Glück aus fremder Hand - Patricia Vandenberg - E-Book

Glück aus fremder Hand E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Voller Trauer stand Claudia Hellwig am Grab ihrer Mutter. Nur wenige Menschen hatten ihr das letzte Geleit gegeben, aber Carola Hellwig hatte in den letzten Jahren ihres Lebens ganz zurückgezogen gelebt. Sie war eine vorbildliche Mutter gewesen, und so hatte Claudia niemals einen Vater vermißt, von dem sie nicht einmal den Namen erfahren hatte. Ihre Großeltern waren gestorben, bevor sie sie richtig kennenlernen konnte. Carola hatte in einem Verlag als Lektorin gearbeitet und gut verdient, und so hatte sie ihrer Tochter auch eine ausgezeichnete Schulbildung finanzieren können. Aber studieren wollte Claudia nicht, weil ihre Mutter schon kränkelte, als sie das Abitur gemacht hatte, und so war sie Laborantin geworden, mit allerbesten Zeugnissen. Ihr Leben war bisher im schönen Gleichmaß verlaufen. Sie war in Kassel geboren und aufgewachsen, und es hatte ihr gefallen. Sie lebten in einer schönen Vierzimmerwohnung, nicht besonders aufwendig, aber ohne Sorgen, und ihr hatte es an nichts gefehlt. Übertriebene Wünsche wie andere hatte sie nie geäußert, und es war immer im Rahmen geblieben, was sie von ihrer Mutter geschenkt bekam. Geld war kein Thema zwischen ihnen. Claudia bekam ein ausreichendes Taschengeld, und damit kam sie auch aus. Also konnte man sagen, daß es Carola Hellwig verstanden hatte, ihre Tochter zu einem sehr vernünftigen Menschenkind zu erziehen. Was Claudia nun wohl am meisten vermissen würde, war, daß sie mit ihrer Mutter nun nicht mehr über alles reden konnte. Da gab es keine Tabus. Sie ahnte nicht, daß sie an diesem Tag der Beerdigung eine Überraschung erleben sollte. Lange hatte sie beim Grab ausgeharrt und die Blumen noch gerichtet. Sechsundvierzig Jahre, dachte sie, andere werden neunzig und wissen gar nicht mehr, was Leben bedeutet. »Warum mußtest du so früh sterben, Mami«, sagte sie leise vor sich hin.

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Dr. Norden Bestseller – 357 –

Glück aus fremder Hand

Patricia Vandenberg

Voller Trauer stand Claudia Hellwig am Grab ihrer Mutter. Nur wenige Menschen hatten ihr das letzte Geleit gegeben, aber Carola Hellwig hatte in den letzten Jahren ihres Lebens ganz zurückgezogen gelebt.

Sie war eine vorbildliche Mutter gewesen, und so hatte Claudia niemals einen Vater vermißt, von dem sie nicht einmal den Namen erfahren hatte. Ihre Großeltern waren gestorben, bevor sie sie richtig kennenlernen konnte.

Carola hatte in einem Verlag als Lektorin gearbeitet und gut verdient, und so hatte sie ihrer Tochter auch eine ausgezeichnete Schulbildung finanzieren können. Aber studieren wollte Claudia nicht, weil ihre Mutter schon kränkelte, als sie das Abitur gemacht hatte, und so war sie Laborantin geworden, mit allerbesten Zeugnissen.

Ihr Leben war bisher im schönen Gleichmaß verlaufen. Sie war in Kassel geboren und aufgewachsen, und es hatte ihr gefallen. Sie lebten in einer schönen Vierzimmerwohnung, nicht besonders aufwendig, aber ohne Sorgen, und ihr hatte es an nichts gefehlt. Übertriebene Wünsche wie andere hatte sie nie geäußert, und es war immer im Rahmen geblieben, was sie von ihrer Mutter geschenkt bekam. Geld war kein Thema zwischen ihnen. Claudia bekam ein ausreichendes Taschengeld, und damit kam sie auch aus. Also konnte man sagen, daß es Carola Hellwig verstanden hatte, ihre Tochter zu einem sehr vernünftigen Menschenkind zu erziehen.

