatsmacht.

„Und?“

Mike zuckte nur mit den Schultern, Friedrichsen nahm Falkan am Arm.

„Komm’ Kurt, gehen wir.“

Linda Meiers gab dem Uniformierten, der vor der Tür auf Posten gestanden hatte, einen Wink, woraufhin dieser Mike Handschellen anlegte und ihn wegführte.

Unterwegs drehte er sich nochmal um.

„Kurt, ich würde dich gerne engagieren.“

Falkan lächelte ermutigend.

„Nicht nötig, ich bin sozusagen schon bei der Arbeit.“

Trotz seiner misslichen Lage grinste Mike hoffnungsfroh. Dann ließ er sich mitziehen.

„Diese Meiers ist ein harter Knochen“, knirschte Friedrichsen auf dem Weg zum Auto. „Aber objektiv betrachtet muss ich ihr natürlich recht geben.

Schließlich bin ich auch Polizist.“

„Ich nicht mehr“, sagte Falkan und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. „Also sehe ich das ganze aus der Sicht des Freundes. Erzähl’.“

„Also dann, die Fakten. Mike wusste von dem Bild, seine Fingerabdrücke waren an der Wand und an der Tür, durch die der Mörder gekommen ist, und er hat kein Alibi.“

„Was sagt er?“

„Dass er das Bild bei dem Treffen vom Haken genommen hat, um es sich anzusehen, dass er an jenem Abend durch die hintere Tür auf den Hof ist, um Luft zu schnappen, und dass ihn beim Zelten ein paar Hasen und ein Reh gesehen haben.“

Falkan lachte.

„Na, wenigsten verliert er seinen Humor nicht.

Ansonsten klingt das für mich alles sehr plausibel. Zu meiner Zeit hätte das niemals ausgereicht, um jemanden in U-Haft zu nehmen. Ich muss mich doch sehr wundern, dass du dieser Meiers recht gibst.“

„Ich habe sie beobachtet. Sie konnte über seine letzte Bemerkung überhaupt nicht lachen. Außerdem kam sie noch mit Mikes Vorstrafe wegen Einbruchs. Die anderen vier haben wegen Drogen oder Betrug gesessen.“

„Na toll, die lieben Drogendealer.“

„Der vordringlichste Grund, warum sie ihn hierbehalten hat, ist aber sein Wohnsitz im Ausland. Fluchtgefahr.“

„Hm.“

Mehr hatte Falkan dazu nicht zu sagen, denn wenn er etwas gesagt hätte, dann wahrscheinlich, dass ihn dieser Umstand zu seiner Zeit zu einer ähnlichen Handlungsweise bewegt hätte.

„Wir sollten ihm einen Anwalt besorgen, für alle Fälle.“ Friedrichsen grinste Falkan von der Seite an.

„Fällt dir da vielleicht jemand ein?“

Falkan grinste zurück.

„Du kannst es nicht lassen, was? Karola und ich sind nur Bekannte.“

„Ja genau, Bekannte, die hin und wieder zusammen essen gehen oder ein bisschen grillen oder einen Schaufensterbummel durch Frankfurt machen.“

„Was Bekannte nun mal so machen, richtig. Ich glaube, ich sollte dir nicht mehr so viel erzählen.“

„Ich bin’s.“

Der Mann am Telefon nannte keinen Namen.

„Hallo.“

„Was ist los. Du wolltest doch gleich liefern, wenn du es erledigt hast. Mein Abnehmer hat schon angerufen.“

Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang kompromisslos.

„Es ist etwas dazwischen gekommen.“

„Ich habe davon in der Zeitung gelesen, aber der Tote änderte nichts daran, dass ich das Bild brauche. Wie du die Sache abgewickelt hast, ist deine Sache. Also, was ist?“

„Ich habe das Bild nicht.“

Das Schweigen am anderen Ende der Leitung war lauter als jede ausgesprochene Drohung. Der Mann begann zu begreifen, dass er sich mit Leuten eingelassen hatte, die keinen Spaß verstanden.

„Wer hat es denn dann?“

„Ich weiß es nicht. Es ist mir jemand zuvorgekommen.

Ich habe den Koch nicht ermordet.“

Wieder dieses nervtötende Schweigen.

„Mein Abnehmer ist ungeduldig. Er hat mir schon eine Anzahlung gemacht, um sicher zu gehen, dass er die zugesagte Ware bekommt. Es geht hier um religiöse Befindlichkeiten, und wenn die Religion ins Spiel kommt, werden die Dinge manchmal hässlich. Es wäre besser, du bringst das in Ordnung.“

„Aber wenn ich doch nicht weiß, wer es hat.“

„In der Zeitung stand, sie hätten einen Verdächtigen festgenommen. Rede mit ihm.“

„Ich kann es versuchen.“ Er stockte einen Augenblick.

