Indianisch für Anfänger - Kerstin Groeper - E-Book
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Indianisch für Anfänger E-Book

Kerstin Groeper

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Beschreibung

Voller Hoffnungen und Träume bricht Kaja nach bestandenem Abitur auf, um als Au-pair-Mädchen ein unvergessliches Jahr in Amerika zu verbringen. Sie freut sich auf wilde Partynächte, ausgiebige Shoppingtouren und Großstadtabenteuer. Dummerweise findet sie sich statt in Washington, Los Angeles oder New York auf einer abgelegenen Indianerreservation in South Dakota wieder. Kaum in ihrem neuen Heim angekommen, wartet auch schon die nächste Hiobsbotschaft auf die junge Frau: Ihre Gastmutter liegt nach einem Schlaganfall im Koma und von plötzlich muss sie nicht nur den kompletten Haushalt der Familie übernehmen, sondern auch ganz allein für den kleinen Sohn sorgen. Um den vielen Pflichten und der Einsamkeit wenigstens für eine Weile zu entkommen, beschließt Kaja spontan, einen Sprachkurs zu belegen. Am College begegnet sie dem attraktiven und geheimnisvollen Lakota-Indianer Sonny, der ihr Herz im Sturm erobert und sie in die faszinierenden Traditionen und Geheimnisse seines Volkes einweiht. Doch die Beziehung der beiden steht von Anfang an unter keinem guten Stern, denn Sonnys Stammesangehörige misstrauen der unwillkommenen Fremden und setzen alles daran, sie zu vertreiben. Hat ihre Liebe trotzdem eine Chance? Begleiten Sie in Kerstin Groepers gefühlvollem Roman „Indianisch für Anfänger“ eine mutige junge Frau bei dem größten Abenteuer ihres Lebens.

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Seitenzahl: 498

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Kerstin Groeper

Indianisch für Anfänger

Ein Au-pair-Mädchen auf Pine Ridge

Impressum

Copyright der E-Book-Originalausgabe © 2016 bei hey! publishing, München

Originalausgabe © 2015 bei Traumfänger Verlag, Hohenthann

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Umschlagabbildung: FinePic®, München

ISBN 978-3-95607-059-4

www.heypublishing.com

Inhaltsverzeichnis

Indianisch für Anfänger – Ein Au-pair-Mädchen auf Pine Ridge

Impressum

Wolkenschafe und Mutter-Walrosse

Drogen und Baby Entertaining

Tornado-Shelters und Klapperkisten

Gandalf und Jaden

Cornflakes und Plastikmöbel

Tafelsilberdiebe und To-do-Listen

Pool und Waldhexen

Professor Overstreet und Rez

Lakotasprache und Wasicu

Kaffee und Indianer

Sonny und Alderaan

Jingles und Nachhilfe

Katzen und Mäuse

WaTiki und Atlantis

Powwow und Computer

Hobbyindianer und Polizisten

Grottenolme und Neandertaler

San Antonio und Top Gun

Blizzards und Wahanpi

Cinderella und Trophäen

Adventskranz und Zombies

Jingle Bells und Big Foot Trail

Esel und Toilette

Wounded Knee und Wasicumädchen

Pest und Anstandsdamen

Piraten und Ritter

Wacinko und Taniga

Beaver Wall und Crazy Horse

Adler und Steine

Spießer und Dozenten

Pille und Periode

Schwangerschaftsstreifen und Babyöl

Connor und Inyan

Neid und andere Unsitten

Trailer und Jingles

Wolkenschafe und Mutter-Walrosse

Kaja beobachtete die Wolkenberge, die aus dem Fenster des Flugzeuges aussahen wie Schafe, die langsam über eine Wiese wanderten, immer dem Leithammel hinterher. Darunter konnte man zwischen den Wolken das Festland aus Eis erahnen. Der Bordcomputer vermeldete, dass sie gerade über Grönland flogen, und sie wunderte sich, dass das Flugzeug auf dem Weg nach New York einen solchen Umweg machte. Das hatte wohl mit dem Wind zu tun, oder so. Ihr Magen rumorte ein bisschen vor Aufregung. Immerhin war es das erste Mal, dass sie nach Amerika flog. Ein ganzes Jahr lang! Sie hatte gegoogelt, wohin die Reise gehen würde: Süd-Dakota. Eine Familie wohnte dort, die sie als Nanny für ihr drei-jähriges Kind angestellt hatte. Ein Professor und seine Frau. Sie hatten auch ein paar Pferde und das hatte den Ausschlag gegeben, dass sie sich für diese Familie entschieden hatte. Ansonsten gab das Internet nicht so viel her. Kyle war ein kleiner Ort mitten in einer Indianerreservation und von der Landschaft her schien es wohl atemberaubend zu sein. Sie las etwas über die dortige Armut und hatte sich einige Beiträge über Touristenattraktionen angesehen. Viel Zeit war ihr nicht geblieben, weil die Familie erst in letzter Sekunde zugesagt hatte. Sie hatte ein wenig gezögert, weil sie sich nicht vorstellen konnte, wie das Leben auf einer Indianerreservation sein würde. Kaja hatte nichts gegen Indianer. Sie hatte als Kind Winnetou-Filme gesehen, dachte an edle Wilde mit langen Haaren und schwarzen Augen. Ihr war klar, dass sie wohl nicht mehr in Tipis lebten, aber mehr Gedanken machte sie sich nicht.

Kaja dachte an den Fragebogen, den sie hatte ausfüllen müssen. Ihr kam zugute, dass sie während ihrer Zeit in der Fachoberschule bereits im Kindergarten gearbeitet hatte. In Amerika war man sehr wählerisch, wen man auf Kinder losließ. Man musste Babysitterkurse und Lehrgänge in Erster Hilfe nachweisen, sonst konnte man die Bewerbung vergessen. Kaja schüttelte unmerklich den Kopf. Schließlich sollte sie ja auf kein kleines Baby aufpassen. Ihr Pflegekind war immerhin schon drei! Auf den Fotos, die ihr die Gasteltern geschickt hatten, sah er süß aus. Blond, mit blauen Augen. Er hieß Jaden. Amerikaner liebten eben Namen mit „J“. Sie sollte den Kleinen morgens in den Kindergarten bringen, ein wenig auf das Haus aufpassen, das Kind wieder abholen und mit ihm spielen. Da blieb noch genug Zeit, um zu reiten, zu chatten und sich mit ihren Freundinnen auf Facebook auszutauschen. Als Erstes brauchte sie ein amerikanisches Handy, mit dem sie Fotos posten konnte. Ihr eigenes hatte sie zwar dabei, aber das funktionierte hier aus unerfindlichen Gründen nicht.

„Wahrscheinlich gibt es da nur Präriehunde!“, hatte Christine gelästert. Manchmal wusste Kaja nicht, ob Christine wirklich ihre beste Freundin war. Ihre schnippischen Bemerkungen taten nämlich weh.

„Dann poste ich halt Fotos von Präriehunden!“, hatte sie mit einem Lächeln geantwortet, das über ihre Ängste hinwegtäuschen sollte. „Du weißt ja eh nicht, wie die aussehen!“ Bamm, schnell mal die Freundin kaltgestellt.

Kaja sah wieder auf die Wolken hinunter und lauschte dem Brummen der Triebwerke. Und was, wenn ihre Freundin recht hatte? Wenn es da tatsächlich nur Präriehunde gab? Sie hatte nach einem Kino gegoogelt, aber da sah es eher schlecht aus. Das nächste Kino gab es erst in Rapid City. Dort war auch der Flughafen. Einfache Fahrzeit anderthalb Stunden.

Tatsächlich schien Kyle am Ende der Welt zu liegen. Mit ihrer Bewerbung war es nicht so gut gelaufen, nur deshalb war sie nun unterwegs ins Outback. Eine Familie in New York, die sie zuerst buchen wollte, hatte im letzten Moment abgesagt und ihr ganzer Plan, ein Jahr im Ausland zu verbringen, war ins Wanken geraten. Es war schade gewesen, denn sie hatte sich schon Pläne gemacht, was sie dort alles anschauen wollte. Letztendlich hatte sie nur noch die Wahl zwischen Süd-Dakota und einer Familie in Texas mit drei Kindern. Texas wäre natürlich auch cool gewesen, aber drei Kinder? Kaja seufzte lautlos. Ihre zwei Nachbarn im Flugzeug schienen zu schlafen und so wollte sie sie nicht stören. Außerdem hatte sie Angst, dass das Mutter-Walross neben ihr wieder mit lästigen Fragen anfing. Ihr war die Frau schon im Wartebereich des Flughafens aufgefallen und es war ja klar, dass die Tonne mit der Selbstverständlichkeit einer ferngelenkten Rakete genau auf sie zusteuerte und neben ihr Platz nahm. Sie hatte schon wieder vergessen, wie die Dame hieß, weil sie ihre Ohren auf Durchzug geschaltet hatte. Das Fett schien überall hervorzuquellen, sodass Kaja sich gegen das Fenster lehnte, um den auswuchernden Tentakeln dieser Qualle zu entgehen. Kaja selbst war stolz auf ihre schlanke Gestalt und schwor sich, niemals so auszusehen wie dieses Ungetüm. Ihre Jeans passten perfekt zu den Ballerina-Schuhen, dem rosa T-Shirt und ihrem leichten Make-up, das so dezent war, dass man es kaum bemerkte. Sie hasste aufgedonnerte Frauen. Ihre blonden Haare hatte Kaja zu einer Flechtfrisur hochgesteckt, damit sie während des langen Fluges nicht in Unordnung gerieten. Sie hatte wunderschöne blaue Augen und ein ovales Gesicht. Nur das Kinn war für ihren Geschmack ein wenig zu spitz. Aber vielleicht war sie auch nur zu selbstkritisch. Das Parfüm der Dame war aufdringlich und so schaltete Kaja die Lüftung über sich auf Hochtouren.

