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Wissen Sie, was das Wort deutsch eigentlich bedeutet? warum Jesus im Talmud nicht mal erwähnt wird? was es mit Hostienschändungen und Ritualmordlegenden auf sich hat? warum niemand Schweinemilch trinkt? warum Juden ihre Bar-Mitzwa im Alter von 13 Jahren feiern? was im Wörterbuch der Gebrüder Grimm als Judenbeeren, Judenkirschen oder Judenpech bezeichnet wurde? dass die Pfandgebühren mittelalterlicher jüdischer Geldhändler nicht höher waren als heute? welchen Ursprung der beliebte jüdische Humor hat? was genau nun eigentlich Antisemitismus ist? Die mitunter überraschende Antworten auf diese und weitere Fragen finden sich im Buch.
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Seitenzahl: 220
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für Chana
Einleitung
über jüdischen Humor
Auf gut Deutsch gesagt: Jüdisch!
War Deutsch einst jüdisch ...?
Wer hat’s erfunden?
Was sollen die Steinchen auf dem Grabmal?
Verzweifelt gesucht: kein Jesus im Talmud
Was Wunder: Von Hostien und Ritualmorden
Auf der Fährte der Judensau
Vom christlichen und jüdischen Wucher
Was genau ist AS?
Heidrichs Erben
Das Geheimnis der jüdischen Weltherrschaft
Abbildungen / Literatur
Literatur
Dass ein Autor sich für sein Buch auf eine hohe Anzahl von Missverständnissen beruft, ist nicht der Regelfall, doch für das vorliegende Werk, kann ich nicht umhin, als gerade das zu tun.
Gäbe es die zahlreichen über Juden kursierenden Stereotypen (nicht nur) in Deutschland heute nicht mehr, wäre das Buch überflüssig. Da Fehl- und Vorurteile auch im Zeitalter des Kurzwissens durcheinandergemischt werden, ist es aber sehr zweckmäßig, die mitunter durchaus seltsamen Verwicklungen zwischen „Deutschen und Juden“ zu hinterfragen, etwa an Hand der Sprache, des Humors oder der Gebräuche. Zu letzterem zählen schon mündlich tradierte Reizthemen und Schlagworte wie „Wucher“, „Ritualmord“, „Hostienschändung“ „Antisemitismus“, „Holocaust“, „Nahost-Konflikt“, „Israel-Kritik“ und dergleichen. Die Absicht des Buches besteht deshalb darin, Juden, aber auch ihren Freunden, Nachahmern und Hassern einen möglichst unverstellten, ge- und erklärten Blick zu ermöglichen, auch um sicher vorhandene eigene Vermutungen und sehr zahlreichen aufgeschwatzten Hirnbalast (selbst)kritisch zu hinterfragen.
Nicht wenige Autoren haben sich in den letzten 150 Jahren dem „Phänomen“ des Antisemitismus gewidmet. Während die früheren Verfechter des Antisemitismus, die sich als politische Parteien zwischen Reichsgründung und Erstem Weltkrieg vierzig Jahre im Berliner Reichstag halten konnten, anfangs sehr stolz auf ihren Judenhass beriefen, kamen dessen Kritiker vielfach zu dem Schluss, dass er auf Bildungsdefiziten basiere. Das mag mancherorts zwar stimmen, übersieht aber eine unbestreitbare Tatsache: Der religiöse Hass auf Juden ist ebenso wie der politisch motivierte Antisemitismus das Werk von Intellektuellen, der Beamtenschaft und des Klerus. Sie waren es, die unter Pseudonymen (Falschnamen) in schier endlos vielen Schmähschriften, Bücher und Internetseiten mit erfundenen Talmud-Zitaten, „Enthüllungen“ und Lügen über „die Juden“ ersinnen. Bauern und Arbeiter schrieben keine Bücher, sondern allenfalls „beim Juden“ an, der in den Dörfern und Vorstädten ein verlässlicher Lieferant und nachsichtiger Gläubiger war.
