GALAXIS SCIENCE FICTION, Band 26: DAS BESSERE DASEIN - Christian Dörge - E-Book

GALAXIS SCIENCE FICTION, Band 26: DAS BESSERE DASEIN E-Book

Christian Dörge

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Beschreibung

Das Zimmer wirkte steril. Die wenigen Einrichtungsgegenstände sahen aus, als wären sie in einem billigen Hotel erstanden worden: eine kleine Anrichte, eine Fernsehwand, ein Kodachrome-Hochglanzdruck einer Wiese voller roter Mohnblumen. Auf einmal wurde ihr klar, weshalb das Zimmer so kahl und leer war; alle Einrichtungsgegenstände waren mühsam Stück für Stück von der Oberfläche herunter geschafft worden. Die Wand am anderen Ende des Zimmers war hinter einem Vorhang verborgen. Als sie an der Kordel zog, die von einer Seite herabhing, stellte sie fest, dass sich dahinter ein Fenster befand - ein wandgroßes Fenster, das einen Ausblick auf den Berghang gewährte. Weiter unten am Hang konnte sie einige der anderen Kuppeln erkennen. Sie leuchteten grünlich-gelb in der dämmrig werdenden See. Die einzelnen Kuppeln waren mit Glaskorridoren miteinander verbunden, die wie Speichen eines Rades von der großen Hauptkuppel ausgingen.

Als sie so dastand und die See betrachtete, spürte sie für einen kurzen Moment ein fast überwältigendes Friedensgefühl. Draußen war alles still, so unglaublich still. Die Schrecken der Kriege auf der Oberfläche schienen in diesem Augenblick so fern wie die andere Seite des Mondes. Hier fühlte sie sich geborgen. Und das war kein unangenehmes Gefühl.

(aus: Das bessere Dasein von Christopher Irwin)

Die von Christian Dörge zusammengestellte Anthologie Das bessere Dasein enthält acht Erzählungen von Christopher Irwin, Gene Wolfe, Charles Sheffield, Tom Purdom, Spider Robinson, Kevin O'Donnell Jr., Lisa Tuttle und Peter Ambrose.

Das bessere Dasein erscheint in der Reihe GALAXIS SCIENCE FICTION aus dem Apex-Verlag, in der SF-Pulp-Klassiker als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden.

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CHRISTIAN DÖRGE (Hrsg.)

 

 

DAS BESSERE DASEIN

- Galaxis Science Fiction, Band 26 -

 

 

 

Erzählungen

 

 

 

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

Christopher Irwin: DAS BESSERE DASEIN (They Who Go Down To the Sea) 

Gene Wolfe: WESTWIND (Westwind) 

Charles Sheffield: DAS SUPERDING (Marconi, Mattin, Maxwell) 

Tom Purdom: DER UNLIEBSAME HELFER (The Chains Of Freedom) 

Spider Robinson: FRIST ABGELAUFEN (No Renewal) 

Kevin O’Donnell Jr.: DIE ACHILLESFERSE (A Meeting Of Minds) 

Lisa Tuttle: KASPAR HAUSER II. (Kin To Kaspar Hauser) 

Peter Ambrose: BÜCHSE DER PANDORA (Crash Site) 

 

Das Buch

 

Das Zimmer wirkte steril. Die wenigen Einrichtungsgegenstände sahen aus, als wären sie in einem billigen Hotel erstanden worden: eine kleine Anrichte, eine Fernsehwand, ein Kodachrome-Hochglanzdruck einer Wiese voller roter Mohnblumen. Auf einmal wurde ihr klar, weshalb das Zimmer so kahl und leer war; alle Einrichtungsgegenstände waren mühsam Stück für Stück von der Oberfläche herunter geschafft worden. Die Wand am anderen Ende des Zimmers war hinter einem Vorhang verborgen. Als sie an der Kordel zog, die von einer Seite herabhing, stellte sie fest, dass sich dahinter ein Fenster befand - ein wandgroßes Fenster, das einen Ausblick auf den Berghang gewährte. Weiter unten am Hang konnte sie einige der anderen Kuppeln erkennen. Sie leuchteten grünlich-gelb in der dämmrig werdenden See. Die einzelnen Kuppeln waren mit Glaskorridoren miteinander verbunden, die wie Speichen eines Rades von der großen Hauptkuppel ausgingen.

