Homo Sapiens 404 Band 16: Schieß doch! - Claudia Kern - E-Book

Homo Sapiens 404 Band 16: Schieß doch! E-Book

Claudia Kern

3,0

Beschreibung

Dies ist die 16. Episode der Romanserie "Homo Sapiens 404". Hm, dachte die Autorin, als sie mit "Schieß doch" begann. Ich habe schon lange keine Hauptfigur mehr umgebracht. Und die Gelegenheit dazu war selten so günstig. Ama'Ru und Kipling sind von religiösen Fanatikern (und anderen Problemen) umgeben, Rin und Arnest stehen vor einer Entscheidung, deren Tragweite sie nicht einmal erahnen. Nur ein falscher Schritt könnte eine der drei Parteien in den Tod führen. Oder alle. Oder keine. Welche der drei Möglichkeiten eintritt, erfahrt ihr in diesem Band. Über die Serie: Einige Jahrzehnte in der Zukunft: Dank außerirdischer Technologie hat die Menschheit den Sprung zu den Sternen geschafft und das Sonnensystem kolonisiert. Doch die Reise endet in einer Katastrophe. Auf der Erde bricht ein Virus aus, der Menschen in mordgierige Zombies verwandelt. Daraufhin riegeln die Außerirdischen das Sonnensystem ab und überlassen die Menschen dort ihrem Schicksal. Die, die entkommen konnten, werden zu Nomaden in einem ihnen fremden Universum, verachtet und gedemütigt von den Außerirdischen, ohne Ziel, ohne Hoffnung. Neue Folgen der dritten Staffel erscheinen vierwöchentlich als E-Book.

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Episode 16

Schieß doch

Claudia Kern

Digitale Originalausgabe

Homo Sapiens 404 wird herausgegeben vom Rohde VerlagRohde Verlag, Uhlandstr. 35a, 53757 Sankt Augustin

Verleger & Redaktion: Markus RohdeAutorin: Claudia KernLektorat: Katrin AustCovermotiv & -gestaltung: Sebastian Lorenz

Copyright © 2014 by Rohde Verlag

ISBN 978-3-95662-028-7www.claudia-kern.comwww.helden-in-serie.dewww.rohde-verlag.de

Inhalt

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Die Autorin

Lesetipps des Verlags

»Habt ihr je einen Jockey beten sehen? Nein? Ich auch nicht. Jockeys reden nie über Religion, was zu einer Reihe von Verschwörungstheorien geführt hat. Ich glaube den ganzen Unsinn nicht. Die Jockeys opfern keiner dunklen Gottheit Säuglinge und sie baden auch nicht bei irgendwelchen geheimen Ritualen in Menschenblut. Sie reden nie über Religion, weil sie Religion nicht verstehen. Sie haben keine Ahnung, weshalb Menschen das Bedürfnis verspüren, mit einer unsichtbaren Macht zu sprechen, die ihnen nur mit Schweigen antwortet. Die Angst, allein zu sein, ist ihnen fremd, denn sie sind nie allein. Manchmal wünschte ich, ich könnte ein paar Minuten lang ein Jockey sein, nur um zu erfahren, wie sich das anfühlt.«

– Nerdprediger Dan, ASCII-Zeichen für die Ewigkeit

Was bisher geschah

»Ich kann nicht behaupten, dass ich gerne zur Erde zurückgekehrt bin, aber ich hatte keine Wahl. Kipling und ich wurden zusammen mit den meisten anderen Passagieren der Flotte zu einem Gebäude in den Sümpfen Floridas gebracht. Dort wollte uns Gonzales ihren, beziehungsweise den Plan ihrer Gottheit enthüllen. Doch bevor sie das tun konnte, tauchten drei Skorpione auf – und ein Mensch namens Brown. Derselbe Brown, von dem John seine Anweisungen erhielt und der ihm interessanterweise trotz des Altersunterschieds sehr ähnlich sieht. Er hieß uns bei Better Life Solutions willkommen, dem Konzern, der die genetisch modifizierten Soldaten erschaffen hat. Ich glaube nicht, dass diese Wendung sich positiv auf unsere Leben auswirken wird.«

