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Für die alleinerziehende Marie Ebert ist ihr zwölfjähriger Sohn Elias der Mittelpunkt des Lebens. So setzt die chronisch unterbezahlte Angestellte alles daran, ihrem kleinen Indiana Jones-Fan seinen großen Traum von einer Ägyptenreise zu erfüllen.
Nach zahlreichen Monaten voller Überstunden ist es endlich so weit: Marie hofft, dass ihr Sohn in Nordafrika einmal von der Schule, ihren Geldsorgen und seiner Sehnsucht nach einem Vater abgelenkt wird.
Was wie ein Traumurlaub beginnt, endet in einem Horrortrip: Nach einer Führung in den Katakomben von Kom el Shoqafa ist Elias spurlos verschwunden. Für Marie beginnt eine fieberhafte Suche nach ihrem Sohn, die sie quer durch Ägypten und in die Arme des hilfsbereiten Christopher führt. Doch kann sie dem geheimnisvollen Archäologen vertrauen?
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Seitenzahl: 135
Cover
Finde mich, Mama!
Vorschau
Impressum
Finde mich, Mama!
Im Sommerurlaub verschwindet Maries Sohn spurlos
Von Marlene Menzel
Für die alleinerziehende Marie Ebert ist ihr zwölfjähriger Sohn Elias der Mittelpunkt ihres Lebens. So setzt die chronisch unterbezahlte Angestellte alles daran, ihrem kleinen Indiana Jones-Fan den großen Traum von einer Ägyptenreise zu erfüllen, dem Land der Abenteurer, Pharaonen und Grabräuber.
Nach zahlreichen Überstunden ist es endlich so weit. Marie hofft, dass ihr Sohn in Nordafrika einmal von der Schule, ihren Geldsorgen und seiner Sehnsucht nach einem Vater abgelenkt wird.
Was wie ein Traumurlaub beginnt, endet in einem Horrortrip: Nach einer Führung in den Katakomben von Kom el Shoqafa ist Elias spurlos verschwunden. Für Marie beginnt eine fieberhafte Suche nach ihrem Sohn, die sie quer durch Ägypten und in die Arme des hilfsbereiten Christopher führt. Doch kann sie dem geheimnisvollen Archäologen vertrauen?
»Könnten Sie mir das bitte in eine Tüte packen?«
»Sie haben die Wahl zwischen einer Stofftasche und einer Papiertüte«, erwiderte Marie Ebert und präsentierte ihrer Kundin die beiden Möglichkeiten.
»Nein, ich nehme lieber eine aus Plastik, die reißen nicht so schnell und sind günstiger als der Beutel«, entgegnete die elegant gekleidete Blondine bissig, als hätte Marie etwas Falsches gesagt.
Das strahlende Lächeln im Gesicht der blonden Kassiererin gefror. Es verblieb an Ort und Stelle, doch die Wärme war daraus verschwunden. Viel zu häufig musste sich Marie mit missbilligenden oder vorlauten Kunden beschäftigen, die auf sie hinabsahen, als sei Marie aus dem Dreck an die Oberfläche gekrochen. Zudem wollte ihr jeder Dritte ihre Arbeit erklären.
»Bedaure, aber wir führen keine Plastiktüten mehr. Das dürfen wir nicht.«
»Sie haben doch sicher noch eine übrig, schauen Sie doch einmal hinten im Lager«, versuchte es die stark parfümierte Mittdreißigerin weiter. Hinter ihr bildete sich bereits eine Schlange. »Eine Stammkundin wie mich wollen Sie doch sicher nicht wegen einer Lappalie wie dieser verlieren.«
»Ist das eine Drohung? Wir haben noch genug Kundschaft, die sich problemlos zwischen Stoff und Papier entscheiden kann«, entgegnete Marie etwas zu schroff für ihre Position.
Aber diese Dame war nur die Spitze eines Eisberges, den sie diese Woche im Kaufhaus hatte ertragen müssen.
»Entweder du holst jetzt eine verfluchte Plastiktüte aus dem Lager oder unter deinem kleinen Tischchen hervor, oder ich spreche mit deinem Vorgesetzten«, zischte sie boshaft.
Dabei beugte sich Maries Kundin weit über den Tresen. Ihre grünen Augen funkelten wie die einer Schlange. Es fehlte einzig die gespaltene Zunge, um das Bild zu komplettieren.
