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Dies ist die neunte Episode der Romanserie "Homo Sapiens 404". Die Besatzung der Eliot muss sich mit einigen großen Veränderungen abfinden. Neue Probleme tauchen auf, mit denen sie nicht gerechnet haben. Die Jockeys machen den Menschen währenddessen das Leben zur Hölle, doch das hat unbeabsichtigte Konsequenzen. Und einer dieser Konsequenzen begegnen John Auckland und seine Leute. Dabei stellt sich heraus, dass die Menschheit der Galaxis nicht nur das Internet, Malware und Werbung gebracht hat, sondern etwas viel Schlimmeres. Über die Serie: Einige Jahrzehnte in der Zukunft: Dank außerirdischer Technologie hat die Menschheit den Sprung zu den Sternen geschafft und das Sonnensystem kolonisiert. Doch die Reise endet in einer Katastrophe. Auf der Erde bricht ein Virus aus, der Menschen in mordgierige Zombies verwandelt. Daraufhin riegeln die Außerirdischen das Sonnensystem ab und überlassen die Menschen dort ihrem Schicksal. Die, die entkommen konnten, werden zu Nomaden in einem ihnen fremden Universum, verachtet und gedemütigt von den Außerirdischen, ohne Ziel, ohne Hoffnung.
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Seitenzahl: 99
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Episode 9
Es tut so weh
Claudia Kern
Digitale Originalausgabe
Homo Sapiens 404 wird herausgegeben vom Rohde Verlag
Rohde Verlag, Auf der Heide 43, 53757 Sankt Augustin
Verleger & Redaktion: Markus Rohde
Autorin: Claudia Kern
Lektorat: Susanne Picard
Covermotiv & -gestaltung: Sebastian Lorenz
Copyright © 2013 by Rohde Verlag
ISBN 978-3-95662-021-8
www.claudia-kern.com
www.helden-in-serie.de
www.rohde-verlag.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Die Autorin
Lesetipp des Verlags
»Die meisten Menschen, die das Glück hatten, von der Erde fliehen zu können, trugen nur wenig bei sich. Mein Gepäck beschränkte sich auf einen Rucksack mit Kleidung, einem alten Laptop, zwei Dosen Heineken, einem Handtuch und einer Zahnbürste. Und natürlich meinen Erinnerungen. Doch so langsam schwinden sie. Ich weiß nicht mehr, wie ein heißer Sommertag am Strand roch oder wie frisches Popcorn schmeckte.
Vor ein paar Monaten habe ich gesehen, wie ein Mann einen anderen wegen einer Tafel Kinderschokolade umbrachte. Nicht, weil er sie essen wollte, sondern um sie in der Hand zu halten, an ihr zu riechen und die schwindenden Erinnerungen, die er damit verband, zurückzuholen. In einer Welt ohne Zukunft sind wir nicht mehr als die Summe unserer Erinnerungen. Wenn sie vergehen, dann auch wir, und wir tun alles, um das zu verhindern.«
– Nerdprediger Dan, ASCII-Zeichen für die Ewigkeit
Auckland: >Du hast mein Schiff.<
Ama’Ru lachte, als sie in Kiplings V-Specs sah, was Auckland geschrieben hatte. Knapp, präzise, unterlegt mit dem Hauch einer Drohung. Diese Nachricht hatte Kipling wahrscheinlich nicht erwartet, als er ihn bat, Ama’Ru zu einer Rückkehr zu bewegen. Warum seine Wahl auf Auckland gefallen war, hatte er mit den Worten Sie weiß, dass du sie nicht anlügen wirst erklärt.
Das hatte er auch nicht getan. Ama’Ru streckte sich in ihrem Sattel und legte die V-Specs auf eine Konsole. Ein winziges grünes Licht leuchtete an einem der Ohrbügel. Ama’Ru hatte den Standby-Modus ausgeschaltet, um einer möglichen Passwortabfrage zu entgehen und weiterhin die Unterhaltungen der anderen lesen zu können. Doch nun war die Zeit gekommen, das Versteckspiel zu beenden. Sie zog ihr Pad aus der Tasche. Die Andere seufzte im Halbschlaf.
