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Gräfin Elisa von Ahlefeldt gehörte zu den wenigen Frauen ihrer Epoche, die den Ausbruch in die Selbstbestimmung wagen konnten. Mit großer Zuneigung nähert sich Günter de Bruyn der Lebens- und Liebesgeschichte dieser ungewöhnlichen, vielfach bewunderten Frau. Ihre individuelle Biographie verweist dabei immer auch auf das Gesamtbild einer bis heute prägenden Epoche.
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Seitenzahl: 165
Günter de Bruyn
Gräfin Elisa
Eine Lebens- und Liebesgeschichte
Fischer e-books
Die Hauptpersonen der hier folgenden Lebens- und Liebesgeschichte sind neben der im Titel genannten Gräfin drei Männer, die unterschiedlichen Alters, Berufs, Herkommens und Charakters waren, aber sowohl den Gegenstand ihrer Liebe gemeinsam hatten als auch das Erleben und Erleiden einer politischen Hoffnungsphase, die wie üblich ihr Ende in einer Enttäuschung fand.
Erzählt wird diese Geschichte aber nicht wegen der historischen Lehren, die man vielleicht aus ihr ziehen könnte, sondern einzig und allein ihrer Hauptperson wegen, der der Erzähler schon bei der ersten Begegnung verfallen war. Nicht um mit ihr ein weiteres Denkmal für eine Vorkämpferin der Frauenrechte zu errichten oder aber ihre dazu nicht passenden Eigenschaften zu rügen, sondern um ihr persönlich näherzukommen, hat er in der Erforschung ihres Lebens nicht nachgelassen, und aus reiner Freude darüber, von seiner zwei Jahrhunderte überbrückenden Liebe reden zu können, erzählt er auf den folgenden Seiten alles aus ihrem Leben, das zu erkunden ihm in vielen hundert Stunden des Suchens und Lesens möglich war. Die Geheimnisse, die einige Abschnitte ihres Lebens umgeben, hat er weder vollständig lüften können noch wollen, sie vielmehr, weil sie es so wollte, respektiert.
Ein Loblied auf die schönere und vielleicht auch bessere Hälfte der Menschheit, das dem Erzähler durchaus nahegelegen hätte, ist durch die treue Wiedergabe des dokumentarisch Belegten zwar verhindert worden, aber dass hier auch Zuneigung die Feder führte, ist offensichtlich, entschuldigt sich jedoch durch die Quellen, denen hier nacherzählt wird. Denn in ihnen erstrahlt das Bild der Gräfin in hellem Licht. Fast alle Männer und Frauen, die Nachrichten über sie hinterlassen haben, waren solche, die sie verehrten oder auch liebten, also nur Gutes über sie dachten, sagten und schrieben. Und die schriftlichen Hinterlassenschaften der allseits Verehrten, die diesen Glanz vielleicht hätten trüben können, sind viel zu geringfügig dafür.
Zu Lebzeiten der Gräfin Elisa oder Elise, deren vollständiger Name Elisabeth Davidia Margaretha Gräfin von Ahlefeldt-Laurvig lautete, wurde viel geschrieben, die Kreise, in denen sie sich bewegte, waren schreibfreudig in besonderer Weise, und bei Frauen ihres Schlages, also bei solchen, die auf Grund ihrer Vermögenslage den Ausbruch in die Selbstbestimmung wagen konnten, war die Hochschätzung eigner Schreibkünste meist nicht gering. Viele ihrer Zeitgenossinnen, von denen nicht wenige neben Briefen auch Bücher schrieben, waren ängstlich auf die sichere Bewahrung ihrer brieflichen und literarischen Hinterlassenschaften bedacht. Denkt man zum Beispiel an Rahel Levin, die unter Mithilfe ihres späteren Mannes Karl Varnhagen schon in jüngeren Jahren ihre eignen Briefe, von deren literarischem Wert sie überzeugt war, möglichst vollständig wieder an sich zu bringen und zu archivieren versuchte, so lässt der kümmerliche und zerstreut aufbewahrte Nachlass der Gräfin Elise doch wohl vermuten, dass sie keinen Wert darauf legte, als Frau von Bedeutung in der Nachwelt weiterzuleben, also von wohltuend bescheidener Wesensart war.