Als sie so dastand und die See betrachtete, spürte sie für einen kurzen Moment ein fast überwältigendes Friedensgefühl. Draußen war alles still, so unglaublich still. Die Schrecken der Kriege auf der Oberfläche schienen in diesem Augenblick so fern wie die andere Seite des Mondes. Hier fühlte sie sich geborgen. Und das war kein unangenehmes Gefühl.

(aus: Das bessere Dasein von Christopher Irwin)

 

Die von Christian Dörge zusammengestellte Anthologie Das bessere Dasein enthält acht Erzählungen von Christopher Irwin, Gene Wolfe, Charles Sheffield, Tom Purdom, Spider Robinson, Kevin O'Donnell Jr., Lisa Tuttle und Peter Ambrose.  

Das bessere Dasein erscheint in der Reihe GALAXIS SCIENCE FICTION aus dem Apex-Verlag, in der SF-Pulp-Klassiker als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden. 

  Christopher Irwin: DAS BESSERE DASEIN

  (They Who Go Down To the Sea)

 

 

Die See leuchtete rostbraun unter dem kupferfarbenen Himmel.

Liz stieg von der Motorjacht hinüber auf das weiße, hexagonale Gebilde, das die einzige Bootsanlegestelle der Unterwasserstadt auf der Meeresoberfläche war. Ganz in der Nähe plätscherten Wellen sanft gegen die Bojen, deren Radioantennen gen Himmel wiesen.

Ein junger Mann nahm sich ihres Gepäcks an und geleitete sie zu der offenen Luke eines kleinen Unterseebootes, das in einem der kerbenartigen Einschnitte der Anlegestelle trieb.

Er stellte sich nicht vor.

»He! Ich bin Liz Devlin vom New World News Service. Ich glaube, Professor Eastlake erwartet mich?«

»Gewiss«, sagte der Mann.

»Und Sie sind...«

»Entschuldigung. Ich heiße Don. Don Cams. Wie Sie sehen, bin ich es nicht gewohnt, fremde Leute kennenzulernen. Dort unten kennt jeder jeden.«

In plötzlicher Verlegenheit stopfte er sein T-Shirt in die Jeans.

»Gehen Sie niemals an Land?«, fragte Liz.

»Nur selten.«

Sie stieg die Metallstufen zur Luke des U-Bootes hinauf. Als sie oben angelangt war, machte sie halt und blickte hinaus auf die leuchtende tropische See.

»He«, rief sie, »sind das Tümmler da drüben?« Sie deutete nach Steuerbord.

»Ja«, sagte Don. »Tursiops truncatus - der Delphin mit der Säufernase.«

»Weshalb schwimmen sie denn im Kreis?«

»Sie schlafen. Diese Gruppe hier macht das immer. Zuerst halten sie nur ihr rechtes Auge offen, dann, nach ungefähr zehn Minuten, verändern sie ihre Lage und halten nur das linke offen. Sie schlafen immer nur mit jeweils einer Gehirnhälfte. So können sie ständig auf passen.«

»Im Ernst?«

»Gewiss. Ich beobachte sie oft. In dieser Gegend gibt es eine Menge Tümmler. Sie sind fast schon eine Plage.«

»Sind Sie Meeresbiologe?«, fragte sie.

»Programmierer«, erwiderte er. »Aber das Meer ist meine wahre Liebe.«

»Wie viele seid ihr dort unten?«, fragte Liz, während sie in die Kabine kletterte.

»Etwa zweihundert«, entgegnete Don. Er bückte sich, um nicht mit dem Kopf gegen die Decke zu stoßen. »Aber es werden ein paar neue Kuppeln gebaut, um noch mehr Leute unterbringen zu können. Nehmen Sie Platz.«

Die Konturensessel waren gegenüber einem gewölbten Glasfenster angeordnet, das den Blick auf den Ozean freigab. Hinter den Sitzen befanden sich vier weitere, offenbar für Passagiere gedacht. Don verstaute das Gepäck auf einem Chromgestell, das an einer Seitenwand befestigt war.

»Wie lange können Sie bei uns bleiben?«, fragte er.

»Ein paar Wochen«, sagte sie. »Danach steht eine Reportage über den letzten Krieg in Südafrika auf dem Plan.«

»Sie kommen wohl ganz schön herum?«, meinte Don.