Heute, wo Antisemitismus im „Westen“ gesellschaftlich als widerlegt und erledigt gilt – was freilich eher dem Urteil aufgeklärter Bürger über sich selbst, als der Alltagserfahrung von Juden entspricht – leben viele der altbekannten Klischees unvermindert weiter. Meist leicht verändert, für den modernen Geschmack etwas „aufgehübscht“. Etwa die aktuelle „Israel-Kritik“, die trotz ihrer tatsächlichen Omnipräsenz angeblich ein Tabubruch sein soll und die man doch mal wird „üben“ dürfen. Nun, angesichts der dünnen, allzu oft ins Antisemitische abgleitende Argumentationen wäre das auch tatsächlich ratsam: das mit dem Üben. Diese Kritik übersieht aber, dass es keinen plausiblen Grund gibt, sich als Deutscher bei all den Konflikten und Problemen, die es auf dieser Welt in unserer Zeit gibt, ausgerechnet auf den zwischen Israelis und Araber zu fixieren und dabei – freilich ganz zufällig nur – auf die Standpunkte der Palästinenser festzulegen, deren Terror bagatellisiert, mitunter legitimiert wird, während dann andererseits sonderbarerweise nur die israelische Gewalt Gegengewalt erzeugen soll. Selbst dann, wenn Polzisten einen Mörder auf frischer Tat außer Gefecht setzen.
Immer wieder spitzt sich die Diskussion auf den Punkt zu, ob jemand denn gleich ein Antisemit sei, nur, weil er „Israel kritisiert“. Die einfache Antwort lautet: Im Grunde ja. Was denn auch sonst? Fußballfans, Feinschmeckern, Auto-, Musik- oder Filmliebhabern wird es wohl eher kein besonderes Anliegen sein, schwerpunktmäßig Israel in einen negativen Fokus stellen zu wollen. Wer damit nicht klar kommt, kann gerne Syrien, Katar oder den Iran kritisieren, nur mal so ein paar Monate (besser Jahre) zur Abwechslung – und ja, alles was geneigte Gemüter Israel vorwerfen wollten, findet sich dort tatsächlich und: in mehrfacher Ausfertigung. Und warum sollte jemand „als Deutscher“, der aus der Geschichte der Altvordern gelernt haben will, eigentlich nicht pro Israel sein. Da drehte sich doch keiner von ihnen im Kriegsgrab herum, oder etwa doch ...? Oder etwa doch!
Wohl ein wenig pfiffiger sind aber jene, die, um sich die prickelnde Sehnsucht der Israel-Kritik gönnen zu dürfen, vorgeblich auf eine „jüdische“ Seite schlagen wollen. In der überflüssigen Sorge und Herzweh um längst tote Juden geht das auch relativ, zu einfach, zumal jene Toten keine unbequemen Fragen mehr stellen. In starren Ritualen festgefahrene Gedenkstunden an ermordete „Holocaust-Opfer“ ermutigen manchen jener Humanisten den überlebenden Nachfahrten umso entschiedener entgegenzutreten, ohne darüber Gewahr zu werden, dass ihr Eifer im Schatten ihrer Vorfahren steht – was außer ihnen jedem schnell klar wird.
Weniger gezielt ist die meist unbewusste Anlehnung an gesellschaftliche Sublimierungen, wie die mittlerweile sehr weit verbreitete Vorliebe für „Klezmer“ – eine in Deutschland nie heimische Musik aus Südosteuropa, die nur mancherorts jüdische Züge annahm, die aber seitdem sie in den USA zur Mode wurde, auch hierzulande Nachahmer ohne Ende und meist auch ohne jegliche Originalität und Qualität findet. Ein noch besseres Beispiel wäre der noch weit beliebtere „jüdische Humor“, der seit der berühmten Salcia Landmann inzwischen in zig Taschenbüchern immer noch weiter kolportiert wird. Doch das Lachen bleibt einem ein wenig im Halse stecken, wenn man sich vergewissert, von wo diese, vordergründig versöhnliche Vorliebe, herrührt.
Es geht bei alledem natürlich nicht um Schuldzuweisungen, Provokationen oder anderen Stuss, sondern darum, die Extrakte von Wurzeln und Blüten der Geschichte auf einen gesunden Nenner zu bringen, ohne Verlust an Substanz und Bedeutung.
Was nun die zentrale Frage des Buches, die Vorurteile (die genau genommen Fehlurteile sind) selbst anbetrifft, so lässt sich diese am besten mit einem in Varianten erzählten jüdischen Witz erläutern. Er handelt von den „vielen Gerüchten“, die über die Tochter eines Rabbiners erzählt werden:
„Man sagt, die Tochter des Rebben sei auch alles andere als keusch“. „Der Rebbe hat doch gar keine Tochter!“ – „Aber irgendwas muss an der Geschichte doch dran sein!?“
Wie mit dieser Posse verhält es sich auch mit den meisten Vor- oder Fehlurteilen und den tradierten Klischees über „die Juden“. Auch dann, wenn sie inhaltlich klar widerlegt werden können, was bei Pauschalisierungen immer der Fall ist, bleibt bei vielen „Denkern“ doch das Verlangen, dass vielleicht doch „irgendetwas“ daran stimmen könnte, eines Tages stimmen wird.
