Klopodniks zweite Chance - Leon Berg - E-Book

Klopodniks zweite Chance E-Book

Leon Berg

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Beschreibung

Petra Einstein ist Senior-Coach bei CYS, Coach Your Soul Limited. Die Firma hat von Gott den Auftrag bekommen, der sündigen Seele den Weg in den Himmel zu ebnen. Im finsteren Mittelalter war dafür das Fegefeuer zuständig. Dort ging es ziemlich grob zu. Flammen, Hitze und Rauch waren die Werkzeuge, um die reine Seele aus der Legierung zu scheiden, die sie mit der Sünde eingegangen war. Der Name Purgatorium ist zwar geblieben, doch die Humanisierung der Läuterungsprozesse führte dazu, dass heutzutage keine Zustände mehr wie in dem Hochofen eines Hüttenwerks herrschen. Im Fegefeuer geht es menschlich zu. Auf einer Infoveranstaltung erklärt Petra Einstein, wie CYS die sündigen Menschen in den Himmel bringt. Anhand der Läuterung von Gernot Klopodnik verspricht Petra Einstein Antworten auf all die Fragen, von denen die Anwesenden geplagt werden. Wie wasche ich mich rein? Welche Läuterung passt zu mir? Gibt es besonders schwere Sünden, die sozusagen unheilbar sind?

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Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhaltsverzeichnis

Klopodniks zweite Chance

Impressum

Leon Berg

Klopodniks zweite Chance

Groteske

I

Get together

Die unglaubliche Menschenmenge, die Einlass in den größten Saal des Brönstätter-Kino-Centers begehrt, macht den Mann vom Fernsehen sprachlos. Seine Sprachlosigkeit dokumentiert er in der Art eines Sportreporters, der mit ungehemmtem Redefluss ein Fußballspiel kommentiert.

„Die Türen zum Saal öffnen sich, ein Johlen und Schubsen beginnt, ich bin völlig sprachlos. Wo sind die besten Plätze? Die Orientierungslosen, die nicht wissen, ob sie nach vorne oder nach hinten streben sollen, nehmen in der Mitte Platz. Das Interesse an der Informationsveranstaltung von CYS, Coach Your Soul Limited, ist riesig. Schon sind die mittleren Plätze belegt.“

Der Mikrofon-Ständer wirft scharfe Schattenrisse auf den roten Stoff des geschlossenen Vorhangs. Eine Stimme auf dem Off bittet um Ruhe. Es folgt die Mikrofonprobe: „Eins, zwei. Eins, zwei.“ Das Stimmengewirr verebbt zu erwartungsvollem Gemurmel. Knabbertüten knistern und rascheln, Popcorn knackt. Die ersten Glasflaschen fallen um und kullern unter den Sitzreihen nach vorn, manche bis zur ersten Reihe.

„Endlich öffnet sich der Vorhang. Da ist sie! Da! Da! Da!“

Eine zierliche, blonde Frau in cremefarbenem Kostüm betritt die Bühne. Wie eine Predigerin hebt sie die Arme und lächelt. Ihr Blick gleitet milde über das Publikum. Das Wispern und Raunen verstummt, es ist mucksmäuschenstill, nur das Rauschen der Klimaanlage ist noch zu hören.

„Einen schönen Sonntag-Morgen. Mein Name ist Petra Einstein, ich bin Senior-Coach bei CYS, Coach Your Soul Limited. Ich freue mich gigantisch, dass Sie so zahlreich erschienen sind. So viele Leute, die wissen wollen, wie wir von CYS die Menschen in den Himmel bringen, wunderbar!“

Petra Einstein verspricht Antworten auf all die Fragen, von denen die Anwesenden geplagt werden. Wie wasche ich mich rein? Welche Läuterung passt zu mir? Gibt es besonders schwere Sünden, die sozusagen unheilbar sind? Auch zu Zweifelsfällen der Läuterung werde sie Stellung beziehen.

„CYS, Coach Your Soul Limited, hat von Gott den Auftrag bekommen, der sündigen Seele den Weg in den Himmel zu ebnen. Im finsteren Mittelalter war dafür das Fegefeuer zuständig, das Purgatorium, der Ort der Reinigung. Dort ging es ziemlich grob zu. Flammen, Hitze und Rauch waren die Werkzeuge, um die reine Seele aus der Legierung zu scheiden, die sie mit der Sünde eingegangen war. Der Name Purgatorium ist zwar geblieben, doch die Humanisierung der Läuterungsprozesse führte dazu, dass heutzutage keine Zustände mehr wie in dem Hochofen eines Hüttenwerks herrschen. Im Fegefeuer geht es menschlich zu, so wie an jedem x-beliebigen Büroarbeitsplatz.“

Das Publikum applaudiert, als es mit eigenen Ohren hört, was es mit eigenen Augen in der Klatschpresse gelesen hat.

