Ich bin nicht schuldig - Patricia Vandenberg - E-Book

Ich bin nicht schuldig E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Nun gibt es eine Sonderausgabe – Dr. Norden Aktuell Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Auf sie kann er sich immer verlassen, wenn es darum geht zu helfen. Der Kranke wälzte sich im Bett hin und her. »Wahnsinn«, murmelte er, »ich schaffe es nicht, nein!« Er schrie gellend auf, und das war nicht das erste Mal, während er in der Behnisch-Klinik lag. »Armer Kerl«, sagte Dr. Dieter Behnisch zu seiner Frau Jenny. »Ob er jemals darüber hinwegkommt?« »Wenn er es erfährt, daß die anderen nicht überlebt haben, kann es noch schlimmer werden«, sagte Jenny deprimiert. Drei Wochen lag der Pilot Felix Falk schon in dieser Klinik, und es war ein Wunder, daß er mit dem Leben davongekommen war, als einziger von den fünf Insassen der Privatmaschine, die er von Zürich nach München bringen sollte. Alles war normal verlaufen, während dieses Fluges, aber als er zur Landung ansetzte, wurde das Flugzeug von einer Sportmaschine, die gerade erst gestartet war, gerammt. Der junge Pilot dieser Maschine, der noch wenig Flugerfahrung hatte, hatte dieses schreckliche Unglück verursacht, das auch er nicht überlebte. Felix Falk hatte noch eine Notlandung versucht, und die Maschine auch zu Boden gebracht. Helfer waren auch schnell zur Seite gewesen. Zwei Insassen waren jedoch sofort tot, die beiden anderen, wie er selbst, schwerverletzt. Aber er allein hatte dann überlebt. Die beiden Männer einer großen Schweizer Firma wurden von ihren Hinterbliebenen betrauert, das junge Ehepaar, Hilde und Alfred Greif, das in München eine Filiale übernehmen sollte, hinterließ nur einen kleinen vierjährigen Sohn, der in ein Waisenhaus gebracht wurde und nicht begreifen konnte, daß seine Eltern nie mehr wiederkommen würden. Ausführlich war in vielen Zeitungen von dem Unglück berichtet worden, aber an den kleinen Dominik dachte bald niemand mehr. Für seinen Unterhalt war durch die Versicherung gesorgt, daß ein Kind nach seinen Eltern weinte, war bald vergessen.

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Dr. Norden Aktuell – 26 –

Ich bin nicht schuldig

Patricia Vandenberg

Der Kranke wälzte sich im Bett hin und her. »Wahnsinn«, murmelte er, »ich schaffe es nicht, nein!«

Er schrie gellend auf, und das war nicht das erste Mal, während er in der Behnisch-Klinik lag.

»Armer Kerl«, sagte Dr. Dieter Behnisch zu seiner Frau Jenny. »Ob er jemals darüber hinwegkommt?«

»Wenn er es erfährt, daß die anderen nicht überlebt haben, kann es noch schlimmer werden«, sagte Jenny deprimiert.

Drei Wochen lag der Pilot Felix Falk schon in dieser Klinik, und es war ein Wunder, daß er mit dem Leben davongekommen war, als einziger von den fünf Insassen der Privatmaschine, die er von Zürich nach München bringen sollte.

Alles war normal verlaufen, während dieses Fluges, aber als er zur Landung ansetzte, wurde das Flugzeug von einer Sportmaschine, die gerade erst gestartet war, gerammt. Der junge Pilot dieser Maschine, der noch wenig Flugerfahrung hatte, hatte dieses schreckliche Unglück verursacht, das auch er nicht überlebte.

Felix Falk hatte noch eine Notlandung versucht, und die Maschine auch zu Boden gebracht. Helfer waren auch schnell zur Seite gewesen. Zwei Insassen waren jedoch sofort tot, die beiden anderen, wie er selbst, schwerverletzt. Aber er allein hatte dann überlebt.

Die beiden Männer einer großen Schweizer Firma wurden von ihren Hinterbliebenen betrauert, das junge Ehepaar, Hilde und Alfred Greif, das in München eine Filiale übernehmen sollte, hinterließ nur einen kleinen vierjährigen Sohn, der in ein Waisenhaus gebracht wurde und nicht begreifen konnte, daß seine Eltern nie mehr wiederkommen würden.