Sie selbst war viel zu aufgeregt, um zu schlafen. Sie riss sich von dem Anblick der Wolkenschafe los und wandte sich dem kleinen Computer zu, der in den Sitz vor ihr eingebaut war. Sie hatte die Auswahl zwischen mindestens zwanzig Filmen und setzte sich die Kopfhörer auf, um einen Actionfilm mit Jason Statham anzuschauen.

Der Film hatte keinerlei Handlung, aber vielleicht war sie auch nicht in der richtigen Stimmung. Irgendwann ging ihr jedenfalls das ständige Geballern auf die Nerven und sie suchte nach einem anderen Film. Dabei mochte sie Jason Statham. Er war cool, sah gut aus und war ganz ihr Typ.

Sie wurde unterbrochen, als das Mittagessen serviert wurde und auch die Sitznachbarn sich wieder regten. Das Essen war okay. Ein bisschen Salat, Hühnchen, Nudeln, viel Curry und als Nachtisch abgepackter Kuchen. Er gehörte zur Krönung der Lebensmittelindustrie, denn gleichgültig in welche Richtung man ihn drückte, er schaffte es immer wieder in die ursprüngliche Form zurück. Sie quetschte das Ding mehrmals zum Test in der Hand und erntete dabei einen rügenden Blick der Qualle.

„Chemie!“, erklärte Kaja und erntete ein fröhliches Lächeln. Wenigstens das Lächeln war nett.

„Und, bist du denn schon aufgeregt?“, fragte das Lächeln. Der grell-rot geschminkte Mund passte nicht in das fleckige Gesicht.

„Nee“, murmelte Kaja. Sie fummelte wieder an ihren Kopfhörern herum, um das Gespräch zu beenden, ehe es angefangen hatte.

„Meine Tochter war auch mal im Ausland. In England. Das war vielleicht eine Katastrophe“, fuhr die Frau unbeeindruckt fort. „Sie wäre vor Heimweh fast gestorben. Ich habe sie dann besucht …“

„Blah, blah, blah“, dachte sich Kaja lautlos. Sie würde garantiert kein Heimweh haben. Sie war froh, dass sie dem Zirkus daheim endlich entkommen konnte.

Ihre Oma war gerade gestorben und hatte ihren jüngeren Sohn, sprich ihren Papa, enterbt. Jetzt war die Kacke am Dampfen, denn dass der böse Onkel nun alles bekam, war schlimmer, als wenn die Oma alles dem Tierschutzverein oder der Kirche vermacht hätte. Kaja war ebenso entsetzt, denn sie hatte ihre Oma geliebt. Die Oma war alle Weihnachten und Ostern bei ihnen gewesen, teilweise wochenlang und sie verstand nicht, was ihre Eltern falsch gemacht hatten, um nun so bestraft zu werden. Immer hatte die Oma über den anderen Sohn und dessen grässliche Frau geschimpft. Warum die nun alles kriegen sollten, war ihr schleierhaft. Sie erinnerte sich an die Zeit, in der sie als kleines Mädchen bei der Oma übernachtet und mit ihr Sissi-Filme angeschaut hatte. Sie wollte immer wie diese Prinzessin sein und hatte mit dem Porzellan der Oma gespielt. Das war auch so schön wie im Film. Mit Rosen verziert. Sie fühlte sich verraten und hatte alle Fotos der Oma gelöscht. Für sie gab es diese Person nicht mehr. Sie würde später mal ihren Kindern erzählen, dass die Großmutter bereits vor ihrer Geburt gestorben war. Ausgelöscht. Einfach aus der Erinnerung gestrichen. Datei, Papierkorb, löschen.

Aber ihrem Papa ging es schlecht damit. Von der eigenen Mutter beschissen zu werden, machte einen ganz schön fertig. Er fühlte sich, als hätte er das Tafelsilber gestohlen und schluckte Antidepressiva wie andere Leute Bonbons. Kaja hatte Angst um ihn und sie hasste ihre Oma. Immer hatte sie bei ihnen über den Onkel und die grässliche Tante geschimpft. Kaja wusste nun, dass die Oma genauso über ihre Familie hergezogen war, wenn sie bei den anderen gewesen war.

Kaja hasste Scheinheiligkeit und Lügen. Es war Verrat gewesen. Und damit wollte sie nichts mehr zu tun haben.

Kaja wählte einen Film mit Jet Li und verdrängte die unschönen Erinnerungen. Sie wollte möglichst weit weg und Amerika war für sie der weiteste, aber immer noch erreichbarste Ort gewesen. Australien und Neu-Seeland wären vielleicht noch besser gewesen, aber sie hatte was von dem Ozonloch dort gehört und wollte nicht mit Hautkrebs heimkommen. Amerika war schon in Ordnung. Sie würde nun Gasteltern und ein Gastkind und vielleicht mal eine nette Familie um sich herum haben. Die ersten Telefonate waren vielversprechend gewesen. Was sie denn als Lieblingsessen hätte und so. Einmal hatte sie schon mit Jaden, ihrem zukünftigen Schützling, telefoniert und kein Wort verstanden. Ihr Englisch war wirklich gut, aber kleine Kinder in einer anderen Sprache zu verstehen, war eine Herausforderung. Da brauchte sie noch die Mutter zum Übersetzen. Die Gastmutter hieß Caren und war die zweite Frau des Professors. Der Professor hieß Dave Overstreet. Er war bereits älter, irgendwas über fünfzig und war somit für sie ein Dinosaurier, kurz vor dem Sterben halt. Wieso so ein alter Mann noch ein kleines Kind hatte, verstand sie ohnehin nicht. Die Mutter war mit Mitte dreißig auch schon ziemlich alt, fand sie. Kaja war einundzwanzig. Gerade alt genug, dass sie in Amerika Alkohol einkaufen durfte.

Der Redefluss neben ihr hatte aufgehört und sie konzentrierte sich auf den Film. Die Stewardess hatte das Essen wieder abgeräumt und kam ein weiteres Mal mit Getränken vorbei. „Cola!“, bestellte Kaja wortkarg. Der Tag würde mit der Zeitverschiebung lang werden.

Über den Bordcomputer verfolgte sie die kürzer werdende Flugstrecke und seufzte, als das Flugzeug schließlich die Grenze von Kanada in die Vereinigten Staaten überquerte und zum Landeanflug auf New York ansetzte.

Unruhe baute sich bei den Passagieren auf. Das Mutter-Walross hatte sich etwas aufgerichtet und malte die grelle Kriegsbemalung nach. Fast musste Kaja ein Kichern unterdrücken, als sie daran dachte, dass sie auf dem Weg in eine Indianerreservation war. Hoffentlich liefen die dort nicht mehr mit Kriegsbemalung herum! Eigentlich war die Dame neben ihr ganz nett, stellte Kaja mit schlechtem Gewissen fest. Sie durfte nicht immer alles so negativ sehen.

Drogen und Baby Entertaining

Die Zeit bis zur Landung verging wie im Flug. Ob der Begriff wohl daher kam? Ohne sich zu verabschieden schnappte Kaja sich ihr Handgepäck und folgte den Menschen zum Ausgang. Der Flughafen sah aus wie jeder andere Flughafen auch. Sie folgten den anderen Passagieren durch fensterlose Gänge und reihte sich schließlich in die Schlange der ausländischen Besucher ein. Für einreisende Amerikaner gab es eigene Schalter. Staunend beobachtete Kaja das Einreisezeremoniell. An die fünfzig Schalter waren besetzt, um jeden einzelnen Touristen nach seinem Begehren zu fragen. Krass! Es dauerte zwei Stunden, ehe sie endlich vortreten durfte.

„Reason for your stay?“, murmelte der farbige Beamte gelangweilt.

„Work!“, antwortete Kaja wahrheitsgemäß.

Der Beamte blätterte durch den Pass und die Papiere, zückte einen Stempel und stempelte die Papiere ab. Schließlich durfte sie weitergehen. War das alles? Verunsichert starrte Kaja den Beamten an, doch der zeigte mit einem Nicken an, dass sie tatsächlich weitergehen durfte. „Have fun!“, meinte er noch mit einem Lächeln. Doch kein Arschloch.

Kaja strahlte ihn an, ging weiter und suchte nach dem Gepäckband, an dem ihr Koffer sicher schon seit längerem einsame Kreise ziehen würde. Sie fand die Ausgabestelle mit „Munich“ und sah ihren Koffer in einem Berg von anderen Koffern, die bereits neben dem Band auf ihre Besitzer warteten. Ihr Koffer platze aus allen Nähten, aber es war schwierig gewesen, zu entscheiden, was alles mit sollte. Was brauchte man für ein Jahr in der Wildnis? Allein die Auswahl der Schuhe zu treffen, war eine Herausforderung gewesen. Sie hatte sich auf ein Minimum beschränkt, weil ihre Mutter gemeint hatte, dass Schuhe in den USA sehr günstig wären. Wahrscheinlich brauchst du bei deiner Rückkehr zwei Koffer, hatte sie geulkt. Ganz bestimmt würde sie bei ihrer Rückreise zwei Koffer brauchen! Kaja näherte sich dem nächsten Checkpoint und wunderte sich nicht, als gerade sie für eine weitere Inspektion ausgewählt wurde. Ihr Koffer wirkte wirklich zu verdächtig. Mit Schrecken dachte sie an die vielen Kopfschmerztabletten, die sie zur Sicherheit eingepackt hatte. Hoffentlich wurde sie jetzt nicht verhaftet!

