Fideline - Melina Hilger - E-Book

Fideline E-Book

Melina Hilger

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Beschreibung

Fideline ist Friedhofsgärtnerin. Sie belauscht halb unfreiwillig das Gespräch einer älteren Dame am Grab. Das Gesprochene berührt sie sehr und macht sie neugierig. Die beiden lernen sich näher kennen und schließlich erfährt Fideline deren ganze Biografie. Fasziniert von dem Leben dieser Frau begleitet sie sie letztendlich bis zu ihrem Tod... Eine anrührende, weise Erzählung über Leben und Tod. Sie ist eine der Geschichten aus dem Buch der gleichnamigen Autorin "Auf den Weg ins Land der Hoffnung" über Leben, Tod und Dazwischen.

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Melina Hilger

Fideline

Über den Sinn des Lebens

Diese Geschichte widme ich allen noch lebenden, mutigen Menschen mit offenen und aufnahmebereiten Herzen.BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Fideline

Fideline

Fideline war noch jung, sie hatte große Sehnsucht danach, dass sich ihr Leben bald änderte. Lange schon hielt sie Ausschau nach dem "Prinzen", der sie entführen würde in das Reich der Liebe und in eine vollkommenere Welt. Sie hatte viele Wünsche, nur wenn sie in ihrer Traumwelt lebte, war sie glücklich. Sie wollte nicht enden wie all die anderen Menschen um sie herum, die täglich nur ihren Pflichten nachkamen, ständig über andere schimpften und alles verurteilten, was andere taten. Sie hatte ein gutes Herz und sie empfand die Welt außerhalb ihrer Wohnung und ihres Arbeitsplatzes einfach zu laut und zu hart.

Ihren Job in einer Friedhofsgärtnerei liebte sie. Sie konnte, während sie die Gräber pflegte und Blumen pflanzte, sich die Inschriften auf den Grabsteinen ansehen. Manchmal waren sogar Bilder der verstorbenen Person darauf zu sehen. Dann tauchte sie, inspiriert von den eingravierten Daten, in diese erloschenen Menschenleben ein und versuchte deren Leben zu erspüren. Es ging wie von selbst, dass ihr plötzlich Fragen in den Sinn kam, wie dieser oder jener Mensch wohl war, was er in seinem Dasein bewirkt hatte oder woraus sein Leben gewebt war. Sie erfühlte bei fast allen Begrabenen viel Tragik, Dramen, Schmerz und Leid und bei manchen auch zähes Durchhalten um jeden Preis.

Viele Grabmale trugen Inschriften wie: „Sie fand nach langem Kampf endlich Frieden“ – „In verdientem Frieden“ – „Der Tod war die Erlösung“ – „Gute Reise ins Licht“ (wobei sie immer vermutete, dass die Flucht aus dem Dunkel gemeint war) – „Nach langem, mühsamen Erdenweg...“. Fideline spürte sehr fein aus den Inschriften heraus, wie das Leben der Verstorbenen gewesen war. Sie war voll Mitgefühl für diese Toten, die sich durch ihr Leben gequält hatten unter Bedingungen, die sie selbst nie ertragen könnte. Nein, so etwas wollte sie auf keinen Fall. Was sollte wohl einmal auf ihrem Grabstein stehen? Manchmal, aber sehr selten, durfte sie auch ein Grab pflegen, dessen Inschrift etwas anderes erzählte. Meist wurden diese Gräber nicht von der Friedhofsgärtnerei gepflegt, sondern von einer liebenden, noch lebenden Seele. Sie sah auch öfter Menschen an solchen Ruhestätten, Menschen mit traurigen Mienen und mit Tränen. Wenn sie dann diese Inschriften forschend betrachtete, stellte sie fest, dass es meist kürzlich Verstorbene waren und die Erinnerung an sie noch frisch. Aber vereinzelt gab es auch Gräber, die oft besucht wurden, obwohl der Todeszeitpunkt schon lange her war.

