Geschichten von der Bibel - Michael Köhlmeier - E-Book
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Geschichten von der Bibel E-Book

Michael Köhlmeier

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Beschreibung

Die Bibel ist Gottes Wort – aber das Alte Testament ist zugleich die grandioseste Geschichtensammlung der Weltliteratur. Michael Köhlmeier, der begnadete Erzähler, führt uns von der Erschaffung der Welt, dem Brudermord von Kain und Abel über die Sintflut und den Turmbau zu Babel bis zu Moses' Einzug in das Gelobte Land.

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www.piper.de

Die Texte dieses E-Books erschienen zuerst in zwei Büchern:

»Geschichten von der Bibel. Von der Erschaffung der Welt bis Josef in Ägypten« (TB 23162) und »Moses. Geschichten von der Bibel« (TB 23417).

ISBN 978-3-492-97235-2

August 2015

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2003

Covergestaltung: semper smile, München

Covermotiv: Michelangelo (»The Fall of Man«, 1510; Detail aus dem Decken-Fresko der Sixtinischen Kapelle, Vatikanische Museen, Rom; The Bridgeman Art Library, London)

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

ERSCHAFFUNG DER WELT

Von den Redaktoren der Bibel – Von Apsu und Tiamat – Von allen Ideen – Vom Krieg Marduk gegen Tiamat – Von den Tätowierungen auf dem Unterarm Gottes – Von Beth und Aleph – Von den großen sieben Tagen – Von Luzifer – Vom Garten Eden – Vom Sohn der Morgenröte – Von Gottes Eigentum

Wo beginnen? Bei Adam und Eva? Freilich, dort war unser Anfang. Aber doch nicht der Anfang aller Dinge. Soll die Erzählung dort beginnen, wo Gott seinen Siebentagesplan umzusetzen begann? Als er Licht werden ließ über dem Chaos, über dem Tohuwabohu?

An diesem Punkt beginnt die Bibel. Und es hat sicher etwas Verlockendes für den modernen Menschen, der an die Spekulationen der Physik nicht weniger glaubt als die Alten an die Spekulationen der Mythen, sich diesen ersten Schöpfungsakt als dimensionslosen Punkt vorzustellen – wobei uns gar nicht auffällt, daß das Wort Urknall viel eher dem Wortschatz der Mythologie als der Physik eignet.

Die Genesis, das erste Buch Mose, ist der archaischste Teil der Bibel und vielleicht der schönste. Die Verbindung von bunter Lebendigkeit auf der einen und menschenferner Kargheit auf der anderen Seite hat wie kein anderer Text vorbildhaft auf die abendländische Literatur gewirkt, und das bis zum heutigen Tag.

Als ich zum ersten Mal die Genesis las – ich war damals im Internat, ich war krank, und im Krankenzimmer gab es nur ein Buch, nämlich das Buch der Bücher, und um mir die Langeweile während der Genesung zu vertreiben, las ich darin –, schon damals wunderte ich mich. Ich wunderte mich über die Kürze des Schöpfungsberichts. Gibt es über die Erschaffung der Welt nicht mehr zu erzählen?

Und dann: Es liegen zwei sich im Ablauf widersprechende Berichte vor. Im ersten Bericht wird der Mensch am letzten Tag erschaffen, nachdem bereits alle Tiere und Pflanzen gemacht worden waren. Im zweiten Bericht ist der Mensch vor den Pflanzen und den Tieren da. Wovon hat er sich ernährt? Gut, es handelte sich nur um zwei, drei Tage, so lange hält man es ohne Essen aus.

Aber das ist längst nicht alles. Widersprüche über Widersprüche: Da wird am ersten Tag das Licht herbeibefohlen, und erst am vierten Tag wird die Sonne erschaffen. Wußten die Alten nicht, daß unser Licht von der Sonne stammt? Kaum anzunehmen.

Aber wie gesagt, am meisten wunderte ich mich über die Kürze des Schöpfungsberichts. Da hat sich der Erzähler etwas vergeben. So dachte ich, und so denke ich bis heute. Und angenommen, es ist wirklich so, wie unser Religionslehrer wußte, daß nämlich in der Bibel Gott selber zu uns spricht, dann wunderte es mich um so mehr. Ich an Gottes Stelle hätte doch über die Erschaffung der Welt, was doch immerhin sein Hauptwerk war, ein wenig ausführlicher berichtet. Ist Gott so bescheiden? Diesen Eindruck hatte ich nicht, ganz im Gegenteil. Je weiter ich in die Genesis hineinlas, desto deutlicher wurde mir, daß Gott alles andere als bescheiden war. Es gab ja auch gar keinen Grund zur Bescheidenheit.

