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Seit ihre Eltern vor fünf Jahren bei einem Bootsunglück ums Leben gekommen sind, führt Sophie Prinzessin von Mollhain mit ihrer Großmutter Clara Fürstin von Mollhain die Geschicke auf dem Familienschloss. Vor allem in den Sommermonaten besuchen zahlreiche Touristen das Fürstenhaus, welches für seinen wunderschönen Fliedergarten bekannt ist.
Ganz in der Nähe liegt das heruntergekommene Gut Freienberg, das seit Jahrzehnten leer steht. Eines Tages taucht der Erbe Tom Freienberg auf. Er will das Gut zum Hotel "Fliederhof" mit Restaurant umbauen und den verwilderten Fliedergarten - der einst ebenso bekannt war wie der des Schlosses Mollhain - in Form bringen.
Fürstin Clara ist außer sich, als sie von Tom und seinen Plänen erfährt. Vor vielen Jahren hat ein tragisches Unglück einen Keil zwischen die beiden Familien getrieben. Seitdem sind sie verfeindet. Sophie nimmt diese alte Geschichte nur am Rande zur Kenntnis, weil sie mit anderen Aufgaben beschäftigt ist. Sie sucht nach einer seltenen, historischen Fliederart, der dreifarbigen Sorte "Erzherzog Maximilian". Bei einem Pflanzenzüchter trifft sie Tom Freienberg, der ebenfalls auf der Suche nach dieser Fliedersorte ist. Zwischen den beiden funkt es sofort, ohne dass sie wissen, um wen es sich beim Gegenüber handelt ...
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Seitenzahl: 116
Cover
Der Fliedergarten der Prinzessin
Vorschau
Impressum
Der Fliedergarten der Prinzessin
Adelsroman um einen besonderen Schicksalsort
Von Clarissa von Lausitz
Seit ihre Eltern vor fünf Jahren bei einem Bootsunglück ums Leben gekommen sind, führt Sophie Prinzessin von Mollhain mit ihrer Großmutter Clara Fürstin von Mollhain die Geschicke auf dem Familienschloss. Vor allem in den Sommermonaten besuchen zahlreiche Touristen das Fürstenhaus, welches für seinen wunderschönen Fliedergarten bekannt ist.
Ganz in der Nähe liegt das heruntergekommene Gut Freienberg, das seit Jahrzehnten leer steht. Eines Tages taucht der Erbe Tom Freienberg auf. Er will das Gut zum Hotel »Fliederhof« mit Restaurant umbauen und den verwilderten Fliedergarten – der einst ebenso bekannt war wie der des Schlosses Mollhain – in Form bringen.
Fürstin Clara ist außer sich, als sie von Tom und seinen Plänen erfährt. Vor vielen Jahren hat ein tragisches Unglück einen Keil zwischen die beiden Familien getrieben. Seitdem sind sie verfeindet. Sophie nimmt diese alte Geschichte nur am Rande zur Kenntnis, weil sie mit anderen Aufgaben beschäftigt ist. Sie sucht nach einer seltenen, historischen Fliederart, der dreifarbigen Sorte »Erzherzog Maximilian«. Bei einem Pflanzenzüchter trifft sie Tom Freienberg, der ebenfalls auf der Suche nach dieser Fliedersorte ist. Zwischen den beiden funkt es sofort, ohne dass sie wissen, um wen es sich beim Gegenüber handelt ...
Es gab nur ein einziges Matschloch im weitläufigen Fliedergarten von Schloss Mollhain, in dem sich ein Hund gründlich besudeln konnte. Diese Stelle war nicht leicht zu finden zwischen Hunderten prächtig blühenden und betäubend duftenden Fliedersträuchern nahezu jeglicher Art. Doch der Bulldogenmischling Butch hatte die schlammige Senke entdeckt und sich mit großen Vergnügen hineingeworfen. Eine fast schwarze Kruste überzog sein hellbraunes Fell. Sophie Prinzessin von Mollhain schien es, als blickten Butchs Augen aus einem dunklen Hügel – leuchtende Augen, die von der Begeisterung des riesigen Hundes über sein Schlammbad zeugten.
