Homo Sapiens 404 Band 1: Und dann töten sie - Claudia Kern - E-Book + Hörbuch

Homo Sapiens 404 Band 1: Und dann töten sie E-Book und Hörbuch

Claudia Kern

4,0

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Beschreibung

Dies ist die erste Episode der Romanserie "Homo Sapiens 404". Die Crew des Raumschiffes Mishima verdient sich ihren Lebensunterhalt mit dem Ausschlachten alter Schiffswracks. Als sie auf ein großes, scheinbar verlassenes Postschiff stoßen, glauben sie, endlich den Jackpot getroffen zu haben. Mit der Fracht, die sich in der T. S. Eliot befindet, könnten sie auf Jahre hinaus im Wohlstand leben, doch zwischen ihnen und diesem Schatz liegen lange, dunkle Gänge voll unheimlicher Gegner- und die Erkenntnis, dass die Eliot ein Geheimnis verbirgt. Über die Serie: Einige Jahrzehnte in der Zukunft: Dank außerirdischer Technologie hat die Menschheit den Sprung zu den Sternen geschafft und das Sonnensystem kolonisiert. Doch die Reise endet in einer Katastrophe. Auf der Erde bricht ein Virus aus, der Menschen in mordgierige Zombies verwandelt. Daraufhin riegeln die Außerirdischen das Sonnensystem ab und überlassen die Menschen dort ihrem Schicksal. Die, die entkommen konnten, werden zu Nomaden in einem ihnen fremden Universum, verachtet und gedemütigt von den Außerirdischen, ohne Ziel, ohne Hoffnung.

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Seitenzahl: 105

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Zeit:2 Std. 19 min

Sprecher:David Meiländer
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Band 1

Und dann töten sie

Claudia Kern

Digitale Originalausgabe

Homo Sapiens 404 wird herausgegeben vom Rohde Verlag

Rohde Verlag, Auf der Heide 43, 53757 Sankt Augustin

Verleger & Redaktion: Markus Rohde

Autorin: Claudia Kern

Lektorat: Peter Thannisch

Covermotiv & -gestaltung: Sebastian Lorenz

Copyright © 2013 by Rohde Verlag

ISBN 978-3-95662-001-0

www.claudia-kern.com

www.helden-in-serie.de

www.rohde-verlag.de

»Sie haben uns aus der Welt gelöscht wie überflüssige NPCs aus einem MMO. Und nun versuchen sie, unsere Geschichte aus Wikipedia zu löschen, unsere Kultur aus YouTube und unsere Katzenfotos aus Flickr. Doch das werden wir nicht erlauben. Widerstand ist nicht zwecklos, Widerstand ist Pflicht. Denkt an Picard, denkt an 300, denkt an all die Helden. Wir sind die Menschheit! Wir werden überleben. Unsere URL soll niemals ins Leere führen. Sprecht mir nach: Kein 404 für die Menschheit! Kein 404 für Menschlichkeit! Kein 404! Kein 404!«

- Nerdprediger Dan, ASCII-Zeichen für die Ewigkeit, www.homosapiens404.tumblr.com, Spenden willkommen.

1

Sonnenstrahlen blitzten durch ein grünes Blätterdach. Kipling sah nach oben und erinnerte sich an die Wärme, die einst in ihnen gelegen hatte. Wenn er sich konzentrierte, konnte er sie beinahe spüren. Er sah an sich herab. Er stand mit nackten Füßen in Moos, trug nur einen Schottenrock und zwei gekreuzte lederne Munitionsgürtel über der Brust. Der Revolver an seiner Hüfte schwang bei jedem Schritt hin und her.

Interessant, dachte Kipling.

Er hörte die Frau, bevor er sie sah. Ihr Schluchzen hallte durch den Wald. Der Pfeil in seinem HUD schwang herum wie die Nadel eines Kompasses, dann zeigte er auf einen Weg, der sich zwischen zu grünen Laubbäumen hindurchwand. Kipling folgte ihm einige Minuten, bis er den Rand einer Lichtung erreichte. Darauf stand eine Frau, den Rücken an den Stamm einer großen Eiche gepresst, die Arme abwehrend ausgestreckt. Sie schluchzte laut.

Die drei Männer, die sie lauernd wie Raubtiere umkreisten, grinsten. Einer machte eine offenkundig anzügliche Bemerkung in einer Sprache, die Kipling nicht verstand. Die beiden anderen Männer lachten laut, und einer klopfte ihm auf die Schulter. Alle drei trugen speckige Lederkleidung, waren unrasiert und ungewaschen. Verrostete Schwerter und Dolche steckten in ihren Gürteln. An einem Baum lehnte eine altertümliche Muskete neben verdreckten Decken und den Überresten eines Lagerfeuers.