Sie zog den Koffer hinter eine Sichtschutzwand und öffnete ihn vor den strengen Augen des Zollbeamten. „Any fruits, seeds or other organic foods?“, fragte er.

„No“, hauchte Kaja. Ein Kloß hatte sich auf ihre Stimme gelegt. Peinlich berührt beobachtete sie, wie die Hände mit Plastikhandschuhen sich durch ihre Schlüpfer, BHs und Kleidung wühlten. Selbstverständlich fand der Beamte die Plastiktüte mit den Medikamenten und öffnete sie misstrauisch. Er zählte über hundert Paracetamol und hielt sie fragend in die Höhe.

„Ich habe oft Kopfschmerzen!“, erklärte Kaja nervös.

„Aha, und wie viele Tabletten nehmen Sie am Tag?“, fragte der Beamte süffisant.

Kaja zog die Papiere heraus und reichte sie dem Beamten. „Ich bin doch ein ganzes Jahr hier!“, versuchte sie ihn gnädig zu stimmen.

„Ach so!“ Wieder studierte der Beamte die Packungen, kontrollierte die Inhaltsstoffe und entschied, dass es sich wohl nicht um Drogen handelte. Kaja schwitzte und dachte an die Schokolade und den Kaffee, den sie im Handgepäck schmuggelte. Aber der Beamte schien ein Einsehen zu haben und ließ sie den Koffer wieder packen. „Have a nice stay!“, grüßte er freundlich.

„Thank you, Sir!“, bedankte sich Kaja höflich. Die Augen des Beamten strahlten und er nickte ihr wohlwollend zu. Kaja merkte sich das. „Sir!“ öffnete Türen und Tore, hatte die Mutter ihr noch gesagt. Stimmt!

Mit dem Taxi fuhr Kaja in das gebuchte Hotel der Agentur. Sie würde die nächsten zwei Tage in New York an einem Einführungskurs über amerikanische Lebensweise teilnehmen. Erst dann durfte sie zu ihrer Gastfamilie weiterfliegen. Das Hotel war ein anonymer Schuppen in der Nähe des Flughafens und während der kurzen Fahrt starrte sie auf die Häuserschluchten mit den riesigen Reklametafeln. Es war so, wie sie es aus „Germany’s Next Top Model“ kannte, nur schmuddeliger und grauer. Auch das Hotel hatte schon bessere Zeiten gesehen. Der Teppich im Eingangsbereich war abgenutzt und wirkte schmutzig. Egal. Sie würde hier ohnehin nur drei Nächte bleiben. Sie bekam eine Chipkarte und erfuhr, dass sie das Zimmer mit einem anderen Mädchen aus Deutschland teilen würde. Es hieß Sonja und hatte bereits vor einer Stunde eingecheckt. Zimmer teilen! Wie uncool war das denn? Kaja unterdrückte ein Stöhnen und füllte mit zusammengebissenen Zähnen den Meldezettel aus. Schwimmbad gab es hier auch nicht! Dafür hatte das Hotel einen Fitnessraum. Sie erfuhr, dass es um achtzehn Uhr ein gemeinsames Abendessen für alle Nannys in einem Nebenzimmer des Restaurants gab. Kaja schaute missmutig auf die Uhr. Noch zwei Stunden! Dabei war sie hundemüde und wollte endlich schlafen gehen. In Deutschland war es jetzt kurz vor Mitternacht.

Sie zog den schweren Koffer zum Aufzug und fuhr in den achtzehnten Stock des Hotels. Ihr Zimmer lag am Ende eines gefühlt fünfhundert Meter langen Ganges. Sie klopfte an und öffnete die Tür mit der Chipkarte. Ein verschlafenes Gesicht tauchte aus den Decken eines Doppelbetts auf.

„Hi!“, grüßte Kaja. „Ich bin Kaja!“

„Ich bin Sonja!“, murmelte das Mädchen. „Gibt es schon Abendessen?“

„Nee, erst in zwei Stunden!“

Kaja stellte den Koffer vor das Bett und legte ihre Tasche auf den Schreibtisch. Das Zimmer lag im Halbschatten, weil Sonja die Vorhänge zugezogen hatte. Kaja öffnete sie einen Spalt und warf einen Blick auf die Stadt. Außer Hochhäusern mit Reklame war nichts zu sehen. Kein Baum, kein Strauch, nur Häuser, Autos und Menschen, die von oben wie geschäftige Ameisen hin und her rannten.

„Bist du auch als Au-pair hier?“

„Hmh!“, brummte Kaja.

„Wo gehst du denn hin?“

„Süd-Dakota!“

„Ich geh nach Texas!“

„Aha, eine Familie mit drei Kindern?“, vermutete Kaja.

„Woher weißt du das?“ Sonja hatte sich erhoben und strich sich einige Strähnen ihres langen, braunen Haars nach hinten. Sie war groß und schlank, mit langen Beinen und einem perfekten Körper. Kaja war neidisch, denn Sonja hatte die Maße für ein Topmodel. Nur ihre Augen waren leicht schräg und entsprachen wahrscheinlich nicht dem Schönheitsideal einer Heidi Klum.

„Ach, nur so eine Ahnung! Ich hatte die Wahl zwischen einem Professor in Süd-Dakota mit einem Kind und einer Familie in Texas mit drei Kindern.“ Sie kicherte.

„Aha, und du hast dich für das eine Kind entschieden“, stellte Sonja altklug fest.

„Nein, für das Pferd!“

Sonja hob erstaunt die Augenbrauen. „Welches Pferd?“, wollte sie wissen.

„Der Professor hat auch Pferde“, erklärte Kaja. „Ich reite gern.“

„Ach so!“ Sonja lächelte etwas. „Ich reite auch!“

„Wirklich?“ Zum ersten Mal interessierte sich Kaja für ihre Zimmergenossin.

„Ja, ich hatte eine Weile eine Reitbeteiligung, aber das Pferd ist an einer Kolik gestorben. Es war schrecklich. Ich habe tagelang geweint. Jetzt bin ich erst einmal weg und wenn ich nach Hause komme, kaufe ich mir ein eigenes Pferd.“

Kaja senkte betreten den Kopf. „Schade!“, meinte sie ehrlich.

„Seit wann reitest du?“, fragte Sonja.

Kaja zuckte die Schultern. „Ich glaube, schon immer! Meine Ma hat mich auf Pferde gesetzt, als ich noch nicht einmal laufen konnte.“

„Echt?“

Kaja kicherte wieder. „Ja, echt! Ich konnte auch eher schwimmen als laufen. Meine Mutter ist so eine ganz tolle Mutter … Babyschwimmen, Kinderturnen, Frühes Englisch und so …“

„Oh je … Baby-Entertaining!“, stellte Sonja fest.

„So ungefähr. Ich musste ganz schön kämpfen, um meine Sachen durchzusetzen. Ich musste auch Gitarre spielen, bis ich ihr diesen Unsinn ausreden konnte. Aber das Reiten macht mir tatsächlich Spaß.“

„Und was sagt deine Über-Mama dazu, dass du jetzt in Amerika bist?“

„Ach, das ist schon okay für sie. So überbehütend ist sie dann doch nicht.“

Kaja musterte ihre Zimmerkollegin kurz und legte neugierig den Kopf schief. „Und? Wo kommst du her?“ Sonja sprach ganz bestimmt kein Bairisch. Klang eher nach Berlin oder so.

„Berlin!“, antwortete Sonja kurz angebunden. „Und du?“

„Kleines Kaff in der Nähe von München. Ich habe gerade Fachabi gemacht und will studieren, wenn ich wieder zurück bin. Soziale Arbeit.“ Sie verschwieg ihren schulischen Leidensweg, denn tatsächlich hatte sie zweimal wiederholt. Einmal in der fünften und einmal in der neunten Klasse. Wegen Mathe und Physik. Deshalb war sie auch nach der zehnten Klasse in die Fachoberschule gewechselt.

„Aha. Ich bin Erzieherin und will einfach mal ein Jahr im Ausland arbeiten“, erzählte Sonja unaufgefordert.

„Na, da bist du ja bei den drei Kindern gerade richtig!“

Sonja zuckte die Schultern. „Mag sein. Am Telefon klangen die ganz nett. In der Nähe ist ein Luftwaffenstützpunkt. Vielleicht finde ich da einen Freund, heirate und bleibe in Amerika.“

Kaja blieb die Spucke weg, als sie von den Plänen erfuhr. Ein Luftwaffenstützpunkt. Sonja wollte einen Mann! Hatte sie zu oft „Ein Offizier und Gentleman“ oder „Top Gun“ gesehen? Sie schnaubte geringschätzig. „Ehe ich nicht studiert habe, will ich erst einmal gar nichts!“ Sie machte sich doch nicht abhängig von einem Ehemann!

„Ich habe ja schon einen Beruf. Wenn ich mit einem Amerikaner verheiratet bin, kann ich hier auch arbeiten!“

„Hmh!“ Kaja behielt ihre Gedanken lieber für sich. Jeder hatte andere Pläne für sein Leben. Ein Mann gehörte in ihrem Leben erst einmal nicht dazu. Sie packte ihre Turnschuhe aus und suchte nach ihrem Jogginganzug, um vor dem Essen noch in den Fitnessraum zu gehen. Nach dem langen Sitzen im Flugzeug würde ihr die Bewegung sicherlich guttun. Anschließend blieb hoffentlich noch Zeit für eine Dusche. „Kommst du mit?“, fragte sie höflich. „Ich schaue mir mal diesen Fitnessraum an.“

„Nee, geh mal! Vielleicht morgen“, wehrte Sonja ab. „Ich bin echt k.o. vom Flug.“

Kaja zuckte mit den Schultern und verschwand durch die Tür. Sie hatte nicht den Eindruck, als würde Sonja sich viel aus Fitness machen. Wahrscheinlich würde sie in zehn Jahren auch so herumwabbeln wie die Dame im Flugzeug. Mit drei Kindern von einem Macho-Fliegerass. Warum wieder diese Gedanken? War es Neid?