Was Claudia nun wohl am meisten vermissen würde, war, daß sie mit ihrer Mutter nun nicht mehr über alles reden konnte. Da gab es keine Tabus. Bis auf eines, aber das wußte Claudia noch nicht…

Sie ahnte nicht, daß sie an diesem Tag der Beerdigung eine Überraschung erleben sollte.

Lange hatte sie beim Grab ausgeharrt und die Blumen noch gerichtet. Sechsundvierzig Jahre, dachte sie, andere werden neunzig und wissen gar nicht mehr, was Leben bedeutet.

»Warum mußtest du so früh sterben, Mami«, sagte sie leise vor sich hin. »Ich hätte dich noch so nötig gebraucht. Warum mußte diese schreckliche Krankheit ausgerechnet bei dir ausbrechen.«

Leukämie – auch Carola hatte es damals nicht fassen wollen, aber bald hatte sie mit Claudia darüber gesprochen, um sie darauf vorzubereiten, daß sie eines nicht mehr fernen Tages allein sein würde.

Langsam verließ Claudia den Friedhof, ging zu ihrem Wagen, der vorher ihrer Mutter gehört hatte. Aber sie hatte schon lange nicht mehr fahren können. Es hatte ihr an der Konzentration gefehlt, so sehr sie sich auch bemüht hatte, geistig auf der Höhe zu bleiben. Geschrieben hatte sie viel, bis die Kräfte sie ganz verließen, aber sie hatte davon Claudia nichts lesen lassen.

»Später einmal wirst du es lesen können«, hatte sie gesagt. »Ich mag unfertige Sachen nicht.«

Zu Hause angekommen betrachtete Claudia die große Fotografie ihrer Mutter, die vor drei Jahren gemacht worden war. Es war ein künstlerisches Foto, das ihr ausdrucksvolles, apartes Gesicht voll zur Geltung brachte, aber man konnte schon den in sich gekehrten Ausdruck sehen, den die beginnende Krankheit ihm verliehen hatte.

Ein schwerer Seufzer entrang sich Claudias Brust, dann ging sie in die Küche und setzte Teewasser auf.

Sie meinte ihre Mutter zu sehen, als sie sich an den kleinen Tisch setzte, an dem sie oft in aller Eile gefrühstückt hatten, als Carola noch berufstätig war und sie beide immer in Eile gewesen waren, und an diesem Tisch hatte Carola vor gar nicht allzulanger Zeit gesagt: »Ein Testament brauche ich ja nicht zu machen, denn du bist meine einzige Erbin. Auf der Bank habe ich alles geregelt. Du gehst zu Herrn Riegler, und er wird dich über alles informieren. Über mein Konto hast du die Vollmacht, und was im Safe liegt, wird dir ausgehändigt werden.«

Sie hatte sich gewundert, daß Carola einen Safe gemietet hatte, wofür eigentlich? Besaß sie Werte, über die sie nicht gesprochen hatte?

Doch momentan dachte Claudia nicht daran, denn der Teekessel pfiff, und sie brühte den Tee auf. Während er ziehen mußte, machte sie sich zwei Brote zurecht, eines mit Schinken, das andere mit Käse. Dann machte sie es sich im Wohnzimmer bequem, und um das Gefühl der Einsamkeit zu überbrücken, schaltete sie den Fernseher ein.

Zur Bank wollte sie an diesem Tag nicht gleich gehen, obgleich Herr Riegler ihr schon seine Anteilnahme bekundet hatte und dazu schrieb, daß er bald mit ihrem Besuch rechne.

Es war eine ganze Menge Post gekommen, die jetzt auf dem Tisch vor ihr lag, aber sie fischte sich nur den Brief von ihrer Freundin Kerstin heraus, die in München lebte und als Auslandskorrespondentin in einer großen Firma arbeitete.

Ich weiß, wie Dir zumute ist, Claudi, schrieb sie. Ich hatte ja nie ein so inniges Verhältnis zu meiner Mutter, aber ich bedauere zutiefst, daß Deine liebe Mama so früh sterben mußte. Komm doch nach München, jetzt hält Dich doch nichts mehr in Kassel, oder gibt es inzwischen doch einen Mann, von dem ich noch nichts weiß? Ich würde Dich so gern in meiner Nähe wissen, und hier findest Du bestimmt auch eine Stellung.

