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Wow - was für eine Frau! In ihrer pinkfarbenen Jacke ist sie im Publikum vor der Bühne wirklich nicht zu übersehen und fällt Saxofonist Henning sofort ins Auge. Es ist wie Magie, als sich ihre Blicke kreuzen, und am liebsten würde sich der Musiker und Leiter des alternativen Kulturzentrums sofort von der Bühne schwingen und mit dieser Traumfrau davonlaufen. Er darf sie auf keinen Fall aus den Augen verlieren, und so sieht er nur diese eine Möglichkeit, um sie festzuhalten.
Die ersten Töne der berühmten Melodie vom rosaroten Panther schweben wie sphärische Klänge durch den Raum und treffen Maja Prinzessin von Buchfelden direkt ins Herz. Eine Liebe gegen alle Konventionen nimmt ihren Lauf - doch sie ist nicht frei von gewaltigen Hindernissen ...
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Seitenzahl: 109
Cover
Impressum
Melodie einer Nacht
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Chris Ryan / iStockphoto
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-5480-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Melodie einer Nacht
Wenn zwei Herzen im Gleichklang schlagen
Von Clarissa von Lausitz
Wow – was für eine Frau! In ihrer pinkfarbenen Jacke ist sie im Publikum vor der Bühne wirklich nicht zu übersehen und fällt Saxofonist Henning sofort ins Auge. Es ist wie Magie, als sich ihre Blicke kreuzen, und am liebsten würde sich der Musiker und Leiter des alternativen Kulturzentrums sofort von der Bühne schwingen und mit dieser Traumfrau davonlaufen. Er darf sie auf keinen Fall aus den Augen verlieren, und so sieht er nur diese eine Möglichkeit, um sie festzuhalten.
Die ersten Töne der berühmten Melodie vom rosaroten Panther schweben wie sphärische Klänge durch den Raum und treffen Maja Prinzessin von Buchfelden direkt ins Herz. Eine Liebe gegen alle Konventionen nimmt ihren Lauf – doch sie ist nicht frei von gewaltigen Hindernissen …
»Schneller! Lauf! Das schaffst du noch, Baby!«
Den heiser gebrüllten Anfeuerungsrufen folgte höhnisches Gelächter. Einen Augenblick lang durchzuckte Maja der Gedanke, stehen zu bleiben und sich umzudrehen – um den drei Jungs im Teenageralter, die auf einer der Bahnhofsbänke herumlümmelten, eine passende Antwort zu geben. Vor allem auf die Bezeichnung »Baby« hin.
Doch dafür hatte sie keine Zeit. Die junge Frau rannte weiter, durchquerte mit ihren langen, schlanken Beinen, die in engen Jeans steckten, die untere Gleisebene des riesigen, unübersichtlichen Berliner Hauptbahnhofes. Ihre glatten, braunen Haare flogen hinter ihr her. Schnell warf Maja einen Blick auf ihre Armbanduhr. Noch zwei Minuten! Wo, zum Teufel, war Gleis neun?
In diesem Moment tauchte ein Schild mit der ersehnten Nummer auf. Dort stand der ICE, den Maja unbedingt noch erwischen wollte. Sie setzte zum Sprint an und sprang in den Zug – eine Sekunde, bevor sich die Türen mit einem warnenden Piepton schlossen.
Geschafft! Erleichtert ließ Maja ihren schweren Rucksack fallen und strich sich einige Haarsträhnen aus der Stirn. Da hatte sie ja einen bühnenreifen Einsatz hingelegt. Schade eigentlich, dass sie niemand gefilmt hatte – ihr Sprung wäre vermutlich einer versierten Stuntfrau würdig gewesen.
Maja nahm ihren Rucksack wieder auf und steuerte das nächstgelegene Abteil an. Sie hatte Glück: Der Zug war nur spärlich besetzt, und gleich vier freie Plätze am Fenster schienen ihr zuzuwinken. Maja sank in einen Sitz und legte den Kopf zurück.
Nach Hause, dachte sie. Jetzt geht es nach Hause. Oder? War der Ort, dem der ICE gerade mit 220 km/h entgegen raste, wirklich noch ihr Zuhause? Gewiss, ihre Eltern warteten dort auf sie und ihre Schwester, außerdem einige alte Freunde von früher und vermutlich Pierre. Doch Maja spürte nicht den winzigsten Funken Vorfreude in ihrem Inneren aufleuchten. Stattdessen meldete sich wieder diese lästige, mahnende Stimme, die sie in den vergangenen Tagen leider oft gehört hatte.