»Ich gebe mir Mühe.«

Don betätigte einen Hebel auf der Kontrolltafel des U-Bootes.

Am Zischen komprimierter Luft erkannte sie, dass die Luke sich eben geschlossen hatte.

»Don«, sagte sie, »würden Sie mir noch eine Frage beantworten, bevor wir tauchen?«

»Klar. Schießen Sie los.«

»Was geht hier eigentlich vor? Weshalb sprach Eastlake von einer Angelegenheit von weltweiter Bedeutung? Ich dachte, dies wäre bloß eine archäologische Expedition.«

»Ich darf Ihnen leider keine Einzelheiten mitteilen«, sagte er. »Über alles bin ich selbst nicht informiert. Aber was würden Sie sagen, wenn ich behauptete, dass diese Expedition Beweise dafür gefunden hat, dass es einmal Menschen gab - oder jedenfalls Wesen, die von ihrem Körperbau her nicht von uns zu unterscheiden waren - die vor mindestens sechzig Millionen Jahren gelebt haben. Also weitaus früher, als man bisher glaubte.«

»Ich würde sagen, Sie sind verrückt.«

»Genau das würden auch die Leute sagen, die dieses Projekt finanziert haben. Deshalb wollte Eastlake, dass Sie kommen.«

Don schob das Steuerrad nach vorn, und das U-Boot neigte sich mit dem Bug um fünfundvierzig Grad abwärts. In dem dunkelgrünen Wasser in den Tiefen unter ihnen sah Liz eine Gruppe strahlender Lichtpunkte. Sie hielt sich krampfhaft an den Sessellehnen fest, als sie tauchten und die leuchtende Wasseroberfläche über sich ließen.

»Man muss sich erst daran gewöhnen, dass man hier in drei statt in zwei Dimensionen lebt«, meinte Don, als er ihr Unbehagen bemerkte. »Aber nach einiger Zeit bekommt man ein Gefühl dafür.«

»Welcher Druck herrscht unten?«

»Das Zentrum wurde dreißig Meter unter dem Meeresspiegel abseits der Hauptinsel errichtet. Eigentlich wohnen wir auf einem Unterwasser-Bergabhang. Der Wasserdruck beträgt etwa vier Atmosphären, aber in den Kuppeln merkt man nichts davon. Dort herrschen normale Druckverhältnisse.«

»Haben Sie nicht manchmal Angst, wenn Sie an all das Wasser über sich denken?«

»Nein, ich liebe das Meer.«

»Ich weiß nicht, ob ich hier leben könnte«, sagte sie. »Auf Dauer, meine ich. Ich glaube, es würde mich stören, für längere Zeit von der restlichen Welt abgeschnitten zu sein.«

»Sehen Sie das Kabel dort?«, fragte Don. Er zeigte auf einen langen Faden, der sich von einer der Kuppeln durch das Zwielicht des Wassers bis hinauf zur Oberfläche spannte. »Das ist unsere Verbindung zur restlichen Welt - oder dem, was davon übrig geblieben ist. Wir nennen es Nabelschnur. Es führt zu der diskusförmigen Antenne, die Sie neben der Anlegestelle gesehen haben. Über diese Antenne wird unser Rundfunknetz an das Satellitennachrichtenverbindungssystem angeschlossen.«

»Ah, ja«, meinte Liz.

»Offen gesagt habe ich manchmal Lust, es durchzuschneiden.«

Die Lichtpunkte, die Liz von der Wasseroberfläche aus gesehen hatte, waren jetzt zu gigantischen leuchtenden Pilzen angewachsen, die hoch über sie hinausragten. Im Innern der gläsernen Kuppeln konnte sie Leute umhergehen sehen; große Lichtkugeln in jeder Konstruktion sorgten für die nötige Beleuchtung. Gespenstisch aussehende Fischschwärme glitten, silbernen Wolken gleich, an der Ansiedlung aus gläsernen Blasen vorüber.

Don steuerte das winzige U-Boot zu einer Einlassöffnung an der Unterseite einer der Kuppeln. Türen schlossen sich hinter ihnen, und Luft strömte ein, als das Wasser durch Gitter im Fußboden abfloss.

