Der jüdische Friedhof bei Binswangen / The Jewish Cemetery at Binswangen - Yehuda Shenef - E-Book

Der jüdische Friedhof bei Binswangen / The Jewish Cemetery at Binswangen E-Book

Yehuda Shenef

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Beschreibung

Der jüdische Friedhof in Binswangen bei Wertingen wurde 1663 errichtet, danach mehrfach erweitert und mit einer Mauer umgeben. In der Nazi-Zeit wurden Friedhof und die Mauer fast vollständig abgeräumt. Die wenigen erhaltenen Steine gelangten erst nach jahrelangen Prozessen aus den Händen des lokalen Steinmetzes zurück an den Friedhof, wo sie meist ohne Zusammenhang neu aufgestellt wurden. Das zweisprachige Buch gibt die hebräischen Inschriften aller Grabsteine mit Übersetzungen und Fotos wieder und vermittelt anhand von Familiengeschichten und Zeitdokumenten, Einblicke von der mittelalterlichen Geschichte der Juden von Wertingen bis zum Ende der Binswanger Gemeinde, deren Nachkommen überall in der Welt ein Zuhause gefunden haben. The JEWISH CEMETERY of BINSWANGEN was established in 1663 and was several times enlarged. After the Nazis had destroyed the entire compound as well as the stone wall, it took yearlong court proceedings to prompt the local stone mason to give back the stolen tomb stones, which than were replaced at the reduced graveyard, however rather randomly. The bilingual (German-English) book has all Hebrew inscriptions along with translations and photos. From the widely unknown medieval history of Jews in neighboring Wertingen as well as family history, house registers and maps until the end of the Jewish community of Binswangen with offspring all over the world. German Jewish History in Bavarian Swabia

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Inhalt

Geleitwort

Jüdische Ortsgeschichte von Wertingen und Binswangen

Jüdische Häuser 1842 /

Jewish Houses

in 1842

Zur Geschichte des Friedhofs

Dokumentation (Fotos, Inschriften /

Inscriptions, Photos

)

Familiengeschichte(n) /

Family History

(Weil, Baldauf, Bach, Feigenbaum, Wolf, Binswanger)

Postface

English section

On local Jewish History

Binswangen Cemetery Description

Picture Credits

/ Bildnachweis

Sources,

Literatur(

e

) / Quellen

Zum Geleit

Der jüdische Friedhof von Binswangen geht auf das Jahr 1663 zurück und befindet sich am „Judenberg“, halbwegs zwischen Binswangen und Wertingen in der Nähe zahlreicher Sport- und Freizeitanlagen.

Seit seiner Einrichtung war der jüdische Friedhof öfter durch einige seiner christlichen Nachbarn bedroht worden. Nach der sehr gründlichen Zerstörung durch die Nazis gibt sein heutiger Zustand nur noch einen Bruchteil seiner früheren Größe und Bedeutung wieder.

Basierend auf der bereits 2011 auf der Webseite der Alemannia Judaica veröffentlichten, nur englischen Dokumentation „Binswangen Cemetery Grave Marker Register“, das den heutigen Zustand beschreibt, will dieses zweisprachige, deutsch-englische Werk den damaligen Kenntnisstand mit orts- und familiengeschichtlichen Materialien vertiefen.

Mein Dank gilt dem vorzüglichen schwäbischen Genealogen und Heimatforscher Rolf Hofmann aus Stuttgart, der bereits 2011 den Anstoß zur Bestandsaufnahme des Friedhofs gab, die Auslangen reduzieren half und nun wertvolle Beiträge zur Familiengeschichte beisteuerte.

Hilfreich war auch das Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde Augsburg Schwaben unter der Leitung des ehrenwerten Vladimir Shaychit.

Von den mehr als zwei Dutzend jüdischen Gemeinden im Bezirk von Bayerisch Schwaben im späten 19. Jahrhundert ist die Augsburger Gemeinde die einzige gewesen, die das Nazi-Regime überdauert hat, was dazu führte, dass das Archiv eine Reihe bürokratischer Überreste des gesamten Bezirks ererbt hat. Bis vor einigen Jahren waren die wahllosen Dokumente nur unsystematisch und per Zufall zu anzutreffen.

