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Historische Denkmäler stehen überall, auch in der Schweiz. Man kennt die Monumente, sieht sie täglich und geht an ihnen meist achtlos vorüber. Oder doch nicht? Wenn wir unsere Gefühle sprechen lassen, so stellen wir fest: Wir bewundern diese Erinnerungsstätten oder hassen sie. Vielleicht fragen wir auch, weshalb sie errichtet wurden und warum sie noch stehen. In diesem Buch werden 34 Denkmäler in der Schweiz aus alter und neuer Zeit abgebildet und kritisch kommentiert: Anlass für eine engagierte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit unseres Landes.
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Seitenzahl: 172
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Abbildung 1: Affoltern im Emmental: Das Kavallerie-Denkmal auf der Lueg
Abbildung 2: Altdorf UR: Das Tell-Denkmal
Abbildung 3: Andermatt UR: Das Suworow-Denkmal
Abbildung 4: Avenches VD: Die Storchen-Säule (Le Cigognier)
Abbildung 5: La Baroche JU: Das ehemalige Denkmal La Sentinelle bei Les Rangiers
Abbildung 6: Basel: Das Sankt Jakobs-Denkmal
Abbildung 7: Belpberg BE: Der Kennedy-Gedenkstein
Abbildung 8: Bern: Das Denkmal für Adrian von Bubenberg
Abbildung 9: Bern: Das Denkmal für Albrecht von Haller
Abbildung 10: Bern: Das Denkmal für Berchtold von Zähringen
Abbildung 11: Bern: Das Denkmal für Rudolf von Erlach
Abbildung 12: Bern: Die Brunnenfigur des Ryffli
Abbildung 13: Bern: Das Wehrmänner-Denkmal
Abbildung 14: Bern: Das Welt-Telegraphen-Denkmal
Abbildung 15: Bolligen BE: Das Denkmal für einen Oberförster im Sädelbachwald am Grauholzberg
Abbildung 16: Dornach SO: Das Schlacht-Denkmal
Abbildung 17: Genf - Genève: Das Reformations-Denkmal
Abbildung 18: Giornico TI: Das Schlacht-Denkmal
Abbildung 19: Küsnacht ZH: Das Wehrmänner-Denkmal auf der Forch
Abbildung 20: Lausanne: Das Denkmal für Major Davel
Abbildung 21: Lausanne-Ouchy: Das Reiterstandbild für General Guisan
Abbildung 22: Luzern: Das Löwen-Denkmal
Abbildung 23: Moosseedorf BE: Das Grauholz-Denkmal
Abbildung 24: Muri bei Bern: Die Gedächtniskapelle für Rudolf Maria Holzapfel
Abbildung 25: Murten FR: Der Obelisk der Murten-Schlacht
Abbildung 26: Neuenburg - Neuchâtel: Das Farel-Denkmal
Abbildung 27: Neuenegg BE: Das Denkmal der Laupen-Schlacht auf dem Bramberg
Abbildung 28: Oberägeri ZG: Das Morgarten-Denkmal
Abbildung 29: Plurs - Piuro (Bergell, Italien): Der Campanile des Bergsturzes
Abbildung 30: Schaffhausen: Das Denkmal für Johannes von Müller
Abbildung 31: Schwyz: Das Denkmal für die Wehrbereitschaft
Abbildung 32: Stans NW: Das Denkmal für Arnold von Winkelried
Abbildung 33: Zürich: Das Denkmal für Hans Waldmann
Abbildung 34: Zürich: Das Zwingli-Denkmal
Abbildung 35: Die wehrhafte Schweiz zwischen 1940 und 1990
Allgemeine Betrachtungen zu den historischen Denkmälern der Schweiz
Athens Turm der Winde, hoch über dem Emmental
Die Verfestigung des heutigen Tell-Bilds
Eines russischen Generals angebliche militärisch-alpinistische Höchstleistung
Überrest der Römerzeit und Vermessungssäule
Ein Soldatendenkmal, das zwischen die Fronten geriet
Eine Stadt heimst eine Schlacht für sich ein
Ein obskures Denkmal, hoch über dem Aaretal
Man soll den kommenden Krieg nicht fürchten
Berns wissenschaftlicher Säulenheiliger
Der Zähringer-Kult und seine schmale Grundlage
Der Sieg des vaterländischen Geschichtsbewußtseins
Wie hieß der berühmte Armbrustschütze?