Es wäre zu überlegen, dachte Claudia. Was soll ich hier allein. Es hielt sie nichts mehr, denn einen Mann gab es nicht in ihrem Leben. Sie hatte jede freie Stunde ihrer Mutter gewidmet.

Kerstin Reinhold war ihre Schulfreundin. Bis zum Abitur waren sie zusammengewesen. Kerstin hatte sich mit ihren Eltern, die getrennt lebten, nicht verstanden. Sie hatte ihre weitere Ausbildung in München gemacht und war auch dort geblieben. Aber sie waren immer im Briefwechsel und telefonierten auch manchmal miteinander.

Nachdem Claudia eine Weile in Gedanken versunken dagesessen hatte, widmete sie sich der anderen Post. Da war noch ein Brief, der ihr wichtiger war als die andern. Er kam von Brigitte Kaufmann, der einzigen Freundin ihrer Mutter. Claudia hatte ihr eine Anzeige nach Mittenwald geschickt und war ein bißchen enttäuscht gewesen, daß Brigitte nicht zur Beerdigung gekommen war, denn sie war auch ihre Patin.

Mein armes Hascherl, schrieb Brigitte, wie gern wäre ich jetzt bei Dir, aber ich habe mir beim Skifahren das rechte Bein gebrochen und kann nur grad so herumhatschen. Günter ist derzeit beruflich in Ägypten, und so tue ich mich halt ein bißchen schwer, da die Kinder im Internat sind und ich von der Burgl nicht alles verlangen kann, denn sie ist auch schon recht klapprig. Aber schön wäre es, wenn Du kommen könntest, denn ich denke, daß Du nun erst Abstand gewinnen willst. Ich würde mich herzlich freuen, wenn Du ein paar Wochen bei uns verbringen würdest und schließe Dich liebevoll in meine Arme, Deine Gittitant.

Die »Gittitant«, schon im jungen Alter von knapp drei Jahren hatte Claudia diesen Kosenamen erfunden, und dabei war es auch geblieben.

Ich werde zu ihr fahren und dann nach München, dachte Claudia. Und dann werde ich mir überlegen, wo ich leben möchte. Hier hält mich ja wirklich nichts mehr.

Sie trat ans Fenster. Früher hatte man einen freieren Blick gehabt, aber nun war viel gebaut worden. Eigentlich hätte Claudia gern auf dem Lande gelebt, deshalb war sie auch so gern in Mittenwald gewesen, in dem schönen bayerischen Landhaus, in dem Brigitte und Günter Kaufmann mit ihren Kindern Florian und Marisa wohnten. Aber wegen der schulischen Weiterbildung waren die beiden dann für die letzten Jahre ins Internat gegangen, die unzertrennlichen Zwillinge, mit denen sich Claudia gut verstand, obwohl sie fünf Jahre älter war.

Sie löste sich von ihren Erinnerungen und griff nach dem Telefon, um Brigitte anzurufen, und als deren weiche Stimme an ihr Ohr tönte, kamen ihr zum ersten Mal nach diesen trostlosen Tagen die Tränen.

»Ich habe grad deinen Brief gelesen, Gittitant«, sagte sie leise. »Ich würde gern kommen. Eine Last würde ich dir schon nicht sein.«

»Bestimmt nicht, Liebes«, sagte Brigitte, »freuen würde ich mich. Hast den Nachlaß schon gesichtet?«

»Noch nicht. Mami hatte fast alles auf der Bank, da gehe ich morgen hin.«

»Willst du in Kassel bleiben?«

»Nein, ich überlege gerade. Aber es gäbe dann viel aufzulösen.«

»Es wäre besser, wir könnten alles persönlich bereden, Claudi. Komm bald. Du bist herzlich willkommen.«

»So bald wie möglich. Ich rufe vorher noch an.«

»Das brauchst du nicht. Ich bin ja immer zu Hause.«

Als Claudia den Hörer aufgelegt hatte, kam es ihr in den Sinn, daß Brigittes Stimme anders geklungen hatte, als sie gefragt hatte, ob sie den Nachlaß schon geregelt hätte. War da etwas Besonderes zu erwarten?

