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Selbst eine perfekt organisierte Reise birgt immer noch ein Restrisiko. Aber gerade diese Unwägbarkeiten machen den Urlaub zu einem unvergesslichen Erlebnis. Und wenn etwas richtig schief geht, so kann man spätestens zu Hause darüber lachen. Ob China oder Manchester, Nashville oder Texel, Kanada oder der Schwarzwald, Angie Pfeiffer erzählt mit viel Herz und Humor wissenswerte und amüsante Geschichten rund um das Verreisen.
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Seitenzahl: 178
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Dieses Buch ist meinem Liebsten gewidmet, denn ohne ihn wären all die Reisen weniger spannend, chaotisch, merkwürdig, stressig, wunderbar, bezaubernd und schön gewesen.
Überraschung auf Thai
- wo die Liebe hinfällt
Willkommen in China
– die spinnen, die Chinesen
Schussfahrt
- Bretter die die Welt bedeuten
Kaffeefahrt auf Türkisch
- von Barrakudas und Messerwerfern
Von Ziegen und Jungfrauen
- wo die Götter lächeln
Cabo Verde
- Inseln unter und über dem Wind
Weeppoorwill
- Kanada, die große Freiheit
From Nashville to Leitchfield
- die spinnen, die Amis
Was wollen sie denn in Dänemark
von Gammeldansk und Aquavit
Whisky Cola
- 1975, welch ein Jahr
I love Paris
- von Malern und Granaten
Surprise, Surprise
- Rinderwahn in Manchester
Ostern im Eierland
- Texel oder Nordpol?
Regenträume
- eine ganz besondere Geschichte
Ich verdrehte die Augen und sah meinen Mann verzweifelt an. Leider dachte er gar nicht daran, mich aus der misslichen Situation zu befreien. Im Gegenteil gab er vor weiter in seiner Zeitung zu lesen, wobei er mir ab und zu einen belustigten Blick zuwarf.
„… und ich bin so gespannt auf meine Begleitung. Ich hoffe sie ist noch schöner, als auf den Fotos, nach denen ich sie mir ausgesucht habe.
Die thailändischen Frauen sind unübertroffen grazil …“ So und ähnlich ging es schon seit geraumer Zeit. Mein niederländischer Sitznachbar hatte sich bereits bevor das ‚Boarding Completed’ ertönte vorgestellt. „Hallo, ich bin der Joost de Groot aus Doetinchem.“ Wie sich herausstellte, hatten wir dasselbe Hotel gebucht, was Joost begeistert näher rücken ließ. Er habe sich schon lange auf den Urlaub in Thailand gefreut und sich eine Begleitung aus dem Katalog einer besonders seriösen Agentur ausgesucht, erzählte er. Die Dame würde ihm Land und Leute näher bringen – und vielleicht … Hier legte er eine bedeutungsschwangere Pause ein, was mich hoffen ließ, dass er dieses Thema nicht weiter erläutern würde. Genau das war der Augenblick, in dem Alan, meine bessere Hälfte, seine Zeitung hervorkramte und sich dahinter verschanzte. Leider ließ sich Joost nicht bremsen. „Ich liebe die weibliche Gesellschaft. Frauen sind ja so sensibel.“
‚Ach, und es gibt keine sensiblen Frauen in den Niederlanden?’ ,dachte ich, sprach es aber lieber nicht aus. Nun schwärmte der niederländische Joost seit geraumer Zeit von den thailändischen Frauen insgesamt und seiner ausgesuchten Begleitung im Besonderen. Er ging mir damit gehörig auf die Nerven. Ich beschloss mich schlafend zu stellen.
„Coole Taktik, aber ich weiß genau, dass du nicht schläfst“, flüsterte Alan dicht an meinem Ohr. „Pst“, ich linste vorsichtig durch die Wimpern. „Nachher bemerkt der notgeile Holländer das auch.“
Der Zwischenstopp in Bangkok verlief unspektakulär, Joost schien sich ausgesprochen zu haben und wurde ruhiger. Das änderte sich blitzartig, als der Flieger zur Landung in Phuket ansetzte. Der holländische Casanova wurde nervös, fummelte an seinem Sicherheitsgurt herum, veränderte ständig seine Sitzposition. Während ich entnervt die Augen verdrehte, beobachtete Alan unseren aufgeregten Sitznachbarn mit milder Ironie.