Ein Sockel ohne Inspiration
Ein Gigantenkampf als Denkmal für die Telekommunikation
Ein unbekanntes Denkmal mitten im Wald
Jedem Stand seine Befreiungsschlacht
Ein Memorial der Finsternis
Eine Erinnerungsstätte für die Alpen
Ein Denkmal für den unbekannten Zürcher Soldaten
Wehe einem Rebellen gegen die Obrigkeit!
Ein Abgesang auf die Epoche der Denkmäler
Arkadien und Romantik
Wehmut über den Untergang des alten Bern
Eine Lebkuchen-Kapelle mitten im Wald
Zeitlose, monumentale Schlichtheit
Jeder Stadt ihren Reformator
Eine Schachfigur des volkstümlichen Geschichtsbilds
Wo fand die Schlacht am Ägerisee statt?
Ein alpenländisches Vineta
Eine Erinnerungsstätte, angefangen unter hohen Erwartungen, bei bescheidenem Ergebnis
Ein noch nicht demobilisierter Wehrmann
Der alteidgenössische Heiland
Mehr ein städtischer Bilderschmuck denn ein Denkmal
Ein dräuender Kriegerfürst im Halbdunkel
Literatur
Denkmäler sind mit Geschichte verbunden. Sie bedingen geschriebene Aufzeichnungen. Und dahinter stehen Kulturen und Gemeinwesen, die bestimmte historische Inhalte für sich beanspruchen.
Die Feststellung führt unmittelbar zur Geschichts- und Chronologiekritik: Welche Geschichte ist wahr, welche falsch? Wie können wir historische Entwicklungen zeitlich ansetzen, ab wann werden sie genau?
Es ist schwierig bis unmöglich, vor der Zeitschwelle, ab welcher die Geschichte glaubwürdig wird, Denkmäler zu bestimmen. – Hier aber werden gleichwohl einige Objekte der dunklen Vorzeit aufgeführt, die sich als Monumente bezeichnen lassen.
Der Autor hat schon in seiner Matrix der alten Geschichte Betrachtungen angestellt über alte Bauwerke, die wahrscheinlich mehr als Denkmäler denn als Nutzbauten geschaffen wurden.
Die Analyse der erfundenen alten Schweizer Geschichte in Die alten Eidgenossen erforderte ebenfalls die Betrachtung von einigen historischen Denkmälern der Schweiz.
Für die historische Heimatkunde Die Ursprünge Berns galt das gleiche: Auch dort war es nötig, auf Denkmäler als fixierte geschichtliche und pseudogeschichtliche Vorstellungen hinzuweisen.
In gewissem Sinne läßt sich sogar die ganze Geschichte durch eine Analyse der Denkmalkultur darstellen.
Es braucht nicht einmal eine vollständige historische Darstellung der Erinnerungsstätten. Eine Auswahl gewährt genug Einblicke.
Also hat der Autor in diesem Buch vierunddreißig historische Denkmäler der Schweiz ausgewählt. Diese stehen für die wichtigsten Etappen der Denkmalkultur und gleichlaufend für die Geschichte der Eidgenossenschaft. In diesem Sinn faßt das kleine Werk auch die Ergebnisse der eigenen Forschungen über die Vergangenheit des Landes zusammen.
Historische Erinnerungsstätten entstanden seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts. Sie sind wie gesagt gekoppelt an authentische Aufzeichnungen und Datierungen.
Vor der Französischen Revolution versinkt die Geschichte rasch im Nebel der Vorgeschichte. Und letztere kann aus Erwägungen der Plausibilität nicht unbeschränkt nach rückwärts ausgedehnt werden.
Die Geschichts- und Chronologiekritik macht es jedoch möglich, die Ursprünge der Denkmalkultur zeitlich nach hinten zu verschieben.
Der Autor hält heute zur Auffassung, daß die Menschheit und die menschliche Kultur im heutigen Sinne vor vielleicht vierhundert Jahren begonnen haben.
Die Abfolge der Baukulturen läßt sich erst ab etwas mehr als dreihundert Jahre vor heute ungefähr bestimmen und zeitlich schätzen.
Unter diesem Aspekt ist es erstaunlich, daß sich die ersten historischen Denkmäler der Schweiz weiter zurückverfolgen lassen als mit einer konventionellen Betrachtung. In diesem Buch werden drei Objekte aufgeführt, die man der Vorgeschichte, der dunklen Vorzeit – also der Zeit vor 1800, dem „18. Jahrhundert“ - zuordnen kann.