Bist du verrückt, Berlin zu verlassen? Dein Berlin?, fragte diese Stimme. Was willst du in der Provinz? Dort gehörst du nicht mehr hin. Kehr um!
Maja zog ihre schmalen, geschwungenen Brauen zusammen. Der Blick ihrer graugrünen, katzenartigen Augen schweifte zum Fenster. Regentropfen perlten an der Scheibe hinab. An einigen Bäumen, die vorbeizuziehen schienen, hingen noch rote, braune und goldgelbe Blätter. Andere waren bereits kahl, ihre dunklen Äste ragten in den trüben Oktoberhimmel.
Doch so ungemütlich es auch draußen war – im Abteil wurde offenbar gut geheizt. Maja spürte, wie ihr immer wärmer wurde. Sie schälte sich aus ihrer Jacke, einem auffälligen rosafarbenen Kunstpelz.
»Ein wenig schrill, Liebes«, würde ihre Mutter wahrscheinlich zu diesem Kleidungsstück sagen.
Maja seufzte. Ihre Mutter. Sibylle Fürstin von Buchfelden. Immer elegant und stilvoll, schlank und gepflegt, gebildet und anspruchsvoll und mit einem vortrefflichen Kunstverstand gesegnet. Sowie voller Ehrgeiz – auch in Bezug auf die potenzielle Karriere ihrer ältesten Tochter. Aus Maja Prinzessin von Buchfelden sollte eine würdige Juniorpartnerin im renommierten Kunsthandel der von Buchfeldens werden. Wozu nicht zuletzt auch ein entsprechend elegantes, vor allem aber konservatives Auftreten vonnöten war.
Unwillig schlug Maja die langen Beine übereinander. Sie wollte diesen konservativen Lebensentwurf nicht mehr. Sie wollte nicht zurück in die Welt des gepflegten Kulturverständnisses, der Vernissagen mit trockenem Weißwein und Lachshäppchen, des Small Talks in gedämpfter Lautstärke und der prall gefüllten Brieftaschen.
»Schöne Grüße an die Kunst-Spießer«, hatte ihre Freundin Sammy gestern zum Abschied sarkastisch angemerkt. Maja schluckte. Bei dem Gedanken an Sammy wurde sie sofort traurig. Sammy oder vielmehr Samara, kreativ und verrückt, mit ihrem schrägen Klamottenladen in Berlin-Neukölln, den sie prinzipiell nur nachmittags öffnete.
Von Sammy hatte Maja die rosafarbene Jacke bekommen. »Versuch mal was anderes«, hatte Sammy dazu gesagt. Maja hatte zunächst gezögert. Doch als sie sich dann im Spiegel gesehen hatte, hatte sie sich gefreut. Verschwunden war die Prinzessin aus konservativem Hause. Stattdessen stand dort die junge Frau, als die Maja sich auch fühlte: eine Berliner Kunststudentin, energiegeladen und voller Ideen, auf dem Weg in eine wie auch immer geartete, auf jeden Fall aber aufregende Zukunft.
Der Zug hielt an einem Bahnhof. Maja konnte das Ortsschild nicht erkennen und wusste deshalb nicht, wo sie gerade war. Aber das spielte auch keine Rolle. Mehrere Reisende trampelten durchs Abteil und zogen schwere Koffer hinter her.
Die junge Frau blickte wieder aus dem Fenster. Der Regen hatte aufgehört, und die Sonne kämpfte sich durch die Wolken, die über den Himmel jagten.
Kunststudentin war sie jetzt nicht mehr. Maja hatte ihren Magister am Institut für Kunst- und Bildgeschichte gemacht, mit Auszeichnung. Ihre Eltern freuten sich sehr darüber – die Fürstin vermutlich vor allem mit Blick auf Majas Zukunftsaussichten.
Aber Maja wusste, dass zumindest ihr Vater auch schlicht stolz auf ihre Leistung war. Ferdinand Fürst von Buchfelden besaß mindestens so viel Kunstsachverstand wie seine Frau. Ohne ihn hätte das Kunsthandelshaus der Familie niemals den internationalen Ruf erlangt, den es heute besaß. Doch der Fürst war weniger von Ehrgeiz getrieben, sondern eher zurückhaltend und besonnen. Maja liebte die freundliche, ruhige Art ihres Vaters und seinen stillen Humor.
