Gefangen im Rittersaal - Renate Busch - E-Book

Gefangen im Rittersaal E-Book

Renate Busch

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. »Kind …! Ich habe ein ungutes Gefühl bei dieser Geschichte …« Die alte gütig aussehende Frau seufzte unwillkürlich. »Aber Tantchen, dich schüchtert der Grafentitel ein … Doch selbst ein Graf und eine Gräfin sind schließlich auch nur Menschen.« Eva lächelte herzlich. »Diese Stellung ist eine einmalige Chance für mich. Sie wird erstens sehr gut bezahlt, und außerdem lebt die gräfliche Familie auf ihrem alten angestammten Besitz. Das bedeutet sicher, man braucht nur aus dem Haus zu treten und ist in der Natur. Ich werde mit Katzen, Hunden, Kühen, Pferden und anderen Tieren leben.« Evas große blaue Augen leuchteten. »Du warst von jeher eine Romantikerin und Träumerin, Eva«, sagte die alte Dame nachsichtig. »Du machst dir ganz bestimmt falsche Vorstellungen von deiner zukünftigen Tätigkeit. Die gräfliche Familie ist sicher schrecklich hochmütig, du wirst dich dort nicht wohlfühlen. Hier hast du eine gute Stellung, wirst von deinem Chef geschätzt, bist bei deinen Kollegen beliebt.« Um den schönen, ausdrucksvollen Mund des jungen Mädchens lief ein etwas schmerzliches Lächeln. »Das habe ich mir selbstverständlich auch vor Augen gehalten, Tantchen. Aber ich bin nun einmal ein Landkind, und obwohl ich nun bereits seit Jahren hier in der Stadt lebe, kann ich die Zeit meiner Kindheit und Jugend nicht vergessen.« Die alte Dame nickte versonnen. »Das kann ich natürlich verstehen.

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Seitenzahl: 151

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Fürstenkrone – 207 –

Gefangen im Rittersaal

Welches Geheimnis umgibt Schloss Altenwalde?

Renate Busch

»Kind …! Ich habe ein ungutes Gefühl bei dieser Geschichte …« Die alte gütig aussehende Frau seufzte unwillkürlich.

»Aber Tantchen, dich schüchtert der Grafentitel ein … Doch selbst ein Graf und eine Gräfin sind schließlich auch nur Menschen.« Eva lächelte herzlich. »Diese Stellung ist eine einmalige Chance für mich. Sie wird erstens sehr gut bezahlt, und außerdem lebt die gräfliche Familie auf ihrem alten angestammten Besitz. Das bedeutet sicher, man braucht nur aus dem Haus zu treten und ist in der Natur. Ich werde mit Katzen, Hunden, Kühen, Pferden und anderen Tieren leben.« Evas große blaue Augen leuchteten.

»Du warst von jeher eine Romantikerin und Träumerin, Eva«, sagte die alte Dame nachsichtig. »Du machst dir ganz bestimmt falsche Vorstellungen von deiner zukünftigen Tätigkeit. Die gräfliche Familie ist sicher schrecklich hochmütig, du wirst dich dort nicht wohlfühlen. Hier hast du eine gute Stellung, wirst von deinem Chef geschätzt, bist bei deinen Kollegen beliebt.«

Um den schönen, ausdrucksvollen Mund des jungen Mädchens lief ein etwas schmerzliches Lächeln. »Das habe ich mir selbstverständlich auch vor Augen gehalten, Tantchen. Aber ich bin nun einmal ein Landkind, und obwohl ich nun bereits seit Jahren hier in der Stadt lebe, kann ich die Zeit meiner Kindheit und Jugend nicht vergessen.«

Die alte Dame nickte versonnen. »Das kann ich natürlich verstehen. Du hattest als Kind auch das wahre Paradies.«

»Ich erinnere mich noch genau an jeden Obstbaum in unserem großen Garten hinter dem Haus«, fuhr Eva eifrig fort. »In einem Apfelbaum hatte ich meinen Stammsitz. Auf einem seiner dicken Äste habe ich oft lange gesessen, mir von oben die Welt angesehen und geträumt.«

»Deine Mutter hat deswegen häufig mit dir gezankt. Sie fürchtete stets, du könntest dir bei deiner Kletterei Hals und Glieder brechen.«

»Was ich allerdings niemals getan habe.« Eva lachte fröhlich.