Schließlich gilt mein Dank auch den engagierten Mitgliedern des Jüdisch Historischen Vereins Augsburg (JHVA), ohne deren vielfältige Mitarbeit in verschiedenen Bereichen das Werk praktisch kaum möglich gewesen wäre:

Elena Asnis, Margit Hummel, Yakiv Samoylovych und Chana Tausendfels, die bei Vermessungen am Friedhof halfen, Fotografien beisteuerten oder bei Recherchen behilflich waren.

Wie bereits in der Dokumentation von 2011 gesagt, stammen – insofern nicht anderweitig angegeben – alle Abbildungen, Texte. Register, Umschriften, Übersetzungen von mir ebenso wie die unentdeckten, offenbar kaum vermeidbaren und ggf. unentdeckt geblieben Tipp- und Lesefehler.

Die deutschen und englischen Texte konnten nicht immer sinnvoll voneinander getrennt werden, ohne den Umfang des Buches unnötig aufzublähen. Das Inhaltsverzeichnis und die Technik des Durchblätterns wird aber schnell Abhilfe und Orientierung schaffen. Ebenso sind die hebräischen Inschriften regelmäßig ins Englische übersetzt, da es eher erwartbar ist, dass deutsche Leser einfaches Englisch verstehen, als englisch-sprachige einfaches Deutsch, nicht zuletzt auch weil einige der Grabsteininschriften teilweise ohnehin bereits deutsche Zusätze haben.

Augsburg, an Purim 5766 (März 2016)

Binswangen surroundings in the Bavarian district of Swabia, places with considerable Jewish communities between river Danube and river Lech.

Die Karte von Johann Lambert Kollefel von 1750 zeigt die Synagoge und Judengasse am Ostrand der Ortschaft, heute in etwa in der Ortsmitte, der damals über 2 km von der Judengasse entfernt, außerhalb des Ortes „im Wald“ gelegene Friedhof, lediglich die Zollstation „H“ auf Wertingen. Auch die Ortspläne von Anton Rieder aus dem Jahr 1814 (Binswangen) oder der im Jahr 1813 entstandenen Plan von Johann Heinrich Vorbrugg (Wertingen) zeigen den Friedhof nicht.

Historical depiction of Binswangen by Austrian cartographer Kollefel from 1750. The Jews lived at the East of the village. The letter “I” marks the synagogue in the East, which already was at the same spot as the new still existing (now former) synagogue building was established at Judengasse, today however somewhere in the center of Binswangen. The cemetery is not mentioned, but the customs station “H”, where the Jews had to pay a fee each time when they had to transport a corps from the village to the nearby cemetery, was set up on land that was property of the lords of Wertingen.

Zur jüdischen Ortsgeschichte von Wertingen und Binswangen

Auch wer von der überregional eher wenig bekannten jüdischen Geschichte in Binswangen und Buttenwiesen gehört hat oder vor Ort gewesen ist, bringt in der Regel das dazwischen gelegene Wertingen nicht mit Juden in Verbindung. Anlass dazu gäbe es freilich, zeugen doch mittelalterliche Urkunden in größerer Zahl von Juden aus Wertingen.

Wertingen ist eine kleine Stadt in bayerisch-schwäbischen Landkreis Dillingen, etwa zwischen dem Dreieck Augsburg, Donauwörth und Dillingen gelegen. Nach einem guten Dutzend Eingemeindungen in den 1970er Jahren umfasst der Ort heute etwas weniger als 9000 Einwohner.