»Wir sind da«, verkündete Don. »Willkommen in Atlantis II.«

»Unsere Zuschauer zu Hause möchten sicher gern wissen, was es mit Ihrem Fund nun eigentlich auf sich hat, Professor Eastlake. Würden Sie uns dazu ein paar Ausführungen machen?«

Der grauhaarige Mann, der mitten unter den Diskussionsteilnehmern saß, beugte sich vor. In dem blauweißen Licht sah er sehr alt und gebrechlich aus.

»Ich ziehe nur ungern Schlussfolgerungen«, sagte er langsam und mit dramatischem Unterton, »solange noch kein umfassendes Beweismaterial vorliegt. Es bedarf monate-, nein, jahrelanger sorgfältigster Studien und Auswertungen der Ergebnisse dieser Ausgrabung, bevor wir mit Bestimmtheit sagen können, welche Botschaft für die Menschheit diese Funde enthalten. Aber eines steht bereits fest: all unsere bisherigen Ansichten über die Vorgeschichte des Menschen werden revidiert werden müssen. Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, dass diese hominiden Überreste echt sind, und dass sie mindestens aus der späten Kreidezeit stammen - also ungefähr fünfundsechzig bis siebzig Millionen Jahre alt sind.«

»Professor«, sagte einer der Diskutanten, »entschuldigen Sie die Unterbrechung, aber es hat ähnliche Fälle schon früher gegeben, die sich dann jeweils als Falschmeldung herausstellten. Wie beispielsweise die Sache mit dem sagenhaften Piltdown-Menschen am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts.«

»Beschuldigen Sie mich etwa, eine Falschmeldung zu verbreiten?«, fragte Eastlake scharf.

Der Fragesteller gab keine Antwort.

Im Auditorium konnte man nervöses Geflüster vernehmen.

Don und Liz standen im Hintergrund des großen Saals und verfolgten das Interview. Dicke Kabel, die die Fernsehkameras mit den Aufnahmegeräten verbanden, waren quer über den Fußboden vor ihnen verlegt worden.

»Ich wollte nicht, dass Sie die Podiumsdiskussion versäumen«, sagte Don. »Ihr Zimmer zeige ich Ihnen später.«

»Wer ist das auf dem Podium?«, fragte Liz.

»Zweifelhafte Medien«, erwiderte Don. »Der einzige Nachrichtendienst, dem Eastlake traut, ist The New World. Ihnen wird er mehr erzählen als diesen Aasgeiern. Aber alles wird er Ihnen nicht sagen, dafür garantiere ich.«

»Und wieso nicht?«

»Er sagt, er will verhindern, dass die Nachricht aufgebauscht wird. Aber offen gestanden glaube ich, er versucht nur, möglichst viel Publizität für sich aus dieser Sache herauszuschlagen.«

»Ich hab was gegen Geheimnistuerei«, sagte Liz.

Einer der Diskussionsteilnehmer brach das betretene Schweigen. »Professor Eastlake«, fragte er, »Sie sagen, diese Überreste stammen aus der Kreidezeit. Angenommen sie sind echt, worauf Sie ja bestehen, in was für einer Welt lebten dann diese unsere fernen Vorfahren?«

»Es war eine Welt«, erwiderte Eastlake steif, »die der unseren in vieler Hinsicht glich und sich doch in überraschender Weise von ihr unterschied. Zunächst einmal waren die Dinosaurier zu den Zeiten unserer ersten Humanoiden fast vollständig ausgestorben. Das Klima kühlte sich immer mehr ab. Die Flugreptilien des Jura hatten sich zu Lebewesen entwickelt, die unseren heutigen Vögeln stark ähnelten. Das Sumpfland, das den Dinosauriern als Nahrungsquelle gedient hatte, verschwand in zunehmendem Maße. Angiosperme hatten sich rapide über die gesamte Erde ausgebreitet. Die Landschaft muss der heutigen in vieler Hinsicht sehr ähnlich gewesen sein: in vielen Bodenschichten, die aus dieser Zeit datieren, sind Exemplare von Ahornbäumen, Birken und Pappeln gefunden worden. Es gab auch Vorläufer von Hasen, Schildkröten und Fröschen.«

»Paul«, sagte ein Diskussionsteilnehmer zu einem anderen, »Geologie fällt in dein Metier. Warum machst du von hier aus nicht weiter?«

»Mit Vergnügen, Frank«, erwiderte der andere. »Wie passt die kontinentale Drift ins Bild, Professor?«

»Wird das vom Fernsehen übertragen?«, fragte Liz Don.