Ausführlich war in vielen Zeitungen von dem Unglück berichtet worden, aber an den kleinen Dominik dachte bald niemand mehr. Für seinen Unterhalt war durch die Versicherung gesorgt, daß ein Kind nach seinen Eltern weinte, war bald vergessen.

Felix Falk hätte den kleinen Dominik nicht vergessen, aber er wußte noch immer nicht, daß Hilde und Alfred Greif, die er gut gekannt hatte, nicht mehr lebten. Und Dr. Behnisch hatte Angst vor der Stunde, in der er ihm die Nachricht sagen mußte.

*

Nicht weit entfernt von der Behnisch-Klinik lebte der Bankier Victor Sölting mit seiner Frau Manuela in einer feudalen Villa. Seit vierzehn Jahren waren sie verheiratet, doch die Ehe war kinderlos geblieben, und darüber war Manuela sehr unglücklich.

Dr. Daniel Norden, ein Freund von Dr. Behnisch, zählte Manuela zu seinen Patienten, seit sie sich in der Behnisch-Klinik einer Schilddrüsenoperation unterziehen mußte. Danach litt sie an noch stärkeren Depressionen, da ihr Mann so taktlos war, ständig die Narbe zu bemängeln.

Manuela war ein bildschönes Mädchen von neunzehn Jahren gewesen, als Victor Sölting sie geheiratet hatte, und dazu hatte sie noch ein Vermögen in die Ehe gebracht, das ihm gestattete, seine hochfliegenden Pläne zu verwirklichen.

Victor Sölting war ein attraktiver Mann, der seinen penetranten Egoismus unter lächelnder Maske zu verbergen verstand. Die Frauen flogen auf ihn, und treu war er eigentlich nie gewesen.

Manuela hatte erst nach ihrer Operation begriffen, daß es nicht nur Gerüchte waren, die an ihre Ohren drangen. Sie hatte es einfach nicht für möglich gehalten, daß ein Mann, ihr Mann, so skrupellos lügen und betrügen konnte.

Von ihm hatte sie nur Hohngelächter geerntet, als sie ihm Vorhaltungen machte, und sie hatte sich von ihm sagen lassen müssen, daß sie nicht einmal fähig sei, Kinder in die Welt zu setzen.

Nach außen hin konnte sie sich beherrschen. Eigentlich wußte nur Dr. Norden, wie es wirklich um ihr Seelenleben stand.

Er hatte tiefes Mitgefühl mit dieser sensiblen und so grundanständigen Frau. Als er an diesem Tag so dringend zu ihr gerufen wurde, betrat er das komfortable Haus mit sehr gemischten Gefühlen.

Manuelas Freundin, Liane Härtling, hatte ihn angerufen. Sie war eine robuste Frau, sehr sportlich und unsentimental, hatte als Leichtathletin einige Rekorde erzielt und dann den Sportartikelfabrikanten Hermann Härtling geheiratet, den sie Männe nannte, und der sich als Hobbyschreiner immer wieder kleine Verletzungen zuzog, die Dr. Norden dann kurieren mußte.

Dr. Norden mochte diesen Männe Härtling, und er mochte auch seine Frau.

»Nela ist zusammengeklappt, und daran bin ich schuld«, eröffnete ihm Liane, die nur schlicht Li genannt wurde. »Ich erkläre es Ihnen später. Schauen Sie erst mal nach ihr.«

Manuela lag bleich und starr auf ihrem Bett. Blicklos waren ihre Augen auf Dr. Norden gerichtet, und dann schüttelte sie nur immer wieder den Kopf.

»Es darf nicht wahr sein, es darf nicht wahr sein«, flüsterte sie, als er nach ihrer Hand griff. »Ich möchte schlafen, schlafen, und nie mehr aufwachen.«

Er war erschüttert, aber er wußte auch, daß er sie nicht zum Sprechen bringen würde. Ihr Puls war schwach, ihr Blutdruck zu niedrig. Es war besser, wenn sie jetzt schlafen würde, jedoch nicht für immer. Dr. Norden wollte von Liane Härtling hören, was geschehen war.