Es blieb der Eindruck: Die Erschaffung der Welt liest sich in der Bibel wie eine Inhaltsangabe. Nur daß eben das Buch zur Inhaltsangabe fehlt.

Warum ist das so?

Wenn man sich die Sagen und die Mythen, die Legenden und Märchen ansieht, die von allem Anfang an um die biblischen Geschichten waren wie das Wasser um eine Insel, dann erfahren wir, daß über die Erschaffung der Welt ursprünglich in ebenso bunten, üppigen Bildern erzählt worden war wie in den folgenden Geschichten – zum Beispiel über Jakob und seine Söhne oder das Leben des Josef am Hof des Pharaos.

Die mythologische Buntheit war offensichtlich ein theologisches Ärgernis. Die Mythen erzählten nämlich von Göttern, von vielen Göttern mit verschiedenen Interessen, die keine für alle verbindliche, eben auch für den Menschen verbindliche Moral kannten. Die Theologen dagegen wollten den einen, den einzigen Gott, dessen Gebote verbindlich waren wie das Gesetz.

Die Bibel ist ja mehr eine Bibliothek als ein Buch. Verschiedene Autoren haben zu verschiedenen Zeiten ihre Beiträge geliefert. Die Redaktoren waren eifersüchtig darauf bedacht, alles auszumustern, was auch nur den Gedanken aufkommen ließ, daß es neben dem Einen noch andere Götter gab oder je gegeben hat. Man könnte es auch so ausdrücken: Sie waren ebenso eifersüchtig wie ihr Gott. Manchmal allerdings unterliefen ihnen Unachtsamkeiten.

In den Geboten, die Moses von Gott auf dem Berg Sinai empfangen hat, heißt es an dritter Stelle: »Du sollst dich nicht vor den anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott.«

Warum sollte er eifersüchtig sein, wenn es ohnehin nur ihn gab?

Oder noch deutlicher im fünften Buch Mose, dem sogenannten Deuteronomium. Da heißt es: »Denn der Herr, euer Gott, ist der Gott über den Göttern und der Herr über den Herren.«

Oder: Gott wird in der Genesis entweder Jahwe genannt oder Elohim. Elohim ist der Plural von El, und man kann es drehen und wenden wie man will: Elohim heißt »die Götter«.

Die Doktrin des Ein-Gott-Glaubens führte dazu, daß alles – oder eben fast alles! – aussortiert wurde, was an Vielgötterei erinnerte. Deshalb wirkt die Schöpfungsgeschichte in der Bibel so abstrakt, so dürr.

Aber worauf der Theologe seinen Bannstrahl richtet – und wofür der Historiker ohnehin nur ein Achselzucken übrig hat –, dort vermutet der Mythologe, der Erzähler, Interessantes …

Die biblischen Geschichten waren eingebettet und erwuchsen aus einem mythischen Umfeld. Zu diesem Umfeld gehört auch »Enuma Elisch«, das babylonische Schöpfungsgedicht. Seine Entstehung datiert um 1700 vor Christus. Aus diesem Gedicht kann man die folgende Geschichte erfahren.

Am Anfang waren Apsu, der Vater, und Tiamat, die Mutter. Tiamat war das Meer, das salzhaltige Wasser. Sie war geschmückt und umgeben von einem Mantel. Dieser Mantel war die Erde. Die Erde war ihr Hochzeitskleid.

Apsu, ihr Gemahl, ihr Geliebter, war das süße Wasser, das Wasser des Himmels. Sein Hochzeitskleid waren die Wolken. Und wenn sich Apsu und Tiamat einander entgegenneigten, wenn sie sich liebten, dann fiel der Regen auf die fruchtbare Erde, und aus der Erde wuchsen die Blumen und die Bäume und die Gräser und die Früchte an den Bäumen.

