In Schuld verstrickt? - Patricia Vandenberg - E-Book

In Schuld verstrickt? E-Book

Patricia Vandenberg

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Beschreibung

Für Dr. Norden ist kein Mensch nur ein 'Fall', er sieht immer den ganzen Menschen in seinem Patienten. Er gibt nicht auf, wenn er auf schwierige Fälle stößt, bei denen kein sichtbarer Erfolg der Heilung zu erkennen ist. Immer an seiner Seite ist seine Frau Fee, selbst eine großartige Ärztin, die ihn mit feinem, häufig detektivischem Spürsinn unterstützt. Dr. Norden ist die erfolgreichste Arztromanserie Deutschlands, und das schon seit Jahrzehnten. Mehr als 1.000 Romane wurden bereits geschrieben. Die Serie von Patricia Vandenberg befindet sich inzwischen in der zweiten Autoren- und auch Arztgeneration. Es war Samstagnachmittag, als bei Dr. Norden privat das Telefon läutete. Fee seufzte. Sie hatten gerade gegessen, und sie wußte, daß es von den Angehörigen niemand sein würde, da man da Rücksicht auf den geplagten Arzt nahm, der schwere Wochen hinter sich hatte, weil eine ominöse Kopfgrippe grassierte, die man noch immer nicht richtig in den Griff bekommen hatte. Selbst Fee war ein paar Tage von heftigen Kopfschmerzen geplagt worden, was sie sonst gar nicht kannte, aber sie hatte schon bei den ersten Anzeichen zu den guten Heilmitteln, die Daniel Nordens Vater aus Kräutern entwickelt hatte, gegriffen, und so war sie bald kuriert. Was Fee dann am meisten wurmte, war die Tatsache, daß diese Mittel nicht von den Krankenkassen anerkannt und erstattet wurden. Sie wären nicht klinisch erprobt, hieß es dann, und so kamen nur diejenigen in den Genuß, die gern aus der eigenen Tasche zahlten.Auch wenn Fee sich auf einen geruhsamen Nachmittag mit ihrem Mann gefreut hatte, so griff sie doch zum Hörer und meldete sich.»Bitte, Frau Doktor, mein Mann kriegt keine Luft mehr«, stammelte eine ängstliche Stimme.»Name und Adresse, bitte«, sagte Fee hastig.»Meinhart, Klingerstraße vier. Dr. Norden kennt meinen Mann.»Meinhart, Klingerstraße vier«, wiederholte Fee deutlich, so daß es auch Daniel hören konnte, der mit den Kindern spielte.»Was ist mit ihm?« fragte er.»Er bekommt keine Luft«, erwiderte Fee, und schon sprang Daniel auf. »Ein Notfall, versteh es bitte«, sagte er, und eilte davon.Sie folgte ihm. »Fahr doch schon voraus mit den Kindern«, rief er ihr zu.

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Dr. Norden Bestseller – 274 –

In Schuld verstrickt?

Patricia Vandenberg

Es war Samstagnachmittag, als bei Dr. Norden privat das Telefon läutete. Fee seufzte. Sie hatten gerade gegessen, und sie wußte, daß es von den Angehörigen niemand sein würde, da man da Rücksicht auf den geplagten Arzt nahm, der schwere Wochen hinter sich hatte, weil eine ominöse Kopfgrippe grassierte, die man noch immer nicht richtig in den Griff bekommen hatte. Selbst Fee war ein paar Tage von heftigen Kopfschmerzen geplagt worden, was sie sonst gar nicht kannte, aber sie hatte schon bei den ersten Anzeichen zu den guten Heilmitteln, die Daniel Nordens Vater aus Kräutern entwickelt hatte, gegriffen, und so war sie bald kuriert. Was Fee dann am meisten wurmte, war die Tatsache, daß diese Mittel nicht von den Krankenkassen anerkannt und erstattet wurden. Sie wären nicht klinisch erprobt, hieß es dann, und so kamen nur diejenigen in den Genuß, die gern aus der eigenen Tasche zahlten.

Auch wenn Fee sich auf einen geruhsamen Nachmittag mit ihrem Mann gefreut hatte, so griff sie doch zum Hörer und meldete sich.