„Donnerwetter“, entfuhr es meinem eher gelassenen Ehemann wenig später, denn Joost wurde von einer glutäugigen und vollbusigen thailändischen Schönheit erwartet. Nach der leidenschaftlichen Begrüßung hängte diese sich bei dem Niederländer ein. Das Pärchen steuerte den Taxistand an. „Sag jetzt lieber nichts und klapp den Mund zu“, warnte ich meine bessere Hälfte vorsichtshalber.
Spät am Abend sah man Joost aus Doetinchem mit seiner bildschönen Thailänderin in inniger Umarmung über die Tanzfläche schweben.
Alan musterte das Pärchen kritisch. „Wenn das für unseren Freund nicht zu einem bösen Erwachen führt. Hast du bemerkt, wie groß die Füße seiner Angebeteten sind?“
„Das habe auch gerade gedacht. Das ist mindestens die Größe 42 und sie ist für eine Thailänderin recht groß.“
„Eben, wer weiß, was die Dame sonst noch zu bieten hat …“
In den nächsten Tagen ließ sich Joost nicht blicken. „Sicher ist er mit seiner Zauberfee beschäftigt“, bemerkte Alan trocken, während ich neugierig Ausschau nach dem jungen Glück hielt. Es dauerte ein paar Tage, bis uns Joost, jetzt ohne Begleitung, über den Weg lief. „Du hast dich aber rar gemacht, sicher bist du schwer beschäftigt, was?“, eröffnete Alan das Gespräch.
„Ja was meinst du, was ich renne! Ich bin den ganzen Tag auf der Flucht!“
„Wie meinst du das denn? Hast du ein Eheversprechen gegeben und es nicht eingehalten?“ Joost schaute sich unsicher um. „Lasst uns bitte in die Hotelbar gehen. Ich gebe einen aus.“ Als wir mit Getränken versorgt waren, erzählte Joost seine Leidensgeschichte: Wie wir gesehen hatten, war er am Ankunftstag von der attraktiven Lulu überschwänglich begrüßt worden. Die thailändische Schönheit gab sich mehr als zuvorkommend, schließlich landete das Pärchen im Hotelzimmer. „Weißt du, ich war so aufgeregt und aufgeladen. Sie zeigte sich sehr zärtlich und einladend, da habe ich nicht lange gefackelt. Sie wollte es von hinten besorgt haben. So eine Nacht habe ich noch nie erlebt! Aber der nächste Morgen …“, Joost schluckte trocken und nahm einen tiefen Zug aus seinem Whiskyglas. „Der nächste Morgen?“, half Alan ihm auf die Sprünge. Wieder schluckte Joost und schüttelte den Kopf. „Tja, also, ich wachte neben ihr auf. Das war toll, sie kuschelte sich dicht an mich. Irgendwas hat gestört. Ich war ja im Halbschlaf und packe ihr instinktiv zwischen die Beine und da hatte ich das was gestört hat in der Hand.“ Kopfschüttelnd kippte Joost den restlichen Drink hinunter. „Das war ein Kerl, ein Kerl mit Brüsten! Soll man so was glauben! Ich habe ihn sofort rausgeschmissen, aber jetzt lauert er mir an jeder Ecke auf und schmachtet mich an. Es sieht fast so aus, als ob Lulu sich in mich verliebt hätte.“ Ich versuchte einen Lachkrampf zu unterdrücken und bekam prompt einen Hustenanfall, während meine bessere Hälfte über das ganze Gesicht grinste. „Dacht ich’s mir doch. Die Füße waren einfach zu groß.“
Joost schaute entrüstet von einem zum anderen. „Warum sagt mir das denn keiner vorher? Ist das die Nachbarschaftshilfe zwischen Deutschland und Holland?“
„Hättest du denn auf uns gehört?“, keuchte ich, krampfhaft nach Luft ringend. „Du warst so auf die thailändische Schönheit fixiert, dass du nicht klar denken konntest, doch offensichtlich bist du jetzt auf dem Boden der Tatsachen angekommen.“
„Das will ich wohl meinen, noch eine solche Erfahrung verkrafte ich nicht“, sagte Joost entschlossen und orderte einen neuen Whisky.