»Vom überwiegenden Teil des weltweiten Satellitennetzes. Eastlake hatte noch nie so viel Publizität. Sehen Sie ihn an; er kostet es aus. Übrigens, spielen Sie Schach?«

»Was?«

»Schach. Ob Sie Schach spielen?«

»Nein.«

»Backgammon vielleicht?«

»Nein.«

»Spielen Sie überhaupt ein Spiel?«

»Schsch. Ich möchte die Diskussion verfolgen.«

»Demnach sahen die Kontinente den heutigen sehr ähnlich?«, fragte der Diskussionsteilnehmer.

»Im Wesentlichen ja«, sagte Eastlake. »Gondwana war schon früher, während des Jura, in die heutigen Kontinente Südamerika und Afrika auseinander gebrochen. Es ist jedoch möglich, dass sie an ihren äußersten nördlichen Zipfeln noch miteinander verbunden waren. Des Weiteren waren Nordamerika und Europa weitaus näher zusammen als heute. Meiner persönlichen Meinung nach haben sich die kanarischen Inseln, wo wir uns jetzt befinden, früher gebildet, als man bisher glaubte. Dank der Unterwasserausgrabungstechniken, wie sie in den letzten fünf Jahren von Schaffer und Roth entwickelt wurden, war es uns möglich, bisher unzugängliche Erdschichten zu erforschen. Die geologische Zeitbestimmung dieser Bergstrukturen hat ergeben, dass sie aus der späten Kreidezeit datieren. Die Aufteilung der Superkontinente in separate Teilstücke rief auf dem gesamten Planeten starke vulkanische Aktivität hervor. Wie aus unseren jüngsten Funden hervorgeht, sanken diese Gebirgszüge, die ihre Entstehung gleichfalls dieser vulkanischen Aktivität verdanken, im Laufe der Zeit immer mehr ab. Die kleine Landmasse, die die Heimat unserer ersten menschenähnlichen Wesen darstellte, begann im Meer zu versinken.«

»Was geschah dann, Professor?«, fragte einer der Diskussionsteilnehmer. »Was wurde aus dieser Rasse angeblicher Menschen? Weshalb hat man nirgendwo sonst Hinweise auf ihre Existenz entdeckt?«

»Dies, meine Herren«, sagte der alte Mann ernst, »ist das fehlende Teilchen in diesem Puzzlespiel. Wir können es nicht mit Bestimmtheit sagen.«

»Könnte das Versinken des Landes zu ihrem Aussterben geführt haben?«

»Wie zahlreich waren sie, Professor?«

»Könnte es sein, dass sie auf dieses Gebiet beschränkt gewesen waren?«

»Meine Herren, bitte immer nur eine Frage«, sagte Eastlake, die Hände in gespielter Verzweiflung schützend vor sich haltend.

»Erstens, wir haben bisher nur ein Exemplar menschlicher Überreste gefunden - den Teil eines Kieferknochens. Wir haben keine Ahnung, wie zahlreich sie waren. Zweitens wissen wir noch nicht, ob diese Urmenschen aus derselben Evolutionslinie hervorgingen wie wir. Und schließlich, wir haben keine Ahnung, was mit ihnen geschah. Sie könnten bei Vulkanausbrüchen getötet worden sein, oder das Absinken des Landes könnte zur allmählichen Überflutung allen fruchtbaren Bodens und somit zur Zerstörung ihrer Ernährungsgrundlage geführt haben. Es ist noch zu früh, um dies sagen zu können. In diesem Moment befindet sich ein Team von Archäologen an der Ausgrabungsstätte, das nach weiteren Daten sucht. Wenn wir welche finden, werden Sie es erfahren. Seien Sie unbesorgt.«

»Professor«, rief einer der Diskussionsteilnehmer, als der alte Mann aufstand, um zu gehen. »Professor, damals, in den fünfziger Jahren, fand man in Fossilien, und ich meine sogar auch in Meteoriten, Überreste bestimmter Proteinmoleküle. Gehe ich richtig in der Annahme, dass Viren im Grunde Proteine sind?«

»Ja.«

»Besteht die Möglichkeit, dass einem Ihrer Fundstücke auch heute noch Überreste von Viren anhaften, die möglicherweise die gesamte Bevölkerung dieser frühen Menschen ausgerottet haben könnten?«

Eastlake lächelte.