»Bitte, Frau Doktor, mein Mann kriegt keine Luft mehr«, stammelte eine ängstliche Stimme.

»Name und Adresse, bitte«, sagte Fee hastig.

»Meinhart, Klingerstraße vier. Dr. Norden kennt meinen Mann.«

»Meinhart, Klingerstraße vier«, wiederholte Fee deutlich, so daß es auch Daniel hören konnte, der mit den Kindern spielte.

»Was ist mit ihm?« fragte er.

»Er bekommt keine Luft«, erwiderte Fee, und schon sprang Daniel auf. »Ein Notfall, versteh es bitte«, sagte er, und eilte davon.

Sie folgte ihm. »Fahr doch schon voraus mit den Kindern«, rief er ihr zu.

»Kommt gar nicht in Frage«, rief sie zurück.

Eigentlich hatten sie einen kleinen Ausflug eingeplant und wollten die Heislers in Ammerland besuchen, aber so wichtig fand Fee das nun auch wieder nicht, denn Jochen und Ruth Heisler, die einen Urlaub in Bayern verbrachten, waren selbst Ärzte und wußten, was alle guten Vorsätze umwerfen konnte.

Die Norden-Kinder waren auch daran gewöhnt und nahmen es gelassen.

Danny hatte Radio gehört und meinte, daß sowieso viel Verkehr sei, auch schon ein paar Staus wegen schwerer Unfälle. »Da ist es zu Hause gemütlicher, Mami«, meinte Danny und setzte seine Kopfhörer wieder auf. Anneka spielte mit den Zwillingen. »Allein, ohne Papi fahren wir doch nicht, Mami?« fragte sie.

»Bestimmt nicht«, erwiderte Fee.

»Außerdem kommt heute ein tolles Kinderprogramm im Fernsehen«, warf Felix ein. »Und Regen ist auch schon wieder angekündigt.«

Die Kinder maulten nicht. Sie suchten sich immer das Bestmögliche heraus, wenn etwas nicht so klappte wie geplant, denn wann konnte man schon mal planen, wenn man einen engagierten Arzt zum Vater hatte.

Daniel Norden wußte, daß er sich auf seine Frau verlassen konnte, denn Fee, die ja selbst Ärztin war, wenn sie auch nicht mehr praktizierte, war voller Verständnis. Das war ihm Beruhigung und zugleich auch Antrieb, jenen zu helfen, die so viel Verständnis nicht erfuhren, und dazu gehörte in gewissem Sinne auch Peter Meinhart.

Dr. Daniel Norden kannte ihn bisher nur aus der Praxis, denn einen Hausbesuch hatte er noch nicht zu machen brauchen. Und Peter Meinhart war ein Patient, bei dem man schwer eine richtige Diagnose stellen konnte, wollte man davon absehen, daß er zu den ernstzunehmenden Allergikern gehörte, die schon geschädigt wurden, wenn im weiten Umkreis gedüngt wurde. Jetzt aber war die Zeit dafür noch nicht, und die Luft war eigentlich in keinster Weise atemraubend, sondern durch die häufigen Niederschläge gereinigt zu nennen.

Peter Meinhart war sechsunddreißig Jahre alt, seine Frau Susi sechs Jahre jünger, und die beiden Kinder Tim und Nina waren fünf und drei. Peter Meinhart war Ingenieur in einem großen Elektrokonzern, und sie waren erst vor einem halben Jahr nach München gezogen, weil Peter hierher versetzt worden war. Manchmal hatte es Peter Meinhart schon bereut, weil er in Berlin seltsamerweise nicht unter solchen Allergien gelitten hatte.

Als Dr. Norden das Haus Klingerstraße 4 betrat, vernahm er ein Miauen, aber zu sehen waren keine Katzen. Das Haus war komfortabel gebaut und hatte sechs Vierzimmerwohnungen, die bestens ausgestattet waren, wie Daniel Norden gleich feststellen konnte, als Susi Meinhart ihn einließ. Sie war eine hübsche Frau und sehr schick gekleidet.