Kipling trat auf die Lichtung. Die Perlen, die er in seinen Bart und seine langen Haare geflochten hatte, klimperten. Die Männer wandten ihm den Rücken zu und bemerkten ihn nicht, doch die Augen der Frau weiteten sich. Ihr Blick war stumpf, aber er bildete sich ein, Hoffnung darin zu erkennen. Das half.

Er legte die Hand auf den Griff seines Revolvers und stieß einen schrillen Pfiff aus. Die Männer fuhren herum. Zwei griffen nach ihren Schwertern, der dritte lief auf die Muskete zu. Kipling fegte ihn mit einem Schuss von den Beinen. Aus den Augenwinkeln sah er die beiden anderen auf sich zulaufen, die rostigen Schwerter hoch über die Köpfe erhoben.

Scheiße. Kipling machte einen Satz zur Seite. Haarscharf glitt eine der beiden schartigen Klingen an seiner Schulter vorbei. Er holte aus, rammte dem Kerl den Pistolengriff ins Gesicht und sprang zurück. Ein Schuss. Der Mann schrie und stürzte.

Der dritte ließ das Schwert fallen, schlug einen Haken, um aus der Schusslinie zu gelangen, und lief auf den Waldrand zu. Kipling zielte und schoss ihm in den Hinterkopf.

Es spritzte kein Blut, der Mann wurde nur nach vorn gerissen und verschwand im hohen Gras.

Kipling steckte den Revolver zurück ins Holster. An die beiden anderen Männer verschwendete er keinen Gedanken mehr. Er wusste, dass sie tot waren, denn er schoss nie vorbei.

Die Frau fiel auf die Knie. »Danke, Fremder«, stieß sie hervor. »Ohne Euch hätten diese Räuber mir Schreckliches angetan.«

Sie sprach mit russischem Akzent, obwohl sie die vollen Lippen, die braune Haut und das dichte schwarze Haar einer Südamerikanerin hatte.

Kleinigkeiten, dachte Kipling. Er blieb vor der Frau stehen. Ihr geblümtes Kleid war an einigen Stellen zerrissen, und er sah, dass sie nichts anderes trug, keinen BH, keine Unterwäsche.

»Wie kann ich Euch jemals dafür danken?«, fragte sie.

Eine Antwort war nicht nötig. Sie wusste auch so, was von ihr erwartet wurde. Auf Knien rutschte sie näher an ihn heran, legte ihre Hände auf seine Beine und schob den Schottenrock langsam nach oben. Darunter war er traditionell schottisch gekleidet. Kipling wünschte, er hätte die Berührungen spüren können.

»Darf ich heute noch mit einer Antwort auf meine Frage rechnen, Mister Jonnessey?« Die schneidend scharfe Stimme hallte über die Lichtung. Sie schien von überall her zu kommen, aus den Wäldern, durch die der Wind in AC3 rauschte, aus den Wolken, die über einen #2F7999-blauen Himmel zogen, sogar aus dem Mund der mit russischem Akzent programmierten, dreidimensional gerenderten Südamerikanerin. Etwas Göttliches lag darin.

Kipling schaltete die Simulation mit einem Zwinkern aus. Frau und Landschaft verblassten und wurden von einem grauschwarzen, spitz zulaufenden Raum ersetzt, dem Cockpit des leichten Aufklärers Mishima. Sie saßen zu fünft darin, obwohl das Cockpit nur für drei Personen konzipiert war. Die beiden anderen Sessel hatten sie am Boden verschweißt. Man musste sich an ihnen vorbei quetschen, wenn man die Spitze des Raums, dort, wo sich der Platz des Piloten und die beiden schräg angebrachten Bildschirme befanden, erreichen wollte. Zum Glück musste das in der Regel nur die zierliche Rin Takahashi und Kipling nur gelegentlich, wenn einer der Bildschirme wieder einmal nicht funktionierte.

