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Der Darm als Schlüssel für ein langes und gesundes Leben
Wer sich in jedem Alter fit, gesund und jung fühlen will, kommt um den Verdauungstrakt nicht herum. Ein gesundes Mikrobiom ist wichtig für unsere Gesamtgesundheit. Eine vielfältige Darmflora senkt unseren Blutdruck, hält die Gefäße elastisch und sorgt dafür, dass Medikamente optimal wirken. Darmbakterien können sowohl die Leistungsfähigkeit von Sportlern messbar steigern als auch Senioren vor Gebrechlichkeit schützen. Sie regulieren unseren Stoffwechsel, stärken das Immunsystem, senken das Risiko für Zuckerkrankheit, Übergewicht, halten den Cholesterinspiegel in Schach und unterstützen sogar die Krebstherapie. Und auch das Nervensystem profitiert: Bei der Behandlung von Parkinson, Alzheimer oder Depressionen sollte man immer auch die Darmbakterien berücksichtigen.
Deutschlands Darm-Spezialistin Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann klärt hier über alles auf, was man über den Zusammenhang zwischen Darmgesundheit und einem langen, gesunden Leben wissen muss. Sie gibt einen breiten Überblick über eine darmgesunde Ernährung, geeignete probiotische Bakterien und notwendige Labortests.
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Seitenzahl: 269
Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann
GESUND
MIT DARM
FITTER, GELASSENER UND JÜNGER MIT DEM RICHTIGEN MIKROBIOM
© 2020 by Südwest Verlag, einem Unternehmen der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
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Projektleitung: Andrei-Sorin Teusianu
Redaktion: Martin Stiefenhofer
Bildredaktion: Tanja Zielezniak
Korrektorat: Susanne Schneider
Herstellung: Timo Wenda
Satz/DTP: Christoph Börger, Neuenkirchen 4cSONS mediendesign · www.4cSONS.de
ISBN 978-3-641-26295-2V003
Bildnachweis:
Titelabbildung und Illustrationen: Zeichenpool, München
Adobe Stock: 34 (Saltov), 88/89 (Elena), 174 (Henrik
Dolle), 181 (Adiano);
Akg Images: 12/13 (Hervé Champollion: Lucas Cranach der Ältere „Der Jungbrunnen“, 1546.);
Imago Images: 96 (Bernd Friedel);
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FÜR MEINE FANTASTISCHE FAMILIE
VORWORT
1. JUNGBRUNNEN MIKROBIOM
Frischzellenkur aus dem Darm
Der Darm – ein Jungbrunnen für uns
Quantensprung in der Mikrobiomforschung
Was sprießt denn da?
Mikroorganismen als Schlüssel zur Fitness
Dysbiose, die tickende Zeitbombe
INFO: Eu oder Dys?
Was Bakterien für uns leisten
Artenvielfalt zum Schutz der Gesundheit
Multikulti braucht soziale Kontakte
Die Entwicklung der Darmflora von Anfang an
»Bakterienimpfung«
Wie sich das Mikrobiom weiterentwickelt
INFO: Darmflora mit festen und variablen Größen
Hundertjährige mit Anti-Aging-Bakterien
2. KOCHTOPF DARM
Jeder braut sein eigenes Süppchen
Ungeahnte Auswirkungen
Glück und Zufriedenheit entstehen im Darm
INFO: Glückscocktail – Superstoffe aus Bakterienhand
Kurzkettige Fettsäuren – wertvolle Elixiere der Mikroorganismen
Butyrat – Stinkbombe für die Gesundheit
Butyratbildner wirksam stärken
TABELLE: Fettsäuren im Stuhl
Resistente Stärke kurbelt die Butyratproduktion an
INFO: So erhöhen Sie Ihren Butyratspiegel
Propionat – wichtiger Gewichtsregulator und Immunmodulator
Propionsäure, der Dompteur der Abwehrzellen
INFO: So erhöhen Sie Ihren Propionatspiegel
INFO: Das leisten die kurzkettigen Fettsäuren Butyrat und Propionat
Acetat – Essigsäure sorgt für Extrapfunde
INFO: Wer sorgt für Butyrat, Propionat und Acetat im Darm?
Spermidin verjüngt
Spermidinquellen
INFO: Prä-, Pro- und Synbiotika
3. ANTI-AGING, FITNESS UND SCHÖNE HAUT
Jünger aussehen, länger leben
Wie bleibt man lange jung und dynamisch?
Schneller, höher, weiter – das Mikrobiom entscheidet
Die Darmflora als Schutz vor freien Radikalen
Darmbakterien lieben Sport
Legales »Doping« durch Buttersäure-Bakterien
Mit Veillonella länger laufen
Probiotika – geeignet zur Leistungssteigerung?
INFO: Warum Sportler Probiotika nehmen sollten
Das Kosmetikstudio im Bauch
Hautgesundheitskeime
Gesundes Gewimmel auf der Hautoberfläche
Gestörtes Mikrobiom, gereizte Haut
Hautsanierung mit probiotischen Kosmetika
TABELLE: Was hilft wofür?
4. DICK, SÜSS UND FETTIG – DARMFLORA UND STOFFWECHSEL
Das verhängnisvolle metabolische Quartett
Die Darmflora – entscheidend für Fettdepots
Übergewicht lässt sich »verpflanzen«
Wenn die grauen Zellen uns zum Essen zwingen
Ist die Darmflora schuld am Jo-Jo-Effekt?
Haben Antibiotika die Übergewichtslawine losgetreten?
