IM ANGESICHT DES TODES - Christian Dörge - E-Book

IM ANGESICHT DES TODES E-Book

Christian Dörge

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Beschreibung

IM ANGESICHT DES TODES ist nach NACHT ÜBER GUNLOCK bereits die zweite umfangreiche, von Christian Dörge zusammengestellte und herausgegebene Western-Anthologie, die in der Reihe APEX WESTERN erscheint. Der Band versammelt 34 erstklassige Western-Erzählungen US-amerikanischen Spitzen-Autoren und -Autorinnen, u. a. von Louis L'Amour, Wayne D. Overholser, Lewis B. Patten, Dorothy M. Johnson, Will Henry, Todhunter Ballard, Elmer Kelton, Jeff M. Wallmann, Matt Braun und Robert E. Howard.

IM ANGESICHT DES TODES wird ergänzt durch ein Essay von Dr. Karl Jürgen Roth.

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CHRISTIAN DÖRGE (Hrsg.)

Im Angesicht des Todes

Apex Western, Band 12

Erzählungen

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

John Prescott: DER CANYON DES FEIGLINGS (Coward's Cañon) 

Brian Garfield: SEIN LETZTER KAMPF (Peace Officer) 

Elmer Kelton: IN AUSÜBUNG DER PFLICHT (In The Line Of Duty) 

Todhunter Ballard: DER BÜRGERMEISTER VON STRAWBERRY HILL (The Mayor Of Strawberry Hill) 

Tom W. Blackburn: DER NACHRUF (Epitaph For A Boomtown Marshal) 

Carter Travis Young: ALTE WUNDEN (Green Wounds) 

Lin Searles: DER MOB (Lawmen Stand Alone) 

Donald Hamilton: DIE REVOLVER VON WILLIAM LONGLEY (The Guns Of William Longley) 

Louis L'Amour: DIE STARKEN WERDEN ÜBERLEBEN (The Strong Shall Survive) 

Lewis B. Patten: BRUDERFEHDE (High-Carded) 

Will Henry: EINE KUGEL FÜR BILLY THE KID (A Bullet For Billy The Kid) 

Wayne D. Overholser: BANKRAUB IN THREE FORKS (Smart) 

James Bellah: DER UNHEIMLICHE FREMDE (Jason Glendauer's Watch) 

Jeff M. Wallmann: WEISSE HÖLLE (White Famine) 

Elmer Kelton: ONKEL JEFF UND DER REVOLVERHELD (Uncle Jeff And The Gunfighter) 

Jory Sherman: DIE RÜCKKEHR DES TALKING BOY (The Return Of Talking Boy) 

Dorothy M. Johnson: DER MANN, DER LIBERTY VALANCE ERSCHOSS (The Man Who Shot Liberty Valance) 

Louis L'Amour: EIN MANN AUS STAHL (Duffy's Man) 

Frank Roderus: ED (Ed) 

Wayne D. Overholser: SIE HÄNGSTEN WILD BILL MURPHY (They Hanged Wild Bill Murphy) 

Giles A. Lutz: SCHÜSSE NACH DER HOCHZEIT (Gun Search) 

D. B. Newton: EIN TOTER IM SALBEI (Born To The Brand) 

Will Henry: DIE RACHE DES JESSE JAMES (Vengeance Of Jesse James) 

Brian Garfield: DER MANN VOM FLUSS (Riverboat Fighter) 

Jeff M. Wallmann: WER ZUM COLT GREIFT... (Too Ornery To Die) 

Jory Sherman: IM ANGESICHT DES TODES (Death's An Empty Space)  

Louis L'Amour: DER WEG NACH SQUAW SPRINGS (The Trail To Squaw Springs) 

Elmer Kelton: DIE FRAU DES SCHAFZÜCHTERS (O'Malley's Wife) 

Ray Hogan: DER FREMDE IN SCHWARZ (Stranger In Black) 

Will Henry: FLUSS DER ENTSCHEIDUNG (River Of Decision) 

Jeff M. Wallmann: DIE BRAUT KAM PER POST (The Mail-Order Bride) 

Matt Braun: DER WEG IN DIE HÖLLE (The Road To Hell) 

Jory Sherman: UM HAARESBREITE (Winter Of The Red Snow) 

Robert E. Howard: DAS URTEIL DER WÜSTE (Judgement Of The Desert/Showdown At Hell's Cañon) 

 

How The West Was Written: Fiktionale Impressionen der amerikanischen Pionierzeit - 

Ein Essay von Dr. Karl Jürgen Roth 

 

 

Das Buch

IM ANGESICHT DES TODES ist nach NACHT ÜBER GUNLOCK bereits die zweite umfangreiche, von Christian Dörge zusammengestellte und herausgegebene Western-Anthologie, die in der Reihe APEX WESTERN erscheint. Der Band versammelt 34 erstklassige Western-Erzählungen US-amerikanischen Spitzen-Autoren und -Autorinnen, u. a. von Louis L'Amour, Wayne D. Overholser, Lewis B. Patten, Dorothy M. Johnson, Will Henry, Todhunter Ballard, Elmer Kelton, Jeff M. Wallmann, Matt Braun und Robert E. Howard.

IM ANGESICHT DES TODES wird ergänzt durch ein Essay von Dr. Karl Jürgen Roth.

John Prescott: DER CANYON DES FEIGLINGS (Coward's Cañon)

Jimmy Conroys Mund war trocken. Es schien ihm, als habe er Kupfersulfat zwischen den Zähnen. Und der Zottelschritt seines Pferdes verstärkte diese Bitterkeit noch. Die schweren Patronengurte, die sich über seinem Brustbein kreuzten; der große Frontiercolt, der im Takt gegen seine Hüfte schlug; die mit Schrot geladene Doppelflinte in der Gewehrhalfter am Sattelgurt - alles beschwerte ihn auf lästige Weise und bestärkte ihn so gar nicht in seinem Selbstvertrauen, wie er das eigentlich erwartet hatte. Hätte nur er allein diese Last der Angst mit sich herumgeschleppt, hätte er wenigstens bei den anderen Trost suchen können. Doch innerhalb von drei Tagen hatte das Aufgebot zwei Männer durch Schüsse aus dem Hinterhalt verloren, und er spürte, wie sie alle darunter litten. Sie hatten die Köpfe eingezogen wie die Schildkröten, und die sonnenverbrannte Haut spannte sich straff über verkrampften Muskeln. Und selbst die Pferde schritten dahin, als seien sie mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt.

Nur Charley Olive machte eine Ausnahme. Da sah man gleich, was es bedeutete, wenn man an Billy the Kids Seite im Lincoln-County-Krieg gekämpft hatte. Ein Aufgebot wie dieses wirkte dagegen geradezu lächerlich.

Charley sah sich im Bonito Cañon um, dessen Felswände steil in den brennenden Himmel hineinwuchsen, und grinste dann zu Jimmy hinüber. »Hübscher Ort, nicht wahr, Jimmy? Ich glaube, ich bin hier mindestens fünfzigmal mit Billy the Kid entlanggeritten. Als er noch lebte, versteht sich. Aber ich glaube, ich hatte nie die Zeit oder Muße, die Schönheiten der Landschaft zu bewundern.«

»Dann schau dir nur alles gründlich an«, meinte Wes Johnson. »Würde mich nicht wundern, wenn du die Schlucht nie wieder zu sehen bekommst - außer als Geist vielleicht.«

Das veranlasste Jimmy Conroy, sich wieder einmal behutsam umzusehen und auf die geringste Bewegung zu achten. Während er den bitteren Geschmack hinunterschluckte, starrte er auf das glitzernde Band des Bachbetts neben dem Pfad, auf die wiegenden Köpfe der Prärieblumen, die sich immer nach der Sonne drehten, und auf die verschwommenen Umrisse des Capitan in der Ferne, der mit seinen steinernen Schultern den Himmel zu berühren schien. Überall hinter den rissigen Felswänden des Cañons konnte der Tod lauern. Dowlings Banditen mussten sich früher oder später zur entscheidenden Auseinandersetzung stellen.

Charley Olives Lachen übertönte das dumpfe Poltern der Hufe.

»He, Wes, du scheinst ja mächtige Manschetten zu haben. Schau mich an, Wes. Für mich ist das nichts anderes als ein längst fälliger Jagdausflug. Dass das Wild, das wir jagen, auch zurückschießen kann, bedeutet nicht viel. Das ist nur eine Sache der Gewöhnung, verstehst du?«

»Ich kann nicht behaupten, dass ich mich daran gern gewöhnen möchte«, sagte Emmet Bacon. Emmet Bacon war ein schmächtiger Bursche mit großen dunklen Augen in einem verkniffenen Gesicht. Und Jimmy kam es so vor, als ob Emmet Bacons Gesicht heute auch noch außergewöhnlich blass war.

»Ach, zum Teufel, Emmet«, meinte Charley wegwerfend. »Wenn du meinst, das wäre so etwas wie eine Feuertaufe, die du da bestehst, dann hättest du erst mal dabei sein müssen, als wir aus McSweens Ranch gegen Murphys Schützen anstürmten. Die Männer fielen links und rechts, aber wir schafften es. Ich und Bonney - Billy the Kid, meine ich -, wir beide schafften es...«

Wenn man Charley Olives Stimme hörte, die so selbstsicher und unbeschwert klang, konnte man richtig neidisch werden, überlegte Jimmy. Er wünschte, er hätte nur halb so viel Selbstvertrauen wie Charley. Ein Mann wie Charley Olive, der überall mit dabei gewesen war und immer das Richtige getan hatte, hatte natürlich weder Skrupel noch Zweifel, wie man solche Banditen wie Dowling und seine Bande in der Wildnis zur Strecke brachte, ganz gleich, wie viele Kerben Dowling in seinem Gewehrkolben hatte. Ein Mann, der mit Billy the Kid, Bowdre, O'Folliard und anderen Desperados, deren tollkühne Taten berühmt und berüchtigt waren, den gleichen Pulverdampf gerochen und aus dem gleichen Napf gegessen hatte, dem musste dieses Aufgebot natürlich wie ein Picknick Vorkommen. Was für ein gutes Gefühl musste es sein, wenn man nicht mehr zu den unerfahrenen jungen Grünschnäbeln gehörte, die sie ja alle noch waren - die meisten wenigstens, von ihrem Anführer Rawlins abgesehen.