»Butch!«, entfuhr es Sophie. »Wie konntest du! Na warte, das wird Ärger mit Udo geben.«
Ratlos betrachtete sie den Vierbeiner des Gärtnermeisters von Schloss Mollhain. Normalerweise streifte Butch an der Seite seines Herrchens Udo Barnsen durch die gewaltige Parkanlage des Schlosses. Doch heute offenkundig nicht. Butch wedelte und verteilte dabei Matschbrocken in weitem Umfeld.
Sophie trat einen Schritt zurück und lachte. Vor zwei Tagen erst hatte sie die Schlammsenke mit rotweißem Flatterband abgesperrt, damit keine Besucher hineinstolperten. Vierzig Jahre lang hatte dort ein kräftiger Königsflieder gestanden, den jedoch im Frühjahr ein hartnäckiger Pilz befallen hatte. Um eine weitere Ausbreitung im Fliedergarten zu verhindern, hatten Sophie und der Gärtnermeister die schöne Pflanze schweren Herzens absägen müssen. In der großen Kuhle, die nach dem Ausgraben der Wurzeln blieb, hatte sich Regenwasser gesammelt. Sand und Kalk zum Auffüllen hatte die Prinzessin bereits bestellt, um den Boden für eine besondere, neue Anpflanzung vorzubereiten.
»Sophie, ich kann den Hund nicht finden«, erklang die tiefe Stimme von Udo Barnsen. »Hast du ihn vielleicht ... Grundgütiger!«
Der Gärtnermeister trat neben die Prinzessin und blickte fassungslos auf sein Haustier. Butch bemerkte rasch, dass sein Herrchen seine Freude über das Schlammbad nicht teilte, und senkte beschämt den Kopf.
»Ich glaube es nicht! Wie sollen wir den wieder sauber bekommen?«
Udo Barnsen stemmte die Fäuste in die Seiten und schaute Sophie hilfesuchend an. Der mittelgroße Mann überragte die Prinzessin nur um wenige Zentimeter, wirkte aber aufgrund seiner sehnigen, muskulösen Statur deutlich größer als die junge Frau. Braungebrannt und glatzköpfig bildete Udo Barnsen, der die siebzig schon überschritten hatte, insgesamt einen auffälligen Gegensatz zur Junior-Schlossherrin. Sophie war schlank, aber kurvig, hatte lange, braune Haare und große, braune Augen. Mit ihrem klaren Teint und den vollen Lippen war die Prinzessin von Mollhain eine klassische Schönheit.
»Wie wäre es mit dem Hochdruckreiniger?«, schlug Sophie lächelnd vor.
»Geht nicht, das tut ihm weh«, knurrte der Gärtnermeister. »Obwohl er es verdient hätte, nicht wahr, Butch?«
Der Hund stand weiterhin im Matschloch. Er wirkte drollig und verspielt, doch Sophie wusste, dass Butch zahlreichen Touristen Angst einjagte. Sie kamen entspannt und neugierig in einer schier endlosen Abfolge von Reisebussen zum Schloss Mollhain. Sie wollten das Schloss selbst, die beiden Museen und vor allem den Park mit seinem berühmten Fliedergarten und dem Flieder-Café besichtigen. Ein Bulldoggen-Mischling in Ponygröße, mit zerknautschtem Gesicht und blutunterlaufenen Augen, passte erstens nicht ins Gesamtbild und war zweitens auch für Hundefreunde eine furchteinflößende Erscheinung. Weshalb Udo Barnsen darauf achtete, dass Butch an seiner Seite blieb – fast immer.
»Wenn du um Regen betest, musst du mit dem Schlamm klarkommen«, ließ sich eine helle Stimme vernehmen.
Sophie und Udo drehten sich um. Joshua Liebig, seit wenigen Monaten Gärtnerlehrling auf Schloss Mollhain, konnte sich einen Kommentar zum Geschehen nicht verkneifen. Weil er sich generell Kommentare nicht verkneifen konnte, die meist aus vermeintlich klugen Zitaten bestanden, die sich der dürre Siebzehnjährige anscheinend willkürlich aneignete.