Zuerst ist die Storchensäule in Avenches als ältestes Denkmal auf Schweizer Boden zu sehen; von der „Römerzeit“ geschaffen, vom „Mittelalter“ unabsichtlich zu einer Erinnerungsstätte gemacht.
Dann sind die Brunnenfiguren der „mittelalterlichen“ Städte als unmittelbare Vorformen der historischen Denkmäler des nachfolgenden 19. Jahrhunderts zu sehen.
Und mit dem Campanile von Plurs – Piuro im Bergell haben wir ein erstaunliches älteres Denkmal vor uns, eine Erinnerungsstätte, die ein alpines Pompeji oder Vineta beweisen wollte.
Man darf nicht vergessen, daß die anfängliche nachrömische Kultur in ihren Sprachen und Ortsnamen vollkommen von den Begriffen Neapel, Troja und Vesuv geprägt war. Die vesuvianische Religion ist untergegangen – wahrscheinlich mit der Verschüttung jener Stadt namens Pompeji am Fuße des Vesuvs.
In Die Ortsnamen der Schweiz gehe ich auf diese ungemein wichtige und für die weitere Kultur grundlegende Thematik ein.
Welches aber sind die ersten faßbaren Baudenkmäler der heutigen Menschheit in Europa und der Schweiz?
Weil wir Bodenfunde nicht datieren können, kann nur die Interpretation von Bauresten weiterhelfen. Ihr Alter läßt sich schätzen; und mit den Kriterien von früher, später und gleichzeitig entsteht eine ungefähre zeitliche Abfolge.
Als erste Baubefunde im Schweizer Mittelland sind die Pfahlbauten und die Grabhügel anzusehen.
Die Pfähle an den Seeufern werden hier ausgelassen. Doch sei immerhin darauf hingewiesen, wie sehr die so genannten Pfahlbauten die historische Phantasie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts angeregt haben.
Dagegen führen die Grabhügel oder Hügelgräber schon unmittelbar zum Thema.
Die künstlich aufgeschütteten kleinen und großen Grabhügel, oft zu Gruppen vereinigt, finden sich überall im Mittelland, meistens auf sanften Erhebungen, vorzugsweise in den tieferen Lagen gegen den Jurasüdfuß hin.
Interessant ist, daß sich die Lage und die Verbreitungsgebiete der Schweizer Grabhügel mit denjenigen der „römischen“ Gutshöfe, der Villae rusticae decken. – Sind die Grabhügel etwa gleichzeitig anzusetzen?
Hügelgräber oder Grabhügel stellen namenlose Monumente für offenbar mächtige, reiche und einflußreiche Personen dar. Deshalb werden diese Stätten auch als Fürstengräber bezeichnet. Die reichen Grabbeigaben, welche in diesen fast ausnahmslos längst geplünderten Kunsthügeln zu finden waren, scheinen die Bezeichnung zu bestätigen.
Grabhügel sind Monumente des Todes. Diese Eigenschaft haben die nachmaligen Denkmäler bewahrt.
Die sogenannte „Römerzeit“ hat überreiche bauliche Reste hinterlassen. Eigentliche Denkmäler im heutigen Sinne sind aber wenige auszumachen.
Es gab zum Beispiel vor der nördlichen Stadtmauer von Aventicum ein Gräberfeld mit zwei etwa 25 Meter hohen turmartigen Grabdenkmälern. – Auch in der Zihlebene bei Cornaux im Kanton Neuenburg wurde ein solches Monument nachgewiesen.
Aber man scheut sich, hier von historischen Denkmälern zu sprechen.
Solche Beispiele scheinen nur im Ausland eindeutig. Zu erwähnen sind etwa die Trajan- und die Marc Aurel-Bildsäule in Rom, dann das Tropaeum Trajani bei Adamklissi in der rumänischen Dobrudscha, ebenfalls das Tropaeum Alpium in den französischen Seealpen oberhalb von Monaco.
Das berühmte Mausoleum von Halikarnassus (Bodrum) in Südwestanatolien gehörte sicher auch in diesen Zusammenhang.
Das Ende der „Römerzeit“ bedeutete einen Kulturbruch. Man mußte sich auf wichtige Bauaufgaben wie Wehrbauten und Kirchen beschränken. Für eigentliche Denkmäler war kein Platz.
