Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Dies ist die fünfte Episode der Romanserie "Homo Sapiens 404". Es war nur eine Frage der Zeit, bis es passieren musste: Piraten entdecken die Eliot und ihre wertvolle Fracht. Doch hinter dem scheinbar simplen, wenn auch gefährlichen Überfall steckt ein wesentlich perfiderer Plan, der die Eliot schon bald in eine Todesfalle verwandelt. Über die Serie: Einige Jahrzehnte in der Zukunft: Dank außerirdischer Technologie hat die Menschheit den Sprung zu den Sternen geschafft und das Sonnensystem kolonisiert. Doch die Reise endet in einer Katastrophe. Auf der Erde bricht ein Virus aus, der Menschen in mordgierige Zombies verwandelt. Daraufhin riegeln die Außerirdischen das Sonnensystem ab und überlassen die Menschen dort ihrem Schicksal. Die, die entkommen konnten, werden zu Nomaden in einem ihnen fremden Universum, verachtet und gedemütigt von den Außerirdischen, ohne Ziel, ohne Hoffnung.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 91
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Hinter dir
Claudia Kern
Digitale Originalausgabe
Homo Sapiens 404 wird herausgegeben vom Rohde VerlagRohde Verlag, Auf der Heide 43, 53757 Sankt Augustin
Verleger & Redaktion: Markus RohdeAutorin: Claudia KernLektorat: Susanne PicardCovermotiv & -gestaltung: Sebastian Lorenz
Copyright © 2013 by Rohde Verlag
ISBN 978-3-95662-005-8
www.claudia-kern.com
www.helden-in-serie.de
www.rohde-verlag.de
»Ich stelle mir die Menschheitsgeschichte vor wie ein Buch. Im Prolog richtet sich der erste Affe auf und betrachtet die weite Steppe und das wogende Gras. Dann folgen ein paar hundert Kapitel, in denen wir uns vermehren, uns gegenseitig umbringen und unsere E-Mails lesen. Im vorletzten Kapitel kommen die Jockeys, im letzten Omega. Wir leben im Epilog, in diesen paar Zeilen kurz vor dem Wort ›Ende‹. Wir sehen es schon vor uns, aber weil das Buch so geil ist, lesen wir immer langsamer, kosten jeden einzelnen Buchstaben aus. Zurückblättern können wir nicht, die Geschichte ist erzählt, wir können nur noch nach vorn gehen, dorthin, wo die Buchstaben E und N und D und E uns bereits erwarten.«
– Nerdprediger Dan, ASCII-Zeichen für die Ewigkeit
Rin konnte nicht schlafen. Sie lag auf dem breiten Bett in ihrer Kabine, den Kopf auf ihre Armbeuge gestützt, das Pad vor sich und lauschte dem Wummern des Hyperraumantriebs. Stundenlang hatte sie an nichts anderes als die Zerstörung von NG27 gedacht, doch nun war nur noch Leere in ihr. Sie konnte nicht mehr denken, aber sie konnte auch immer noch nicht schlafen.
Sie seufzte und drehte sich auf den Rücken. Das Licht des Pads ließ ihre Umgebung grau und unwirklich erscheinen, ein wenig wie die alten Schwarz-Weiß-Serien, die Kipling auf seinen Server stellte. Der Gedanke an ihn ließ sie nach ihrem Pad greifen und die Freundesliste öffnen. Neben seinem Namen leuchtete ein grüner Punkt, er war also online.
Natürlich ist er das, dachte Rin. Sie hatten seit der Explosion kein Wort miteinander gewechselt, er hatte irgendwann nur stumm die Brücke verlassen und war in seine Kabine gegangen. Sie war ihm nicht gefolgt, war zu gefangen in ihrem eigenen Käfig aus Wut und Trauer gewesen, um an ihn zu denken. Doch in diesem Moment spürte sie auf einmal das Bedürfnis, mit ihm zu sprechen. Von allen an Bord war er der Einzige, den sie als ›Freund‹ bezeichnet hätte. Sie wollte wissen, wie es ihm ging.
Rin tippte auf seinen Namen. Ein Feld klappte auf und zeigte ihr die Statusmeldung, die sich darunter befand. Anstelle von ›Verfügbar‹, ›Beschäftigt‹ oder ›Bitte nicht stören‹ stand dort nur ein Link. Rin tippte ihn an und nach einer kurzen Verzögerung öffnete sich ein Browserfenster. YouTube. Der Titel des Videos, das ein User namens 4815162342 hochgeladen hatte, lautete ›Die Keulung von NG27‹, eine klare Anspielung auf die sogenannte ›Keulung von Dublin‹, dem vielleicht beschämendsten Ereignis im Kampf der irdischen Behörden gegen den Virus. Es war das Video, das Kipling während der Zerstörung der Station aufgenommen hatte, das sah Rin sofort. Sie ließ es nicht laufen. Die Bilder hatten sich wie mit Klingen tief in ihr Gedächtnis eingeritzt. Die Narben, die sie hinterließen, würden sie ein Leben lang an diese wenigen Sekunden erinnern.