„Kein Beelzebub wird mehr mit Gewalt ausgetrieben. Die verdammten Seelen sind geschätzte Kunden mit den üblichen Verbraucherrechten. Was sie verbindet, ist das Problem, keinen Einlass in den Himmel zu finden. CYS hat dazu die passende Lösung entwickelt: Extend the Deadline, die zweite Chance, die Second Chance. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kinder, auch Sie können davon profitieren.“

Wieder Applaus. Also stimmt es, was in den Illustrierten steht. Es gibt die zweite Chance, Läuterungsfirmen schieben den Todeszeitpunkt hinaus, bis die Seele über das hinreichende Maß an Reinheit zur Aufnahme ins ewige Paradies verfügt.

„CYS hat als einziger Anbieter die Note ‚gut‘, in Klammer ‚zweikommadrei‘, von der Stiftung Warentest erhalten. Das ist super! CYS, Paradise is Yours.“

Petra Einstein weiß, dass das Publikum Beispiele liebt. Beispiele sind konkreter als abstrakte Beschreibungen. Sie kündigt die virtuelle Fallstudie an, die zeigt, wie CYS den Sensenmann dazu bringt, unverrichteter Dinge wieder abzuziehen.

„An dieser Case Study hat ein interdisziplinäres Team aus Psychologen, Medizinern, Pädagogen und Philosophen im Rahmen der Drittmittelforschung mitgearbeitet. Mein ganz besonderer Dank gilt unserem Sponsor Ahrsteiner Gletscherquell, ohne den diese Case Study niemals möglich geworden wäre.“

Alle fragen sich, wie das Beispiel aussehen werde, das ihnen die Läuterung einer sündigen Seele plastisch vor Augen führen soll. Was hat der arme Mensch getan, der trotz des Fehltritts die Himmelfahrt antreten darf?

„Wir hätten uns für Mord, Totschlag oder Vergewaltigung entscheiden können. Jedoch wollen wir den anwesenden Kindern die Bilder körperlicher Brutalität ersparen. Zudem denke ich, dass die Anwesenden nicht in solchen Kreisen verkehren, wo einer dem anderen den Schädel einschlägt.“

Eifriges Kopfnicken, Applaus.

„Wir haben deshalb eine White-Collar-Sünde gewählt. Solche Sünden wiegen schwer, aber es fließt kein Blut.“

Petra Einstein gibt der Regie die Anweisung, die Präsentation der Fallstudie zu starten. Die Bühne dimmt ins Dunkel. Auf der Leinwand taucht eine Powerpoint-Folie auf, dann fährt der Rechner herunter, und ein Windows-Update warnt eindringlich davor, den Computer jetzt auszuschalten.

Stille.

Eine Panne?

Die Leute wissen es nicht und lassen sich nichts anmerken.

Petra Einstein lächelt. Sie zieht alle Blicke auf ihr strahlendes Gebiss. Zum Glück hat Petra Einstein ein wunderschönes Gebiss, das man eine gute halbe Stunde anschauen kann, ohne dass einem langweilig wird.

Als das Windows-Update vorbei ist, schwebt die Logo-Animation von CYS über die Projektionswand. Die erste Folie zeigt das Bild eines rundlichen Mannes in mittlerem Alter. Das Porträt ist in Bauchhöhe abgeschnitten. Man erfährt nur, dass er ein kariertes Flanellhemd trägt und weiß nicht, was für Hosen er anhat. Dafür steht am unteren Bildrand sein Name geschrieben: „Gernot Klopodnik, Konsument“.

„Sogleich werden Sie mir über die Schulter schauen und live miterleben, wie wir von CYS, Coach Your Soul Ltd, uns den Hintern aufreißen, damit unsere Kunden – sprich Sie – die Ewigkeit im Himmel genießen dürfen. Sie sehen echte Wirklichkeit. Die Vorführung ist live und virtuell zugleich. Wir können sowas. Sonst wären wir nicht CYS. Fiebern Sie mit, und schauen Sie, wie sich alles zum Guten wenden wird.“

Applaus.