Wir erkennen ein zweites wichtiges Charakteristikum der Denkmäler neben ihrem Totenkult: Diese Bauwerke haben keine Funktion, es sind Bauten, welche dem nachmaligen Motto L’art pour l’art folgen.
Die Vorläufer der heutigen Denkmäler entstanden in der „mittelalterlichen“ Stadt mit den Brunnenfiguren, wie sie etwa in den Altstädten von Bern und Freiburg im Üechtland noch heute stark vertreten sind.
Die Brunnenstatuen haben einen klar bestimmten Zweck: Sie sollen einen Brunnen, einen Brunnensockel oder eine Brunnensäule zieren.
Und die Figuren sind fest eingebunden in einen mythologischen oder allegorischen Zusammenhang. Individualität ist nicht auszumachen.
Ob die Tapferkeit oder die Tugend, ob der Kindlifresser oder der Läufer, ob biblische Personen wie Simson, Maria Magdalena, Johannes der Evangelist oder Moses; die Bildwerke sind typisiert und folgen der Matrix, welche diesen Erzählungen und Legenden zugrunde liegen.
Die gleiche Feststellung trifft auf pseudohistorische Figuren zu. Der Zähringerbrunnen in Bern etwa folgt nur mit dem Namen und gewissen Attributen der Zähringer-Legende.
Bei den Brunnenfiguren tritt auch schon der Meisterschütze mit der Armbrust auf. In Bern heißt er Ryffli, ursprünglich Vifli oder Nifli. - Da die Berner Befreiungsgeschichte die Vorlage lieferte für diejenige der Waldstätte, so wurde auch der Schütze exportiert und heißt dort Wilhelm Tell.
An der Gestalt des legendären Meisterschützen mit der Armbrust läßt sich exemplarisch der Weg der neuzeitlichen historischen Anschauungen aufzeigen: Zuerst ist Tell ein bürgerlicher Schütze mit Barett, dann ein Freiheitsheld mit der Feder auf dem Hut, danach ein Bergler mit Hirtenhemd und Kapuze und schließlich ein dräuender Armbrustschütze und Jäger, ähnlich seinen mythologischen und biblischen Parallelgestalten Orion und Nimrod.
Die ersten richtigen Denkmäler entstanden in den Epochen, die man mit Renaissance, Barock und Klassizismus umschreibt und die aus Gründen der Evidenz in das letzte Drittel des 18. Jahrhunderts zu setzen sind.
Die Reiterstandbilder des Colleone in Venedig, des Gattamelata in Padua und dasjenige von Mark Aurel in Rom hatten Vorbildcharakter.
Prägend für die späteren Denkmäler war auch ein Gemenge aus Memento mori und idealisierter Hirtenromantik, wie sie etwa im Gemälde von Poussin zum Ausdruck kommt: Et in Arcadia ego lesen die Schäfer an einem Gedenkstein in einer bukolischen Landschaft. Gemeint ist damit: Auch in Arkadien gibt es den Tod. Ihn sollte man im Gedächtnis behalten.
Als erstes und einflußreichstes Denkmal im engeren Sinne ist de Erinnerungsstätte für den Genfer Jean-Jacques Rousseau anzusehen. Diese wurde noch vor der Revolution auf einem Inselchen im Teich des Schlosses von Ermenonville bei Paris errichtet.
Die Verbindung von Grabmal, Gedenkstätte in der gepflegten Natur eines vorzugsweise nach englischem Muster gestalteten Parks, wirkte bis weit ins 19. Jahrhundert.
In der Schweiz kam zuerst Wilhelm Tell – in der Aufklärung zum beispielhaften Freiheitsheld geworden – zu Denkmal-Ehren. Wie Rousseau erhielt er eine Gedenkstätte, nämlich einen Sockel mit einem kleinen Obelisken: Der französische Philosoph und Utopist Abbé Raynal ließ diese aus eigenen Mitteln auf dem Inselchen Altstatt südlich des Meggenhorns im Vierwaldstätter See errichten.
Das Tell-Denkmal sollte in Uri aufgestellt werden, doch die dortige Regierung lehnte ab. Und die Gedächtnisstätte – wenn es sie überhaupt gegeben hat – war schon um 1800 verschwunden.
Eine Tell-Statue, die noch vor der Revolution auf dem Lindenhof in Zürich errichtet wurde, verschwand ebenfalls bald. Heute wird auf jenem Hügel noch der Sockel des kleinen Monuments gezeigt.