»Falls Sie damit andeuten wollen, dass die Erde durch unsere Arbeit vielleicht ein zweites Mal von einer uralten Seuche heimgesucht werden könnte, lautet die Antwort nein.«

»Ist das definitiv?«

»Die Chancen dafür stehen eins zu einer Milliarde - nein, eins zu einer Billion. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen. Wie ich sehe, ist unsere halbe Stunde vorüber, und ich habe einige sehr dringliche Angelegenheiten zu erledigen.«

 

»Hier ist Ihr Zimmer.« Don öffnete die Tür.

Liz ging hinein und sah sich um. Es war überraschend geräumig; bevor sie hierhergekommen war, hatte sie sich die Wohnquartiere eng und bedrückend vorgestellt, etwa wie Kabinen in altmodischen Unterseebooten.

»Eastlake wird in ein paar Stunden Zeit für Sie haben. Sind Sie hungrig?«

»Danke, nein«, sagte sie.

»Bis später dann.«

Nachdem er gegangen war, setzte Liz sich auf die Bettkante und holte den Fotoapparat aus ihrem Reisekoffer. Für sie stand fest, dass hier etwas Sonderbares vor sich ging, und Don versprach, eine gute Informationsquelle zu werden. Sie stellte den Apparat auf die richtige Belichtungszeit ein und machte eine Aufnahme.

Das Zimmer wirkte steril. Die wenigen Einrichtungsgegenstände sahen aus, als wären sie in einem billigen Hotel erstanden worden: eine kleine Anrichte, eine Fernsehwand, ein Kodachrome-Hochglanzdruck einer Wiese voller roter Mohnblumen. Auf einmal wurde ihr klar, weshalb das Zimmer so kahl und leer war; alle Einrichtungsgegenstände waren mühsam Stück für Stück von der Oberfläche herunter geschafft worden. Die Wand am anderen Ende des Zimmers war hinter einem Vorhang verborgen. Als sie an der Kordel zog, die von einer Seite herabhing, stellte sie fest, dass sich dahinter ein Fenster befand - ein wandgroßes Fenster, das einen Ausblick auf den Berghang gewährte. Weiter unten am Hang konnte sie einige der anderen Kuppeln erkennen. Sie leuchteten grünlich-gelb in der dämmrig werdenden See. Die einzelnen Kuppeln waren mit Glaskorridoren miteinander verbunden, die wie Speichen eines Rades von der großen Hauptkuppel ausgingen.

Als sie so dastand und die See betrachtete, spürte sie für einen kurzen Moment ein fast überwältigendes Friedensgefühl. Draußen war alles still, so unglaublich still. Die Schrecken der Kriege auf der Oberfläche schienen in diesem Augenblick so fern wie die andere Seite des Mondes. Hier fühlte sie sich geborgen. Und das war kein unangenehmes Gefühl.

 

In Eastlakes Arbeitszimmer sah es aus, als wäre dort eine Bombe hochgegangen; Lochkarten- und Bücherstapel, Schachteln mit peinlich genau etikettierten Artefakten nahmen jeden freien Raum in Anspruch. Liz setzte sich in einen Ledersessel neben dem großen Schreibtisch des Professors und machte ein paar Aufnahmen. Die Wand hinter dem Schreibtisch wurde von einem großen Kachelmosaik bedeckt. Sie musste ein Weitwinkelobjektiv benutzen, um alles aufs Bildformat zu bekommen.

»Dieses Mosaik dort ähnelt Bildern, wie ich sie von den Ruinen auf Kreta gesehen habe«, meinte sie.

»Der Palast des Minos in Knossos«, sagte Don. »Es ist ihm nachgebildet. Eastlake gefiel das Delphinmotiv. Sind Sie gut bewandert in Archäologie?«

Liz schüttelte den Kopf.