Und wenn Apsu seine Geliebte Tiamat umarmte und wenn er sich auf sie niederlegte und sie miteinander schliefen, dann wurde Tiamat jedesmal schwanger. Und sie gebar jedesmal ein Wesen. Und jedes Wesen war von neuer Art und unvergleichlich und hatte nichts zu tun mit den Wesen, die schon geboren waren, und nichts mit den Wesen, die noch geboren wurden. Alles, was ist bis zum heutigen Tag, ist damals geworden. – Fast alles …

Es waren Wesen in einem larvenhaften Zustand. Man könnte sagen: in einem Zustand der Idee. Natürlich fällt mir Platons Ideenlehre ein, nämlich daß vor den Dingen in ihrer Konkretheit bereits die abstrakten Ideen waren. Und diese Ideen wurden von Apsu und Tiamat geschaffen.

Es waren große Ideen darunter – die Idee der Liebe, die Idee des Krieges, die Idee des Todes, die Idee der Hoffnung, die Idee des Lichts, die Idee der Zeit. Aber auch die Ideen ganz banaler Dinge waren darunter, wie die Idee eines Tisches oder die Idee des Dreiecks, die Idee des Tannenzapfens, der Fahrradglocke, des Schnürsenkels, des Computerchips. Alles, was je werden wird, wurde damals in ideenhafter Form vorgeprägt.

Diese Ideen bevölkerten die Erde, bevölkerten das Meer, die Lüfte. Und sie machten Lärm. Die waren laut. Sie stritten sich um die besten Plätze. Sie waren aufmüpfig. Vorlaut waren sie. Rücksichtslos. Sie waren nicht Bruder und Schwester. Sie bestanden jeder für sich. Jede Idee war eine Welt. Jede Welt stritt gegen die andere.

Irgendwann wurde es dem Vater Apsu zuviel. Es wurde ihm zu laut. Er sehnte sich zurück nach der Zeit, als er mit seiner Geliebten, mit seiner Gemahlin Tiamat, allein gewesen war. Er besprach sich mit Tiamat.

»Was haben wir mit denen zu schaffen?« fragte er.

»Ich habe sie geboren«, sagte Tiamat. »Du hast sie gezeugt.«

»Aber lieben wir sie deshalb?« fragte er.

»Nein«, sagte sie.

Und sie beschlossen, all diese Wesen wieder aus ihrer Welt zu entfernen.

Sie sagten sich: »Wir werden unsere Wasser heftig vereinen.«

»Du, Tiamat, läßt das Meer steigen«, sagte Apsu.

»Du, Apsu, läßt all deinen Regen fallen«, sagte Tiamat.

Sie planten so etwas wie die erste Sintflut. Sie brachten die Idee der Sintflut hervor. Denn nichts anderes als hervorbringen konnten sie. Jedes Wort war eine Hervorbringung. Und jedes Wort war im Grunde erst die Idee dieses Wortes.

Sie wollten all diese Wesen in ihren Wassern ertränken und von nun an schweigen und lieben.

Aber da gab es einige Wesen, die bereits relativ gut ausgebildet waren. Zum Beispiel die Idee des Aufruhrs. Wenn ich sage, dieses Wesen war relativ gut ausgebildet, dann heißt das, es besaß über den abstrakten Begriff hinaus einen Namen.

Der Name des Aufruhrs war Ea.

Ea stellte sich Apsu entgegen. Und Ea tötete Apsu. Wie hat er das gemacht? Es ist, als ob allein schon die Frage Ea eine Form gibt, nämlich eine menschliche Form.

Ea hat seinen Säbel genommen und hat ihn mit so ungeheurer Geschwindigkeit über dem Kopf gedreht, daß er auf diese Weise den Regen wie mit einem Schirm abgehalten hat. Ea hat seinen Vater Apsu kastriert, und Apsu ist verblutet. Das wiederum erinnert uns an die griechische Mythologie, an den Titanen Kronos, der seinen Vater Uranus, nämlich den Himmel, kastrierte.

Tiamat war nun voll Zorn und Trauer. Sie überschwemmte und zerschmetterte Ea. Aber Ea, der Aufruhr, hatte einen Sohn, er hatte ihn gezeugt mit dem Haß, und dieser Sohn hat nun schon bedeutend konkretere Züge.

Dieser Sohn heißt Marduk, und er verkörperte den Krieg. Wenn ich sage, er hatte konkretere Züge, so heißt das, er hatte nicht nur einen Namen, sondern auch ein Gesicht, menschliche Züge. Marduk besaß sogar zwei Gesichter, eines vorne und eines hinten. Das vorne zeigte einen Mann, das hinten eine Frau. Vier Augen, vier Ohren. Marduk sah alles, hörte alles.