Private oder spontane öffentliche Initiativen führten zur Errichtung der ersten richtigen Denkmäler, die hier behandelt werden: dem Löwendenkmal in Luzern und dem Obelisken der Murtenschlacht.
Besonders das Löwendenkmal von Pfyffer von Altishofen, 1819 errichtet, steht ganz in der Tradition des ausgehenden vergangenen Jahrhunderts. Es verbindet geschmacksvoll gestaltete Gartenarchitektur mit einer in eine Felswand gehauenen Tierfigur zu einer Gedächtnisstätte, die elegisch zugleich wirkt und romantisch.
Unbedingt zu erwähnen ist beim Löwendenkmal in Luzern, daß es sich auf ein zeitgeschichtliches Ereignis bezieht. Die authentische Geschichte ist nämlich in jener Zeit entstanden, als man begann, auf aktuelle, statt wie bisher auf legendäre und mythologische Dinge einzugehen.
Auch der Obelisk von Merlach – Meyriez bei Murten vermittelt trotz seiner Monumentalität durch die Einrahmung mit Bäumen und die Nähe zu einem See eine ähnliche Grundstimmung wie das Löwendenkmal in Luzern.
Die nächste Etappe in der Entwicklung und Verbreitung einer Denkmalkultur im heutigen Sinne kam von zwei Anstößen her.
Zuerst entstand zur Zeit der Französischen Revolution das heute noch gültige, literarisch gestaltete Geschichtsbild. – Die frühere Historie findet sich in Chroniken und in bestimmten Geschichten wie dem trojanischen Krieg und den biblischen Erzählungen.
Erst mit der literarischen Geschichtsschreibung wurde es möglich, die im Grunde unzusammenhängende und widersprüchliche ältere Vergangenheit zu einem geglätteten und glaubwürdig klingenden Ganzen zu formen.
Doch noch heute glaubt man an diese Geschichtsdichtung. Allerdings versuchten die Historiker seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts diese Erzählungen durch Dokumente abzusichern. Dabei übersehen die Forscher, daß jene hoch geschätzten Quellen, die Urkunden, Register, Verzeichnisse, genau so erdichtet waren wie die Chroniken – und nach diesen geschaffen wurden.
Der erste und noch heute bedeutendste Geschichtsliterat der Schweiz war Johannes von Müller aus Schaffhausen. Vielleicht stimmt dessen Todesjahr 1809; doch ansonsten sind große Teile seiner Biographie als erdichtet anzusehen. Schon mit 19 Jahren sollen die Schweizer Gelehrten auf das Wunderkind namens Müller aufmerksam geworden sein. Und schon „1780“ soll er seine Geschichten schweizerischer Eidgenossenschaft veröffentlicht haben. Diese behandeln nur die „mittelalterliche“ Zeit der alten Eidgenossenschaft. Doch diese war bekanntlich die große Heldenzeit, mit der Bundesgründung und mit zwei Jahrhunderten voll von großen Schlachten und Heldentaten.
Ohne Johannes von Müller wäre die erfundene alte Schweizergeschichte wohl nie so aufgebauscht worden.
Man achte auf eine Kleinigkeit im Titel von Müllers Werk über die alten Eidgenossen: Er spricht von Geschichten, nicht von Geschichte. Also war sich der Schriftsteller bewußt, daß er Märchen, Sagen und Legenden, nicht wahre Geschichte literarisch formte.
Ebenso wichtig für die Entwicklung der historischen Denkmalkultur waren gewisse geistige und literarische Strömungen ab der spätnapoleonischen Zeit.
Zuerst ist auf den prägenden Einfluß der historischen Romane von Sir Walter Scott hinzuweisen.
Noch bevor Scott zu wirken begann, begründete der Berner Professor Johann Rudolf Wyss der Jüngere – dessen Vater das bekannte Jugendbuch Der Schweizer Robinson schrieb – 1811 mit anderen Schriftstellern den Almanach Alpenrosen. Dieser bestand mit Unterbrüchen bis 1854 und wurde prägend für das Geschichtsbewußtsein der ersten Hälfte jenes Jahrhunderts. In späteren Jahren schrieb auch Jeremias Gotthelf für die Alpenrosen. Und jener berühmte Berner Schriftsteller schrieb mehrere pseudohistorische Erzählungen.