Diesem Irgendetwas zu folgen, ist die Absicht dieses Buches und so werden wir ihm in den einzelnen Kapiteln auf immer neue Weise begegnen – und doch stets in dasselbe Gesicht blicken, das wir im Spiegel sehen.
Die juristischen und historischen Fakultäten der örtlichen Universität hatten sich vor ein paar Jahren disziplinübergreifend die Aufgabe gestellt, die rechtliche Stellung der mittelalterlichen Augsburger Juden zu ergründen. Die Ergebnisse wurden nun von verschiedenen Doktoranden der Uni in Vorträgen einem Publikum vorgestellt, zu dem sich auch der Autor neugierig gesellte. Einer der referierenden Nachwuchs-Akademiker, methodisch offenkundig aber eher Jurist als Historiker, begann sein Thema sodann auch gleich mit einer Art „Disclaimer“: „Also eins gleich vorweg: Die Bezeichnungen Judenbad, Judengasse, Judenhut, etc. gab es damals wirklich, nicht, dass man mir Tendenzen unterstellt!“
Eine Reise durch die deutsch-jüdische Gedankenwelt mit einem Beitrag über jüdischen Humor zu beginnen, ist ein passender Einstieg, genießt selbiger doch eine gewisse Wertschätzung, die ihm allenfalls einige jener Juden neiden, die nicht hauptberuflich als Humoristen unterwegs sind. Ihre Zahl ist schwer zu schätzen, da nicht immer klar ist, was als Humor aufgefasst werden soll oder wird.
„Humor“ wurde begrifflich aus dem Lateinischen entnommen – der frommen Legende nach mit einem Schwamm – und heißt, was fast jeden überrascht, wörtlich „Feuchtigkeit“ und kommt in Deutschland als unerlässlicher Bestandteil in der Nahrungsmittelindustrie zum Einsatz (siehe Abbildung). Schon wegen der doch etwas „strengeren“ Bestimmungen der jüdischen „Speise-Gesetze“ liegt es auf der Hand, dass das hebräische Wort für feucht („lach“) nur eher zufällig an das deutsche Wort Lachen erinnert, das, so schallt es aus den Kellern bundesweit, oft mit Humor einhergehen soll. Fest steht wohl, dass man in irgendeiner Weise wohl „flüssig“ sein muss – und vielleicht denkt mancher ja auch deshalb bei Humor auch gleich an Juden. Andererseits lautet ein Grundsatz der Gelotologie:1Man kann nur witzig finden, was einen (selbst) betrifft. Wenn Ihnen also jüdischer Humor oder Witze über Juden zusagen, hat das auch etwas mit Ihnen selbst und Ihren Vorstellungen zu tun, vielleicht familiär bedingt.
Über jüdischen Humor lässt sich nun natürlich Vieles sagen und ganz und gar im Sinne von Karl Valentin, wurde eigentlich auch schon alles drüber gesagt - nur noch nicht von allen. Wie, … ob Karl Valentin Jude war? Nun, wäre er denn als Jude noch nicht mal drei Jahre nach dem Weltkrieg krank, vereinsamt und verarmt in München gestorben? Oder nicht doch eher ein paar Jahre vorher, … vielleicht eher in Theresienstadt und nicht nahe der Theresienwiese, vielleicht ja auch in Landsberg? Womit wir eher zufällig schon einige der Kriterien angesprochen hätten, die den jüdischen Witz bekannt und beliebt machen. Er bedient, so er nicht nur in Darreichungsformen wie Woody Allen, Seinfeld, Larry David & Co. aus dem TV kommt, eine Anzahl von Klischees und vermittelt sie in einer Sprache, die zum einem vor allem Nichtjuden verständlich, zum anderen aber dennoch soz. „restjüdisch“ genug sein muss, um überhaupt als jüdisch und damit als „typisch“ zu gelten.
Deutsche Tiernahrung: 4 % Rind, 2 % Asche, 80 % Humor.