Marduk, der Krieg, rüstete zum Kampf gegen Tiamat. Er warb unter den Wesen, die in der Welt herumschwirrten, er scharte viele um sich. Aber auch Tiamat rüstete zum Kampf, auch sie versammelte Wesen um sich. So entstanden zwei Heere. Alles, was war, teilte sich auf, die einen waren für Marduk, die anderen für Tiamat.

Es kam zum Kampf. Im Lied heißt es, Marduk habe sich vorher eine rote Paste auf die Lippen geschmiert. Er hat sich geschminkt, hat sich unheimlich gemacht, um Tiamat Angst einzujagen. Und er hat sich Kräuter um die Handgelenke gewickelt, um sich vor Gift zu schützen. Ein König war er, ein General. Um sein Haupt loderte eine Flammenkrone. Seine Offiziere waren die sieben Winde, mit ihrer Hilfe wollte er das Meer aufwühlen.

Tiamat, die Urmutter, dagegen war mit Pfeil und Bogen ausgerüstet, sie brauste in einem prachtvoll geschmückten Kampfwagen daher.

Zuerst beschimpften sie einander und verfluchten sich. Dann kam es zum Kampf. Die Heere mischten sich. Marduk, der Krieg, war stärker als Tiamat, die Urmutter. Marduk warf sein Netz über sie und rang sie nieder. Er knebelte Tiamat, bis sie sich nicht mehr rühren konnte. Dann beugte er sich über sie und blies ihr in die Nase, so heftig, daß ihre Gedärme zerrissen und ihr Bauch aufplatzte. So verendete Tiamat.

Dann spickte Marduk den Leib der Urmutter mit seinen Pfeilen, fesselte die Leiche und schnitt sie der Länge nach entzwei. Die eine Hälfte hob er nach oben und hielt so die Wasser des Himmels zurück. Die andere senkte er nach unten und hielt so die Wasser der Erde zurück. Und so führte er die Trennung von oberem Wasser und unterem Wasser noch einmal aus, diesmal nach seiner Maßgabe. Aber auch Marduk war im Kampf verletzt worden, und auch er starb.

Ich sagte, Marduk und Tiamat haben vor dem Krieg all diese irrlichternden Wesen, diese wesenhaften Ideen, um sich geschart und aufgeteilt in zwei Heere. Sie alle, sagte ich, haben an diesem Krieg teilgenommen, entweder auf der Seite Marduks oder auf der Seite Tiamats. Das war nicht ganz richtig.

Es gab ein Wesen, dieses Wesen repräsentierte die Idee der Zeit, und dieses Wesen, eben weil es die Zeit repräsentierte und sowohl Vergangenheit als auch Gegenwart als auch Zukunft war und deshalb voraussah, daß der Krieg mit der Vernichtung oder Beschädigung aller enden wird, deshalb beteiligte sich dieses Wesen nicht an diesem Krieg.

Dieses Wesen hat ebenfalls eine Entsprechung in der griechischen Mythologie, nämlich Prometheus. Auch Prometheus beteiligte sich nicht am ersten Krieg, dem Krieg der Titanen gegen die Götter. Er, der Voraussehende, repräsentierte die Idee der Zeit, auch er wußte, wie dieser Krieg enden wird.

Die Zeit also stand abseits und sah zu, wie die anderen stritten. Da flogen die Späne, da spritzte das Blut, und um nichts abzubekommen, um sich nicht zu beschmutzen, hob dieses Wesen den Unterarm vor das Gesicht, und sein Unterarm wurde beschmutzt vom Blut der Kämpfenden.

Als der Krieg zu Ende war, waren alle Wesen entweder ausgelöscht oder verwundet – bis auf eines, und dieses eine Wesen war die Zeit, und sie gab sich einen Namen und nannte sich Jahwe, das heißt Ich-bin-der-ich-Bin oder Ich-bin-Da.

Wir sagen: Gott.

Der Geist Gottes, so heißt es am Beginn der Genesis, schwebte über dem Chaos, dem Tohuwabohu.

Tohu und Bohu, das sind der Abgrund in die Finsternis und der dünne Lichtstrahl am Horizont, die Hoffnungslosigkeit und die Hoffnung – Gegensätzlichkeit, potentielle Dynamik. Das Chaos enthält alles, aber alles in ungeordneter Form.

