Hilf mir zu vergessen - Patricia Vandenberg - E-Book

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Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Mit einem abgrundtiefen Seufzer und einer Miene die größten Unwillen ausdrückte, blickte Dr. Norden auf den Stoß Briefe, die ihm Loni, seit zwei Wochen Frau Ruppert, auf den Schreibtisch legte. »Alles Bewerbungen?« fragte er brummig. »Vierzehn«, erwiderte Loni lakonisch. Ihr war es ja selbst auch ein bißchen unheimlich, daß sie ihre Nachfolgerin mit aussuchen sollte, aber da sie einen Mann mit zwei Töchtern geheiratet hatte, konnte sie auf die Dauer nicht zwei Herren dienen. So sehr Dr. Norden und seine Frau Fee Loni dieses späte Glück gönnten, so schwer schien es doch, einen nur annähernd gleichwertigen Ersatz für sie zu finden, denn sie war eine Allroundkraft gewesen, die das Büro ebenso vorbildlich leitete, wie auch die Laborarbeiten beherrschte. »Wir werden zwei einstellen«, sagte Daniel Norden mißmutig, »eine Bürokraft und eine richtige Arzthelferin. Fee meint auch, daß das am besten sein wird. So einsatzfreudig wie Loni Ruppert ist der Nachwuchs ja nicht mehr. Haben Sie sich eigentlich ausgenutzt gefühlt, Loni?« »Ach was, dann wäre ich doch nicht so lange bei Ihnen geblieben. Es war eine schöne Zeit. Ich hatte einen Chef, wie man sich keinen besseren wünschen könnte, und wenn ich noch weitere Lobgesänge anstimme, fange ich gleich das Heulen an. Wenn Hans und die Mädchen nicht gar so lieb wären, hätte ich bestimmt nicht geheiratet.« »Sie haben es sich verdient, Loni, nun auch ein glückliches Familienleben zu haben«, sagte Dr. Norden. »Ich gönne es Ihnen, aber ich werde Sie sehr vermissen.« »Ich bleibe ja noch, bis die Neue eingearbeitet ist«, sagte Loni, »damit ist Hans auch

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Dr. Norden Bestseller – 260–

Hilf mir zu vergessen

Patricia Vandenberg

Mit einem abgrundtiefen Seufzer und einer Miene die größten Unwillen ausdrückte, blickte Dr. Norden auf den Stoß Briefe, die ihm Loni, seit zwei Wochen Frau Ruppert, auf den Schreibtisch legte.

»Alles Bewerbungen?« fragte er brummig.

»Vierzehn«, erwiderte Loni lakonisch. Ihr war es ja selbst auch ein bißchen unheimlich, daß sie ihre Nachfolgerin mit aussuchen sollte, aber da sie einen Mann mit zwei Töchtern geheiratet hatte, konnte sie auf die Dauer nicht zwei Herren dienen. So sehr Dr. Norden und seine Frau Fee Loni dieses späte Glück gönnten, so schwer schien es doch, einen nur annähernd gleichwertigen Ersatz für sie zu finden, denn sie war eine Allroundkraft gewesen, die das Büro ebenso vorbildlich leitete, wie auch die Laborarbeiten beherrschte.

»Wir werden zwei einstellen«, sagte Daniel Norden mißmutig, »eine Bürokraft und eine richtige Arzthelferin. Fee meint auch, daß das am besten sein wird. So einsatzfreudig wie Loni Ruppert ist der Nachwuchs ja nicht mehr. Haben Sie sich eigentlich ausgenutzt gefühlt, Loni?«

»Ach was, dann wäre ich doch nicht so lange bei Ihnen geblieben. Es war eine schöne Zeit. Ich hatte einen Chef, wie man sich keinen besseren wünschen könnte, und wenn ich noch weitere Lobgesänge anstimme, fange ich gleich das Heulen an. Wenn Hans und die Mädchen nicht gar so lieb wären, hätte ich bestimmt nicht geheiratet.«