Beim Einchecken für den Rückflug hielt ich eifrig Ausschau nach dem niederländischen Bekannten, denn er hatte sich während des Urlaubs weiterhin rar gemacht. Schließlich entdeckte ich ihn und stieß Alan überrascht an.
„Schau bloß mal, Schatz. Dort ist Joost. Ich glaube es nicht, seine männliche Begleiterin hängt an seinem Hals.“
Wirklich verabschiedete sich Lulu leidenschaftlich von ihrem holländischen Liebhaber, der die Hände nicht von ihr/ihm lassen konnte. Während des Zwischenstopps in Bangkok bekamen wir die Gelegenheit uns mit Joost zu unterhalten. „Ja, ich weiß was ihr sagen wollt“, wehrte der jeden Kommentar ab. „Aber Lulu ist so süß, sexy, anschmiegsam und gar kein richtiger Mann. Nachdem ich mich von dem ersten Schock erholt hatte, sind wir uns nahe gekommen. Sie hat mich von ihren Qualitäten überzeugt. Ich werde sie in die Niederlande nachkommen lassen.“ Und verschämt gestand er: „Ich glaube wirklich, dass ich mich in sie verliebt habe.“ Verblüfft schauten wir uns an. „Ja dann kann ich dir und deiner Lulu nur viel Glück wünschen“, meinte Alan schließlich.
Später, als wir aus dem Kopfschütteln heraus waren, grinste meine bessere Hälfte spitzbübisch. „Da sag noch einer, wir Männer wären nicht romantisch.“
...und wundere dich über nichts
Das Flugzeug rollte in Richtung der Startbahn. Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück, denn zum ersten Mal konnte ich mich heute einigermaßen entspannen.
Dabei hatte alles gut geklappt. Der Wecker klingelte zum richtigen Zeitpunkt. Ich war freudestrahlend und trällernd aus dem Bett gehüpft, was mir einen strafenden Blick von Alan, meinem Mann, einbrachte. Er hatte am Vortag mit ein paar Kumpeln den Vatertag gefeiert und schien heute Morgen unter leichten Kopfschmerzen zu leiden. „Wie kannst du am frühen Morgen schon so gut gelaunt sein“, murmelte er mit leidendem Gesichtsausdruck. Ich strahlte ihn an. „Ich freue mich, dich auf eine deiner Chinareise zu begleiten. Übrigens bist du an deinem Brummschädel selbst schuld. Also stell dich bloß nicht so an.“ Alan schlurfte brummelnd in Richtung Badzimmer und schloss vernehmlich die Tür hinter sich. Beim Frühstück zeigte sich mein kopfschmerzgeplagter Mann bereits wesentlich besser gelaunt. „Wie du weißt, fliegen wir von Münster aus nach Paris und weiter nach Shanghai. Von dort aus werden wir einen Abstecher nach Hebi machen. Das liegt in der Provinz Henan. Anschließend geht es zurück nach Shanghai und dann nach Peking. Ich hoffe es klappt alles so, wie ich es geplant habe, denn einige meiner Termine stehen noch nicht hundertprozentig fest.“
„Und du sagst, dass jetzt das Wetter dort angenehm ist?“, fragte ich noch einmal nach.
„Ja, klar, Shanghai liegt auf demselben Breitengrad wie Kairo oder wie New Orleans, bloß dass das Klima dort eher subtropisch ist. Jetzt im Mai ist es bei 25 Grad recht erträglich. Die Sommer sind sehr schwül und heiß, während es im Winter feucht ist und ziemlich kalt, zumal es nicht überall Heizungen gibt. Peking liegt auf der Höhe von Rom, aber dort bin ich noch nicht zu allen Jahreszeiten gewesen. Ich weiß allerdings, dass die Stadt gerade im Sommer unter einer dichten Smog-Glocke liegt.“ Ich kam nicht mehr zu einer Antwort, denn unser Sohn kündigte sich, wie gewohnt, durch lang anhaltendes Türklingeln an. Er hatte sich bereiterklärt, uns nach Münster zu chauffieren.