»Sie brauchen einen Tapetenwechsel«, sagte er eindringlich, während er ihr die Injektion gab.

»Tapetenwechsel«, murmelte sie. »Fort von hier, weit fort.« Und dann schlief sie schon erschöpft ein.

*

Liane Härtling hielt sich nicht lange bei der Vorrede auf. »Ich hätte diesen Kerl ja schon längst vor die Tür gesetzt«, sagte sie grimmig. »Er legt es doch darauf an, Nela systematisch kaputtzumachen. Aber einer mußte ihr doch mal die Augen öffnen, Dr. Norden. Nela ist meine einzige Freundin. Sie ist so ein feines Mädchen. Ich kann nicht zusehen, wie sie vor die Hunde geht. Ich habe ihr gesagt, was ihr Mann treibt.«

»Und was treibt er?« fragte Dr. Norden.

»An Sie kommt wohl kein Klatsch heran?« fragte Liane. »Aber es ist ja nicht nur Klatsch. Er hat schon ewig ein Verhältnis mit seiner früheren Sekretärin. Sie hat bereits einen sechsjährigen Sohn von ihm und kriegt jetzt noch ein Kind. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, nur Nela wohnt in ihrem Wolkenkuckucksheim und gibt sich selbst die Schuld am Dilemma ihrer Ehe, weil sie keine Kinder bekommen kann. Dabei ist Victor wahrhaftig zum Vater nicht geschaffen, und Susanne ist auch so eine dumme Person, die das nicht begreifen will.«

»Sie kennen diese Frau?« fragte Dr. Norden.

»Ja, sehr gut. Sie macht unsere Buchhaltung. Sie läßt sich nicht von ihm aushalten. Sie liebt diesen Kadetten. Die Wut könnte mich packen. Mir geht das einfach gegen den Strich. Am Ende bleiben beide auf der Strecke, Nela und Susanne, und dann mache ich mir vor Vorwürfe, daß ich den Mund nicht gehalten habe. Hätte ich ihn doch halten sollen, Herr Dr. Norden?«

»Von Ihrem und auch meinem Standpunkt haben Sie richtig gehandelt«, erwiderte er. »Was hilft es schon, in ungeklärten Verhältnissen zu leben. Können Sie sich heute um Frau Sölting kümmern?«

»Ja. Die Kinder sind bei meinen Schwiegereltern. Männe ist geschäftlich unterwegs. Victor übrigens auch. Hoffentlich nicht noch mit einer dritten Frau, von den Nebenbeiflirts abgesehen. Wenn mein Männe mir das bieten würde, wäre ich schon längst über alle Berge.« Sie machte eine kleine Pause. »Nela wäre es bestimmt nicht recht, daß ich so offen darüber spreche, aber ich kann doch nicht zuschauen, daß meine einzige Freundin vor die Hunde geht. Wir haben Nela viel zu verdanken. Victor hätte uns kein Geld geliehen damals. Wir sind in seinen Augen ja auch nicht gesellschaftsfähig. Aber dafür haben wir sowieso nichts übrig. Wir sind wenigstens ehrlich. Aber von uns habe ich genug geredet. Reden wir jetzt von Nela. Wäre es denn nicht möglich, daß Sie ihr zureden würden, mal auf die Insel der Hoffnung zu gehen? Man hört doch so viel davon, wie heilsam so eine Kur ist.«

»Es wäre vielleicht besser, wenn Sie ihr zureden würden, Frau Härtling. Ich mache nicht so gern Reklame für unser Sanatorium. Aber ich kann Ihnen versprechen, daß Frau Sölting dort bestimmt schnell Aufnahme findet, wenn sie sich dazu entschließen sollte.«

»Ich werde mein Bestes tun«, versprach Liane. »Ich bin so froh, daß wir Sie haben, Herr Dr. Norden. Die meisten Ärzte nehmen sich doch gar keine Zeit, einen anzuhören.«

»Sie rufen mich einfach an, wenn Frau Sölting wieder aufgewacht ist, und Sie mit ihr gesprochen haben. Dann werden wir weitersehen«, erwiderte Dr. Norden, der nun wieder in seine Praxis mußte, wo noch einige Patienten mit ihren kleinen und großen Leiden warteten.