»Sie haben es sich verdient, Loni, nun auch ein glückliches Familienleben zu haben«, sagte Dr. Norden. »Ich gönne es Ihnen, aber ich werde Sie sehr vermissen.«

»Ich bleibe ja noch, bis die Neue eingearbeitet ist«, sagte Loni, »damit ist Hans auch einverstanden.« Sie zwinkerte Dr. Norden zu. »Schließlich will er den bewährten Hausarzt nicht vergrämen.«

»Vorerst muß die Neue gefunden werden«, brummte Dr. Norden. »Und das will ich noch vor dem Urlaub hinter mich bringen, sonst geht alles drunter und drüber, wenn ich allein fertig werden muß.«

»Ich springe ja ein, wenn Not am Mann ist«, meinte Loni tröstend. Sie bekam ein richtig schlechtes Gewissen, als er so resigniert auf den Stapel Briefe blickte.

»Sie können ja schon mal vorsortieren, Loni, bitte«, sagte er müde.

Er braucht auch mal einen richtigen Urlaub, dachte Loni. Aber augenblicklich war noch soviel los in der Praxis, daß während der Sprechstunden keine Zeit war, sich mit den Bewerbungen zu beschäftigen.

Lange hatte man gewartet, daß es Sommer werden würde, aber nun waren schwüle Tage gekommen, die vielen Patienten zu schaffen machten. Die Herzkranken und die Kreislaufgeschädigten standen zwar immer noch an erster Stelle, aber die Allergiker gaben nicht viel nach. Nach den Pollen wurden sie nun von den Insekten geplagt, und da ging es oft tatsächlich um Minuten, um ein Leben zu retten. Drei schwerste Fälle hatte Dr. Norden in den letzten Tagen gehabt, und auch an diesem Vormittag wurde er wieder in Atem gehalten.

Er hatte gerade Frau Meister eine Spritze gegeben, deren Blutdruck auf zweihundert angestiegen war, als Loni die Tür aufriß. »Schnell, Notfall«, rief sie.

Im Vorzimmer kauerte eine junge Frau am Boden. Sie rang nach Atem. Sie sah fürchterlich aus und konnte nicht mehr sprechen. Sie deutete nur noch auf ihr Bein.

»Hinlegen«, sagte Dr. Norden, »nicht mehr bewegen. Injektion aufziehen, Loni. Dann Krankenwagen rufen.«

Es war nicht nur ein Stich, sondern mehrere, die diesen erschreckenden Zustand hervorgerufen hatten. Das Gesicht der Patientin war aufgedunsen, der Körper war schon von Scharlachröte überzogen.

»Das ist doch Frau Wolf«, flüsterte Loni entsetzt.

Erst jetzt kam Dr. Norden auch eine Erinnerung. Auf Anhieb hätte er Angela Wolf nicht erkannt, so entstellt war sie.

Die Injektion begann glücklicherweise schon zu wirken, als der Sanitätswagen kam, aber sie war ein Fall für die Klinik, denn solche Stiche konnten bei Allergikern tödliche Folgen haben, und Dr. Norden konnte später im Krankenblatt der Patientin nachlesen, daß sie auf sehr viele Dinge allergisch reagierte.

Angela Wolf wurde mit genauen Anweisungen in die Behnisch-Klinik gebracht. Dr. Norden konnte sich darauf verlassen, daß sie von Dr. Jenny Behnisch, die große Erfahrung mit Allergien hatte, bestens betreut werden würde.

Nachdenken konnte er über diese Patientin allerdings nicht, die er vor mehr als einem Jahr zum letztenmal gesehen hatte. Er wurde nun dringend zu Frau van der Hoven gerufen, und Dr. Norden wußte, daß dies auch ein Notfall war.

Eugenie van der Hoven war zweiundsiebzig Jahre, aber schwer herzkrank, und Dr. Norden betreute sie schon seit zehn Jahren.