Ein typisches Merkmal jüdischen Humors und seiner Witze, so liest man oft in akademischen Erklärungen, sei es, dass man dabei nicht über andere, sondern vor allem über sich selbst lacht. Demnach müssten Ostfriesenwitze irgendwie wohl „jüdisch“ wirken, wenigstens dann, wenn sie von Ostfriesen erzählt werden. Nun gut, sich Juden vorzustellen als Leute, die sich selbst durch den Kakao ziehen und lächerlich machen, sozusagen als „Witzableiter“ hat wohl etwas für sich. Und für manche Zeitgenossen mag dies gewiss ein sehr heiterer Gedanke sein. Pauschalisiert ist es aber reines Wunschdenken, ebenso wie die von Sigmund Freud formulierte (und weiter zitierte) Annahme, er (der Witz) sei „die Waffe der Wehrlosen“. Dabei müsste man meinen, dass mittlerweile die israelische Armee wenigstens diesen Mythos zerstört haben sollte, als sog. collateral damage sozusagen.
Da Pointen in der Regel genau dann als solche aufgefasst werden, wenn sie einer Geschichte eine unerwartete Wendung geben, ist auch die Annahme, jüdischer Humor sei in Büchern über jüdischen Humor zu finden, wohl eher zweifelhaft. Dort findet man allenfalls plattgetretene Geschichten, die schon bei flüchtigem Hinsehen oder – hören sehr konstruiert wirken und zwar wackelig oder aber inzwischen baufällig geworden sind. Meist sind es noch nicht mal Geschichten, sondern (sinn)frei erfundene Kurz-Dialoge, die nur „wirken“, so sie vor schematischen Kulissen aufgesagt werden. Die schiebt man dann kaum in den Wilden Westen, ins antike Rom, sondern eher … nach Przemyśl.
Damit allein ist es aber noch nicht getan, denn auch die Witzfigur heißt besser Jankele als Hans-Jürgen oder Birgit und besser Blauschild oder Fränkel als Riester oder Rürup und wenn während der Erzählung gerade ein Zug unterwegs sein sollte, dann besser in Galizien und nicht etwa nach Schlipsheim, Castrop-Rauxel oder Schelesnodoroschnaja. Wo letzteres ist, wissen nur Leute die schon mal dort waren, darunter bekanntlich auch einige Juden. Am einfachsten ist es wohl von einem, von dem Schtedl zu reden. Man sollte „meschugge“ sagen statt „verrückt“, nicht aber „tipes“ anstelle von „dumm“. Den Eindruck des „Vertrauten“ hat man andernfalls recht schnell verspielt. Recht viele meinen doch, jene Art lustig „verjüdeltes“ Deutsch „so gut“ zu kennen, dass sie davon „fast jedes Wort“ verstehen. Schließlich lernt es sich mit Humor eben gleich noch mal so gut.
Geschätzt wird „jüdischer Humor“ sehr gerne von Intellektuellen, von kulturell gebildeten „Feinschmeckern“ und „Schöngeistern“, die natürlich unerwähnt, auch sonst fähig sein wollen, feine Ironie oder gut versteckten „Hintersinn“ in einer mitunter vielleicht auch tragischen oder verschachtelten oder gar in einer tragisch verschachtelten Geschichte zu erkennen. Doch wenn dem wirklich so wäre, warum benötigt diese Art von „Witzen“ dann so viele stereotype Verpackungen, die wie Instanttüten mit ihren Inhaltsangaben bedruckt sind und wo dann auf dem Butterstück steht, dass es fetthaltig ist oder dass der Dosenfisch auch Spuren von Erdnüssen enthalten kann? Oder die Muttermilch 81,5 Prozent Humor. Merkt man das nicht sowieso ...? Oder trotzdem nicht? Rein methodisch erinnert dies dann auch an das furchtbar lustige „canned laughter“, das auch nicht grundlos so heißt, jene „Lacher von Band“ US-amerikanischer sit-com-shows (nicht zu verwechseln mit dem angeblich ernsten Unterton jüdischer Witze). Die Macher dieser immer noch erfolgreicheren Endlosserien sind übrigens gar nicht selten auch Juden, obwohl ihr „Humor“ auf dem professionellen (bezahlten) Wortwitz von „Gag-Schreibern“ und „stand-up-comedians“ basiert (deren sog. Konfession oder Volkszugehörigkeit wir freilich in der Regel nicht erfahren). Ihre Berufsgruppe ist verwandt mit Redenschreibern von Politikern, manchmal auch in Personalunion.