Sophie amüsierte sich im Stillen über diese Marotte, zumal Joshuas Lebensweisheiten meist leicht daneben trafen. Udo Barnsen schätzte die Angewohnheit seines Azubis allerdings deutlich weniger.
»Oh, der Herr Liebig steuert wieder etwas Erbauliches zur Lage bei«, spottete der Gärtnermeister. »Da weise ich den Philosophen doch gleich mal an, sich mit diesem Schmuddelmonster zu beschäftigen und es porentief zu reinigen.«
Joshua wollte protestieren. Das Putzen schlammverkrusteter Hunde gehörte nicht in sein Aufgabengebiet. Doch nach einem Blick auf Udos Gesichtsausdruck verzichtete er darauf.
»Also gut«, seufzte der Lehrling. »Komm, Butch, komm zum lieben Joshua. Der hat einen schönen Gartenschlauch mit viel Wasser für dich. Und ein Leckerli.«
Joshua zog einen Hundekeks aus der Tasche seiner Arbeitshose.
Butch stutzte einen Moment. Statt der erwarteten Strafe winkte eine Belohnung? Mit einem Satz sprang das massige Tier aus dem Matsch und auf Joshua zu.
»Nicht so stürmisch!«, rief dieser und lief los, bevor Butch an ihm hochspringen konnte. Binnen Sekunden verschwanden Lehrling und Hund zwischen den lila- und rosafarben, purpurrot und weiß blühenden Fliedersträuchern.
»Die sind erst einmal beschäftigt.« Udo grinste. Dann zeigte er auf das Schlammloch. »Wird Zeit, dass sich hier etwas tut. Joshua kann den Hund ja nicht jeden Tag abduschen.«
»Nein, das wäre dann wohl eine andere Ausbildung.« Sophie lächelte. »Aber keine Sorge, Sand und Kalk sollen morgen geliefert werden. Und wie es dann weitergeht ...«
»... weißt du doch schon ganz genau«, vollendete der Gärtnermeister ihren Satz.
Udo kannte die Prinzessin von Mollhain seit ihrer Geburt. Er wusste, dass sie zwar häufig verträumt und romantisch sein konnte, doch in Sophie steckte zugleich ein durchsetzungsstarker, zupackender Charakter. Nicht umsonst leitete sie trotz ihrer Jugend bereits an der Seite ihrer Großmutter die Geschicke von Schloss Mollhain – und das sehr erfolgreich.
Wieder lachte Sophie und steckte ihre Hände in die Taschen ihres hellgrünen Arbeitskittels, den sie über Jeans und T-Shirt gezogen hatte.
»Stimmt«, räumte sie ein. »Aber ich will es noch nicht verraten. Es soll eine Überraschung für Clara sein.«
»Oh, die will ich selbstverständlich nicht verderben.«
Udo wandte sich dem Hauptweg zu, der durch den Fliedergarten und in gerader Linie zum Schlossensemble führte. Sophie folgte ihm. Gemeinsam schritten sie auf Schloss Mollhain zu, das unter tiefblauem Sommerhimmel seine atemberaubende Pracht entfaltete.
Die in blassem Rosa gestrichene Fassade leuchtete mit den cremefarbenen Säulen des beeindruckenden Portals um die Wette. Selbst der Schiefer auf der geschwungenen Dachformation mit ihren zahlreichen Türmchen und Gauben glänzte. Weiß schimmerten die Geländer der kleinen Balkone vor den hohen Fenstern im Obergeschoss. In den Beeten vor dem Souterrain blühten Dahlien, Glockenblumen, Rittersporn und Stockrosen.
Sophie freute sich täglich aufs Neue über diesen Anblick und wurde seiner nicht müde. Nie war ihr der Gedanke gekommen, Schloss Mollhain zu verlassen – erst recht nicht nach dem tragischen Tod ihrer Eltern vor fünfeinhalb Jahren. Fürstin Elenor und Fürst Georg waren während eines Urlaubs in Italien bei einem Autounfall ums Leben gekommen – plötzlich und für Sophie vollkommen schockierend. Einige Monate lang war sie wie gelähmt durch die Trümmer ihrer zuvor wohlbehüteten Welt getaumelt. Dann hatte ihre Großmutter, die resolute Clara Fürstin von Mollhain, ihre Enkelin zurück ins Leben gezwungen. Sie hatte Sophie fest in die Geschäftsführung der Schloss Mollhain GmbH & Co.KG eingebunden.