Es war nun schon Abend geworden, und die Dunkelheit sank herab. Claudia ging zum Schreibtisch ihrer Mutter. Sie war nie ein neugieriges Kind gewesen. Sie hätte gar nicht gewagt, in die Schubladen zu schauen, obgleich die nicht abgeschlossen waren. Aber Carola hatte auch nie in ihren Sachen herumgeschnüffelt, wie es beispielsweise Kerstins Mutter stets getan hatte, was das Vertrauensverhältnis auch arg untergraben hatte.

»Ich muß ja nachschauen, Mami«, sagte Claudia. »Ich muß dann ja auch alles einpacken, wenn ich von hier fortgehe, aber ohne dich möchte ich hier gar nicht mehr leben.«

Sie fand ein paar Kalender, ein Kästchen mit Schlüsseln und darin auch die Einlaßkarte zum Schließfach. Ein kleines Fotoalbum, in dem sich nur Fotos von ihr befanden, von jedem Lebensjahr eines. In den Seitenfächern befand sich mehr. Ein Hefter mit engbeschriebenen Seiten, zwei Fotoalben mit Bildern vom Urlaub in den Bergen, in Italien und an der Nordsee. Claudia kannte alle Bilder. Ein Foto von einem Mann fand sie nicht. Es gab wohl keinen Hinweis auf den Mann, der ihr Vater zu nennen war.

Da waren dann noch zwei dicke Ledermappen, die verschlossen waren, aber die passenden Schlüssel befanden sich in dem Kästchen.

Claudia wollte den Inhalt nicht sehen. Sie hatte plötzlich Angst, etwas zu finden, was die wunderschöne Erinnerung an ihre Mutter trüben könnte.

Und plötzlich wurde die Frage, wer ihr Vater sein mochte, quälend. War er gestorben, lebte er noch, und wenn, dann wo? Und warum hatte ihre Mutter nie von ihm gesprochen?

Da war noch ein kleines Büchlein. »Gedenktage«, stand darauf in verblaßter goldener Schrift. Sie schlug es auf. Es war ein immerwährender Kalender. Verschiedene Namen an bestimmten Tagen waren hineingeschrieben, Mutti, Vater, Brigitte, Johannes, und an ihrem Geburtstag, am ersten Juli, stand ihr Name: Claudia, Jannine Hellwig. Und auf der anderen Seite: »Er war mein Leben und meine Liebe. Es wird keinen anderen Mann geben.«

Ein Frösteln kroch durch Claudias Körper. Nur das, kein Name, sonst nichts, war das alles, was sie erfahren sollte von ihrem Vater, und warum dieses Schweigen?

Ganz mechanisch begann sie die beiden Ledermappen einzupacken, den Hefter und auch das Büchlein. Ihre Hoffnung war jetzt, daß Brigitte ihr etwas sagen konnte, und vorher wollte sie auch gar nichts mehr lesen.

Ihr Schlaf war in dieser Nacht von wirren Träumen erfüllt. Am Morgen fuhr sie mit einem Schrei empor, aber sie konnte sich dann nicht mehr erinnern, warum sie geschrien, was sie geträumt hatte.

Sie nahm sich sehr viel Zeit für die Morgentoilette, kleidete sich sorgfältig an, denn sie wollte früh bei Bankdirektor Riegler sein. Jetzt ließ es ihr keine Ruhe mehr, was in dem Schließfach wohl enthalten sein mochte.

Als sie schon im Wagen saß, kam ihr der Name Johannes in den Sinn. Wer mochte das sein? Nun, es war lange her, daß sie geboren war, fast dreiundzwanzig Jahre, und wer weiß, wieviel Menschen von jenen schon gestorben waren, die ihre Mutter vor dreiundzwanzig Jahren und noch mehr gekannt hatte. Wenn man einen Beruf und dazu ein Kind hatte, für das man allein sorgen mußte, hatte man kaum Zeit, Freundschaften zu pflegen, und Claudia dachte auch zurück, an wen sie sich eigentlich noch erinnern konnte aus der frühen Kindheit.