Der älteste erhaltene urkundliche Nachweis des Ortes ist ein auf das Jahr 1122 datiertes Dokument, dem Geburtsjahr Kaiser Friedrich Barbarossa, der die kleine Siedlung später (wohl um 1162) auch erwarb. Rund hundert Jahre später, 1268 wird Wertingen nach der Enthauptung des letzten schwäbischen Herzog in Neapel mit Hohenreichen bayerisch, wird aber aus Geldnot immer wieder mal als Lehen vergeben. 1348 erwirbt Johann Langenmantel (1310-1367), dem auch der benachbarte Ort Binswangen gehörte, und der wegen seiner Akquisition hernach auch „von Wertingen“ genannt wird, für 4450 Gulden das kleine Burgschloss mitsamt der Siedlung. Weitere hundert Jahre nach seinem Tod veräußern die Nachkommen der Langenmantel ihren inzwischen stark ausgebauten Besitz an die Herren von Pappenheim, da sie zu viele Erben haben und eine Aufteilung nur noch mittels Geld machbar erscheint. Die Pappenheimer erweiterten den Bau nochmals. Von ihnen stammt auch der Schlossanbau um1500. Bis etwa 1700 bleiben die Pappenheimer Besitzer des Lehens Wertingen, ehe es für einige Jahre bis 1714 an das böhmische Grafenhaus Lobkowitz gelangte, denen schließlich bis 1768 das Haus Grünberg folgte. Hernach wurde Wertingen nicht mehr als Lehen vergeben sondern einem Pfleggericht unterstellt.

Im Jahr 1805 siegte die sechste französische Armee bei Wertingen über österreichische Truppen der Division Auffenberg, was als Auftakt zur „Schlacht von Ulm“ verstanden wird und den Sieg der Franzosen einläutete. Demzufolge ist der Name „Wertingen“ auch am Arc de Triomphe in Paris aufgeführt, worauf man heute auch ein wenig stolz ist. Rund hundert Jahre später, 1905 wurde die inzwischen wieder stillgelegte Bahnlinie Wertingen – Mertingen errichtet und 1912 erhielt Wertingen Stromanschluss, was sich in diesem Jahr zum hundertsten Mal jährt.

In der Nazizeit trumpfte das kleine Wertingen groß auf. Bei der letzten Reichstagswahl am 5. März 1933 votierten weit überdurchschnittliche 59 % der Wähler des Landkreises Wertingen für die NSDAP, die im Gesamtergebnis nur 43 % erhielt. 32 % stimmten für die Bayerische Volkspartei (BVP), weitere 3 % für die Deutsche Bauernpartei (DBP) und ganze 1.8 % für die SPD. DNVP und KPD erreichten ca. 1 %. Ein Widerstandnest gegen die Nazis war Wertingen ganz offensichtlich nicht. Dafür wurde es in der Nähe des Judenbergs zwischen Binswangen und Wertingen mit dem Bau zahlreicher Sport- und Freizeitanlagen für die Hitler-Jugend belohnt, die ihre trotzdem überschüssigen Kräfte und Übermut unter fachlicher Anleitung in der fast vollständigen Demolierung des alten jüdischen Friedhofs von Binswangen austobte.

Der kürzeste Weg zwischen Binswangen und Buttenwiesen, zwei Dörfer mit einst sehr hoher jüdischer Bevölkerung, führte durch Wertingen. Entsprechend „präsent“ im Sinne von benachbart oder umgeben scheint Jüdisches auch in Wertingen zu sein. Wenn man etwa davon liest, dass sich der Nachwuchs einer Wertinger Partei oder eine Schulklasse mit der „jüdischen Geschichte“ vor Ort befasst, so ist schnell von einem Besuch der ehemaligen Synagoge in Binswangen, des jüdischen Friedhofs dort oder in Buttenwiesen die Rede. Dass Wertingen aber noch vor seinen beiden Nachbarn selbst eine sehr alte jüdische Geschichte hat, scheint mit der Zeit fast vollständig vergessen oder verdrängt worden zu sein.