»Nett, Sie auch kennenzulernen, Herr Doktor«, sagte sie lässig, »aber mein armer Peter sieht schrecklich aus. Ich weiß nicht, was ihn jetzt wieder plagt. Der Heuschnupfen ist es diesmal nicht. Er hat gleich inhaliert, aber viel hat das nicht genützt.«

Daniel Norden überlegte blitzschnell. »Sie haben Katzen?« fragte er.

»Nein, wir nicht. Gott bewahre mich, das nicht auch noch. Meine Kinder halten mich genug in Trab. Aber vorgestern sind neue Mieter über uns eingezogen, die haben Katzen. Worauf wollen Sie hinaus?«

»Daß Ihr Mann auch eine schwere Katzenallergie haben könnte, Frau Meinhart.«

»Was denn noch?« seufzte sie. »Man kann ihn doch nicht in ein Glashaus setzen.«

»Das nicht, aber einmal einen gründlichen Test sollte man machen und dann tunlichst alles vermeiden, was schädlich ist.«

»Mitbewohnern etwa das Halten von Haustieren verbieten?« fragte Susi Meinhart. »Haben Sie eine Ahnung, was man sich da einhandeln kann?«

»Man kann doch mit Nachbarn vernünftig reden«, sagte Daniel.

»Das meinen Sie, wir haben da schon andere Erfahrungen gemacht. Da ging es zwar immer um die Kinder, die ja manchmal schreien oder auch toben, und ich meine, daß Kinder doch noch wichtiger sind als Tiere, aber nicht jeder denkt so. Und ein Haus können wir uns leider noch nicht leisten, wo wir so leben können, wie es uns gefällt und wie es Peter bekommt. Aber weiß man denn, worauf er noch so erschreckend reagieren könnte? Wie kann man das ausschalten oder dem vorbeugen? Ich kenne meinen Mann schon lange, aber früher hat er ab und zu mal nur ein paar rote Flecken oder Frieseln gehabt, aber das war immer schnell vorbei. Schauen Sie sich ihn an.«

Peter Meinhart sah schlimm aus, aber größere Sorge bereitete Dr. Norden die Atemnot, die zeitweise fast zu Erstickungsanfällen führte. Eine Injektion brachte ihm zwar bald Erleichterung, aber wenn die Ursache nicht gefunden und aus der Welt geschafft wurde, nützte das nicht viel.

»Könnten Sie nicht wenigstens für ein paar Tage wegfahren?« fragte Dr. Norden.

»Ich muß doch Montag wieder arbeiten«, erwiderte Peter keuchend.

»Ich kann Sie krankschreiben und in eine Klinik einweisen«, schlug Dr. Norden vor.

»Du liebe Güte, das nicht auch noch! Ich kriege ja Komplexe«, stöhnte Peter.

»Solche Allergien sind nicht leichtzunehmen. Sie sind eine schwere Krankheit, wenn sie so massiv auftreten.«

»Ich verstehe das überhaupt nicht. Mit den Katzen bin ich doch gar nicht in Berührung gekommen.«

»Es kann verschiedenes zusammentreffen«, erklärte Dr. Norden. »Jedenfalls fehlen Ihnen Abwehrstoffe, und das muß geklärt werden.«

»Aber dazu muß ich doch nicht in die Klinik«, widersprach Peter.

»Besser wäre es schon«, meinte Dr. Norden, und Susi Meinhart fügte hinzu: »Wenn es Dr. Norden für richtig hält, wirst du es auch machen, Peter. Und jetzt fahren wir zu meinen Eltern nach Gmund.«

»Um Himmels willen, wenn die mich so sehen, fürchten sie gleich, daß es ansteckend ist«, wehrte Peter ab.