Ihre Schönheit, die bei ihrer Wahl zur Titelheldin dieser Erzählung ja auch eine Rolle spielte, wurde in allen ihren Lebensaltern sowohl von Männern als auch von Frauen gepriesen, und zwar nicht nur das Gutgewachsene, lebenslang Schlanke und Zarte, Schmalgesichtige, Blonde und Blauäugige, sondern auch die Eigenart, nur Geist- und Seelenverwandten zugänglich zu sein. Nur jene Frauen und Männer, die ihrer wert waren und die Entsprechung des äußeren Glanzes im Innern erahnen konnten, waren von der Schönheit der Gräfin entzückt. Und dieses Entzücken konnte Jahre und Jahrzehnte hindurch anhalten, weil das Altern sie nicht entstellte, sondern nur aus der jungen Schönen eine ältere, nicht weniger Schöne entstehen ließ. Nicht reizend oder gar aufreizend war diese Schönheit, sie war voller Würde und forderte Abstand, und nicht selten war auch davon die Rede, dass aus ihren Augen neben Klugheit auch Gemütstiefe abzulesen war. Da zwei ihrer Verehrer beiläufig erwähnten, dass nur ihr Mund zu dieser Art von Schönheit nicht recht gepasst habe, lässt sich vermuten, dass er für zu groß und üppig gehalten wurde; denn der damalige Zeitgeschmack war auf kleine, niedliche Münder aus. Aber diese Frage kann heute nicht mehr entschieden werden, denn die zwei bekannten Bildnisse der Gräfin, von denen eines, ein vermutlich nach einem Gemälde angefertigter Stahlstich, ihre erste, von Ludmilla Assing geschriebene Biographie schmückte, zeigen davon nichts. Zur Illustrierung ihrer Lebensgeschichte scheint ein im Kopf des Lesers entstehendes Bild besser geeignet zu sein.
Elisa Gräfin von Ahlefeldt-Laurvig. Stahlstich, 1816. Künstler unbekannt.
Dass ihre Schönheit von einem ihrer Bewunderer nordisch genannt wurde, kann etwas mit dessen Vorliebe für Germanisches zu tun haben, es kann aber auch vielleicht nur Hinweis auf ihre Herkunft sein. Denn geboren war sie als Dänin, und zwar in einer Familie, die in der Hierarchie der Standesgesellschaft ziemlich weit oben, gleich unter dem König rangierte und reich begütert war. Ihr Vater, Frederik Graf von Ahlefeldt-Laurvig, bekleidete den Rang eines Kammerherrn am königlichen Hofe und den militärischen eines Generalmajors. Begütert war er auf Langeland, der langgestreckten Insel zwischen Lolland und Fünen, deren Sandstrände heute auch mancher deutsche Urlauber kennt und schätzt. Das auf einem Hügel stehende Schloss, auf dem die Ahlefeldts seit dem 17. Jahrhundert die Herren waren, ist aus einer mittelalterlichen Festungsanlage entstanden, von der noch immer Wall und Graben zeugen, während dem Schloss selbst im 19. Jahrhundert ein neogotisches Äußeres aus rotem Backstein gegeben worden ist. Um die Festungsanlage herum hat sich eine Ortschaft gebildet, die wie das Schloss den Namen Tranekaer trägt. In diesem Schloss, von dem aus man aufs freie Meer blicken konnte, wurde Elisa am 17. November 1788 geboren und wuchs, da ein älterer Bruder bald nach der Geburt schon gestorben war, als Einzelkind auf.
Schloss Tranekaer. Ansichtspostkarte, etwa 1925.