Der Fitnessraum war okay. Einige Ergometer standen herum, halbwegs modern, und es gab ein Laufband und mehrere Geräte zum Muskelaufbau. Sie stellte das Laufband an und begann im mäßigen Tempo zu laufen. Sie wollte keine Höchstleistung vollbringen, sondern lediglich die Muskeln entkrampfen und den Körper nach dem langen Sitzen dehnen. Nach zwanzig Minuten hatte sie genug. Sie verließ den Raum und fuhr wieder in ihr Stockwerk, um zu duschen. Sonja hatte das Zimmer bereits verlassen. Kaja war ganz froh, denn so konnte sie in Ruhe duschen und sich für das Abendessen zurechtmachen. Es war schön, wie der Dreck und Schweiß abgewaschen wurde. Sie fühlte sich erfrischt und auch nicht mehr so müde. Frisch gestylt und mit sauberen Klamotten fuhr sie ins Erdgeschoss und betrat ein Nebenzimmer des Konferenzkomplexes. An die fünfzig Personen hatten sich bereits an den langen Tafeln niedergelassen. Die meisten waren Mädchen in ihrem Alter, aber es gab auch einige wenige Jungen. Am Ende des Raumes war ein Beamer aufgebaut und eine Dame mittleren Alters stand bereits abwartend da und wartete auf die letzten Trödler. Kaja erblickte Sonja und setzte sich auf dem freien Platz neben ihr.

„Und, wie ist der Fitnessraum?“, raunte Sonja ihr zu.

„Ganz okay!“, wisperte Kaja zurück. „Ich war wie zerschlagen nach dem langen Flug, aber jetzt geht’s mir besser.“

Die Gespräche verstummten, denn die Dame forderte mit einem kleinen Gong die Aufmerksamkeit der Anwesenden. Kaja fand es affig, fast wie in der Schule. An der Wand öffnete sich eine Power-Point Präsentation, auf der völlig unwichtige Details über den Verlauf der nächsten zwei Tage vorgestellt wurden.

Das Essen war auch kein Hit. Nudeln mit Soße und ein Salat. Möglichst billiges Essen, damit die Agentur, die die Nannys vermittelte, den größtmöglichen Profit hatte. Wahrscheinlich waren es Ferengis, wie aus Star Trek.

Noch war Kaja tolerant. Sie würde die zwei Tage Training durchstehen und anschließend an ihren Bestimmungsort weiterreisen.

Sie lernte noch ein weiteres Mädchen aus Bayern kennen, das ganz nett war und tauschte mit ihr die Adressen und Telefonnummern aus. Marie würde bei einer Familie in Montana sein. Das war nicht so weit von Süd-Dakota entfernt. Vielleicht war es ja möglich, sich gegenseitig zu besuchen? Sie tauschte auch mit Sonja die Adressen und versprach, an einem verlängerten Wochenende vorbeizukommen. Texas war schon interessant. Außerdem wollte sie sehen, ob sie bei der anderen Familie etwas verpasst hatte. Sie verbrachten die Zeit meist gemeinsam und Kaja genoss das Herumalbern und Kichern mit den beiden. Beide waren nett und unklompliziert und sie wollten über Facebook den Kontakt halten.

Die nächsten zwei Tage waren nicht so überwältigend. Die Vorträge plätscherten auf Englisch dahin, da die Teilnehmer aus aller Herren Länder kamen. Kaja traf Mädchen aus Frankreich, der Ukraine und von den Philippinen. Die Mädchen aus Deutschland waren tatsächlich in der Unterzahl. Sie erfuhren, welche Feiertage es gibt und wie sie gefeiert werden, einen kurzen Abriss der Geschichte der Vereinigten Staaten, allerdings ohne irgendetwas über Indianer zu erwähnen, und welche Einkaufsgewohnheiten Amerikaner hatten. Am interessantesten fand Kaja den Vortrag über sexuellen Missbrauch. Warum man ein Kind nicht in den Arm nehmen durfte, um es zu trösten, ging über ihren Verstand. „Wie soll ich denn das Kind sonst trösten?“, wagte sie zu fragen.

„Nur mit Worten!“, erklärte die Dame streng.

„Ein kleines Kind kann ich doch nicht mit Worten trösten!“, wunderte sie sich.

„Wenn Sie nicht verhaftet werden wollen, halten Sie sich lieber an diese Regel. Sie müssen mit Körperkontakt sehr vorsichtig sein!“

Und wie sollte sie das Kind in die Badewanne setzen, abtrocknen und wieder anziehen? Wie sollte sie es ins Auto heben? Ihr fielen tausend Situationen ein, bei denen man ein dreijähriges Kind hochheben musste, aber sie sagte nichts, weil die Kursleiterin sie ohnehin schon misstrauisch beäugte. Sie sollte Distanz wahren, das war ihr klar geworden.

Das Rahmenprogramm war wenig spektakulär. Sie besuchten ein Museum und durften am Abend in der Disco des Hotels zum Tanzen gehen, wobei die Mädchen unter einundzwanzig mit einem Band gekennzeichnet wurden, weil sie keinen Alkohol trinken durften. Es war total ätzend. Kaja war froh, dass sie nicht auf diese Weise stigmatisiert wurde. Das machte das Manko, dass sie wiederholt hatte, leicht wieder wett. Wie hatte ihre Mutter sie immer getröstet? „Wenn du mal das Fachabitur hast, kräht kein Hahn danach, wie du es geschafft hast!“

Tornado-Shelters und Klapperkisten

Kurze Zeit später saß sie endlich im Flugzeug nach Denver und ihr Herz klopfte, wie wohl die neue Familie sein würde. Der Himmel war klar und sie sah das Land unter sich vorbeigleiten. Drei Stunden später landete sie in Denver und machte sich auf die Suche nach dem Flugsteig, von dem aus es weiter nach Rapid City gehen würde. Er war am allerletzten Ende des Flughafens! Draußen war flaches Land zu sehen und in der Ferne die Bergkette der Rocky Mountains. Der Wind wirbelte den Staub auf und sie schielte etwas ängstlich auf die Schilder der „Tornado-Shelters“, die in Abständen im Gebäude auftauchten. Sie hatte vergessen, dass es hier Tornados gab!

Ihr flaues Gefühl im Magen wurde auch nicht besser, als sie die wackelige Treppe hinaufkletterte, die an Bord der zweimotorigen Maschine führte. Das Ding war ja ein Vorkriegsmodell! Sie hatte nicht gewusst, dass so alte Maschinen überhaupt noch eingesetzt wurden. Kurz zögerte sie an der Tür, als sie in die Kabine blickte. Auf jeder Seite des Ganges war nur ein Platz! Sie flog mit einer Sardinenbüchse! Am liebsten wäre sie umgekehrt und wieder ausgestiegen, aber hinter ihr war ein Bär von Mann, der sie ungeduldig nach vorne schob. „Hey!“, schimpfte sie bissig. Sofort schaltete sich eine resolute Stewardess ein, die den Mann auf eine respektvolle Distanz gegenüber weiblichen Passagieren aufmerksam machte. „Oh, excuse me, M’am!“, entschuldigte sich der Bär und hob hierzu sogar seinen Cowboyhut.

Kaja erwiderte nichts, weil sie nicht wusste, ob sie überhaupt etwas sagen sollte. Sie ließ sich auf ihren Platz plumpsen und schickte ein kurzes Gebet nach oben. Sie war schon lange in keiner Kirche gewesen und plötzlich hatte sie ein schlechtes Gewissen. Ob Gott sie für diese Nachlässigkeit strafen würde? Vielleicht ließ er das Flugzeug ja nur wegen ihr abstürzen? Der Cowboy war bestimmt auch kein Grund, das Flugzeug länger am Himmel zu lassen. Kurz musterte sie die anderen Todgeweihten in der Maschine. Es war kein einziges unschuldiges Kind dabei, auf das der liebe Gott vielleicht Rücksicht nehmen würde. Die anderen sahen eindeutig wie Geschäftsreisende aus. Kapitalisten, um die es nicht schade war. Ihr war zum Heulen zumute.

Die Stewardess überprüfte, ob sie den Sicherheitsgurt angelegt hatte. Kaja verkniff sich eine bissige Bemerkung. Wenn das Flugzeug aus dem Himmel gepustet wurde, würde auch der Sicherheitsgurt nicht helfen.

Die Ansage des Captains war launig und sollte die Passagiere wohl auf einige Turbulenzen vorbereiten. Kaja wurde schlecht und sie wäre am liebsten aufgesprungen und aus der Maschine geflüchtet. Die Stewardess hatte die Tür schon geschlossen und so ergab sich Kaja ihrem Schicksal. Vielleicht sah sie gleich ihre Großmutter im Himmel wieder und würde ihr gehörig die Meinung sagen! Sie überlegte sich eine gepfefferte Rede, die sie der Oma ins Gesicht schreien würde und dies lenkte sie vom Start des Flugzeugs ab.