Wyss selbst schrieb historische Novellen, etwa Der Abend zu Geristein (1825). - Der Autor hat letztere Erzählung neu herausgegeben.
Der berühmte Walter Scott schrieb wenige Jahre später einen Roman, der bewußt an die Erzählung von Wyss anklang: Anne of Geierstein (1829).
Wichtig für die Entstehung des Berner Denkmalkults war eine andere Unternehmung von Johann Rudolf Wyss: 1816 gab er erstmals die sogenannte Justinger-Chronik der Stadt Bern im Druck heraus. Dieses pseudohistorische Zeitbuch entstand – wie der Autor dargelegt hat - etwa in den 1770er Jahren und hat die beiden Stettler, Michael den Vater und Hieronymus den Sohn als Autoren.
Die alte Berner Regierung vor 1798 verhinderte jeden Druck der Justinger-Chronik. Stattdessen wurden zahllose Manuskripte des Werkes hergestellt.
Mit der Herausgabe der Justinger-Chronik erst kamen die angeblichen Heldentaten der glorreichen Stadt Bern ins allgemeine Bewußtsein. Besonders die Zähringer-Sage und die legendäre Schlacht bei Laupen wurden populär.
Kein Wunder, daß um 1850 gleich drei Denkmäler entstanden, welche sich um diese Legenden ranken: diejenigen für Berchtold von Zähringen und Rudolf von Erlach in Bern und das Bramberg-Denkmal für die Schlacht von Laupen.
Die Regeneration, der aufkommende Liberalismus, dann die Gründung des Bundesstaates 1847 zündeten den eigentlichen Schweizer Denkmalkult auch außerhalb von Bern.
Als eine der ersten Berühmtheiten wurde der erwähnte Geschichtsliterat Johannes von Müller 1852 in seiner Heimatstadt Schaffhausen mit einer Erinnerungsstätte geehrt.
Neben den Personen-Denkmälern kamen die Schlacht-Denkmäler in Mode.
Schon das 18. Jahrhundert bereitete den Kult der fingierten alteidgenössischen Kämpfe vor. So entstanden an etlichen Schlacht-Orten Kapellen mit Beinhäusern, etwa in Murten, Dornach und am Morgarten.
Bereits die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtete einige Erinnerungsstätten für Schlachten. Der Obelisk bei Murten verdient als erstes noch bestehendes Denkmal hervorgehoben zu werden. – Und in Basel stand seit den 1820er Jahren eine Fiale im gotischen Stil als Vorgänger des nachmaligen St. Jakob-Monuments.
Nach 1850 also kamen die Schlachten-Erinnerungsstätten richtig auf. Das Bramberg-Denkmal für die angebliche Schlacht von Laupen machte den Anfang. Mit dem bereits erwähnten St. Jakobs-Monument ging es weiter.
Die Erinnerungs-Säule für das Gefecht am Grauholz von 1886 gehört stilistisch jedoch zum Anfang des besagten Jahrhunderts.
Bereits 1866 wurde bei Neuenegg ein Obelisk, ebenfalls für den vergeblichen Abwehrkampf Berns 1798 aufgerichtet.
Merkwürdigerweise hatten es Personen häufig leichter, mit Denkmälern geehrt zu werden als Schlachten. Ein Monument für das fiktive Morgarten-Ereignis entstand erst 1908 – und unter politischen Mißklängen.
Selbst nach dem Ersten Weltkrieg erinnerte man sich an Schlachten der alten Eidgenossen. So entstand 1937 das Denkmal von Giornico im Tessin und 1949 jenes von Dornach im Kanton Solothurn.
Wie schon gesagt, wurden ab 1850 besonders große Gestalten der Vergangenheit geehrt. Die Denkmäler für den Helden Arnold von Winkelried machte 1865 den Anfang; der Reformator Farel in Neuenburg folgte 1876.
An Wilhelm Tell wurde bereits 1856 mit einem Standbild in Lugano erinnert. Die Wahl dieses recht weit von der Innerschweiz entfernten Standorts hatte mit dem aufkommenden Fremdenverkehr zu tun: Von Denkmälern erhoffte man sich Einnahmen für die Hotellerie und das Gewerbe.
Es entstanden auch viele Denkmäler für reale Gestalten des 19. Jahrhunderts: Heinrich Zschokke in Aarau etwa oder Henri Dufour in Genf.