Gib dem metabolischen Syndrom keine Chance
Cholesterin – Fett mit zweifelhaftem Ruf
Probiotische Bakterien putzen Cholesterin weg
Diabetes durch Darmbakterien
Süßstoffe – schlechter als ihr Ruf
Ohne Zucker zuckerkrank
Depressionen durch Zuckerersatz
Bluthochdruck-Bakterien
Natriumchlorid versalzt dem Mikrobiom die Suppe
Milchsäurebakterien für entspannte Gefäße
Wie Bakterien Gefäße verstopfen
TABELLE: L-Carnitin-Gehalt unterschiedlicher Nahrungsmittel
Fleischvermeider stehen besser da
Wie lässt sich die TMAO-Produktion regulieren?
5. DARM ÜBER KOPF
Darm-Hirn-Connection – wichtige Achsenmächte
Boten übermitteln gute oder schlechte Impulse
Fresszellen richtig füttern
Entspannungstraining aus dem Darm
Manche Mikroben fördern Depressionen
Den Blues transplantieren
Psychobiotika als Chance
Probiotika, die wie Antidepressiva wirken
Parkinson – der Kot ist aus dem Lot
Löcher im Darm – Chaos im Gehirn
Lindernde Probiotika
Alzheimer – Bakterienmetaboliten erwürgen Nervenzellen
Ungemach aus dem Magen
Multiple Sklerose - Immunzellen gegen Nervenzellen
Gute Keime für gesunde Nerven
6. MUT MACHENDES MIKROBIOM BEI KREBSERKRANKUNGEN
Darmflora und Immunsystem – Dream-Team im Kampf gegen Krebs
Welche Darmbakterien beeinflussen das Krebsrisiko?
Tumor-Mikroumgebung – wo die bösen Zellen wohnen
Brustkrebs – Mikrobiom gegen Metastasen
Die Darmflora als Schutzwall oder Türöffner bei Darmkrebs
Zahnpflege senkt das Risiko für Darmkrebs und Arterienverkalkung
Parodontose-Bakterien begleiten Darmkrebszellen
Rückenwind bei Stammzelltransplantationen
Darmflora unterstützt Krebstherapie
INFO: Mit Bakterien die Tumortherapie verstärken
7. BAKTERIEN AKTIVIEREN ABWEHRKRÄFTE
In der Schaltzentrale unseres Immunsystems
Mikroorganismen machen das Immunsystem munter
Grippeschutz aus dem Darm
Bessere Impferfolge dank Bakterien
8. UNSERE DARM-APOTHEKE
Unser »Pharmabiom« steuert den Medikamentenstoffwechsel
Cholesterinsenker und Darmflora
Schilddrüsenmedikamente benötigen Mikrobenaktivierung
INFO: Mundmikrobiom verursacht Migräne
Und auch hier wirkt das Mikrobiom
9. SO BEKOMMT IHRE DARMFLORA RÜCKENWIND
Multikulti im Darm fördern
Darmflora-Pflege mit Messer und Gabel
Proteine und Fette – auf die richtige Auswahlkommt es an
Ballaststoffe machen das süße Leben leichter
Präbiotika düngen den Darmgarten
Hier gibt es Bakterien-Leckerlis
TABELLE: Lieferanten resistenter Stärke
Polyphenole und Mikrobiom – ziemlich beste Freunde
INFO: Bakterienfutter – wo finde ich das?
Probiotika schließen Lücken in der Darmgemeinschaft
Der richtige Experte für Ihr Problem
TABELLE: Probiotika gegen Krankheiten und Beschwerden
Das Mikrobiom gezielt aufpäppeln
Gesunde Keime systematisch fördern
Unerwünschte Keime treffsicher reduzieren
Wie erfahre ich, was in meinem Darm los ist?
Ist meine Darmbarriere noch ganz dicht?
INFO: Was kann man beim Leaky-Gut-Syndrom tun?
Darmreinigung schädigt die Darmflora nachhaltig
Das »Who’s Who« der Darmbakterien
TABELLE: Pro- und Synbiotika im Vergleich
ANHANG
Register
Literatur
»Pass auf dein Mikrobiom auf, es beschützt dich!« Mit diesem Satz lässt sich der Inhalt meines Buches Gesund mit Darm treffend zusammenfassen. Wenn wir uns gut um unsere Darmflora kümmern, dann bekommen wir von den Darmbakterien eine ganze Menge zurück. Denn ein gesundes Mikrobiom hält unsere Gefäße elastisch, die grauen Zellen rege und verzögert den Alterungsprozess. Es verbessert bei Sportlern die Ausdauer und schützt Senioren vor Gebrechlichkeit. Wenn wir Figurprobleme haben, der Blutzuckerspiegel aus der Reihe tanzt oder die Cholesterinwerte zu hoch sind, weiß die Darmflora Rat. Und eine gesunde Bakteriengemeinschaft kann sogar die Prognose bei einer Krebserkrankung enorm verbessern.
Wie bei allen Präventions- und Anti-Aging-Maßnahmen gilt auch für die Mikrobiompflege: Je früher, desto besser. Störungen der Darmflora gehen nämlich Leistungseinbußen, Alterungsprozessen, vor allem aber auch der Entstehung von Krankheiten oft Monate, manchmal Jahre voraus. Je eher wir also damit beginnen, unser Ökosystem im Verdauungstrakt zu optimieren, desto besser sind die Chancen, dauerhaft von den Wohltaten aus dem Darm zu profitieren.
Auf den folgenden Seiten spanne ich einen weiten Bogen, der den Einfluss des Mikrobioms auf viele Bereiche unseres Lebens deutlich macht. Dieses Buch soll Sie unterhalten, aber vor allem natürlich informieren. Deshalb habe ich die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien in leicht umsetzbare Tipps und übersichtliche Tabellen zusammengefasst, damit Sie wichtige Informationen auf einen Blick erfassen können. So sind Sie in der Lage, individuelle Ernährungsempfehlungen und die richtigen probiotischen Bakterien für Ihr persönliches Gesundheitsziel identifizieren zu können.
