Genesis V - Alfred Broi - E-Book

Genesis V E-Book

Alfred Broi

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Beschreibung

Vermag eine uralte Legende das Schicksal Santaras wirklich noch zu ändern? Jorik und seine Freunde jedenfalls haben die Formel, die eine Hälfe des wundersamen Mysteriums, im Norden Poremiens tatsächlich finden können. Doch wird dies auch Mavis und seinen Freunden mit dem Kristall in Tibun gelingen? Eine Karte im Zentrum der zerstörten Hauptstadt Porista verspricht ihnen den Weg zu weisen, bevor sie aber auch nur daran denken können, ihn zu gehen, ergießen sich Tod und Verderben über sie. Inmitten dieses Chaos kommt es dann zum längst fälligen, jedoch vollkommen unerwarteten Wiedersehen zweier liebender Herzen. Doch Zeit, dies zu genießen, ist keine, denn der Feind ist ihnen dicht auf den Fersen. Um die Hoffnung auf ein Überleben ihrer Heimat zu bewahren, bleibt ihnen nur ein wahrhaftiger Abstieg in die Hölle, denn der so dringend benötigte Kristall befindet sich am Schlimmsten aller vorstellbaren Orte… Genesis V – Abstieg in die Hölle ist das fünfte und bisher dunkelste Kapitel der großen Saga um das Schicksal eines ganzen Planeten – spannend, schonungslos und emotional

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A l f r e d B r o i

G E N E S I S

G

V

Abstieg in die Hölle

Inhalt

Prolog – Noch einmal Kos Korros

I

I - Der Weg nach Westen…………………………………………………………………………..24

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

II - Tibun…………………………………………………………………………………………………..99

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

XIX

XX

XXI

XXII

III -Porista……………………..………………………………………………………………………..218

XXIII

XXIV

XXV

XXVI

XXVII

XXVIII

XXIX

XXX

XXXI

XXXII

XXXIII

XXXIV

XXXV

XXXVI

XXXVII

IV - Der Abstieg…………..………………………………………………………………………..344

XXXVIII

XXXIX

XL

XLI

XLII

XLIII

XLIV

XLV

XLVI

XLVII

XLVIII

XLIX

L

LI

LII

LIII

LIV

LV

V - Der Schlimmste aller vorstellbaren Orte………………………………………………………478

LVI

LVII

LVIII

LIX

LX

LXI

LXII

LXIII

LXIV

LXV

LXVI

LXVII

LXVIII

LXIX

VI - Kimuri…………………………………………………………………………………………………………………597

LXX

LXXI

LXXII

LXXIII

LXXIV

LXXV

LXXVI

Prolog

Noch einmal

Kos Korros

I

„Darf ich?“ Mavis funkelte zunächst Vilo böse an, dann warf er Kaleena einen fragenden Blick zu.

Diese nickte. „Natürlich!“

Mavis zögerte nicht eine Sekunde. Er trat direkt vor seinen Freund, ballte eine Faust und verpasste ihm blitzschnell und knallhart einen Schlag mitten in sein Gesicht.

Es klatschte laut und - da in der riesigen Halle ziemliche Stille geherrscht hatte - auch weithin hörbar.

Vilo jedoch hatte keine Anstalten gemacht, sich zu wehren, obwohl er gewusst haben musste, was Mavis vorgehabt hatte. Mit einem schmerzvollen Stöhnen ging er zu Boden.

Obgleich es ihr Mann war, der dort auf die Knie sank, verzog Kaleena keine Miene und zeigte auch kaum eine Regung. Und das wenige, das zu bemerken war, war keine Sorge, sondern mahlende Kiefer und ein abwertendes Funkeln in den Augen. Vilo hatte ihr wehgetan, im Herzen, in der Seele. Sie war so wütend auf ihn gewesen und hatte ihm doch sehr schnell verziehen, aber sie wusste auch, dass sie das nur getan hatte, weil es so viel mehr, soviel Wichtigeres zu tun gab, als ihn jetzt zu verdammen. Ihre Liebe zu ihm war beinahe grenzenlos und würde auch diesen schlimmen Vorfall überstehen, doch war sie nicht sicher, ob und wie viele Narben am Ende bleiben würden.

Neben ihr standen noch andere um die beiden Männer herum. Jorik, Marivar, Esha, Malawi, Idis, Pater Matu und Leira, doch auch sie zeigten zunächst keinerlei Reaktion, da sie wussten, dass Vilo, so sehr ihnen der Gedanke vielleicht auch missfallen mochte, diesen Faustschlag mehr als verdient hatte, denn er hätte sie alle beinahe verraten und sie dem Nuri und somit dem Tod ausgeliefert.

Erst im letzten Moment – und das dann nicht ohne viel Glück und mit dem Zutun anderer - hatte er sich eines Besseren besonnen und sich wieder zu seinen Freunden und ihrer Mission bekannt.

Dennoch konnte jeder der Anwesenden Mavis Zorn auf Vilo verstehen und nicht wenige hätten gern selbst an seiner Stelle zugeschlagen oder ihm sogar noch zusätzlich einen Schlag verpassen wollen.

Doch bevor dies geschehen konnte, trat Leira mit einem tiefen Grollen schützend vor Vilo, da sie nicht sicher war, ob Mavis es mit diesem einen Schlag genug sein lassen würde. Mit einem ernsten, aber nicht feindseligen Blick schaute sie dem Commander direkt in die Augen, dem er für einen Moment standhielt, bevor er sich wieder entspannte und einen halben Schritt zurückmachte, ohne jedoch den Blick von seinem Freund zu nehmen.

Vilo wiederum rieb sich das Kinn und wischte sich ein wenig Blut von den Lippen, während auch er Mavis nicht aus den Augen ließ. Mit einem weiteren Stöhnen rappelte er sich wieder auf. „Das habe ich verdient!“ meinte er und nickte Mavis zu. Sein Freund erwiderte nichts, er schnaufte nur kurz durch die Nase.

Dabei spürte Mavis, wie erneut Zorn in ihm aufstieg, doch wurde ihm klar, dass sie Wichtigeres zu tun hatten, als Vilo hier zu verprügeln.

So Vieles war in den letzten Stunden geschehen, dass er Mühe hatte, all das vernünftig zu verarbeiten. Schon allein die Tatsache, dass sie sich jetzt alle hier in Kos Korros befanden, war erstaunlich und verrückt zugleich, aber irgendwie auch sehr traurig.

Denn sie waren jetzt nur hier, weil sie einen Ort brauchten, an dem sie sich verstecken konnten. Doch nicht etwa vor ihren widerlichen, außerirdischen Aggressoren, die ihnen seit über sieben Jahren einen furchtbaren und scheinbar sinnlosen Krieg lieferten, sondern vor Menschen, Spezies ihrer eigenen Rasse, die sie jedoch nicht minder hassten, wie ihre Feinde und ebenso tot sehen wollten, wie sie. Allen voran der Nuri, Commander Panthos, der einen perfiden Plan ausgeheckt hatte, um sich und seinesgleichen vor ihren Feinden in Sicherheit zu bringen, während der Rest der Menschheit ungeschützt den Insektenbestien ausgesetzt blieb.

Natürlich konnte Mavis dem nicht zustimmen, doch der Nuri war sehr gut vorbereitet gewesen und hatte mit Männern wie Captain Narix blinde, aber loyale, skrupellose, aber hochintelligente und vor allem gnadenlos-fanatische Gefolgsleute.

Und die Talura unter dem Kommando von Narix war der Grund, warum sie sich hier in den beinahe gänzlich verwüsteten Hallen von Kos Korros versteckten.

Doch auch wegen Shamos, einem seiner besten Freunde schon aus Kindertagen und nicht nur seiner Meinung nach, der klügste Kopf, den Santara je hervorgebracht hatte. Shamos hatte zunächst all ihre Hoffnungen auf ein erfolgreiches Ende dieses sinnlosen Horrors beinahe vollkommen zerstört, indem er ihnen die wissenschaftlichen Fakten eines unwiderruflich sterbenden Planeten vor die Füße knallte, nur um ihnen dann mitzuteilen, dass er scheinbar eine Art Vision von einer glorreichen Zukunft gehabt hatte, die mit einem uralten Rätsel verbunden war, dessen Lösung letztlich ihr aller Überleben bedeuten konnte.

Und auch deshalb waren sie hier, wenngleich Mavis zugeben musste, dass er noch längst nicht alles von dem verstanden hatte, was Shamos, aber auch Pater Matu ihm zu erklären versuchten.

Was er aber verstanden hatte, war die Tatsache, dass Santara im Verlauf der schier endlosen Kriegsjahre irreparable Schäden davongetragen hatte und es für sie alle keinerlei Hoffnung mehr gab – es sei denn, sie ließen sich auf dieses uralte Rätsel ein, das Shamos aufgedeckt hatte.

Und da für Mavis alles besser war, als den Tod zu akzeptieren, war er auch bereit an dieser Mission teilzunehmen, wenngleich ihm bewusst war, dass er auch hierbei sterben konnte. Doch als Soldat konnte er das Ende im Kampf natürlich akzeptieren. Letztlich war es ihm auch ziemlich egal, ob er überleben oder sterben würde, denn für sich selbst sah er keinerlei Zukunft, egal, ob der Krieg nun endete, sie den Planeten retten konnten oder all das nicht gelingen würde. Alles, was er noch tun konnte – und auch tun wollte und würde – war all seine Kraft zur Rettung anderer einzusetzen.

Seine Zukunft hatte vor mehr als sieben Jahren mit dem Verlust des Menschen geendet, denn er mehr als....