Dennoch: Würde er mehr Verständnis für sie haben als ihre Mutter? Auch Ferdinand von Buchfelden ging davon aus, dass Maja ins Familiengeschäft einsteigen würde. Ebenso wie ihre jüngere Schwester Josefina, von allen nur »Josi« genannt. Josi würde sich wahrscheinlich fügen. Zwei Jahre jünger als Maja, war sie stets das bravere der beiden Mädchen gewesen. Klug, bescheiden, angepasst: Maja hatte ihre Schwester niemals anders erlebt.
»Möchten Sie einen Kaffee?«
Überrascht sah Maja auf. Gegenüber hatte sich ein Mittdreißiger in einem dunkelgrauen Anzug niedergelassen. Auffordernd lächelte er Maja an.
»Ich wollte gerade in den Speisewagen gehen und habe überlegt, ob ich Ihnen etwas mitbringen darf.« Wieder lächelte der Mann.
»Nein, danke.« Maja schüttelte den Kopf. »Das ist sehr nett, aber ich möchte nichts«, fügte sie hinzu, um nicht unhöflich zu wirken.
»Schade.« Der Mann stand auf. »Aber einen Versuch war es wert. Wobei eine hübsche Frau wie Sie wahrscheinlich längst vergeben ist. Ich wünsche noch eine gute Reise.«
Er ging davon. Maja sah ihm einen Moment hinterher. Hätte sie sein Angebot annehmen sollen? Doch sie verspürte keinerlei Lust, sich jetzt mit einem Fremden zu unterhalten.
»Längst vergeben«, hatte er gesagt. Maja verzog das Gesicht. In gewisser Hinsicht hatte der Unbekannte damit sogar recht. Theoretisch war Maja längst vergeben, jedenfalls nach den Plänen ihrer Mutter. Die Fürstin von Buchfelden hatte schon vor Jahren den passenden Mann für ihre ältere Tochter gefunden: Pierre Duchamps, mittlerweile Ende 30, erfolgreicher Galerist, reich, gebildet, vornehm und eine ideale Partie für eine Prinzessin von Buchfelden.
Wenn diese denn wollte. Ich will aber nicht, dachte Maja trotzig. Pierre war ein weiterer Grund, weshalb sie ihre Heimreise nur widerwillig angetreten hatte. Denn wenn Maja auch keine Beziehung mit ihm eingehen wollte, so mochte sie ihn doch gern. Sie fürchtete den Augenblick, in dem sie Pierre zurückweisen und damit vermutlich tief kränken würde.
Warum musste alles nur so kompliziert sein? Am liebsten wäre Maja weit weg gefahren, weit weg von allem. Nach Paris, um genau zu sein. Denn dort wurde genau das Aufbaustudium angeboten, von dem sie träumte. Allerdings war es schon ein Wunder gewesen, dass ihre Familie sie nach Berlin hatte gehen lassen. Beim Stichwort »Paris« aber würde der Familienrat streiken, dessen war sich Maja sicher.
Sie schüttelte den Kopf. Jetzt saß sie hier im Zug, und anstatt sich über ihren erfolgreichen Abschluss zu freuen, gab sie sich düsteren Grübeleien hin.
»Probleme muss man liegen lassen, dann lösen sie sich von allein«, sagte Sammy öfter. Maja musste grinsen. Diese Herangehensweise ihrer Freundin hatte wahrhaftig nicht immer geklappt – manchmal aber schon. Vielleicht ergab sich eine Lösung, wenn sie erst einmal zu Hause war?
Entschlossen schnappte sich Maja ihren Rucksack und kramte das Buch heraus, das sie gerade las: »Die Kunst der Performance – vom Futurismus bis heute«. Wenn sie es ausgelesen hatte, könnte sie es ja ihrer Mutter schenken. Maja kicherte. Sie würde nachher auf jeden Fall in ihrem rosafarbenen Kunstpelz das Stadtpalais betreten. Das war sie ihrer Freundin Sammy irgendwie schuldig – ganz egal, was die Fürstin von Buchfelden darüber dachte.
***
Der klapprige, weinrote Kombi rumpelte durch ein Schlagloch. Es gab einen dumpfen Knall, und aus dem Auspuff stieg eine dunkelgraue Wolke. Anschließend bog der uralte Wagen nach rechts auf die Straße ab. Der Beifahrer, hinter der schmutzigen Scheibe kaum zu erkennen, hob kurz die Hand zum Abschiedsgruß. Dann war das Auto samt Insassen verschwunden.