»Nein, gottlob nicht. Du warst wild wie ein Junge und geschickt im Klettern wie ein Äffchen.«

»Unser Haus war groß und weiß«, erinnerte sich Eva weiter.

»Ja, es war ein stattliches Haus, und ich konnte deine Mutter niemals recht verstehen, warum sie es nach dem Tode deines Vaters verkauft hat.«

Eva nickte.

»Ich auch nicht. Aber Mama hat sich wohl niemals auf dem Lande ganz wohlgefühlt. Es zog sie halt immer wieder in die Stadt zurück. Außerdem war das Haus bei Papas Tod leider Gottes noch längst nicht schuldenfrei.« Eva seufzte. »Es kam halt eines zum anderen. In manchen Dingen musste ich ihr auch beipflichten. In der Stadt fand Mama selbstverständlich schneller eine Beschäftigung als in unserem kleinen Dorf. Ich konnte dort ohne große Fahrerei und Schwierigkeiten die Handelsschule besuchen.«

»In der Beziehung war es für deine arme, verstorbene Mutter natürlich leichter«, stimmte Elfriede Großmann ihrer Nichte zu. »Und sie war ja aufs Geldverdienen angewiesen. Die Witwenrente, die sie bezog, war viel zu klein, um davon einigermaßen leben zu können. Du warst in gewissem Sinne noch unversorgt, hattest keinen Beruf.«

Eva nickte. »Papas Tod hatte damals Mama und mich völlig aus dem Gleis geworfen. Ich war noch so jung, gerade sechzehn Jahre alt. Da ist man in manchen Dingen noch ein Kind, in anderen wird man zu den Erwachsenen gezählt. Aber ich war mehr Kind«, sinnierte Eva weiter. »Ich habe bis dahin so unbeschwert und heiter gelebt. Ich bin mit meinen Freunden geritten, wir sind durch die Wälder gestreift, haben in dem oft noch eiskalten See geschwommen.«

»Wenn ich damals nicht gerade selbst so krank gewesen wäre, ich hätte es vielleicht verhindert, dass du das Gymnasium verlässt, um auf eine Handelsschule zu gehen. Deine arme Mutter war von jeher unselbstständig gewesen und durch den plötzlichen Tod deines Vaters in Panikstimmung geraten. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass sie es zuließ, als du darauf bestandest, dein Abitur nicht zu machen, sondern möglichst gleich Geld zu verdienen.«

»Ach ja, Mama …« Eva lächelte weich. »Ich glaube, Papa hat sie immer zu sehr verwöhnt und alles Schwere von ihr ferngehalten. Dadurch wurde sie schrecklich unselbstständig. Wenn ich es mir jetzt so überlege, bin ich auch der Meinung, Mama hätte mich davon abhalten müssen, so Hals über Kopf die Schule zu verlassen.«

»Zumal du eine der besten Schülerinnen deiner Klasse warst.«

Eva errötete ein wenig.

»Nun ja, das Lernen fiel mir nicht schwer«, gab sie zu.

»Na, du bist gottlob trotzdem im Leben etwas geworden«, stellte die alte Dame mit einem gewissen Stolz fest. »Gut, dass deine Mutter das noch erlebt hat.«

»Ja«, sagte Eva. »Sie hat Papa leider nur wenige Jahre überlebt. Wenn ich jetzt an die letzten Jahre ihres Lebens denke, meine ich, sie hat seit Papas Tod nur noch halb gelebt. Etwas war damals in ihr zerbrochen. Als sie dann die schreckliche Krankheit bekam, war sie durchaus nicht so verzweifelt wie andere Menschen. Sie ertrug sie bis zuletzt mit bewunderungswürdiger Geduld und Tapferkeit und sprach kurz vor ihrem Tode einige Male davon, wie froh sie sei, bald wieder mit Papa vereint zu sein.«

»Durch das Austauschen von Erinnerungen vergessen wir unseren Kaffee.« Frau Elfriede hob die dickbauchige Kaffeekanne und schenkte von dem aromatisch duftenden Getränk nach.

»Nun iss, Kind«, ermunterte sie.

»Deine Torte ist wie immer vorzüglich«, lobte Eva.