Mavis zwang sich abrupt, seine Gedanken zu stoppen. Schmerzhafte Erinnerungen und Sehnsüchte gehörten ebenfalls nicht hierher, sondern waren etwas für später, wenn er wieder allein war.

„Vilo!“ Joriks Ruf riss Mavis endgültig aus seinen Gedanken. Sein Freund war zusammen mit Marivar, Esha, Malawi und Idis, sowie Shamos, Pater Matu, Kendig und Rimbo mit der Amarula aus Kimuri kurz nach Mavis, Biggs und Captain Tibak auf der Calira und kurz vor Vilo, Kaleena, Jovis, Leira, Captain Cosco und Sergeant Dek mit der Kitaja, hier eingetroffen. „Schön, dass ihr es doch noch geschafft habt!“ Er schüttelte seinem Freund kräftig und mit einem breiten Grinsen die Hand.

„Wir haben nicht viel Zeit!“ erwiderte der Commander mit ernster Miene.

„Wo ist mein Vater?“ Kendig war zu ihnen getreten und schaute Vilo direkt an.

„Im Cockpit. Er will schnell reagieren können, falls...!“

„Falls was?“ raunte Mavis.

„Cosco hat eine List angewandt, um Narix auszutricksen...!“ erwiderte Vilo.

„Was für eine List?“ fragte Esha neugierig.

„Wir sind zunächst mit Höchstgeschwindigkeit Richtung Norden gefahren, um von unserem eigentlichen Ziel abzulenken. Dann haben wir die Triebwerke abgeschaltet und uns totgestellt. Cosco hat das Schiff unter einen großen Felsvorsprung direkt am Meeresgrund gelenkt. Er meinte, dass wir dort nicht mehr zu orten sein würden. Nachdem unsere Verfolger aus unserem Radarbereich heraus waren, sind wir wieder aufgestiegen und sofort hierher!“

„Nicht schlecht!“ meinte Jorik.

„Ja...!“ stimmte Vilo zu. „...aber ob diese List wirklich funktioniert hat, kann ich nicht sagen!“

„Hat sie nicht!“ Augenblicklich wirbelten alle herum und erkannten Rimbo vor sich, der durch den kurzen Sprint aus dem Cockpit der Amarula zu ihnen etwas außer Atem war. Während er einmal kurz durchatmete, warf er Mavis einen düsteren Blick zu. „Wir haben ein Signal!“

Das maskenhafte, zornige Gesicht von Captain Narix an Bord der Talura weichte schlagartig auf, als er die Nachricht des Radaroffiziers erhielt, dass er nicht weniger als drei Signale an der Küste des südlichen Poremiens aufgefangen hatte und ein zufriedenes Lächeln erschien auf seinen Lippen, weil er am Ende doch Recht behalten hatte und ihnen der Feind eben nicht durch die Lappen gegangen war, wie einige der Besatzungsmitglieder stumm angeklagt hatten.

Umso selbstzufriedener befahl er sofort in harschem Tonfall. „Machen sie die Raketen startklar!“

„Welche Rohre Sir?“

Narix huschte ein weiteres Lächeln über die Lippen. „Alle!“

Mavis atmete scharf ein und funkelte Vilo sofort zornig an. „Wie nah?“

„Zu nah!“ erwiderte Rimbo.

„Verdammter Narr!“ zischte Mavis und trat direkt vor Vilo. „Erst verrätst du uns, dann führst du den Feind direkt hierher! Bist du sicher, dass du auch wirklich auf unserer Seite stehst?“ Bevor Vilo etwas erwidern konnte, wirbelte Mavis schon wieder zu Rimbo herum. „Alarmstart!“

„Ziel erfasst!“ bestätigte sein erster Offizier.

Narix Gesicht versteinerte sichtlich. „Feuer frei!“ Der erste Offizier nickte dem Mann am Kontrollpult zu und dieser betätigte den Abschussmechanismus. Es ging ein Rütteln durch das Schiff, gefolgt von einem zischenden Geräusch, als die Projektile den Rumpf verließen und an die Oberfläche jagten, wo sie beinahe senkrecht in den Himmel stiegen und sich in einem hohen Bogen mit mehreren hundert Meilen in der Stunde ihrem Ziel näherten. „Sechs Raketen abgefeuert!“ meldete er mit monotoner Stimme. „Geschätzte Flugzeit....achtzehn Sekunden!“

Narix nickte ihm zu, wandte sich ab und musste erneut grinsen. Längst hatte er erkannt, wo sich die feindlichen Flugboote befanden. Das Gebiet gehörte zum ehemaligen Stützpunkt Kos Korros, der vor sieben Jahren von den Fremden dem Erdboden gleichgemacht worden war. Er selbst war damals anwesend gewesen, deshalb hatte er das Bild der zerstörten Anlage noch gut vor Augen. Ganz besonders das vielfach beschädigte Dach des unterirdischen Stützpunktes. Die sechs Raketen hatten genau diesen Bereich zum Ziel und ihre unbändige Energie würde dort endgültig alles zerstören und seine Widersacher für immer unter sich begraben.

Mavis stand auf dem halbzerstörten Kai des Stützpunktes und überblickte das Geschehen. Alle Anwesenden bewegten sich schnell, aber nicht hektisch.

Denn das, was zu befürchten war, war eingetreten: Der Feind hatte sie entdeckt. Mavis aber hatte diese Möglichkeit ja bereits früh in Betracht gezogen und entsprechend Vorsorge getroffen. Auf seinen Befehl hin strebten jetzt alle den ihnen zugewiesen Booten entgegen.

Lediglich Kaleena, Jovis und Leira standen noch etwas ratlos umher.

Er wollte gerade zu ihnen gehen, als er Vilo, Cosco und Kendig aus der Kitaja kommen sah. Sie waren auf dem Weg zur Amarula, mit der sie fliegen sollten.

Mavis wollte Kaleena und den beiden anderen zurufen, dass sie sich ihnen anschließen sollten, als über ihnen ein rasend schnell näherkommendes Pfeifgeräusch zu hören war. Er erkannte es sofort und brüllte. „In Deckung!“ Dann schien die Welt um sie herum zu explodieren.

Die ersten beiden Raketen der Talura rauschten durch die bereits vorhandenen Explosionslöcher in der Hallendecke, donnerten in den hinteren Kaibereich und detonierten dort mit schier unbändiger Wucht. Die gewaltige Druckwelle brüllte ihnen mit einer derart immensen Lautstärke entgegen, dass Mavis sie beinahe körperlich spüren konnte. Zwei Flammenfäuste zuckten zur Decke empor und etliche Gesteinstrümmer schossen durch die Luft. Da sich an den Auftreffpunkten jedoch kaum noch etwas von Wert befunden hatte, verpufften die Explosionen ohne größeren Schaden anzurichten, abgesehen davon, dass der Boden unter ihnen erbärmlich erzitterte.

Kaum aber waren diese beiden ersten Raketen detoniert, jagten die nächsten beiden heran. Die erste jedoch verfehlte den Hafenbereich und donnerte weiter hinten auf den Felsen der Steilküste, unter der sich der ehemalige Stützpunkt verborgen gehalten hatte. Die zweite Rakete aber traf dafür umso besser, krachte auf den östlichen Teil der Hallendecke und als der Sprengkopf seine enorme Energie blitzartig freigab, zerriss der Fels dort unter furchtbarem Getöse und etliche Trümmer schossen in die Tiefe, wo sie in das Hafenbecken klatschten und die Wasseroberfläche in Wallung brachten.

Obwohl alles um sie herum zerstört zu werden schien, wusste Mavis sofort, dass sie verdammtes Glück gehabt hatten, denn alle Explosionen waren zu weit von ihnen entfernt gewesen, um Schäden an den Flugbooten anzurichten. Seine Freude währte jedoch nicht lange, denn gleich darauf gab es zwei weitere Explosionen. Die erste war wieder deutlich über und ein wenig westlich von ihnen. Diese Rakete musste ebenfalls auf die Steilküste gestürzt sein. Ihre Flugbahn war nicht lang genug gewesen, sie sollte ihnen ebenfalls keinen großen Schaden zufügen können. Die zweite aber sah Mavis förmlich direkt auf sich zukommen, als sie durch ein Loch im Dach hindurchjagte und nur wenige Meter hinter ihm aufschlug. Wieder rissen die Explosionen an seinen Trommelfellen, während ihn die Druckwelle, wie viele andere auch, von den Füßen fegte und nach vorn schleuderte. Mavis konnte sich gerade noch mit einer blitzschnellen Drehung abwenden, da krachte er auch schon rüde auf den Kai. Während über ihm die heiße Flammenfaust dahin rauschte, wurde er nur noch von einem Gedanken beherrscht: Sie mussten von hier weg! Jetzt sofort!

Mavis wirbelte herum und überblickte die Situation. Wenige Schritte von ihm entfernt, erkannte er Vilo, der zu seiner Familie und Leira stürzte. Alle anderen erhoben sich ebenfalls, stützten sich gegenseitig und rannten ohne zu Zögern zu den Flugbooten. Dabei schien es, als wäre niemand von ihnen ernsthaft verletzt.

Plötzlich hörte Mavis ein seltsames Knacken.

Instinktiv schaute er mit einer bösen Vorahnung zur Höhlendecke und erkannte sogleich, dass er sich nicht getäuscht hatte. Die erste der beiden letzten Raketen mochte zwar zu kurz geraten sein, aber sie war dennoch so dicht neben ihnen auf die Steilküste gekracht, dass die Explosion die Deckenkonstruktion zerfetzt hatte und sich diese Erschütterung jetzt rasend schnell auch in ihren Bereich ausdehnte. Wie bei splitterndem Glas zuckte ein deutlicher Riss durch den Felsen und ließ ihn erzittern. Schon lösten sich die ersten Brocken und rauschten zu Boden. Anfangs noch in die hintere Hälfte des Hafenbeckens, doch die Einschläge kamen rasend schnell näher. Wenige Augenblicke später hatten sie die Calira erreicht.