Als sie vor der Bank hielt, tatsächlich bekam sie einen Parkplatz, begann ihr Herz zu hämmern. Sie war ganz blaß, als Herr Riegler sie begrüßte. Er war ein älterer, sympathischer weißhaariger Mann, gab sich ganz väterlich, aber auch überaus höflich.

Sie legte die Einlaßkarte und die Safeschlüssel auf seinen Schreibtisch.

»Darf ich fragen, ob meine Mutter das Schließfach schon längere Zeit gemietet hat?« fragte sie tonlos.

»Ja, gewiß, ich habe alle Geschäfte für sie erledigt, und ich denke, zu ihrer vollsten Zufriedenheit. Ihre Frau Mutter wollte Ihnen Scherereien mit dem Nachlaßgericht ersparen und hat sich demzufolge auf mich verlassen, um für Sie vorzusorgen.«

Claudia wußte nicht, was sie sagen sollte. Ihre Kehle war wie zugeschnürt…

»Begeben wir uns nach unten?« fragte er ruhig.

Sie nickte beklommen und erhob sich. »Es ist für mich eine neue Situation«, stammelte sie. »Meine Mutter hat nie mit mir über finanzielle Dinge gesprochen, und ich hatte auch keinen Anlaß, sie zu fragen. Uns ging es gut.«

»Darauf war Ihre Frau Mutter auch sehr bedacht, daß es Ihnen an nichts fehlen sollte.«

Sie stiegen zu dem Tresorraum hinunter. Noch nie war Claudia in einem ähnlichen Raum gewesen, und sie wagte gar nicht zu atmen.

Ihre Finger wollten nicht gehorchen, als sie das Schließfach 312 aufschloß. Es war ziemlich groß. Eine schwere Kassette stand darin, und darunter befand sich wieder eine so ähnliche verschlossene Ledermappe wie jene, die sie aus dem Schreibtisch genommen hatte.

»Sie haben selbstverständlich sofortiges alleiniges Verfügungsrecht über den Inhalt, aber vielleicht sollte ich Ihnen einiges erklären, wenn Sie mit Anleihen, Sparbriefen und auch Versicherungen nicht vertraut sind.«

»Ich habe von alldem wirklich keine Ahnung und wußte überhaupt nicht, daß Mutter so etwas besitzt. Vielleicht hätte sie mich doch darüber aufklären sollen.«

»Das hat sie mir überlassen, und ich stehe zu Ihrer Verfügung, Fräulein Hellwig. Ich denke, Sie sollten das Vermögen nicht mit sich herumtragen, sondern wieder in den Safe zurücklegen, was Sie nicht zu Geld machen wollen. Die Lebensversicherung zu benachrichtigen, habe ich mir schon erlaubt, denn das muß kurzfristig geschehen.«

»Eine Lebensversicherung hatte Mami auch?« entfuhr es Claudia fassungslos.

»Sie wurde schon kurz nach Ihrer Geburt auf Ihren Namen abgeschlossen.«

Claudia war völlig verwirrt. »Jetzt begreife ich gar nichts mehr«, sagte sie kopfschüttelnd.

»Aus der Lebensversicherung erhalten Sie einhunderttausend Euro, und wenn alles andere zusammengerechnet wird, kommt mit Zins und Zinseszins eine halbe Million heraus. Das darf ich vorweg sagen, und deshalb wäre ich besorgt, wenn Sie alles mit nach Hause nehmen würden.«

Claudia wurde noch blasser. »Um Himmels willen nein, das konnte ich ja nicht ahnen. Woher hatte meine Mutter das viele Geld? Das kann sie doch nicht verdient haben«

»Es handelte sich wohl um ein Erbe, und es sind überwiegend ausländische Wertpapiere, die hoch im Kurs stehen. Nähere Auskünfte hat mir Ihre Mutter auch nicht erteilt, und das habe ich auch nicht erwartet. Und wie Sie aus den Kontoauszügen ersehen können, wurde über all die Jahre monatlich tausend Dollar überwiesen.«

»Von wem?«

»Von einer Bank in New York. Es hat alles seine Richtigkeit, Fräulein Hellwig.«

»Für mich bleiben Rätsel«, sagte sie leise.

»Sie hatten eine sehr liebevolle und fürsorgliche Mutter«, stellte er betont fest.