Vielleicht hatte Liane Härtling nicht gerade die sanfteste Art, aber ehrliche Freundschaft mochte in manchen Fällen wohl besser helfen.

Dr. Norden war sich durchaus darüber klar, daß Manuela Sölting zu einem schwierigen Fall werden konnte, wenn diese Schocktherapie, die Liane intuitiv angewandt hatte, ihre Wirkung verfehlte.

Viele Leiden konnten durch Depressionen entstehen, selbst Krebs. Auch dazu bekannten sich jetzt einige Forscher, und diese Theorie hatte er selbst schon vertreten. Schwere Depressionen verminderten physische Abwehrkräfte. Die Ursache so mancher schwerer Leiden mußte im seelischen Bereich des Patienten gesucht werden. Hier heilend einzuwirken war wohl mit die wichtigste Therapie.

Als Dr. Norden an der Behnisch-Klinik vorbeifuhr, dachte er unwillkürlich an Felix Falk, über dessen Schicksal er durch Dieter Behnisch wußte.

Ihm ging auch durch den Sinn, daß da ein kleines Kind Waise geworden war. Hätte es Manuela Sölting nicht helfen können, wenn sie ein Kind adoptiert hätte?

So gut, so schön, gewiß, aber wenn Victor Sölting so war, wie Liane ihn drastisch geschildert hatte, wäre das doch keine gute Lösung gewesen. Immerhin aber war Sölting zumindest in finanzieller Hinsicht auf seine Frau angewiesen. Das wußte Dr. Norden von seinem Freund Dieter Behnisch, der Manuelas Eltern behandelt hatte, die beide in seiner Klinik im Abstand von zwei Jahren an unheilbaren Krankheiten gestorben waren.

*

Manuela schlief vier Stunden, und als sie erwachte, blickte sie verwirrt in Lianes Gesicht.

»Was war denn?« fragte sie verwirrt.

»Dir war nicht gut, Kleine«, erwiderte Liane liebevoll. »Und jetzt bleibst du hübsch liegen. Ich rufe gleich wieder Dr. Norden an.«

»Nein«, widersprach Manuela. »Ich erinnere mich. Du hast mir das von Victor erzählt. Oder habe ich es geträumt?«

»Meinetwegen hast du es geträumt«, sagte Liane.

»Li, ist es die Wahrheit?« fragte Manuela dumpf.

»Ja, es ist die Wahrheit. Herr im Himmel, liebst du ihn denn so sehr?«

»Nein, das ist es nicht, aber… versteh doch, unser guter Ruf steht auf dem Spiel.«

»Nela, sieh den Tatsachen ins Auge. Männer können sich immer noch mehr erlauben als Frauen. Ich habe Vic nie besonders gemocht, aber dafür stehst du mir um so näher, und du brauchst auf ihn wahrhaftig keine Rücksicht zu nehmen. Mach dich frei. Du bist doch eine gescheite Frau, hast soviel Talente und auch genügend Geld. Mich wurmt es, daß du leidest. Vielleicht fange ich es falsch an, aber ich bin und bleibe deine Freundin. Du hast uns geholfen, jetzt möchte ich dir helfen.«

»Es ist gut, daß du so offen bist«, sagte Manuela. »Bist du die ganze Zeit hier?«

»Jemand muß sich doch um dich kümmern«, erwiderte Liane.

»Danke, Li. Ich will mich den Tatsachen nicht verschließen. Du hast lange geschwiegen.«

»So lange weiß ich es auch noch nicht, aber ich befand mich in einer Zwickmühle. Leider bin ich nun mal für Klarheit.«

»Nicht leider sagen«, bat Manuela. »Mir ist jetzt wohler. Ich habe ja geahnt, daß es da noch eine Frau gibt. Unsere Ehe bestand doch seit Monaten nur noch auf dem Papier. Genau seit vierzehn Monaten, seit der Operation. Die Narbe hat mich verunstaltet.«

»Hat Victor dir das gesagt?« fragte Liane empört.