Ein süffisantes Lächeln huschte über die Züge der Kassiererin. Bedauernd schüttelte Marie den Kopf und hielt ihrem Gegenüber weiterhin Beutel und Papiertüte hin. Ja, Marie blieb standhaft, da sie gar nicht anders konnte.
»Unsere Reste sind leider längst aufgebraucht. Etwas anderes als das kann und darf ich Ihnen nicht anbieten. Ich bitte um Verzeihung.«
Marie riss sich zusammen, aber ihre Stimme bebte seit ihrem letzten Satz.
Durch den wenigen Schlaf und ihre tagtäglichen Überstunden wurde ihr Nervenkostüm immer dünner. Sie fragte sich, wann jenes die ersten Risse bekam. Noch schien es zu halten.
»Du sprichst hier mit einer renommierten Anwältin. Soll ich dir erst zeigen, wie dein Job funktioniert?«
Aha, und die Nächste, die ihr die Arbeit erklären wollte. Na, dann mach du ihn doch, wenn du so scharf darauf bist! Oder verklag mich eben!, erzürnte sich Marie in Gedanken.
Sie kannte dieses Theater zur Genüge. Es war nicht das erste Mal, dass jemand mit einem angeblichen Doktortitel oder unter Drohung einer Anklage Eindruck schinden wollte. Je schwächer sie sich innerlich fühlten, desto hochnäsiger wurden diese Leute. Um ihre eigenen Fehler zu verbergen, gingen sie über Leichen.
Marie begegnete tagtäglich der gesamten Farbpalette dessen, was die menschliche Gattung jemals hervorgebracht hatte. Zum Glück überwogen die neutralen bis freundlichen Kunden, die stillschweigend ihre Tüte nahmen und verschwanden. Meist hatten die wenigsten ein knappes »Danke«, für Marie oder ihre Kollegen übrig. Solche Exemplare wie diese Dame verliehen ihrer müden Stirn allerdings eine Extrafalte.
»Nicht nötig, ich arbeite seit Jahren hier – trotz Kunden wie Ihnen. Ich kenne meine Rechte und Pflichten.«
»Ich will deinen Chef sprechen. Jetzt sofort!«
»Wir sind diese Woche voll ausgelastet. Ich befürchte, Frau Reuter wird erst nach Feierabend für Sie Zeit finden. Aber ich kann gerne nachfragen.« So langsam drang ein unruhiges Raunen zu ihnen nach vorne. »Oder aber Sie entscheiden sich für eine der beiden Auswahlmöglichkeiten und lassen mich meine Arbeit weitermachen. Zudem habe ich Ihnen nicht erlaubt, mich zu duzen. Also, was ist? Sie halten den gesamten Betrieb auf.«
Als die ersten Rufe vom Ende der Schlange aus laut wurden, gab die bissige Blondine sich glücklicherweise geschlagen.
»Keines von beidem. Mich sehen Sie hier nie wieder, darauf können Sie Gift nehmen.«
Wütend schmiss sie ihre Kreditkarte auf den Tisch. Ihre Wangen glühten vor Zorn.
»Das macht dann zweiundsechzig Euro fünfundneunzig«, führte Marie die Kaufabwicklung fort.
Mit einem letzten tödlichen Blick schnappte sich ihre Kundin ihre erstandene Kleidung und klemmte sie sich umständlich unter den Arm. Daraufhin stolzierte sie erhobenen Hauptes an den Wartenden vorbei in Richtung Ausgang.
Marie atmete durch. Nun durfte sie sich um eine gestresste Mutter mit Kind kümmern. Die Kleine zerrte an ihrem Arm, machte Faxen und begann dann nach einer strengen Ansage ihrer Mutter, lautstark zu weinen.
Der Lärmpegel schwoll wiederum an. Marie beeilte sich, auch diese Kundin abzukassieren. Wenigstens entschied sie sich deutlich schneller. Die recycelte Papiertüte sollte es sein.
Als ihre Vorgesetzte und gute Freundin Daniela Reuter zum Schichtwechsel erschien, fiel Marie ein Stein vom Herzen.