Sie war für Dr. Norden eine liebe Patientin, eine noch immer schöne, geistreiche Frau, sehr zart und schon einige Zeit zwischen dem Diesseits und dem Jenseits balancierend, wenn man es so nennen wollte. Sie hatte sich immer nur stark gemacht für ihre Enkelin Alexandra, die früh verwaist bei den Großeltern aufgewachsen war, von diesem innigst geliebt.

Solange Marius van der Hoven lebte, hatte Eugenie mehr Widerstandskraft aufgebracht, aber als ihr der geliebte Mann, der fünfzehn Jahre älter als sie gewesen war, durch einen Schlaganfall genommen wurde, ließen auch ihre Kräfte nach. Matt lag sie in ihrem Bett, und nur die treue, alte Mintje war bei ihr. Die sah Dr. Norden ängstlich an.

»Wo ist Alexandra?« fragte Dr. Norden, da der Zustand der alten Dame sehr ernst war.

Mintje schüttelte den Kopf. Ihr war die Kehle so eng, daß sie nicht sprechen konnte.

»Ich habe sie weggeschickt, sie ist verreist«, flüsterte Eugenie. »Sie sollte nicht hier sein, wenn es zu Ende geht. Sie ist in Cannes bei den Festspielen. Sie wissen doch..., ihr Film...«, die Stimme wurde leiser, schleppender. »Morgen ist die Preisverleihung«, fuhr sie fort, nachdem sie Atem und neue Kraft geschöpft hatte. »Solange muß ich leben, und sie darf nicht verständigt werden, versprechen Sie es, Dr. Norden.«

Er konnte nur nicken, und er konnte diese zarte Frau nur bewundern. Aber er wußte auch, daß Alexandra Hoven ihre Großmutter über alles liebte.

»Sie sind einverstanden, daß ich Sie in die Klinik bringe, gnädige Frau?« fragte er.

»Nein, nein«, wehrte sie ab. »Dorthe kommt.«

Dr. Norden sah Mintje fragend an. Sie nickte wieder stumm. Dann läutete es. »Sie kommt«, flüsterte Eugenie.

Eine schlanke blonde Frau betrat gleich darauf das Zimmer. Ein schmales blasses Gesicht, belebt von großen, warmen grauen Augen. Alter schwer schätzbar, und Dr. Norden war auf eine besondere Weise beeindruckt.

»Mein Name ist Dorthe Harling«, stellte sie sich mit einer warmen dunklen Stimme vor.

»Die Tochter meiner Freundin«, murmelte Eugenie.

Dorthe trat an das Bett und ergriff die leichte, dünne Hand der Kranken. »Schlaf jetzt, Tante Eugenie«, sagte sie sanft. »Dr. Norden wird mir die Anweisungen geben.«

Eugenie van der Hoven schlief ein, und sie schlief ganz ruhig. Dorthe sah Dr. Norden erwartungsvoll an.

»Sie verstehen etwas von Krankenpflege?« fragte er.

»Ja, ich habe einige Examen vorzuweisen«, erwiderte sie leise mit einem winzigen Lächeln, das ihre ernsten Augen aber nicht erreichte. »Gibt es keine Genesung für Eugenie?«

»Es müßte ein Wunder geschehen«, erwiderte er. »Ihr Geist ist so klar, daß auch ich immer wieder hoffe, aber man sollte Alexandra vielleicht doch verständigen.«

»Nein, sie will es nicht. Ich bin gestern gekommen. Sie hat mich rufen lassen, und es ist gut so. Ich wußte nicht, daß es ihr so schlecht geht. Sie ist meine Patentante und bedeutet mir sehr viel, wenn ich das erklären darf. Alexandra ist noch so jung und hat gerade einen ersten Erfolg, der ihr Selbstbewußtsein stärkt. Sie wird es brauchen, wenn Eugenie nicht mehr ist.« Sie blickte zu Boden. »Ich hoffe, Sie vertrauen mir, Herr Dr. Norden. Eugenie will zu Hause sterben.«

»Wenn ich noch eine Hoffnung auf Besserung hätte, würde ich energisch dagegen protestieren«, sagte er, »aber ich kenne Frau van der Hoven lange genug, um mich ihrem Willen zu beugen.«

»Und ich werde sie keine Minute mehr allein lassen«, sagte Dorthe Harling ernst.