Sigmund Freud schrieb (wie „sogar“ bei Wikipedia - im Artikel „Jüdischer Witz“2 - zitiert ist): „Die Witze, die von Fremden über Juden gemacht werden, sind zu allermeist brutale Schwänke, in denen der Witz durch die Tatsache erspart wird, dass der Jude den Fremden als komische Figur gilt. Auch die Judenwitze, die von Juden herrühren, geben dies zu, aber sie kennen ihre wirklichen Fehler wie deren Zusammenhang mit ihren Vorzügen, und der Anteil der eigenen Person an dem zu Tadelnden schafft die sonst schwierig herzustellende subjektive Bedingung der Witzarbeit.“
Der beliebte jüdische Humor soll sich also nach Möglichkeit schon unterscheiden von herabsetzenden Witzen über Juden. Doch ganz so einfach ist das nicht. Wann ist ein Witz von Juden, und wann ist einer über Juden? Und wo beginnt die Herabsetzung, wenn Juden doch angeblich so gerne über sich selbst lachen? Muss ein Jude den Witz erzählen oder reicht es, wenn er von einem handelt? Warum schätzen gerade sog. „Nichtjuden“ „den“ jüdischen Witz?
Wo nun aber schon (oder: sogar) ein Sigmund Freud Begriffe wie „Witzarbeit“ benötigte, (was er wahrscheinlich nicht spöttisch auf seine eigene Arbeit als Psychoanalytiker gemünzt hatte) kann der Pfad zwischen antisemitischen Klischees und jüdischen Humor so breit dann nun aber wohl auch wieder nicht sein.
Ein Jude und ein Offizier sitzen in einem Zug*; der Jude isst einen Hering. „Sag, Jud, warum seid ihr Juden so schlau?“ „Ganz einfach, Herr Offizier, wenn wir Heringe essen, essen wir auch die Gräten mit.“ Der Offizier kauft dem Juden daraufhin die Gräten ab und würgt sie herunter. Nach einer Weile sagt er: „Jud, Du hast mich beschissen. Für das Geld hätte ich mir einen ganzen Hering kaufen können!“ „Seht ihr, Herr Offizier, es wirkt schon!“ (* wahrscheinlich in Galizien)
Jüdische Einwanderer aus Russland und anderen selbständigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion finden Witze dieser Art oft recht komisch und die demonstrierte Eigenschaft der „Raffinesse“ die es ermöglicht, mittels „Witz“ jemand anderen „aufs Kreuz“ zu legen, als eher positiv, vielleicht mitunter sogar als eine Art „Ideal“. Aber auch sonst (bei Juden anderer Herkunft und jenen, die sich – witzig, witzig – aus freien Stücken als „Nichtjuden“3 bezeichnen) unterstreicht die Pointe die Erwartung, dass der Jude „schlau“ und „gewitzt“ daherkommt. Eben nicht nur lustig, sondern auch … listig, andernfalls wär’s ja wohl nicht so arg „jüdisch“.
Eine Variante wäre etwa folgende Geschichte:
Ein Rabbiner fährt mit seinem Auto auf der Landstraße entlang. Plötzlich stößt er bei einer Kurve mit einem anderen Wagen zusammen. Er steigt aus und stellt erfreut fest, dass weder er noch der Fahrer des anderen Wagens verletzt ist, wohl aber ist einiger Sachschaden entstanden. Der Fahrer des anderen Wagens erweist sich als katholischer Priester. Der Rabbi freut sich über diese göttliche Fügung und schlägt vor, dass sie darauf ein Glas Wein trinken sollten. Der Priester willigt ein und der Rabbi holt eine Flasche aus einem Auto und gießt zwei Becher voll. Der Priester trinkt seinen Becher leer, doch der Rabbi wartet. Als der Priester fragt, warum der Rabbi nun doch nicht trinken will, antwortet dieser: „Ich warte wohl besser, bis die Polizei da war!“
Obwohl die eingangs formulierte Eigenart des jüdischen Witzes, eher über sich selbst, als über andere zu lachen, genaugenommen widerlegt wird, ist da sehr gern die Rede von der „Chuzpe“, die – was frech genug ist – von den „Nichtjuden“ mitunter auch schon mal als „schutz-pä“ ausgesprochen wird. Seitdem es Witzbücher gibt (und wir datieren sie zumindest auf Feitel Itzig Stern zurück, dessen Werk u.a. sogar die Bundeszentrale für Politische Bildung „bpb“ noch für „authentisch“ hält) gilt sie als sehr „jüdisch“ und projiziert geradezu eine bestimmte Erwartungshaltung. Klar ist auch, dass bei der stets vorausgesetzten „Raffinesse“ es wohl eigentlich kaum möglich sein kann, dass ein Witz tatsächlich „auf Kosten“ des „gewieften“, „hinterlistigen“ Juden ausgehen kann.