Auckland hat eine Antwort verdient, dachte Ama’Ru, während das Pad hochfuhr, um sich unter ihrem eigenen Namen einzuloggen. Ihr Vorhaben war gescheitert. Sie hatte Ryn’Nel nicht davon überzeugen können, gemeinsam mit ihr an die Öffentlichkeit zu gehen und die Entwicklung des Virus, der die Menschheit fast vernichtet hatte, einzugestehen. Er hielt das für unsinnig und wollte lieber weiterhin im Verborgenen an einer Heilung arbeiten. Ama’Ru war nicht der Meinung, dass das eine das andere ausschloss. Vielleicht befürchtete er einfach nur, zur Zielscheibe rachsüchtiger Menschen zu werden. Auf Aucklands Todesliste stand er bereits.
Sie hielt das Pad hoch. Ein Licht scannte ihr linkes Auge, dann baute sich die Benutzeroberfläche auf. Das Pad war schwer und langsam, einer der Nachbauten, mit denen die Völker versucht hatten, sich der digitalen Konkurrenz von der Erde zu stellen. Kipling bezeichnete es gern als »Jockeyschrott«.
Ama’Ru wollte das Chatfenster öffnen, doch Bewegungen auf der Bildschirmwand lenkten sie davon ab. Die Software hatte die Wand in ein Raster eingeteilt. Auf einem der virtuellen Monitore sah Ama’Ru die Zeit, die der Autopilot noch bis zum Sprungtor brauchen würde – sieben Minuten –, auf einem anderen interne Nachrichten, die von den Systemen untereinander ausgetauscht wurden und nur für Menschen wie Kipling lesbar waren. Ein dritter Monitor zeigte die Ordnerstruktur des Servers, den Kipling für die gesamte Besatzung freigegeben hatte – Filme, Bücher, Serien, Bilder, Musik, FÜR ARNEST – ANKLICKEN AUF EIGENE GEFAHR!, Porn – auf einen vierten wurden die Bilder der Außenkameras übertragen. Doch Ama’Ru konzentrierte sich auf den fünften Monitor, der die Ergebnisse der Langstreckenscanner in Echtzeit als Grafik anzeigte. Die Software bemerkte, worauf sich ihre Aufmerksamkeit richtete und zog das Bild groß. Kipling und Auckland schalteten diese Automatik meistens aus, aber Ama’Ru machte sich die Mühe nicht. Es gefiel ihr, wenn Maschinen errieten, was sie von ihnen wollte.
Auf dem Monitor war ein Abbild des Sonnensystems zu sehen, durch das die Eliot flog. Zahlreiche kleinere Schiffe kreuzten ihren Weg. Mit seinen acht Planeten und unzähligen Monden war JIRH-225 eines der größten Systeme, das die Völker besiedelt hatten.
Ama’Ru betrachtete die sechs Schiffe, die sich ihr näherten, schnelle, kleine Abfangjäger, die eine Pfeilformation angenommen hatten. Und die Spitze dieses Pfeils richtete sich auf die Eliot.
»Eingehende Funkverbindung.« Die weibliche Computerstimme klang wie immer freundlich und ein wenig distanziert.
»Auf den Schirm«, sagte Ama’Ru. Sie legte ihr Pad in den Schoß.
Das Abbild des Sonnensystems fiel in das Raster der Bildschirmwand zurück. Ein sechster Monitor öffnete sich und überlagerte die anderen. Darauf sah Ama’Ru ein Cockpit, das mit drei Haien besetzt war.
»Guten Tag, Zanur’Um«, sagte sie zu dem mittleren. Wie schon bei ihrer ersten Begegnung erwähnte sie den Rang Captain, den er sich als zweiten Namen gegeben hatte, nicht.
»Guten Tag, Ama’Ru en Rahlyn od Fir.« Sein Gesicht war entspannt, die Augen hatte er weit geöffnet, seine Arme hingen locker an den Seiten herab. Die verkrampfte Nervosität, die er zuvor gezeigt hatte, war verschwunden.
Er hat mit jemandem gesprochen, dachte Ama’Ru. Bevor er fortfahren konnte, sagte sie: »Sie werden mich kein zweites Mal einem Verhör unterziehen. Meine Geschäfte in diesem System sind erledigt. Ich werde es nun verlassen.«
»Sie werden nichts dergleichen tun.« Zanur’Um warf den Jockeys, die rechts und links neben ihm saßen, kurze Blicke zu, so als suche er ihre Anerkennung. Er war ein schwacher Mann, entschied Ama’Ru, dessen Selbstgefälligkeit nur darauf beruhte, dass ein starker Mann über ihn wachte.