Doch um konkrete Empfehlungen geben zu können, ist es notwendig, nicht nur allgemein über die Darmflora zu schreiben, sondern auch Ross und Reiter – beziehungsweise Mikrobe und Bakterie – beim Namen zu nennen. Deshalb werden Ihnen im Laufe dieses Buches verschiedene Mikroorganismen mit interessanten Namen begegnen. Mir ist klar: Kein Mensch kann diese beim ersten Lesen behalten. Deshalb finden Sie Sie immer wieder Kästen (Mikrobiom-Info), in denen Sie sich über geeignete Keime für spezielle Probleme informieren können. Auf Seite 230 finden Sie eine Tabelle mit gebräuchlichen Nahrungsergänzungsmitteln und den darin enthaltenen Bakterienstämmen. Das erleichtert es Ihnen, ein geeignetes Produkt zu finden. Und ab Seite 227 gibt‘s noch ein Who’s Who der Darmbakterien. Dort stelle ich Ihnen die wichtigsten Keime und deren Bedeutung vor. Sie können also jederzeit nachschlagen, um sich im Bakteriendschungel zu orientieren. Sind Sie neugierig geworden?
Viel Spaß beim Lesen und Ausprobieren wünscht Ihnen
Michaela Axt-Gadermann
Mehr Infos finden Sie auch auf meiner Internetsete www.gesund-mit-darm.de und in der Facebook- Gruppe »meine gesunde Darmflora«.
Im Mittelalter malte Lucas Cranach seinen berühmten Jungbrunnen: Alte, kranke und gebrechliche Menschen tauchen in ein Becken ein und entsteigen ihm jung, straff und gesund. Für uns Menschen gibt es ein solches »Verjüngungsschwimmbad« bisher noch nicht, aber für Fische hat man den Jungbrunnen – besser gesagt: das »Jung-Aquarium« – kürzlich entdeckt. Als »Versuchsperson« wählten die Wissenschaftler den Türkisen Killifisch, denn der hat ein Problem – er altert im Zeitraffertempo. Schon wenige Wochen nach seiner Geburt setzt der Verfall ein: seine Farbe verblasst, er baut körperlich und geistig ab und entwickelt häufig Krebsgeschwüre. Die Lebenserwartung des Fischs beträgt nur vier bis acht Monate und liegt damit deutlich unter der von Labormäusen, die immerhin zwei bis drei Jahre alt werden. Doch gerade die Kurzlebigkeit des Türkisen Killifischs, der auf den schönen lateinischen Namen Nothobranchius furzeri hört, macht ihn für Forscher zu einem willkommenen Modell des Alterns. Als Wirbeltier steht er dem Menschen zudem näher als zum Beispiel Fruchtfliegen, die ebenfalls gerne zur Erforschung von Alterungsvorgängen herangezogen werden. Auch das Mikrobiom des afrikanischen Fischs ähnelt unserem in Vielfalt und Zusammensetzung, und es verändert sich bei ihm – wie auch bei uns Menschen – im Laufe des Lebens. Junge Killifische haben noch ganz unterschiedliche Bakterienarten im Darm, mit der Zeit nimmt diese Vielfalt jedoch ab und parallel dazu werden die Tiere gebrechlicher und schwächer.
Nun haben Mitarbeiter des Kölner Max-Planck-Instituts für Biologie des Alterns erfolgreich eine Anti-Aging-Maßnahme für diese Fische getestet. Bei dem Wundermittel, das den Killifischen neue Lebenskraft spenden sollte, handelte es sich um die Exkremente junger Artgenossen. Die Wissenschaftler töteten zunächst mit einem Antibiotikum die Darmflora der Fische mittleren Alters ab und setzten sie dann in ein Aquarium, in dem zuvor junge Fische gelebt hatten. Deren Stuhlreste und somit auch deren Darmbakterien waren noch im Wasser enthalten. Beim Umherschwimmen nahmen die älteren Fische automatisch die Mikroorganismen der jüngeren auf – und das blieb nicht ohne Folgen. Verglichen mit den Fischen, die nur Kontakt zu gleichaltrigen »Kollegen« hatten, erhöhte sich nicht nur die Lebensdauer der türkisen Wasserbewohner mit der jungen Darmflora um 40 Prozent, sondern sie waren auch im hohen Alter noch so agil wie ihre jungen Artgenossen. Wie unsere Freunde im Darm das genau machen, können die Experten des Max-Planck-Instituts noch nicht sicher sagen. »Doch diese Forschungsergebnisse zeigen, dass die Darmmikroorganismen innerhalb einer komplexen Mikrobengemeinschaft die Lebenserwartung und Alterung enorm beeinflussen können«, so Dario Riccardo Valenzano, Wissenschaftler am Kölner Max-Planck-Institut.
Und etwas Ähnliches kann man auch bei Nagetieren beobachten. Junge Mäuse, die kein eigenes Mikrobiom besitzen, wurden entweder zusammen in einem Käfig mit einer Gruppe alter oder einer Gruppe junger Tiere mit intakter Darmflora gehalten. Dabei nahmen die keimfreien Mäuse nach und nach die Darmkeime der Käfiggenossen auf und siedelten sie in ihrem eigenen Darm an. Durch den Kontakt mit dem »alten« Mikrobiom stiegen bei den noch jungen Mäusen die Entzündungswerte (Zytokine) im Blut und im Gewebe unnatürlich hoch an, wodurch sich Alterungsprozesse beschleunigen. Bei den Mäusen, die mit gleichaltrigen Artgenossen zusammenlebten, blieben die Zytokine auf niedrigen, »jugendlichen« Werten.