Als er über diesem Chaos schwebte, entschloß sich Gott, das Chaos neu zu ordnen. Aus den Sagen, Mythen, Legenden, Märchen, die die Bibel wie Schatten von Anfang an umschwirren, erfahren wir, Gott habe die Dinge dieser Welt nicht erschaffen, sondern lediglich geordnet. Erschaffen habe er nur eines.

»Ein Reich will ich gründen«, sagte er, »das so ewig ist wie die Zeit und so prächtig, daß die Zukunft, ohne sich zu schämen, zurück in die Vergangenheit blicken kann.«

Als er sich nun ein Bild machte von der Situation, merkte er, daß die Haut an seinen Unterarmen zu jucken begann. Und da erst sah er, daß sich das Blut der Krieger, das auf seinen Unterarm gespritzt war, zu Buchstaben formiert hatte, zu Schriftzeichen, die aussahen wie Tätowierungen.

Und diese Schriftzeichen auf seinem Unterarm begannen mit Gott zu reden.

»Wir wollen dir helfen«, sagten sie.

»Warum denkt ihr, ich könnte eure Hilfe brauchen?« fragte er.

»Du willst fertig werden mit dem, was vom Krieg übriggeblieben ist«, sagten die Schriftzeichen auf seinem Arm. »Und wir, wir stammen ab von dem, was übriggeblieben ist.«

Das sah Gott ein.

»Gut«, sagte er, »ich will eure Hilfe annehmen.«

»Beginn deine Schöpfung mit mir!« riefen da die Schriftzeichen durcheinander. »Mit mir! Mit mir!«

Was soll das? Was wollten sie? Mit einem Machtwort kann Gott alles zu dem machen, was es von da an sein wird. Und der erste Buchstabe dieses Machtworts, das wollte jeder Buchstabe auf dem Unterarm Gottes sein.

Den hebräischen Buchstaben entsprechen Zahlenwerte, je weiter zum Ende des Alphabets hin, desto höhere Zahlen bezeichnen sie. Die letzten Buchstaben bildeten sich ein, sie seien, weil sie die höchsten Zahlen repräsentierten, auch die wichtigsten. Sie stellten Bedingungen. Unverschämt waren sie, größenwahnsinnig. Jeden einzelnen Buchstaben hörte er sich an. Und er war nicht zufrieden.

Gott wischte sie vom Arm: »Mit euch will ich meine Schöpfung nicht beginnen!«

Am Ende blieben nur zwei Buchstaben übrig. Das Beth und das Aleph. Beth ist der zweite Buchstabe, und er symbolisiert die Zahl zwei. Außerdem ist er auch das Symbol für das Haus.

Beth sagte: »Mach deine Schöpfung, wie sie dir vorschwebt, aber bau sie wie ein Haus.«

»Warum?« fragte Gott.

»Weil das Haus etwas Gutes ist.«

»Warum?«

»Weil das Haus etwas Sicheres ist.«

»Warum?«

»Weil es das Gegenteil von Chaos ist. Es enthält alles, aber alles ist geordnet. Deine Schöpfung wird nur dann gut sein, wenn sie in der Lage ist, das Gegensätzliche, das im Chaos enthalten ist, zu vereinen.«

Beth, die Zahl zwei, sagte das.

»Bau deine Schöpfung nach dem Prinzip der Zahl zwei, nach dem Prinzip Beth! Dann erst wird sie ewig sein wie die Zeit.«

Das gefiel Gott, und er sagte: »Ich werde meine Schöpfung mit dir beginnen.«

Dann wandte er sich dem Aleph zu und fragte: »Was ist mit dir, was kannst du mir bieten?«

Aleph sagte: »Ich bin das Eins, aus mir kann nichts entstehen, ich bin das Alles und das Nichts. Ich grenze an nichts an, ich bin nur für mich, ganz allein. Mit dem Chaos habe ich nichts zu tun. Mit dem Chaos will ich nichts zu tun haben.«

»Womit hast du zu tun?« fragte Gott. »Womit willst du zu tun haben?«

»Mit dir«, sagte das Aleph. »Nimm mich, und mach mich zu deinem Zeichen!«

Das gefiel Gott. Er nahm Aleph als sein Zeichen. Gott ist das Eins. Er ist der Einzige. Neben ihm ist keiner. Keiner grenzt an ihn an. Er ist das Alles und das Nichts. So begann Gott, das Chaos zu ordnen.