Sophie hatte sich fortan mit ungeheurem Fleiß mit der Verwaltung des Schlosses vertraut gemacht. Zudem hatte sie bei Udo Barnsen eine inoffizielle Lehre als Landschaftsgärtnerin absolviert. Der Park und vor allem der Flieder waren Sophies große Leidenschaft. Die Arbeit lenkte sie von ihrem Kummer ab.
»Ich werde deiner Großmutter also nichts über Butchs Schlammkur erzählen«, meinte Udo, als sie den gekiesten Vorplatz des Schlosses betraten. »Sonst fragt sie sofort, was wir in der Kuhle als Ersatz pflanzen wollen. Ach, schau, da ist sie ja.«
Durch die geöffneten Türen des Schlossportals trat eine große, kräftige Frau in einem schlichten, türkisfarbenen Kleid. Ihr dichtes, silbergraues Haar umrahmte ein scharf geschnittenes Gesicht. Fürstin Clara winkte Sophie und Udo zu und wandte sich dann dem Reisebus zu, der knirschend über den Kies rollte. Wenn Clara Zeit fand, begrüßte sie die Besucher gern persönlich – und diese erinnerten sich stets voller Hochachtung an den fürstlichen Empfang und die elegante Schlossherrin.
»Morgenlauf, veganes Frühstück, anschließend die Bergwanderung, leichtes Mittagessen und Anwendungen im Spa-Bereich«, las Bettina Harland die Auflistung aus dem Prospekt vor. »Klingt doch super, oder?«
Sie blickte ihren Lebensgefährten auffordernd an. Tom Freienberg saß ihr am Tisch im kombinierten Wohn- und Esszimmer mit offener Küche gegenüber und studierte die Tageszeitung.
»Hallo, Erde an Tom, kannst du mich hören?« Bettina wedelte mit dem Prospekt herum. Die überschlanke, hochgewachsene Blondine mit der durchtrainierten Figur ließ sich nicht abwimmeln, weder in dieser noch in einer anderen Situation.
Tom blickte auf und richtete seine grünen Augen auf Bettina.
»Ich höre dich«, erwiderte er freundlich. »Du hast gerade das Programm dieses Wellness-Wochenendes vorgelesen. Klang wie für drei Tage, ist aber nur für einen, wenn ich das richtig verstanden habe.«
»Ach komm, das schaffen wir doch locker«, erwiderte Bettina unbekümmert. »Es wird Spaß machen. Wir wollen doch nicht zur Erholung mit einer Tüte Chips auf dem Sofa herumhängen.«
»Sicher nicht.« Tom lächelte.
Die Vorstellung von Bettina und ihm als Couch-Kartoffeln war tatsächlich absurd. Sie waren ein sportliches, aktives Paar, was man nicht nur Bettina ansah. Auch Tom fiel mit seiner Größe und seinem athletischen Körperbau auf, vor allem den Frauen, noch dazu mit seinen dichten braunen Haare und seinen klaren Gesichtszügen. Trug er außerdem seine Uniform, konnte er sich vor begehrlichen Blicken kaum retten.
Andere Lebensgefährtinnen hätte dieser Umstand eifersüchtig gemacht, doch derlei Gefühle waren Bettina Harland fremd. Zu groß war das Selbstbewusstsein der Krankenschwester und Stationsleiterin der Inneren Medizin der nahe gelegenen Uniklinik. Sie war eine erfolgreiche, attraktive und gesunde Frau, die ihr Leben fest im Griff hatte. Warum sollte sie sich um das Interesse anderer Frauen an Tom sorgen? Sie waren das ideale Paar und ergänzten sich sowohl auf beruflicher als auch auf privater Ebene perfekt. Jedenfalls wenn man pragmatisch die Fakten betrachtete, und Bettina Harland betrachtete stets pragmatisch die Fakten.
»Wann soll diese herrliche Erholung denn stattfinden?«, erkundigte sich Tom.