Ihre Mutter Charlotte Louise, geborene von Hedemann, entstammte einer deutschen Familie, die in Schleswig-Holstein, das damals zur dänischen Monarchie gehörte, beheimatet war. Sie war 1762 auf dem Gut Hemmelmark bei Eckernförde geboren und aufgewachsen (auf jenem Gut also, das gegen Ende des 19. Jahrhunderts in den Besitz des Großadmirals Prinz Heinrich von Preußen, des jüngeren Bruders Kaiser Wilhelms II., gekommen war). Als Dreiundzwanzigjährige hatte sie den stattlichen und wohlhabenden Grafen geheiratet, der wie sie Musik, Literatur und besonders auch das Theater liebte, war aber später von ihm bitter enttäuscht worden, weil er von ehelicher Treue nichts hielt. Elisa, die erst älter werden musste, um vom Unglück ihrer Mutter etwas zu merken, verlebte im Schloss am Meer und im Stadthaus der Ahlefeldts in Odense, in das man sich in der kalten Jahreszeit zurückzog, eine glückliche Kindheit, auch weil ihr Vater, den sie nicht weniger als die Mutter liebte, sie zwar standesgemäß, aber doch freizügig erzog. Ihre Reitkünste wurden ebenso bewundert wie ihre Singstimme, mit der sie in Hauptpartien von kirchlichen Oratorien glänzte, und wie ihr Vater wirkte sie auch gelegentlich bei Theateraufführungen mit. Da ihr Vater die Geselligkeit liebte, kam sie auch mit Kaufleuten, Seefahrern und Künstlern zusammen, wusste sich unter Standespersonen so sicher zu bewegen wie unter Bediensteten und unter Schauspielern, von denen das Schloss oft bevölkert war. Deutsch lernte sie nicht nur von ihrer Mutter, sondern auch im Umgang mit anderen, weil damals im dänischen Adel die deutsche Sprache als vornehm galt. Unterrichtet wurde sie von einer Hamburgerin, Marianne Philipi mit Namen, die schnell das Vertrauen des Kindes erwerben konnte, der Heranwachsenden zur älteren Freundin wurde und von der erwachsenen Elisa später noch manchmal besucht wurde, wenn sie nach Hamburg kam. Ihr hatte Elisa neben einer umfassenden Bildung auch die Liebe zur deutschen Literatur zu verdanken, die später dann auch bewirkte, dass sie wie eine Deutsche fühlte und bei aller Ehrfurcht vor ihrer Herkunft ohne aristokratischen Hochmut war. Als Muttersprache aber hat sie auch im Alter noch das Dänische betrachtet, und ihrer holsteinisch gefärbten Aussprache des Deutschen merkte man noch im Alter die dänische Herkunft an.
Wie im preußischen Könighaus die Erstgeborenen immer Friedrich, Wilhelm oder Friedrich Wilhelm zu heißen hatten und bei den dänischen Königen seit dem 16. Jahrhundert die Frederiks und Christians einander ablösten, so wechselten auch bei den auf Tranekaer herrschenden Grafen die Christians mit den Frederiks ab. Ein Frederik war auch Elisas Vater, der zu jenen Gestalten der Familien- und Landesgeschichte gehörte, die die Nachwelt so schnell nicht vergisst. Er und seine Vor- und Nachfahren erhielten, um sie trotz ihrer immer gleichen Vornamen von-einander unterscheiden zu können, sprechende Beinamen, wie Knotengraf, alter Graf, Excellenz oder Theatergraf. Elisas Vater aber, der auch Theatergraf hätte heißen können, weil er das Theater liebte, es häufig besuchte, auf sein Schloss holte und in ihm mitspielte, hieß der kriegerischen Zeiten wegen, in denen er sich auch als Offizier zu bewähren hatte, der General.
Frederik Graf von Ahlefeldt-Laurvig, Elisas Vater. Künstler unbekannt.
Charlotte Louise Gräfin von Ahlefeldt-Laurvig, geb. von Hedemann, Elisas Mutter. Künstler unbekannt.
Von den Kriegen, die als Folge der Revolution in Frankreich ein Vierteljahrhundert lang Europa erschütterten und veränderten, wurde auch Dänemark, zu dem damals auch Norwegen gehörte, nicht verschont. Durch das Leben der kleine Elisa, das ein Jahr vor der Französischen Revolution begonnen hatte, dröhnte immerfort der Kanonendonner, erst nur vom fernen Italien und den Ländern am Rhein her, wo die Armeen der alten Mächte gegen die der neuen Franzosen nicht aufzukommen vermochten, bald dann aber auch im eignen Land.
In dem Bestreben, sich aus dem englisch-französischen Kriege herauszuhalten, hatte sich Dänemark dem Bündnis einer sogenannten »bewaffneten Neutralität« angeschlossen, das vom Zaren Paul I. initiiert worden war. England, wo befürchtet wurde, dass die dänische, schwedische und russische Flotte gemeinsam die britische Seeherrschaft brechen könnten, schickte deshalb im Frühjahr 1801 seine Kriegsflotte nach Dänemark. Ohne Kriegserklärung wurde von See her Kopenhagen belagert und die Auslieferung der gesamten dänischen Flotte verlangt. Als der dänische Kronprinz Frederik (der damals schon für seinen geisteskranken Vater, Christian VII., die Herrschaft ausübte, aber erst 1808 regulär König wurde) diese Forderung ablehnte, begann die Bombardierung der Stadt. Die Seeschlacht bei Kopenhagen, die nach Auskunft des Siegers, des britischen Seehelden Horatio Nelson, mehr Opfer kostete als seine bekannteren Schlachten bei Abukir und Trafalgar, war völlig sinnlos, weil nämlich, was die Beteiligten beider Seiten nicht wussten, zwei Tage vor der Schlacht sich die russische Politik England gegenüber durch die Ermordung des Zaren Paul grundlegend geändert hatte und das Bündnis, das Anlass zu dieser britischen Aggression gegeben hatte, praktisch nicht mehr bestand.