In diesem Augenblick hob Rawlins den rechten Arm, und alle, die hinter ihm ritten, hielten die Pferde an. »Ruht euch einen Moment hier aus«, rief er. »Aber verhaltet euch ruhig!«

»Wer hätte das gedacht«, feixte Charley Olive. »Wenn ich nicht wüsste, dass ihm das Reiten doppelt so schwerfällt wie unsereinem, hätte ich Pferd und Sattel gewettet, wir würden heute überhaupt nicht mehr anhalten.«

»Unbegreiflich, wie ein Mann in seinem Alter so etwas überhaupt aushält«, murmelte Jimmy. »Er ist bestimmt schon über Vierzig.«

»Möchte sich eben auch seine Sporen verdienen - oder er versucht es wenigstens.«

»Verdient sie auf Kosten unserer Knochen«, murmelte Wes Johnson. »Habe noch nie einen so ehrgeizigen Burschen gesehen.«

Jimmy ließ sich langsam aus dem Sattel rutschen. Er war viel zu steif und müde, um sich ordentlich vom Pferd zu schwingen. Er lockerte die Sattelgurte und ließ sich dann ächzend neben dem Bachbett auf die Erde plumpsen. Er hielt das Gesicht ins Wasser und trank mit gierigen Zügen. Als er sich dann mit angezogenen Knien an einen Felsblock lehnte, sah er, dass auch die anderen alle auf der Erde lagerten. Nur Rawlins saß noch im Sattel und ritt den Pfad hinunter auf eine kleine Hütte zu, die hundert Meter weit entfernt sein mochte.

»Was er wohl jetzt wieder vorhat?«, fragte Jimmy halblaut. Charley Olive stützte sich auf die Ellenbogen und ließ den Rauch seiner Zigarette langsam durch die Nase ziehen. »Bastelt immer noch an seinem Prestige«, sagte er grinsend. »Bildet sich wahrscheinlich ein, er könnte dem verdammten Bohnenfresser da vorn ein paar wertvolle Informationen aus der Nase ziehen. Aber ich wette, er findet nicht einen Mexikaner im ganzen Cañon, der bereit wäre zuzugeben, er hätte schon mal was von Dowling gehört, geschweige denn ihn leibhaftig gesehen.«

»Und da frage ich mich, warum man Rawlins als Führer bestimmt hat«, murmelte Emmet. »Sie hätten den Job eigentlich dir übertragen müssen, Charley.«

Charley Olive blickte ins Bachbett und lächelte. »Tja, Emmet, es gibt eben Dinge, die wir uns nie ganz erklären können. Eines kann ich dir wenigstens versichern: wenn ich hier was zu sagen hätte, würde ich die Sache ganz anders anpacken. So, wie ich es von Billy the Kid gelernt habe.«

»Aber er muss auch seine Meriten haben«, meinte Shorty Ellison. »Einem unbeschriebenen Blatt vertraut man kein Aufgebot an. Er muss gut mit Waffen umgehen können.«

»Er?«, sagte Charley wegwerfend. »Hast du gesehen, wie er seinen Colt trägt? Unter der Jacke neben dem Brustkorb, und noch dazu eine Lasche über dem Griff! Da braucht er mindestens fünf Minuten, bis er zum Schießen kommt!«

Alle lachten. Charley hatte wirklich Sinn für Humor, dachte Jimmy. Er hätte viel darum gegeben, wenn er auch so schlagfertig gewesen wäre wie Charley.

Eine Minute später kam Rawlins wieder den Pfad heruntergetrabt. Der Mann gab wirklich eine komische Figur ab. Er hockte zusammengekrümmt im Sattel, als hätte er noch nie auf einem Pferd gesessen, und schien nicht größer zu sein, als er von Schulter zu Schulter maß. »Los, bewegt euch!«, rief er. »Wir haben noch einen weiten Weg vor uns - können nicht den ganzen Tag in der Sonne liegen!«

Die Leute erhoben sich schwerfällig. Rawlins musterte seine Truppe. Als der Blick des älteren Mannes auf Jimmy ruhte, kam dieser sich vor wie ein kleiner Junge, der seinem Lehrer an der Tafel eine Aufgabe vorrechnen muss. Unter dem  strengen Blick von Rawlins zog er seine Sattelgurte besonders kräftig an. Rawlins wendete den Blick wieder ab, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht...

Es ging weiter bergauf. Die bizarren Felsformationen schienen von Götterhand geformt und im Abendrot von innen heraus zu glühen. Aber dieses Schauspiel konnte für sie auch der Vorbote des Todes sein. Denn Dowlings Bande hatte schon zweimal bei Einbruch der Dunkelheit zugeschlagen. Aus dem Hinterhalt hatte er ihnen sozusagen Nachhutgefechte geliefert, und heute verfolgte er vielleicht die gleiche Taktik. Aber diesmal würde es bestimmt heißer zugehen. Der Cañon war fast zu Ende, und Dowling würde diese letzte Gelegenheit verzweifelt nützen. Er musste unbedingt die Hügelkette vor ihnen erreichen, wenn er sich seinen Verfolgern entziehen wollte. Jimmys Mund wurde wieder merkwürdig trocken, und der bittere Geschmack stellte sich erneut ein. Seine Blicke bohrten sich förmlich in die rotglühenden Felsspalten hinein, suchten hinter jedem Busch und Zweig in der Wand nach einem Gesicht oder einem Gewehrlauf.

Wenn er sich nicht in Gedanken mit Dowling und seiner Bande beschäftigte, kreisten sie um den Mann, der vorn an der Spitze ritt. Er hätte sich jetzt wirklich einen anderen Anführer gewünscht - Charley zum Beispiel. Eben einen Mann, der kein Außenseiter war. Als dieses Aufgebot in Roswell zusammengestellt wurde, hatte fast jeder von ihnen erwartet, dass Charley den Trupp anführen würde. Der alte Johnson, Wes' Vater, hatte ihn auch zum Führer vorgeschlagen, und für eine Weile sah es so aus, als würde sich dieser Vorschlag durchsetzen.

Jimmy erinnerte sich auch daran, dass Charley nicht viel Zeit verloren hatte, als er hörte, dass der alte Johnson ihn unterstützte. Er hatte sofort seinen Colt hervorgeholt - den Menschenjäger, wie er ihn nannte - und einen breiten Patronengurt, handgenäht und hübsch verziert, an dem die raffinierteste Revolverhalfter hing, die Jimmy je gesehen hatte. Es war eine Spezialhalfter, tief ausgeschnitten, aus der man einen Revolver so rasch ziehen konnte, dass das Auge nicht mitkam.

Charley tat sehr geschäftig und geheimnisvoll in jenen Tagen, als das Aufgebot organisiert wurde. »Das war meine Ausrüstung, als ich noch mit Billy the Kid durch das Land streifte«, sagte er und deutete auf die Spezialhalfter, aus der der Hirschhorngriff des Colts herausragte. »Wenn man auf Menschenjagd geht, muss man auch die passende Ausrüstung mitnehmen. Halbe Maßnahmen führen da zu nichts.« Und dann ging Charley in Johnsons Corral und hielt dort seine Schießübungen ab. Einer von ihnen - Wes, Emmet oder Jimmy oder wer sonst gerade Lust dazu hatte - holte sich ein paar Konservenbüchsen und warf sie in die Luft. Und Charley drehte sich blitzschnell um, zog, und ehe die Büchse den Boden wieder berührte, hatte sie sechs Löcher im Blech, schnurgerade, als hätte man sie mit dem Lineal gezogen. Alle staunten über diese großartigen Beweise von Charleys Schießkunst, während eine beißende Wolke von Pulverdampf langsam gen Himmel stieg.

In dieser Beziehung war Charley Olive unmöglich zu übertreffen. Wenn Charley nicht zufällig in der Nacht, als Billy the Kid getötet wurde, unterwegs auf Erkundung gewesen wäre, wäre das Schicksal des berüchtigten Desperados bestimmt anders verlaufen. Charley hätte Pat Garret bestimmt an der Tat gehindert. Manchmal fragten sich allerdings die Leute, warum Charley nicht losgeritten war, um Pat zu verfolgen und den Tod von Billy the Kid zu rächen. Jimmy hatte ihn einmal gefragt, warum er das unterlassen hatte. Doch Charley hatte nur die Achseln gezuckt und gesagt: »Oh, zum Teufel, Jimmy, der Westen verändert sich rasch. Es hat keinen Zweck, die alten Wunden wieder aufzureißen.« Und trotz dieser Antwort hatte Jimmy nie bezweifelt, dass Charley das eines Tages doch noch nachholen würde, falls der Rachedurst in ihm übermächtig wurde. Leider war Charley inzwischen ziemlich sesshaft und solide geworden - ein Mann, der sich an die Gesetze hielt. Bis jetzt wenigstens.

Und dann hatten sie ihnen diesen Rawlins als ihren Anführer vorgestellt. Er hatte einen eleganten grauen Anzug angehabt, eine schwarze Bindfadenkrawatte, einen breitkrempigen Filzhut und sogar ein gebügeltes weißes Hemd. Ein Mann in diesem Aufzug schien ihnen als Anführer so fehl am Platz wie ein Maulesel in einem Rennstall voll Warmblüter.