Anders, als uns in der Bibel erzählt wird, erzählen die Mythen und die Sagen, er habe nicht von Anfang an gewußt, wie er das machen soll. Er probierte. Probierte und war immer darauf bedacht, das Versprechen, das er Beth gegeben hatte, einzuhalten: Alles sollte nach dem Prinzip der Einheit der Gegensätze gestaltet werden.

Zunächst knetete er Feuer und Schnee. Aber die beiden waren einander gegensätzlich, und ihr Antagonismus war nicht fruchtbar. Dann hängte er sieben Himmel und sieben Meere an seine Arme und wollte sie durch Schaukelbewegung vereinen. Das Ergebnis befriedigte ihn nicht.

Ein besonders gefinkelter Mythologe hat ausgerechnet, daß Gott erst nach neunhundertvierundsiebzig Versuchen so etwas wie eine brauchbare Weltschöpfungsstrategie gefunden habe. – Wie das ein Mensch ausrechnen kann? Keine Ahnung!

Aber schließlich hatte Gott eine Vorstellung gewonnen, wie das Chaos geordnet werden könnte. Er faßte einen Plan. In sieben Tagen sollte die Welt erschaffen sein.

Bevor wir näher auf diesen Plan eingehen, wollen wir das Chaos noch einmal betrachten. Woraus bestand das Chaos? Aus zerschlagenen, angeschlagenen, verletzten, entmachteten Teilen der früheren Welt, der Welt von Apsu und Tiamat. Und diese Teile hatten jedes für sich eine Wesenheit, jedes Teil stand für eine Idee. Die stärkste aller Ideen, eben weil sie sich nicht an dem Krieg beteiligt hatte, war die Idee der Zeit, aus ihr war Gott hervorgegangen. Aber die anderen, die besiegten, verwundeten, entmachteten Wesen, waren ebenfalls noch da, sie irrten beziehungslos herum, und diese Beziehungslosigkeit war das Chaos.

Das stärkste dieser herumirrenden Wesen repräsentierte die Idee des Lichts, sein Name war Helel ben Schachar, der Sohn der Morgenröte, Träger des Lichts. Er war der gefährlichste Konkurrent für Gott. Um einen Streit und einen neuen Krieg zu vermeiden, machte Gott Helel ben Schachar zu seiner rechten Hand, zu seinem Liebling, zu seinem Stellvertreter. – Punkt eins in Gottes Plan hatte diese Vereinbarung zum Inhalt.

Darum heißt es: Am ersten Tag schuf Gott das Licht.

Helel ben Schachar – was für ein schöner Name! Als ich ihn zum ersten Mal las, habe ich ihn den ganzen Tag halblaut vor mich hin gesprochen. Es hat sich allerdings eingebürgert, ihn bei seinem lateinischen Namen zu nennen. Licht heißt lux, tragen heißt ferre: Es ist Luzifer.

Am zweiten Tag trennte Gott die Wasser voneinander, trennte das obere vom unteren und hob die Erde aus dem Meer.

Am dritten Tag machte er etwas, was jeder Architekt, jeder Städteplaner macht, nämlich ein Modell. Er stellte sich auf die Erde und zirkelte ein Gebiet ab, so groß, wie sein Blick reichte. Hier sollte im Kleinen ein Prototyp der Schöpfung entstehen: der Garten Eden. Das Ideal. Das Paradies.

Er wollte ein Ideal schaffen. Gegen die Vereinbarung mit Beth, dem zweiten Buchstaben, wollte Gott ein Ideal schaffen.

Beth hatte ihn gewarnt: »Nicht das Ideal, sondern das Unfertige, das, was ewig im Entstehen begriffen ist, das sollst du machen.«

Wenigstens ausprobieren wollte Gott das Ideal, wenigstens ausprobieren! Etwas Schöneres als Eden hat es nie gegeben und wird es nie mehr geben! Eden war dunkel, und was dunkel ist, kann schön sein, seine Schönheit nützt niemandem. Darum bat Gott den Luzifer, er möge dem Paradies Licht geben.

Luzifer betrat den Garten, prächtig war der Liebling anzuschauen, geschmückt war er mit Diamanten und Jasminen, mit Saphiren und Kristallen, und er gab dem Garten Eden sein wunderbares Licht. Luzifer stand in der Mitte des Gartens, dort, wo Gott gestanden hatte, als er den Garten schuf. Er stellte sich in die Fußstapfen Gottes und verströmte sein Licht. Und da sah er, daß die Fußstapfen Gottes nur um ein Geringes größer waren als seine Füße.