Da trifft es sich ganz gut, dass es ersatzweise wenigstens jene variantenreich existierende Kategorie an Witzen gibt, aus welcher hervorgeht, dass „der Jude“ zumindest auch „sein“ Judentum nicht ernst nimmt. Dessen Gebote werden vor allem auch von Außenstehenden sehr oft als „streng“ empfunden oder zumindest doch entsprechend vermutet. Feiert ein Jude das Wochenfest, das nur so heißt, und nur einen Tag dauert, dann vorstellungsgemäß „streng“. Begeht ein Christ den Weihnachtsabend, der nur so heißt, aber bald drei bis vier Monate Vorlaufzeit auf allen Straßen, Läden und Medien benötigt, dann natürlich „in Ruhe und Frieden“.4 Da mag es dann schon erheitern, wenn man darüber lachen kann, wie die jüdischen Witzfiguren das alles doch nicht „so ernst“ nehmen, sondern ihre „Gerissenheit“ sogar dafür einsetzen, um ihre eigenen Gebote und Gebräuche zu relativieren, oder zu umgehen.
Mendels ältester Sohn ist zum Christentum konvertiert. Der fromme jüdische Vater ist verzweifelt und weiß nicht, was er tun soll. Da spricht nun Gott selbst mit ihm: „Was weinst Du, Mendel?“ – „Soll ich etwa nicht weinen, mein Sohn hat sich taufen lassen!“ – „Aber Mendel, meiner doch auch!“ – „Und was hast Du gemacht?“ – „Ein neues Testament!“
Ein jüdischer Witz, der augenzwinkernd bekräftigt, dass „Gott“ (als „Witzfigur“) ein „Neues Testament“ macht, hat schon eine gewisse Komik für Leute, die Witze über „Gott“ für angemessen halten, aber ist dies wirklich „typisch jüdisch“?
Wäre es auch komisch, wenn „Gott“ auf Mendels Frage danach, was „er“ getan hatte, antwortete: „Ich habe ihn kreuzigen lassen!“
Doch auch wenn Juden (im Witz) zum Christentum konvertieren, so scheint doch klar, dass geschäftliche Belange doch den Vorrang behalten vor religiösen:
„Jankel, Mair und Cohn wollen sich taufen lassen. Cohn betritt als erster das Pfarrhaus, während die anderen draußen auf ihn warten. Als er nach einer Stunde zurückkehrt, sind die beiden neugierig. "Nu", fragen sie "bist du nun ein Goi geworden?" Cohn aber antwortet lachend: "So weit sind wir gar nicht gekommen, ich habe ihm erst mal eine Versicherung verkauft."
Das scheint selbst dann zu funktionieren, wenn das Geschäft dem Vernehmen nach nur Defizite zustande bringt:
„Moische ist bekümmert, weil die Geschäfte nicht gut laufen. "Jedes Jahr mache ich Verlust mit dem Laden". Sein Freund rät ihm deshalb, das Geschäft zu schließen. Moische empört: "Aber wovon soll ich dann leben?"
Ähnlich geartet ist dieser Witz:
"Levi und sein christlicher Kompagnon werden auf der Landstraße von Räubern überfallen und gerade ausgeraubt, als Levi noch schnell seine Geldbörse zückt und seinem Freund sagt: "Hier sind die hundert Mark die ich dir noch geschuldet habe!"
Scheinbar gilt es aus jeder noch so vertrackten Situation einen Nutzen zu schlagen, wobei sich der Klischee-Jude offenbar über alle Werte hinwegsetzen kann, ja „muss“, um auf typische Weise witzig zu sein.
Beliebt ist dabei auch der wohl in keiner Sammlung fehlende „Schinken-Witz“:
Ein Jude kommt zum Metzger, zeigt auf einen Schinken und sagt: “Ein Kilo von diesem Fisch, bitte!“ „Das ist Schinken!“ – „Es ist mir egal, wie der Fisch heißt!“
Wäre der Witz auch komisch, wenn ein Katholik sich am Tag vor Karfreitag so verhält oder hielte „man“ seine „Raffinesse“ (?) nicht eher für seltsam denn als typisch? Oder wie wäre es mit einem Veganer, der einen Hamburger als Blumenkohl bestellt? Lustig?