»Ein Mann aus dem Osten«, hatte Charley gebrummelt. »Tralali-tralala.« Charlie hatte es an jenem Tag schwer gehabt, seinen Humor nicht zu verlieren. Das war auch kein Wunder, wenn man daran dachte, wie schmählich man ihn hintergangen hatte.

»Papa sagt, er käme aus Omaha«, hatte Wes Johnson gesagt.

»Liegt immerhin im Osten - oder vielleicht nicht?« hatte Charley gesagt.

»Hätte nicht geglaubt, dass man im Osten auch Weidedetektive beschäftigt«, meinte Shorty Ellison verwundert. »Klauen sie denn dort auch Ochsen und Kühe?«

»Bestimmt nicht«, hatte Charley Olive gesagt, »die wissen ja gar nicht, wie ein zünftiger Viehdieb aussieht. So einer von der ersten Sorte. Und ich wette, der Kerl dort hat auch noch keinen kapitalen Viehdieb zu Gesicht bekommen. Der wird sich wundern. Dowling braucht nur buh zu machen, und schon reißt der Kerl vor ihm aus.«

Von Anfang an schien sich Charleys Meinung zu bestätigen. Ein Mann wie Rawlins, dem die Aufgabe übertragen war, Dowling und seine Bande von Viehdieben vor Gericht oder unter die Erde zu bringen, musste schon ein zäher und fixer Kerl sein - eben eine Persönlichkeit des rauen Westens. Aber Rawlins war überhaupt nicht der Typ.

Trotzdem war er ein unerbittlicher Antreiber, und das machte böses Blut. Jede Spur, wenn auch noch so unbestimmt, nahm er pedantisch auf. Von Roswell aus waren sie erst in Richtung Fort Summer geritten, hatten dann kehrtgemacht und waren dem Lauf des Pecos gefolgt, und schließlich, nach vielen Tagen vergeblicher Jagd und unzähligen Schwielen auf Hintern und Schenkeln, waren sie wieder nach Westen geschwenkt auf den Ruidoso zu. Es gab kein Gerücht, das dieser Rawlins nicht ernst nahm. Und jetzt endlich, im Bonito Cañon, waren sie auf eine heiße Spur gestoßen.

Als ihnen die ersten Kugeln um die Köpfe pfiffen, hätte man eigentlich erwarten dürfen, dass Rawlins sie zu einer Attacke antrieb. Aber er tat nichts dergleichen. Offenbar war er viel zu sehr an mühsame Plackerei gewöhnt. Er drehte um, ließ sammeln, überprüfte Sattelgurte und den Zustand ihrer Waffen, als wären sie ein Zug regulärer Kavallerie. Der Bursche musste wirklich noch eine Menge dazulernen.

Und jetzt näherten sie sich der entscheidenden Kraftprobe. Der Cañon konnte nicht bis in die Ewigkeit führen...

In dieser Nacht schlugen sie ein kaltes Lager auf. Es ging auf den Herbst zu, und ein Lagerfeuer hätte ihnen allen bestimmt gutgetan. Aber Rawlins erlaubte kein Lagerfeuer. Nur Charley ereiferte sich über diese Entscheidung. Aber schließlich hatte Charley auch ein Recht dazu, da er niemanden fürchtete.

»Lieber erschossen als erfroren«, sagte er zu Jimmy. »Wir könnten doch ein kleines Feuer in einer Grube anzünden, das uns nicht verraten kann. Die wissen wahrscheinlich sowieso, dass wir hier lagern.«

»Wieder eine von Rawlins' verrückten Ideen«, bemerkte Wes.

»Das ganze Aufgebot kommt mir verrückt vor«, murmelte Shorty Ellison verächtlich. »Anscheinend bekommt dieser komische Bruder sein Gehalt nach Meilen berechnet, die er jeden Tag herunterreitet. Oder stundenweise, weil er die Zeit mit endlosen Erkundungen und Inspektionen verplempert. Was hat er über deine Halfter gesagt, Charley?«

Charley Olive lachte. »Er meinte, sie wäre unpraktisch. Zu offen, sagte er. Wahrscheinlich soll ich meinen Colt im Rucksack herumschleppen. Und dann die Gewehrhalfter, so was habe er noch nie gesehen, ein Modell mit einer mechanischen Sperre. Was nur wieder mal beweist, wieviel Erfahrung dieser Mann besitzt.«

Jimmy hörte eine Weile dem halblaut geführten Gespräch zu und legte sich dann auf seine Decke. Er versuchte einzuschlafen. Immer wieder schreckte irgendein Geräusch Jimmy im Dahindösen auf. Vielleicht war es nur ein Vogel, der durch das Gras hüpfte; ein Dachs, der seine Burg erweiterte; ein Kojote, der zwischen den Felsen nach Aas suchte. Und hatte man schließlich zu jedem Geräusch eine beruhigende Erklärung gefunden, kam ein neues hinzu, dass einen wieder nicht einschlafen ließ.

Es musste bereits Mitternacht sein, als Jimmy es aufgab. Er konnte einfach nicht liegen bleiben. Ein paar von seinen Kameraden schienen die Grenze zwischen Wachsein und Schlaf überwunden zu haben; doch er wusste, er würde es nicht schaffen. Es gab eben Dinge, die man einfach nicht fertigbrachte, wenn es um Leben und Tod ging. So lächerlich das klang - bei ihm war es das Schlafen.

Einen Moment lang glaubte er, dass Charley Olive auch von diesem Übel geplagt wurde. Aber Charley widerlegte das sofort.

»Möchtest du rauchen, Junge?«, fragte Charley. »Ich sitze hier und versuche, mir die Augenlider mit Zündhölzern offenzuhalten. Ihr könnt euch ja meinetwegen auf Rawlins' Urteil verlassen; aber Charley tut das nicht. Charley muss für euch aufpassen.«

Jimmy drehte sich eine Zigarette unter dem blassen Licht der Sterne. Der Mond war untergegangen, und die hohen Felswände des Cañons wirkten geisterhaft, allem Irdischen entrückt. Sie erinnerten einen an die tausend Legenden und Geschichten, an die die Mexikaner und Indianer glaubten. Erinnerten einen auch, dass ein Viehdieb und Mörder mit seinen Banditen dort oben herumstreifte.

»Ist Rawlins in der Nähe?«, fragte Jimmy. Er sah sich im Lager um, ließ den Blick über die schattenhaften Umrisse der Schlafenden gleiten, die im Sternenlicht kleinen Erdhügeln glichen. Doch der, den er suchte, war nicht darunter.

»Nein«, murmelte Charley Olive grinsend. »Er schnüffelt herum und streicht um die Büsche. Ich glaube, er hat viel zu viel Angst davor einzuschlafen. Ich sah ihm zu, wie er es probierte. Aber er gab es schließlich auf.«

Irgendwoher kam wieder ein Geräusch. Ein Kieselstein rollte ins Bachbett. Plötzlich ragte Rawlins' geduckte Gestalt vor ihnen auf. »Macht eure Zigaretten aus!«, befahl er.

Jimmy gehorchte sofort, doch Charley nahm sich Zeit.

»Ich hatte die Hand darüber gehalten«, meinte er leichthin. Rawlins schien schon nicht mehr an das zu denken, was er befohlen hatte.

»Wir sind dicht dran«, murmelte er. »Ich glaube, sie lagern nur ein paar hundert Meter von uns entfernt.«

»Sie haben den Tip von dem Mexikaner bekommen, wie?«, fragte Charley. »Diese Typen reden nicht gern. Es ist ungesund für sie.«

»Es ist nicht so wichtig, was sie sagen«, murmelte Rawlins. »Was sie verschweigen, zählt. Der Mexikaner behauptete, er habe seit Tagen keine Menschenseele mehr gesehen. Daraus schloss ich, dass die Bande an seiner Hütte vorbeigekommen sein musste. Wir sind jetzt fast am Ausgang des Cañon, und ich vermute, dass sie sich dort zum Kampf stellen werden.«

»Oder er zieht weiter über den Pass«, erwiderte Charley. »Dowling ist kein Dummkopf. Er ist ein hartgesottener Bursche, ein Mörder voll Ausdauer und Mut.«

»Ich weiß, ich weiß«, erwiderte Rawlins, und Jimmy hörte einen ihm neuen Ton aus Rawlins' Stimme heraus. So spricht ein Mann, der sich zu etwas zwingt, was er nicht gern tut. »Aber sie müssen eine Pause einlegen, versteht ihr?« fuhr Rawlins fort. »Ihre Pferde sind erschöpft. Wir haben sie so sehr gehetzt, wie wir nur konnten. Deswegen vermute ich auch, dass sie oben am Pass bleiben, auf uns warten und uns dann auf reiben möchten.«

Allein die Tatsache, dass Dowling so dicht in ihrer Nähe lagerte, ließ Jimmys Mund wieder so trocken werden wie Sand. Er langte nach seiner Feldflasche voll Kaffee. Seit mindestens zwölf Stunden hatten sie nichts Heißes mehr zu sich genommen. Er füllte einen Becher mit der kalten Brühe und trank ihn aus.

»Vielleicht kannst du mir einen Schluck abgeben«, murmelte Rawlins. »Dieses Warten und Spekulieren dörrt einem richtiggehend den Mund aus.«

Jimmy starrte in Rawlins' Gesicht, das im Sternenlicht wie eine weiße Maske wirkte. Himmel - der Mann hatte ja Angst! Und was noch schlimmer war - er gab es sogar zu! Und das war ihr Anführer, teilte Befehle aus, dachte und plante für sie!

Rawlins trank und reichte Jimmy den Becher zurück. »Vielen Dank, Jimmy«, sagte er, richtete sich auf und ging davon.