Voller Entsetzen starrte Mavis auf das Flugboot. Deutlich konnte er sehen, dass Captain Tibak und seine Männer nahe der seitlichen Einstiegsluke standen. Auch Pater Matu war dort. Einige von ihnen hatten bereits erkannt, dass die Höhlendecke zu bersten begonnen hatte und waren ebenfalls stehengeblieben.

Viel schlimmer aber war das, was Mavis im Cockpit der Calira erkennen konnte. Denn dort waren Kabus und Biggs natürlich dabei, dass Schiff auf einen Alarmstart vorzubereiten und hatten zu diesem Zweck bereits die Triebwerksleistung erhöht. Offensichtlich wussten sie nichts von dem Schrecken, der auf sie zukam. Erst als ein weiterer Felsbrocken schräg vor ihnen ins Wasser schlug, wurden sie aufmerksam und verharrten in ihren Bewegungen. Doch da war es bereits zu spät. Einen Wimpernschlag danach krachte ein neuerlicher Trümmer mit brutaler Wucht auf die linke, vordere Seite des Schiffes und zerfetzte das Cockpit im Bereich des Copiloten. Das enorme Gewicht des Felsbrockens drückte die Calira zur Seite und für eine Sekunde auch unter die Wasseroberfläche. Dann rutschte er von der Hülle und sank in die Tiefe. Das Schiff aber richtete sich abrupt wieder auf, als im selben Moment ein weiterer Felsblock von der Decke fiel und die Calira zentral im Bereich des Laderaums erwischte, wo er mit einem ohrenbetäubenden Knall tief in die Konstruktion rauschte und das gesamte Schiff deutlich nach unten drückte, sodass Wasser durch die seitliche Einstiegsluke ins Innere dringen konnte.

Captain Tibak und seine Männer sprangen entsetzt zurück und rissen den Priester dabei um. Jorik und die anderen, die gerade ins Innere der Amarula gerannt waren, hatten längst abgestoppt und machten Anstalten umzukehren.

„Nein!“ brüllte Mavis aber sofort und streckte ihnen abwehrend seinen linken Arm entgegen. „Macht, dass ihr ins Schiff kommt. Wir kümmern uns darum!“

Im nächsten Moment sah er Vilo an sich vorbeirennen und auf die Calira zustürmen. „Vilo!“ rief ihm Kaleena entsetzt hinterher, doch ihr Mann war schon verschwunden. Also drückte sie Jovis an Leira und wollte ihm folgen.

„Nein!“ Mavis versperrte ihr den Weg und sah ihr direkt in die Augen. „Ich mache das! Geht mit Cosco!“ Er blickte neben sich und nickte dem Captain zu, der diese Geste sofort erwiderte. Die Calira war nicht mehr flugtauglich, jetzt musste er doch selber fliegen.

Mavis drehte sich um und rannte los, ohne auf eine Erwiderung Kaleenas zu warten. Zwei Sekunden später hatte er Captain Tibak erreicht. „Los zur Kitaja!“ rief er. „Aber der Captain soll auf uns warten!“ Und mit diesen Worten verschwand auch er im Inneren der Calira in dichtem Rauch, während immer mehr Wasser über die Einstiegsluke eindrang und das Schiff allmählich zu sinken begann.

„Trefferbild?“ raunte Narix dem Feuerleitoffizier zu.

„Sechs Raketen abgefeuert, alle detoniert!“ erwiderte der Mann. „Vier direkte Treffer. Zwei Nieten!“

Narix nickte nachdenklich mit finsterer Miene. „Hat das ausgereicht?“

„Ich weiß nicht, Sir?“ antwortete der erste Offizier.

Narix blickte ihn im ersten Moment überrascht an, denn eigentlich war das keine Frage an ihn gewesen, sondern nur laute Überlegungen des Captains. Dann aber nickte Narix wieder. „Gehen wir auf Nummer sicher!“ meinte er mit einem widerlichen Grinsen. „Feuern sie noch ein paar Torpedos hinterher!“

Mavis musste unweigerlich abstoppen, denn der Qualm, der ihm im Inneren der Calira entgegenschlug, war nicht nur so dicht, dass er nicht einmal die eigene Hand vor Augen erkennen konnte, sondern auch so beißend, dass es ihm den Atem verschlug. Dennoch bewegte er sich weiter vorwärts. Die Calira war ähnlich gebaut, wie alle anderen Flugboote auch, daher hatte er keine Mühe sich entsprechend in Richtung Cockpit vorzutasten.

Nach wenigen Schritten hörte er bereits Stimmen und der Qualm lichtete sich ein wenig, sodass er schemenhafte, sich bewegende Körper ausmachen konnte.

Nach zwei weiteren Schritten erkannte er in ihnen Vilo und Kabus, die sich daran zu schaffen machten, einige Trümmerteile des zerfetzten Kontrollpultes, einschließlich des Kopilotensitzes beiseite zu schaffen. Vilo drehte sich unvermittelt um und war sichtlich überrascht, seinen alten Freund zu sehen. „Mavis!?“

„Was ist los hier?“ fragte er sofort.

„Mein Onkel...!“ Kabus wandte sich um. Sein Gesicht war blutverschmiert und an der rechten Wange dunkel verfärbt. „...ist verletzt und...!“ Seine Haut war grau, seine Augen blutunterlaufen. Seine Stimme klang schwer und schmerzvoll. „...eingeklemmt!“ Kaum hatte er zu Ende gesprochen, stöhnte er erbärmlich auf, seine Beine gaben unter ihm nach und er sackte ohnmächtig zu Boden.

„Er ist auch verletzt!“ rief Vilo und schaute Mavis an. „Bring du ihn hier raus!“

Mavis sah ihn verwirrt an und machte keine Anstalten, sich zu bewegen.

„Nun mach schon!“ beharrte Vilo mit fester Stimme. „Hier ist eh nur Platz für einen!“ Er spielte damit auf die durch die Zerstörung vorherrschenden sehr beengten Platzverhältnisse im Cockpit an.

Mavis blieb noch einen Moment unschlüssig, dann nickte er. „Okay!“ Er bückte sich nach Kabus, zog ihn auf die Füße und schulterte ihn. „Aber ich komme wieder!“

Vilo schaute ihnen einen kurzen Moment hinterher, dann wirbelte er herum und machte sich daran, Biggs endgültig zu befreien.

„Torpedos Eins bis Vier sind feuerbereit!“ erklärte der Offizier.

Narix nickte zufrieden. „Dann schicken sie sie auf die Reise!“

Eine Sekunde später verließen die vier Projektile die Waffenschächte der Talura.

Mavis hatte Kabus Huckepack genommen, doch der Rauch und der Qualm im Schiff ließen ihn kaum Atem finden. Keuchend erreichte er den Kai und nahm einige tiefe Lungenzüge, dann blickte er sich um. Aber es war niemand zu sehen, alle befanden sich an Bord der anderen Schiffe.

Mavis wandte sich der Amarula zu, weil sie direkt hinter der Calira lag, um sein Packet abzuliefern und dann wieder Vilo zu helfen. Er hatte kaum ein paar Schritte getan, da stürmten Jorik, Marivar und Idis aus dem Inneren des Bootes auf sie zu.

„Hier nimm ihn!“ sagte er zu Jorik und drückte ihm Kabus kurzerhand in die Arme. „Kümmern sie sich um ihn!“ rief er Marivar zu. „Ich muss wieder zurück und Vilo helfen!“ Er schaute Jorik direkt an, der Kabus bereits schulterte. „Wir bringen noch einen Patienten!“ Er nickte Marivar zu, dann wirbelte er herum und rannte zurück zur Calira.

„Wie lange noch bis zum Aufschlag?“ fragte Narix mit reglosem Blick.

„Fünf Sekunden!“ erwiderte der Offizier.

Als er gerade die Laderampe erreicht hatte, schob sich ein schwarzer Schatten aus dem dichten Qualm im Inneren des Schiffes und er erkannte Vilo mit Biggs in seinen Armen.

Natürlich wollte er ihm sofort zu Hilfe eilen, als er plötzlich in seiner Bewegung verharrte, weil er einen entfernten, dumpfen, aber dennoch äußerst wuchtigen Donner vernahm. Schon im nächsten Moment spürte er, wie der Boden unter seinen Füßen zu vibrieren begann, als sich das Wasser im Hafenbecken auch schon - wie von Geisterhand bewegt - in die Höhe drückte und eine kleine Flutwelle auf sie zurollte. „Schnell!“ rief er Vilo zu und streckte ihm die Arme entgegen, doch kaum hatte er ihn erreicht, da wurde die Calira auch schon ruckartig in die Höhe gerissen und sie verloren auf der Einstiegsrampe das Gleichgewicht. Sie wurden in Richtung Kai gedrückt, stolperten dort in einen Trümmerhaufen und wurden von dem eiskalten Meerwasser überrollt, während die Flutwelle die Calira über die Kante hinweg ebenfalls auf den Kai wuchtete, wo sie auf dem Steinboden mehrere Meter unter einem infernalischen Quietschen in ihre Richtung rutschte und erst weniger als einen Meter vor ihnen zum Erliegen kam.