Der Flug war holprig und manchmal wurde die Maschine ganz schön durchgerüttelt, aber da Kaja ohnehin mit ihrem Tod gerechnet hatte, war sie eher angenehm überrascht, dass das Ding tatsächlich am Himmel blieb. Irgendwann riss sie sich von ihren Rachefantasien los und schaute auf das Land unter sich. Sie hatte sich die Prärie immer flach vorgestellt und war nun überrascht, dass das Land in braunen Wellen unter ihr vorbeiglitt. Sie sah Flüsse, die sich wie Ringelnattern durch diese braunen Wogen schlängelten, und die blauen Tupfen der Seen, die ein Maler einfach in die Landschaft gekleckst hatte. Manchmal wurde das Braun von einigen Flecken Grün abgelöst, wenn die Felder von Wald unterbrochen wurden. Wald gab es aber nicht so viel. Dann tauchte in der Ferne eine Bergkette auf, an der sie eine Weile dahinflogen. Die Spitzen der Berge waren kahl und manchmal schon von Schnee bedeckt. Es war Anfang September.

Mit einem Ruck setzte das Flugzeug auf und Kaja seufzte laut. Sie fühlte sich wie eine Überlebende. Draußen flogen vertrocknete Büsche an dem Flugzeug vorbei und sie konnte hören, dass der Wind sogar noch zunahm. Hatte der Flughafen von Rapid City auch einen Tornado-Shelter?

Der Cowboy ließ sie höflich vor, als sie von ihrem Sitz aufstand und hob erneut seinen Hut. Fast musste sie kichern.

„You are not from here?“, vermutete er mit einem Lächeln.

„No, I am from Germany!“

“Oh, have a nice stay!”, grinste der Bär.

Kaja nickte hoheitsvoll und verließ das Flugzeug über einen Laufsteg, der direkt ins Gebäude führte. Sie folgte den anderen Passagieren zum Gepäckband und wartete ungeduldig auf den Koffer. Ihr Herz klopfte, aber dieses Mal vor Vorfreude. Gleich würde sie ihren Gastvater sehen!

Mr Overstret hatte geschrieben, dass er sie vom Flughafen abholen würde. Der Professor hatte an diesem Tag frei. Sie schulterte den Rucksack, griff nach ihrem Koffer und machte sich auf den Weg zum Ausgang. Es gab keine weiteren Kontrollen, da es sich ja um einen Inlandsflug handelte und so ging sie durch die Absperrung und hoffte auf ein bekanntes Gesicht. Sie hatte sich das Foto ihres Gastvaters eingeprägt, damit sie ihn gleich erkannte. Im Ankunftsbereich des Flughafens standen nur drei Personen, die nacheinander ankommende Familienangehörige begrüßten und mit ihnen verschwanden. Der Professor war nicht unter ihnen. Der Bär tippte sich grüßend an den Hut, warf ihr noch ein Lächeln zu und entschwand ebenfalls aus ihrem Blickfeld.

Kaja rutschte das Herz in die Hose. Hatte der Professor sie vergessen? Sie überprüfte die Ankunftszeit und stellte fest, dass sie bereits eine halbe Stunde verspätet war. In Amerika kam ohnehin nie ein Flugzeug pünktlich an. Vielleicht hatte der Professor das mit einkalkuliert? Sie ging einige Schritte in Richtung Ausgang und schaute sich die Indianerkleidung an, die in einigen Vitrinen ausgestellt war. Es sah ganz nett aus. Dann schaute sie sich misstrauisch um, als sich das Gebäude zunehmend leerte. Eine Person stand noch an der Theke einer Autoverleihfirma, ansonsten irrte hier niemand mehr herum. Mit einem Seufzen setzte sie sich auf einen Stuhl und wartete ab. Aus ihrer Handtasche holte sie einen zerknüllten Zettel, auf dem die Kontaktdaten des Professors standen. Ob sie ihn anrufen sollte? Vielleicht hatte er den Tag verwechselt oder so? Mit ihren Augen suchte sie nach einem Münzfernsprecher. Ob es hier so etwas überhaupt gab? Sie war völlig verunsichert. Bisher war sie rund um die Uhr von der Agentur betreut worden, aber hier saß sie plötzlich mitten im Nirgendwo, allein auf sich gestellt, und wusste nicht, was sie tun sollte. Mit Schrecken dachte sie an ihr schwindendes Bargeld. Wenn sie jetzt noch ein Taxi und ein Hotel bezahlen musste, war sie pleite! Ihre Lippen zitterten plötzlich, als sie das heulende Elend überkam. Auf was hatte sie sich nur eingelassen?

Sie wartete weitere zwanzig Minuten und stand schließlich auf, um nach einem Telefon zu suchen. Es hatte ja keinen Sinn, hier untätig herumzusitzen. Vielleicht war etwas passiert? Zumindest konnte sie versuchen, den Professor anzurufen. Mit ihrem Koffer im Schlepptau ging sie durch den Flughafen und suchte nach einem Telefon. Es hatten sich wieder einige Personen eingefunden, die auf den nächsten Flug warteten. Sie war froh, nicht mehr ganz allein zu sein.

Endlich kam ein Mann auf sie zu, den sie in Europa wohl als Italiener oder Spanier identifiziert hätte, der aber hier eindeutig wie ein Indianer aussah. Er hatte keine langen Haare, sondern einen Haarschnitt wie ein Igel. Sein Gesicht war rund, mit geschwungenen Lippen, einer breiten Nase und schwarzen Augen. Er war etwa so alt wie sie, obwohl das wirklich schwierig zu schätzen war. Er trug eine schmutzige Jeans, Cowboystiefel und ein schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck „Oglala Lakota College“.

Er blieb vor ihr stehen, steckte die Hände verlegen in die Taschen seiner Jeans und machte eine fragende Bewegung mit den Lippen. „Are you Kaja?“

Er nuschelte dermaßen, dass Kaja nur ihren Namen verstanden hatte.

Vorsichtig legte sie den Kopf zur Seite. „Ja?“

Wieder murmelte der Mann etwas absolut Unverständliches und Kaja befürchtete, dass sie all ihr Englisch vergessen hatte. Sie hätte im Unterricht doch besser aufpassen oder sich mehr Filme im englischen Original ansehen sollen.

„What?“, fragte sie konsterniert.

„Professor Overstreet asked me to pick you up”, kam es nun etwas verständlicher.

Kaja starrte den Indianer fassungslos an. Sie würde doch mit keinem Wildfremden mitfahren! Schon gleich gar nicht mit diesem schmuddeligen Typen! „What?“, wiederholte sie heiser. In ihrem Vertrag stand nichts davon, mit unbekannten Subjekten durch die Gegend gefahren zu werden.

„You wanna talk to him?“, fragte der Indianer. Er schien sich über ihre Hilflosigkeit zu amüsieren.

Allerdings wollte sie mit dem Professor reden! Zumindest wollte sie sichergehen, dass sie hier keiner Entführung zum Opfer fiel. Misstrauisch beobachtete sie, wie der Indianer aus den Tiefen seiner verbeulten Jeans ein Handy hervorzog. Ein ebenso vorsintflutliches Model wie das Flugzeug. Dabei hatte es vor dem Krieg und der Sintflut noch gar keine Handys gegeben! Sie schnaubte empört und beobachtete, wie der Junge auf eine gespeicherte Nummer tippte. Sie wunderte sich, dass das Ding tatsächlich einen Speicher hatte.

„Hi, here is Phil“, hörte sie den Jungen sagen. „That girl doesn’t wanna come!“

„That girl!“, hatte er gesagt. Sie hieß Kaja und nicht ‚that girl‘. Sie hörte auf die Stimme, die aus dem Handy drang, und hielt fordernd die Hand hin. Sie wollte selbst mit dem Professor reden. Außerdem wollte sie sich überzeugen, dass sie die Stimme wiedererkannte. Wortlos drückte ihr der Junge das Handy in die Hand und wartete geduldig ab. Er schien es okay zu finden, dass sie misstrauisch war.

„Hello?“, sagte sie höflich.

Sie lauschte der Stimme am anderen Ende und war überhaupt nicht begeistert. Der Professor erzählte völlig zusammenhanglos etwas von einem schweren Unfall, dass es seiner Frau so schlecht ginge und dass Kaja bitte mit Phil fahren sollte, um sich zuhause um das Kind zu kümmern. Er würde erst irgendwann in der Nacht nach Hause kommen, weil er hier in Rapid bei seiner Frau im Krankenhaus sei.

Kaja wurde nicht ganz schlau aus seinen Worten, aber sie hatte die Stimme identifiziert und glaubte nun daran, dass dieser Indianer sie zum Haus des Professors bringen würde. Hauptsache, sie stand hier nicht mehr am Flughafen herum. Alles andere würde sich bestimmt bald klären. Sie verabschiedete sich von dem Professor und gab Phil das Handy zurück. „Okay!“, nickte sie gnädig. Sie folgte dem Indianer, der sich nicht dazu herabließ, ihr beim Tragen des Gepäcks zu helfen. Stirnrunzelnd trat sie vor das Flughafengebäude und kniff die Augen zusammen, als eine Windböe ihr den Sand ins Gesicht blies. Dann blickte sie ratlos auf den rostfarbenen Pick-up, in den sie einsteigen sollte. Dieser Karren war ganz sicher vor dem Krieg gebaut worden, wahrscheinlich sogar vor der Sintflut! Er war auch nicht rostfarben, sondern verrostet!

Phil nahm den Koffer am Handgriff und warf ihn schwungvoll auf die Ladefläche des Pick-ups, anschließend ging er zur Fahrerseite und stieg ein. Mit einem Rucken seines Kopfes wies er Kaja an, ebenfalls einzusteigen. „We’re late! Gonna hurry!“, nuschelte er.

