2,99 €
Gisbert möchte den Tag ruhig und gelassen angehen, um seine Arbeit entspannt zu erledigen. Doch immer wieder trifft er auf Frauen, die seine Vorhaben erschweren, ja blockieren. Wird er sein Tagesziel trotzdem erreichen? Wird er all das schaffen, was er sich vorgenommen hat? Mit viel Witz erzählt die Novelle einen Tag im Leben des Gisbert.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2016
Inhaltsverzeichnis
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Impressum
Leon Berg
Gisbert und die Frauen
Novelle
Über Namen darf man nicht lachen. Das weiß jedes Kind. Auch Gisbert hatte dies gelernt, zuhause und in der Schule bei Frau Feuervogel, der Deutschlehrerin.
Neulich im Krankenhaus bei der Visite, sieben Weißkittel stark stürmte die medizinische Truppe in Gisberts Zimmer. Die Stationsärztin drückte Gisbert eine Sekunde lang den Zeigefinger in den Unterbauch, dass er laut aufschrie. Gisbert hatte gerade noch Zeit, das Namensschild zu entziffern, bevor die Truppe wieder verschwand: Doktor Elfriede Schnurz. – Darüber lachte er nicht, nicht kurz vor der Operation.
Schon befürchtete er, dass die Anästhesistin Frau Professor Doktor Piep-Egal heißen könnte. Aber nein, es war Frau Doktor Língluàn. Sie flößte ihm großes Vertrauen ein. Aus China komme sie, erzählte sie, während Gisbert zahllose Haftungsausschlüsse und Verzichtserklärungen unterschrieb, sie habe große Hochachtung vor der traditionellen, europäischen Medizin.
Nach seiner Operation erfuhr er, dass ihr Name auf Deutsch so etwas Ähnliches wie ‚Schlamperei‘ bedeutet. Gisbert ahnte, dass er nur deshalb dem Tod von der Schippe gesprungen war, weil die semantische Namenkomposition für Gott keine handlungsbegründende Komponente der Schöpfung war.
Eine neue Ärztin trat ins Krankenzimmer und begutachtete den Fortschritt des Heilungsprozesses. Die junge Frau hatte von nichts eine Ahnung. Sie wirkte sichtlich gestresst. Gisbert musste nochmal von ganz vorne anfangen und erzählen, warum er hier lag. Sie machte ihm therapeutische Vorschläge, die in den Gedärmen wie überdosiertes Chili brannten. Das Namensschild der Ärztin war leer. Gisbert dachte, dass es nur wenig übertrieben wäre, wenn die Ärztin Doktor Schmerz hieße. Ohne große Worte entstünde sofort ein zutreffendes Bild ihres Wesens und ihrer geplanten Behandlungsmethoden. Schmerz sparte Zeilen. Die effiziente Namensgebung verkürzte die Schreib- und Lesezeit, ein Konzept auch für die gesamte Buchbranche. Schriftsteller könnten erheblich mehr produzieren, die Leserinnen und Leser könnten mehr konsumieren, die Kritiker mehr kritisieren und die Verlage mehr verkaufen – und das bei gleichzeitiger Einsparung von Kosten, Papier, Wald, Druckerschwärze und Arbeitskräften. Die Bücher würden dünner, schlanker und billiger werden. Umweltschutz, Wachstum, Optimismus. Glück. Green Life!
Ein Held namens Ares Erstschlag braucht keine überflüssigen Worte. Sofort weiß man, dass mit ihm nicht gut Kirschenessen ist. Für ein Kind, dessen Eltern Wolfgang Skylla und Ulrike Charybdis heißen, ist keine psychologische Exposition nötig. Das Buch über die Ehe von Aphrodite Kühlschrank und Dionysos Nochmal muss nicht einmal geschrieben werden. Aussagekräftige Namen genügen, um die Geschichte anzustoßen. Weder Aussehen noch Charaktere verlangen Beschreibungen, auch müssen keine Dialoge erfunden werden, um dem Geschichtenpersonal eine Plattform zur Selbstdarstellung zu geben.