– Ama’Ru

»Okay, Rin, ich und Auckland sind also mit dem Albaner runter zu seinen Leuten. Die leben auf ’ner Insel in der Bucht von Sydney, eigentlich ganz geil, aber die Typen sind schon gestört. Der Albaner wollte unbedingt mit Brown reden, dem Chef oder Ex-Chef von Auckland, um ihn abzuziehen oder so … ich blick da nich’ durch. Jedenfalls hat Auckland sein Pad zerkloppt und ich hab dem Albaner ein Schwert in die Brust gejagt. Ich. Nich’ der Roboter. Ich. Von wegen ›Das schaffst du nie, Arnest. Der ist viel zu schnell, Arnest‹. Der Rest ist leider nich’ so gut gelaufen. Wir sind abgehauen. Auckland hat die gestörten Roboter abgelenkt, Rin und ich sind in einem Shuttle geflohen. Aber der Park auf dem Festland, wo wir uns mit Auckland treffen wollten, war voll mit Zombies. Wir mussten ohne ihn weg. Scheiße, aber nich’ zu ändern.«

– Arnest

Kapitel Eins

Der Raum war leer und fensterlos. Auckland saß an der Mauer gegenüber der einzigen Tür, die Arme auf die Knie gestützt. Seine rechte Gesichtshälfte war blutverkrustet, er hatte Kopfschmerzen und Durst. Die Soldaten hatten ihm seine Armbanduhr abgenommen, aber er schätzte, dass er vor rund zwei Stunden zu sich gekommen war. Seitdem saß er in dem stillen kleinen Raum und wartete.

Auckland nahm an, dass er sich noch auf Cockatoo Island befand, doch sicher sein konnte er sich nicht. Die Mauern schluckten die Geräusche der Außenwelt. Er lehnte den Kopf an den kühlen Stein und schloss die Augen. Das Licht der Neonröhre, die den Raum erhellte, hinterließ ein gelbes Nachbild auf seinen Lidern. Rin und Arnest hatten es geschafft. Er hatte ihr Schiff in den Himmel aufsteigen sehen und er hoffte, dass sie nicht zurückkommen würden, um ihm zu helfen. Einmal hatten sie Glück gehabt. Ein zweites Mal würde das nicht passieren.

Es knirschte, als ein Schlüssel im Schloss der Tür gedreht wurde. Auckland öffnete die Augen und blinzelte. Tageslicht fiel von draußen herein. Er sah Gras und einige Eukalyptusbäume, dann trat Einsnull ein. Er hielt eine Maschinenpistole in den Händen und richtete sie auf Aucklands Kopf.

»Bleib sitzen«, sagte er.

»Ich glaube nicht, dass er etwas anderes vorhatte.«

Die Stimme des Albaners. Auckland hob die Augenbrauen. Er hatte damit gerechnet, dass der Albaner überlebt hatte, aber nicht damit, ihn so bald wiederzusehen. Das Samuraischwert, das Arnest nach ihm geworfen hatte, war bis zur Hälfte der Klinge in seine Brust eingedrungen. Es war kaum vorstellbar, dass er sich nur wenige Stunden später aus eigener Kraft bewegen konnte, doch das tat er. Er stand im Türrahmen und sah Auckland an. Seine Haut war zwar so weiß wie sein Haar und er stützte sich auf einen Stock, aber sein Blick war wach. Ein breiter weißer Verband bedeckte seine nackte Brust. Über seinen Schultern lag eine Armeedecke.

»Ihr habt mich überrascht«, sagte er.

»Das war unsere Absicht«, sagte Auckland, während er sich innerlich fragte, wie schnell die zweite Generation der genmodifizierten Soldaten heilte. Was haben sie sonst noch mit euch gemacht?

Der Albaner verlagerte das Gewicht. Der Schmerz der Verletzung grub tiefe Linien in sein Gesicht. »Ich hätte nicht gedacht, dass du diesem Trottel die Initiative überlassen würdest. Das war ein Fehler.«

»Dieser Trottel hätte dich beinahe umgebracht«, sagte Auckland. »Und ich habe ihm nicht die Initiative überlassen, er hat sie ergriffen. Du kannst dir nicht vorstellen, dass Menschen so etwas tun, weil keiner von deinen Leuten dazu in der Lage wäre. Dein Verhalten war kein Fehler, sondern Ausdruck des Willens unserer Schöpfer.«

Der Albaner sah ihn einen Moment lang an, bevor er antwortete: »Das wird nicht noch einmal vorkommen.« Seine Stimme klang gepresst. Ob Schmerz oder Ärger dafür verantwortlich waren, konnte Auckland nicht sagen.