Mavis verlor keine Zeit und rappelte sich hustend wieder auf. Vilo, der Biggs die ganze Zeit über festgehalten und erst im allerletzten Moment verloren hatte, stürzte wieder zu dem Alten und hob ihn erneut auf seine Arme. Mavis registrierte das Glück, das sie gehabt hatten und bahnte ihnen sofort einen Weg durch die Trümmer in Richtung Amarula. Vilo folgte ihm dichtauf.

Die Flutwelle, die der erste Torpedo bei der Detonation direkt am Wrack der Elisara verursacht hatte, hatte zwar auch die beiden anderen Boote erwischt, doch war sie nicht stark genug gewesen, um sie ernsthaft zu gefährden. Entsprechend konnten Jorik und Idis das Geschehen um Mavis und Vilo mitverfolgen und als sie zu ihnen kamen, stürzten sie hinaus, um ihnen zu helfen.

„Ich nehme ihn!“ rief Jorik, der sah, dass Vilo schwer bei Atem war. Vilo übergab ihm Biggs ohne Widerworte. Jorik drehte sich um und rannte zusammen mit Idis die Einstiegsluke der Amarula hinauf, als ein zweiter, dumpfer Donner zu hören war, der eine zweite Flutwelle ankündigte, die nur wenige Augenblicke später durch das Hafenbecken rauschte. Da nun die Calira nicht mehr als erstes Hindernis im Weg war, traf sie ungebremst auf die Amarula und brachte das große Schiff bedrohlich ins Wanken. Wäre nicht Kendig gewesen, der mithilfe der bereits laufenden Triebwerke entsprechend gegengesteuert und dafür gesorgt hätte, dass die Amarula gute zwei Meter in die Höhe schoss und somit aus der unmittelbaren Gefahrenzone war, sie wäre wohl auch auf den Kai geschleudert worden. So aber konnte er größeren Schaden verhindern und gleichzeitig dennoch etwas von der Wucht der Welle von der Kitaja nehmen, die direkt hinter ihr vor Anker lag.

Mavis und Vilo aber hatten weniger Glück. Sie erwischte die Energie des heranstürzenden Wassers ziemlich arg, sodass sie von den Füßen gerissen und mehrere Meter über den Steinboden gespült wurden. Erst an einigen Trümmerteilen kamen sie hart und unkontrolliert zum Erliegen.

Als Mavis sich wieder aufrappelte, konnte er gerade noch sehen, wie die Calira von der Flutwelle noch weiter auf den Kai gespült wurde und sie spätestens jetzt dort zerquetscht hätte.

Neben ihm erhob sich schweratmend Vilo.

Mavis blickte zum Hafenbecken. Die Amarula hatte sich bereits in die Luft erhoben und schwebte jetzt unruhig dicht über der Wasseroberfläche. Idis und Malawi standen an der Einstiegsluke und winkten ihnen zu. Doch Mavis entschied sich sofort anders. Zwar war geplant gewesen, dass er mit ihnen flog, doch dazu hätte das Schiff wieder näher an den Kai herangemusst. Und Mavis war sicher, dass das Chaos hier noch nicht zu Ende war. Also entschloss er sich kurzerhand, mit Vilo zu gehen. Er gab den beiden Frauen mit seinen Händen zu verstehen, dass er seinem Freund folgen würde. Gemeinsam rannten sie zur Kitaja, wo sie bereits von Captain Tibak und seinen beiden Männern erwartet wurden. Noch während sie die Einstiegsluke hinaufrannten, dessen Schließmechanismus Tibak bereits betätigt hatte, folgte ein dritter Donner, ungleich tiefer, wuchtiger und bedrohlicher, als die beiden ersten, weil die beiden letzten Torpedos beinahe zeitgleich ihr Ziel erreichten und explodierten. Die doppelte Freisetzung von Energie, die doppelte Druckwelle, die zweifache Wucht.

Das Wasser im Hafenbecken schoss blitzartig in die Höhe, wallte auf, als würde jeden Moment etwas Großes hindurchbrechen und rollte mit hoher Geschwindigkeit auf die beiden Flugboote zu, doppelt so hoch, wie zuvor.

Als Captain Cosco das Signal auf dem Kontrollpult im Cockpit sah, das sich die Einstiegsluke schloss, wuchtete er den Schubhebel für die Vertikaltriebwerke nach vorn, doch wusste er bei einem Blick aus dem Fenster schon, dass es nicht reichen würde.

Während sich das Schiff zunächst erbärmlich langsam in die Höhe drückte, rauschte die Flutwelle auf sie zu und schon im nächsten Moment wurden sie von ihr erfasst. Dabei ging die Hälfte der gewaltigen Energie zu Lasten der Hülle, als große Wassermassen auf die Konstruktion krachten und sie hart erzittern und aufstöhnen ließen. Die andere Hälfte aber sorgte dafür, dass das Schiff wie ein Surfer auf dem Wellenkamm dahinritt und über das Hafenbecken hinaus weiter in das Innere des ehemaligen Stützpunktes getrieben wurde.

Cosco hatte beinahe mehr als alle Hände voll zu tun, um eine Katastrophe zu verhindern, wenngleich er in den ersten Momenten nichts Anderes tun konnte, als hilflos mit anzusehen, wie die Kitaja aus dem Hafenbereich hinaus in die angrenzende, ehemalige Produktionshalle von Kos Korros getrieben wurde, bevor das Schiff auf seine Befehle reagierte. Keine Sekunde zu früh, denn es tauchten hinter ihnen bereits etliche massive Stahlträger und sonstige Aufbauten auf, in die sie unweigerlich hineingerauscht wären, wenn es dem Captain nicht noch im allerletzten Moment gelungen wäre, das Flugboot abzufangen und aus der Welle zu drücken.

So donnerte das Wasser unter ihnen hindurch und verebbte schließlich im hinteren Hallenbereich. Cosco atmete hörbar aus und war sichtlich erleichtert. „Das war knapp!“ meinte er zu Vilo, der zusammen mit Mavis ins Cockpit gekommen war.

„Sie sind gut!“ erwiderte Vilo daraufhin voller Überzeugung und lächelte dem Captain zu, bevor er sich zu Mavis umwandte. „Was machen wir jetzt?“

Mavis überlegte einen kurzen Moment, dann sagte er zu Cosco. „Stellen sie fest, wer an Bord der Amarula ist und ob sie irgendwelche Schäden davongetragen hat!“ Cosco nickte ihm zu. Daraufhin drehte er sich um und erkannte Captain Tibak hinter sich. „Stellen sie fest, wer auf diesem Schiff ist!“

Tibak schüttelte den Kopf. „Nicht nötig. Außer uns sind noch Kaleena, ihr Sohn, Leira und meine Männer an Bord! Und Pater Matu!“ fügte er noch hinzu.

Mavis nickte. „Sind alle okay?“

Jetzt nickte Tibak. „Ja!“

Mavis wandte sich wieder dem Captain zu, der zunächst noch angestrengt in sein Headset lauschte. Ein paar Augenblicke später sagte er. „Neben Kendig und Rimbo und ihren Frauen sind Marivar und Esha, Jorik und Shamos an Bord. Zusätzlich noch Kabus und...!“ Cosco Blick wurde ernst. „...Biggs!“

„Wie geht es ihm?“ fragte Vilo.

Doch der Captain schüttelte nur traurig den Kopf.

Für einen Moment trat Stille ein, dann räusperte sich Mavis. „Bringen sie uns hier raus, Captain!“ Er nickte Cosco zu. „Und dann holen sie mir Jorik ans Mikro!“

Cosco gab den Befehl als verstanden und widmete sich sofort der Lenkung des Schiffs.

Mavis und die anderen im Cockpit schauten ihm stumm dabei zu.

Die Verbindung zur Amarula war schnell hergestellt, doch konnte Kendig seinen Vater nur vertrösten, denn Jorik war in der Krankenstation bei Biggs.

Mavis spürte, dass er ungeduldig wurde. Sie hatten noch immer die verdammte Talura mit ihrem nicht minder verdammten Captain im Nacken. Und sie kamen hier nur sehr langsam voran, da überall Trümmerteile und Gesteinsbrocken herumlagen, die Cosco und Kendig dazu zwangen, kaum mehr als Schrittgeschwindigkeit zu halten

Außerdem hatten sie noch nicht über ihr weiteres Vorgehen gesprochen, sodass nicht klar war, was sie jetzt tun sollten, weshalb Mavis mit Jorik reden wollte. Die Verzögerung zerrte an seinen Nerven.

Umso erleichterter war er, als Kendig verlauten ließ, dass Jorik auf dem Weg ins Cockpit war.

„Na endlich!“ rief Mavis ungeduldig, als Jorik sich meldete. Er hatte die Bildübertragung gewählt, sodass er einen Großteil des Cockpits der Amarula überblicken konnte und die anderen im Gegenzug das Cockpit der Kitaja sahen. „Sorry!“ entschuldigte sich sein Freund. „Aber wir waren in der Krankenstation!“

„Wie geht es Biggs?“ Das war Vilo, dessen Stimme echtes Interesse zeigte.

„Er ist...!“ Jorik stoppte kurz. „...tot!“

Nach einem Moment der Stille am anderen Ende der Leitung, erwiderte Vilo erschlagen. „Scheiße!“

„Verdammt!“ raunte Mavis. „Wie weit ist es mit uns gekommen, dass wir anfangen, uns jetzt schon selbst abzuschlachten?“

„Umso wichtiger ist unsere Mission!“ meinte Jorik.

Mavis atmete tief durch. „Du hast Recht! Wenn wir jetzt aufgeben, war Biggs Tod auf jeden Fall umsonst! Und das dürfen wir nicht zulassen!“

„Was also schlägst du vor?“ fragte Jorik.