Das Licht geht an. Verwundert schauen sich die Leute um. Sie haben eine Vorführung erwartet, stattdessen flitzen Hostessen durch die Sitzreihen und bieten Ahrsteiner Gletscherquell an, das Wasser der erfolgreichen Seele.

„Greifen Sie zu! Heute nur neunundneunzig Cent die Flasche!“

Ein Mann aus dem Publikum hebt den Arm und schnippt aufgeregt mit den Fingern.

„Hallo Patty, ähm, ich darf doch Patty zu Ihnen sagen, Frau Einstein? Patty für Petra, klingt nicht so förmlich. Ja? Danke, das ist nett. Also ich habe da eine Frage, Patty. Und zwar möchte ich gerne wissen, ob Gott sauer ist, wenn wir sonntags morgens nicht in die Kirche gehen, sondern zu dieser Matinee im Brönstätter-Kino-Center. Ich meine, es wäre ziemlich widersinnig, wenn Gott das in falschen Hals bekäme, also, dass wir, die das Schmoren in der Hölle um jeden Preis vermeiden wollen, nun erst recht dort eingeliefert werden.“

„Keine Sorge, Sie können die Vorführung beruhigt genießen. Das ist mit dem Herrn abgesprochen. Und falls doch etwas schiefgehen sollte, gibt es uns, CYS, Coach Your Soul Limited. Machen Sie es sich bequem. Genießen Sie einen kräftigen Schluck Ahrsteiner Gletscherquell, das Wasser der erfolgreichen Seele! Vorhang auf für den Sündenfall!“

Fischgeruch

„Der Fisch stinkt.“

„Das kann nicht sein.“

„Riech selbst!“

Seine Frau klemmte die Schwanzflosse des Fisches zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt ihrem Mann den Fisch hin. Klopodnik schnupperte.

„Du hast Recht. Der Fisch stinkt. Unbegreiflich.“

„Fisch, der nicht frisch ist, stinkt. Was ist daran unbegreiflich?“

„Ich habe ihn bei Brönstätter gekauft.“

„Bei Brönstätter?“

„In der Feinkostabteilung. Dort ist gerade mediterrane Woche.“

„Warum kaufst du Fisch bei Brönstätter?“

„Du weißt doch, wie das ist, Constanze. Brönstätter ist ein großes Unternehmen. Alles hat seine Ordnung. Man trifft auf eine ausgeklügelte Organisation. Das Personal hat keine persönliche Bindung zu den Dingen, die es verkauft. Stell dir vor, du würdest bei Onkel Willi einen Fisch kaufen…“

Constanze verdrehte die Augen und lachte. Den lieben langen Tag saß Onkel Willi in seinem Plastik-Klappstuhl am Rand des Hafenbeckens, neben ihm die Angelrute auf dem Ständer. Er döste vor sich hin, bis der Schwimmer zuckte. Meist zappelte nur silbernes Fischlein an der Leine, zu klein, um einen erwachsenen Menschen satt zu machen, zu groß, um ihn als Köder am Haken zu befestigen, und so ölig, dass er beim Braten die Wohnung mit dem typischen Gestank von Dieselkraftstoff verpestete.

„Du hast Recht, Gernot. Onkel Willi ist auf alles stolz, was er aus dem Wasser zieht. Zu Onkel Willi kannst du nicht einfach sagen, dass sein Fisch nach Benzin riecht und dass das arme Tier auch ohne Angel bald zugrunde gegangen wäre. So despektierlich kann man mit ihm nicht reden. Er liebt seine Tätigkeit. Schneller als man denkt, hat man sich eine Ohrfeige eingefangen. Je mehr sich Menschen mit ihrem Tun identifizieren, desto beleidigter sind sie, wenn andere daran etwas auszusetzen haben.“

„Deshalb habe ich den Fisch lieber bei Brönstätter gekauft als bei Onkel Willi. Ich kann seine traurig-feuchten Augen nicht ertragen, wenn man ihn kritisiert. Bei Brönstätter geht man nur in die Reklamationsabteilung, trifft auf höfliche, zuvorkommende Menschen und muss nicht einmal einen Grund nennen, wenn man etwas umtauschen möchte.“

„Bei Onkel Willi kann man wirklich nichts umtauschen, man kann es nur wegschmeißen.“

„Der arme Fisch.“

„Onkel Willi kapiert nichts.“

„Bei Brönstätter hat alles seine Ordnung. Man kann sich darauf verlassen, dass man als Kunde nicht nur geachtet sondern wie ein König behandelt wird.“

Marktbeobachtung

Auf der Verwaltungsetage verließ der neue Assistent der Brönstätter-Geschäftsleitung den Fahrstuhl und huschte von Namensschild zu Namensschild, bis er das Büro des General Store Managers gefunden hatte. Die Tür stand offen. Er sah den Chef an die Wand hinter dem Schreibtisch starren. Auf einmal drehte er ihm den Kopf zu und lachte jovial.