Susi seufzte. »Man kommt ihm nicht bei, Sie hören es, Herr Doktor.«

»Dabei kann die Rötung abklingen, bis Sie in Gmund sind«, munterte ihn Dr. Norden auf. »Hier, diese Tropfen tragen auch dazu bei und die Emulsion ebenfalls.«

»Sie sind wohl auf alles eingerichtet«, sagte Peter Meinhart. »Ich muß mich bedanken, daß Sie gleich gekommen sind.«

»Mir war wirklich himmelangst«, sagte Susi entschuldigend. »Es ist so schlimm, wenn man nicht weiß, wie man helfen kann.«

»Auf jeden Fall sollten Sie immer Medikamente für den Notfall dabei haben«, erklärte Dr. Norden. »Und wie schon gesagt, ein gründlicher Test kann Aufschluß geben.«

Er verabschiedete sich, und die Meinharts versprachen, gleich nachmittags nach Gmund zu fahren.

Als Dr. Norden die Wohnung verlassen hatte, saßen Tim und Nina, die beiden Kinder der Meinharts, auf der Treppe und spielten mit zwei niedlichen kleinen Katzen.

»Tag, Onkel Doktor, sind die nicht süß?« fragte Tim, der Fünfjährige.

»Sie sind niedlich, aber euer Papa reagiert allergisch auf Katzenhaare.« Jetzt war sich Daniel Norden ziemlich sicher, daß diese die schlimme Allergie ausgelöst hatten.

»Was erzählen Sie denn da für einen Unsinn«, ertönte eine helle Frauenstimme.

Sie war jung, schlank und blond, und als sich Dr. Norden zu ihr umdrehte, wurde ihre Miene freundlicher.

»Das ist kein Unsinn, sondern eine Tatsache, und die Kinder sollten deshalb nicht mit den Katzen spielen. Vielleicht sehen Sie Herrn Meinhart mal mit dieser Allergie.«

»Das ist nämlich Dr. Norden, Frau Grill«, sagte Tim, während die kleine Nina den Arzt ganz ängstlich anschaute.

»Papi sieht aus wie mit Masern«, flüsterte Nina.

»Aber daran sind doch meine Katzen nicht schuld, und außerdem habe ich den Kindern nicht gesagt, daß sie mit ihnen spielen sollen. Verbieten kann man es mir ja wohl nicht, Katzen zu halten.«

Daniel Norden wollte sich nicht in ein Wortgefecht einlassen. »Geht jetzt zu euren Eltern«, sagte er zu den Kindern, und die trollten sich auch gleich betrübt. Und da waren die Katzen dann auch blitzgeschwind verschwunden. Britta Grill warf Dr. Norden einen koketten Blick zu. »Jedem Menschen Recht getan ist eine Kunst, die niemand kann«, sagte sie. »Die einen haben Kinder, die herumtoben, andere haben Haustiere. Nun, wenn ich einen Arzt brauchen sollte, weiß ich wenigstens, an wen ich mich wenden kann.«

Dr. Norden hatte es mächtig eilig, nun aus dem Haus zu kommen, denn er kannte diese Kategorie Frauen zur Genüge, und es ging ihm durch den Kopf, wie diesem Peter Meinhart zu helfen sein könnte. Aber bald wurde er abrupt auf ganz andere Gedanken gebracht, denn eine Radlerin wollte in eine Seitenstraße einbiegen, die Vorfahrtstraße war, und da kam ein flotter Sportwagen im schnellen Tempo und streifte sie, so daß sie im hohen Bogen über die Straße flog. Der Wagen raste ohne anzuhalten weiter.

Dr. Norden war nur einen Augenblick starr vor Schrecken, denn er kannte diesen Wagen, aber jetzt war keine Zeit für Überlegungen, denn es schwebte da eine junge Frau in höchster Lebensgefahr. Zum Glück kam ein älterer Mann aus einem Haus, den Dr. Norden kannte.

»Schnell den Notarzt, Herr Barth«, rief ihm Dr. Norden zu und auch die Telefonnummer, und Herr Barth eilte darauf sofort wieder ins Haus.

Dr. Norden leistete Erste Hilfe, aber die Verletzte hatte nur noch einen ganz schwachen Puls. Daniel Norden atmete auf, als schon der Notarztwagen nahte und dazu auch die Funkstreife.

»Erklärungen später«, sagte er zu den Beamten, die ihn kannten, da sie schon so manches Mal mit ihm zu tun hatten. »Schwere Verletzungen, die sofort behandelt werden müssen. Ich fahre schon voraus zur Behnisch-Klinik«, und er gab dem jungen Arzt und dem Sanitäter Anweisungen, was sie während der Fahrt tun mußten.