»Ja.«

»Ich könnte ihm an den Kragen springen«, ereiferte sich Liane. »Und du hast alles geschluckt.«

»Ich bin doch nur eine halbe Frau«, sagte Manuela leise. »Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn wir Kinder hätten.«

»Es ist gut, daß du nur vielleicht sagst. Wahrscheinlich würden dann jetzt noch mehr verschiedene Kinder unter der Unzulänglichkeit ihres Vaters leiden. Bleiben wir bei den Tatsachen, Nela. Das Verhältnis mit Susanne besteht seit Jahren. Sie ist immerhin so anständig, daß sie nicht auf Scheidung pochte, wollen wir davon absehen, daß Victor darauf eingegangen wäre. Ich weiß zwar nicht, was an ihm Liebenswertes sein könnte, aber sie liebt ihn, und du hast ihn auch geliebt.«

»Es ist lange her«, sagte Manuela leise.

Erstaunt sah Liane die Freundin an. »Lange?« fragte sie. »Wie lange?«

»Ich weiß es nicht mehr, wann ich plötzlich nichts mehr fühlte. Vielleicht kann ich gar nichts mehr fühlen. Ich weiß jetzt jedenfalls, was ich tun werde.«

»Und was ist das?«

»Ich werde die Scheidung einreichen.«

»Du solltest ein paar Wochen auf die Insel der Hoffnung gehen, Nela. Ich kenne dich doch lange genug. Du brauchst seelische Kraft. Du mußt aufgetankt werden, wenn man es so nennen will.«

»Ja, das werde ich im Auge behalten, aber zuerst muß ich hier Klarheit schaffen.«

»Fühlst du dich Victor denn gewachsen?«

»Jetzt schon. Du hast mir geholfen«, erwiderte Manuela. »Es ist sehr lieb von dir, daß du bei mir geblieben bist, aber Männe wird dich vermissen.«

»Willst du nicht mit zu uns kommen, Nela?«

»Nein, es ist besser, wenn ich jetzt alles durchdenke. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bringe mich nicht um. Nein, das würde ich niemals tun. Ich werde den Tatsachen ins Auge sehen, und das verspreche ich dir.«

»Und du wirst nicht vergessen, daß eigentlich doch alles dir gehört, Nela. Dieses Haus, sehr viel Geld. Du solltest nicht zu großmütig sein.«

»Besitz, Geld, was bedeutet das schon, wenn man sonst nichts hat«, sagte Manuela leise.»Ja, wenn ich ein Kind hätte, wäre mir wohl leichter gefallen, den Trennungsstrich zu ziehen. Aber ich werde nie eines haben.« Ihre Stimme bebte.

»Es gibt viele Kinder, denen man helfen kann, Nela«, sagte Liane eindringlich. »Geh doch mal in ein Waisenhaus.«

»So einfach ist das alles nicht, noch dazu, wenn man dann allein ist als Frau. Und wenn man ein Problem hat, soll man sich nicht ein zweites aufladen. Aber auf die Insel der Hoffnung werde ich gehen, Li. Kann Dr. Norden das arrangieren?«

»Aber gewiß. Sprich mit ihm. Er ist ein Mensch, nicht bloß ein gutaussehender Mann. Und außerdem ist er der beste Arzt, den ich kenne.«

»Dr. Behnisch ist auch ein guter Arzt«, sagte Manuela.

»Zugegeben, aber ich hab es nicht mit denen, die schneiden.«

»Manchmal kann es die letzte Rettung sein.«

»Aber nicht, wenn es um die Seele geht. Und bei dir geht es nur darum, Nela. Es tut mir leid, wenn ich es so hart sage. Ich bin halt ein Trampel.«

»Nein, das bist du nicht, Li«, sagte Manuela und dann umarmte sie ihre Freundin. »Du bist aufrichtig. Ich danke dir.«

Liane betrachtete Manuela forschend. »Und was nun, Nela?«

»Ich muß nachdenken. Ich möchte eine Lösung ohne Trara. Es will wohl überlegt sein.«

»Laß dich nicht aufs Kreuz legen, Nela«, sagte Liane warnend. »Victor ist ein Fuchs.«

»Das weiß ich«, erwiderte Manuela zu ihrer Überraschung. »Und nun fragst du dich wieder, warum ich nicht längst auf und davon bin. Ich kann dir keine klare Antwort geben. Ich hatte einfach Angst vor einem Skandal.«