Diese blutigen Ereignisse werden das Leben der zwölfjährigen Elise wahrscheinlich nur wenig berührt haben. Als aber sechs Jahre später der über Preußen triumphierende Kaiser Napoleon seine Herrschaft auch auf die dänischen Inseln ausdehnte, wird die inzwischen zur umworbenen Schönheit Herangewachsene mit im Zentrum der Ereignisse gestanden haben, da ihr Vater in hoher militärischer Stellung diente und sie selbst vielleicht in intimer Verbindung mit dem Königshaus stand. Aber über diese Phase ihres Lebens, die höherer Interessen wegen auch von ihr immer im Dunkeln gehalten wurde, weiß man nichts Sicheres, es gibt nur Gerüchte, Mutmaßungen und immer wieder neue Behauptungen, die nicht zu beweisen sind.
Der wahrscheinlich wahre Kern dieser Gerüchte ist eine Liebschaft der Siebzehn- bis Neunzehnjährigen, deren Folge, eine uneheliche Geburt, von ihr, ihrer Familie und wahrscheinlich auch vom Königshaus immer verheimlicht worden ist. Als Vater dieses Kindes hat man nicht nur ihren Vetter Christian von Ahlefeldt und einen Adjutanten ihres Vaters namens Gerstenberg vermutet, sondern auch den damals etwa zwanzigjährigen Sohn des Kronprinzen Frederik namens Christian, der erst 1839 als der VIII. seines Namens den Thron bestieg. Ihm, der schon verheiratet war, soll Elisa sogar linker Hand angetraut worden sein. Ob, wann und weshalb diese morganatische Ehe wieder geschieden wurde, vermelden die Gerüchte nicht.
Beglaubigt ist lediglich, dass am 4. Februar 1808 in der Hamburger St.-Petri-Kirche ein am 21. November 1807 geborenes Mädchen auf den Namen Adolphine getauft wurde, deren angeblicher Vater zwar nicht Laurvig, wie Elises Familie, aber doch Laurberg geheißen haben soll. Bei einer Frau Steger, die ein Institut für junge Mädchen leitete, erhielt Adolphine eine gute Erziehung, verließ Hamburg aber als Siebzehnjährige und lebte einige Jahre bei der Gräfin Elisa, die sie lebenslang als ihre Pflegetochter ausgab, was in der Gesellschaft aber nicht immer geglaubt wurde. Den einen galt das Mädchen, das der Gräfin angeblich ähnelte, als ihre »natürliche« Tochter, den anderen als Halbschwester, die von ihrem Vater außerehelich gezeugt worden war. Da es sich bei jener Frau Steger, in deren Obhut Adolphine ihre Kindheit verbracht hatte, um eine Schwester der Erzieherin Marianne Philipi handelte, die zeitweilig auch als eine der vielen Geliebten des Grafen auf Tranekaer gelebt haben soll, könnte auch diese Erklärung durchaus einleuchten, wenn nicht spätere Forschungen festgestellt hätten, dass die angebliche Geliebte des Grafen damals für eine Schwangerschaft schon zu alt gewesen ist. Die Gräfin selbst scheint immer an der Version der Halbschwester festgehalten zu haben, denn so erzählt auch Ludmilla Assing in der Biographie der Gräfin diese Geschichte, und in den Briefen, die die verheiratete Adolphine und deren Kinder später an die alte Gräfin schrieben, soll sie nie mit Mutter oder Großmutter, sondern mit Tante oder Patin angeredet worden sein.