„Wir machen uns auf die Suche. Ihr im Norden, wir in Tibun!“

„Was ist mit unseren Verfolgern?“

Darauf hatte Mavis im ersten Moment keine rechte Antwort.

„Ähm...ich habe da eine Idee!“ sagte plötzlich Shamos.

„Du?“ rief Mavis überrascht.

„Ja, Shamos?“ Jorik am anderen Ende der Leitung beugte sich zu dem Wissenschaftler und hörte, was der zu sagen hatte. Dabei nickte er mehrmals, bis er plötzlich rief. „Du hast was?“ Dann hörte er ihm noch einige weitere Momente zu, bevor er sich wieder von ihm abwandte und zu Mavis sprach. „Wenn wir jetzt von hier verschwinden, ohne Vorkehrungen zu treffen, wird uns Narix orten können und zumindest ein Schiff weiterverfolgen. Und dafür sorgen, dass sich andere mit dem Zweiten beschäftigen!“ erklärte er.

„Und welche Vorkehrungen schlägt Shamos vor?“ fragte Mavis.

„Er hat da...etwas gebastelt!“

„Etwas...gebastelt?“ Vilo betonte das letzte Wort besonders.

Jorik nickte und brummte. „Eine Bombe!“ Er schaute zu dem Wissenschaftler, der ihn nervös anblickte. „Eine...Plasmabombe!“

„Eine Plasma...was?“ rief Mavis sofort total überrascht. „Aber...?“

„Moment!“ besänftigte Jorik sofort. „Keine Sorge. Es ist kein heißes Plasma, hat aber wohl...!“ Er schaute nochmals zu Shamos, der ihm zunickte. „...die gleiche Zerstörungskraft. Zumindest... theoretisch!“

„Was heißt denn...theoretisch?“ wollte jetzt auch Idis wissen.

„Nun...!“ erwiderte Shamos und wirkte dabei fast, als wäre es ihm peinlich. „...ich konnte sie noch nicht testen!“

„Aha!“ meinte Mavis. “Und was soll uns diese Bombe jetzt bringen?“

„Wenn wir Narix und seinen Leuten weismachen könnten, dass wir hier alle draufgegangen sind, dann würde vielleicht niemand mehr nach uns suchen!“ erklärte Shamos.

Mavis am anderen Ende der Leitung zog überrascht die Augenbrauen in die Höhe, weil er seinem Freund derartige Gedanken nicht zugetraut hätte und er – mal wieder – von Shamos eines Besseren belehrt wurde. „Da ist was dran!“ Er überlegte kurz und wandte sich dann an Cosco. „Gibt es hier einen Hinterausgang?“

Doch der Captain schüttelte den Kopf. „Alles was uns bleibt ist die Flucht über die Steilküste nach Osten!“ Er hielt kurz inne und schien kurz selbst zu überlegen. „Allerdings...!“

„Allerdings, was?“ raunte Mavis ungeduldig.

„Wenn Narix und sein Schiff noch unter Wasser sind...!“ erwiderte Kendig plötzlich, weil er den gleichen Gedanken, wie sein Vater, hatte. „...dann können sie nur das Sonar nutzen!“

„Und?“ Mavis schien nicht zu verstehen.

„Wenn wir über das Felsmassiv fliehen, brauchen sie zum Orten aber das Radar!“

„Wenn wir uns also schnell genug entschließen...!“ führte Kendig weiter aus. „...könnte es gelingen, dass wir die Schluchten im östlichen Boritas erreichen, bevor er auftaucht und sein Radar nutzen kann!“

„Ich verstehe!“ Mavis nickte mehrmals bedächtig und ein dünnes Lächeln huschte über sein Gesicht. „Hat Jemand Einwände?“ fragte er sofort.

Doch niemand antwortete ihm.

„Also gut! Dann lasst es uns so machen! Shamos?“

„Ja?“

„Wie lässt sich dein Bömbchen denn zünden?“

„Per Fernsteuerung!“

„Dann platziert sie!“

„Schon geschehen!“ erwiderte Shamos mit fester Stimme und sorgte erneut für überraschte Blicke.

„Na dann!“ Mavis atmete einmal tief durch. „Nichts wie weg hier! Viel Glück für euch und eure Mission!“ Der Gesichtsausdruck des Commander wurde ernst und traurig.

„Danke!“ erwiderte Jorik nicht minder bewegt. „Euch auch!“

„Wo sehen wir uns wieder?“ fragte Vilo.

Mavis lachte auf. „Hey, wir haben einen Optimisten an Bord! Das kann ja nur schiefgehen!“

Für einen kurzen Moment war auf beiden Seiten leises Gelächter zu hören.

„Hier!“ meinte Jorik dann. „Wir treffen uns wieder hier!“

Mavis nickte. „Ja, warum eigentlich nicht?“ Er atmete nochmals tief durch. „Und jetzt Schluss damit! Auf Leute. Die Zukunft dieses Planeten wartet auf uns. Und wir sollten wirklich nicht zu spät kommen, oder?“ Er erhielt keine Antwort, doch das war ihm Antwort genug. „In diesem Sinne. Mavis Ende!“

Einen Augenblick später hatten sie einen freien Platz gefunden, dessen Decke zerstört war. Sofort begannen sie mit dem Aufstieg aus der Höhle an die Oberfläche. Kendig folgte seinem Vater dichtauf. Dabei steigerten sie die Geschwindigkeit beider Schiffe spürbar.

Cosco ließ die Nase der Kitaja abkippen, während er die Leistung der Haupttriebwerke nochmals rasant erhöhte. Mavis konnte die enorme Kraft der Maschinen spüren, während das Schiff sehr schnell beschleunigte und sie schon nach wenigen Sekunden mit Höchstgeschwindigkeit nur wenige Meter über der felsigen Oberfläche gen Osten jagten.

Wieder nur einige Momente später hörten sie hinter sich einen tiefen, lauten Knall und schon begann die Welt um sie herum zu erzittern.

Kaum größer als eine geballte Faust war es Shamos, diesem absolut brillanten Kopf gelungen, eine irrsinnige Menge Energie in seine Plasmabombe einzuschließen.

Innerhalb weniger Augenblicke brach die Hölle los.

Doch es waren keine Flammen, die in einer gewaltigen Explosion nach außen schossen, sondern lediglich eine unsichtbare Druckwelle, die mit Schallgeschwindigkeit agierte und dabei durch Nichts aufzuhalten war. Die Luft vibrierte um die unsichtbare Energie und es schien sich eine Art Welle zu bilden, die sich ringförmig von der Kugel her ausbreitete. Innerhalb eines Wimpernschlages traf sie auf die ersten Trümmerteile aus Felsgestein, doch durchschlug sie sie mühelos und pulverisierte sie zu Staub. Gleiches geschah mit der Felswand auf die sie dann traf. Der Stein zerbarst mit einer derartigen Wucht, als würde eine Riesenfaust ihn zermalmen und seine staubkleinen Trümmer schossen torpedogleich in alle Richtungen. Meter um Meter drang die unfassbare Energie, die Shamos geschaffen hatte, in den Felsen, durchschlug ihn nahezu ohne an zerstörerischer Wirkung zu verlieren, um schließlich die Steilwand komplett zu durchdringen und sich über dem galpagischen Ozean doch zu verlieren.

Zu diesem Zeitpunkt war der gesamte Höhlenkomplex längst seiner Stabilität beraubt worden und er donnerte mit einem irrsinnigen Getöse in sich zusammen. Eine fast einhundert Meter hohe Staubwolke zeugte von der Zerstörung des Haupttraktes des ehemaligen Stützpunktes.

Was die Fremden vor sieben Jahren nicht geschafft hatten, gelang der Plasmabombe: Kos Korros wurde innerhalb weniger Sekunden endgültig dem Erdboden gleichgemacht.

Und während sich die Talura langsam dem Stützpunkt näherte und schließlich auftauchte, um das Areal zu überfliegen, wurde Captain Narix angesichts der nahezu vollkommenen Zerstörung unter ihnen immer zufriedener. In seiner überheblichen Selbstüberschätzung konnte er jedoch natürlich nicht erkennen, dass in den Trümmern niemand von denen war, die er dort vermutete.

Denn die hatten die rettenden Schluchten im Osten von Boritas mittlerweile erreicht und konnten sich ungesehen ihrer Feinde ihren Zielen zuwenden.

I

Der Weg nach Westen

II

Sie hatten die östlichen Ausläufer der boritaischen Schluchten erreicht und der parulische Ozean breitete sich vor ihnen aus.

Noch immer flog die Amarula hinter ihnen her, doch jetzt bog sie nach Norden ab und führte nach einer sanften Schleife das Eintauchmanöver aus, um hiernach mit Höchstgeschwindigkeit nach Poremien zu fliegen.

Alle Anwesenden im Cockpit blickten ihnen stumm nach und wünschten ihnen jeder auf seine eigene Weise Glück und gutes Gelingen für ihre Mission, genauso, wie es umgekehrt auch der Fall war. In ihren Gesichtern zeigte sich Trauer, Wehmut, aber auch Hoffnung und Entschlossenheit.

Wenn sie sich wirklich wiedersehen würden, bestand immerhin die Chance, dass sie eine Möglichkeit gefunden hatten, diesen Krieg zu beenden und den Planeten vor dem Exitus zu bewahren.

Welcher Weg bis dorthin vor ihnen liegen und welche Schwierigkeiten er mit sich bringen würde, konnte niemand sagen, doch allen war klar, dass sie keine andere Wahl hatten, als es zu versuchen.

Cosco lenkte die Kitaja Richtung Süden und leitete seinerseits das Tauchmanöver ein.