Rin scrollte durch die Seite. Gerade mal eine Stunde war das Video alt, aber es war bereits über drei Millionen Mal aufgerufen und über dreihunderttausend Mal geteilt worden.
Das sind nicht nur Menschen, dachte Rin, das sind auch Jockeys. Sie überlegte kurz, ob sie sich die Kommentarsektion überhaupt ansehen sollte. Wenn Menschen und Jockeys im Netz aufeinanderstießen, eskalierten die Gespräche rasch. In diesem extremen Fall erwartete sie Häme von der einen und Morddrohungen von der anderen Seite.
Doch die Kommentarsektion war leer.
Rin scrollte nach oben, aber Kipling – sie war sich sicher, dass er sich hinter 4815162342 verbarg – hatte die Kommentare nicht abgeschaltet. Menschen wie Jockeys konnten posten, aber von den drei Millionen hatte es kein Einziger getan.
Sie setzte sich auf und öffnete Twitter. Der letzte Tweet in ihrer Timeline lag mehr als dreißig Minuten zurück, seitdem herrschte auch dort Stille. Einer Eingebung folgend suchte sie nach einem User namens ›NG27‹ und fand einen Account, der eine Stunde zuvor eröffnet worden war, aber bereits mehr als eine Million Follower hatte. Nur ein einziger Tweet war darüber abgesetzt worden, ein Link, der sie wieder zurück zu dem YouTube-Video führte.
Rin schloss den Browser und ging in die Chaträume, in denen sich Piloten trafen, um über ihre Schiffe zu reden, Tipps zu geben oder um Hilfe zu bitten. Zweihundert User waren online, aber niemand sagte etwas. Die Stille verstörte Rin. Es war, als hielte das gesamte Netz kollektiv den Atem an.
Was passiert hier?, fragte sie sich. Sie hatte das Gefühl, dass niemand das wusste.
Sie öffnete wieder ihre Freundesliste, doch das Licht neben Kiplings Namen leuchtete rot. Er war entweder offline oder hatte eine andere Identität angenommen. Sie legte das Pad beiseite.
Was tust du gerade? Die Frage hielt Rin für den Rest der Nacht wach.
»Hast du keinen Hunger?«
»Nein.« Arnest schob seinen Teller, auf dem ein halb gegessenes Sandwich mit Dosenfleisch und scharfem Senf lag, von sich weg. Abgesehen von ihm und Trevor war die Kantine leer. Lanzo, Kipling, Rin und die Jockey hatten sich in ihre Kabinen zurückgezogen, Auckland hielt auf der Brücke Wache.
»Stört es dich, wenn ich …«, fragte Trevor mit einem Blick auf den Teller.
Arnest zuckte mit den Schultern. Er hatte sich das Sandwich nur gemacht, weil er das Gefühl gehabt hatte, seine Hände beschäftigen zu müssen. Gebracht hatte das nichts. Er spürte den Drang immer noch.
»Wenigstens müssen wir jetzt nicht nach Atlantis zurückkehren«, sagte Trevor kauend. »Die Anwälte braucht ja keiner mehr.«
»Stimmt.« Es war Arnest egal, wohin sie flogen. Wahrscheinlich wollte Auckland sie erst einmal nur von der Station wegbringen, aber er hatte nicht zugehört, als darüber geredet wurde. Er dachte nur an NG27. Wenn er die Augen schloss, sah er die Explosion der Station auf der Innenseite seiner Lider, so als hätte sie sich dort eingebrannt.
»Hör auf damit«, sagte Trevor leise. Er hielt das Sandwich in beiden Händen, hatte aber nur einen Bissen genommen. Senf quoll zwischen den beiden Fleischscheiben hervor.
»Womit?«, fragte Arnest.
»Dem Brüten. Die Station ist zerstört, daran wirst du nichts ändern, auch wenn du tagelang nachdenkst.«
»Hm.«
Trevor schwieg, so als ahne er, dass Arnest Zeit brauchte, um zu erklären, was in ihm vorging. Im Hintergrund sprangen die Kühlaggregate in einer der Vorratskammern summend an.
Arnest kratzte sich am Kopf. Er war es nicht gewohnt, anderen seine Gedanken zu schildern, und es fiel ihm schwer, sie in Worte zu fassen. »Das weiß ich«, sagte er. »Aber ich kann trotzdem nich’ aufhören, daran zu denken. Das ist wie so’n animiertes Gif, weißt du? Die man manchmal im Netz findet? Kinder, die von der Schaukel auf die Fresse fliegen und so’n Zeug. Und das wiederholt sich so lange, bis man sie wegklickt. Nur kann ich NG27 nich’ wegklicken. Das is’ hier drin.« Er tippte sich an die Schläfe. »Und da will’s nich’ raus.«
»Was fühlst du, wenn du daran denkst?«, fragte Trevor, während er das Sandwich hinlegte und sich die Krümel von den Händen wischte.