»Nein, ich weiß nur, was ich im Fernsehen darüber sehe.«

»Da haben Sie Glück. Es ist ohnehin alles nur Schwindel.«

»Warum so zynisch?«, fragte Liz. »Setzen Sie in das Projekt kein Vertrauen?«

»Wenn es etwas gibt, das dieses Projekt erwiesen hat, dann die

Tatsache, dass Archäologie ein Schwindel ist, ein Kartenhaus, das sich auf Mutmaßungen über ein paar alte Knochen und Tonscherben gründet. Wenn dann auf einmal ein Knochenstück entdeckt wird, das nicht mit diesen Mutmaßungen übereinstimmt, macht es PENG! All diese brillanten Theorien zerspringen in tausend Stücke, und wir müssen einsehen, dass wir uns die ganze Zeit über im Irrtum befanden.«

»So ist Wissenschaft nun einmal«, sagte Liz. »Das wissen Sie selbst.«

»Alles, was ich dazu sagen kann ist, es widert mich an.«

»Sie reden wie einer dieser Nichtstuer oben auf dem Festland«, erwiderte Liz heftig.

»Na und? Tun Sie nicht so überlegen. Es hat etwas für sich.«

»Aber natürlich«, rief Liz aus, »es sind alles prächtige Menschen - sie tun ja schließlich auch nichts weiter als immerzu herumhocken, Tri-D-Fernsehen schauen, auf Partys gehen und sich zu Tode saufen...«

»Hört sich gut an, finde ich«, rief Don dazwischen. »Wenn Sie mich schon auf den Gedanken bringen, das ist genau, was uns hier fehlt - eine Party. Veranstalten wir doch einen Maskenball; jeder kommt als sein Lieblingsfisch.«

»Wie können Sie nur so reden? Sie, einer der wenigen Menschen auf der Welt, die das Privileg genießen, an diesem Projekt mitarbeiten zu dürfen!«

»Wenn ich ein Sträußchen Petersilie und eine Zitronenscheibe tragen würde, könnte ich als gekochter Schellfisch kommen...«

»Sie tragen dazu bei, unseren Wissenshorizont zu erweitern.«

»Ha! Heben Sie sich das für Ihre Reportage auf. Ich kaufe es Ihnen nicht ab.«

Don ging zum Fenster hinüber. In dem grünlichen Licht wirkte sein Gesicht hohlwangig.

»Alles, was wir hier treiben ist, neue Mutmaßungen anzustellen«, sagte er langsam. »Und die Zeit wird knapp, falls Sie das vergessen haben sollten.«

»Aber...«

»Sie müssen Liz Devlin sein«, ertönte eine Männerstimme hinter ihnen.

Liz erkannte Professor Eastlake. Er trug einen makellosen weißen Kittel und eine rot-schwarz gestreifte Krawatte, und unter dem Arm hatte er einen Stoß Lochkarten.

Don stand auf. »Liz«, sagte er, »darf ich Ihnen den Hohen Lama vorstellen? Professor Eastlake, Liz Devlin vom New World News Service. Liz Devlin, Professor Eastlake. Wenn Sie mich nun entschuldigen wollen, ich muss ein Programm ausarbeiten.«

Er nickte dem Professor zu und ging.

»Was ist mit ihm?«, fragte Liz.

»Schwer zu sagen«, meinte Eastlake kopfschüttelnd. »Er ist ein komischer Vogel.«

»Warum behalten Sie ihn hier?«, fragte sie. »Er muss doch eine ziemlich zersetzende Wirkung auf die allgemeine Moral ausüben.«

»Wir haben keine Wahl«, erwiderte der Professor. Er setzte sich an seinen Schreibtisch. »Er ist ein Genie und unser bester Computerspezialist. Haben Sie von dem von Aachen'schen Gehirnlappen gehört?«

»Ja«, sagte Liz, »der vergrößerte Kortex eines menschlichen Gehirns. Er hat ihn?«

»Ja«, sagte Eastlake.