»Seit wann bestimmen Sie über die Handlungen anderer?«, fragte Ama’Ru. Zanur’Um legte seine Hand auf den Kopf seines Hais. Es klang wie Sandpapier, als er ihn rieb.
»Seit es nötig ist«, sagte er.
Auf einem der kleinen Monitore sah Ama’Ru, dass das Sprungtor nur noch fünf Minuten entfernt war. Die sechs Schiffe umkreisten die Eliot wie Aasfresser einen Kadaver. Den Menschen, mit denen sie gereist war, wäre es wahrscheinlich ein Leichtes gewesen, sie abzuschießen, aber Ama’Ru kannte die Waffensysteme nicht gut genug.
Und ich würde nie auf einen der unseren schießen, dachte sie. Egal, wie fehlgeleitet er auch sein mag.
»Es war nie nötig und es wird nie nötig sein«, sagte sie, obwohl sie ahnte, dass die Diskussion sinnlos war. »Ich habe keine Menschen an Bord. Scannen Sie das Schiff, wenn es sein muss und lassen Sie mich in Ruhe.«
»Von mir aus könnten Sie machen, was Sie wollen, Ama’Ru en Rahlyn od Fir…« So wie er ihren dritten Namen betonte, hatte er mittlerweile herausgefunden, was er bedeutete. »… aber ich habe den Befehl erhalten, Sie zu meinem Oberkommandanten zu bringen und den werde ich befolgen.«
Captain, Befehl, Oberkommandant. Die Worte klangen fremd und falsch in ihren Ohren. Die Völker, die sie kannte, hätten sie nie benutzt. Aber vielleicht hatte sie sich zu lange unter Menschen aufgehalten, zuerst auf NG27, dann auf der Eliot.
»Die Sprungkoordinaten wurden bereits an Ihren Computer übermittelt, Sie müssen sie nur noch aktivieren. Ich würde Ihnen raten, das jetzt zu tun.«
Wieder dieser Blick zu den anderen beiden Jockeys im Cockpit. Zanur’Um genoss seine neu erlangte Macht und wollte sie allen vorführen.
Ama’Ru legte eine Hand auf das Pad in ihrem Schoß. Ihre Finger öffneten das Chatfenster. »Ich würde Ihrem Wunsch gern nachkommen, um Schlimmeres zu verhindern«, sagte sie und hoffte, dass ihre Stimme angemessen resigniert klang, »aber diese Schiffssysteme sind mir nur wenig vertraut. Ich befürchte, Sie werden mich anleiten müssen.«
Sie wagte es nicht, den Blick auf das Pad zu richten. Blind tippte sie auf den Bereich, in dem sie die Tastatur vermutete.
Zanur’Ums Lippen bildeten ein O, ein Ausdruck des Spotts in seiner Kultur. »Die große Ama’Ru en Rahlyn od Fir braucht Hilfe von jemandem, dem sie nicht einmal den Respekt zukommen lässt, ihn mit seinem vollständigen Namen anzusprechen? Wie ernie–«
Er unterbrach sich, als der Jockey links neben ihm sich zu ihm herüberbeugte und etwas flüsterte. »Lassen Sie das«, sagte er scharf.
Ama’Ru schaltete das Pad aus und legte es auf die Konsole neben Kiplings V-Specs. Anscheinend ließ Zanur’Um die Kommunikation der Eliot überwachen.
»Da Sie nicht vertrauenswürdig sind, werden wir Ihren Internetzugang bis zum Ende unserer Reise blockieren«, sagte er. Seine pompöse Ausdrucksweise passte zu seinem Auftreten. »Aktivieren Sie jetzt den Kurs. Ich nehme an, dass Sie mit Ihrer vorgetäuschten Unwissenheit nur Zeit gewinnen wollten.«
Ama’Ru verzichtete auf eine Antwort. Die Andere hockte immer noch mit halb geschlossenen Augen am Boden, so als interessiere sie sich nicht für das, was um sie herum geschah. Ama’Ru musste nur die Hand ausstrecken, um die Konsole zu aktivieren. Ein gelbes Icon blinkte. Als sie es berührte, meldete das System, das eine Kurskorrektur von externen Quelle eingegangen war.