»Du kommst gerade recht.«
»Ich habe den Lärm gehört, wusste aber, dass du das selbst regelst.«
»Danke für dein Vertrauen, Dani.«
»Du bist meine beste Mitarbeiterin. Ich kann immer auf dich setzen. Und selbst eine Verkäuferin muss nicht alles schlucken, was man ihr hier entgegenschleudert. Wir sind nicht die Diener der Menschheit.« Daniela hatte sich richtig in Rage geredet. Sie band ihre braunen Locken zum Zopf und machte sich für den Kampf an der Kasse bereit. »War es wieder Herr Staubert, der das dritte Hemd mitgehen lassen wollte?«
Der gemeinte Kunde hielt eine Aktion von vor ein paar Jahren – drei Herrenhemden zum Preis von zwei – noch immer für aktuell. Daniela war dem leicht verwirrten alten Herrn nicht böse, aber sie mussten darauf achten, dass er das Kaufhaus letztlich nicht mit zu viel Stoff wieder verließ.
»Nein, ausnahmsweise nicht. Eine Kundin, die ich noch nicht kannte. Wer weiß, was sie vor Wut auf ihrem Weg nach draußen noch alles hat mitgehen lassen ...«
»Es wäre zu verkraften, solang sie niemals wieder meinen Laden betritt. Und nun ab mit dir in die Pause. Du siehst aus, als bräuchtest du sie. Hol dir einen Kaffee beim Bäcker nebenan. Der schmeckt am besten und macht tatsächlich wach. Ich weiß, wovon ich rede.«
Daniela drückte Marie heimlich etwas Kleingeld in die Hand. Mit einem Lächeln dankte Marie der alten Schulfreundin, durch die sie die anstrengende Arbeit im Kaufhaus knapp nach der Schwangerschaft mit ihrem inzwischen zwölfjährigen Sohn Elias erst bekommen hatte. Niemand sonst hatte die junge alleinerziehende Mutter einstellen wollen oder sie anders unterstützt. Daniela aber hatte ein gutes Herz bewiesen. Seither gab Marie alles, die Schuld bei ihrer Vertrauten in Form von harter Arbeit zu begleichen. Dennoch konnte Daniela kaum Lohn für die junge Mutter aufbringen, schon gar keine Gehaltserhöhung.
♥♥♥
Marie setzte sich für den Moment unter einen bunten Schirm der Bäckerei im Nebenhaus. Ab und zu nippte sie an ihrem heißen, dampfenden Becher. Trotz des Straßenlärms konzentrierte sie sich einzig auf ihre Atmung und den herrlichen Kaffeeduft.
Die Erschöpfung des frühen Arbeitsbeginns wich, ihre Sinne schärften sich langsam wieder.
Mit einem Mal stellten sich die Härchen in ihrem Nacken auf. Ein unheimliches Schaudern erfasste Maries schlanken Körper, obwohl sie Jeans und eine langärmlige Bluse im Hochsommer trug.
Sie sah sich um, aber bis auf einen Herrn im Schatten, der in ein Buch vertieft war, und eine Familie, die sich zum Eisessen an dem Tisch neben ihr niedergelassen hatte, fiel Marie nichts ins Auge. Alles war wie sonst.
Sie besann sich und lächelte über sich selbst und ihre ständige Alarmbereitschaft. Seit Sebastian sie von heute auf morgen hochschwanger für eine andere hatte sitzen lassen, litt Marie an Angstzuständen, die sie sich selbst nicht erklären konnte. Mit jedem Geburtstag von Elias waren sie zwar mehr und mehr verblasst, aber noch heute fühlte sie sich manchmal beobachtet.
Früher hatte sie die Hoffnung gehegt, dass es sich um Sebastian selbst handelte, der auf diese Weise Kontakt zu seinem Kind suchte. Leider vergebens. Er ließ sich nicht mehr blicken, schickte in all den Jahren noch nicht einmal eine Karte zum Geburtstag oder zu Weihnachten. Auch auf sein Unterhaltsgeld musste Marie bis heute verzichten.
Am Anfang hatten ihn die gerichtlichen Schreiben noch erreicht. Doch später war Sebastian ganz von der Bildfläche verschwunden, die Briefe galten als unzustellbar. Maries Anwalt vermutete, er sei womöglich unter falschem Namen ausgewandert. Auch dem Gericht waren von da an die Hände gebunden gewesen.
Seither war Marie komplett auf sich allein gestellt. Die erste Zeit war hart gewesen. Finanziell am Limit hatte sie jeden Monat die Luft angehalten, ob das Geld wenigstens für das Nötigste ausreichen würde. Ihrem Sohn Elias versuchte sie, trotz aller Sorgen eine unbeschwerte, schöne Kindheit zu ermöglichen. Er sollte später mit einem zufriedenen Lächeln auf diese Jahre zurückblicken können.