»Hast du das gehört?«, fragte Charley Olive leise. »Der Bursche hat die Hosen voll! Bis zum Rand hat er sie voll!«

»Ja, ich hab's gehört«, murmelte Jimmy Conroy. Und ohne zu wissen, weshalb, kam sich Jimmy plötzlich viel verlassener und hilfloser vor als je zuvor...

Rawlins holte sie noch vor Anbruch der Dämmerung aus den Decken. Es war ein kalter, nebliger Morgen, und die grauverhangene Welt kam nur langsam wieder zu sich. Die aufgehende Sonne schickte ihre ersten Vorboten, die die oberen Ränder der dunklen und leblosen Felswände bläulich und gelb verfärbten. Als erster fing der schlummernde Capitan die rotgoldenen Strahlen der Sonne mit seiner zackigen Krone auf, und dann zeichneten sich auch die Umrisse des Cañon-Ausgangs ab.

»Mein Gott, Wes«, sagte Emmet Bacon. »Von Schlafen war keine Rede!«

»Nimm's nicht so tragisch«, murmelte Wes. »Vielleicht bekommst du bald Gelegenheit, länger zu schlafen, als dir lieb sein kann!«

Shorty Ellison zog am Sattelgurt. »Über so was soll man keine Witze reißen!« grollte er. »He, Jimmy, wie hast du die Nacht verbracht?«

Jimmy blieb bei der Wahrheit. Er konnte sie sowieso nie verbergen. »Ich habe schlecht geschlafen. Die meiste Zeit habe ich nachgedacht.«

Shorty Ellison drehte sich um und lachte. »Komisch - mir ging es genauso. Ich glaube, fast jeder von uns war wach. Ich weiß, dass Rawlins nicht geschlafen hat. Selbst Charley nicht.«

»Bei ihm ist das was anderes«, sagte Jimmy, und Shorty nickte.

Sie schwangen sich in den Sattel und ritten los. Es war jetzt heller Morgen, und mit dem Licht war auch die Pracht dieser Bergwelt wiedergekommen. Es war sehr schwer, sich zu entscheiden, zu welcher Tageszeit die Landschaft hier am schönsten war. Mit jeder Stunde schien sie sich vollkommen zu verändern und immer neue Überraschungen für den Betrachter bereitzuhalten. Jimmy entschied, dass die Dämmerung am Morgen den größten Reiz für ihn hatte, was die Schönheit der Farben und den Frieden der Landschaft anbetraf, doch die Abenddämmerung hatte ebenfalls ihre Vorzüge. Und am Mittag, wenn die Sonne fast senkrecht über ihnen stand und alles so warm und freundlich machte - nein, der Mittag war auch nicht zu verachten. Es kam eben ganz auf den Betrachter an und in welcher Stimmung er sich gerade befand. Doch jetzt war alles nur eine öde, kalte Pracht.

Bald ließ Rawlins seine Truppe wieder anhalten. Sie standen jetzt am Fuß der Wand, aus dem der Bonito Cañon schräg nach oben führte. Und von hier aus gesehen war es auch kein Cañon mehr, sondern ein enges, gewundenes Tal, mit kleinen Gehöften durchsetzt. Man konnte sogar Lincoln sehen, aber die Stadt lag so weit weg, dass die Häuser nur winzige Pinselstriche zu sein schienen oder bunte Splitter einer zerbrochenen Porzellanvase.

»Wir steigen ab«, befahl Rawlins. »Von hier aus geht es zu Fuß weiter.«

»Zu Fuß?«, fragte Charley. »Mein Gott, wissen Sie auch, was Sie da verlangen?«

Jeder dachte im Stillen, das sei wirklich ein schlechter Scherz; und Jimmy bewunderte Charley, dass er das auch auszusprechen wagte. Nur Rawlins schien es mit seiner Anordnung ernst zu meinen.

»Ich weiß, was es bedeutet«, sagte Rawlins. »Ich hoffe es wenigstens. Wenn meine Erkundung heute Nacht richtig war, dann sind die Banditen da oben in der Felsrinne!«

Jimmy ging um sein Pferd herum und starrte zu der Stelle, auf die Rawlins mit dem Finger zeigte. Diese Felsrinne war der Einstieg in die Wand oder, besser gesagt, die Verbindung zwischen dem Pass und dem Cañon. Es war ein unübersichtliches Gelände, unten etwa dreißig Meter breit, und der Hang dahinter wie eine Schutthalde mit Kalkstaub und Geröll bedeckt. Auf der abschüssigen Fläche der Rinne waren hie und da größere Felsbrocken zu sehen und kümmerliche Latschen, aber auch ab und zu ein üppiger Cottonwoodstrauch. Ein paar Elstern strichen mit wippenden Federschwänzen über Jimmys Kopf hin und schwangen sich hinauf in die Felsrinne dicht über der Baumgrenze, wo die letzten Latschen von Geröll abgelöst wurden. Kühn wie die Wölfe ließen sie sich dort nieder, wo Dowlings Banditen wahrscheinlich auf der Lauer lagen. Jimmy beneidete die Vögel, wünschte, er könnte wie sie Widerstände spielend überfliegen.

Sie machten sich fertig, pflockten die Pferde an, zogen Flinten und Gewehre aus den Scabbards, prüften Patronengurte und Magazine und fluchten halblaut über alles und jedes. Als jeder seine Ausrüstung fertig und beisammen hatte, rief Rawlins sie alle unter einem Walnussbaum zusammen.

»Wir werden uns jetzt teilen. Es ist schwer zu sagen, wo die Bande sich da oben verschanzt hat. Deshalb müssen wir in zwei Gruppen angreifen. Das ist besser, als sich in einem Haufen auf so breitem Gelände zu bewegen. Ich werde die eine Gruppe anführen. Charley, wie wäre es, wenn Sie die andere führten?«

Charley Olive hockte auf der Erde, den Kolben seines Gewehres so fest gegen die Hüfte gestemmt, als könne er die Waffe nur mit Gewalt daran hindern, von selbst loszugehen. »Natürlich, Rawlins«, sagte er. »Ich werde ein paar Leute mit hinaufnehmen.«

Jimmy drängte sich an Charley Olive heran.

»He, Charley«, flüsterte er, »könnte ich vielleicht mit dir gehen?«

Charley grinste und stocherte mit einem Grashalm zwischen den Zähnen herum.

»Schon gut, Junge, du kannst mit mir kommen«, sagte er. Dann sprach er ein bisschen lauter, damit Rawlins ihn ebenfalls hören konnte: »Ich nehme Jimmy mit, falls es recht ist, und Wes Johnson ebenfalls. Geht das in Ordnung?«

Rawlins nickte und blickte sich um. »Schön«, sagte er. »Dann bilden Ellison, Bacon und ich die zweite Gruppe.« Rawlins schluckte plötzlich, und Jimmy fiel sofort wieder die Episode mit dem Kaffee ein. Gottverflixt, sie hätten die Führung Charley überlassen sollen.

Gleich darauf begannen sie mit dem Aufstieg. Sie mussten sich ungefähr achtzig Meter bis zum Fuß der Halde Vorarbeiten, die zu der Felsrinne hinaufführte. Sie hatten zwar gute Deckung, aber Jimmy wusste, dass man ihre Bewegung von oben aus bestimmt genau verfolgen konnte. Doch sie waren noch viel zu weit entfernt, als dass man selbst mit dem Gewehr einen gezielten Schuss hätte anbringen können. Trotzdem war es ein unangenehmes Gefühl, durch das Gelände zu laufen, während einem Kimme und Korn auf Schritt und Tritt folgte. Er wünschte jetzt, Dowling und seine Bande würden sich wieder aufs Pferd schwingen und weiterreiten. Doch dann wäre Dowling wirklich ein Dummkopf gewesen; denn der Hang und die Felsrinne bildeten eine natürliche Festung.

Charley Olive führte sie zur linken Flanke hinüber. Geduckt ging er vorwärts, das Gewehr in der einen Hand und mit der anderen Hand an Bäumen, Steinen und was noch alles Halt suchend. Wes ging etwa drei Meter hinter ihm, und Jimmy bildete den Schluss. Seine Patronengurte drückten mit Zentnerlast auf seine Brust, und die Zwillingsflinte war auch nicht viel leichter.

Gewehrfeuer flackerte zum erstenmal auf, als sie die Halde hinaufkletterten. Auch hier war noch genügend Deckung vorhanden; aber wenn man das Mündungsfeuer und den Pulverdampf auf sich gerichtet sah, kam man sich ganz nackt und bloß vor. Wes, der neben ihm kletterte, war so weiß wie der Bauch einer Flunder, und sein eigenes Gesicht hatte bestimmt keine gesündere Farbe. Er konnte nicht genau sehen, was Charley für ein Gesicht machte, aber er mochte jede Wette eingehen, dass Charley über beide Backen grinste und sich königlich amüsierte. Vielleicht hätte er sich am liebsten noch eine Zigarette gedreht.

Zuerst war das Feuer nur zaghaft und sporadisch, als wollten die da oben ihre Gegner nur testen und zählen. Aber sobald sie die Hälfte des Steilhangs überwunden hatten und sich Latschen und Buschwerk schon bedenklich lichteten, wurde es zu einem gezielten und gefährlich genauen Feuer. Das meiste, was da herunterkam, waren großkalibrige Geschosse aus alten Winchesterbüchsen, die mit bösartigem Summen zwischen den Felsbrocken herumschwirrten wie ein aufgebrachter Hornissenschwarm. Einmal spritzte so ein Geschoss keine dreißig Zentimeter vor Jimmy entfernt eine weiße Kalkstaubfontäne in die Höhe. Ein paar Sekunden lang lag er ganz still da und betrachtete die lange Furche, wo sich die Kugel in die Erde gebohrt hatte.