Kaja öffnete die Beifahrertür und konnte sich einen entsetzten Blick nicht mehr verkneifen. Überall lag Müll im Auto und der Sitz wies Flecken auf, die nicht nur durch eine ausgelaufene Cola entstanden sein konnten. Phil sah ihren Blick und holte eine Decke aus der Versenkung. „Sorry!“, murmelte er. Er legte die Decke auf den Sitz und ruckte erneut mit dem Kopf, damit sie endlich einstieg. Die Decke sah auch nicht besser aus. Anstelle der Essenflecke war sie voller Hundehaare. Aber Hundehaare konnte man ausbürsten. Bei den anderen Flecken war sie sich nicht so sicher, ob es hierfür ein Waschmittel gab. Halbwegs angeekelt kletterte Kaja in den Pick-up und suchte nach dem Sicherheitsgurt. Sie war überrascht, dass das Vehikel so etwas überhaupt besaß. Ein Blick nach vorne genügte, um ihr zu sagen, dass das Auto mit keinem Airbag ausgestattet war. Ihr Vater würde sie in so etwas überhaupt nicht einsteigen lassen!

Phil startete den Motor, der an Lautstärke durchaus mit den Triebwerken des Flugzeuges mithalten konnte, dem sie gerade entkommen war. Warum alle Fahrzeuge Amerikas es auf ihr Leben abgesehen hatten, ging über ihren Verstand.

Sie klammerte sich an dem Haltegriff seitlich über ihrem Kopf fest, als Phil viel zu schnell um die erste Kurve lenkte. Das konnte ja was werden!

Kaja seufzte erleichtert, als sie merkte, dass die Straßen schön breit und gerade verliefen. Da machte es nichts, wenn die Karre gefährlich hin und her schwankte. Phil sagte nichts und so sah Kaja auf die vorbeigleitenden riesigen Reklametafeln. Die meisten Tafeln zeigten Werbung für irgendwelche Hotels und mehrmals tauchte eine Tafel für ein Kasino auf. Alles war grell und übergroß, sodass sie bereits nach kurzer Zeit die Lust verlor, sich berieseln zu lassen. Alles war „best prize“ und „cheap“ oder „special offer“ und blinkte ihr fast drohend entgegen. Einmal fuhren sie über eine Brücke und sie schaute gebannt auf den schmalen Fluss, der sich dort durch ein grünes Tal schlängelte. Es sah aus wie die Kulisse von „Der mit dem Wolf tanzt“. Genau an so einer Stelle hatten die Tipis gestanden! Schade, dass es heutzutage so etwas nicht mehr gab. Tipis wären schöner als diese aufdringlichen Reklametafeln.

Gandalf und Jaden

Nach einer Weile wurde die Landschaft rauer und sie schaute staunend auf die grotesken Felsformationen, die vor ihr auftauchten. Die untergehende Sonne hatte sie in Lila getaucht und es sah aus, als würde in der Ferne eine riesige Leinwand aufgebaut sein, auf der ein alter Western lief. Wie gebannt verfolgte Kaja das Farbenspiel auf den Felsen. Es wurde rasch dunkler und die Felsen verwandelten sich plötzlich in die verblichenen Skelette von Elben und Orks, die nach der Schlacht um Mittelerde dort seit Urzeiten der Erosion ausgesetzt waren. Es hätte sie nicht verwundert, wenn plötzlich Gandalf in seinem Umhang und mit seinem Zauberhut am Straßenrand auftauchen würde und mit erhobenem Daumen nach einer Mitfahrgelegenheit gesucht hätte. Mit einem hämischen, unterdrückten Kichern fiel ihr ein, dass Gandalf vermutlich nicht in diese Klapperkiste einsteigen würde. Er würde nach dem weißen Hengst pfeifen! Wieder unterdrückte sie ein Kichern, als sie über ihren eigenen Unsinn lachte.

Es wurde Nacht und sie überlegte, wie lange die Reise neben dem schweigsamen Fahrer wohl noch dauern würde. Seit Rapid City hatte er keinen Ton mehr gesagt und sie auch keines Blickes gewürdigt. Er fummelte an den Armaturen herum und stellte tatsächlich einen Sender ein, aus dem uralte Country-Musik schallte. „This is Kili-Radio, the voice oft the Oglala Nation!“, dröhnte nach dem Lied die gut gelaunte Stimme des Moderators. Es folgten einige Sätze in einer ihr unbekannten Sprache. Sie klang weich und schön.

Phil zündete sich eine Zigarette an und ignorierte ihren Blick, der an Intensität durchaus mit dem tödlichen Strahl des Todessterns zu vergleichen war. Kaja hasste es, wenn Zigarettenqualm sich auf ihre Kleidung und Haare setzte. Immerhin öffnete er das Fenster, sodass der Rauch im Inneren nicht so schlimm war. Er schaltete das Fernlicht an, weil die Umgebung inzwischen stockfinster war. Es gab keine Hinweisschilder mehr, keine Lampen und auch keine Fahrbahnmarkierungen. Irgendwann bog er auf einen Feldweg ab und der Wagen holperte über Steine und ausgefahrene Rillen. Der Staub wirbelte meterhoch und drang durch das offene Fenster in das Innere.

Nach der langen Fahrt hielt der Wagen unvermittelt vor einem Haus und Kaja versuchte durch den Staub und das Fernlicht des Autos etwas zu erkennen. Sie sah einige Stufen und eine Veranda, die von einer einsamen Lampe an der Hauswand erhellt wurde, sonst nichts. Der Rest des Hauses war im Dunkeln verschwunden.

Phil nickte ihr wieder mit dem Kopf zu, dass sie aussteigen sollte. „Bye!“, murmelte er. Er blieb einfach sitzen.

Kaja stieg mit einem Seufzen aus und hievte den schweren Koffer von der Ladefläche herunter. Er plumpste in den Staub und etwas schadenfroh stellte sie fest, dass allein der Koffer wohl viel Dreck in das Haus bringen würde. Warum hatte der Professor ihr auch einen absoluten Barbaren geschickt?

Sie schleifte den Koffer zu den Stufen und rollte ihn polternd zur Veranda hoch. Die Räder des Wagens hinter ihr drehten durch, als der Indianer zu schnell wendete und in einer weiteren Staubwolke einfach verschwand. Kurz schoss der Gedanke durch Kajas Kopf, was wohl wäre, wenn hier überhaupt keiner zuhause war?

Sie suchte vergeblich nach einer Klingel, öffnete schließlich die Fliegentür und klopfte schließlich gegen die Haustür. Sie war aus Plastik und nicht besonders stabil. Die Tür öffnete sich ruckartig und eine dunkelhäutige Frau ließ sie eintreten. Noch eine Indianerin, vermutete Kaja scharfsinnig.

„Hi!“, sagte die Frau freundlich. „Ich bin Thalia, Jadens Lehrerin. Gut, dass du endlich da bist. Ich muss nämlich gleich weg. Schön dich kennenzulernen!” Sie griff bereits nach ihrer Jacke, als hätte sie wirklich ungeduldig auf die Ankunft der Nanny aus Deutschland gewartet. Sie war groß und schlank, trug eine einfache Jeans und ein gestreiftes T-Shirt. Ihre langen Haare waren zu einem Zopf geflochten. Sie sah mehr wie eine Kindergartentante aus und nicht wie eine Lehrerin. Aber vielleicht hießen die Kindergartentanten hier auch Lehrer?

Kaja stellte den Koffer neben die Tür und musterte die Frau mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen. Das war vielleicht ein Willkommen. Sie stand bereits mitten im Wohnzimmer, das lediglich aus zwei Sofas, einem Bücherschrank, einem Couchtisch und einem modernen Flachbildfernseher bestand. Im Fernsehen lief eine Comicserie und ein kleiner Junge saß zwanzig Zentimeter vor dem Bildschirm und schien in dem Film verschwinden zu wollen.

Thalia redete immer noch auf sie ein und erklärte gerade, dass sie Jaden hierher gebracht hatte, weil der Professor im Krankhaus bei seiner Frau wäre und so weiter. Sie müsste nun heim zu ihren eigenen Kindern. Im Kühlschrank sei Essen und Kaja sollte das Kind baden und ins Bett bringen. Mr Overstreet würde später heimkommen und sich um alles Weitere kümmern. Auch sie sprach irgendwie ein komisches Englisch.

Kaja nickte abwesend und setzte sich erst einmal neben das Kind. „Hi“, versuchte sie Kontakt aufzunehmen. „I am Kaja!“

Die Indianerin verließ das Haus und Kaja hörte wenig später, wie die Geräusche eines Motors sich langsam entfernten. Sie war allein.

Der Film war aus und Kaja nutzte die Gelegenheit, um den Fernseher einfach auszuschalten. „Hast du Hunger?“, fragte sie den kleinen Jungen in ihrem vorsichtigen und korrekten Englisch.

Große blaue Augen musterten sie abschätzend. Dann nickte das Kind. „Mama und Papa sind weg!“, erklärte es.

„Ich bin jetzt da!“, versicherte Kaja. „Ich bin hier, um auf dich aufzupassen. Weißt du noch? Wir haben doch schon telefoniert!“

Der Junge nickte freundlich. „Stimmt, du bist das Mädchen aus dem Märchenland!“

„Aus welchem Märchenland?“, fragte Kaja verwirrt.

„Na, mit den Trollen und Wichteln! Mein Papa hat es mir erzählt.“

„Aha!“ Kaja legte den Kopf schief und überlegte, was das Kind wohl meinte. Wahrscheinlich eine Anspielung auf ihren Namen. Kaja hatte sich nicht wirklich mit der Herkunft ihres Namens beschäftigt. Ihr Vater hatte ihr mal erklärt, dass er gern nordische Sagen las und Kaja wohl Waldhexe oder Rabe bedeutete. Beides fand sie nicht besonders schmeichelhaft.