Nun saßen wir im Flieger in Richtung Shanghai und ich schaute interessiert durch das Bullauge beim Einladen des Gepäcks zu. Doch was war das? Mein Koffer wurde abgeladen, gescannt und wieder auf den kleinen Laster gehievt, der das Gepäck gebracht hatte. Fassungslos stupste ich meine bessere Hälfte an: „Schatz, schau doch mal, die laden meinen Koffer wieder auf den Anhänger!“ Inzwischen hatte sich der Kleinlaster in Bewegung gesetzt, mit meinem Koffer auf der Ladefläche. Fassungslos und mit offenem Mund wies ich auf das sich entfernende Fahrzeug. Alarmiert schaute Alan aus dem Fenster, sprang auf und stürmte in den vorderen Teil der Maschine.
Wenig später erschien er mit einem gelangweilten Steward, der nach einer längeren Debatte zu verstehen schien, dass sich mein Gepäck auf dem Weg nach irgendwo befand. Er griff sich die Gepäckabschnitte und spurtete in Richtung Ausgang, um einige Zeit später atemlos wieder zu erscheinen. Er hatte den Koffer gerettet. Alan lehnte sich zufrieden zurück. „Das wäre geregelt.“ Ich schaute ihn zweifelnd an. „Ja, mein Koffer ist im Flieger, aber deinen Koffer habe ich gar nicht gesehen, ich fürchte der ist auf dem Weg nach Timbuktu.“
Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee weckte mich auf, ich blinzelte vorsichtig. Alan lächelte mich an. „Augen auf, du Schlafmütze, gleich gibt es Frühstück, dann landen wir. Du hast tatsächlich den ganzen Flug verschlafen.“ Ein freundlicher Steward servierte uns Kaffee, fragte nach unseren Wünschen. So verging die Zeit bis zur Landung schnell.
Jeder machte sich bereit, um das Flugzeug zu verlassen, doch bevor das allgemeine Ausstiegschaos entstehen konnte, knisterten die Lautsprecher: „Meine Damen und Herren, wir bitten sie auf ihren Plätzen sitzen zu bleiben, sie werden in Kürze gesundheitlich untersucht. Wir bitten dringend um ihre Kooperation“, lautete die Durchsage. Sofort band sich ein arabisch aussehender Mitreisender seine Schlafmaske wie einen Mundschutz um Mund und Nase. Er hatte wohl etwas gründlich falsch verstanden. Alarmiert schaute ich Alan an, doch der zuckte mit den Schultern. „Du bist jetzt in China, also wundere dich über gar nichts.“ Einige weiß bekleidete Männlein betraten das Flugzeug, die mit einer pistolenähnlichen Apparatur bewaffnet waren. Beim genauen Hinsehen stelle sich heraus, dass sie einen Schutzanzug inklusive der dazugehörigen Schutzbrille und eines Schutzes über Mund und Nase trugen. Drohend hielt einer von ihnen dem ihnen am nächsten sitzenden Passagier die Pistole vor die Stirn und befahlen im strengen Ton: „Close your eyes!“ Der verschreckte ältere Herr wurde leichenblass, fügte sich aber ergeben in sein Schicksal. Seine Gedanken waren ihm am Gesicht abzulesen: Er hatte mit seinem Leben abgeschlossen.