Sie waren schon so dicht heran, dass sie zurückschießen konnten. In der Nähe standen vier, fünf Felsbrocken dicht beisammen, einer an den anderen gelehnt, und bildeten eine natürliche Brustwehr. Doch die Brustwehr war noch ungefähr fünf Meter weit weg, und er musste schon eine Weile mit sich kämpfen, ehe er sich zu einem Versuch aufraffen konnte. Es schien ihm eine Ewigkeit zu dauern, bis er die Strecke bis dorthin überwunden hatte. Doch als er erst hinter der Brustwehr lag, konnte er sich gar nicht mehr erinnern, dass er mit seinen Füßen den Erdboden berührt hätte. Er musste die Distanz also in kürzester Zeit zurückgelegt haben. Vielleicht hatte er sogar nur einen einzigen Luftsprung bis dorthin gemacht.

Er hörte jetzt auch von rechts das Knattern der Schüsse. Rawlins und seine Leute mussten also auch innerhalb Gewehrschussweite sein. Er konnte seine Kameraden von der anderen Gruppe von seiner Stelle aus nicht sehen, aber dem Echo der Schüsse nach mussten beide Gruppen ungefähr auf gleicher Höhe sein. Eine Zeitlang zog jetzt die andere Gruppe das stärkere Feuer auf sich, und das erlaubte Jimmy, ein bisschen Atem zu schöpfen und sich umzusehen.

Irgendwie war er jetzt über den anderen; denn er erblickte Wes und Charley rechts von sich ungefähr zehn Meter weiter unten am Hang. Charley lag in einem Nest aus Felsen und Sträuchern und presste die Wange gegen den Kolben seines Gewehrs. Wes lag hinter einem anderen Felsen, zusammengerollt wie ein Igel. Aber er stützte sich so sonderbar mit dem Oberkörper gegen die schrägen Kanten des Steinblockes, als hätte er Magenkrämpfe. In diesem Augenblick begriff Jimmy, dass es Wes erwischt hatte.

Jimmy machte sich sofort auf den Rückweg zu ihm. Er schob sich nach hinten aus seinem kleinen Fort heraus, bewegte sich wie eine Raupe nach unten - mit den Füßen voraus - und schlängelte sich zu Wes hinunter. Als er an Charleys Nest vorbeikam, drehte Charley ihm den Kopf zu. Charley hatte so viel weißen Staub und Kalksand auf Gesicht, Schultern und Armen, dass er aussah wie ein Geist, der eben wieder in seiner Gruft verschwindet.

»Wo, zum Teufel, willst du hin?«

»Wes hat's erwischt«, sagte Jimmy. »Ich muss ihn verbinden.«

»Du verdammter Narr, bleib mit der Nase auf dem Boden!«, rief Charley herüber. »Möchtest du auch so enden wie er? Soll er sich doch selbst verbinden!«

»Sieht nicht aus, als ob er noch die Kraft dazu hätte«, rief Jimmy. »Jemand muss es für ihn tun.«

»Meine Güte, Junge, du hast so viel Verstand wie ein Baby! Jeder von uns muss wissen, wie er sich im Kugelhagel zu bewegen hat. Wenn Wes so unvorsichtig war, dass es ihn erwischt hat, muss er es allein ausbaden!«

»Mag sein, aber jemand muss ihn verbinden«, murmelte Jimmy.

Er setzte seinen Weg den Hang hinunter fort. Er war jetzt auf einem Stück nackten Geländes, ohne Deckung und Schutz. Um ihn herum spritzten weiße Kalkfontänen auf, sangen die Querschläger im Chor ein hässliches Lied. Jimmy kam es vor, als wäre das Feuer auf ihrer Seite bisher noch nie so heftig gewesen wie jetzt. Es war der reinste Hagelschauer. Vielleicht hatte Dowlings Bande da oben jetzt ihre Taktik geändert, hatte wahrscheinlich erkannt, dass einer von ihnen verwundet war und machte jetzt das Beste daraus. Dann hatte er plötzlich das Gefühl, ein Schuss hätte ihm das rechte Bein bis zur Hüfte abgerissen. Doch als er seinen ganzen Mut zusammennahm und auf sein Bein hinunterblickte, sah er, dass es nur sein Stiefelabsatz gewesen war.

Dann erreichte er Wes. Es hatte ihn tatsächlich erwischt. Links unter dem Brustkorb, dicht über dem Magen. Sein Gesicht war so grau wie das von Charley - aber nicht vom Kalkstaub. Sein Mund zuckte ununterbrochen.

»Oh, Gott, oh, Gott!«, stöhnte Wes mit blutleeren Lippen.

Es war nicht mehr viel Platz hinter dem Felsbrocken, doch Jimmy machte sich so schmal wie er konnte und legte sich neben Wes. Er faltete ein Taschentuch zusammen und presste es gegen die blutige Rippe, die aus der Wunde ragte. Dann riss er einen Streifen vom Hemd unter dem Patronengurt und wickelte ihn um Wes herum. Er band den Knoten fest, als Charley schrie:

»Sie kommen, sie kommen! Verdammt, Junge, wach auf! Sie kommen herunter!«

Jetzt verlor Jimmy jede Übersicht. Alles rollte in unzusammenhängenden Bildfetzen vor ihm ab, bis Jimmy zwar wieder die Einzelheiten erkennen konnte, sie aber nicht als Vorgänge empfand, die er selbst erlebte.

Die Dowling-Bande stürmte auf ihrer Seite den Hang herunter; das war nicht zu übersehen. Es mussten ein halbes Dutzend Männer sein; aber so genau konnte er sie nicht zählen, dafür war er viel zu beschäftigt. Auch sah man nicht viel von den Kerlen - nur ihre Köpfe und die verzerrten Gesichter. Die Augen schließlich, in denen die Wut der Verzweiflung flackerte. Dann die Hände, die fieberhaft die Waffen bedienten, während das Mündungsfeuer sich so klar und deutlich vor dem blauen Himmel abzeichnete, als wäre es heißer und heller als die Sonne.

Jimmy ging auf das rechte Knie, den schweren Zwilling an der Schulter. Er zielte erst gar nicht auf einen einzelnen, sondern hielt mitten in die Gruppe hinein und zog den ersten Abzug zurück. Die Schrotladung riss zwei Männer um, ließ sie die Halde hinunterkollern. Als er den zweiten Lauf abfeuerte, warf es noch einen ins Geröll.

Doch drei standen noch, kamen wie eine Todeslawine auf ihn zu, in Rauch und Flammen gehüllt. Jimmy griff nach seinem Frontiercolt. Ein paar Meter vor ihm sah er Charley sein Gewehr wegwerfen und nach seinem Colt greifen. Er zog so schnell wie der Blitz, aber als er abdrückte, rieselten bloß Staub und Sand aus Mündung und Trommellager. Charley Olive starrte auf seinen unbrauchbaren Colt und schmiss sich dann der Länge nach wieder hinter seinen Felsen.

Jimmys Revolver war gerade aus dem Leder heraus, als er es hinter sich krachen hörte. Dieses unerwartete Geräusch erschreckte ihn so, dass er den Kopf herumriss, ehe er abdrückte. Wie Rawlins hierhergekommen war, wusste er natürlich nicht, auch nicht, wie er es in der Eile so schnell hatte schaffen können. Doch da stand Rawlins hinter ihm, die Beine breit, und hielt einen Revolver mit dem längsten Lauf, den Jimmy bei einer Faustfeuerwaffe jemals gesehen hatte. Er hielt ihn mit beiden Händen, während die Kugeln um ihn herum einschlugen. Eine riss ihm den Hut vom Kopf, eine andere nahm den halben Ärmel mit, und um seine Stiefel herum sprühten die weißen Fontänen wie kleine Sandgeysire. Doch jedes Mal, wenn Rawlins abdrückte, stürzte einer der Angreifer. Und im nächsten Moment schon wurde es totenstill.

Jimmy richtete sich langsam auf, den Frontiercolt immer noch in der Hand. Rawlins saß jetzt auf einem Felsbrocken, den langläufigen Revolver hatte er in den Stiefelschaft gesteckt, das Gesicht auf die Hände gestützt. Charley sah sich vorsichtig um. Als sein Blick auf Jimmy fiel, grinste er.

»Du siehst noch ganz munter aus, Junge. Hast du es gut überstanden?«

»Ich glaube schon«, erwiderte Jimmy. »Scheint, als ob du es auch überstanden hast.«

Charley stand auf und klopfte sich den Dreck von den Hosen. Dann hob er seinen Colt vom Boden auf und fluchte laut. »Das ist das erste Mal, dass mich dieses alte Luder im Stich gelassen hat«, schimpfte er. »Ich hätte sie alle erledigt, wenn nicht Sand in den Mechanismus eingedrungen wäre. Ausgerechnet dann, als ich meine letzte Gewehrpatrone verschossen hatte. Ist so was überhaupt noch zu übertreffen?« Jimmy wandte das Gesicht ab. Einen Augenblick wunderte er sich, warum es ihm ziemlich gleichgültig war, was Charley ihm zu sagen oder zu erklären hatte. Es wunderte ihn sogar, warum er sich früher dafür interessiert hatte.

Emmet Bacon und Shorty Ellison tauchten gerade zwischen den Felsbrocken auf, als er diese neue Erkenntnis noch verdaute.

»Ehre sei allen Heiligen im Himmel«, murmelte Shorty. »Ihr habt tatsächlich sechs von ihnen erledigt!«

»Sie kamen so rasch und so dicht, dass wir sie kaum verfehlen konnten«, antwortete Jimmy, und jetzt musste Jimmy Conroy sogar lächeln. Die Patronengurte auf seiner Brust drückten auf einmal nicht mehr.