»Du bist jetzt keine neunzehn mehr, sondern dreiunddreißig, Nela, und du hast noch ein Leben vor dir. Du kannst die Koffer packen und alles hinter dich werfen. Und wenn du mich brauchst, rufst du mich an, Männe mag dich. Er hätte nichts dagegen, wenn du auch bei Nacht bei uns aufkreuzst, aber ich denke, es wäre besser, wenn du auf die Insel der Hoffnung gehst. Dort haben sie mehr Verständnis für ein angeknackstes Seelenleben. Mehr Fingerspitzengefühl.«

Manuela versuchte ein Lächeln. »Dir habe ich viel zu verdanken, Li. Ich werde es niemals vergessen.«

»Hauptsache, du überstehst alles gut«, erwiderte Liane. »Und laß von dir hören.«

»Bestimmt«, nickte Manuela.

*

Sie überlegte gar nicht lange, kleidete sich sorgfältig an und verließ dann das Haus. Sie schloß sorgfältig hinter sich ab, ging zur Garage und setzte sich in ihren kleinen Wagen.

Weit brauchte sie nicht zu fahren. Das Haus, vor dem sie hielt, sah sehr gepflegt aus, war gelb getüncht. Es befanden sich sechs Wohnungen darin.

Über einer Klingel stand der Name Rösch. Auf diese drückte sie. Der Summer ertönte bald. Manuela stieg zur ersten Etage empor. In der Wohnungstür stand eine blonde Frau, die ein paar Jahre jünger war als sie selbst.

An sie drängte sich im nächsten Augenblick ein ebenso blonder Junge. Die Frau war blaß geworden.

»Frau Sölting?« sagte sie leise.

»Ich denke, wir sollten miteinander sprechen, Susanne«, sagte Manuela ruhig.

»Was will die Dame, Mutti?« fragte der Junge, und Manuela dachte, daß dies der Sohn ihres Mannes war, und daß Susanne Rösch bald ein zweites Kind haben würde.

»Geh in dein Zimmer und spiel, Tommy«, sagte Susanne. »Wir haben etwas zu besprechen.«

»Ich möchte aber wissen, wie die Dame heißt«, sagte der Junge eigensinnig.

»Ich heiße Manuela«, erwiderte sie.

Mit den hellen Augen seiner Mutter sah der Junge sie an.

»Mutti hat gesagt, daß mein Schwesterchen vielleicht Manuela heißt«, sagte er eifrig. »Wenn es kein Brüderchen wird.«

»Und wie soll es dann heißen, wenn es ein Brüderchen wird?« fragte Manuela heiser.

»Manuel.« Tommy lachte. »Ich möchte aber lieber ein Schwesterchen.«

»Geh doch jetzt spielen, Tommy«, sagte Susanne bebend.

»Gehe ja schon, Mutti«, erwiderte er.

Er verstand schnell, und Susannes Augen waren flehend auf Manuela gerichtet.

»Ich glaube nicht, daß es richtig wäre, dem Kind meinen Namen zu geben«, sagte sie tonlos. »Warum wollen Sie das, Susanne?«

»Woher wissen Sie alles?« fragte Susanne Rösch zitternd.

»Spielt das eine Rolle? Ich meine nur, daß es an der Zeit ist, daß wir Klarheit schaffen. Ich reiche die Scheidung ein.«

»Um Gottes willen«, rief Susanne aus. »Victor würde mir die Schuld geben. Bitte, tun Sie es nicht. Er will sich doch gar nicht scheiden lassen.«

»Er braucht es nicht zu wollen. Ich will es. Erwarten Sie ihn?«

»Nein, er ist auf einer Geschäftsreise«, erwiderte Susanne mit erstickter Stimme.

»Dann können wir uns in aller Ruhe unterhalten. Mir ist das sehr lieb«, erwiderte Manuela. »Ich werde Ihnen keine Szene machen, Susanne.«

»Bitte, treten Sie näher«, sagte die Jüngere leise.

Das Wohnzimmer war hübsch eingerichtet, aber recht bescheiden. Manuela ging es unwillkürlich durch den Sinn, daß dies Victor für seine Geliebte gerade gut genug wäre, daß er aber auf seinen erstrebten und längst gewohnten Luxus doch nicht verzichten wollte, obgleich ihm diese Frau ein Kind geschenkt hatte.