»In zwei Wochen, das habe ich dir doch gesagt.« Bettina schüttelte nachsichtig den Kopf. »Ein anderes Paar hat kurzfristig storniert, deshalb können wir in die Lücke springen. Und wegen dieser Kurzfristigkeit zahlen wir zwanzig Prozent weniger, das ist doch gut.«
»Schon.« Tom räusperte sich. »Es ist wirklich eine schöne Idee von dir, und normalerweise wäre ich auch sofort dabei.«
»Aber?« Bettina runzelte irritiert die Stirn.
»Ich möchte mir genau an dem Wochenende diesen Hof ansehen«, rückte Tom heraus. »Am nächsten habe ich Dienst, da geht es nicht. Also ...«
»Du redest von diesem merkwürdigen Familienerbe? Ach, Tom.« Bettina verzog entnervt ihr schmales Gesicht. »Darüber haben wir doch gesprochen. Das ist nichts für uns. Ich dachte, darüber wären wir uns einig.«
»Nein, darüber sind wir uns nicht einig.« Bettina mochte selbstbewusst sein, aber darin stand ihr Tom in nichts nach. »Du findest, dass das nichts für uns ist. Ich sehe das anders«, fuhr er fort.
Bettina stand auf und begann, den Tisch abzuräumen.
»Ich verstehe dich nicht«, erklärte sie. »Du bist doch genau dort, wo du hingehörst. Feuerwehrmann und Rettungsassistent: Das ist nicht nur dein Beruf, sondern auch deine Berufung – selbst wenn diese Formulierung etwas abgeschmackt klingt. Warum willst du daran etwas ändern?«
»Ich weiß ja noch gar nicht, ob ich daran etwas ändern will«, hielt ihr Tom entgegen. »Aber ich denke darüber nach. Und zu diesem Nachdenken gehört ein Besuch vor Ort, sonst kann ich diese Möglichkeit nicht beurteilen.«
Natürlich bemerkte er, dass Bettina ärgerlich wurde. Doch Tom war nicht bereit, in diesem Punkt nachzugeben. Seit seine Mutter ihm von jenem Hof erzählt hatte, ging er Tom nicht mehr aus dem Kopf. Ein heruntergekommenes Anwesen sei seit Ewigkeiten in Familienbesitz, hatte seine Mutter gesagt, »das rottet im Nirgendwo vor sich hin«. Sie habe seit Jahrzehnten nicht mehr daran gedacht – doch nun gehöre es plötzlich ihr. Weil eine betagte Cousine, zu der Toms Mutter niemals engen Kontakt hatte, gestorben war und ihr den Hof vererbt hatte.
»Jetzt stehe ich da mit dieser Bruchbude«, hatte seine Mutter geseufzt. »Ich muss sie schnell wieder loswerden, am Ende kommen sonst noch irgendwelche Kosten zur Instandhaltung auf mich zu. Wenn man in solchen Dingen nicht aufpasst, steht man ganz schnell mit einem Berg Schulden da.«
»Ein Hof? Im Nirgendwo?«
Aus ihm selbst unerklärlichen Gründen hatte diese Information Tom elektrisiert. Gewiss, früher einmal hatte er von einem Dasein auf dem Land geträumt, von einem Bauernhof oder einem Ferienhof, mit vielen Gästen und ein paar Tieren und einem riesigen Garten. Doch sein Leben hatte sich anders entwickelt, und es war ein gutes Leben.
»Schau es dir ruhig an, Thomas«, hatte seine Mutter gesagt. Sie war die Einzige, die ihn mit seinem Taufnamen ansprach und ihn nicht »Tom« nannte. »Es ist ja ein Teil unserer Familiengeschichte, der Geschichte der Freienbergs. Aber geh nicht davon aus, dass du etwas Gutes zu sehen bekommst.«
Bettina schloss die Kühlschranktür etwas heftiger, als es sonst ihre Art war.
»Dein Entschluss steht also fest? Kein Aktiv-Wochenende in den Bergen, sondern Besichtigung einer verfallenen Hütte in der Provinz?«, fragte sie spitz.
»Ja.« Tom erhob sich. »Sei nicht böse. Es ist nicht gegen dich gerichtet.«