„Wollen wir mal schauen, ob wir etwas zum Essen finden?“, lenkte sie das Kind ab.

Der Junge nickte heftig und Kaja nahm ihn an der Hand. „Zeig’ mir doch mal die Küche.“

Sie ließ sich von Jaden in den nächsten Raum ziehen und schaltete das Licht ein. Dieses Mal seufzte sie laut. Die Küche sah doch ganz gut aus! Sie war groß und modern. Eine Einbauküche mit grau-blauen Schränken und Herd, Ofen, Mikrowelle und einem überdimensionierten amerikanischen Kühlschrank, der aussah, als könnte er mittels Stimmerkennung Eiswürfel in einem Glas samt Schirmchen ausspucken. „Pina Colada!“, bestellte sie zum Test.

Der Kühlschrank brummte nur laut, als sie ihn öffnete. Unten waren zwei Schubfächer, die vollgestopft mit Salat und Gemüse waren. In den übrigen Regalen waren ordentlich andere Lebensmittel gestapelt. Sie fand Milch, Eier, Joghurt, Fleisch, Wurst, Käse und Obst. Alles in Mengen, als stünde die nächste Eiszeit bevor. In einem weiteren Schrank fand sie Konserven und Mehl. „Magst du Pfannkuchen?“, fragte sie ihren Schützling.

Sie setzte den Jungen auf die Arbeitsplatte und suchte einen Schneebesen und eine Schüssel. Pfannkuchen waren immer der Hit bei Kindern. Schnell rührte sie den Teig an, suchte sie eine Pfanne und stellte sie auf den Herd. Wie schaltete man dieses Ding an? Sie versuchte einen der Knöpfe und hielt probeweise die Hand über die Platte. Sie fühlte die Wärme und nickte zufrieden. Zumindest für die Küche brauchte sie keine Einweisung. Sie deckte den Esstisch und setzte Jaden auf den Kinderstuhl. Apfelmus und Nutella gab es nicht, aber zur Not konnte man ja auch Marmelade auf den Pfannkuchen schmieren. Sie fand Wildpreiselbeeren und drehte das Glas vor den Augen des Kindes verführerisch hin und her. „Magst du das?“, fragte sie.

Jaden nickte und wirkte mit seinen großen Augen ziemlich müde. Sie setzte ihm den ersten Pfannkuchen vor die Nase, schmierte Marmelade darauf und schnitt ihn in kleine Stücke. Dann drückte sie dem Kind eine Gabel in die Hand. Etwas ungeschickt spießte Jaden ein Stück auf und schob es sich in den Mund. Sofort klebte überall in seinem Gesicht Marmelade und erste Tropfen fielen bereits auf das T-Shirt. „Shit!“, fluchte Kaja laut, was ihr einen vorwurfsvollen Blick des Kindes einhandelte. Kaja runzelte die Stirn und merkte sich das. Nicht dass dieses Monster seinen Eltern von ihrer vulgären Sprache erzählte! Er war bereits in einem Alter, in dem er sie verpetzen konnte. „Sorry!“, murmelte sie. „Hast du denn einen Latz?“

Mit vollem Mund schüttelte Jaden den Kopf. „Ich bin doch kein Baby!“

„Aber du kleckerst wie ein Baby!“, stellte Kaja fest. „Warte mal, ich binde dir ein Tuch um, dann wird dein T-Shirt nicht schmutzig. Und Mama und Papa merken nichts!“

Jaden ließ es zu, dass Kaja ein Geschirrtuch um seinen Hals wickelte, und nickte gönnerhaft. Schweigend stopfte er weiter die Pfannkuchenstücke in seinen Mund. Jetzt sah er ganz süß aus.

Kaja legte sich ebenfalls einen Pfannkuchen auf den Teller und aß mit Heißhunger. Seit dem Flug hatte sie nichts mehr gegessen und ihr Magen knurrte unüberhörbar. Sie hatte unterwegs nach einem McDonald’s Ausschau gehalten, aber auf der Fahrt hierher war sie an keinem Geschäft vorbeigekommen. Sie hatte nicht einmal eine Tankstelle gesehen!

Es war lustig, wie sie gemeinsam mit dem Kind deutschen Pfannkuchen futterte. Jaden rieb sich die Augen und schien langsam müde zu werden. Kaja beendete das Essen, stellte die Teller in die Geschirrspülmaschine und nahm das Kind an der Hand. „Wo ist denn das Badezimmer?“, fragte sie.

Jaden zog sie einen Flur entlang und zeigte ihr das Badezimmer. Kaja ließ Wasser in die Wanne laufen und zog Jaden das T-Shirt über den Kopf. „Das soll Mama machen!“, forderte das Kind plötzlich mit Tränen in den Augen. Verunsichert zögerte Kaja. Wenn Jaden jetzt zum Weinen anfing, hätte sie ein Problem. „Hmh, was hältst du davon, wenn ich dir nur den Schlafanzug anziehe und dir etwas vorlese?“ Bestimmt wäre es okay, wenn das Bad heute mal ausfiel.

Die Tränen versiegten und Jaden nickte verhalten.

„Aber den Mund wasch ich dir ab. Da ist ja ganz viel Marmelade dran!“, scherzte Kaja.

Jaden erlaubte ihr diese kleine Prozedur, dann putzte er sich selbständig die Zähne. Er drehte hierzu eine Sanduhr um und rubbelte brav mit der Zahnbürste über seine spitzen Milchzähne bis der Sand abgelaufen war. Kaja lächelte wohlwollend und nahm ihn an der Hand, um ihn in sein Zimmer zu bringen. Das Kinderzimmer war klein. An einer Seite stand ein Bett, daneben ein Spieltisch, der unter dem Spielzeug kaum zu sehen war und auf der anderen Seite ein bunt bemalter Kleiderschrank. Ansonsten starrten einen von den Regalen ungefähr tausend Kuscheltiere an und der Boden war übersät mit Plastikspielzeug. Die Lampe war ein umgebautes Flugzeug, das das Zimmer in einen warmen Schein tauchte. Prüfend musterte Kaja das Zimmer. Hier musste dringend ausgemistet und aufgeräumt werden. Das Kind hatte so viel Zeug, dass es wahrscheinlich gar nicht wusste, mit was es zuerst spielen sollte. „Hast du denn ein Buch?“, fragte sie.

Jaden hüpfte in sein Bett und zog aus einem Nachtkästchen ein Bilderbuch hervor. Mit einem Seufzen setzte sich Kaja neben ihn und begann dem Kind daraus vorzulesen. Sie las und las, bis Jaden die Augen zufielen und er eingeschlafen war, ohne zu merken, dass Mama und Papa immer noch nicht da waren.

Kaja ging in die Küche zurück und räumte auf. Als sie fertig war, setzte sie sich ins Wohnzimmer. Ihr Koffer stand immer noch neben der Haustür und sie wusste nicht wohin. Sollte sie auf Entdeckungsreise gehen? Es war schon spät und sie war hundemüde. Sie sehnte sich nach einem Bett! Weiter hinten im Flur hatte sie eine Treppe entdeckt, die anscheinend ins Obergeschoss führte, und neben der Küche gab es eine Treppe in den Keller. Sie schaltete alle Lichter ein, um nicht das Gefühl zu haben, so allein zu sein, und machte sich auf Entdeckungsreise. Sie fand das Schlafzimmer der Eltern und schloss die Tür, weil sie nicht zu neugierig erscheinen wollte. Neugierig ging sie in das Obergeschoss und machte dort alle Lichter an. Oben war nur eine kleine Mansarde mit einem kleinen Zimmer und einem winzigen Bad. Immerhin hatte es Dusche, Waschbecken und Toilette. Das Bett war bezogen und ein kleines buntes Schild mit Herzchen leuchtete ihr entgegen. „Welcome Kaja!“ stand dort. Sie hatte plötzlich Tränen in den Augen, als sie erkannte, dass die Familie sich auf ihre Ankunft gefreut hatte. Dieses kleine Schild machte die Enttäuschungen des ganzen Tages wett! Sie setzte sich auf das Bett und grub ihre Finger in die weiche Decke. Das hier war ihr Zimmer! Es war schön! Es hatte nur das Bett, einen Schreibtisch und einen Schrank, aber es war liebevoll dekoriert worden. Am Fenster hingen Vorhänge mit einem Blumenmuster, auf einem Regal stand ein Topf mit einer Zimmerpflanze und an der Wand hingen zwei gerahmte Landschaftsbilder. Sie zeigten einen Sonnenuntergang über diesen typischen weißen Felsen und eine Koppel mit Pferden. Die Pferde gefielen ihr. Eines war schwarz-weiß gefleckt und schaute mit wilden Augen in die Kamera.

Kaja ging ins Erdgeschoss zurück und holte ihren Koffer. Sie zog ihn über die Stufen nach oben und begann ihn auszupacken. Es war bereits September und so hatte sie hauptsächlich warme Kleidung eingepackt. Ordentlich verschwanden ihre Jeans, Pullis und ihre Unterwäsche in den Schubfächern oder auf Kleiderbügeln. Sie stellte ein Foto ihrer Familie neben den Blumentopf und legte ein Buch auf das kleine Nachtkästchen neben dem Bett. Sie hatte es, seit sie Deutschland verlassen hatte, nicht mehr gelesen. Keine Zeit. Ihren Kulturbeutel nahm sie mit ins Bad und packte ihr Schminkzeug in ein winziges Regal. Sie war froh, dass sie hier ihr eigenes Reich hatte. Sie versuchte, einen Blick aus dem Fenster zu werfen, konnte aber im Licht der Sterne kaum etwas erkennen. Vielleicht waren da Bäume oder andere Gebäude? Sie freute sich auf den Morgen, wenn sie die nähere Umgebung erkunden konnte.