»Es freut mich, wenn sie dir schmeckt. Aber nun noch einmal auf deinen Stellungswechsel zurückzukommen, was dann, wenn du nun von deiner neuen Stellung enttäuscht wirst und hast die alte aufgegeben?«

»So etwas ist immer ein Risiko, Tantchen«, sagte Eva sachlich.

»Du warst bisher Sekretärin und wirst als Gutssekretärin sicher einen ganz anderen Arbeitsbereich haben.«

»Tantchen, du machst dir sicher zu viele Gedanken.« Eva legte liebevoll ihre Hand auf den Unterarm ihrer Tante. »Irgendwie komme ich bestimmt durch.«

In den alten, gütigen Frauenaugen schimmerte jetzt ein gewisser Stolz. Die alte Dame nickte. »Auf den Kopf gefallen bist du gottlob nicht, das stimmt. Ich habe, wie gesagt, nur deiner sozialen Stellung wegen einige Bedenken. Du kannst nicht erwarten, an die gräfliche Familie irgendwelchen Anschluss zu finden. Sie steht turmhoch über dir. Für sie bist du wahrscheinlich ein Nichts und ein Niemand.«

»Tantchen, darauf spekuliere ich wahrlich nicht. Du denkst doch nicht etwa, dass ich mich um die Stellung einer Gutssekretärin beworben habe, weil ich so hoffe, Eingang in höhere Kreise zu finden. Nein, das liegt mir völlig fern«, schloss sie energisch.

»Aber nein, so meine ich es auch wieder nicht, Evchen.« Die alte Dame seufzte. »Zuweilen drücke ich mich vielleicht ein wenig ungeschickt aus. Du weißt, dass dein Papa und ich als Kinder eines Gutsverwalters in Ostpreußen aufgewachsen sind. Daher ist mir die soziale Struktur des Gutspersonals nicht unbekannt.

Als Gutssekretärin hast du eine gehobene Stellung. Mägde und Knechte behandeln dich sicher mit gewissem Respekt. Die gräfliche Familie steht, wie gesagt, so hoch über dir, dass du dich freuen kannst, wenn man freundlich mit dir spricht. Du wirst also dort ziemlich einsam sein.«

Eva war nur einen Moment betroffen, dann schüttelte sie den Kopf.

»Tantchen, du hast Erfahrungen gesammelt, die bald ein halbes Jahrhundert zurückliegen. Sicher wird es zuerst schwer sein, in den neuen Lebenskreis hineinzuwachsen, aber davor fürchte ich mich nicht. Ich habe schon auf dem Atlas nachgesehen, dieses Altenwalde liegt sicher in einer zauberhaften Landschaft. Wahrscheinlich wird das Land bereits schon recht wellig sein.«

»Dass ich dir alles Gute wünsche, brauche ich dir hoffentlich nicht zu sagen, Eva.« Die alte Dame führte die dünne Porzellantasse zum Mund.

»Nein, das weiß ich«, gab das junge Mädchen mit leuchtenden Augen zurück.

Tante Elfriede, Papas unverheiratete Schwester, war Eva von jeher die liebste ihrer Tanten gewesen. Seit dem Tode ihrer Eltern hatte sich die alte Dame rührend um sie gekümmert.

*

Sechs Wochen später hatte Eva ihren bereits recht klapprigen Volkswagen bis zum Dach hoch mit Gepäck beladen und war auf dem Weg nach Altenwalde. Sie fuhr voller Erwartung, aber schlug dennoch ein sehr mäßiges Tempo an. Erstens wollte sie ihrem betagten Wagen mit der Gepäcklast nicht mehr zu viel zumuten, zweitens liebte sie es, ab und zu einen Blick zur Seite zu werfen.

Die Gegend wurde immer schöner. Um diese Jahreszeit bestellten die Bauern rechts und links der Landstraße ihre Felder. Der Frühling zog mit aller Macht ins Land. Überall blühten die Forsythien und die Mandelbäumchen. In den Vorgärten läuteten Krokusse, Schneeglöckchen und Osterblumen den Frühling ein.

Eva atmete tief die würzige Luft ein. Wie frisch und rein! Und diese Felder, Wiesen und Wälder würde sie nun täglich direkt vor der Nase haben … Herrlich!