Es war wieder mal ein Samstag, den Dr. Norden nicht so schnell vergessen würde. Und Dr. Behnisch seufzte abgrundtief, aber er sagte nichts, als die Verletzte gebracht wurde. Schwester Dora rief Fee Norden an, während sich die Ärzte nun um die junge Frau bemühten. Sehr jung mochte sie noch sein und zum Glück recht sportlich, wie der schlanke aber durchtrainierte Körper verriet. Sie wurde künstlich beatmet, und die Ärzte atmeten auf, als der Herzschlag kräftiger wurde.

Aber sie wußten doch nicht, ob sie überleben würde, da schwere innere Verletzungen nicht auszuschließen waren, und sie wußten auch nicht, wie sehnsüchtig die Patientin von ihren Eltern erwartet wurde.

*

Das Ehepaar Winnie und Karl Grothus hatte sich ein hübsches Häuschen am Waldesrand gekauft, als der Flugkapitän Grothus wegen eines Augenleidens vorzeitig in Pension geschickt worden war. Ihm war das schon arg gewesen, und so hatte Winnie, seine noch immer hübsche Frau, ihm nicht gezeigt, wie froh sie war, nicht mehr so um ihn bangen zu müssen. Und sie war so oft und so viel allein gewesen, daß sie es genoß, ihn nun täglich um sich zu haben und ihn umsorgen zu können.

Sie fühlten sich wohl hier am Stadtrand, fern von allem Getriebe, und ihre einzigen Tochter Henrike hatten sie ein kleines Appartement gekauft in der Nähe der Technischen Hochschule, denn Henrike studierte Architektur, und da sie eine ausgezeichnete Leichtathletin war, die man als eine Hoffnung für die Olympiade bezeichnete, mußte sie ihre Zeit zwischen Studium und Training gut aufteilen und konnte ihre Eltern nur am Wochenende besuchen.

Winnie war das nicht so ganz recht, aber sie wollte Henrike nicht dreinreden, und das wäre auch nutzlos gewesen, denn schon frühzeitig hatte Henrike einen starken Willen entwickelt.

Jetzt ging Winnie den Gartenweg auf und ab, auf Schritt und Tritt von Tobby, dem Terrier, verfolgt, der jetzt ganz unentwegt leise vor sich hin knurrte.

»Wo Ricky nur bleibt«, sagte Winnie besorgt, »Tobby ist auch so unruhig.«

»Ist ja auch eine richtige Schnaps­idee, die weite Strecke mit dem Rad zu fahren«, brummte Karl Grothus, der nicht wie ein Frührentner aussah mit seiner kräftigen und sehr elastischen Figur, nur mußte er jetzt eben immer eine dunkelgetönte Brille tragen.

»Ist doch Training für Ricky«, ergriff Winnie sogleich Partei für ihre Tochter. »Und es ist doch gutes Wetter.« Aber Sorgen machte sie sich trotzdem.

Karl Grothus blickte auf die Uhr. »Sie wollte vor zwei Stunden losfahren«, sagte er rauh, »sie hat doch vorher angerufen, sie müßte längst hier sein.«

»Vielleicht ist was dazwischengekommen. Kann doch auch sein, daß sie im Stadion ein paar Kumpel getroffen hat.« Winnie wollte sich ihre sorgenvollen Gedanken ausreden, aber jetzt bekam sie es doch mit der Angst.

Und die Angst wurde immer größer, bis sie es beide nicht mehr aushielten. Karl Grothus rief beim Polizeirevier an und fragte, ob etwas von einem Unfall bekannt sei, in den möglicherweise eine Radfahrerin verwickelt wäre. Und er bekam die Hiobsbotschaft sogleich übermittelt.

Es fiel ihm schwer, Fassung zu bewahren, aber als er das verzweifelte Gesicht seiner Frau sah, nahm er sie in die Arme. »Es wird schon nicht so schlimm sein, Winnie«, sagte er, »wir fahren jetzt zur Behnisch-Klinik. Ein Dr. Norden hat Ricky gleich Erste Hilfe geleistet.«

»Aber sie ist doch immer so vorsichtig«, flüsterte Winnie unter Tränen.