»Wo wir gerade bei unseren Schöpfern sind«, fuhr der Albaner fort und wandte sich an Einsnull.

»Was hat er zu dir gesagt?«

Einsnull nahm Haltung an. Die Reaktion wirkte instinktiv und Auckland glaubte nicht, dass er sie ihrer bewusst war. »Dass wir ihn nicht töten können, weil das, was du willst, in seinem Kopf ist.«

Der Blick des Albaners kehrte zu Auckland zurück. »Du hast das Pad zerstört.«

»Glaubst du, dass Brown die Kommunikation mit mir von einem einzigen Gerät abhängig machen würde? Hältst du ihn für so dumm?«

Es überraschte ihn, dass der Albaner einen Moment lang über die Frage nachdachte. »Nein«, sagte er dann. »Du verfügst also über eine Möglichkeit, mit Brown Kontakt aufzunehmen?«

»Ich werde darüber verfügen, sobald ich einige Dinge besorgt habe.«

Der Albaner stützte sich mit beiden Händen auf seinen Stock und beugte sich vor. Auckland sah die tiefen, dunklen Ringe unter seinen Augen. Die Verletzung forderte ihren Tribut.

»Ich verstehe dich nicht, John. Du hast dein Leben riskiert, um zu verhindern, dass ich mit Brown spreche, und jetzt willst du mir auf einmal dabei helfen? Warum?«

Auckland spannte sich an. Früher oder später hatte der Albaner die Frage stellen müssen und er wusste, dass sein Leben von der richtigen Antwort abhing. Einsnull richtete weiterhin die Maschinenpistole auf seinen Kopf. Ein Befehl und er würde abdrücken. Auckland würde weder der Kugel ausweichen, noch Einsnull angreifen können. Der Schuppen war zu klein und er zu weit von Einsnull entfernt.

»Warum?«, wiederholte der Albaner schärfer.

Auckland richtete seinen Blick auf ihn. »Ich war auf dem Hügel.«

Einsnull runzelte die Stirn, als verstünde er den Zusammenhang zwischen der Frage und der Antwort nicht. Doch der Albaner erkannte ihn sofort.

»Ich nenne ihn Golgatha«, sagte er. »Dorthin gehe ich, wenn ich über das Leben nachdenken will. Es ist ein sehr meditativer Ort.«

Auckland dachte an die drei toten Offiziere, die dort an die Wand einer Kapelle genagelt waren, die Klauen ausstreckten und fauchten.

»Vielleicht habe ich da oben deshalb meine Meinung geändert«, sagte er. »Es spielt keine Rolle, ob du mit Brown sprichst oder nicht. Rede mit ihm und schmiede deine Pläne. Ist mir egal, denn ich werde dich töten, bevor du irgendwas davon umsetzen kannst.«

Einsnull blinzelte und sah den Albaner kurz an. Dessen Mundwinkel zuckten und dann kicherte er auf einmal, hell und laut, fast schon hysterisch. Minutenlang stand er so da, vor Schmerzen zusammengekrümmt, die Augen halb geschlossen, während sein Gelächter ihn wie ein Krampf schüttelte.

»Alles okay?«, fragte Einsnull. Er klang besorgt und ein wenig verstört. Nachvollziehbar, dachte Auckland. Er nahm an, dass der Albaner seinen Wahnsinn normalerweise besser unter Kontrolle hatte.

Der richtete sich ruckartig auf. Sein Lachen brach ab, als hätte man die Stummtaste an einer Fernbedienung gedrückt. Mit einer zitternden Hand wischte er sich die Tränen von den Wangen.

»Danke«, sagte er zwischen keuchenden Atemzügen. »Das hat gutgetan, wirklich gutgetan.« Er wandte sich an Einsnull: »Hilf ihm mit allem, was er braucht. Nimm ihn mit in die Stadt, wenn es sein muss. Er untersteht deiner Verantwortung.«

»Was?« Einsnull schien von der Aufgabe nicht begeistert zu sein. Er fing sich rasch und verneigte sich tief. »Ich danke dir für dein Vertrauen.«

»Gut.« Der Albaner sah Auckland an. Er schien etwas sagen zu wollen, lachte dann jedoch nur leise und schüttelte den Kopf. Er drehte sich um und hinkte über den Platz davon. Zurückblieb Einsnull, der Auckland missmutig ansah.