Da dachte sich Luzifer: »Ein schöner Garten. Ja. Nie hat es etwas Schöneres gegeben. Nie wird es etwas Schöneres geben. Ja. Aber! Ohne mich ist diese Schönheit wie nichts. Ich, ich allein gebe diesem Garten seine wahre Schönheit!«

Und er betrachtete wieder die Fußabdrücke Gottes.

Und er dachte: »Nur um ein Winziges sind seine Füße größer als die meinen. Man wird es nicht merken.«

Und Luzifer beschloß, sich gegen Gott zu erheben.

Er rief hinaus in die weite, neue Welt: »Ich werde mich auf Gottes Thron setzen! Ich werde herrschen!«

Luzifer dachte wohl, einige dieser anderen Wesen, die nach dem Krieg im Chaos herumgeirrt waren, die Gott hinter sich geschart hatte, würden von Gott abfallen und sich auf seine Seite stellen. Und vielleicht wäre das ja auch geschehen, und alles, was ist bis zum heutigen Tag, würde unter der Herrschaft Luzifers stehen, wenn da nicht eines dieser Wesen auf der Stelle widersprochen hätte, ein Engel mit einem Flammenschwert in der Hand.

Der schrie Luzifer an: »Wer ist wie Gott?«

Und damit hat er sich seinen Namen gegeben. Denn Wer-ist-wie-Gott heißt Michael. Es war der Erzengel Michael.

Und Gott schmetterte seinen Blitz auf Luzifer, und Luzifer stürzte nieder. Und sein Sturz eröffnete die Hölle, und dahinein stürzte Luzifer. Dort lag er verwirrt, voller Haß und Zorn und auch voller Trauer, und dort liegt er bis zum heutigen Tag.

Im Sturz riß er ein Stück des lebendigen Himmels mit sich. Nur mühsam wuchs diese Wunde des Himmels wieder zusammen. Durch diese Narbe schimmert die Herrlichkeit Gottes. Noch heute können wir diese Narbe am klaren Nachthimmel sehen: Das ist die Milchstraße.

Und dieses Stück Himmel in seiner Hand ermöglichte dem Luzifer in Zukunft, wann immer er wollte, in den Himmel zu steigen. Ohne dieses Stück Himmel in Luzifers Hand hätte Goethe sein wichtigstes Bühnenstück anders konzipieren müssen, jedenfalls ohne den Prolog im Himmel.

Am vierten Tag, so lesen wir in der Bibel, schuf Gott die Sonne. Das Licht war mit Luzifer gefallen. Aber die Welt sollte gesehen werden. Deshalb schuf Gott die Sonne. Ein neues Licht für seine Schöpfung.

Dann schuf er die Pflanzen und die Tiere.

Da juckte die Haut auf seinem Unterarm, und es meldete sich der Buchstabe Beth.

Beth sagte: »Siehst du, wo du im Garten Eden gestanden bist, dort wächst ein Baum. Dieser Baum wächst aus deinen und aus Luzifers Fußspuren. Dieser Baum soll dich immer daran erinnern, daß du mir versprochen hast, deine Welt nach meinem Prinzip zu erschaffen, nämlich nach dem Prinzip der Vereinigung der Gegensätze. Es gibt das Ideal nicht. Dieser Baum inmitten des Paradieses wird Früchte tragen, und die Früchte werden das Gute und das Böse enthalten. Und wer davon ißt, der wird das Gute und das Böse erkennen.«

Am Morgen des sechsten Tages besah sich Gott sein Werk und sagte sich: »Ich habe die Erde neu geordnet. Ich habe den Himmel neu geordnet. Ich habe die irrlichternden Wesen unter meiner Krone vereint, habe Engel und Erzengel aus ihnen gemacht, und nur einer ist von mir abgefallen. Und ich habe das Gute und das Böse voneinander getrennt.«

Und dann mußte er sich eingestehen: »Ich habe ja nichts Neues erschaffen. Ich habe das Alte geordnet und geheilt. Mehr nicht.«

Und er entschloß sich zu einer eigenen Schöpfung: Er schuf den Menschen. Am Abend des sechsten Tages schuf er den Menschen.