>Annehmen? Ablehnen?<
Sie drückte auf >Annehmen< und lehnte sich im Sattel zurück. Die Bewegung weckte die Andere.
Zanur’Um musterte sie aus Augen, die so kalt wie die seines Hais waren. »Sie sind sehr gelassen«, sagte er nach einem Moment. »Wollen Sie denn gar nicht wissen, was unser Ziel ist?«
»Sie sagten es bereits. Wir fliegen zu Ihrem Oberkommandanten.«
»Und wissen Sie auch, wer das ist?«
Nein, aber ich kann es mir denken. Die Andere drehte sich auf ihre Bitte um und ging zur Fahrstuhltür.
»Natürlich«, sagte Ama’Ru, als sie davor stehen blieb. »Mak’Uryl, der Massenmörder von NG27.«
»Mak’Uryl on Narum! Warum sind Sie nur so respektlos?«
Dass sie seinen Oberkommandanten als Massenmörder bezeichnet hatte, schien ihn nicht zu stören, aber dass sie seinen albernen zweiten Namen – Feuerbringer – ausließ, raubte ihm die Selbstbeherrschung.
Ama’Ru beachtete ihn nicht weiter und trat in den Fahrstuhl. Erst als sich die Türen hinter ihr schlossen, erlaubte sie sich, nervös zu werden. Die Andere reagierte darauf, indem sie ihre Hinterbeine gegeneinander rieb. Vielleicht hätte Zanur’Um daraus nicht die richtigen Schlüsse gezogen, schließlich gab es nur wenige ihrer Art, aber Ama’Ru wollte keine Blöße riskieren.
Sie war sich sicher, dass die Unterhaltung direkt an Mak’Uryl übertragen worden war, sonst hätte Zanur’Um nicht so – wie hätte Arnest das formuliert? – auf die Kacke gehauen.
Je weniger er über mich weiß, desto besser, dachte sie. Die Fahrstuhltüren öffneten sich und sie ging durch die leeren, stillen Gänge zu ihrer Kabine. Sie war sich nicht sicher, wie viel von ihrer Nachricht bei den Menschen angekommen war, die sie auf dem Planeten zurückgelassen hatte. Sie hatte nicht sehen können, was sie tippte und wusste auch nicht, zu welchem Zeitpunkt das Internet blockiert worden war.
Komme, wenn ich kann. Muss zu Mak’Uryl. Folgt mir nicht, hatte sie schreiben wollen. Vielleicht war es ihr ja gelungen.
Sie betrat die Kabine. Die Kälte des Schiffs fiel von ihr ab, Hitze hüllte sie ein wie eine schwere Decke. Die Andere hockte sich in ihr Nest und schloss die Augen. In der Kabine fühlte sie sich sicher. Selbst der Ruck, der durch das Schiff ging, als die Eliot in den Hyperraum sprang, schreckte sie nicht auf.
Ama’Ru legte ihren Kopf in die warme Halsbeuge der Anderen und verschloss ihre Gefühle vor ihr.
Und dann wartete sie.
Jazzmusik plätscherte unaufdringlich und entspannt über die Brücke der James K. Polk. Der gesamte Frontbildschirm wurde von einem Video eingenommen, das Kipling gerade gestartet hatte. In der linken oberen Ecke des Fensters prangte das YouTube-Logo. Kipling schaltete auf Vollbild um. Rahmen und Logo verschwanden.
Ein Schriftzug erschien vor schwarzem Hintergrund, Times New Roman, fett, kursiv. Kipling schüttelte sich, noch bevor er las, was dort stand.
Offizielle Verlautbarung der galaktischen Gemeinschaft
»Fängt ja schon gut an«, sagte Lanzo. Er stand gemeinsam mit den anderen auf der Brücke und betrachtete den Bildschirm. Kipling hatte nach ihnen gerufen, als das Video in seiner Twitter-Timeline aufgetaucht war. Mittlerweile waren die Hashtags #Jockeyvid und aus irgendeinem Grund #RATM Toptrends geworden. Er tippte auf #RATM und fand eine endlose Reihe von Tweets, die aus den Worten