„Kommen Sie herein! Kommen Sie, ich bin zwar der General Store Manager von Brönstätter, aber ich beiße nicht. Meine Tür ist offen für alle Untergebenen, egal wie tief sie in der Hierarchie unter mir stehen.“

Schön, stumm und willfährig betrat der neue Assistent das Büro. Seine Haltung signalisierte zugleich Selbstbewusstsein und loyale Unterwürfigkeit. Er kannte die Weltordnung: Hochmut dem Feind, Demut dem Chef.

Der General Store Manager ergriff das Wort.

„Wie war doch gleich Ihr Name? Müller?“

„Meyer. Sie können aber auch Müller zu mir sagen. Ganz wie es Ihnen beliebt.“

Die Lippen des Neuen spreizten sich zu einem breiten Verkäuferlächeln. Alles an ihm strömte, nichts setzte sich dem Fluss entgegen. Die Haare glatt nach hinten gekämmt, das fliehende Kinn, der Rücken andeutungsweise gekrümmt. Weder Fragen noch Zweifel lauerten in seinen Gesichtszügen.

„Also schön, Müller-Meyer oder Meyer-Müller. Kommen Sie rasch zu mir, und schauen Sie mir über die Schulter. Da auf den Monitor, was sehen Sie?“

Meyer trat näher und verschränkte die Hände über dem Steißbein. Er duckte Körper und Kopf in Richtung des Flachbildschirms, der an der Hand befestigt war. Die Brille rutschte ihm auf dem Nasenrücken bis zur Spitze herab. Der Zipfel seiner Krawatte berührte die Tischplatte.

„Sie bespitzeln die Kundschaft, Herr Kromberger?“

„Bespitzeln – welch unschönes Wort! Ich möchte im Bilde sein. Die Kunden sind kaum noch zufriedenzustellen. Anstatt sich über die Unermesslichkeit der Markenwelt zu freuen und den Rubel rollen zu lassen, stellen sie Ansprüche, als wäre Brönstätter eine Behörde! Beim Staat muss man natürlich Widerspruch einlegen, sich beschweren, ja es ist geradezu die bürgerliche Pflicht, über unfähige Beamte und Mitarbeiter herzuziehen, sie mit Anmaßungen zu drangsalieren und schlechte Stimmung zu verbreiten. Aber Brönstätter ist ein Konsumtempel! Wir geben uns viel Mühe mit allem und wollen Umsatz dafür!“

Die letzten Worte hatte der General Store Manager geradezu aus sich heraus geschrien, dass es dem neuen Assistenten opportun erschien zu zeigen, auf wessen Seite er stand.

„Shoppen heißt Spaß und Erlebnis! Shoppen verträgt keine Miesepetrigkeit.“

„Trefflich formuliert, Müller – oder Meyer. Der Konsum ist das höchste Gut, das ein Staat den mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu bieten hat. Die Menschen sind viel lieber Verbraucher als Staatsbürger. Wir dürfen nicht zulassen, dass Quertreiber der Allgemeinheit die Konsumlaune verderben.“

„Ganz Ihre Meinung, Herr Kromberger. Der Mensch ist ein Konsument. Er hat Bedarf anzumelden und der nachfolgenden Generation den Verbrauch zu lehren. Shopping ist erste Bürgerpflicht. Der Sinn des Daseins ist der Verbrauch der Dinge. ‚Ich kaufe, also bin ich‘, würde Descartes heute sagen, wenn sich vor ihm die Glasschiebetüren von Brönstätter öffnen. Ein großer Fortschritt, denn materieller Konsum ist auf Heller und Pfennig beweisbar, im Gegensatz zum nicht-stofflichen Denken.“

Er drückte den Zeigefinger gegen den Bügel seiner Brille und schob sie zur Stirn hinauf.

„Trefflich formuliert, Meyer. Aber manchen Menschen fehlt diese Einsicht.

---ENDE DER LESEPROBE---