In seiner 1803 in Landshut erschienenen „Geschichte und Statistik der bayerischen Herrschaft Wertingen“ die dem Untertitel gemäß „ein Beitrag zum bayerischen Staatsrecht“ sein sollte, beschreibt der damalige Rechtslizentiat Joseph Mindler seinen Heimatort. Dessen Einwohnerschaft taxierte er just zur Napoleonischen Zeit, zusammen mit den drei unteren Vordörfern der üblichen Schätzung nach (nämlich „von fünf Personen pro Haus“) auf 1300 Einwohner, was bedeutet, dass er 260 Häuser zählte. In seiner Ortsbeschreibung erwähnt er fünf Brauer, die braunes und weißes Bier sieden, vier Metzger, fünf Bäcker, sieben Krämer, zwei Mahlmühlen, die Schleifmühle und eine Holzsäge. Noch zwei der drei Tortürme (die heute alle fehlen) waren damals noch bewohnt. Zur Zeit des Fürsten Lobkowitz hatte dieser am Ort auch das herrschaftliche Brauhaus im Besitz und den Zapfenwirt und das Hirschwirtshaus betreiben lassen. Es ist sicher nicht aus der Luft gegriffen, dabei an das ebenso würzige wie süffige „urböhmische Schwarzbier“ der heutigen tschechischen Brauerei Baron Lobkowitz zu denken, das weit über seine Herkunft hinaus Anerkennung findet.

Mindler, dessen gleichnamiger 1808 geborener Sohn meldete sich 1833 als Jurastudent in München freiwillig zum Militärdienst und gelangte so in das Schutzkorps des griechischen Königs, dem damals gerade 17jährigen Sohn des bayerischen Königs. Er wurde rasch zum Leutnant der griechischen Armee befördert, wechselte hernach aber in den Staatsdienst, wo er zuletzt Kanzleidirektor im griechischen Kriegsministerium war. 1843 musste er im Zuge von politischen Unruhen gegen die Allmacht des bayrischgriechischen Königs das Land verlassen, kam aber später zurück und entwickelte schließlich eine neugriechische Variante der Stenographie. Er erlangte eine entsprechende Professur in Athen und nach dem Tod seines Königs im Jahre 1862 wurde Joseph Mindler (Iωσήφ Mίνδλ∊ρ) Leiter des stenographischen Büros im griechischen Parlament. Dort befindet sich heute noch eine Büste zu seiner Würdigung. In Zeiten mancher Verwerfungen zwischen Griechen und Deutschen ist es durchaus interessant gemeinsame Elemente der Geschichte zu beachten, wie sie der in Wertingen geborene und in Athen 1868 verstorbene Mindler verkörpern.

Sein Vater hatte in der Ortsgeschichte von Wertingen des Jahres 1803 auch Juden erwähnt:

„Es gibt im Verhältnisse von Wertingen sehr viele Handelsleute darin; zwei Drittel des Handels haben die benachbarten Juden in den Händen: diese dürfen öffentlich in Wertingen verkaufen, und kaufen, was sie wollen; sie handeln mit allen erdenklichen Sachen, selbst mit den Bürgern ungescheut, und wissen sich gut den Geist und Geschmack ihrer Nachbarn zu Nutzen zu machen; indessen jedem andern Christenmenschen das sogenannte Hausieren bei Konfiskation verboten ist.“ (S. →)

Aus dem Jahre 1597 stammte ein Dekret, dass Juden den Handel in Wertingen verbieten sollte, aber wie so oft war Papier geduldig und Anordnungen dieser Art weltfremd. Die benachbarten Juden stammen – nach Mindlers Einschätzung eine halbe Stunde Fußweg entfernt – aus Binswangen im Westen, aber auch aus dem nördlich gelegenen Buttenwiesen. Der Notiz nach stand ihnen Wertingen, wo sie zwei Drittel der Geschäfte abwickeln, unbeschränkt offen. Es ist denkbar, dass von den sieben oben genannten Krämergeschäften auch einige in jüdischem Besitz oder so doch wenigstens angemietet waren. Wie auch immer gelang es den jüdischen Händlern offensichtlich, die Wünsche ihrer christlichen Kunden in Wertingen zu befriedigen.