»Ich bezweifle allerdings, dass diese Mutation für seine Intelligenz verantwortlich ist, aber sie mag der Grund für seine Labilität sein.«

»Aber er ist ein Genie?«

»Oh, ja, das ist er«, meinte Eastlake resignierend, »und außerdem, als er anfing, die Programme für unser hiesiges Rechensystem auszuarbeiten, benutzte er eine Computersprache eigener Prägung. Weil er seine Arbeit zufriedenstellend erfüllt, und es sehr teuer wäre, seine Programme umzustellen, können wir ihn nicht feuern.«

»Mir ist es egal, was er ist«, meinte Liz. »Ich kann ihn nicht leiden. Er ist mir zu zynisch.«

»Nun«, sagte Eastlake, während er sein drahtiges weißes Haar glättete, »wir leben in einer zynischen Zeit. Weil wir gerade davon reden, was gibt’s oben neues? Ich habe seit Wochen keine Zeit gefunden, mir die Nachrichten anzuschauen.«

»Die Lage ist unverändert«, sagte Liz. Sie holte das Tonbandgerät aus ihrer Handtasche. »Alles ist wie immer. Vielleicht ein wenig schlimmer als sonst.«

»Neue Krawalle?«

»Es gibt immerzu welche. Sie werden in den Nachrichten kaum noch erwähnt. In Nordafrika ist wieder eine Hungersnot ausgebrochen. Die vielleicht schlimmste bisher.«

»Ich sehe schon.« Er nickte ernst.

»Etwas beunruhigt mich, Professor. Eine Menge fähiger Leute sind nicht länger willens, auf eine Lösung hinzuarbeiten.«

»Sie können es ihnen nicht verübeln.«

»Doch, das kann ich«, sagte Liz. »Es ist niemals zu spät, nach neuen Antworten zu suchen.«

»Ja«, entgegnete Eastlake, »ja, da haben Sie wohl recht.«

Sie fuhr fort: »Aber ich bin hier, um mit Ihnen über Ihr Projekt zu reden, Professor. Stört es Sie, wenn ich unsere Unterredung aufzeichne?«

»Keineswegs, machen Sie nur.«

Sie stellte den kleinen Apparat auf den Schreibtisch und schaltete ihn ein.

»Professor Eastlake, worum handelt es sich bei dem Fund, den Sie hier gemacht haben, und weshalb glauben Sie, dass er so wichtig ist?«

»Lassen Sie mich«, begann der alte Mann, »den zweiten Teil Ihrer Frage zuerst beantworten. Weshalb ich ihn für wichtig halte? Ebenso gut könnten Sie mich fragen, weshalb ich Archäologie für wichtig halte. Ich will es Ihnen sagen. Archäologie ist der einzige Wissenschaftszweig, der sich mit dem Studium der Wechselbeziehungen des Menschen und seiner Umgebung, diesem Planeten, über sehr lange Zeiträume hinweg befasst. Das Wissen um diese Dinge ist deshalb von Bedeutung, weil es uns verstehen hilft, was heute eigentlich mit uns geschieht und wohin wir treiben. Solche Erkenntnisse waren schon immer von großer Wichtigkeit, und ich brauche Ihnen nicht erst zu sagen, welche Bedeutung sie in den letzten Jahrzehnten erlangt haben. Nun, was unseren Fund angeht: er ist nichts Geringeres als der schlüssige Beweis dafür, dass vor mehr als sechzig Millionen Jahren menschenartige Wesen auf der Erde lebten. Dies ist sechzigmal früher, als man bisher glaubte.«

»Professor, wenn das zutrifft, stellt es unsere gesamte Abstammungslehre auf den Kopf. Unsere Subskribenten werden wissen wollen, warum diese Dinge erst jetzt ans Licht kommen.«

»Ans Licht kommen«, erwiderte Eastlake, »ist die richtige Formulierung. Die Beweise, von denen ich spreche, haben das Tageslicht bis jetzt einfach noch nicht erblickt - im wahrsten Sinne des Wortes. Bevor wir Relikte oder menschliche Überreste untersuchen können, müssen wir sie erst finden. An Land können sie durch Zufall entdeckt werden, beispielsweise bei Erdarbeiten beim Straßenbau, oder sie können durch die allmähliche Erosion eines Flusses zutage treten. Aber wir müssen sie erst finden. Und das ist keine leichte Aufgabe.«

Er rieb sich beim Sprechen immerzu die Hände. Auf seinen Wangen spiegelte sich das Licht der Deckenlampe in Gestalt halbmondförmiger Sicheln. Ein Brechungseffekt seiner starken Brillengläser.

»Geologen vom hiesigen Zentrum stießen zufällig auf einige Artefakte...«

»Artefakte?«, unterbrach ihn Liz. »Sie meinen Werkzeuge oder Waffen? Ich wusste nicht...«