Der türkise Killifisch, auch als Türkiser Prachtgrundkärpfling bekannt, liefert den Beweis, wie wichtig die Darmflora für die Alterung sein kann.
Nicht nur im Verdauungstrakt von Fischen und Nagern, sondern auch in unserem Darm lebt eine Heerschar winziger Mitbewohner, die uns helfen oder schaden können. Es handelt sich um unsere »Darmflora« oder – wie man als Experte sagen würde – um unser »Mikrobiom«, das aus einer Vielzahl von Bakterien besteht.
Bakterien hatten lange Jahre einen eher schlechten Ruf. Pest, Cholera und Typhus waren die bakteriellen Geißeln der Menschheit. Die Zusammenhänge zwischen Keimen und Infektionskrankheiten wurden erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts durch den ungarischen Arzt Ignaz Semmelweis und den französischen Mikrobiologen und Chemiker Louis Pasteur enthüllt – und das war eine der wichtigsten Entdeckungen der Medizin. Denn bis dahin war es noch nicht einmal üblich, sich vor chirurgischen Eingriffen die Hände zu waschen. So führten Ärzte zum Beispiel morgens Leichensektionen durch und operierten mittags Patienten oder leiteten Entbindungen. Die Sterblichkeitsraten infolge von Wundinfektionen oder Kindbettfieber waren unglaublich hoch. Durch simple Desinfektionsmaßnahmen oder einfaches Einseifen ihrer Hände konnten die Ärzte die Zahl der Todesfälle drastisch senken.
Zunächst stieß also die Vorstellung, es könnte in unserem Körper nützliche Bakterien geben, eher auf Unverständnis. Die Darmbewohner hielt man lange Zeit zwar für weitgehend harmlose, aber eher unbedeutende Kostgänger im Gedärm. Nach und nach dämmert es jedoch Wissenschaftlern wie Laien, dass wir in unserem Verdauungstrakt ein eigenes Ökosystem beherbergen, das unsere Stimmung beeinflusst, Allergien auslöst, unseren Appetit und unsere Essensvorlieben kontrolliert. Nun gibt es sogar konkrete Hinweise, die den Zusammenhang zwischen unserem Mikrobiom und dem Alterungsprozess verdeutlichen. Die gezielte Optimierung unseres Mikrobioms kommt deshalb der Idee eines Jungbrunnens schon recht nahe.
Bakterien spielen auf fast allen Ebenen unserer körperlichen und geistigen Gesundheit eine Rolle. Und weil man ihre Bedeutung gar nicht hoch genug einschätzen kann, scheint sich die ganze Welt derzeit um das Mikrobiom zu drehen – diesen Eindruck haben zumindest alle, die die aktuellen Forschungen und Veröffentlichungen rund um dieses Thema verfolgen. Die gemeinsame Aussage der mehr als 40 000 in den vergangenen Jahren veröffentlichten Studien lautete: Eine vielfältige Darmflora ist in jeder Phase des Lebens enorm wichtig! Wenn es gelingt, eine Störung der Darmflora, eine sogenannte Dysbiose, zu beseitigen, stehen deshalb die Chancen nicht schlecht, dass die Gesundheit davon profitiert und sogar der Alterungsprozess sich verlangsamen oder sogar in Teilen umkehren lässt.
Nur ein geringer Teil der Darmbakterien lässt sich außerhalb des Darms vermehren.
Bereits 1907 vermutete der russische Immunologe Elie Metchnikoff eine Beziehung zwischen dem regelmäßigen Verzehr von gesäuerten Milchprodukten mit lebenden Bakterien und der Langlebigkeit bestimmter osteuropäischer Volksstämme. In den folgenden Jahren beschäftigten sich Forscher immer wieder mit den Zusammenhängen zwischen Darmflora und Gesundheit. Doch die Krux war: Mehr als 90 Prozent aller Darmkeime ließen sich damals außerhalb des Körpers auf Nährböden gar nicht anzüchten. Für viele Bakterien ist eine Petrischale im Labor nicht gerade der Wohlfühlort, weshalb dort auch nur ein ganz kleiner Teil der Keime wuchs. Auf diese Weise ließen sich die meisten Mikroben gar nicht finden und »flogen« sozusagen unter dem Radar der Wissenschaftler. Ich selbst habe vor rund 20 Jahren schon Studien durchgeführt, in denen wir die Zusammenhänge zwischen Hauterkrankungen wie Schuppenflechte und Neurodermitis und der Darmflora untersucht haben. Damals stand uns ebenfalls nur die Möglichkeit zur Verfügung, Bakterien und Pilze in Nährmedien wachsen zu lassen. Die Ergebnisse waren leider ernüchternd, da wir mit dieser Methode nur einen ganz winzigen Ausschnitt des Mikrobioms überprüfen konnten und es auch noch nicht die Möglichkeiten gab, gezielt fehlende Mikroorganismen zu ersetzen. Damals hat zudem das Wissen darüber gefehlt, welche Bakterien bei welchen Problemen hilfreich sind und welche vielleicht sogar eher schaden könnten. Doch in den vergangenen Jahren hat sich eine Menge getan.