Wertinger Schloss / Wertingen Castle

Memorial for Germans expelled from the East after World War 2

Noch weiter zurück reichen Belege aus Augsburger Steuerbüchern die zwischen 1377 und 1426 nicht weniger als neun jüdische Steuerzahler als aus Wertingen stammend aufführen:

Isaak, Seligman und der junge Seligman aus Wertingen, die Frau des Isak Groß, Falk, Mossun, Jaklin und Jöhlin, sowie Frau Isak und Lazarus aus Wertingen.

Als Steuerzahler notiert wurden freilich nur jene Juden, die in Augsburg entweder Hausbesitzer oder Geschäftsinhaber waren. In der Regel kamen auf jeden von ihnen je nach dem etwa sieben bis zehn zusätzliche Angehörige, wie die Ehefrau, die Kinder, Schwager, Enkel, Bedienstete. Die Anzahl der Juden die in der genannten Zeit alleine von Wertingen nach Augsburg kam, machte insgesamt dann doch eine beträchtliche Gruppe aus.

Wie wir wissen, wurde Wertingen 1348 von Johann Langenmantel erworben und ausgebaut. Im selben Jahr wurde gemäß der Notiz im Nürnberger Memorbuch auch die – freilich nicht näher erläuterte – jüdische Gemeinde von Wertingen von den antijüdischen Ausschreitungen im Zuge der „Pest-Hysterie“ jener Zeit erfasst. In den bei weitem meisten Fällen sind die Erwähnungen von jüdischen Gemeinden, die wegen angeblicher Brunnenvergiftung und dergleichen Opfer christlicher Hassprediger wurden, bloße solche, ohne konkrete Nennung von Namen oder sonstigen Daten und deshalb durchaus mit eher legendären Charakter. Andererseits wäre die Notiz doch ein Hinweis auf eine zumindest in weit früherer Zeit bereits vermutete Gemeinde in Wertingen vor 1348.

Es ist gut möglich, dass der Augsburger Geschäftsmann, dessen Familie mit Weinhandel und Geldgeschäften zu den finanzkräftigen Patriziern ihrer Zeit gehörten, wegen entsprechender Ab- und Aussichten auch Juden von Augsburg abwarben, die in späteren Jahrzehnten dann wieder als Juden von Wertingen nach Augsburg zurückkamen. In weit stärkerem Maße als im eher klischeehaften Geldgeschäft, waren Juden im mittelalterlichen Weinhandel in Europa involviert. Dieser war zwar kein jüdisches Monopol, so aber doch eine große Domäne.

Die zahlreiche Anwesenheit Wertinger Juden in Augsburg binnen fünf Jahrzehnten ist zweifellos sehr auffällig und hat zweifellos mit der alles in allem recht guten Beziehung der Juden und der Langenmantel zu tun. Als letztere 1468 Wertingen aufgeben, existiert die jüdische Gemeinde in Augsburg bereits nicht mehr. Ihre letzten Spuren sind zwei Grabsteine die auf das Jahr 1455 datiert sind. Wenig später sind erste Nachrichten von Juden in Binswangen erhalten. Ab Ende des 15. Jahrhunderts sind rasch anwachsende jüdische Gemeinden in Buttenwiesen und Binswangen bezeugt und das Verbot aus dem Jahr 1597 für Juden in Wertingen zu handeln macht ja auch nur Sinn wenn es vorher möglich war. Inzwischen sind durch zahlreiche sog. „Geleitzettel“ auch belegt, dass in der Folgezeit wieder zahlreiche Juden u. a. als Händler von Binswangen nach Augsburg kamen. Aber auch wenn einige von ihnen in Pfersee, Kriegshaber und Steppach wohnten, können wir wenigstens spätestens von 1348 bis in die frühe Neuzeit von einer sechshundertjährigen kontinuierlichen jüdischen Gegenwart in Wertingen und Binswangen ausgehen.