Der Mensch war Gottes originäres Werk. Zu ihm wird er sagen: »Mach dir die Erde untertan!«

Denn Gott wollte, daß sein Geschöpf über alle anderen Geschöpfe herrsche.

ADAM UND EVA

Vom ersten Adam – Von Samael und seinem Sturz – Von den Namen der Tiere – Von Adams Sehnsucht nach einer Frau – Von Lilith – Von der ersten Eva – Von der endgültigen Eva – Vom Spaziergang durch das Paradies – Von der Schlange und ihrem Gespräch mit Eva – Vom Baum der Erkenntnis und der Vertreibung aus dem Paradies

Gott nahm Erde von allen Teilen des Landes. Er legte sie auf einen Haufen, knetete den Haufen, spuckte darauf, durchmischte ihn und formte daraus den Menschen. Und Gott nannte den Menschen Adam. Nach dem Namen der Erde: Adama.

Er machte den Adam riesengroß, und Adam lag ausgestreckt auf der Erde, und er reichte von einem Ende zum anderen, von Norden nach Süden, und seine Arme zeigten von Osten nach Westen.

Aber Adam lebte nicht.

Da erinnerte sich Gott an den Kampf zwischen der Urmutter Tiamat und Marduk, dem Inbegriff des Krieges. Marduk hatte Tiamat getötet, indem er seinen Atem in ihre Nase blies.

Und Gott hielt Zwiesprache mit dem Buchstaben Beth auf seinem Unterarm, und er sagte: »Ist es wahr, daß Leben und Tod Gegensätze sind?«

»Es ist wahr«, sagte Beth.

»Ist es wahr, daß es keinen größeren Gegensatz gibt als den zwischen Leben und Tod?«

»Es ist wahr.«

»Und dennoch läßt sich nach deinem Prinzip auch dieser Gegensatz vereinen?«

»Das ist wahr«, sagte Beth.

»Also kann man«, sagte Gott, »auf die gleiche Weise, wie man Leben nimmt, auch Leben geben.«

Und er blies dem Adam in die Nase und hauchte ihm auf diese Weise Leben ein.

Und das war die Seele des Adam. Und weil Gott voraussah, daß es Tage geben wird, an denen Adam an seiner Seele verzweifelt und sich die Seele aus dem Leib reißen möchte, verankerte er die Seele tief im Menschenleib.

Dann richtete er den Adam auf, er war riesengroß, seine Schultern reichten bis zu den Wolken. Und Gott sah seinem Wesen ins Gesicht. So lange sah er seinem Wesen ins Gesicht, bis sich seine Gesichtszüge auf Adam übertrugen. So hat Gott den Adam nach seinem Ebenbild erschaffen.

Wenn wir in den Spiegel schauen: Sieht so Gott aus? Nicht ganz, nicht ganz …

Es gibt eine alte Überlegung, die relativiert unsere Ebenbildlichkeit mit Gott. Rahel, die Frau des Jakob, heißt es da, soll die schönste Frau ihrer Zeit gewesen sein. Im Vergleich zu ihr habe die griechische Helena wie eine verschrumpelte Äffin ausgesehen. Rahel wiederum habe im Vergleich zu ihrer Vorfahrin Sara, der Frau des Abraham, wie ein Affenweib ausgesehen. Aber Sara, die noch mit hundert so schön war, daß der Pharao vor ihr in die Knie ging, Sara soll neben Eva, der ersten Frau überhaupt, wie die häßlichste aller Kröten gewirkt haben. Und Eva wiederum soll im Vergleich zu Adam ausgesehen haben wie eine Maulwurfsgrille, und Maulwurfsgrillen werden, wie allgemein bekannt, nur noch von Nacktmullen an Häßlichkeit übertroffen. Adam aber, Gottes Ebenbild, sei Ebenbild gewesen nur in dem Sinn, wie die Asche Ebenbild des Feuers sei – nicht mehr und nicht weniger … Diese Legende sollten wir nicht vergessen, wenn wir in den Spiegel schauen.

Gott hatte also erneut mit dem Buchstaben Beth eine Vereinbarung getroffen, daß er seine Schöpfung nach dem Prinzip der Vereinigung der Gegensätze gestalte und also nicht versuche, etwas Vollkommenes zu schaffen. Aber kann man etwas schaffen wollen ohne die Ambition, es in vollkommener Form aus der Hand zu geben? Nein, das kann ein Mensch nicht. Und ein Gott sollte es können?

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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