Inzwischen half er ihr jedoch bereits wie selbstverständlich im Haushalt und kümmerte sich um kleine Einkäufe, wenn sie wieder Überstunden im Kaufhaus machte.
Noch ein Grund mehr für Urlaub im Ausland, weit weg von allem, was die Alleinerziehende einengte und ihren Sohn davon abhielt, frei und sorglos sein junges Leben zu genießen. In Ägypten würden sie beide endlich wieder durchatmen und zur Ruhe kommen können. Noch eine Woche, und Marie hatte das nötige Geld für die Flüge und zwei Wochen Hotelübernachtung beisammen. Sie hatte extra gespart, um ihrem Sohn keine Bruchbude, sondern wenigstens ein wenig Komfort in seinen Schulferien bieten zu können.
Elias wird aus dem Staunen gar nicht mehr herauskommen!, dachte Marie glücklich.
Das Klubresort, das sie gefunden hatte, war ein absolutes Schnäppchen gewesen. Und es bot ausnahmslos alles, was ein Kinderherz begehrte: eine großzügige Poollandschaft, bunte Rutschen, Animationsprogramm und einen direkten Zugang zum weißen Sandstrand. Das Wetter sollte zudem noch traumhaft werden.
Sie freute sich bereits jetzt auf seine überschwängliche Reaktion, wenn sie ihm von ihrer Urlaubsüberraschung erzählte. Der junge Indiana Jones-Fan würde außer sich sein vor Freude. Pharaonengräber besichtigen, Pyramiden bestaunen, durch enge, dunkle Gänge schleichen – ja, das würde in Ägypten eindeutig Elias' Abenteuer-Pflichtprogramm sein. Und dann ging es natürlich später direkt wieder mit der Luftmatratze ins azurblaue Meer.
Wenn da nur nicht immer noch dieses unangenehme Kribbeln im Nacken wäre, könnte auch sie sich endlich vorbehaltlos auf die zwei Wochen Urlaub freuen ...
♥♥♥
Elias verdrehte die Augen, als er den Wagen seiner Mutter vorfahren sah.
»Oh, nein, Mamaaa. Du solltest doch an der Ecke auf mich warten ...«, murmelte er gequält.
Nach einem schnellen Rundumblick sprang er auf den Beifahrersitz, schlug die Tür zu und rutschte in seinem Sitz nach unten.
»Du solltest doch nicht vorfahren!«, zischte er beinahe vorwurfsvoll.
»Ich freue mich auch, dich zu sehen, Krümel«, erwiderte Marie gut gelaunt. »Und wie nett von mir, dass ich es einrichten konnte, meinen Sohn von der Schule abzuholen, damit er nicht mit dem überfüllten, heißen Bus fahren muss. Findest du nicht auch?«
»Oh, Mama ... Wenn dich jemand gesehen hat!«, stöhnte Elias auf und verbarg das sommersprossige Gesicht in beiden Händen.
»Bin ich dir also plötzlich peinlich, ja? Früher hast du dich gefreut, wenn ich hergekommen bin.«
»Früher, Mama, früher«, betonte er krächzend. Der Stimmbruch hatte vor Kurzem begonnen. »Das ist vorbei. Jetzt fahr bitte endlich, bevor man uns zusammen sieht.«
»Nicht, solang du nicht angeschnallt bist. Sonst hole ich vor den Augen aller deinen Kindersitz aus dem Kofferraum, winke damit und rufe Benni und Jerome zu.«
»Mann, Mamaaa!«, moserte er lang gezogen, schnalzte mit der Zunge und setzte zu guter Letzt einen dramatischen Seufzer hinten an. »Ich bin zwölf Jahre alt und über eins fünfzig groß, schmeiß diesen dämlichen Kindersitz endlich weg. Das ist nur was für Babys.«
»Aber um den Gurt kommt selbst ein fast erwachsener Besserwisser wie du nicht herum. Ich verbanne dich sonst wieder auf den Rücksitz, Freundchen. Noch habe ich hier das Sagen.«
Maries breites Grinsen regte ihn mindestens so sehr auf wie ihre Worte. Ihre Drohung hatte den gewünschten Erfolg. Elias beeilte sich mit dem Gurt. Marie wartete, bis es klickte, erst dann fuhr sie wieder auf die Straße.