»Zwei sind uns trotzdem entkommen«, murmelte Emmet. »Sie stiegen aufs Pferd, als die anderen den Hang herunterstürmten. Ich glaube, ich hab' dem einen noch eine Kugel draufgebrannt; kann es aber nicht beschwören. Dowling war der andere, der uns entkommen ist.«

Rawlins stand von seinem Felsbrocken auf und steckte seinen langläufigen Revolver wieder in die Halfter, die er unter der Achsel trug.

»Ich muss mich immer nach so einer Sache ein bisschen ausruhen«, murmelte er entschuldigend. »Irgendwie wird es mir so schwach in den Knien, dass ich mich zusammennehmen muss, um mich auf den Beinen zu halten. Aber jetzt geht es wieder.« Er lächelte und zog ein blaukariertes Taschentuch aus der Hose. »Ich glaube, wir müssen weiter«, sagte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Zwei sind noch übrig. Und Wes muss zurückgeschafft werden - bis Lincoln auf jeden Fall.«

Niemand sagte etwas, und Rawlins blickte sich um.

»Charley, wie wäre es, wenn du das übernimmst?«, fragte er dann. »Und wenn du nach Lincoln kommst, kaufst du dir vielleicht eine feste Halfter für den hübschen Colt, den du mit dir herumschleppst. Und vielleicht überlegst du dir auch, wie du verhindern kannst, dass dir im entscheidenden Moment die Gewehrmunition ausgeht.«

Charley Olive lief unter seiner Kalkstaubschicht puterrot an. »Hören Sie, Rawlins, ich habe das eben genau erklärt, wie es dazu gekommen ist«, sagte er. »So etwas passiert einem Mann nur einmal in tausend Jahren.«

»Dann ist es ihm eben einmal zu oft passiert«, antwortete Rawlins. »So - und jetzt zieh ab und pass gut auf Wes auf. Wir wollen ihn nicht verlieren. Er ist ein guter Mann.«

Jimmy beobachtete Charley Olive scharf von der Seite. Einen Moment lang schien es so, als wollte Charley diese Zurechtweisung nicht unwidersprochen hinnehmen. Doch dann glitt ein Schatten über sein Gesicht und seine Augen, und er bückte sich, um sein Gewehr vom Boden aufzuheben. »Also gut, Rawlins«, murmelte er. »Da Sie einen zuverlässigen Mann für diese Aufgabe haben wollen, kann ich nicht nein sagen. Ich werde mich so rasch wieder hier einfinden, wie es möglich ist.«

»Du konzentrierst dich ganz auf die Aufgabe, Wes so rasch wie möglich nach Lincoln zu bringen«, sagte Rawlins. »Den Rest überlasse ruhig uns.«

Charley hielt sein Gewehr schräg in der Armbeuge. Er lächelte schon wieder, ein zufriedenes Lächeln, wie es schien. »Pass gut auf dich auf, Junge«, sagte er zu Jimmy. »Und behalte ja alles im Gedächtnis, was ich dir beigebracht habe.«

»Werde es kaum vergessen können«, antwortete Jimmy. »Hast ja oft und lange darüber geredet.«

Charley stelzte mit erhobenem Kopf die Halde hinunter zu der Stelle, wo die Pferde angepflockt waren. Rawlins sah ihm nach, schüttelte sich dann, als müsse er erst irgendeine Zwangsvorstellung aus seinem Geist verdrängen, um sich neuen Aufgaben zuwenden zu können.

»Wir müssen weiter«, sagte er. »Schlecht vorauszusehen, wann wir wieder auf die beiden stoßen. Aber wir sollten sie gleich in die Zange nehmen, wenn das passiert. Wir bleiben also bei der Taktik, in zwei Gruppen anzugreifen. Möchtest du gern Emmet für deine Gruppe haben, Jimmy?«

Jimmy zog an seinen Patronengurten. »Einverstanden, wenn Emmet nichts dagegen hat.«

Emmet Bacon lächelte. »Geht in Ordnung«, sagte er.

Außer Rawlins, der bei Wes blieb, stiegen sie alle wieder die Halde hinunter, um ihre Pferde zu holen. Jimmy ging, als hätte er Federn unter den Absätzen, was ihn wirklich überraschte. Denn er wusste, dass er in seinem Leben noch nie so müde und zerschlagen gewesen war wie heute.

»Hast du Angst gehabt, Jimmy?«, fragte Emmet leise. »Ich glaubte, ich würde mir jeden Augenblick in die Hosen machen, als es da oben richtig losging.«

»Mir erging es nicht viel besser«, murmelte Jimmy Conroy. »Mir zittern jetzt noch die Knochen«, meinte Shorty Ellison. »Aber das gehört wohl irgendwie dazu«, meinte Emmet Bacon. »Jeder von uns hatte Angst - selbst Rawlins. Und er hat es auch ganz ehrlich zugegeben. Rawlins ist gar kein so übler Bursche - findet ihr nicht auch? Sieht zwar nicht nach viel aus; aber ich glaube, nach dem Aussehen kann man sich nicht immer richten. Was meint ihr, Jungs?«

»Danach kann man sich wirklich nicht richten«, erwiderte Jimmy, und plötzlich mussten alle drei lachen...

  Brian Garfield: SEIN LETZTER KAMPF (Peace Officer)

Es war heiß.

Ein gelber Dunstschleier lag über der Straße. Matt Paradise kam gegen vier Uhr nachmittags nach Aztec geritten. Als er am Westrand der Stadt an einem Lebensmittelladen vorüberkam, lächelte ihm eine Lady unter ihrem Sonnenschirm hervor freundlich zu. Matt Paradise legte den Finger an die Hutkrempe und murmelte vor sich hin: »Ein freundliches Gesicht, eine verschlafene Stadt - was will man noch mehr?«

Er war ein kräftiger junger Mann. Er nahm den Hut ab, fuhr sich mit dem Hemdsärmel über die schweißfeuchte Stirn und ließ das rötliche Haar in der Sonne schimmern. Er hatte ein kühn geschnittenes Gesicht mit einer langen Narbe auf der rechten Wange. Goldene Flecken blitzten in seinen Augen. Ein Hauch von Einsamkeit umgab ihn. Auf der Hemdbrust trug er einen Amtsstern.

Er fand das Büro des Sheriffs zwischen dem Eisenwarengeschäft und dem Friseur. Hier stieg er ab und betrat mit steifen Beinen den hölzernen Gehsteig.

Er lehnte sich mit der Schulter an den Türpfosten und wartete, bis seine Augen sich an das Halbdunkel im Raum gewöhnt hatten.

»Kann ich Ihnen behilflich sein?«, kam eine Männerstimme von drinnen.

»Die Sonne scheint zu dieser Jahreszeit ziemlich grell«, erwiderte Matt Paradise. »Ich kann Sie nicht recht erkennen. Sheriff Morgan?«

»Der bin ich.«

Matt Paradise trat ein. Das Büro unterschied sich kaum von all den anderen Diensträumen der Sheriffs von Arizona.

John Morgan trug ein ausgeblichenes rötliches Unterhemd. Der leere rechte Ärmel war an der Schulter festgesteckt. Morgan war ein Mann von mittlerem Alter mit breiten Schultern. Das schüttere Haar über dem wetterharten, von vielen Furchen durchzogenen Gesicht hatte die Farbe von Salz und Pfeffer.

Das also war der legendäre Morgan, der Ordnungshüter, der das Coyotero County eigenhändig gezähmt hatte. Dieser müde und alt wirkende Mann mit dem weichen Kinn. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen. Die linke Pfand trommelte nervös auf den Schreibtisch.

Matt Paradise verbarg seine Enttäuschung hinter schmalen Augenschlitzen. Die Jahre hatten aus John Morgan eine Art Lesezeichen für einen berühmten Abschnitt in der Geschichte des Westens gemacht.

»Ich bin Paradise von den Arizona Rangers«, sagte Matt vorsichtig, sich die Enttäuschung nicht anmerken lassend. Morgan legte den Finger an den Schnurrbart. Erst jetzt schien er den Stern an der Brust des Besuchers zu sehen. Er versuchte, möglichst freundlich zu sprechen.

»Freut mich, Sie hier zu sehen.«

Paradise unterdrückte den Wunsch, sich umzudrehen und weiterzureiten.

»Sind Sie dienstlich hier, oder reiten Sie nur durch?«, fragte Morgan.

Ich reite nur durch, wollte Paradise sagen, doch er riss sich zusammen. »Dienstlich, fürchte ich.«

»Fürchten Sie, Ranger?«

Matt Paradise atmete tief ein. Warum erst lange um den heißen Brei herumgehen, armer alter Mann?

»In Ihrem Haus herrscht keine Ordnung, Sheriff«, gab er fast schroff zurück. »Ich bin hergeschickt worden, um Ihnen beim Aufräumen zu helfen.«

Er sah das Blut in Morgans Wangen schießen und hätte am liebsten weggeschaut, um nicht in die traurigen Augen des Sheriffs zu blicken.

»Sie sind noch ein Junge«, sagte Sheriff Morgan. »Ich brauche keine Hilfe von einem Anfänger, Ranger.«

»Ich fürchte, Sie werden diese Hilfe annehmen müssen. Ob es Ihnen passt oder nicht, Sheriff.«

Er sah den Trotz in Morgans Augen kommen und dachte: Du tust mir leid, Morgan, aber ich muss ganz offen sein, auch wenn's weh tut.