Er rückte die V-Specs, seine Virtual-Reality-Brille, zurecht und räusperte sich. »Wie lautete die Frage noch mal?«

Rin Takahashis Pilotensessel schwang mechanisch surrend herum. »Auf was genau fliegen wir zu?«

»Oh, die Frage. Klar.«

Arnest lachte laut und dröhnend. Er war ein Klotz von einem Mann, mit kurz geschorenem hellblonden Haar und Muskeln, die sich wie prall gefüllte Luftballons unter seinem schwarzen T-Shirt abzeichneten. Er saß auf einem der beiden festgeschweißten Sessel weit weg von den Konsolen und Armaturen. Niemand wollte, dass er etwas anfasste, das mehr Feingefühl erforderte als ein Vorschlaghammer. »Hast du wieder Porn geguckt?«

Kipling spürte, wie seine Wangen heiß wurden. Er ignorierte die Frage und rieb Daumen und Zeigefinger zusammen. Die Sensoren, die er sich in die Fingerspitzen hatte implantieren lassen, interpretierten die Geste korrekt und warfen das im Hintergrund laufende Scanprogramm auf das Display der V-Specs.

»Auf eine Reihe von Objekten zu, mehrere Dutzend kleine und ein sehr großes«, sagte er mit Blick auf die Daten, »aber viel mehr kann ich dir erst verraten, wenn wir näher herangekommen sind.«

»Hast du ihr die gleiche Antwort nicht schon vor zehn Minuten gegeben?«, fragte Lanzo, der an der Waffenstation saß. Er war Arnests Bruder, was jedoch niemand vermutet hätte. Sein drahtiger, sehniger Körper wirkte wie der eines Marathonläufers, nicht wie der eines Schlägers. Einmal im Monat ließ er seine sorgsam gestutzten braunen Haare von Bordarzt Jourdain nachschneiden. Trotz der beengten Räumlichkeiten und dem Umstand, dass es nur ein Bad gab, war Lanzos Kleidung immer sauber und gebügelt. Wie sein Bruder trug er ausschließlich Schwarz, doch im Gegensatz zu dem sah man seinen Hemden nicht an, was er in der letzten Woche gegessen hatte.

Kipling zuckte mit den Schultern. »Die Scanner waren schon vor Omega alt, mittlerweile sind sie uralt. Ihre Reichweite ist begrenzt.«

Omega, das war einer der Begriffe, die hängen geblieben waren, auch wenn niemand genau sagen konnte, weshalb. Apokalypse, Untergang, Armaggeddon - all das wäre präziser gewesen, doch Omega hatte sich durchgesetzt. Manche gingen sogar noch weiter und sprachen von Heston-Ära oder MZ (Matheson-Zeit), aber das war selbst Kipling zu nerdig.

»Vielleicht sollten wir dann mal in neue investieren«, sagte Jourdain. Er saß auf dem zweiten festgeschweißten Sessel, und seine Stimme war tief und sonor wie die eines Schauspielers. Mit etwas über vierzig Jahren war er der Älteste an Bord. Seine Schläfen waren angegraut, rund um seine braunen Augen tauchten erste Falten wie Risse in der Haut auf. Er trug einen Vollbart, den er ebenso sorgsam stutzte wie Lanzo die Haare.

Kipling antwortete nicht, sondern sah Rin an. Sie hob die Augenbrauen. »Wenn ihr neue Sensoren wollt, kann ich eure Anteile gern kürzen und in die Mishima stecken.«

»Ich will gar nichts«, sagte Arnest rasch. »Wir kommen auch so klar.«

Jourdain neigte den Kopf. »Na ja, wir sind Geier. Bessere Scanner würden uns die Arbeit erleichtern und unseren Profit auf Dauer erhöhen. Das Opfer könnte sich lohnen.«

»Für ›könnte‹ kann ich mir nichts kaufen.« Arnest verschränkte die Arme vor der Brust.

»Er hat recht«, sagte Lanzo erwartungsgemäß. Die beiden Brüder hielten meistens zusammen. »Wir verdienen kaum genug, um die laufenden Kosten zu decken. Der Schrott, den wir in letzter Zeit gefunden haben, war entweder schon ausgeschlachtet oder nichts wert.«

Er sprach eine Sorge an, die sie alle hatten. Die Anzahl zerstörter oder verlassener Schiffe war begrenzt, und viele »Geier«, wie man die nannte, die sie ausschlachteten, verfügten über bessere Ausrüstung. Irgendwann würden sie sich der Entscheidung, die Rin ständig hinauszögerte, stellen müssen: Weiter Geier bleiben oder doch auf die dunkle Seite wechseln und Schrott nicht nur ausschlachten, sondern produzieren.

»Piraten verdienen mehr als Geier«, sagte Arnest. Es missfiel Kipling, dass sie beide den gleichen Gedanken gehabt hatten. Immerhin war er so klug gewesen, ihn nicht auszusprechen.