Im beliebten „jüdischen“ Witz relativiert aber bereits die Furcht vor familiären Auseinandersetzungen (= der Streit des Juden mit jenen anderen Juden die ihn am besten kennen sollten) sogar auch die messianische Hoffnung:
„Jankel, der Rebbe meint, der Messias wird bald kommen!” – „Gott behüte! Was wenn dann meine ganze Mischpoche seit der Erschaffung der Welt aufersteht ...!“
Ein anderer Witz erklärt auch die „Weisheit“ des Talmuds:
Chaim der früher eine Talmudschule besucht hatte und nun Medizin studiert, wird gefragt, warum er kein Millionär werden will. Seine Antwort lautet, dass er lieber Krebs bekommen wolle. „Warum denn das!?“ – „Nun, ganz einfach: alle Millionäre sterben, an Krebs nur 40 %!“
Ob die „Pointe“ auch funktioniert, wenn man den „Chaim“ und den „Talmud“ durch „Günther“ und „Zeichen“ ersetzt?
Wo über Gott, die Gebote der Tora, den Talmud und die Hoffnung auf das Kommen des Messias gespottet wird, da kann man auch nicht erwarten, dass wenigstens der weltliche Zionismus besser abschneidet:
Ein alter, sterbenskranker New Yorker Jude erklärt seinen Verwandten, dass er in Israel sterben möchte, um dort im Land der Väter begraben zu werden. Man erfüllt ihm seinen Wunsch und fliegt mit ihm nach Tel Aviv, wo ihm das Klima so gut bekommt, dass er sich wieder erholt. Nun aber möchte er wieder zurück nach New York! „Aber warum?“ – „Nun, in Israel sterben wäre in Ordnung, aber hier leben ...??“
Da wir nun wesentliche Merkmale des „jüdischen Witzes“ kennen, müsste auch die Gegenprobe klappen:
Warum kommen Möwen soweit nach Israel hinein? Weil es da so schön nach Fisch stinkt.
Warum darf man einen Juden nicht in eine Kanone stecken? Weil Dumm-Dumm-Geschosse völkerrechtlich verboten sind.
Wären diese Witze – die niemand anderen als Juden aufs Korn nehmen – „witziger“, wenn man sie über Ostfriesen erzählen würde (was sie auf gängigen Witzseiten übrigens tun) …?
Warum kippt ein Jude Wasser auf seinen Computer? Weil er im Internet surfen will.
Wird das auch dann nicht komischer, wenn man sich eine blonde Jüdin dabei vorstellt, … oder doch?
Schwer zu sagen, denn zumindest gibt es ja auch in dieser Art von Scherzen den als typisch erachteten Wortwitz, den unerwarteten Wechsel einer Begriffsbedeutung:
“Was soll man von einem Goi halten? – Abstand!“
Als „Goi“ bezeichnet „man“ einen sog. „Nichtjuden“, benutzt jedoch vor allem von „Nichtjuden“. Man könnte aber auch formulieren: “Was soll man von einem Juden halten? – Abstand!“ Aber das ginge schon wieder in eine ganz andere (?) Richtung und wäre wohl auch nicht in gleicher Weise *komisch* aufgefasst. Der Witz stammt aber aus einer Sammlung sogenannter Ostfriesen-Witze: “Was soll man von einem Ostfriesen halten? – Abstand!“ Welche Variante klingt nun typischer? Lustiger?
„Warum müssen die Ostfriesen so lange auf ihre Fotos warten? – Weil sie ihre Filme immer in die Entwicklungsländer schicken.“
Zwei Juden, drei Meinungen. Diese oft zitierte Devise wird vielerorts geradezu als Synonym für jüdischen Wortwitz oder die den Juden eigene Streitkultur aufgefasst, da sie den vermeintlichen Hang der Juden zum Chaotischen, Anarchischen oder gar Grotesken auf den Punkt bringen soll. Tatsächlich wäre „zwei Personen, drei Meinungen“ aber nichts anderes, als eine gelungene Kommunikation. Zwei Leute mit den eigenen Meinungen A und B reden sachlich miteinander und einigen auf den gemeinsamen Standpunkt AB, der wie die Variante C als dritte Meinung nur ein sachlicher Kompromiss wäre.