Sog. „Geleitzettel“ (Passierschein) des Wolfgang Jud von Binswangen, Ende 16. Jhd. Augsburg (Ann Tlusty, Uni Augsburg)

Erst 1942 wurden einige Dutzend Juden aus Binswangen und Buttenwiesen mit der Lokalbahn von Wertingen aus auf dem Weg gebracht, der sie ins KZ Piaski bei Lublin ins besetzte Polen brachte. Dies ist nach sechshundert Jahren der vorläufige Schlusspunkt der jüdischen Geschichte in Wertingen und seinen Nachbarorten.

Heute siebzig Jahre danach ist zwar überall von „Normalität“ die Rede, jedoch scheint diese nicht den Gedanken einer neuerlichen jüdischen Gemeinde in einem dieser Orte zu beinhalten. Man gibt sich mit auf Staatskosten hergerichteten ehemaligen Synagogen zufrieden, mit Adventskonzerten und ab und zu auch mal eine Gruppe Deutscher die jüdische Hochzeitsmusik aus dem Balkan des vorletzten Jahrhunderts imitieren.

Ehemalige Synagoge Binswangen / former synagogue

Memory at Fountain in Binswangen -

Memorial Plate for Jewish Soldiers from Binswangen in World War 1 at Binswangen Synagogue / Gedenktafel für die jüdischen Soldaten Binswangen in der Binswanger Synagoge.

Binswangen

Die Geschichte der Juden in Binswangen wird allgemein vergleichsweise lapidar und klischeehaft erzählt. Ohne das direkt benachbarte Wertingen in Betracht zu ziehen, begnügt man sich mit der Annahme, dass die jüdische Gemeinde in Binswangen „in der Zeit des 16. Jahrhunderts“ entstanden sei. Als erster urkundlich fassbares Exemplare gelten im Jahr 1525 zwei Juden namens Schmuel (Samuel) und Mair. Jahrzehnte später, im Jahr 1609, notiert man 27 jüdische Steuerzahler. 1811 werden 327 Juden in Binswangen gezählt, die meist im Ostteil des Dorfes wohnen. Da man (wahrscheinlich grundlos) auch hier von 5-Personen-Haushalten ausgeht, schätzt man rund 70 solcher Haushalte. Sehr wahrscheinlich war Binswangen – auch im Kontrast zum benachbarten Wertingen überwiegend von Juden bewohnt. Dafür spricht auch das 1806 erwähnte Bezirksrabbinat mit Sitz in Binswangen, dessen bekanntester Vertreter Isaak Hirsch Gunzenhauser war. Noch zur Mitte des 19. Jahrhundert, als längst eine starke Abwanderung von ländlichen Juden in größere Städte und nach Übersee eingesetzt hatte, war fast die Hälfte des Dorfes jüdisch. Auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten noch hundert Juden vor Ort, zu einer Zeit als die meisten Landgemeinden der Region bereits nicht mehr existierten oder in Auflösung begriffen waren.

1933 lebten noch 36 jüdische Personen am Ort und obwohl viele die Chance ergriffen Deutschland zu verlassen, war die Binswanger Synagoge im November 1938 noch in Betrieb, als sie wie viele andere im Lande überfallen, geschändet und verwüstet wurde.

Von den in Binswangen geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen (Angaben nach den Listen von Yad Vashem, Jerusalem und den Angaben des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945"), wiedergegeben auf der Binswangen-Seite der Alemannia Judaica:

Herrmann Apfel (1854), Josef Bauer (1863), Max Bauer (1909), Hermann Feigenbaum (1898), Sabine Feuchtwanger, geb. Feigenbaum (1864), Therese Friedberger, geb. Landauer (1864), Julie Gallinger (1864), Marie Gallinger (1871), Mina Gradmann, geb. Wassermann (1873), Jeanette (Jenny) Harburger geb. Leiter (1872), Irma Hellmann geb. Luchs (1896), Charlotte (Gitel) Kahn, geb. Strauss (1887), Ida Krailsheimer, geb. Feigenbaum (1864), Ludwig Leiter (1878), Kathinka Liebstädter, geb. Wolf (1876), Rosa Lindauer, geb. Kahn (1866), Eugen Luchs (1898), Elsa Maas, geb. Müller (1890), Dina Marx geb. Strauss (1900), Karolina Mayer, geb. Morgenthau (1872), Arnold Müller (1906), Karolina (Lina) Müller (1862), Klara Müller (1894), Caroline Neuburger (1873), Fanny Neuburger (1871), Mina Neuburger (1881), Lina Schönstadt, geb. Strauss (1879), Emilie Schwarz (1884), Hedwig Schwarz (1879), Klara Schwarz (1877), Rudolf Schwarz (1887), Erna Stern, geb. Strauss (1893), Friedrich Strauss (1891), Max Strauss (1925), Salomon Wetzler (1874; Sohn des damaligen Lehrers Mose Wetzler); Siegfried Wetzler (1880, gleichfalls Sohn des Lehrers Wetzler), Hermann Wolf (1872), Hilda Würzburger geb. Dreifuss (1903).

Das älteste Dokument für eine Synagoge in Binswangen datiert auf das Jahr 1609. Drei Jahre später wird der Bau Opfer einer Brandstiftung. Der Neubau wird 1837 durch einen modernen, mit orientalisierenden Elementen ersetzt.

1937 berichtete die bayerische Israeltische Gemeindezeitung vom hundertsten Jahrestag der Einweihung:

"Binswangen. Eine erhebende Gedenkfeier beging die hiesige israelitische Gemeinde am 15. Elul dieses Jahres (= Sonntag, 22. August 1937). An diesem Tage waren es 100 Jahre, da unser Gotteshaus von dem damaligen Rabbiner der Gemeinde, Isak Hirsch Gunzenhauser, eingeweiht wurde. Der Ernst der Gegenwart gestattete nur eine religiöse Feier, welche am Sonntag, den 22. August, unter Teilnahme der hiesigen sowie der Nachbargemeinde Buttenwiesen stattfand. Den Mittelpunkt der Feier bildeten die Reden des Herrn Bezirksrabbiners Dr. Jacob (Augsburg) und des Herrn Lehrers M. Neuburger. Beide Redner schilderten das Gotteshaus als den Mittelpunkt des religiösen Lebens und knüpften daran die Mahnung, das heilige Gut trotz aller Zeitenstürme den Nachkommen zu erhalten. Herr Lehrer Neuburger gab die Eindrücke, welcher er in frühester Jugend hier empfing, wieder, er sprach über die Geschichte der Gemeinde, insbesondere den Lebenslauf des seligen letzten Rabbiners I. H. Gunzenhauser. - Umrahmt waren die Ansprachen von den Gesängen des Kultusvorstandes und ehrenamtlichen Vorbeters Herrn Gradmann und von Psalmen-Vorträgen. Nach der Feier im Gotteshause begab sich die Gemeinde auf den Friedhof, um den Danke jener Generation darzubringen, welche in ihrem tiefen religiösen Sinn mit größter Opferfreudigkeit das heilige Werk, die Errichtung dies schonen Gottestempels, vollbrachte. Möge dasselbe noch lange Zeit seinem heiligen Zwecke dienen!"

Die Hoffnung war vergeblich. Um 1940 wurden die letzten Juden des Ortes deportiert. Das ramponierte Gebäude wurde als Kohlenlager zweckentfremdet, auch noch Jahrzehnte nach dem Ende des Nazi-Wahns. Erst in den 1990er Jahren besann man sich, das Haus zu sanieren und in seiner äußeren Form zu restaurieren.

Nach über 3-jährigen Renovierungs- und Restaurierungsarbeiten, deren Kosten in Höhe von ca. 3 Mio. DM (etwa 1,5 Mio. €) sich der Bund, der Freistaat Bayern, der Bezirk Schwaben, der Landkreis Dillingen, die Stadt Wertingen, die Gemeinde Binswangen und der Förderkreis Synagoge Binswangen e.V. teilten, wurde die "Alte Synagoge Binswangen" am 20. Oktober 1996 als „Begegnungsstätte“ eröffnet. (gemäß Angaben bei Alemannia Judaica)