*

»So eine wie diese Dorthe Harling müßte ich finden«, sagte Dr. Norden, als er nach dem Mittagessen noch ein paar Minuten mit seiner Frau Fee allein sprechen konnte.

»Wer ist Dorthe Harling?« fragte Fee überrascht.

»Sie pflegt Frau van der Hoven, ist ihr Patenkind. Natürlich kein Kind mehr, sondern eine gestandene Frau. Wie nennt man solche Patenkinder eigentlich, wenn sie erwachsen sind, Fee? Wir haben doch auch einige.«

»Für mich bleiben das halt Patenkinder«, sagte Fee. »Ist doch auch egal, Hauptsache, man vergißt sie nicht.« Sie sah Daniel nachdenklich an. »Und diese Dorthe ist Krankenschwester?« fragte sie

»Genau weiß ich es nicht. Sie sagte, daß sie mehrere Examen hätte, aber sie ist intelligent, nicht so robust wie Amanda. Nichts gegen sie, aber sie hat kein sensibles Gespür für die Kranken.«

»Sie wäre als Lonis Nachfolgerin wohl auch kaum in Frage gekommen«, sagte Fee lächelnd. »Aber wenn ich die Bewerbungen so durchschaue, scheint es, als hätten sich die meisten erst informiert, daß es sich bei dir um einen noch einigermaßen jungen und attraktiven Mann handelt, denn sie preisen ihre äußeren Vorzüge mehr an, als ihr Wissen.«

»Liebe Güte, ich gerate allmählich in Panik«, stöhnte Daniel.

»Noch ist nicht alles verloren«, sagte Fee. »Eine Bewerbung gefällt mir sehr. Hör mal zu:

Mein Name ist Franziska Spar. Ich bin siebzehn Jahre und habe die mittlere Reife. Ich kann noch keine richtige Bewerbung schreiben, aber ich möchte sehr gern Arzthelferin werden. Am liebsten hätte ich Medizin studiert, aber dazu haben wir kein Geld, und außerdem bin ich ein uneheliches Kind, da hat man sowieso wenig Chancen, ernst genommen zu werden. Aber versuchen muß ich es ja immer wieder, damit meine sehr liebe Mutter sich nicht so abrackern muß für mich. Ich füge meine Zeugnisse bei, und vielleicht habe ich doch mal eine Chance.« Fee lächelte nicht. Ihre Augen hatten einen feuchten Schimmer. »Rührend«, sagte sie, »wir geben ihr eine Chance, Daniel.«

»Und wer soll sie anlernen? Ich habe dazu doch keine Zeit«, sagte er.

»Das würde Loni bestimmt noch übernehmen. Da bin ich ganz sicher.«

»Aber ich möchte am liebsten auch eine MTA haben, Fee, für die Laborsachen, das kann man einer Auszubildenden nicht abverlangen. Wir waren uns ja einig, zwei einzustellen. So perfekt wie Loni ist so schnell keine mehr.«

»Das wissen wir ja, aber diesem Mädchen geben wir eine Chance, wenn das persönliche Gespräch hält, was dieses Schreiben verspricht.«

»Dann übernimmst du sie«, sagte Daniel.

»Worauf du dich verlassen kannst, mein Schatz.«

Sie hatte ihm die Zeugnisse hingelegt. »Einser und Zweier, das findet man heutzutage auch selten, aber solche Noten bringen meistens nur Schüler, die nicht verwöhnt sind und vorankommen wollen. Mit der Mutter werde ich auch sprechen«, sagte Fee. »Du bist also einverstanden, Daniel?«

»Ich würde niemals wagen, dir zu widersprechen, mein allerliebster Schatz. Und ich möchte sagen, daß ich mich unendlich freue, daß wir bald mal drei Wochen ganz für uns haben werden. Aber jetzt muß ich mich nach Frau Wolfs Befinden erkundigen.«

»Was ist damit?« fragte Fee.