»Sie werden dick«, sagte er. »Wo Sie sitzen und wo Sie denken.«

Morgan starrte ihn böse an. Matt trat an den Schreibtisch. »Doc Wargo hält sich seit zwei Wochen in dieser Stadt auf. Sie haben noch nichts unternommen.«

»Stimmt«, bestätigte Morgan. »Da Wargo in diesem County gegen kein Gesetz verstoßen hat, kann ich ihm nichts anhaben.«

»Sie wissen doch, dass er wegen Mordes gesucht wird, Sheriff. Unsere Dienststelle hat Sie zweimal telegrafisch aufgefordert, Wargo festzunehmen und zur Verhandlung nach Prescott zu bringen.«

Morgan stieß einen langen Seufzer aus.

»Sie sind jung und ungeduldig, Ranger, und Sie haben noch viel zu lernen. Das Leben in diesem Land ist nicht leicht, junger Freund, und wenn man überleben will, muss man einsehen, dass man schlafende Pfunde lieber nicht wecken sollte. Ich bin hier ganz allein und habe keinen Deputy. Vor einem Jahr ist mir bei einem Kampf der rechte Arm zerschossen worden. Glauben Sie denn, ich hätte die geringste Chance, wenn ich was gegen Wargo und seine Bande unternähme?«

»Bande?«, fragte Matt Paradise. »Meines Wissens hat er nur einen Mann bei sich.«

»Ernie Crouch ist kein alltäglicher Mann. Er ersetzt eine ganze Bande. Ranger.«

»Und Sie sitzen einfach herum und rühren keinen Finger.«

»Sie können natürlich machen, was Sie wollen, Ranger«, brummte Morgan. »Aber es ist schade, dass Sie einen so weiten Ritt zurückgelegt haben, um hier ins Gras zu beißen. Die beiden haben hier nichts angestellt, und folglich hatte ich keine Veranlassung einzuschreiten. So verstehe ich meinen Dienst.« Er schüttelte den Kopf. »Reiten Sie heim, mein Junge. Gegen Wargo und Crouch kommen Sie nicht an.«

»Woher wissen Sie das, Sheriff?«, fragte Paradise leise, »Sie haben es ja noch gar nicht versucht.«

Er erwartete, dass der Sheriff explodieren würde, doch der sah ihn nur an, als zweifelte er an seinem Verstand.

»Jeder, der bisher versuchte, Doc Wargo das Handwerk zu legen, wurde von ihm niedergeschossen. Verstehen Sie eigentlich, was ich Ihnen da sage, junger Mann? Hatten Sie sich schon mal mit einem solchen Fall zu beschäftigen?«

»Vielleicht.«

»Und Sie glauben wirklich, Sie könnten mit Wargo und Crouch fertig werden?«

»Sonst wäre ich ja nicht hier«, antwortete Matt Paradise. Morgan warf einen Blick auf die beiden Colts des Rangers. »Für wie gut mit der Waffe halten Sie sich eigentlich?«

»Gut genug. Ich lebe noch.«

»Schön. Wie Sie wollen.«

Matt Paradise beugte sich vor und stemmte die Hände auf den Schreibtisch. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von Morgans entfernt.

»Macht es Ihnen denn gar nichts aus, Sheriff? Überhaupt nichts? All diese Legenden über John Morgan... Sind das lauter Lügen?«

Morgan packte mit der linken Hand die Tischkante. »Legenden gehören der Vergangenheit an, mein Junge. Das liegt weit zurück. Ich will Ihnen mal sagen, was ein vernünftiger Mensch tut. Sobald ein Mann wie Doc Wargo in die Stadt kommt, geht man in Deckung und verkriecht sich wie ein Hase vor dem Wirbelsturm. Denn der Wirbelsturm zieht früher oder später vorüber. Auch Wargo wird weiterziehen, und wenn er nicht herausgefordert wird, kommt es zu keinem Blutvergießen.«

»Und dieses Risiko wollen Sie eingehen?«

Morgan lehnte sich zurück und sah ihn forschend an.

»Sagen Sie mal, wie vertreiben Sie sich eigentlich die Zeit, Ranger? Reiten Sie immer durch die Gegend, um die Gefahr zu suchen?«

»Die Gefahr und ich sind alte Freunde«, erwiderte Paradise. »Wir verstehen uns.«

»Sicher.«

»Ich werde Doc Wargo verhaften«, sagte Paradise. »Wollen Sie mir dabei helfen?«

»Ich werd's mir überlegen.« Der Sheriff wandte sich ab und griff zur Zeitung.

»Sie haben genau fünf Sekunden Zeit«, sagte Paradise.

Der Sheriff blickte auf, aber ehe er zu einer Erwiderung ansetzen konnte, fiel ein Schatten durch die offene Tür. Paradise drehte sich um und musterte das Mädchen.

Sie hatte lange Wimpern. Dunkles Haar umrahmte das anmutige Gesicht. Paradise wusste, dass er einer so schönen Frau noch nie im Leben begegnet war.

Bei seiner Musterung stieg ihr die Röte ins Gesicht. Unvermittelt lächelte sie strahlend. Es war wie ein Kuss.

»Willst du was, Terry?«, fragte Morgan gereizt.

Sie hatte eine tiefe Stimme.

»Nichts von Belang, Vater«, antwortete sie, ohne den Blick von Paradise zu wenden. »Ich wusste nicht, dass du Besuch hast. Bis später.«

Sie wandte sich um, sah Paradise noch einmal an und ging hinaus.

»Meine Tochter«, sagte Morgan überflüssigerweise. Er stand ächzend auf. »Ich bringe Sie jetzt zum Occidental. Dort ist Wargo abgestiegen.«

»Sie werden mir den Rücken decken?«

»Das weiß ich nicht.« Der Sheriff setzte seinen Hut auf. »Kommen Sie.«

Als sie auf die Straße traten, verschwand Terry gerade um die Ecke. Sie trug eine Reithose und eine knappsitzende Bluse.

»Ihr Pferd?«, fragte Morgan.

»Ja.«

»Prächtiges Tier. Was soll ich damit anfangen, wenn Sie tot sind?«

»Geben Sie es Ihrer Tochter«, antwortete Paradise und wandte sich ab.

Morgan holte ihn ein und ging neben ihm her. Die Sonne brannte erbarmungslos.

Das Occidental war das größte Gebäude der Stadt.

Spieltische - Saloon - Tanz.

So stand es auf dem Schild über dem Eingang. Anscheinend konnte man in den Zimmern im Obergeschoss wohnen.

Es war halb fünf. Durch die Fenster in der Westwand fiel die Sonne in den langen Raum. Hinter der Theke stand ein Barkeeper und polierte Gläser. An einem Tisch spielten drei Männer Karten.

Paradise erkannte Wargo nach den Abbildungen auf den Steckbriefen. Er war ein Mann mit rabenschwarzem Haar. Er trug weder Jacke noch Hut. Zigarrenrauch quoll aus seinem Mund und aus der Nase. Er blickte den beiden entgegen. Rechts neben Wargo saß ein hagerer Mann, anscheinend der Spieler des Hauses. Auf der linken Seite saß der größte Mann, den Paradise je gesehen hatte. Das musste Ernie Crouch sein. Er wirkte hart wie Granit. Er hatte verschlagene, schmale Augen, und er schien ein wandelndes Arsenal zu sein. Mehrere Messer und Revolver steckten in seinem Gürtel, in den Stiefelschäften und in eigens dafür angebrachten Taschen der Hose. Sein Hintern war so breit, dass er auf zwei Stühlen sitzen musste.

»Hallo, Sheriff«, sagte Doc Wargo mit einer für seine zierliche Gestalt erstaunlich tiefen Stimme. »Wo stecken Sie denn die ganze Zeit?« Als Morgan keine Antwort gab, brummte er: »Wie ich höre, werden Sie langsam alt.«

Morgans Lider zuckten. Paradise trat einen Schritt vor. Wargo bemerkte seinen Gesichtsausdruck und schickte sich an aufzustehen.

»Sitzen bleiben!«, befahl Paradise kalt.

Wargos Augen glitzerten wie die einer Schlange. Die Schnurrbartenden hingen ihm über die Mundwinkel herab.

»Was soll das...?«

Sheriff Morgan trat hinter Paradise und drückte ihm den Colt in die Rippen.

»Ich hab's mir überlegt«, sagte er ruhig. »Es ist meine Pflicht, hier für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Folglich kann ich nicht zulassen, dass diese beiden Sie umbringen.«

Paradise biss die Zähne zusammen.

»Sie sind ab sofort Ihres Amtes enthoben, Sheriff.«

»Vielleicht.«

War go lächelte gemütlich.

»Was hat das alles zu bedeuten?«

Paradise kümmerte sich nicht um den Colt des Sheriffs. Er wandte sich an Wargo.

»Was ist aus Carlos Ramirez geworden?«

»Ich habe ihn getötet.«

»Warum?«

»Hab' ich vergessen«, antwortete Wargo; sein Lächeln wurde schmal. »Sie sollten sich lieber entschuldigen und verschwinden.«

»Er ist Ranger, Doc«, sagte Ernie Crouch, ohne sich auf den beiden Stühlen zu bewegen.

»Das sehe ich selbst«, sagte Wargo brummig. »Ramirez war ebenfalls Ranger, nicht wahr?«

»Ja«, erwiderte Paradise.

»Verschwinden Sie«, brummte Wargo. »Ehe Sie mich zwingen, Sie umzubringen.«

Paradise warf einen Blick über die Schulter auf Morgan, dessen Colt noch immer auf ihn gerichtet war.

»Es werden andere kommen!«

Er trat einen Schritt zurück und stieß mit dem Ellbogen die Waffe zur Seite. Dann wirbelte er herum, entriss dem überraschten Morgan den Revolver und drängte ihn an die Theke zurück. Morgan hielt sich nur mit Mühe auf den Beinen. Paradise drehte sich wieder um.