Eva summte ein fröhliches Lied. Je näher sie Altenwalde kam, umso deutlicher zeichnete sich auch das Mittelgebirge ab.

In einem Dorf hielt sie und fragte nach dem Gut. Ein behäbiger Bauer mit dreckverschmierter Arbeitshose zeigte ihr freundlich den Weg.

»Weit ist es nicht mehr, junge Frau«, fügte er hinzu.

»Danke«, sagte Eva heiter. Dann fuhr sie weiter.

Aber kurz hinter dem Dorf streikte plötzlich der Motor, und ihr Wagen stand.

Nach etlichen Schrecksekunden stieg Eva aus und ging um ihr Fahrzeug herum. Davon wurde ihr Motor freilich nicht wieder fit. Eva kannte sich und wusste, wie technisch unbegabt sie war. Es würde wenig nützen, die Motorhaube zu öffnen. Sie konnte ohnehin den Schaden nicht feststellen.

Sie überlegte gerade, ob sie wieder ins Dorf gehen und dort eventuell eine Werkstatt ausfindig machen sollte, als sie Motorengeräusch hörte. Sie stellte sich an ihr Auto und winkte. Gottlob hielt der Wagen auch prompt.

Aus der Luxuslimousine stieg ein noch verhältnismäßig junger Mann. Er war allerdings recht salopp angezogen. Zu einem Rollkragenpullover trug er eine schon etwas abgeschabte Tweedjacke und eine einfarbige Hose.

»Wo brennt es denn?«, fragte er.

»Brennen nicht gerade – aber stehen«, sagte Eva und seufzte.

»Das ist leider eine Krankheit der Autos, die ich aber hoffentlich beheben kann.« Schon war der hilfsbereite Ritter der Landstraße dabei, sich das Jackett auszuziehen.

»Seien Sie nicht zu sicher«, warnte Eva. »Mein Auto ist nicht mehr das jüngste Modell und hat seine Tücken. Es hat die Angewohnheit, mich bis kurz vors Ziel zu fahren und dann zu streiken.«

»Ach?« Der Fremde schien interessiert zu sein. »Wohin wollen Sie denn?«

»Nach Altenwalde.«

Nun schien der Fremde noch mehr zu staunen. Aber er fragte nicht weiter, sondern machte sich daran, den Fehler zu finden.

»Haben Sie einen Messstab für das Benzin?«, fragte er kurz und sachlich.

»Nein«, musste Eva bekennen. Da holte er aus seinem Wagen einen.

»Wollen Sie etwa das Benzin im Tank messen?«, sagte Eva voll Empörung, als sie sah, was er vorhatte.

Er sah kurz über die Schulter und lächelte freundlich. »Allerdings!«

»Das ist völlig unnötig, ich …« Sie kam nicht weiter, weil ihr einfiel, dass sich ja vorgestern eine Freundin von ihr, kurz nachdem sie getankt hatte, das Auto ausgeliehen hatte. Nun zog der Fremde auch bereits den Messstab wieder aus dem Tank heraus. Eva fand, er hätte nicht so überheblich zu grinsen brauchen. Das wäre wahrlich nicht nötig gewesen.

Bei jeder kleinsten Gemütsbewegung erglühte sie, jetzt sogar heftig.

Nein, er hatte keine spöttische Bemerkung von wegen »unfähige Frau am Steuer« oder so gemacht, aber das Benehmen des Fremden war fast noch schlimmer. Er ging zu seinem Auto und fragte sie gar nicht erst nach einem Ersatzbenzinkanister. Er holte seinen eigenen aus dem Kofferraum, goss den Inhalt in ihren Tank und brachte den Kanister dann wieder zurück.

Eva hätte sich ohrfeigen mögen, nicht selbst darauf gekommen zu sein. Dabei hatte ihre Freundin ihr noch zehn Euro direkt aufgezwungen und noch gesagt, ein recht großes Stück gefahren zu sein.

»Ich danke Ihnen«, würgte Eva hervor. Sie öffnete die Wagentür und langte nach ihrer Umhängetasche. Sie hatte gerade ihr Portemonnaie in der Hand, als sie das Starten eines Motors hörte. Im nächsten Moment sah sie nur noch die Schlusslichter des großen Wagens.