Henning Wilksen hatte ebenfalls zum Abschied gewunken. Vor allem aus Erleichterung. Die vierköpfige Band, die gestern in dem Kombi angereist war, hatte zwar am Abend ein fulminantes Konzert geboten. Eine Mischung aus Klezmer, Balkan-Pop, Rock und russisch gefärbten Einschlägen – genau das, was beim Publikum des alternativen Kulturzentrums gut ankam. Doch die vier jungen Musiker hatten sich außerhalb der Bühne als überaus »betreuungsintensiv« erwiesen – so nannte Henning jene Künstler, die sich so schwierig bis divenhaft aufführten, als hätten sie bereits sämtliche Gipfel des Ruhms erklommen.
Henning musste grinsen. Als Leiter des Kulturzentrums hatte er schon viel erlebt. Aber seine gestrigen »Gast-Stars« würden ihm dennoch in Erinnerung bleiben. Sie hatten tatsächlich ein aufwendiges Buffet, mindestens ebenso aufwendige Getränke und die Unterbringung in einem teuren Hotel verlangt.
»Das ist hier nicht Oper«, hatte Hennings Kompagnon Thiemo den anspruchsvollen Jung-Musikern knapp erklärt, »das ist Rock’n’Roll. Und das hier« – Thiemo hatte ein Papier in der Luft hin und her geschwenkt – »ist der Vertrag, den wir miteinander geschlossen haben.«
Die Musiker hatten sich gefügt, nach ihrem Auftritt allerdings bis tief in die Nacht im »Café Brazil« ausgeharrt, das zum Kulturzentrum gehörte.
Die Biervorräte dürften erschöpft sein, dachte Henning, während er zum Café hinüberschlenderte. Zu guter Letzt hatten die Künstler noch herumgelärmt wie eine Rotte Wildschweine, als sie sich in den beiden Bauwagen schlafen legten, die für Besucher bereitstanden.
»Sind sie weg?« Thiemos Stimme klang über den Innenhof des Kulturzentrums.
Henning drehte sich um. »Ja, endlich. Jetzt sind sie vermutlich auf dem Weg ganz nach oben«, antwortete er.
Thiemo lachte. Er saß in einem altersschwachen Plastikstuhl, dessen Beine sich bedenklich nach außen bogen. Seine dünnen Beine, deren Konturen sich durch seine schwarze Lederhose abzeichneten, hatte er weit von sich gestreckt.
»Immerhin: Der Auftritt war okay«, meinte er.
»Ja, das stimmt. Der Rest ist letztlich egal«, erwiderte Henning. Nachdenklich betrachtete er seinen Freund. Thiemo wirkte blass, wie immer, was durch seine dunklen, langen Haare, die er zum Zopf gebunden hatte, noch verstärkt wurde. Die Tätowierungen auf seinen Oberarmen zeichneten sich scharf gegen die nahezu kalkweiße Haut ab. Sein Vollbart war struppig, die Augen rot.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Henning. »Du siehst müde aus.«
»Du hörst dich an wie meine Mutter, Mann!« Thiemo winkte ab. »Ist gestern etwas später geworden, sonst nichts. Kann ja nicht jeder aussehen wie das blühende Leben.« Er grinste wieder.
»Dieser Eindruck täuscht.« Henning schmunzelte, wenngleich er wusste, dass Thiemo recht hatte. Henning sah mit seinen 1,90 Metern Größe, dem muskulösen, athletischen Körper, seiner Sonnenbräune und den leuchtenden blauen Augen eher aus wie ein Fotomodell als wie ein Kulturwissenschaftler. Etliche Besucherinnen des Kulturzentrums schwärmten für dessen großen, blond gelockten Leiter – der noch dazu fast immer gute Laune hatte und sich ständig mit neuen, kreativen Projekten zu beschäftigen schien.
»Ich bin auch ziemlich müde«, meinte Henning. »Es war eine anstrengende Woche.«
»Du sagst es.« Thiemo stemmte sich aus dem Plastikstuhl und stellte sich neben seinen Freund. Die beiden Männer hätten optisch kaum unterschiedlicher sein können. Doch sie verband seit Jahren dasselbe Ziel: Sie wollten das alternative Kulturzentrum als feste und auch rentable Größe im Kulturleben der Stadt etablieren.
Thiemo hatte das Gelände am Rand der Innenstadt damals entdeckt. Ein mittelgroßes, zweistöckiges, renovierungsbedürftiges Haus an der Straße, dahinter ein großer Hof und eine Halle sowie ein verwilderter Garten. Die Stadtverwaltung verpachtete es für einen Spottpreis an die beiden Idealisten, auf deren Vision niemand auch nur einen Cent hätte wetten wollen.