Das Jahr 2005 hat für die Mikrobiomforschung eine ähnliche Bedeutung wie die Entdeckung Amerikas für Handel und Seefahrt: In diesem Jahr stieß man auf neue, unbekannte Welten, die man in den folgenden Jahren Schritt für Schritt weiter erforschte. Auslöser für diesen Quantensprung war eine neue Analysemethode, das sogenannte Next Generation Sequencing. Der Vorteil der neuen Bestimmungsmethoden besteht darin, dass man einfach die Erbsubstanz der Bakterien analysiert und so viel mehr der im Darm beheimateten Mikroorganismen finden kann – ganz unabhängig davon, ob sie auf der Laborplatte wachsen wollen oder nicht. Dadurch ist es möglich, aus einer kleinen Stuhlprobe Infos über den Zustand des gesamten Mikrobioms zu bekommen und diese dann zum Beispiel mit bestimmten Erkrankungen in Verbindung zu bringen. Britische Forscher entdeckten mit diesem Verfahren erst kürzlich bei Stuhlanalysen aus Kanada und Großbritannien mehr als hundert Bakterienarten, die bis dahin noch nie jemand isoliert hatte. Und inzwischen geht es nicht mehr nur um die Darmflora. Auch die Bakterienpopulationen im Mund, im Genitaltrakt oder auf der Haut scheinen spannende Ansatzpunkte für Präventionsmaßnahmen und neue Therapien bereitzuhalten.
Ja, die Welt der Mikroorganismen ist faszinierend! In unserem Verdauungstrakt leben rund 100 Billionen Bakterien, zahlreiche Pilze und einige Viren. Das sind deutlich mehr Keime, als wir Menschen Zellen besitzen. Und die Menge bakterieller Gene übersteigt die unserer eigenen Erbanlagen um das Hundertfache. 100 Billionen ist eine unvorstellbar große Zahl. Würden wir alle Bakterien zählen und pro Mikroorganismus eine Sekunde benötigen, dann wären wir erst nach 3,2 Millionen Jahren mit dem Zählen der 100 Billionen Keime fertig. Allein diese riesige Menge an Mitbewohnern lässt vermuten, dass wir sie nicht beherbergen, ohne selbst einen Nutzen daraus zu ziehen.
Alle menschlichen Oberflächen, die äußeren wie die inneren, sind dicht mit Keimen besiedelt und stellen ein mikrobielles Ökosystem dar. Und die Bakterien stehen über Haut und Schleimhäute in einem ständigen Kontakt mit dem gesamten Organismus Mensch. Geben und Nehmen bestimmt die Beziehung zwischen uns, den Wirten, und den Mikroorganismen. Wir bieten den Bakterien Lebensraum und Nahrung, im Gegenzug ist dieser sehr komplexe Lebensraum von fundamentaler Bedeutung für unsere Gesundheit. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass man den Einfluss des Mikrobioms auf Gesundheit, Wohlbefinden sowie körperliche und geistige Leistungsfähigkeit gar nicht hoch genug einschätzen kann. Betrachtet man die Gesamtheit der Studien, dann kann man nur zu einem Schluss kommen: In unserem Magen-Darm-Trakt, aber auch auf der Haut und den Schleimhäuten siedelt ein Jung- und Gesundbrunnen, aus dem wir mit ein paar Tricks reichlich schöpfen können. Denn das Mikrobiom sorgt für einen ausgeglichenen Hormonhaushalt und trainiert das Immunsystem. Seine Stoffwechselleistung übertrifft die der Leber. Die daran beteiligten bakteriellen Metaboliten wirken aber nicht nur im Darm, sondern gelangen über die Blutbahn in jeden Winkel unseres Körpers. Dort entfalten sie unterschiedliche Wirkungen. Es gibt Bakterienstämme, die unsere Gefäße geschmeidig halten oder den Blutzucker, den Blutdruck und den Cholesterinspiegel in einen guten Bereich bringen. Andere Mikroorganismen schützen die Haut vor vorzeitiger Alterung und unterstützen unser Gehirn bei seiner Arbeit. Und die richtigen Keime bewahren uns nicht nur im Alter vor Gebrechlichkeit. Sie lassen uns sogar den Halbmarathon schneller absolvieren, helfen beim Abnehmen und sorgen in jedem Alter für gute Laune und Zufriedenheit. Gerät jedoch die Mikrobengemeinschaft aus dem Gleichgewicht, dann leidet die Fitness. Alterungsvorgänge beschleunigen sich und das Risiko für eine Vielzahl von Krankheiten steigt messbar an.
Eine Vielzahl von Mikroorganismen und deren Stoffwechselprodukte haben Einfluss auf unseren gesamten Organismus.
Einige Darmbakterien werden durch Nährstoffe, die wir ihnen bereitstellen, versorgt, manche benötigen für ihre Entwicklung Stoffwechselprodukte anderer Mikroorganismen. Die einzelnen Mitglieder der Darmflora sind eng miteinander vernetzt, sie kontrollieren und unterstützen sich gegenseitig. Vielfalt ist deshalb ein besonders wichtiges Kriterium einer gesunden Darmflora, auf das ich in diesem Buch noch öfters zu sprechen komme. Alles deutet darauf hin, dass das Mikrobiom zukünftig zu einem wichtigen Ansatzpunkt für individuelles Anti-Aging, wirkungsvolle Präventionsmaßnahmen und die personalisierte Medizin der Zukunft werden könnte.