Ins Märchenhafte gewendet wurden die geheimnisumwitterten Jugendjahre der Gräfin 1987 durch den Historiker Jens Joergensen, der nämlich mutmaßte, der achtzehnjährige spätere König Christian VIII. habe schon mit der sechzehnjährigen Elisa ein Kind, und zwar einen Sohn, gezeugt. Diesen habe man in Odense zu einem armen Schuhmacher namens Andersen in Pflege gegeben und auf den Namen Hans Christian getauft. Da zwar einige Indizien für diese Annahme sprechen, Beweise aber fehlen, wurde sie teils bezweifelt, teils aber auch aufgegriffen und im Leben des großen Märchendichters nach weiteren für diese Annahme sprechenden Einzelheiten gesucht. Dazu herangezogen wurde auch sein bekanntes Märchen vom »Hässlichen Entlein«, das er geschrieben haben könnte, nachdem ihm bei einem seiner Berlin-Besuche die schon recht bejahrte Gräfin Elisa seine königliche Herkunft eröffnet habe. Lautet doch der Schlüsselsatz des Märchens: »Es schadet nichts, in einem Entenhofe geboren zu sein, wenn man nur in einem Schwanenei gelegen hat.« Falls sich die Annahme, der Märchendichter sei selbst Märchenprinz gewesen, nicht als ein Märchen erweisen sollte, sondern sich durch Beweise erhärten ließe, gäbe es für die Erwähnung der Gräfin in der Literaturgeschichte einen Anlass mehr.
Des weiterhin tobenden englisch-französischen Krieges wegen waren die Jugendjahre Elisas für ihre Heimat eine bewegte Zeit. Nachdem Napoleon 1807 ganz Norddeutschland in seine Macht gebracht hatte, fürchtete man in England, dass er sich der wieder aufgebauten dänischen Flotte bemächtigen könnte, um sie zur Invasion Englands zu nutzen, und verlangte von Dänemark, die Neutralität aufzugeben, ein Bündnis mit England zu schließen und seine Flotte unter englisches Kommando zu stellen. Als das vom Kronprinzen Frederik abgelehnt wurde, bombardierte die britische Flotte im September 1807 drei Tage lang erneut Kopenhagen und erbeutete die dänische Flotte, worauf Dänemark ein Bündnis mit Frankreich einging und napoleonische Truppen ins Land kommen ließ.
Während England eine Seeblockade über die dänischen Inseln verhängte, hatten die Dänen unter der napoleonischen Schutztruppe zu leiden, die wie eine Besatzungsmacht beherbergt und verpflegt werden musste und sich teilweise auch anmaßend wie eine solche verhielt. Neben französischen gehörten dazu auch spanische Truppen, die Napoleon nur zwangsweise gefolgt waren und ihm nicht mehr folgen wollten, als er im Juni 1808 seinen Bruder Joseph Bonaparte zum König von Spanien gemacht hatte und das spanische Volk sich gegen die Franzosen erhob. In geheimen Verhandlungen des Kommandeurs der spanischen Truppen mit den vor den dänischen Küsten kreuzenden Engländern wurde die Überführung der Spanier in ihre Heimat auf britischen Schiffen vereinbart. Alle in Dänemark stationierten Spanier, die sich übrigens mit den Dänen viel besser als die Franzosen vertrugen, wurden dazu heimlich auf Langeland zusammengezogen, doch bevor sie sich einschiffen konnten, wurde ihr Vorhaben verraten und von den dänischen Truppen, die zu ihrem Bündnispartner Napoleon halten mussten, zu verhindern versucht. Elises Vater, der das dänische Militär auf Langeland kommandierte, musste sich nun gegen die Spanier wenden, die aber in der Überzahl waren, so dass er zur Kapitulation gezwungen wurde und mit ansehen musste, wie die spanische Truppe auf britischen Schiffen das Land verließ.
Elise hatte zu dieser Zeit Langeland schon verlassen. Ihre kränkelnde Mutter, die sich endlich zur Trennung von ihrem Gatten entschlossen hatte, war mit ihr im Herbst 1807 bei Verwandten in Ludwigsburg bei Eckernförde untergekommen, wo sie zurückgezogen den Winter verbrachte, um im Sommer 1808 zu einer von der Mutter benötigten Badekur aufzubrechen, auf der sich Elises Schicksal endgültig mit Deutschland verband.