Aber die fiktiven Helden der Vorzeit hatten es leichter, eine Bildsäule zu bekommen, manchmal sogar gruppenweise, wie ein Beispiel aus Bern beweist: 1869 wurde auf dem nachmaligen Platz des Bundeshauses in Bern das sogenannte Gesellschaftshaus Museum eingeweiht. Dieses steht noch heute und beherbergt seit 1906 die Bernische Kantonalbank.
Im oberen Teil der Monumentalfassade, auf einem vorstehenden, von Halbsäulen getragenen Fries, wurden die zweieinhalb Meter hohen Skulpturen von acht berühmten Bernern aufgestellt: Albrecht von Haller, Niklaus Manuel, Hans von Hallwyl, Adrian von Bubenberg, Hans Franz Nägeli, Samuel Frisching, Thüring Frickart, Niklaus Friedrich von Steiger.
Interessant daran ist, daß mit Ausnahme des letzten Schultheißen des Alten Bern 1798, Niklaus Friedrich von Steiger, alles Figuren der erfundenen Geschichte vertreten waren – einschließlich dem Berner Wissenschafts-Heroen Albrecht von Haller.
Geschaffen hat die Skulpturen der acht berühmten Berner der Aargauer Bildhauer Robert Dorer. Dieser entwarf 1871 auch das Projekt für ein nicht ausgeführtes Schweizer Nationaldenkmal (Abbildung auf der Titelseite).
Das nicht ausgeführte Nationaldenkmal mit den drei Eidgenossen, die ihre rechten Hände zum Bundesschwur erheben, hätte nach der Skizze möglicherweise einen gewissen Reiz gehabt.
Das 19. Jahrhundert wurde ab dem letzten Drittel geistig schwer und düster. Die Industrialisierung machte ungeahnte Fortschritte, Eisen und Stahl bestimmten die Gesellschaft.
Vor allem veränderte sich das politische Klima.
Im Zuge der deutschen Einigung, geschaffen unter dem Preußen von Bismarck und vollzogen in drei Kriegen, verbreitete sich ein Machtstaat-Denken in Europa. Die großen Länder und auch die Vereinigten Staaten von Amerika gebärdeten sich immer offener imperialistisch und militaristisch. Europa beherrschte mit seinen Kolonien wirtschaftlich, militärisch und mit seinen Bevölkerungszahlen die ganze Welt und spielte diesen Vorteil hemmungslos aus.
Als kleines und neutrales Land blieben der Schweiz die großen Denkmal-Greuel des Deutschen Kaiserreichs nach 1871 erspart. Ein Hermann der Cherusker bei Detmold, das Niederwald-Denkmal am Rhein und die Reiterstatue von Kaiser Wilhelm I. am Deutschen Eck bei Koblenz wären hier kaum möglich gewesen.
Doch die schweizerischen Erinnerungsstätten nach etwa 1880 folgten wie anderswo den Tendenzen des Militarismus und der Kriegsverherrlichung.
Die düstere Statue des Kriegerfürsten Huldrych Zwingli in Zürich 1885 machte den Anfang.
Das Denkmal für Adrian von Bubenberg in Bern 1897 drückte den kriegerischen Geist durch die gepanzerte Gestalt des Helden, aber ebenso durch die beiden an seinem Sockel angebrachten todesverachtenden Sprüche aus.
Ein Bundesbeschluß von 1887 gab der Errichtung von historischen Denkmälern in der Schweiz einen zusätzlichen Schub: Nun wurde es möglich, Erinnerungsstätten von nationaler Bedeutung zu subventionieren. - Das Tell-Monument in Altdorf profitierte als erstes von dieser neuen Maßnahme.
Mit dem Suworow-Denkmal in der Schöllenen-Schlucht bei Andermatt 1899 wurde erstmals ein bedeutendes Monument geschaffen, welches von einem fremden Staat gewünscht wurde. Dabei war man sich von Anfang an nicht ganz im Klaren, welche heiklen – auch diplomatischen – Auswirkungen solche Zugeständnisse für die Eidgenossenschaft in Zukunft haben könnten.
Die bedeutenden Denkmäler des beginnenden 20. Jahrhunderts zeichneten sich durch eine für schweizerische Verhältnisse ungezügelte und düstere Monumentalität aus. Die beiden großen Beispiele dafür sind das Welt-Telegraphen-Denkmal in Bern und noch extremer das Reformations-Denkmal in Genf.