Mit prüfendem Blick schaute sie sich um, dann kehrte sie ins Erdgeschoss zurück. Sie schaltete den Fernseher ein und zappte durch die Programme. Zum Glück hatte die Familie Pay-TV und so blieb sie an einer Folge „Game of Thrones“ hängen, die sie aber schon kannte. Der Jugendschutzcode war bequemerweise auf der Fernbedienung angebracht, sodass sie alle Programme empfangen konnte.

Die digitale Zeitanzeige am Fernseher zeigte bereits weit nach Mitternacht, als sie endlich das Geräusch eines näherkommenden Autos hörte. Sie schob die Vorhänge am Fenster zur Seite und schaute auf die Lichtkegel, die durch den aufwirbelnden Staub zu sehen war. Die Lichter wurden ausgeschaltet und eine Tür zugeschlagen. Schritte kamen auf das Haus zu. Und wenn es nun gar nicht der Professor war, fuhr es Kaja in den Sinn. Vielleicht wussten längst alle auf der Reservation, dass sie allein im Haus war. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss und sie atmete auf. Wenigstens kam jemand, der eine Zugangsberechtigung hatte.

Es war Professor Overstreet, der müde und sichtlich angeschlagen ins Wohnzimmer trat. Er rang sich ein Lächeln ab, als er Kaja erblickte.

„Oh, wie schön, dass du endlich da bist! Tut mir leid, dass ich dich nicht persönlich abholen konnte. Hat das mit Phil geklappt?“

„Ja, alles klar, kein Problem!“, murmelte Kaja etwas verlegen.

„Phil ist ein netter Kerl. Einer meiner Studenten“, erklärte der Professor.

„Ah!“, brummte Kaja. Sie war da ganz anderer Meinung. „Wie geht es Caren?“

Es war erschreckend zuzusehen, wie der Professor buchstäblich in sich zusammensank. Er war an sich eine stattliche Erscheinung. Groß und schlank, mit etwas strubbeligem weißen Haar und einer tiefbrauen Haut. Er sah aus wie ein älterer Indiana Jones, fehlte nur der Schlapphut und die Peitsche. Er plumpste in das Sofa und schob sich mit der Hand die Haare nach hinten. Kaja setzte sich ihm gegenüber und wartete ab.

„Tut mir leid“, murmelte der Mann. Seine blauen Augen wirkten müde und traurig. „Caren brach plötzlich auf der Arbeit einfach zusammen. Sie hatte eine Gehirnblutung und die Ärzte haben sie in ein künstliches Koma gesetzt. Keiner weiß, wie schwer die Schäden sind und ob sie je wieder aufwacht.“

Kaja musste diese Information erst einmal verdauen. Sie sah die Verzweiflung in dem Gesicht des Mannes und schluckte schwer. Sie hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte und was jetzt von ihr erwartet wurde. Mit großen Augen starrte sie ihren Gastvater an und schwieg.

Er machte eine leichte Bewegung mit der Hand und biss die Zähne zusammen. „Keine schöne Situation für dich!“, stellte er fest. „Ich kann natürlich verstehen, wenn du unter diesen Umständen wieder abreisen möchtest.“

Kaja senkte den Blick. Sie war noch nicht einmal angekommen und schon sprach dieser Mann von Abreise! Sie schüttelte empört den Kopf. „Und was ist mit Jaden?“, konterte sie. „Ich bin doch hierhergekommen, um mich um das Kind zu kümmern. Jetzt braucht ihr mich doch erst recht.“

Der Professor sah sie seltsam an. „Ja, schon …“, stotterte er, „… aber die Verantwortung! Ich habe keine Ahnung, wie das hier weitergehen soll. Du bist noch so jung und solltest doch auch ein bisschen Spaß haben …“

„Jetzt warten wir doch erst einmal ab“, schlug Kaja resolut vor. „Im Moment kann man doch noch gar nichts sagen. Ich bleibe hier und dann sehen wir, wie sich alles entwickelt. Du brauchst ja auch Zeit, nach einer langfristigen Lösung zu suchen, wenn das nötig sein sollte. Vielleicht ist in zwei Wochen alles ganz anders?“

Professor Overstreet schien von ihren Worten beeindruckt zu sein. „Ja, vielleicht hat du recht. Wir sollten nichts überstürzen. Ich zeige dir morgen, was es zu tun gibt und dann warten wir ab. Vielleicht wissen wir ja in ein paar Tagen mehr.“

Kaja nickte aufmunternd. „Genau! Ich bin ja schließlich eine Nanny! Wäre ja schlimm, wenn ich nicht helfen könnte.“

Der Professor lächelte schief. „Na ja, immerhin hast du es geschafft, Jaden ins Bett zu bringen!“

„Wieso? Ist das sonst ein Problem?“, erkundigte sie sich.

Der Professor winkte ab. „Ein immenses! Meine Frau muss immer neben ihm liegen, bis er eingeschlafen ist.“

Kaja schüttelte ungläubig den Kopf. „Na, das gewöhnen wir ihm aber ab, bis deine Frau aufwacht!“

Der Professor lachte amüsiert und nickte ihr wohlwollend zu. „Keine schlechte Idee, sich eine deutsche Nanny zu holen. Der Junge braucht ein bisschen Zucht und Ordnung.“

„Na ja, weniger Zucht, aber Ordnung auf alle Fälle“, schränkte sie ein.

Sie schwiegen kurz und Kaja hielt sich die Hand vor den Mund, als sie ein Gähnen unterdrückte.

Der Professor stand auf und verriegelte die Haustür. „Ich wecke dich morgen und zeige dir die Pferde. Außerdem fahre ich mit dir zum Kindergarten, damit du Jaden dort gegen Mittag abholen kannst. Lebensmittel müssten noch genug da sein.“

Kaja nickte bestätigend und schenkte ihrem Gastvater ein Lächeln. „Gute Nacht, Mr Overstreet!“

„Gute Nacht!“, grüßte er zurück. „Und nenn mich Dave!“

Kurze Zeit später lag Kaja unter der Decke ihres Bettes und überdachte die Situation. Sie hatte versucht, ihrem Gastvater Mut zuzusprechen, dabei war ihr überhaupt nicht wohl zumute. Sie hatte plötzlich die Verantwortung für diese Familie, den Haushalt, irgendwelche Pferde und einen kleinen Jungen. So war das nicht geplant gewesen! Sie wollte Spaß, Disco, Abenteuer, Leute kennenlernen und Party, aber nicht Verantwortung! Gut, sie konnte immer noch die Familie wechseln oder ganz abbrechen und nach Deutschland zurückkehren, wenn ihr die Arbeit zu viel wurde. Gleichzeitig wusste sie, dass sie mit jedem Tag, den sie länger blieb, auch mehr in die moralische Pflicht ging, dies durchzustehen. Wenn das Kind sich erst an sie gewöhnt hatte, wäre es unmöglich, die Arbeit hier zu beenden. Dann musste sie tatsächlich warten, bis Professor Overstreet eine langfristige Lösung gefunden hatte oder ihre Gastmutter endlich aufwachte. Sie hatte Mitleid mit Caren. So jung und schon eine Gehirnblutung? Außerdem tat ihr Jaden leid, der seine Mutter jetzt schon vermisste. Er war noch so klein und verstand vermutlich gar nicht, was mit seiner Mutter geschehen war. Sollte sie morgen die Agentur anrufen und erzählen, was hier los war? Mit diesen Gedanken schlief sie ein.

Cornflakes und Plastikmöbel

Am Morgen wurde sie von einem vorsichtigen Klopfen an ihrer Zimmertür geweckt. „Guten Morgen!“, erklang die tiefe Stimme ihres Gastvaters.

„Ich komme gleich!“, rief sie hellwach zurück. Sie hechtete aus dem Bett und zog die Vorhänge zur Seite, um einen Blick auf die Umgebung zu werfen. Die Sonne ging gerade auf und tauchte alles in ein orangenes Licht. Sie sah einige Pappeln und einen Pfad, der zu mehreren Koppeln führte. Auf einer Koppel standen drei Pferde und sie erkannte das gescheckte Pferd mit dem wilden Blick. Seitlich auf einer Koppel standen ein Stall und daneben ein Unterstand. Das Land war hügelig, manchmal von kleinen Senken durchzogen, in denen Büsche wucherten. Nachbarhäuser waren keine zu sehen.

Sie überlegte, welche Schuhe sie anziehen sollte und entschied sich für ihre Flip-Flops. Ihre Stiefel und Joggingschuhe nahm sie in die Hand, um sie nach unten zu tragen. Das Haus war mit Teppich ausgelegt und so war es wohl besser, so etwas Ähnliches wie Hausschuhe anzuziehen. Sie sprang die Treppe hinunter und stellte die Schuhe neben die Haustüre. Dann ging sie dem Geräusch aus der Küche nach.

Professor Overstreet stand bereits an der Kaffeemaschine und goss sich gerade einen Kaffee ein. „Magst du auch einen?“, fragte er.

Sie nickte und setzte sich an den Esstisch. „Soll ich Jaden wecken?“

Der Professor winkte ab. „Noch nicht. Wir haben ein bisschen Zeit. Ich wollte dir erst die Pferde zeigen. Sie sind Carens ganzer Stolz!“