»Mindestens vier Wespenstiche, lebensgefährliche. Ich habe sie zu Jenny bringen lassen.«

Und Jenny Behnisch konnte ihm dann sagen, daß Angela Wolf gerade noch mal so davongekommen sei.

»Sie hat eine enorme Immunschwäche, Daniel, wir müssen sie gründlichst untersuchen. Da steckt etwas dahinter.«

»Darf ich dich daran erinnern, daß wir mal Urlaub machen wollen, Jenny?« fragte er.

»Du wirst mir hoffentlich zutrauen, daß ich gegebenenfalls auch mal seelischen Beistand leisten könnte, Daniel.«

»Braucht sie den?«

»Anscheinend. Der Ehemann ist unerreichbar. Aber ich werde mich vortasten. Auf bald!«

Jeder von ihnen mußte an die Arbeit. In der Behnisch-Klinik herrschte auch Hochbetrieb. Früher war es in der Urlaubszeit, vor allem während der Schulferien, ruhiger geworden, aber in diesem Jahr häuften sich die wirklich schweren Fälle, die den Ärzten zu denken gaben. Die Berichte über die Umweltvergiftung versetzten ängstliche Menschen in Panik, und die Folgen mußten die Ärzte ausbaden, die verantwortungsbewußt waren, aber diese Panikmache der Presse nicht gutheißen konnten.

Daß Dr. Norden besonderen Zulauf hatte, beruhte wohl darauf, daß mißgünstige Kollegen ihn spöttisch einen »Naturapostel« nannten. Ihm machte das nichts aus. Seine Erfolge beruhten in erster Linie darauf, daß er sich Zeit nahm für seine Patienten, daß er sich bemühte, auf ihre Mentalität einzugehen, und nicht nur Rezepte verschrieb, die dem einen vielleicht nutzen, dem anderen aber schaden konnten.

Mit den Heilkräften der Natur hatte schon sein Vater den Patienten geholfen, und sein Lebenstraum war in der Insel der Hoffnung verwirklicht worden, diesem Sanatorium, in dem Fee Nordens Vater Dr. Cornelius das Lebenswerk seines Freundes Dr. Friedrich Norden verwirklichte, glücklich darüber, daß Daniel und Fee dieses Vermächtnis in Ehren hielten, wenngleich Daniel sich nicht entschließen konnte, seine Praxis in München aufzugeben.

Allerdings sagte Daniel an diesem Abend, daß er hier am liebsten die Praxis aufgeben würde.

»Nur, weil Loni geheiratet hat?« fragte Fee bestürzt.

»Der Mensch ist ein Gewohnheitstier«, brummte er.

»Rede nicht solchen Unsinn, Daniel«, sagte Fee. »Denk an unsere Kinder. Danny, Felix und Anneka gehen hier zur Schule und sie haben ihre Freunde. Gut, die Zwillinge begreifen noch nichts, aber du kannst Paps und Anne doch nicht aufs Altenteil setzen. Sie sind noch viel zu vital.«

»Ich komme prima mit beiden aus«, sagte Daniel.

»Weil ihr euch alle paar Wochen mal seht. Und natürlich gefällt es den Kindern, wenn sie von Opi und Omi verwöhnt werden. Aber wenn sie nur unter älteren und alten Leuten, die dazu auch nicht ganz gesund sind, aufwachsen…«

»Mario hat das doch bestens gepackt«, sagte Daniel.