Dabei schaute er mehr zufällig neben sich und konnte in Mavis Gesicht einige Skepsis erkennen. „Es ist besser, wenn wir uns trennen!“ meinte Cosco und wartete, bis der Commander ihn ansah. „Für den Fall, dass unser Ablenkungsmanöver nicht gänzlich funktioniert hat!“

Mavis schaute dem Captain einen langen Moment ausdruckslos in die Augen, dann nickte er langsam. „Sie haben Recht!“

Cosco nickte nun ebenfalls. „Ich denke, wir sollten der Küste bis nach Madori folgen und dann nach Westen abdrehen!“

Mavis schob seine Unterlippe nach vorn, als würde er diesen Vorschlag abwägen.

„Die Sandwüsten dort waren von jeher nur spärlich bewohnt!“ fügte Cosco weiter aus. „Dort gibt es nichts, was sich zu holen lohnen würde. Wenn wir dort ins galpagische Meer übersetzen, werden wir sicherlich die geringste Aufmerksamkeit auf uns ziehen!“

Wieder nickte Mavis nach einem stillen Moment. „Machen sie es so!“ Er klopfte Cosco auf die Schulter, dann wandte er sich ab. Vilo befand sich im hinteren Bereich des Cockpits und sprach mit Captain Tibak. Auch Pater Matu stand bei ihnen. „Wir fliegen nach Süden!“ meinte er, als er sie erreicht hatte. Die drei Männer wandten sich zu ihm um und schauten ihn in einer Mischung aus Neugierde und Irritation an. „Wir werden die Sandwüsten von Madori überfliegen und dann direkten Westkurs einschlagen!“

„Sollten wir nicht lieber...?“ hob Vilo an.

Doch Mavis schüttelte den Kopf. „Wir wissen nicht, ob unser Ablenkungsmanöver wirklich funktioniert hat. Und selbst wenn, würden wir auf der Nordroute nichts gewinnen. Wir haben unterschiedliche Ziele, müssten uns ohnehin früher oder später voneinander trennen. Und im Süden haben wir deutlich weniger Feindpräsenz zu erwarten!“

Tibak nickte. „Die Sandwüsten sind teilweise echt ein Glutofen, in dem nichts wachsen und niemand leben kann. Ich war damals froh, als unser Manöver dort zu Ende war!“ Er schaute Mavis direkt an und nickte nochmals. „Der Süden ist eine gute Wahl!“

„Alles klar!“ Mavis wirkte zufrieden. „Dann sollten wir jetzt alle versuchen, ein wenig Ruhe zu finden. Wir werden wieder früh genug Stress bekommen, stimmt´s?“ Er blickte Matu an.

Der Pater nickte. „Sicher!“

„Würdest du Cosco in ein paar Stunden ablösen?“

Vilo nickte. „Natürlich!“

Mavis war wieder zufrieden. „Okay! Ich übernehme die erste Schicht als Copilot!“

„Aber du kannst doch gar nicht fliegen!“ rief Vilo.

Mavis verzog die Mundwinkel. „Nein! Aber ich kann alles andere machen und dem Captain Gesellschaft leisten. Im Ernstfall musst du ihn natürlich unterstützen!“

Vilo nickte. „Ich verstehe!“

„Ich kann bei ihm bleiben!“ meinte Matu mit einem Male.

Die anderen schauten ihn mit großen Augen an.

„Erinnern sie sich! Ich war nicht immer Priester!“

„Richtig!“ Mavis nickte. „Vor dem Glauben stand der Kampf!“

Jetzt verzog Matu die Mundwinkel. „Na jedenfalls ist mir das alles nicht unbekannt und ich kann ihren Dienst.…!“ Er schaute Mavis direkt an. „...mindestens genauso gut erledigen!“

Mavis erwiderte seinen Blick einen Moment lang, dann nickte er. „Wenn sie darauf bestehen, bitte schön! Ich könnte jetzt ohnehin erst mal eine frische Unterhose vertragen!“ Er deutete auf seine vom Meerwasser noch immer feuchte Kleidung, klopfte dem Pater leicht auf die Schulter und verließ dann das Cockpit.

Vilo und Tibak folgten ihm mit einem Lächeln.

Der Laderaum der Kitaja schien Mavis im ersten Moment überraschend klein zu sein, doch dann fiel ihm ein, dass das vorderste Schott geschlossen war, sodass nur ein gutes Drittel des gesamten Raums zu sehen war.

Alle weiteren Insassen des Bootes waren hier versammelt. Captain Tibak nickte Mavis und Vilo zu, dann ging er zu den beiden Männern seines Trupps, die im hinteren, rechten Teil zusammenhockten. Als sie ihn sahen, spannten sie ihre Körper an und hörten neugierig und aufmerksam auf das, was ihnen ihr Truppführer zu sagen hatte. Am Ende quittierten sie seine Worte mit einem zustimmenden Nicken und entspannten sich wieder.

Auf der anderen Seite des Raumes konnte Mavis Kaleena, Jovis und Leira erkennen. Der Junge war aufgeregt und ungeduldig, Kaleena hatte Mühe, ihn mit Erklärungen ruhig zu halten. Leira, dem bärenartigen Monster mit dem goldenen Herzen, sah man an, dass sie sich im Inneren eines Flugbootes noch immer nicht wirklich wohlfühlte. Ihr Blick zeigte Anspannung und Unbehagen, ihr Körper war steifer, als er es sein musste.

Während Mavis ein sanftes Lächeln bei ihren Anblicken über die Lippen huschte, sah er, wie Vilo an ihm vorbei zu ihnen ging. Er ließ seinen Blick einen Moment auf seinem Freund ruhen, doch schon kamen die Gedanken an seinen Verrat zurück und sein Lächeln verschwand wieder. Stattdessen musste er einmal verärgert brummen, aber es gelang ihm, es in ein lautes Räuspern umzuwandeln, mit dem er Vilo folgte.

„Nach Süden?“ Kaleena sah erst ihren Mann, dann Mavis überrascht an. Doch schon einen Augenblick später nickte sie und ihr Blick wurde zustimmend. „Okay! Klingt plausibel! Hauptsache schnell nach Tibun!“

„Sicher!“ erwiderte Mavis, in dem sich immer stärker der Wunsch nach frischen Kleidern und Einsamkeit breitmachte. „Aber wir werden dennoch einige Stunden dazu brauchen. Also entspannt euch und macht es euch bequem. Vielleicht könnt ihr ja was Essbares auftreiben? Das würde uns sicher allen guttun!“ Er lächelte Kaleena an, die seine Geste sanft erwiderte, dann wandte er sich ab.

„Wo willst du hin?“

Mavis Gesichtszüge waren, nachdem er sich von Kaleena und den anderen weggedreht hatte, sofort wieder ernst geworden. Als er ihre Frage hörte, atmete er einmal kaum hörbar tief durch und schloss seine Augen. Er hatte gehofft, er könne jetzt in eine der Kabinen entschwinden und dort allein sein, aber natürlich wollte seine Freundin noch eine kurze Erklärung haben. Nichts, was schlimm war, nichts, was ihm Probleme bereiten sollte, doch Mavis spürte in seinem Inneren ganz genau, wie sich der Schmerz und die Sehnsucht, die er in sich trug, erneut zu einer Welle auftürmten, die ihn, wie schon so oft, überrollen würde und er absolut hilflos dagegen war. Doch er wollte nicht, dass irgendjemand – nicht einmal seine engsten Freunde – dabei anwesend waren und es miterleben mussten.

Deshalb spannte er seinen gesamten Körper an, als er sich umdrehte und dabei wieder ein Lächeln auf den Lippen hatte. „Ich brauche frische Klamotten!“ Er deutete auf seine feuchten Kleider. „Und dann eine Mütze voll Schlaf. Hier ist noch früh genug wieder Halligalli!“ Er grinste breit, aber freudlos. Kaleena nickte mit einem Lächeln. Mavis wollte sich schon wieder abwenden, als er sich doch noch einmal umdrehte und Vilo anschaute. „Du solltest deine Klamotten übrigens auch wechseln!“ Sein Freund nickte, denn natürlich waren auch seine Kleider von den Geschehnissen in Kos Korros in Mitleidenschaft gezogen worden. „Die sind nämlich nicht nur nass vom Meerwasser!“

„Sondern?“ rief Vilo überrascht.

Doch Mavis antwortete nichts darauf, sondern grinste ihn nur abschätzig an und schnaufte dabei durch die Nase. Dann drehte er sich um und zwinkerte Kaleena zu, die ebenfalls breit grinste.

Während Vilo verstand, was Mavis meinte und ihm sofort einen entrüsteten Spruch nachwerfen wollte, stellte sich seine Frau zwischen sie und umarmte ihn liebevoll, sodass er still blieb.

Mavis spürte natürlich, dass Vilo verärgert war und so blieb sein Lächeln noch einen Augenblick länger auf seinen Lippen. Bis zu dem Moment, da er zufällig in die Runde schaute und dabei Captain Tibak erkannte. Der Kimuri stand noch immer in der Runde seiner Männer, die sich leise, aber angeregt unterhielten, doch war sein Blick direkt auf ihn gerichtet. In seinen Augen sah Mavis keine Freude, sondern mitfühlende Erkenntnis.

Blitzartig schoss es Mavis in den Kopf, dass der Captain der Einzige war, der ihn schon einmal in seiner erbärmlichen Verfassung gesehen hatte. Mavis hatte ihn gebeten, es für sich zu behalten und natürlich hatte der Captain niemanden etwas davon erzählt. Dennoch aber konnte Mavis jetzt deutlich erkennen, dass Tibak wusste, was er vorhatte. Sogleich verschwand sein Lächeln, wich im ersten Moment einer abwertenden, harten Maske, dann aber mischten sich Scham und Unbehagen hinzu, bevor er seinen Blick abwenden musste und er tieftraurig wurde.