Die Ärztin machte noch einmal kehrt, als sie das Zimmer schon fast verlassen hatte.
„Sie sollten joggen und gesünder leben. Nehmen Sie ab, werden Sie schlanker. Sie haben viele Kilos zu viel.“
Gisbert dachte, dass Schmerz ein noch viel zu schwacher Name sei, um das wahre Ich der Medizinerin zu beschreiben. Vielleicht war sie ja mit einem Doktor Plage verheiratet und trug in Wirklichkeit den Doppelnamen Schmerz-Plage. Andererseits wollte Gisbert wieder schön und gesund werden. Millionen von Zuschauern warteten auf die neuen Folgen seiner Hals-Nasen-Ohrenarzt-Serie, die wöchentlich im Fernsehen lief.
So beschloss er, den Rat von Frau Schmerz-Plage wenigstens ein Mal zu befolgen. Er rief bei Flora Bohnstang an.
„Willst du mit mir joggen gehen?“
„Nichts lieber als das. Jetzt gleich?“
„Morgen, morgen früh. Heute habe ich noch was zu erledigen.“
Bei Brockmeyer & Hammelkeul, dem Modekaufhaus für die Mittelschicht, kaufte er alle Dinge, die ein Mensch zum Joggen benötigte, die richtigen Schuhe, die richtige Unterwäsche, die richtigen Hosen und das richtige Shirt, ach ja, fast hätte er es vergessen, die richtigen Strümpfe.
„Ausatmen! Einatmen!“
Gisbert flüsterte sich Durchhaltebefehle zu.
„Ausatmen! Einatmen!“
Flora Bohnstang joggte voraus. Sie hielt ihn auf Distanz. Legte er im Tempo zu, trabte auch sie schneller, und musste er langsamer machen, tat sie es ihm gleich.
„Ausatmen! Einatmen!“
Wenigstens Heisenberg war langsamer als er, der Dackel wackelte tapfer hinter ihm her. Das Hündchen war gerne mit ihnen beiden unterwegs. Vielleicht deshalb, weil ihn die Grashalme am Hängebauch kitzelten.
„Es gibt nichts Schöneres, als früh am Morgen durch die Natur zu laufen!“, rief Flora Bohnstang fröhlich. „Danach fühlt man sich wie neu geboren! Die Natur macht Appetit. Dir wird dein Frühstücksapfel doppelt gut schmecken.“
Von wegen Frühstücksapfel!
„Ausatmen! Einatmen!“
Gisbert hielt lieber den Mund, solange er joggte. Sprechen kostete Energie. Energie, die er fürs Joggen brauchte. Er mochte nicht weiter zurückfallen. Flora Bohnstang, die schlanke, hoch gewachsene Sportliche. Hinsichtlich Körpergröße und Gewicht stellte sie an ihre männlichen Mitmenschen die gleichen Ansprüche wie an sich. Das erste Kriterium erfüllte er, am zweiten arbeitete er. Gelegentlich wenigstens, so wie heute.
„Hast du dich heute Morgen schon gewogen?“, rief sie ihm über die Schulter zu. „Dich auf die Waage gestellt?“
Wahrscheinlich wollte sie gleich wissen, bei welcher Zahl der Zeiger stehen geblieben war. Hätte ihn auch interessiert, wenn er sie gewesen wäre.
Aber die Tiramisus von gestern und vorgestern und die Schweinshaxe vom Sonntag hatten ihn in seinem Bemühen zurück geworfen. Er merkte es am Rasseln und Pfeifen der Bronchien, an der Schwergängigkeit der Muskulatur. Flora keuchte nicht, sie lächelte, ihre Endorphine machten sie happy. Bei ihm war es umgekehrt. Seine Drüsen stellten die Produktion von Glückshormonen ein, sobald er sich anstrengte. Gott sei Dank, dass Heisenberg dabei war. Seine kurzen Beine erlaubten keine großen Sprünge. Er konnte langsam tun und aufpassen, dass der Dackel nicht verloren ging.