»Sie kann doch nichts dafür, wenn sie von einem Rowdy überrannt wird, der dann auch noch Fahrerflucht begeht. Aber wenn ich den unter die Finger kriege…«

»Rickys Leben ist jetzt doch wichtiger«, flüsterte Winnie.

Tobby stand schon beim Auto, und er führte sich keineswegs freudig auf wie sonst. Er spürte, daß etwas nicht stimmte. Er hatte ja auch schon so lange umsonst auf Ricky gewartet. Er war ein kluger Hund und wußte ganz genau, an welchen Tagen sie bei ihnen war. Das waren für ihn Festtage, denn sie tobte mit ihm herum, wie es Winnie und Karl doch nicht mehr konnten.

Lieber Gott, betete Winnie, erhalte mir mein Kind, beschütze Ricky, damit sie wieder gesund wird. Und Tränen fielen auf ihre gefalteten Hände, während Karl nun mit steinerner Miene und zusammengepreßten Lippen am Steuer saß und den Wagen zur Behnisch-Klinik lenkte.

*

Fee wußte Bescheid, rief die Heislers in Ammerland an und sagte ihnen, daß sie nicht kommen könnten, aber vielleicht hätten sie Lust, morgen einmal nach München zu kommen.

Ruth Heisler sagte zuerst, daß es bei Ärzten doch Glücksache wäre, wenn es mal mit einer Verabredung klappen würde, aber da sie ja im Urlaub wären, würden sie kommen, sonst würde es mit einem Wiedersehen für die nächsten Jahre wieder nichts.

Die Kinder nahmen es gelassen, daß sie nicht wegfuhren. Begeistert waren sie über Besuche bei Leuten, die sie nicht kannten, sowieso nicht. Sie vermißten nur ihren Papi, der wieder mal einen Samstag opfern mußte.

»Es handelt sich um ein junges Mädchen«, erklärte ihnen Fee, »sie wurde überfahren, und der Autofahrer beging Fahrerflucht.«

»Das ist sehr gemein«, sagte Danny. »Hatte sie Vorfahrt?«

Die Norden-Kinder waren schon früh mit allen Gefahren des Straßenverkehrs vertraut gemacht worden, aber Fee und Daniel wußten nur zu gut, daß manchmal alle Vorsicht nichts half.

»Ja, sie hatte Vorfahrt, und Papi hat auch alles genau gesehen«, erklärte sie.

»Hat er sich auch das Kennzeichen gemerkt?« fragte Felix.

»Zumindest kann er das Auto beschreiben, aber es ging wohl alles sehr schnell, und dann mußte er sich ja auch um die Verletzte kümmern.«

»Die hat aber Glück gehabt, daß unser Papi dazugekommen ist«, sagte Danny eifrig.

»Aber sie wird doch nicht sterben, Mami?« flüsterte Anneka, deren empfindsames Seelchen sofort voller Mitleid war.

»Nein, sie wird nicht sterben«, erwiderte Fee, obgleich dies auch bei ihr vorerst nur ein Wunschgedanke war.

»Ich werde gleich mal beten«, flüsterte Anneka, und dazu brauchte sie auch ihren Teddy, der ihr Talisman war, aber von ihren Brüdern wurde sie deswegen nicht geneckt.

*

Henrike hatte auch einen Talisman, den sie an einem Goldkettchen immer bei sich trug. Es war ein goldenes Medaillon mit den Fotos ihrer Eltern, und ihre Initialen mit dem Geburtsdatum waren eingraviert. Das war von Dr. Jenny Behnisch inzwischen auch entdeckt worden, während Dieter Behnisch und Daniel Norden sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln um die Verletzte bemühten.

Dr. Behnisch richtete sich auf und wischte sich Schweißtropfen von der Stirn. »Also, ich kann nur sagen, daß sie mindestens drei Schutzengel gehabt haben muß und außerdem auch noch reagiert hat, als sie den Stoß bekam. Könnte ein Stuntgirl sein.«