„Aber was, wenn er es nicht war oder nichts sagt?“

„Dann müssen wir uns etwas anderes überlegen. Ich rufe dich in ein paar Tagen wieder an.“

Es klickte im Hörer. Der Mann legte das Telefon weg und wischte sich einen Schweißtropfen von der Schläfe.

Falkan warf Kriminalhauptkommissarin Linda Meiers unbeabsichtigt einen triumphierenden Blick zu, als er an ihr vorbei den Verhörraum betrat. In seiner Freude darüber, dass sie ihn diesmal nicht draußen vor der Tür sitzen lassen konnte, rutschte ihm der Blick einfach so raus. Mike wartete bereits einsam auf seinem Stuhl.

„Hallo Kurt, schön, dich zu sehen.“ Er umfasste den kahlen Raum mit den Armen. „Tut mir leid, dass ich euch nichts anbieten kann.“

„Von der weiten Savanne Kenias in den Hasenkasten, was“, grinste Falkan und gab Mike die Hand. „Das ist übrigens deine Anwältin, Karola Weißgerber.“

„Brauche ich denn eine? Guten Tag.“

„Sieh’ dich um. Du bist im Knast. Jeder braucht einen Anwalt, wenn er im Knast ist. Außerdem…“, Falkan überzeugte sich, dass die Tür geschlossen und Linda Meiers draußen war, „…komme ich als beratender Mitarbeiter deiner Anwältin ungehindert an dich ran.“

Karola Weißgerber lachte.

„Ja, der Herr Falkan benutzt mich immer, wenn er irgendwo rein will, wo er normalerweise nicht rein kommt, nicht wahr, Kurt?“

Falkan schmunzelte.

„Entschuldige, soll nicht wieder vorkommen.“

„Dann erzählen Sie mal, Herr Grebner“, forderte Karola ihren neuen Mandanten auf, als sie alle an dem schmucklosen Tisch Platz genommen hatten.

„Es gibt eigentlich nicht viel zu erzählen. Angelo Pedrone, ich, und die anderen Jungs haben zur gleichen Zeit in Preungesheim gesessen und uns angefreundet. Vor ein paar Wochen rief er mich dann an und sagte, er wolle so eine Art Klassentreffen veranstalten. In Kenia ist gerade Kipupwe, das ist denen ihre Version von Winter, da hat’s manchmal Temperaturen unter zwanzig Grad, also hab’ ich mir gedacht, mach’ ich ein paar Tage Sommerurlaub in Deutschland. Letzte Woche haben wir uns dann in Langenselbold im Capri getroffen und einen drauf gemacht. Und am Montag stand dann bei Simone die Polizei auf der Matte und sagt, ich hätte das Bild geklaut und den Koch abgestochen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Mehr kann ich zu der ganzen Sache nicht beisteuern.“

„Wo hast du denn in der Tatnacht gezeltet?“

„Oben, am Waldrand auf einer Wiese, von wo aus man durch die Hecke so einen schönen Blick über das Kinzigtal hat. Kennst du doch, Kurt, da, wo der steile Abstieg aus dem Wald rauskommt. Wir sind da schon mal zusammen gewandert.“

„Mein Zweistundenwanderweg, ja, ich weiß wo. Vielleicht sollte ich mich mal im Dorf umhören, ob jemand zufällig dort oben gelaufen ist und dein Zelt gesehen hat. Von wann bis wann warst du denn dort?“

„Ich bin um sechs rauf und am nächsten Morgen gegen acht wieder heim.“

„Na, so weit sind wir ja noch nicht, dass wir unbedingt ein Alibi nachweisen müssen“, bremste Karola Falkans Arbeitseifer und überflog den vor ihr liegenden Ermittlungsbericht. „So wie ich das sehe, begründet sich ihre U-Haft nur auf Fingerabdrücke, die sie erklären konnten und ihrem Wissen um das kostbare Bild. Die Argumente ihrer einschlägigen Vorstrafe und der bestehenden Fluchtgefahr halte ich für überzogen.“

„Frau Meiers sieht das leider etwas anders“, erwiderte Mike.

„Ich werde mich mit der Dame nachher noch unterhalten. Hier steht, dass von den anderen keine Fingerabdrücke an der Wand oder an der Hintertür waren. Das könnte ein wenig knifflig werden.“

„Na, ich war ja auch der einzige, der das Bild von der Wand genommen hat und vielleicht auch der einzige, der mal an die frische Luft musste.“

„Darf ich mal?“, bat Falkan und zog den Aktenhefter mit dem Untersuchungsbericht an sich.