»Mario ist ein besonderes Kind«, sagte Fee. »Ein Waisenkind, dem etwas in den Schoß fiel, was er sonst niemals bekommen hätte, und als Einzelkind wurde er entsprechend verwöhnt mit Zuneigung. Schau mich nicht so an, Daniel, für Anne und Paps war er Ersatz für Katja und mich. Du hast mich entführt von Paps, und David nahm Katja mit, da blieb ihnen dann Mario. Er ist ein lieber Junge, und ihm gefällt es auf der Insel.«

»Uns gefällt es doch auch, Fee«, sagte Daniel.

»Ja, gewiß, wir fühlen uns wohl, aber ich darf dich doch daran erinnern, wie es dich juckt, wieder in deine Praxis zu kommen. Wir haben fünf Kinder, Daniel, und wir haben uns ganz schön an unser Eigenleben gewöhnt. Wir lieben unser Haus, du liebst deine Praxis, und fang jetzt bloß nicht wieder damit an, daß es für Loni keinen Ersatz gibt. Ich möchte dich auch daran erinnern, daß du immer gesagt hast, daß jeder Mensch zu ersetzen ist.«

»Und wenn meine bescheidene Meinung gefragt sein könnte«, warf Lenni von der Tür her ein. »Sie, Herr Doktor und Frau Doktor, haben mir soviel ersetzt, was ich verloren hatte. Sie haben mir doch ein neues Leben geschenkt. Ich war so verzweifelt. Ich freu mich für Loni, aber um nichts in der Welt möchte ich Sie und die Kinder missen.«

Sie schluchzte trocken auf, und Fee lief erschrocken zu ihr. »Aber Lenni, Sie gehören doch zu uns«, sagte sie. »Sie dürfen nicht einen Augenblick denken, daß wir ohne Sie auskommen. Lieber Himmel, was täte ich denn ohne unsere Lenni, und die Kinder…«

»Was ist mit Lenni«, schrie Danny von draußen, »will sie nicht mit in Urlaub fahren? Dann bleiben wir auch hier.« Und Anneka kam hereingelaufen und umarmte Lenni. »Du willst doch nicht etwa auch heiraten wie Loni. Dich lassen wir nicht weg, Lenni«, sagte sie.

»Sie geht doch nicht von uns weg«, sagte Felix in seiner Bedächtigkeit. »Das wissen wir doch.«

»Na also«, sagte Daniel Norden, »jetzt wissen wir es wieder mal genau. Diesmal zwei Wochen Toscana und eine Woche Insel, und Lenni ist immer dabei.«

Und die Tränen, die Lenni jetzt über die Wangen rannen, waren Tränen der Freude.

»Es soll ja nicht unbescheiden und aufdringlich erscheinen«, stammelte sie, aber Fee fiel ihr gleich ins Wort: »Für uns bist du wirklich unersetzlich, Lenni, wie damals unser Lenchen, aber sie hatte ihr Leben hinter sich und für uns warst du ein Geschenk und eine würdige Nachfolgerin. So was gibt es selten, und dafür muß man dankbar sein.«

»Und wenn Sie nicht gewesen wären, würde ich nicht mehr leben«, sagte Lenni. »Wenn ich unsere Kinderchen betrachte, es wäre mir schon viel entgangen.«

»Und wenn ich noch etwas sagen darf«, flüsterte Lenni, »der Herr Doktor wird bestimmt für die Praxis auch wieder jemand finden, mit dem er gut auskommt. Vielleicht jemanden, der auch so einen guten Chef braucht, um zurechtzukommen.«

*

Das wünschte nicht nur Lenni. Loni dachte ebenso. Die Patienten, die es wußten, daß sie aufhören würde, jammerten schon. Fee hatte indessen aber bereits an Franziska Spar geschrieben, daß sie sich doch bitte baldmöglichst vorstellen möge. Und da hatte die Post mal nicht gebummelt, denn der Brief erreichte die Spars schon am nächsten Vormittag.

Lotte Spar und ihre Tochter Franziska wohnten in einer kleinen, bescheidenen Zweizimmerwohnung, deren Miete aber immer noch teuer genug war für ihre finanziellen Verhältnisse und nun auch schon wieder um vierzig Mark erhöht worden war.