Frienisberg - Alex Gfeller - E-Book

Frienisberg E-Book

Alex Gfeller

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Beschreibung

Band 1: Biel (deutsch) Volume 2: Bienne (français) Band 3: Seeland (deutsch) Volume 4: Le Seeland (français) Band 5: Frienisberg (deutsch) Volume 6: Le Frienisberg (français) Band 7: Jura (deutsch) Volume 8: Le Jura (français)

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Ich gedenke Akiwa Hofman.1

1 Akiwa Hofmann, 1919-1943, aus Visna Apsa, Tschechoslowakei, Hutmacher, im KZ ermordet.

In Dänemark, damals, vor langer Zeit, hätte ich wohl nach einigen Jahren angefangen, Dänisch zu schreiben. Oder Englisch. Warum nicht? Das wäre für mich kein Problem gewesen. Wäre ich noch drei Jahre länger dort geblieben, schätze ich mal,

hätte ich der Einfachheit halber sogar problemlos die dänische Staatsbürgerschaft beantragen können, und ich gälte jetzt wohl als dänischer Autor, anständig gefördert vom dänischen Staat, eingebettet in die dänische Kultur, abgesichert durch das vorzügliche dänische Sozialwesen, wenn mich damals meine dänische Schwiegermutter nicht aus Dänemark vertrieben hätte. Ich weiß noch genau, dass mich diese attraktive Aussicht, einfach in Dänemark zu bleiben, in ihrer Einfachheit und Problemlosigkeit damals echt verblüfft hat. Ich hatte bereits Kontakt zu dänischen Autoren, zu dänischen Malern, zu Galerien und zu allerlei anderen Literaten gefunden, die sich in Kopenhagen trafen, und mich mit ihnen sofort gut verstanden. Das war gewiss nicht schwierig, denn Dänemark ist ein freundliches, offenes, aufgeschlossenes und großzügiges Land, lauter Eigenschaften, die man dem verklemmten Opportunien beim besten Willen nicht zugestehen kann.

Reden wir also von Literatur. Damit meine ich nicht die deutsche, die opportunistische oder irgendeine andere unbestimmte Literatur – ich meine jede Literatur, ganz generell. Und wenn ich Literatur sage, dann meine ich gute Literatur, nicht schlechte. Was ist gute Literatur? Gute Literatur ist Literatur, die mir gefällt, ganz gleich, wer sie wann und wo und wie geschrieben hat.

Es ist natürlich immer ausschlaggebend, wer, wann, wie und wo Literatur hergestellt hat; das kann man in keiner Weise missachten, allein deshalb nicht, weil man dieselbe ja verstehen will. Nur: Überall auf der Welt schreiben Menschen Bücher, also schreiben sie auch gute Bücher. Und diese gilt es zu finden. Ich lese mich deshalb quer durch die Gegenwartsliteratur, wenigstens ansatzweise, so gut es geht und sofern sie in deutscher Sprache erhältlich ist, also allenfalls in Übersetzungen, weil ich mich heute nicht mehr in Fremdsprachen abquälen mag. Früher habe ich immer versucht, die verschiedenen Literaturen in ihrer Originalsprache zu lesen; das war indessen nicht immer ein Gewinn, sondern meist eher ein Murks. Selbst französische, italienische, spanische, skandinavische

oder auch englische und amerikanische Literatur lese ich mittlerweile aus reiner Bequemlichkeit lieber in Übersetzungen, weil ich fürchte, dass meine Sprachkenntnisse mangels realer Kontakte nicht mehr ausreichend sind. Aber es ist völlig unerheblich, welcher Nationalität ein Autor ist; demzufolge kann man seine Bücher auch losgelöst von jeder nationalen Zugehörigkeit genießen; es handelt sich in jedem Falle entweder um gute oder um schlechte Bücher. Naturgemäß gibt es viel mehr schlechte als gute Bücher, und es ist so, dass einer allmählich ein Gespür für Bücher entwickelt, die unter Umständen gut sein

könnten. Das hat nichts mit deren kommerzieller Verwertbarkeit zu tun – überhaupt nichts. Wenn ich in eine gute Buchhandlung gehe, nehme ich mir etwas Zeit. Ich schlage viele der angebotenen Bücher auf und lese ein paar Zeilen, nicht zwingend den Anfang, denn so, wie man zuweilen auf eine Sammlung von berühmten, weil spektakulären Buchanfängen stößt, könnte man ebenso gut eine Sammlung von völlig missratenen Buchanfängen auflisten. Ein Buchanfang sagt nichts über die Qualität eines Buches aus. Nur oberflächliche Personen aus Redaktionen, Verlagen und Lektoraten und natürlich ausnahmslos alle Kritiker wollen immer nur die ersten anderthalb oder zwei

Seiten eines Buches lesen und behaupten dann keck, sie wüssten danach genau Bescheid. So sind es denn meist eher die mittelmäßigen Schlaumeier unter den Autoren, die ein derart großes Gewicht auf den famosen „ersten Satz“ legen, an dem sie zuweilen monatelang herumlaborieren, ganz besonders in Amerika. Völliger Unsinn. Doch nur deshalb finden wir neuerdings Bücher mit einem pompösen Buchanfang, und der Rest des Buches hält in keiner Weise, was der erste Satz oder der erste Abschnitt versprochen hätte.