Ähnlich wie der Türkise Killifisch werden auch menschliche Senioren gebrechlicher und die Wahrscheinlichkeit, ins Altersheim zu kommen, steigt, sobald die Darmflora altert und sich einstmals blühende Bakterienlandschaften in langweilige Monokulturen verwandeln. Denn diese Eintönigkeit der Darmflora erhöht unter anderem das Risiko für Zuckerkrankheit, Übergewicht, chronische Entzündungen, abnehmende geistige Leistungsfähigkeit und Erkrankungen des Nervensystems wie Parkinson und Alzheimer. Nur ein fittes Mikrobiom ist in der Lage, uns fit zu halten, und gilt als Grundvoraussetzung für unsere Gesamtgesundheit. Vor allem der Mangel an Vielfalt ist kennzeichnend für ein ungesundes und eventuell »vorgealtertes« Mikrobiom, das wiederum chronischen Erkrankungen Tür und Tor öffnet. Bei so einer Dysbiose, einer Störung der gesunden Zusammensetzung der Darmkeime, können wichtige gesundheitsförderliche Bakterien fehlen oder andere, vor allem entzündungsfördernde, Mikroorganismen im Übermaß vorhanden sein. Doch was führt zu einem Verlust von Artenreichtum und Balance im Darm? Dass sich die Darmflora im Laufe des Lebens verändert, ist bekannt. Aber das geht nicht automatisch mit einer bakteriellen Verarmung einher. Offensichtlich hängt die Zusammensetzung der Darmflora auch davon ab, wo ältere Menschen leben. Studien zeigen, dass Heimbewohner regelmäßig eine schlechtere Darmflora und eine deutlich geringere Vielfalt des Mikrobioms aufweisen als Senioren, die in den eigenen vier Wänden wohnen. Wissenschaftler vom University College Cork, Irland, stellten auch Zusammenhänge mit der körperlichen und geistigen Fitness fest: Je geringer die Diversität, desto stärker ausgeprägt war die Gebrechlichkeit. Insgesamt zeigten sich deutliche Zusammenhänge zwischen Ernährung, der Menge sozialer Kontakte, Darmmikrobiota und Gesundheitsstatus.
Bemerkenswert ist, dass ein Rückgang der bakteriellen Vielfalt der Entstehung von Erkrankungen und Entzündungen oft lange vorausgeht. Bereits Monate oder Jahre vor Ausbruch einer Krankheit lässt sich schon feststellen, dass der Mikrobenmix eintöniger wird oder sich bestimmte ungünstige Keimstämme ausbreiten und andere, schützende Mikroorganismen verdrängen. Dysbiose und Artenrückgang sind quasi die apokalyptischen Reiter, die von einem erhöhten Krankheitsrisiko künden. Diese Zusammenhänge zwischen Verschlechterung des Mikrobioms und nachfolgender gesundheitlicher Einschränkungen lassen sich nicht nur bei Gebrechlichkeit und Alterung beobachten. Forscher konnten sie unter anderem auch bei Neurodermitis, Allergien und Parkinson feststellen. Der zeitliche Abstand zwischen Ursache und Folge macht es allerdings schwerer, einen Auslöser – zum Beispiel eine längere Antibiotikabehandlung aus dem Vorjahr – mit dem Übergewicht, der Depression oder der Autoimmunerkrankung zwölf Monate später in Verbindung zu bringen.
Bakterien sorgen für Zersetzung und Umwandlung – hier von Milch zu leckerem Joghurt.
Nur rund 10 Prozent der Mikrobiomzusammensetzung werden von genetischen Faktoren festgelegt, den Rest können wir selbst beeinflussen. Es liegt also an uns, ob das Mikrobiom eher in Richtung Eubiose oder Dysbiose tendiert.
Ist die Bakteriengemeinschaft gut aufgestellt, spricht man von »Eubiose«. Die Vorsilbe Eu ist griechisch und heißt »gut«, bios bedeutet »Leben«. Im Zustand der Eubiose können Mensch und Mikrobe demnach gut und gesund leben. Das Gegenteil davon ist die »Dysbiose«. Darunter versteht man ein aus der Balance geratenes Mikrobiom, zu geringe Artenvielfalt und die Ausbreitung unerwünschter Keime oder, um es mit drei Worten zu sagen: »Chaos im Darm«. Eine Dysbiose kommt in unseren Breiten gar nicht so selten vor, denn die gesunde Balance der Bakterien ist störanfällig. So kann beispielsweise eine jahrelange ungesunde Ernährung dazu führen, dass die Darmflora verarmt. Aber auch Antibiotika oder zu viel Hygiene bringen die »Wohngemeinschaft« des Darms durcheinander.
Wie in jeder Gemeinschaft gibt es auch im Darm Bakterien, die es nicht besonders gut mit uns meinen und uns eventuell auch schaden können. Normalerweise werden unerwünschte »Schadkeime« durch die Armada der »Schutzkeime« in die Schranken gewiesen. Das funktioniert aber nur, solange diese gut aufgestellt ist. Sind deren Reihen bei einer Dysbiose gelichtet, dann siedeln sich verstärkt unwillkommene Mikroorganismen an. Bleibt eine solche Dysbiose länger bestehen, hat das auf Dauer Folgen für den »Mikrobiom-Besitzer«.
Andererseits kann uns dieses Zeitfenster aber auch die Möglichkeit geben, Krankheiten zu verhindern, indem wir bei den ersten Anzeichen einer Verschlechterung des Mikrobioms gegensteuern – mit unserem Lebensstil, vor allem der Ernährung und passenden Produkten, die die Darmflora »reparieren«. Das ist vielleicht noch Zukunftsmusik, aber keine, die in weiter Ferne spielt, sondern wahrscheinlich schon in den nächsten Jahren zu nutzen ist. Ideal wäre ein regelmäßiger Mikrobiom-Check, bei dem man einmal jährlich schaut, was der Darmflora fehlt, und bei Bedarf entsprechende Maßnahmen ergreift.