Statt sich mit seiner Mutter zu unterhalten, starrte Elias lieber aus dem Fenster und in die vollen Baumkronen, durch deren Blätter ab und zu ein Lichtstrahl fiel und ihn blendete.
Ihr Sohn schien oft mit den Gedanken woanders zu sein, seitdem er in der Pubertät war. Dabei sah er noch immer wie ihr kleiner, süßer Elias von damals aus mit seiner gepunkteten Stupsnase, den niedlichen vollen Wangen und diesen runden Rehaugen. Einzig seine glatten blonden Haare ließ er sich lang wachsen wie ein Rockstar. Sie setzten mittlerweile auf den Schultern des dünnen Jungen auf.
Elias' verträumter Blick erinnerte Marie an sein Gesichtchen zu seinem sechsten Geburtstag, als er zum ersten Mal nach Sebastian gefragt hatte. Sie hatte ihm schweren Herzens erklären müssen, dass sein Vater nicht kommen würde. Sie hatte vermieden, Elias mit einer Ausrede für das Fehlen seines Papas zu vertrösten. Denn dann hätte sich ihr armes Kind jedes Jahr nur von Neuem Hoffnungen gemacht. Stattdessen versuchte Marie, ihrem Sohn all seine restlichen Wünsche zu erfüllen.
Zum Glück fragte er nicht nach einem eigenen Smartphone, das sich die Kaufhausangestellte in ihrer finanziellen Situation nicht hätte leisten können. Elias war für gewöhnlich kein Fan der neuesten Markenmode oder Technik. Selbst unter dem Druck seiner teils verwöhnten Klassenkameraden knickte er nicht ein, worauf Marie mächtig stolz war.
Doch Elias kam nun langsam in die Hochphase seiner Pubertät, und das könnte alles verändern. Bislang hatte er sich an Fußball, Tischtennis und Kletterwänden erfreut, in Zukunft wahrscheinlich für Internettrends, Videospiele und Mädchen. Marie hoffte, dass sich diese anstrengende Phase so weit wie möglich hinauszögern würde.
»Hast du dir inzwischen überlegt, was du dir zum Geburtstag wünschst?«, wollte sie wissen.
Endlich gewann Marie die Aufmerksamkeit ihres Kindes wieder. Zunächst weiteten sich seine Augen, welche ganz eindeutig die seiner Mutter waren, danach verengte er ebenjene misstrauisch.
»Ich habe erst in zwei Monaten Geburtstag.«
»Ja, aber der dreizehnte ist etwas Besonderes: Du wirst dann ganz offiziell zum Teenager.«
»Wird mich Papa dann endlich besuchen kommen?«
Marie stockte der Atem.
Jedes Mal spannte sich in der jungen Mutter alles an, wenn ihr Sohn auch nur das Wort »Papa« in den Mund nahm. Sie wollte ihm nicht erklären müssen, dass sie ihren Mann damals nicht hatte aufhalten können und er sich lieber um seine heißblütige Geliebte gekümmert hatte, als bei seiner schwangeren Frau zu bleiben. Er hatte nicht einmal abwarten können, bis sein Sohn auf der Welt war. Sebastian Ebert war schon immer ein Schwerenöter gewesen, der niemals erwachsen geworden war. Doch zu ihrem Pech war Marie bis über beide Ohren in ihn verliebt gewesen.
Sie stammelte zunächst, schluckte trocken und begann ihre Antwort dann von Neuem: »Du weißt, dass ich dir das nicht sagen kann. Ich habe es genauso sehr gehofft wie du, aber ich kann den Kontakt zu ihm nicht aufbauen. Er ist fort, Elias. Es tut mir leid.«
»Und wieso hast du ihn dann damals nicht aufgehalten?«, schrie er auf einmal, und Tränen der Wut standen in seinen Augen.
Marie wusste, dass sie keinen Blumentopf gewann, wenn sie ihn in dieser Situation zurechtwies. Einem pubertären, zornigen Jungen gegenüber brauchte sie gar nicht erst mit Regeln, Strafen oder Beschimpfungen zu kommen. Er würde all dies lediglich als Bestätigung sehen und sie nur noch mehr hassen. Also versuchte es Marie mit einem rationalen Appell an seinen gesunden Menschenverstand ...