»Sie sind ver...«

Crouch war wie eine Raubkatze herangeschlichen und schlug ihm den Colt aus der Hand. Er versetzte Paradise einen Schlag ins Gesicht und warf ihn gegen die Theke. Paradise erblickte ein volles Whiskyglas auf der Bar und streckte die Hand danach aus. Im Hintergrund hörte er Wargo lachen. Paradise schüttete Crouch den scharfen Fusel ins Gesicht.

Der Mann schrie und schlug die Hände vor die brennenden Augen. Paradise sprang zu und versetzte ihm einen Handkantenschlag auf die Nase. Das Nasenbein brach knirschend. Blut lief auf Paradises Hand. Er spürte einen stechenden Schmerz, als hätte er gegen eine Mauer geschlagen, aber Crouch wich zurück.

Paradise hielt noch das leere Glas in der Hand. Er hieb das dickwandige Gefäß Crouch auf den Kopf. Der große Mann ging auf die Bretter.

Paradise ließ das Glas fallen und zog den Colt.

Aber da war schon Doc Wargos vernickelter Revolver auf ihn gerichtet. Wargo saß auf seinem Stuhl und schmunzelte. »Gute Arbeit.«

Sein Blick war auf den wie betäubt neben der Bar liegenden Crouch gerichtet. Sein Gesicht wurde plötzlich hart.

»Ich bin heute bei guter Laune und jage Ihnen deshalb nicht an Ort und Stelle eine Kugel in den Bauch«, sagte er eisig. »Aber denken Sie daran, Ranger. Ihre nächste Herausforderung nehme ich an!«

»Darauf werden Sie nicht lange zu warten brauchen«, versprach Paradise.

»Ich sehe Sie schon mit blutigem Gesicht auf dem Friedhof liegen«, sagte Wargo. »Bis zum Morgengrauen haben Sie Zeit, aus der Stadt zu verschwinden.«

Paradise rieb sich die geprellte Hand.

»Na schön, dann treffen wir uns also im Morgengrauen. Wenn Sie einen Funken Verstand im Kopf haben, verschwinden Sie vorher.«

»Ich soll vor Ihnen ausreißen?«

»Wie Sie wollen, Wargo.«

»Raus!«, befahl Wargo leise.

Er hob den Revolver ein wenig.

Morgan schlurfte heran und legte Paradise die Hand auf den Arm.

»Komm, Junge. Gegen seinen Revolver bist du machtlos.«

Auf der Straße drehte Paradise sich noch einmal um, als erwartete er, dass Wargo ihm folgen würde.

»Bis zum Morgengrauen hast du nichts von ihm zu befürchten«, sagte Morgan. »Er ist ein Verbrecher, aber er hält sein

Wort. Du hast zwölf Stunden Zeit. Schwing dich auf dein Pferd und reite.«

Das Gesicht des Sheriffs war schweißnass.

»Du brauchst nicht weiterzumachen, Paradise. Das nimmt dir hier niemand übel!«

»Aber ich mir.«

»Du kannst diesen Kampf nicht gewinnen, Mann!«

»Danach kann man sich nicht immer richten. Bedeutet Ihnen Ihr Stern denn gar nichts?«

Morgan wandte den Kopf ab. Nackte Angst stand in seinen Augen.

»Sie werden das nicht gern hören, Sheriff, und ich sage es auch nicht gern, aber Sie sollten sich verdammt schnell über Ihre Lage klarwerden. Wenn Sie mir morgen nicht helfen, verlieren Sie Ihren Posten und landen hinter Gittern.«

Morgan wich seinem Blick noch immer aus.

»Ich bin schon so gut wie tot, Paradise. Ich habe nur nicht den Mut, mich hinzulegen.« Der einarmige Sheriff drehte sich um und ging langsam die Straße hinunter.

»Gefällt dir mein Kleid?«, fragte seine Frau.

»Es passt genau zu deinem Haar«, sagte Morgan.

»John, du hast gar nicht hingesehen.«

Schweiß lief über Morgans rotes Gesicht. Er starrte aus dem Schlafzimmerfenster. Es war kurz vor Sonnenuntergang und noch immer unerträglich heiß.

»Angst gehört genauso zum Menschen wie das Atmen«, sagte sie.

»Willst du endlich ruhig sein?«, fragte er und fügte sofort hinzu: »Tut mir leid, Kit. Das hast du nicht verdient.«

»Komm, setz dich zu mir. Bitte, John.«

Er setzte sich zu ihr aufs Sofa und legte den Arm um ihre Schulter. Ihr Kopf ruhte an seiner Brust.

»Du kannst alles, was du willst.«

»Sicher.«

»Der Ranger«, sagte sie. »Hat er überhaupt eine Chance?«

»Ich bin Sheriff, kein Orakel. Gegen Ernie Crouch hat er sich gut gehalten. Vielleicht schafft er es. Er sieht nicht so aus, als würde er den Kürzeren ziehen. Aber das trifft natürlich auch auf Doc Wargo zu.«

Er stand auf und blieb vor dem Spiegel stehen.

»Ich erkenne diesen Mann kaum noch«, sagte er mit einem Blick auf sein Spiegelbild. Dann wandte er sich seiner Frau zu. »Sieh mich an, Kit. Sieh mich genau an.«

Seine Lippen zuckten.

»Ich habe bei dem Kampf vergangenes Jahr mehr als nur den Arm verloren. Nämlich den Mut.« Seine Stimme wurde schrill. »Soll sich der Dummkopf doch erschießen lassen! Soll er sein Leben seinem dummen Stolz opfern! Soll er...«

»John! Reiß dich zusammen!«

»Warum denn?«, fragte er. »Warum?«

Als die Hitze gegen acht Uhr ein wenig nachgelassen hatte, ging Matt Paradise zum Haus des Sheriffs. Er trug ein sauberes Hemd mit einer schwarzen Querschleife und eine dunkle, schon recht abgewetzte Jacke.

Die Tochter des Sheriffs öffnete. Paradise sah das Mädchen schweigend an.

»Mein Vater ist im Wohnzimmer«, sagte sie. »Ich hole ihn.«

»Ich bin nicht gekommen, um Ihren Vater zu sprechen, Terry.«

Sie trug ein taubengraues Kleid. Eine Spange steckte in ihrem dunklen Haar.

»Sie sind gekommen, um mir den Hof zu machen«, sagte sie. Er hielt ihr lächelnd die Hand hin. Sie zögerte einen Augenblick, ehe sie sie ergriff.

»Sie sind die Verkörperung des Versprechens, das ich mir als Junge selbst gegeben habe«, sagte er.

»Das muss schon sehr lange her sein.«

Er zog sie an sich. Sie schloss die Haustür, und sie gingen Hand in Hand die Straße hinunter. Schweigend kamen sie zu einer Baumgruppe. Matt Paradise schob ihr eine Locke aus der Stirn.

»Sie möchten mich küssen, nicht wahr?«, fragte sie lächelnd.

»Ja.«

»Warum sehen Sie mich dann bloß an und tun es nicht?«

Sie schmiegte sich an ihn, und er küsste sie. Behutsam glitten seine Hände über ihr Haar. Es war ein zarter Kuss, aber er ging ihm durch und durch.

Lächelnd verbarg sie das Gesicht an seiner Brust. Er war wie berauscht von ihr.

»Erleben das alle Menschen, oder ist es nur uns beiden Vorbehalten?«, fragte sie leise.

»Stell jetzt keine Fragen.«

»Gut.«

»Ich bin verrückt nach dir«, sagte er.

»Ich weiß. Eine Frau spürt es, wenn sie geliebt wird.« Unvermittelt wich sie einen Schritt zurück. »Ich kann nicht atmen, wenn ich so nahe bei dir bin.«

Er wollte sich an der Haustür von ihr verabschieden, aber die Mutter kam heraus.

»Möchten Sie nicht hereinkommen?«

»Nein, danke«, erwiderte Paradise.

»Wäre es Ihnen unangenehm, wenn ich Sie darum bitte?«

Sie trat zur Seite. Sie hatte einen noch erstaunlich jugendlichen Körper.

John Morgan ging im Wohnzimmer auf und ab. Bei Paradises Eintreten blieb er stehen.

»Na also«, sagte er.

»Ich werde ihn heiraten«, erklärte Terry.

»Dann musst du dich aber ranhalten«, brummte der Vater. »Morgen früh ist er wohl kaum noch am Leben.«

»Man kann alle Schönheiten des Lebens in einer einzigen Nacht auskosten«, sagte sie mit einem Blick auf Paradise. Morgan fluchte. Wütend ballte er die Faust und hob den Arm. Seine Frau stellte sich vor ihn.

»Sie ist jetzt eine Frau, John.«

»Ich weiß.«

»Und sie braucht, was alle Frauen brauchen.«

Mrs. Morgan drehte sich zu Paradise um.

»Sie haben eine wundervolle Tochter«, sagte er.

»Ja, das glaube ich auch.«

»So etwas kommt nicht von ungefähr«, murmelte Paradise. »Danke«, flüsterte Mrs. Morgan.

»Mein Gott!«, brauste Morgan auf. »Terry! Hast du denn überhaupt eine Ahnung, was es heißt, einen Ranger zu heiraten? Er zieht von einer Stadt zur anderen, von einer Gefahr zur anderen...«

»Ich weiß«, sagte sie ruhig.

»Wie lange hast du darüber nachgedacht? Wie lange hast du zu dieser Entscheidung gebraucht? Zwei Stunden? Zehn Minuten?«

»Ich hatte genügend Zeit!« Sie blickte ihrem Vater fest in die Augen. »Weißt du denn, was es bedeutet zu lieben?«

»Ich habe deine Mutter seit Jahren gekannt, ehe ich sie heiratete.«

»Danach habe ich nicht gefragt.«