Nun kann man sich fragen: Warum brauchen wir Bakterien? Weshalb kann unser Organismus nicht alles, was er benötigt, einfach in seinen Zellen, Drüsen und Organen selbst herstellen? Ist er faul oder unfähig? Nein, unser Körper ist extrem klug! Er funktioniert da wie ein Unternehmen, das »Outsourcing« betreibt, also wichtige Aufgaben an externe Dienstleister auslagert und sich dadurch schnellere und bessere Ergebnisse bei gleichzeitiger Kostenersparnis erhofft. Unser cleverer Organismus ist offensichtlich ein ziemlich guter Geschäftsmann beziehungsweise eine ziemlich gute Geschäftsfrau. Er verfügt selbst über rund 22 000 Gene. Hört sich nach viel an, ist es aber nicht. Ein Wasserfloh kann auf 30 000 Gene zurückgreifen. Deshalb müssen wir uns an Erbanlagen bedienen, die sich außerhalb unserer Zellen befinden. Wie gut, dass uns da unser »Partnerunternehmen Darmflora« mit sage und schreibe 8 Millionen zusätzlichen Erbinformationen zur Seite steht. Dadurch können einzelne Aufgaben oder sogar ganze Prozesse durch das »Drittunternehmen« im Darm erledigt werden. Billionen von Bakterien stellen mehr als ein Drittel der Moleküle und Substanzen her, die sich in unserem Blut befinden. Sie produzieren für uns Eiweißstoffe und Enzyme, die wir für die Herstellung von Herzmuskelgewebe, Hautfasern oder Hormonen verwenden können. Das zeigt, wie groß das Stoffwechselpotenzial des Mikrobioms ist. Doch die Leistung dieser Bakterienmassen fällt uns normalerweise nicht auf. Erst wenn das sensible Gleichgewicht im Darm aus dem Lot gerät, merken wir, dass etwas nicht stimmt. Denn nur ein gesundes Mikrobioms ist in der Lage, alles zu produzieren, was wir Menschen brauchen, um fit, jung und gesund zu bleiben. Experten betrachten das Mikrobiom deshalb inzwischen als eigenständiges Organ.
Wichtig für unsere Gesundheit ist nicht nur, wie viele Mikroorganismen im Darm leben, sondern vor allem, wie viele verschiedene Keimstämme vorhanden sind. Etwas verallgemeinert lässt sich sagen: »Artenreichtum im Darm ist das A und O für unsere Gesundheit.« Mithilfe eines gesunden und vielfältigen Mikrobioms arbeitet der Organismus effizienter bei geringerem Energieeinsatz. Mit der Unterstützung durch das Mikrobiom erhöht unser Körper die Reaktionsgeschwindigkeit auf äußere Veränderungen, denn Darmbakterien können sich innerhalb von Stunden auf neue Situationen einstellen. Die Flexibilität der Bakteriengemeinschaft ermöglicht es dem Organismus, sich – bis zu einem gewissen Maß – veränderten Ernährungs-, Umwelt- und Lebensbedingungen anzupassen, ohne das Gesamtsystem aus dem Gleichgewicht zu bringen. Bakterien, die Algen abbauen können, zählen etwa zum »Standardmikrobiom« bei Japanern. Bei amerikanischen Staatsbürgern sucht man sie aber in der Regel vergeblich. Dieses Beispiel zeigt die enge Wechselbeziehung zwischen Umweltfaktoren wie unserer Ernährung und der Zusammensetzung der Darmkeime. Deshalb ist es auch verständlich, dass es nicht nur das eine perfekte Mikrobiom gibt, sondern dass man mit ganz unterschiedlichen Varianten gesund und glücklich leben kann.
Unser Mikrobiom ist mindestens so abwechslungsreich und vielfältig wie das Ökosystem eines Korallenriffs.
Wir unterstützen Fridays for Future, verzichten auf Plastiktüten und fördern Baumpflanzaktionen, um unsere Umwelt vor weiteren Schäden zu bewahren. Inzwischen ist den meisten Menschen die Bedeutung von Artenvielfalt bewusst. Wenn wir an ein funktionierendes Ökosystem denken, dann stellen wir uns vielleicht einen lichten Mischwald mit vielen Sträuchern und Moosen vor, einen schattigen tropischen Dschungel mit seiner vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt oder ein sonnendurchflutetes Korallenriff mit glitzernden Fischen. Ein anderes, ebenso bedeutendes und vielfältiges Ökosystem kommt wahrscheinlich den wenigsten spontan in den Sinn. Wer denkt bei einer intakten Lebensgemeinschaft schon an einen dunklen Darm, in dem sich Billionen von Bakterien in übel riechenden Verdauungsrückständen tummeln? Doch die Bakteriengemeinschaft auf unserer Haut, den Schleimhäuten und im Darm ist das komplexeste Ökosystem, das wir kennen. Im Darm gibt es viele Ecken mit unterschiedlichen Lebensbedingungen. Sowohl Keime, die Sauerstoff benötigen (aerobe Bakterien), als auch solche, die nur in einer sauerstoffarmen Umgebung leben können (anaerobe Bakterien), finden hier ihre Nische. Das Nahrungsangebot ist im Idealfall vielfältig. Auf der großen Speisekarte findet jede Mikrobe etwas, das ihr mundet – egal, ob sie Eiweiß liebt, Fett bevorzugt, am besten mit Zucker wächst oder Ballaststoffe für ihr Überleben benötigt. Bei einseitiger Ernährung wachsen und gedeihen dann allerdings nur die Keime, die mit diesem Angebot gut zurechtkommen. Wie in einem natürlichen Lebensraum in unserer Umwelt sind auch beim darm- und hauteigenen Ökosystem Ausgewogenheit und Vielfalt wichtig. Sogar sprachlich gibt es Berührungspunkte: Botaniker bezeichnen die Pflanzengemeinschaft einer Region als »Flora«. Diesen Begriff hat man früher auch für die Gesamtheit aller Mikroorganismen in einzelnen Körperbezirken gewählt: Darmflora, Hautflora oder Schleimhautflora. Heute spricht man eher vom Mikrobiom.