Mit forschen Schritten ging er zu einer der Schlafkabinen des Schiffes und schloss die Tür hinter sich, während – jedoch unsichtbar für ihn – Kaleenas Blick auf ihn gerichtet war, die ihm in einer Mischung aus Irritation und Besorgnis nachschaute, weil sie das untrügliche Gefühl hatte, dass irgendetwas mit Mavis nicht so war, wie es sein sollte.

Während er den Türknopf mit der linken Hand noch fest umschlossen hielt, drückte er seinen Rücken kräftig gegen die Tür, als erwartete er, dass Jemand ihm folgen würde und er verhindern musste, dass diese Person hierher eindringen konnte.

Für einen Moment blieb er so beinahe unbeweglich stehen und schien zu lauschen. Doch das war ein Irrglaube, denn im Wesentlichen war er bemüht, seine Fassung zu bewahren, da die Flut an schmerzhaften Gefühlen, die er draußen noch versucht hatte, zurückzuhalten, in der Sekunde, in der er die Tür geschlossen hatte, gewohnt machtvoll und schonungslos über ihm zusammenbrach und an seinen Grundfesten rüttelte.

Seine Augen geschlossen, zuckten seine Lider hin und her, sein Atem ging unregelmäßig und ein leises Stöhnen entfuhr seiner Kehle. Im nächsten Moment musste er nach Luft schnappen und dabei zitterten seine Lippen unter schweren emotionalen Schüben. Er schniefte durch die Nase, während er die Lider jetzt fest zusammenkniff, um zu verhindern, dass die ersten Tränen hinaustraten. Dabei wurde sein Stöhnen jedoch lauter und weil er befürchtete, dass ihn Jemand hören konnte, riss er am Ende doch seine Augen und seinen Mund auf, um den inneren Druck abzuschwächen. Das gelang ihm auch, wenngleich er sofort spürte, wie die ersten Tränen an seinen Wangen hinabrannen.

Nur einen Moment später wurden seine Knie weich und er sank an der Tür entlang zu Boden, wo er mit angewinkelten Beinen zum Sitzen kam. Sein Oberkörper driftete nach vorn und er benutzte seine Arme, um seinen Kopf zu stützen und seine Hände, um sein Gesicht zu verbergen, als wolle er nicht, dass Jemand seine Tränen sehen konnte.

Er verharrte einen langen Moment in dieser Position und nur ein leises Wimmern und Schluchzen war von Zeit zu Zeit zu hören.

Dann richtete er seinen Oberkörper wieder auf und seine rechte Hand griff instinktiv in die innere Brusttasche seines Overalls. Einen Augenblick später kehrte sie mit einem Bild in den Fingern zurück. Mavis stütze seine Unterarme auf die Knie und nahm es sehr vorsichtig und beinahe andächtig in beide Hände. Das Bild war eine Fotografie und sie zeigte – natürlich – Melia. Mit breitem, fröhlichem Lächeln, funkelnden Augen und der strahlenden Aura einer wunderschönen Frau. In all den Jahren war es halb zerschlissen, wies Knicke auf, war hier und da schon ausgeblichen und doch war es der mit Abstand wertvollste Besitz, den Mavis besaß. Seine optische Erinnerung an die wunderbarste Frau, die er je kennenlernen, die er je lieben lernen durfte. So sehr, dass es für ihn keinerlei Zweifel darangab, dass er den Rest seines Lebens mit ihr verbringen wollte. Doch er war ein Narr gewesen, dass er je geglaubt hatte, auch Melia wäre dazu bereit. War sie für ihn auch das Beste, was ihm je passiert war, so musste das für sie selbst noch lange nicht gegolten haben. Geplant als Heiratsantrag vor beinahe der gesamten poremischen Bevölkerung, wurde sein Vorhaben zur absoluten Katastrophe, als quasi im selben Moment, da sie ihm ihr Nein auf seine alles entscheidende Frage vor die Füße schmetterte, der Himmel über ihnen allen aufbrach und die Hölle ausspie.

Während die Welt um sie herum in einem Feuersturm zu vergehen schien, verloren sie einander aus den Augen.

Als Mavis wiedererwachte, war Melia nicht mehr bei ihm. Obwohl das widerlichste Schlachtfeld, das man sich nur ausmalen konnte, nicht die leiseste Hoffnung auf eine andere Wahrheit zuließ, konnte und wollte Mavis nicht akzeptieren, was so offensichtlich war: Melia war in der ersten, vernichtenden Angriffswelle der Fremden getötet worden!

Nein, niemals! Das war der erste Gedanke, den er formulieren konnte, weil er tief in seinem Inneren doch noch so deutlich spürte, dass es nicht so war, sie sich nur aus den Augen verloren hatten, Melia lebte, sich nur verirrt hatte und sie sich wiedersehen würden, eines Tages, wenn dieser furchtbare Krieg vorüber war.

Doch nichts davon geschah. Melia blieb verschollen und Mavis hatte immer mehr Zweifel, dass sein Gefühl, dass sie noch lebte, wirklich vorhanden war, bis er sich schließlich selbst eingestehen musste, dass es nur die eigene Unfähigkeit war, die Wahrheit zu akzeptieren.

Seine schlimmen Verletzungen, die er sich bei dem Angriff der Fremden auf Kos Korros zugezogen hatte und die letztlich aus ihm einen Mann mit vollkommen anderem Gesicht gemacht hatten, den er selbst noch immer nur allzu oft als Fremden ansah, waren für ihn weitere Zeichen dafür, dass es für ihn keine Zukunft mehr geben würde.

Und doch gab es etwas, dass sich nicht überzeugen, sich nicht bekehren ließ, die Hoffnung niemals aufgab – und das war sein Herz.

Egal, wie oft er sich selbst sagte, dass Melia tot sei, egal, wie oft er sich selbst einen Narren schalt, dass er noch immer an sie dachte, egal, wie oft er versuchte, nicht an sie zu denken – sein Herz schlug noch immer mit einer so unendlichen Wucht, einer so übermäßigen Kraft und einem so wundervollen Rhythmus für sie, als würde es die grausamen Jahre des Krieges überhaupt nicht geben.

Liebe, Wärme, Hoffnung wogten durch seinen Körper und das alles mit einer so schmerzhaften Sehnsucht nach diesem wundervollsten aller Menschen, dass ihm regelmäßig alle Dämme brachen und er hemmungslos weinen musste.

So viele Jahre des Krieges hatte er überlebt, so viele Schlachten gefochten, so viele Male dem Tod ins Auge geblickt und ihm Paroli geboten, wusste Mavis doch, dass er hier einen Kampf führte, den er niemals mehr gewinnen konnte, weil er ihn schon vor so langer Zeit verloren hatte.

Sein Verstand wusste dies, doch sein Herz dachte gar nicht daran, dass zu akzeptieren und malträtierte seine Seele immer und immer wieder.

Und in jenen qualvollen Momenten wie diesem, wo er nur noch ein Schatten seiner selbst war, durchlebte er seine eigene, private Hölle, bis er schließlich – so wie jetzt – kraftlos einschlief, während er noch immer Melias Gesicht vor Augen hatte und die Liebe zu ihr spüren konnte.

Ja, es war ein beinahe grausames Ritual, das mit einer erschreckenden Regelmäßigkeit über ihn kam – und doch konnte Mavis es nicht nur verdammen, denn wenn er wiedererwachte, spürte er nur noch das wärmende Gefühl der Liebe in sich und eine Zuversicht, die er nicht greifen konnte, die ihn aber für eine gewisse Zeit stärker, schneller und besser machte.

Mavis hoffte, dass es auch dieses Mal so sein mochte, dann sank er endgültig in das Reich der Träume.

III

Sie verharrten abrupt, als sie das Quieken vor sich hörten und in jedem von ihnen stieg ein ekliger Hitzeschauer auf.

Melia und Kalipos, die die Vorhut bildeten, stockte sofort der Atem und sie blickten sich mit ernsten Mienen an. Chalek hinter ihnen starrte sie mit weit geöffneten Augen an, blieb aber ebenfalls ruhig.

Teres und Nimas, die nebeneinander gingen, stießen einen spitzen Schrei aus, doch als sie die mahnenden Blicke von Kalipos und Melia auf sich sahen, bissen sie sich auf die Zähne und stöhnten nur noch leise, aber sichtlich entsetzt. Nudik am Ende der Gruppe schaute nervös nach allen Seiten, doch konnte er nichts erkennen.

Dafür konnten alle ein weiteres Quieken vernehmen, das nun keinerlei Zweifel mehr offenließ: Eine dieser furchtbaren Insektenbestien musste sich in der Nähe befinden.

Drei Stunden hatten sie gebraucht, um die Hochebene in Richtung Osten zu durchqueren. Sie waren schnell, aber vorsichtig gewesen und hatten die östlichen Ausläufer des Gebirges vor wenigen Minuten erreicht. Den Weg zu finden, der sie durch den Tunnel zu dem Bergsee führen würde, über den sie vor Jahren hierhergekommen waren, war nicht schwierig, wenngleich er durch erheblichen Pflanzenwuchs ziemlich versperrt war.

Letztlich erreichten sie den Tunnel, durchquerten ihn und gerade, als sie ihn wieder verlassen hatten und in den schmalen Gang traten, der nach etwa zwanzig Metern abrupt vor dem Felsentrichter endete, an dessen Fuß sich der wundersame Bergsee befand, hörten sie dieses nur allzu bekannte Quieken.