Rin nahm kurz die Hände von den Joysticks, die aus den Lehnen ihres Sessels ragten. »Halt die Klappe, Arnest. Diese Diskussion ist längst beendet. Piraten sind Kannibalen. Sie ernähren sich von ihresgleichen. Auf dieses Niveau werde ich mich nicht begeben.«

Arnest beugte sich vor. Der Sicherheitsgurt spannte sich über seine Brustmuskeln. »Ich hab ’ne Idee, wie das nicht so wäre«, sagte er. Lanzo hob die Augenbrauen. Anscheinend wäre es ihm lieber gewesen, sein Bruder hätte die Idee für sich behalten. »Was, wenn wir nur Piraten jagen? Wenn das die Bösen sind, sind wir doch die Guten, richtig? Alle fänden uns geil. Wir wären wie Robin Hoodie, nur moderner.«

»Hood«, korrigierte Kipling automatisch. »Hoodie ist das, was du dir über den Kopf ziehst. Hood ist der Typ mit Pfeil und Bogen.«

Arnest schien darauf etwas erwidern zu wollen, aber Kipling ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Die Idee ist ganz gut, abgesehen von zwei relativ offensichtlichen Problemen. Zum einen haben wir, wie du weißt, alle schweren Waffen entfernt, um mehr Platz für Fracht zu schaffen, zum anderen greifen Piraten immer in Gruppen an, das macht sie so–«

Er unterbrach sich, als Buchstaben und Zahlenkolonnen plötzlich über sein Display huschten. Der Scan war abgeschlossen.

»Aber das hat denen hier nichts gebracht.« Mit einer kurzen Augenbewegung übertrug er das Ergebnis des Scans auf den linken Bildschirm und schaltete die Außenkamera an seiner Konsole ein. Der rechte Bildschirm flackerte einen Moment lang, dann zeigte er das Bild der Kamera.

Es wurde still im Cockpit. Rin drehte ihren Sessel zurück und hob ebenso wie alle anderen den Kopf.

Vor ihnen erstreckte sich ein Trümmerfeld. Aufgerissenes Metall und verschmortes, geschwärztes Plastik trudelten durch das All. Kipling sah abgesprengte Flügel und Schiffswracks, aus denen Kabelstränge wie Gedärme hingen. Leichen trieben an ihnen vorbei. Am Rande des Bildschirms explodierte etwas lautlos. Die Stichflamme brach so schnell in sich zusammen, wie sie entstanden war. Die alte Schwarzweißkamera justierte ständig nach, so als wisse sie nicht, welchen Teil des Felds sie scharfstellen solle. Doch dann richtete sie sich neu aus, und ein gewaltiges, bläulich schimmerndes Objekt füllte auf einmal den Bildschirm aus. Wie ein Wal in einem Meer aus toten Möwen glitt es durch die Dunkelheit.

»Was sehen wir?«, fragte Rin.

Kipling scrollte durch die Zahlenkolonnen. »Die Überreste von sechs schnellen Kampfschiffen, wenn die Signaturen nicht gefälscht sind. Wahrscheinlich Piraten. Spuren von Plasma und konventioneller Munition … mehr als zwei Dutzend Leichen und Leichenteile, ein wie durch ein Wunder unbeschädigter Treibstofftank und-«

»Was ist mit dem riesigen Schiff in der Mitte?«, unterbrach ihn Lanzo hörbar ungeduldig. Kipling hatte absichtlich gewartet, weil er wusste, dass ihm nach seiner Erklärung niemand mehr zuhören würde. Als nun jedoch auch Rin auffordernd nickte, übersprang er die weiteren Einzelheiten hinsichtlich des Angreifers und kam zum Verteidiger.

»Das ist eine interessante Frage«, sagte er. »Ich habe das Schiff angepingt, so wie die anderen auch, aber es kam keine Signatur zurück.«

Arnest kniff die Augen zusammen. »Sieht aus wie ein Postschiff. Ich hab mal kurz auf einem gearbeitet, vor der ganzen Scheiße. War ein Kackjob.«

Die ganze Scheiße. So sprach Arnest immer über das, was die anderen Omega nannten.

Rin nickte. »Das würde auch erklären, warum das Schiff die Signaturabfrage verweigert. Wenn ich auf einem Berg wertvoller Fracht säße, würde ich das auch nicht jedem erzählen.«

»Richtig.« Kipling scrollte die Liste weiter nach unten. »Aber das Schiff hat die Abfrage nicht nur verweigert, sondern stattdessen seinen Namen zurückgeschickt. Transportschiff Eliot.«

Lanzo und Jourdain lachten, Arnest runzelte die Stirn. »Bescheuerter Name, aber so lustig ist der auch nicht.«