Je nach Ernährungs- und Lebensweise beherbergt jeder von uns so zwischen 150 und 450 unterschiedliche Keime. Sehr ursprünglich lebende Indianerstämme weisen in ihrem Darm noch eine Artenvielfalt auf, die sich in unseren Breiten bei niemandem mehr finden lässt. Doch im Darm der meisten Menschen lassen sich derzeit ähnliche Entwicklungen feststellen wie auf dem Globus: In allen westlichen Gesellschaften wird das Mikrobiom artenärmer. Zurückführen lässt sich das unter anderem auf moderne Ernährungsgewohnheiten, medizinischen Fortschritt und unseren westlichen Lebensstil. Der Artenverlust ist inzwischen so deutlich, dass Wissenschaftler Alarm schlagen und eine Art »Arche Noah« für Mikroorganismen bauen. Es besteht nämlich tatsächlich die Gefahr, dass einige Bakterienstämme unwiederbringlich ausgerottet werden – mit derzeit noch nicht absehbaren Folgen für unsere Gesundheit. Die mehrfach erwähnte Vielfalt ist eine wichtige Eigenschaft einer gesunden Darmflora. Multikulti bereichert also nicht nur unseren Alltag, sondern tut auch dem Darm gut. Für diesen Artenreichtum braucht es aber regelmäßig Bakterienkontakte, die uns immer wieder neue Keime zuführen, und einen Lebensstil, der die Vielfalt fördert.
Unsere moderne Lebensführung ist jedoch eher geeignet, unser Mikrobiom zu schädigen und verarmen zu lassen. Wir führen ein stressiges Leben und dank sozialer Medien werden unsere realen sozialen Kontakte, bei denen die Chance zum »Bakterientausch« bestehen würde, immer weniger – und damit geht auch der Artenreichtum im Darm zurück. Wir verbringen weniger Zeit in der Natur, kommen mit Erde, Laub und Schmutz kaum noch in Kontakt. Dafür sind unsere Wohn- und Arbeitsräume hygienisch sauber und Antibiotikabehandlungen an der Tagesordnung. Auch unsere Ernährung ist in der Regel einseitiger und vor allem ballaststoffärmer und im Gegenzug zusatzstoffreicher als in früheren Zeiten.
Der Mangel an bestimmten Bakterienstämmen und die insgesamt geringere Artenvielfalt im Darm nimmt auf viele Bereiche unseres Körpers Einfluss, etwa auf das Nerven-, Hormon- oder Immunsystem. Und die moderne mikrobielle Zusammensetzung unserer Flora – egal ob auf der Haut, den Schleimhäuten oder im Darm – unterscheidet sich heute deutlich von dem, was unsere Abwehrkräfte im Laufe der Evolution kennengelernt haben und woran sie gewöhnt sind. Möglicherweise ist das ein Grund für die Zunahme von Krankheiten, die Folge von Entzündungen und einem fehlgeleiteten Immunsystem sind, was sich in Allergien, Autoimmunerkrankungen, psychischen Problemen oder auch Übergewicht und Diabetes äußert.
Über unseren Lebensstil lässt sich das Mikrobiom durchaus lenken. Welche der 1500 potenziellen Bewohner sich in und auf uns ansiedeln, hängt von ganz unterschiedlichen Faktoren ab. Schon bei der Geburt werden – abhängig von der Art der Entbindung – die ersten Weichen für die zukünftige Bakteriengemeinschaft gestellt. Gestillte Babys entwickeln eine andere und gesündere Flora als Flaschenkinder. Lebt ein Hund im Haushalt, haben die Bewohner meistens ein vielfältigeres Mikrobiom. Auch das Leben auf einem Bauernhof oder in einer Großfamilie lässt unser körpereigenes Ökosystem aufblühen. Prinzipiell scheinen soziale Kontakte nicht nur unserer Psyche gutzutun, sondern Kontaktpflege ist auch gleichzeitig Mikrobiompflege. Das konnte man an Schimpansen nachweisen – es ist aber anzunehmen, dass das auch auf uns Menschen zutrifft. Denn jeder von uns verliert pro Stunde rund 1 Million Keimpartikel, die wir an unsere Mitmenschen weitergeben und so deren Mikrobiom bereichern, ebenso wie wir selbst neue, spannende Bakterien erhalten.
Auf dem ganz normalen Weg ans Licht der Welt erhält jedes Kind von seiner Mutter eine wichtige Portion hilfreicher Bakterien.
Spieler einer Sportmannschaft teilen sich sogar ein Team-Mikrobiom. Das fanden US-amerikanische Forscher von der University of Oregon heraus. Sie nahmen Keimproben von den Oberarmen verschiedener Roller-Derby-Spielerinnen. Roller Derby ist ein in den USA weitverbreiteter Sport, bei dem zwei Mannschaften auf Rollschuhen versuchen, auf einer Bahn ihren Läufer als Ersten durchs Ziel zu bringen. Körperkontakte, etwa durch Abdrängen und Anrempeln, sind ausdrücklich erlaubt. Dadurch besteht auch immer wieder die Möglichkeit des Keimaustauschs. Die Wissenschaftler stellten fest, dass die Mitglieder einer Mannschaft bereits vor dem Match eine sehr ähnliche Hautflora aufwiesen. Nach dem Wettkampf hatte man nicht nur Beulen und blaue Flecke verursacht und eingesteckt, vielmehr hatten sich dann auch die Hautkeime der Spielerinnen beider Mannschaften miteinander vermischt.