Melia und Kalipos schauten sich nochmals an. Ihnen war klar, dass das Geräusch nur aus einer Richtung kommen konnte, dennoch waren sie etwas irritiert.

Sie deuteten den anderen an, zu bleiben, wo sie waren und Teres und Nimas zusätzlich mit einem weiteren mahnenden Blick, still zu sein.

Dann huschten sie lautlos weiter. Wenige Meter vor der Felsenkante wurden sie immer langsamer und drückten sich zu beiden Seiten des Ganges an die Felswände.

Jetzt konnten sie nicht nur weiteres Quieken hören, sondern auch das deutliche Platschen von Wasser. Als sie sich anschauten war beiden bewusst, was geschehen sein musste.

Doch obwohl schon klar war, was sie zu sehen bekommen würden, konnten beide nicht drum hin, sich in einer ruckartigen Bewegung nach vorn zu beugen und über die Felsenkante hinweg in die Tiefe zu schauen. Fünfzehn Meter unter ihnen erkannten sie eine Insektenbestie mitten in dem kleinen, gut gefüllten Bergsee. Sie war sichtlich nervös und ihre Klauen zuckten wild umher, obwohl deutlich zu sehen war, dass sie bequem in dem See stehen konnte. Das Wasser stand etwa zwei Meter hoch und reichte der Bestie bis zum Maul. Ansonsten schien das Monstrum unverletzt, wenn auch noch immer ziemlich verwirrt über den Sturz in die Tiefe. Die Anwesenheit der Menschen hatte sie noch nicht bemerkt.

Melia zog ihren Kopf wieder zurück und drückte sich fest an den Felsen. Fieberhaft überlegte sie, was jetzt zu tun wäre.

Die Tatsache, dass dort unten eine der Bestien war, war schon schlimm genug, dass sie den Sturz aber auch noch überlebt hatte, war absolut schlecht. Ihr widerliches Quieken war weithin zu hören und würde früher oder später Artgenossen anlocken. Melia war klar, dass sie das nicht zulassen durften. Folglich gab es nur eine sinnvolle Lösung. Sie warf Kalipos einen Blick zu und erkannte darin noch Unschlüssigkeit, doch Melia zögerte nicht.

In einer fließenden Bewegung nahm sie ihr Impulsgewehr aus der Lederscheide in ihrem Rücken und aktivierte es. Mit einer kurzen Handbewegung wechselte sie die Schussfunktion auf den integrierten Granatwerfer unterhalb des Laufs. Dann schaute sie wieder zu Kalipos. Der Anführer blickte ernst und irgendwie durch sie hindurch. Sie erkannte, dass er nachdachte, das Für und Wider abwog und sie ließ ihm diese paar Momente, da sie nicht ohne seine Zustimmung schießen würde. Sein Blick aber wurde schnell wieder klar und er nickte ihr zu, gab ihr aber zu verstehen, auf sein Kommando zu warten.

Kalipos schob seinen Oberkörper wieder über den Felsenrand und schaute in die Tiefe, doch das Monster war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass es nach oben blickte. Er wandte sich an Melia, nickte und formte mit den Lippen lautlos das Wort Okay.

Melia schloss kurz ihre Augen und atmete durch, dann griff sie die Waffe fester, drückte den Lauf gegen ihre rechte Schulter, wirbelte herum, richtete ihn nach unten und visierte die Bestie an.

Doch gerade in dem Moment, da sie abdrücken wollte, hörte sie neben sich ein weiteres Quieken. Instinktiv hielt sie inne und ihr Kopf zuckte nach rechts.

Einen Wimpernschlag später warf sie sich in einer ruckartigen Bewegung zurück gegen die Felswand. Während Kalipos sie erstaunt anstarrte, spürte sie eine widerliche Hitzewelle in sich aufsteigen.

Einen Augenblick später hörte auch er, was sie so entsetzt hatte und erstarrte ebenfalls.

Und noch einen weiteren Moment später war da ein vollkommen anderes Geräusch zu hören. Es war dumpf, wurde schnell lauter, hatte einen schnellen Rhythmus – und es kam aus dem See in der Tiefe.

Mit wild klopfendem Herzen schob Melia ihren Oberkörper bis an den Felsenrand und spähte hinunter.

Ihre dunkle Vorahnung sollte sie nicht getäuscht haben. Deutlich war zu sehen, wie die Wasseroberfläche in dem kleinen See zu sprudeln begann. Das dumpfe Dröhnen wurde rasend schnell lauter und zu einem gespenstischen Fauchen.

„Oh Scheiße!“ entfuhr es ihr langgezogen und sichtlich geschockt.

Dann mischte sich in das Fauchen das Kreischen der Bestie und im selben Augenblick schoss der Wasserspiegel schlagartig in die Höhe.

Tu es! schoss es Melia in den Kopf und ohne zu Zögern wirbelte sie wieder zurück in Richtung See, drückte gleichzeitig den Knauf der Waffe gegen ihre rechte Schulter.

Doch kaum realisierte sie die Situation erneut, stieg panisches Entsetzen in ihr auf, als sie die monströse Bestie quiekend und um sich schlagend auf sich zu rauschen sah. Ihr ganzer Körper verkrampfte sich unwillkürlich.

Melia musste sich förmlich zwingen, zu handeln, aber ihr Überlebenswille war letztlich stärker. Sie visierte ihr Ziel nur kurz an, dann drückte sie ab.

Das Projektil aus der Waffe donnerte quasi ohne Verzögerung in den Rumpf der Kreatur und detonierte augenblicklich. Zu diesem Zeitpunkt befand sie sich nur noch weniger als einen Meter unterhalb der Felsenkante. Sie schrie schmerzhaft auf, als das Geschoss ihren Panzer durchschlug, doch war das Rauschen des Wassers mittlerweile so laut, dass es kaum noch zu hören war.

Einen Wimpernschlag später jagte die tödliche Energie der Sprengkapsel nach außen und zerfetzte den Rumpf der Bestie, ließ ihn wie einen Luftballon zerplatzen.

Während die Flutwelle aus dem See über die Felskante hinwegstieg und sich in ihre Richtung bewegte, schossen die zerfetzten Körperteile der Kreatur auf sie zu und klatschten schließlich zusammen mit dem Wasser wuchtig gegen sie.

Melia, aber auch die anderen, hatten Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Instinktiv hatte sie sich zwar weggedreht, doch spürte sie deutlich, wie Knochen und Innereien über sie hinwegschwappten.

Obwohl sie sogleich widerlicher Ekel befiel, stieß sie nur einen kurzen Schrei aus. Kalipos und Chalek waren nicht zu hören, auch Nudik nicht. Wohl aber Teres und vor allem Nimas schrien erbärmlich auf.

Dennoch glaubte Melia nicht, dass sie bei dem Rauschen des Wassers sehr weit zu hören waren, ebenso, wie sie ziemlich sicher war, dass auch die Explosion der Granate weitestgehend überdeckt worden war.

Im nächsten Moment war die Flutwelle über sie hinweggerauscht. Mit dem Blick auf einen blutdurchtränkten Boden auf dem sich Gedärme und weitere Körperteile der Bestie verteilten, wirbelte Melia wieder herum und richtete sich gänzlich auf.

Sie suchte sofort Kalipos, doch als sie sah, dass er von oben bis unten von Insektenblut übergossen war, erstarrte sie. Ebenso ihr Gegenüber, als er sie erblickte und da wusste sie, dass sie nicht viel besser aussah.

Im nächsten Moment registrierte sie, dass ein Teil des Wassers wieder in den See zurückfloss und dabei Blut und Körperteile des Monsters mit sich nahm.

Nein! schrie sie innerlich auf, doch konnte sie es nicht verhindern. Jetzt war vollkommen egal, ob die Kreaturen auf der anderen Seite der Felswand mitbekommen hatten, was geschehen war, denn spätestens beim Anblick dieser Brühe würden sie wissen, dass etwas nicht stimmte.

Melias Verstand arbeitete auf Hochtouren. Die Felswand zwischen ihnen war zu hoch und zu steil, als dass die Monstren darüber hinweg hätten klettern können. Auch der Sprung in den fast leeren See würde für ihre Feinde nichts bringen, denn es würde jetzt wieder Stunden dauern, bevor die geheimnisvolle Druckwelle aus dem Inneren das Wasser erneut in die Höhe peitschte. Natürlich konnten die Bestien versuchen, an den Felswänden entlang auf ihre Seite zu klettern – Melia schloss absolut nicht aus, dass sie es in ihrer unersättlichen Fressgier tatsächlich versuchen würden – doch bezweifelte sie, dass ihre Klauen wirklich hart genug waren, um diesen Fels zu durchdringen, um genügend Halt an ihm zu finden.

Nein, all das war weder sinnvoll noch Erfolg versprechend. Doch nichts davon würden die Bestien auch tun müssen. Es reichte schon aus, zu wissen, dass hier Menschen waren. Sie mussten dann nur umkehren und Verstärkung holen. Und dann würden sie in ihrer grausamen Blutgier sicherlich Mittel und Wege finden, zu ihnen auf das Hochplateau zu gelangen.

Nein, Melia war sich sofort klar bewusst, dass sie etwas tun mussten, um genau das zu verhindern.

Schon konnte sie von der anderen Seite der Felswand erst überraschte und irritierte, dann aufgeregte und wütende Rufe hören. Ihr Feind hatte die Gefahr gerochen, es blieb keine Zeit mehr für sie.

Und plötzlich hatte Melia eine Idee. Wahnwitzig und lebensgefährlich, aber nicht unmöglich und deshalb zögerte sie keine Sekunde.