»Keine Ahnung. Vielleicht …«
»Wut?«
Das war nicht das Wort, das Arnest gesucht hatte, aber es drückte zumindest ein Gefühl aus, das er verstand, im Gegensatz zu dem, was in ihm vorging. »Ja. Fühlt ja wohl jeder.«
»Ich bin nicht wütend«, sagte Trevor. »Ich bin erleichtert.«
»Was?« Arnest sah ihn verständnislos an. »Wieso das denn?«
»Weil jetzt endlich alle begreifen, was die Jockeys wirklich sind.« Trevor beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte. »Ich habe manchmal an meinem Verstand gezweifelt, wenn ich mit Leuten geredet habe. Vor Omega sagten alle, wie toll es sei, dass sie ihre Technologie mit uns teilen. Kannst du dich noch an die Jockey-Partys erinnern?«
»Klar. Ich war sogar mal auf einer.« Das war ein seltsamer Abend gewesen. Menschen hatten sich als Jockeys verkleidet, Pak gegessen und Bier getrunken, während sie außerirdischer Musik lauschten, die für Arnest wie das Rauschen eines schlecht eingestellten Radiosenders geklungen hatte. Eine Soziologiestudentin hatte Gedichte vorgetragen und war schließlich mit ihm ins Bett gegangen, nachdem Lanzo behauptet hatte, er und sein Bruder würden einer Organisation angehören, die Austauschstudenten für einen Jockey-Planeten suchte.
»Dann weißt du ja, wie das damals war«, sagte Trevor. »Selbst nach Omega haben viele die Jockeys noch verteidigt. ›Sie konnten doch nicht anders handeln.‹ ›Sei still. Wir brauchen sie mehr als sie uns.‹ und so weiter. Damit ist Schluss. NG27 hat bewiesen, dass die Jockeys kein Interesse haben, mit uns zusammenzuleben. Sie wollen uns ausrotten. Der Virus war erst der Anfang.«
Er lehnte sich zurück. Die Rückenlehne seines Stuhls knarrte. »Und da das jetzt auch der Letzte kapiert haben dürfte, können wir endlich handeln. Deshalb bin ich erleichtert.«
Arnest nickte. Auch er glaubte, dass die Jockeys hinter dem Virus steckten, auf vielen Webseiten hatte er Beweise dafür gefunden. Und nun wollten sie vollenden, was sie angefangen hatten. In das Gefühl, das er nicht beschreiben konnte, mischte sich jetzt tatsächlich ehrliche, heiße Wut. »Ich will den Jockeys für NG27 den Arsch aufreißen.«
Trevor lachte. »Du glaubst nicht, wie froh ich bin, das zu hören. Ich dachte schon, die ganze Eliot sei voll von Jockey-Liebhabern.«
»Lanzo hasst sie auch. Wenn wir irgendwas starten, ist er garantiert dabei.« Arnest dachte einen Moment lang nach. »Wir haben ein Schiff, gute Leute und genug Fracht, um eine kleine Armee einzukaufen. Das is’ mehr als die Rebellen in Star Wars hatten und die haben’s auch gepackt.«
Die Vorstellung, die Stationen und Schiffe der Jockeys in die Luft zu jagen wie den Todesstern, ließ seinen Magen kribbeln. Lanzo musste unbedingt von seiner Idee erfahren. Endlich hatte er ein Ziel gefunden, für das es sich lohnte, die ganze Scheiße überlebt zu haben.
»Die schleppten aber auch keinen Feind auf ihrem Raumschiff mit«, sagte Trevor.
Arnest fragte sich kurz, wen er damit meinte, dann wurde es ihm klar. »Ama’Ru? Die weiß glaub ich selbst nich’, auf welcher Seite sie steht.«
»An ihrer Stelle würde ich mich genauso verhalten.« Trevor sah sich um, als wolle er sichergehen, dass sie allein waren. »Ist doch schon ein komischer Zufall, dass sie ausgerechnet auf NG27 war, oder? Und jetzt hält sie den Ball ganz flach. Steht immer nur auf der Brücke herum, hört zu und tippt auf ihr Pad. Hast du dich mal gefragt, was sie da eigentlich tippt?«
Das hatte Arnest nicht. Er erkannte auf einmal, dass er sich vieles nicht gefragt hatte. Warum lassen wir zu, dass sich eine Jockey frei auf unserem Schiff bewegt?, war eines davon.
»Glaubst du, dass sie eine Spionin ist?«, fragte er leise.
»Sie ist eine Jockey, oder?« Trevor hob die Schultern. »Es ist ganz natürlich, dass sie zu ihren eigenen Leuten hält. Du und ich würden das nicht anders machen.«
Da hat er recht