»Gut, dann eben nicht«, murmelte sie wütend. Denn sie ließ sich nicht gern etwas schenken, vor allem von keinem Fremden. Aber da sie weder den Namen des Mannes kannte, noch sich die Autonummer gemerkt hatte, würde sie sicher niemals erfahren, wer ihr geholfen und ihr Benzin in den Tank gegossen hatte.

Eva setzte sich wieder hinter das Steuer ihres Wagens und fuhr weiter. Leider hatte ihre Stimmung einen argen Dämpfer bekommen. Das war ein Jammer.

Aber nun war es passiert! Also gab sie Gas und fuhr wieder an. Als sie dann schließlich vor Schloss Altenwalde hielt, kam ihr alter Wagen ihr noch schäbiger vor als vorher. Der Stammsitz der Grafen von Altenwalde mochte alt sein und etliche Jahrhunderte überdauert haben, aber das Gebäude war in tadellosem Zustand. Nicht das geringste Anzeichen deutete auf einen eventuellen Verfall hin.

Eva war noch immer ein bisschen benommen, als sie aus ihrem Auto stieg. Da kam auch bereits ein Diener die breite Treppe herab. Er trug eine dunkle schlichte Livree.

Es ist wie im Film, dachte Eva in einem Gemisch von Belustigung und Ehrfurcht. Offenbar hatte der Umgang mit den vornehmen Herrschaften das Aussehen des Dieners geprägt. Eva fand, er wirke selbst irgendwie aristokratisch. Sein Haupt war von vollem schneeweißem Haar bedeckt.

Er kam gemessenen Schrittes auf sie zu, verbeugte sich nur andeutungsweise.

Er hat mich eingestuft, überlegte Eva. Stünde eine Dame von Stand vor ihm, fiele seine Verbeugung wahrscheinlich wesentlich tiefer aus.

»Was wünschen die gnädige Frau?«, fragte er mit einer leicht näselnden Stimme.

»Ich bin Eva Hildebrand, die neue Gutssekretärin.«

»So!« Die buschigen und schlohweißen Brauen des Alten zogen sich leicht in die Höhe. »Dann heiße ich Sie hiermit auf Altenwalde herzlich willkommen.« Er verbeugte sich wiederum leicht. »Darf ich Sie vielleicht bitten, Ihr Handgepäck mitzubringen? Im Übrigen werde ich veranlassen, dass Ihre Koffer in Ihr Zimmer getragen werden. Ich möchte Sie ins Schloss führen!«

»Gern«, gab Eva herzlich zurück. Sie lächelte den alten Mann an. Irgendwie amüsierte er sie ein wenig. Er schien auf das Schloss so mächtig stolz zu sein, als sei er sein Besitzer. In seiner gravitätischen Art schritt er ihr voran. Eva folgte ihm, nachdem sie ihre Handtasche über die Schulter hängte und ihre Reisetasche ergriffen hatte.

Sie war jetzt voller Spannung. Sie kannte bisher Schlösser nur von Besichtigungen her. Unter Umständen würde sie von nun an in ihm wohnen, denn es wurde ihr eine Unterbringung zugesichert.

Die große Halle, in die sie traten, erinnerte sie spontan an ein Jagdschloss, denn überall waren Jagdtrophäen angebracht. Allerdings kam Eva nicht dazu, jede einzelne eingehend zu betrachten. Sie nahm nur wahr, dass die Grafen von Altenwalde sicher nicht nur in den heimatlichen Wäldern gejagt hatten, eine Reihe exotischer Jagdtrophäen bewiesen das Gegenteil.

Der Diener steuerte nach rechts auf einen großen Bogendurchgang zu. In diesem Moment gellte ein schrilles Weinen durch die Halle. Eva stockte unwillkürlich. Auch der Diener blieb stehen und wandte sich um. Über sein altes, faltiges Gesicht lief ein schmerzliches Zucken.

»Ich will nicht, ich will nicht«, schrie ein Kind und strampelte mit Händen und Beinen. Eine hagere, dünne Frau hielt die Kleine wie ein Postpaket unter dem Arm. Im nächsten Augenblick war sie verschwunden, das Schreien wurde leiser.

»Das war unser Komtesschen!« Offenbar fühlte sich der Diener genötigt, Eva diese Erklärung zu geben.