„Was suchst du denn?“

Falkan holte ein jungfräuliches schwarzes Büchlein aus seiner Tasche und begann zu schreiben.

„Die Namen und Adressen der Beteiligten. Und die Alibis der anderen vier, für alle Fälle.“ Nachdem er sich alles Wissenswerte aus dem Bericht notiert hatte, schob er den Hefter wieder rüber. „Danke.“

Karola Weißgerber warf ihm einen Blick zu, den er trotz seiner in vierzig Jahren erworbenen Gesichtslesefähigkeit nicht deuten konnte und klappte den Hefter zu.

„Tja, ich denke, das wär’s fürs erste. Ich werde mich jetzt nochmal mit Frau Meiers unterhalten und dann, sollte sie sich nicht als zugänglich erweisen, unverzüglich Haftbeschwerde einlegen. Wenn Sie mir nur noch diese Vollmacht unterschreiben würden, Herr Grebner.“

Frau Meiers hatte sich in dem anschließenden kurzen Gespräch keineswegs als zugänglich erwiesen. Sie beharrte auf ihrem Standpunkt, dass jemand, der seinen Hauptwohnsitz in Afrika hat, sich weiteren unangenehmen Befragungen durchaus durch Flucht entziehen konnte. Falkan hatte daraufhin Karola zum Hauptbahnhof gebracht, von wo aus sie zu einem weiterer Termin nach Frankfurt gefahren war. Während der Fahrt wollte sie bereits die Haftbeschwerde formulieren, um sie so schnell wie möglich den Behörden zustellen zu können.

Falkan war nach Hause gefahren, um unverzüglich eine Tapetenbahn an der Wand im Arbeitszimmer anzubringen und sämtliche Daten, die er im Untersuchungsbericht gefunden hatte, darauf zu verewigen. Er hatte die Namen von Mikes Knastkumpels, ihre Adressen und ihre Vorstrafen, und den Namen der Pizzeria.

Es war ein Anfang, denn Falkan hatte nicht vor, Däumchen zu drehen und die Polizei machen zu lassen. Er musste selbst etwas tun, das war er seinem zeitweiligen Mitarbeiter und Freund schuldig. Außerdem hatte er bei Linda Meiers das Gefühl, dass sie sich schon zu sehr auf Mike als Täter eingeschossen hatte, ein Verhalten, dass er schon zu seiner Zeit im Kreise seiner Mitarbeiter stets zu unterbinden versucht hatte.

Nachdem er den letzten Namen notiert hatte, ging er über die Straße zu den Friedrichsens, um sie über seinen Besuch bei Mike zu informieren. Friedrichsen machte an der Haustür ein missmutiges Gesicht.

„Ist was?“

„Halb so wild. Simone macht ein bisschen Stress.“

„Du willst nicht so, wie sie will, was?“

„Ich kann nicht so, wie sie will, das weißt du doch.“

„Er will nicht!“, rief Simone von hinten.

„Ich muss diesmal leider deinem Mann beistehen, Simone“, sagte Falkan, als sie in der Küche waren.

„Das ist eine Sache der Hanauer Kollegen, und es wird nun mal nicht gerne gesehen, wenn andere sich da einmischen. Das gibt immer Ärger.“

„Was heißt hier einmischen?“, zischte Simone wütend.

„Ihr seid doch die Polizei, ihr seid dafür da, Verbrechen aufzuklären und Unschuldige zu schützen. Und Mike ist unschuldig.“

„Aber es gibt nun mal Dienstvorschriften, die…“

„Ach, Dienstvorschriften, als ob du immer auf die Dienstvorschriften achten würdest. Was steht denn in deinen Dienstvorschriften über die Herausgabe von Dienstgeheimnissen an die Nachbarschaft?“

Falkan fühlte sich nun in den Streit mit einbezogen und beschloss, beschwichtigend einzugreifen.

„Was hältst du von einem Kompromiss, Simone?“

„Und der wäre?“

„Benji ist nun mal dienstlich an seinen Zuständigkeitsbereich gebunden und kann nicht einfach bei einer anderen Dienststelle mitmischen. Ich dagegen kann fragen, was und wen und wo ich will. Ich bin an keine Zuständigkeiten gebunden, muss auf keine Ortsgrenzen Rücksicht nehmen und bin keinem Vorgesetzten verantwortlich. Ich werde mich also um die Angelegenheit kümmern, und Benji versorgt mich mit allen Informationen, die ich bei meinen Ermittlungen benötige, aber diesmal ohne zu nörgeln und ohne irgendwelche Bedingungen zu stellen.“