»Und jetzt?«, fragte er.

Die Anspannung fiel von Auckland ab. Er lächelte. »Gehen wir einkaufen.«

Kapitel Zwei

Es war still auf der Eliot. Rin hatte mit der Fingertips an ihr angedockt und nun betraten sie und Arnest die Brücke. Reinigungsroboter hatten die Bierflaschen und Scherben, die Arnest zurückgelassen hatte, längst weggeräumt. Die Luft roch nach Alkohol und Zitrone. Anscheinend hatte die Klimaanlage vergeblich versucht, ein Mittel gegen den Geruch von verschüttetem Bier zu finden.

Die Konsolen, an denen Auckland und der Albaner gesessen hatten, waren noch immer beleuchtet, die Sitze zur Seite gedreht, als erwarteten sie die Rückkehr ihrer Benutzer. Kolonnen aus Zahlen und Buchstaben krochen über die Displays, ohne dass jemand hinsah. Der Halbkreis der südlichen Hemisphäre – endloses Blau, unterbrochen von schmalen weißen Wolkenbändern – bedeckte die Bildschirmwand.

Rin ging zum Pilotensitz an der Spitze der Konsolenreihen. Sie dachte an Auckland und hoffte, dass er nicht zu dem Park geschwommen war, wie sie verabredet hatten. Er musste gesehen haben, wie die Fingertips abhob und im Himmel verschwand, aber hatte er es rechtzeitig gesehen? Und selbst wenn, blieben ihm nicht viele Möglichkeiten. Zurück nach Cockatoo Island und dem Albaner oder weiter in eine von Zombies verseuchte Stadt.

Denk nicht daran. Du kannst es nicht ändern. Jedenfalls im Moment. Rin setzte sich und rief die Scanner auf. Die Bildschirmwand teilte sich und zeigte neben dem irdischen Halbkreis nun auch die Objekte in unmittelbarer Nähe der Eliot, Satelliten und Weltraumschrott. Ein Pop-up wies Rin darauf hin, dass wegen der energieaufwändigen Reparaturen, die das System mit seinen Robotern am Schiff durchführte, nicht alle Funktionen zur Verfügung standen.

»Was machst du da?«, fragte Arnest. Er stand unschlüssig im Raum, als wisse er nicht, ob und wohin er sich setzen sollte.

»Ich suche die Moon.« Rin erhöhte die Reichweite der Sensoren und filterte kleine Objekte aus den Suchergebnissen. »Gonzales ist uns garantiert zur Erde gefolgt. Ihre Anhänger erwarten schließlich, dass sie sie ins gelobte Land bringt. Wenn wir Kipling und Ama’Ru kontaktieren kön–«

»Lass den Scheiß.«

»Was?« Sie drehte den Kopf. Arnest stand mit vor der Brust verschränkten Armen neben der Treppe zur Galerie. Seine Muskeln wölbten sich unter dem schwarzen T-Shirt.

»Lass den Scheiß.«

»Ich hab verstanden, was du gesagt hast, nur nicht, was du damit meinst.« Ohne hinzusehen, bestätigte sie die Kalibrierung der Sensoren mit einer Wischbewegung ihrer Hand. Auf der Bildschirmwand tauchte das Wort SCANNING auf.

»Ey!« Arnest trat einen Schritt vor. »Das ist kein Witz. Hör mit der Scheiße auf.«

Rin sah das Funkeln in seinen Augen, die steilen Falten auf seiner Stirn. Er wird wütend, dachte sie. Der Gedanke löste ein Unbehagen in ihr aus, das ihr nicht gefiel. Seit fast einem Jahr lebte und arbeitete sie mit Arnest auf engstem Raum zusammen. Sie waren Freunde. Rin wollte keine Angst vor ihm haben.

»Was ist dein Problem?«, fragte sie ruhig. »Wieso willst du nicht, dass ich die anderen kontaktiere?«