Man entdeckt gute Bücher erst dadurch, dass man sie liest, also richtig, von vorne bis hinten. Man entwickelt indessen im Laufe der Erfahrung mit dem Lesen von Büchern dieses besagte Gespür, das einen aber manchmal auch völlig sitzenlassen kann. Das gebe ich zu. Völlig.

Zudem kapriziert man sich viel zu oft auf bestimmte Autoren, gerne auf Autoren der eigenen Generation, und sei es nur, weil man von ihnen bereits etwas gelesen hat, das gefallen mochte. Aber auch darauf kann man sich nicht unbedingt verlassen. Man übersieht dabei gerne, dass Autoren nicht immer die gleich guten Bücher schreiben, und auch nicht immer in der gleichen Qualität, auf dem gleichen Level, weil sie ja nicht immer auf der gleichen Höhe sind und auch nicht immer die gleichen Bücher schreiben, und das muss auch so sein, denn jeder Autor macht mit jedem seiner Bücher unweigerlich eine neue, eine vielfach andere Erfahrung. Doch abgesehen von all diesen Relativierungen: Gute Literatur zeichnet sich dadurch aus, dass sie mich unterhält, nicht unbedingt belehrt, doch einnimmt, denn man darf nicht vergessen, dass Literatur ein Unterhaltungsmedium ist.

Bücher sollen die Leute unterhalten wie der Märchenerzähler im Basar zu der Zeit, als noch keine Bücher geschrieben worden sind. Der Autor teilt uns etwas mit, das uns gefallen, erbauen und einnehmen soll. Es gibt natürlich auch andere Sorten von Büchern, Schulbücher zum Beispiel, Fachbücher und Sachbücher, aber das ist etwas anderes.

Was teilt uns der Autor mit? Er teilt uns Lebenserfahrungen mit, und das ist es, was uns interessiert. Wir wollen mittels seiner Geschichte etwas einsehen können, etwas verstehen können, das wir ohne diese Hilfe unter Umständen nicht einmal erkennen würden. So gelangen wir allmählich zu der Einsicht, dass weder Geschichtsbücher, noch soziologische, psychologische oder philosophische Werke, noch Statistiken, Tabellen und Diagramme und auch nicht religiöse Bekenntnisse uns befriedigend Auskunft über das Leben geben können; die einzig wirklich Zuständigen in Sachen Leben sind die Autoren dieser Welt.

Es entwickelt sich beim Lesen nämlich allmählich die Einsicht, dass Autoren durchaus glaubwürdige, weil unbestechliche Beobachter und Darsteller des Lebens sind, glaubwürdiger jedenfalls als alle anderen Leute, glaubwürdiger als Statistiker, glaubwürdiger als Historiker, glaubwürdiger als Soziologen und selbstverständlich glaubwürdiger als Politiker und Diktatoren oder gar Generäle. Das macht sie so wichtig, und das macht sie so kostbar.

Und genau das macht sie für Diktaturen so gefährlich. Zivilisierte Gesellschaften sollten ihre Autoren auf Händen tragen. Unzivilisierte Gesellschaften können sie aber auch mundtot machen, können sie arbeitslos machen und in die finstersten Kerker werfen. Es gab und gibt sogar Gesellschaften, die sie totschlagen, foltern oder verhungern lassen. Opportunien, zum Beispiel, ist ein Land, das seine Autoren einfach verschweigt, verdrängt und möglichst schnell vergisst. Das kommt am billigsten, denn das kostet überhaupt nichts.

Was hebt denn Autoren in diesen bewundernswerten Status? Die Antwort ist ganz einfach: Ihr ständiges Bestreben, die ganze Welt darzustellen, versieht sie mit einer Aura der Enthobenheit. Damit man die Welt darstellen kann, muss man sie verstehen, aber oft ist es so, dass Autoren erst durch den Versuch, die Welt darzustellen, in den Genuss des Verstehens gelangen können.

Oft ist es auch so, dass dieses Verstehen trotzdem völlig ausbleibt, und oft ist es so, dass erst der Leser durch die Lektüre Einblick in Zusammenhänge gewinnt, die der Autor so gar nicht vorgesehen, noch bedacht oder gar nicht beachtet hat. Es gibt in der Welt der Literatur alle denkbaren Phänomene, und nichts ist unmöglich.

Nun aber beschäftigt sich der Autor also mit der Welt, das heißt, mit dem Leben auf dieser einen und einzigen Welt, und diese Freiheit nimmt er sich einfach heraus, ohne jemanden um Erlaubnis zu bitten. Er arbeitet ohne Auftrag und Bezahlung. Man kann diesen Akt der Befreiung gar nicht hoch genug einschätzen. Der Autor befreit sich von Unwissenheit und Angst, stellvertretend für uns alle.

Schon deshalb steht der Autor in einer besonderen Position; ich habe dies Enthobenheit genannt. Autoren sind somit nicht Menschen wie alle andern; es sind Menschen, die ohne äußere Einwirkung die Welt