An einem Freitag arbeitete Fideline an einem der Urnengräber, die sie zu pflegen hatte und hörte in unmittelbarer Nähe, verdeckt durch ein Monument, eine weibliche Stimme. Sie sprach laut mit der dort begrabenen Person. Sie hörte: „Mein Liebes, so lange komme ich schon hierher und mein Kummer ist noch genauso groß wie am ersten Tag. Aber bald werde ich dich endlich wiedersehen, und ich freue mich schon so sehr auf dieses Treffen. Meine Krankheit ist nun schon in einem fortgeschrittenen Stadium. Mein Körper ist voller Metastasen. Es wird nicht mehr lange dauern, dann kann ich nicht mehr hierher kommen, um dein Grab zu pflegen. Es ist dann keiner mehr da, der es pflegen wird. Ich habe manchmal große Schmerzen und muss vielleicht das Bett hüten. Bitte verzeih mir, dass ich es dann nicht mehr pflegen kann, die Laufzeit dieses Platzes beträgt noch weitere fünf Jahre und ich hoffe sehr, dass sich eine mitleidige Seele kümmern wird, damit kein Schatten der Schande auf mich fällt. Aber dann bin ich längst bei dir und es wird uns gleichgültig sein, wie dein Grab aussieht. Meine Rente war zu klein, um mich in dein Grab einzukaufen, mir bleibt nur die Beerdigung, die die Stadt nach meinem Tode vornehmen wird. Da hat man keine Chance, sich Bedingungen zu erbitten. Dieser Ort hier hat mich so viele Jahre in meiner Trauer begleitet. Es hat mich am Leben gehalten, dass ich so oft hierher kommen und mit dir reden konnte. Ich danke dir! Für heute muss ich dich verlassen, es ist schon spät und ich brauche lange für den Rückweg. Bis dann, meine Liebste“.

*

Fideline hatte alles gehört. Sie hatte ihre Schaufel ruhen lassen und gebannt gelauscht. Jetzt lugte sie vorsichtig hinter dem großen Stein hervor. Sie sah ein uraltes Weiblein, das sich ächzend aus der Kniehaltung erhob und sich, auf einen Stock gestützt, über den Kiesweg in Richtung Ausgang bewegte. Fideline hatte ein intimes Gespräch belauscht und fühlte sich nicht gut. Sie bezwang ihre Neugier zu dem Grab zu gehen, um zu sehen, um wen es sich da handelte. Nein, sie war ohnehin im Verzug und musste ihre Arbeit zu Ende bringen. Sie dachte an diesem Abend noch sehr lange über das belauschte Gespräch nach.

Zwei Tage später, als sie wieder durch die Reihen ging, um eines der Gräber auf ihrer langen Liste zu bearbeiten, kam ihr die Unterhaltung vom Freitag wieder in den Sinn. Diesmal konnte sie ihre Neugierde nicht bezähmen und suchte das entsprechende Grab. Als sie davor stand war sie erstaunt. Auf dem Stein war zu lesen: „Meine geliebte Tochter Marina, die für immer in meinem Herzen wohnt“. Darunter stand das Datum des Sterbetages: „29. April 1944“. Und darüber war in einer leuchtenden Schrift der Satz: „Wir nehmen alles an, was Gott uns aufgetragen hat!“ eingemeißelt.

Wow, darüber musste Fideline noch nachdenken. Wieso war nur das Sterbedatum, nicht das Geburtsdatum eingraviert? Der Grabstein war frei von Moos und selbst das kleine Marmor-Vögelchen, das mit geöffneten Schnabel auf dem Grabstein saß (als sänge es aus Leibeskräften) leuchtete hell und sauber im Sonnenlicht. Das Grab selbst war klein, mit wunderschönen Vergissmeinnicht und einem kleinen gelben Rosenstock bepflanzt. Es war kein einziges welkes Blatt und nicht ein Hälmchen Unkraut darauf zu sehen. Auch die steinerne Einfassung war sauber und reinweiß.