»Ach so«, sagte Eva und nickte. Es gab auf diesem alten Schloss dann wohl nicht nur ein altes gräfliches Paar, sondern auch ein junges mit offenbar recht eigenwilligem Nachwuchs.

Aber Eva kam nicht dazu, über das Problem lange nachzudenken. Sie musste dem Diener folgen. Der brachte sie über einen breiten, hübschen Flur. Am Ende war ein großes bleiverglastes Buntglasfenster, durch das voll die Sonne schien. Eva hatte selten etwas Schöneres gesehen.

Sie wunderte sich. Dieser Trakt des Schlosses wirkte innen fast modern. Irgendein Graf von Altenwalde musste sicher große Summen ausgegeben haben, um dem Schloss dieses Aussehen zu geben.

Vom Flur aus gingen durchweg schwere Eichentüren ab, an eine pochte der Diener. Sofort erklang von drinnen ein klares »Herein!«

Der Diener öffnete. »Herr Graf, ich bitte, Ihnen die neue Gutssekretärin bringen zu dürfen«, hörte Eva den Diener sagen. Die etwas geschrobene Redeweise entlockte ihr ein kleines Lächeln.

»Danke, Johann, ich lasse bitten!« Beim Klang der Stimme durchzuckte es Eva wie ein elektrischer Schlag. Aber sie kam nicht lange zum Nachdenken.

»Gnädige Frau – bitte!« Johann trat zur Seite. Sie musste wohl oder übel in das Zimmer eintreten, in dem der Mann, der ihr das Benzin in den Tank geschüttet hatte, an einem wuchtigen Schreibtisch saß.

Offensichtlich weidete er sich an ihrer Überraschung und schmunzelte. »Treten Sie näher«, forderte er sie auf. Er selbst erhob sich.

Erst jetzt wurde es Eva bewusst, was für ein Riese er eigentlich war. Sie kam nur zögernd näher. Dabei schoss es ihr durch den Kopf, dass dieser Graf auf der Landstraße selbstverständlich gewusst hatte, wer sie war. Denn sie hatte ihm ja verraten, welches Reiseziel sie anpeilte. Außerdem hatte sie ihre Ankunft hier mitgeteilt. Er hatte sich mit ihr also einen Spaß gemacht!

»Frau Hildebrand, nicht wahr …?«, sagte er und reichte ihr seine kräftige, sehnige und leicht gebräunte Rechte.

»Ja«, gab sie zurück und wusste nicht, ob sie nicht nur gemurmelt hatte.

»Ich bin Graf Altenwalde.« Jetzt lächelte er wieder, dieses Mal sehr freundlich.

Eva fühlte sich ein bisschen benommen. All die vielen neuen Eindrücke und die Überraschung, dass ihr von Graf Altenwalde geholfen worden war, riefen in ihr eine gewisse Befangenheit hervor.

»Vielleicht hätte ich mich schon vorhin vorstellen sollen«, sagte er dann nicht minder freundlich. »Aber nun setzen Sie sich doch.«

»Danke!« Eva ließ einen schnellen Blick in die Runde gleiten. Das Zimmer war sehr groß und besaß einen ausgesprochen männlichen Charakter. Der rustikale, schwere Eichenschrank, der gewaltige Schreibtisch und die riesigen Ledersessel, um einen runden, wuchtigen Eichentisch gruppiert, wirkten imponierend. Der Gutsherr hatte jetzt seine Tweedjoppe ausgezogen und saß ihr im Rollkragen gegenüber.

Irgendwie irritierte Eva das. Sie fand, er unterschied sich äußerlich nicht von irgendeinem anderen modernen jungen Mann und passte nicht zu dem altehrwürdigen Schloss oder etwa zum Diener Johann.

»Ich hoffe, Sie hatten, abgesehen von der kleinen Panne vorhin, eine gute Reise«, fragte er Eva.

»Danke, ich kann nicht klagen. Anfangs habe ich mich zwar mit Bangen in meinen alten Wagen gesetzt, aber er hat sich wacker gehalten.« Sie lächelte. »Selbst ein funkelnagelneuer versagt seinen Dienst, wenn er kein Benzin bekommt. Dass er vorhin stehen blieb, war einzig und allein meine Schuld«, schloss sie.