In den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts war in dem etwa 35 Kilometer westlich von Hannover gelegenen Nenndorf ein Bad entstanden, das bald in Mode gekommen war. Nachdem schon 1772 der bekannte Berliner Arzt Ernst Ludwig Heim auf den gesundheitsfördernden Wert der dortigen schwefelhaltigen Quellen hingewiesen hatte und mit ersten primitiven Badeeinrichtungen Erfolge erzielt worden waren, hatte der Aufbau eines Heilbades begonnen, das allen gehobenen Ansprüchen genügte und bald zum sommerlichen Treffpunkt vornehmer, selbst fürstlicher Kreise geworden war. Bauherren waren die Landgrafen von Hessen Friedrich II. und Wilhelm IX. gewesen, auf deren Staatsgebiet sich Nenndorf damals befand. Finanziert worden waren die kostspieligen Bauten und Parkanlagen von den mehr als 20 Millionen Talern, die der berüchtigte Landgraf Friedrich II. durch Menschenhandel erzielt hatte: Er hatte 22 000 seiner männlichen Untertanen an die Engländer für deren Kriege in den Kolonien Nordamerikas verkauft. Nachdem auch die Landgrafen, die 1803 zu Kurfürsten wurden, mit ihren Familien das Bad gebraucht hatten, kamen andere fürstliche Gäste, darunter auch Familienmitglieder des Königs von Dänemark. Als dann Napoleon 1806 den hessischen Kurfürsten verjagt, das Königreich Westfalen gegründet und seinen erst dreiundzwanzig Jahre alten Bruder Jérôme dort als König eingesetzt hatte, wurde das Bad 1808 auch von diesem mit einem Besuch beehrt. Da er dort die Behandlung mit Schlammbädern vermisste, wurden diese, wie manche von ihm veranlassten Modernisierungen, nun auch hier eingeführt.
Plan des Nenndorfer Bades, um 1810.
Im Juli 1806 hatte sich der noch unbekannte Dichter Adelbert von Chamisso, der als Leutnant der preußischen Armee zur Besatzung der Festung Hameln gehörte, in Nenndorf mit Friedrich de la Motte Fouqué getroffen und damit die Freundschaft zweier deutscher Dichter französischer Herkunft begründet, die ein Leben lang hielt. Zwei Jahre später, also ein Jahr nach dem Frieden von Tilsit, der den Krieg zwischen Frankreich und Preußen beendet hatte, waren Offiziere beider Armeen unter den Badegästen zu finden, darunter auch der preußische Major Adolph von Lützow, der sich für die Spätfolgen einer bei Kolberg erlittenen Verwundung hier Heilung versprach.
Lützow, der fünf Jahre später durch Theodor Körners Lied über »Lützows wilde, verwegene Jagd« eine bis heute andauernde Berühmtheit erlangte, entstammte dem mecklenburgischen Adel, war aber in Berlin geboren, weil schon sein Vater in preußischen Diensten gestanden hatte und dort bis zum Generalmajor aufgestiegen war. Als knapp Dreizehnjähriger war der 1782 geborene Adolph 1795 bei der Garde in Potsdam eingetreten, 1804 dann aber auf eignen Wunsch in ein Kürassier-Regiment nach Tangermünde versetzt worden, weil er sich unter den vornehmen Offizieren der Garde nicht wohl fühlte und das Reiten seine Leidenschaft war. Im Oktober 1806 war er in der Schlacht bei Auerstädt durch einen Schuss in die Hand verwundet worden, hatte sich nach Magdeburg retten können und war nach der Kapitulation der Stadt bestrebt gewesen, wieder zu einer Truppe zu stoßen, die noch in Kämpfe verwickelt war. Auf dem Umweg über Kopenhagen hatte er das belagerte Kolberg erreichen können und hatte dort bis zum letzten Tage des Krieges in Ferdinand von Schills Freikorps gekämpft. Seiner Tollkühnheit wegen war er mit dem Pour le mérite ausgezeichnet worden, aber da die Wunde, die ein Schuss in den Fußknöchel gerissen hatte, nicht heilen wollte, hatte er die Armee verlassen müssen, sich aber nicht, wie er es vorgehabt hatte, in der Forstwirtschaft anstellen lassen, sondern sich, wie auch andere inaktive Offiziere es taten, in den Dienst einer patriotischen Geheimverbindung gestellt. Im Auftrag der konspirativen Berliner Gruppe, die sich während der französischen Besatzung um den Verleger Reimer und den Theologen Schleiermacher gebildet hatte, war er häufig auf Reisen, um Vertrauensleute für den erhofften Aufstand gegen Napoleon zu finden. Und da seine Aufträge ihn schon mehrmals nach Westfalen geführt hatten, ist es wahrscheinlich, dass auch sein Aufenthalt in Bad Nenndorf nicht nur der Heilung galt.
Adolph von Lützow. Kupferstich von Giuseppe Longhi.