Schwieriger wird das nur, wenn man es mit einem Experten zu tun hat. Experten müssen bekanntlich mehr wissen als andere und sie müssen alles auch besser wissen als andere. Was sonst macht sie auch zu Experten? Damit Experten Recht haben können, müssen sie im Laufe der Zeit prinzipiell jede Möglichkeit schon mal erwähnt und erklärt haben. Wenn man alle möglichen Meinungen aber schon mal vertreten hat, ist es klar, dass man im Einzelfall natürlich auch richtig lag. Wer darauf herumreiten will, dass er mit siebenundzwanzig vergleichbaren Einschätzungen zum größten Teil völlig danebenlag, wäre sicher kein Experte. Dieser hat aber 2005 (wie in jedem anderen Jahr) schon auf Anzeichnen einer möglichen Finanzkrise hingewiesen, sie andererseits aber mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen, um 2011 mit aller Ausführlichkeit die Krise von 2008 bereits vor Jahren treffsicher vorausgesagt und analysiert zu haben. Da solche Experten wie gesagt alles und drei verschiedene Gegenteile davon sagen, nimmt sie niemand wirklich ernst und so hat eben damals auf ihre Prognose niemand gehört.
In früheren Zeiten nannte man jene Experten noch Wahrsager oder Astrologen oder wie auch immer man damals Leute ohne anständigen Beruf auch genannt haben mag. Heute gibt es sie für alles und jedes, ganz gewiss auch für Humor und Judentum und sollte die allseits anzutreffende Beliebtheit anhalten – wofür nach Einschätzung von Experten vieles spricht – sicher bald auch für jüdischen Humor. Das brächte wohl viele promovierte Judeo-Gelotologen hervor und vielleicht wäre es lustig mit einem solchen Experten über Pointen zu streiten, ohne des latenten Antisemitismus bezichtigt zu werden!
Wie eingangs bereits zitiert, wollte schon Sigmund Freud Witze von Juden und über Juden differenzieren, seien letztere ja „allermeist brutale Schwänke“. So leicht zu finden, wie man meinen könnte, sind antijüdisch eingestufte Witze gar nicht. Das liegt zum einem wohl daran, dass manche sich selbst zensieren, aber auch daran, dass längst nicht allen klar ist, wie die Freud’sche Grenzziehung von statten gehen soll. Ein Beispiel auch dafür:
Im Frühjahr 2010 stolperte der frühere Marinegeneral James L. Jones über einen als antisemitisch eingestuften „Juden-Witz“. Jones (geb. 1943) hatte 2007 nach über vierzig Jahren seine aktive Militärkarriere beendet und war noch unter der Bush-Regierung in den Beraterstab des Weißen Hauses aufgestiegen. Präsident Barack Obama hatte den sehr erfahrenen und parteiübergreifend sehr geschätzten General bei seinem Amtsantritt zum Nationalen Sicherheitsberater ernannt. Als Jones beim Washington Institute for Near East Policy vor laufenden Kameras einen Witz erzählte, gab es Proteste (beileibe nicht nur) jüdischer Verbände in den USA, die schließlich seinen Rücktritt erzwangen. Hier die Übersetzung seines Witzes:
„Ein Taliban-Kämpfer in Afghanistan verirrt sich und sucht in der Wüste nach Wasser. Schließlich gelangt er zu einem Laden, der von einem Juden betrieben wird und fragt nach Wasser.
Der jüdische Verkäufer sagt ihm, dass er zwar leider kein Wasser habe, aber dass gerade Krawatten günstig im Angebot seien. Der Taliban ist darüber sehr verärgert und beschimpft den Kaufmann als Juden nach bestem Können. Der Ladenbesitzer bleibt davon unbeeindruckt und sagt dem Taliban, als dieser sich wieder halbwegs beruhigt hat, dass hinter dem Abhang ein Restaurant sei und dass er dort versuchen könne, Wasser zu bekommen.
Immer noch auf den Juden fluchend, macht sich der Islamist auf den Weg. Einige Zeit später kommt er wieder zurück, betritt abermals den Laden und sagt dem Händler: „Dein Bruder sagt, dass ich im Restaurant nur mit Krawatte bedient werde.“
Gemäß Abraham Foxman (geb. 1940) dem Vorsitzenden der Anti-Defamation League (ADL) sei dies „the worst kind of joke