Das Flugzeug war von einer Todesschwadron gekapert worden, er würde das erste Opfer sein. Er schloss die Augen, nur um sie gleich wieder verblüfft aufzureißen. Aus der vermeintlichen Pistole war ein Lichtstrahl auf seine Stirn geschossen worden, um seine Körpertemperatur zu scannen. Das nun gar nicht mehr so gefährlich aussehende Männchen in Weiß grinste, so weit man das unter der Vermummung erkennen konnte. „Ready, you are clean.“ Mit diesen Worten wandte er sich dem nächsten Opfer zu und knurrte drohend: „Close your eyes!“ Alan grinste: „Die Chinesen haben eine unglaubliche Angst vor Krankheiten. Seit es die Vogel/Schweine/Viechergrippe gibt, geht hier die Post ab.“
„Ja aber was passiert, wenn wirklich jemand Temperatur hat?“
„Dann, meine Liebe, werden wir die nächste Woche in dem Hangar verbringen, in den der komplette Flieger geschoben wird.“
Die chinesischen Seuchenbeauftragten arbeiteten sich derweilen durch die Sitzreihen und maßen bei jedem Passagier die Temperatur, was einige Zeit in Anspruch nahm. Zu unserem Glück hatte niemand eine erhöhte Körpertemperatur, sodass die Prozedur ergebnislos beendet wurde. Mit einiger Verzögerung ging es anschließend in den Flughafen und zu den Gepäckbändern, wo wir erleichtert feststellten, dass unsere beiden Koffer sicher angekommen waren.
„So, dann wollen wir mal“, meinte Alan und winkte routiniert nach einem Taxi. „Wie ich schon sagte; wundere dich über nichts und schau am besten gar nicht auf die Fahrbahn.“
Sobald das Taxi losgefahren war, wurde mir schlagartig klar, was er mit seinem rätselhaften Ratschlag gemeint hatte. Bislang hatte ich die Fahrkünste aller südländischen Bus - und Taxifahrer mit einem Lächeln überstanden, nun klammerte ich mich am Vordersitz fest, denn dieser Taxifahrer schlug seine ausländischen Kollegen um Längen. Er hielt sich an keinerlei Geschwindigkeitsbegrenzung, wechselte willkürlich und blitzartig die Fahrbahn, wobei er die Funktion des Blinkers scheinbar nicht kannte. Vielleicht besaß das Fahrzeug auch gar keinen Blinker, eine Hupe hatte es auf alle Fälle. Nach einigen Kilometern musste man vermuten, dass der Taxifahrer sein Auto nicht nach Motorstärke, sondern nach Lautstärke der Hupe ausgesucht hatte. Plötzlich fluchte er lautstark. Während er ein riskantes Ausweichmanöver ausführte, gelang es ihm tatsächlich noch, die geballte Faust drohend aus dem Fenster zu recken. Der Stein des Anstoßes war ein Radfahrer, der mit einem Kühlschrank, der er irgendwie an seinem Drahtesel befestigt hatte, auf unser Taxi zu radelte. Offensichtlich war er auf die falsche Fahrbahn geraten, hatte das aber nicht bemerkt. Ich hatte einen Augenblick vergessen zu atmen und schnappte jetzt nach Luft. „Keine Panik, wir sind fast am Hotel“, grinste Alan mich an.
Am nächsten Morgen ging es mit dem Flieger weiter nach Hebi. Hier, in der Provinz Henan, sah alles wesentlich ärmer aus als im ‚reichen’ Shanghai. Die Bauern standen mit Hacken bewaffnet auf ihren riesigen Feldern, lockerten den Boden und jäteten das Unkraut. Wir fuhren durch ärmliche Dörfer, in deren Gassen halbnackte Kinder spielten. Wie so oft auf der Welt ist auch in China ist der Unterschied zwischen Arm und Reich erschütternd.
Am Abend lernte ich die andere Seite der Medaille kennen, denn wir nahmen an einem typisch chinesischen Dinner teil. Dazu wurden wir in einen separaten Raum geführt, in dessen Mitte ein großer Tisch mit einer drehbaren Glasplatte stand. Nach und nach wurden die verschiedensten Speisen, die auf Platten angerichtet waren, auf den Tisch gestellt. Jeder nahm sich was er mochte. Ich bemühte mich redlich, mit den obligatorischen Stäbchen zurechtzukommen, was mir nach einiger Zeit ganz gut gelang. Während des Essens prosteten sich die Männer zu, leerten ihre Schnaps- und Biergläser mit einem Zug. Immer wieder rief einer der Chinesen „gan bei“, wobei er den Gästen zuprostete. „Das heißt so viel wie ‚Glas trocken‘ und bedeutet auf Ex. Es ist nach dieser Aufforderung eine Beleidigung das Glas nicht bis auf den Grund zu leeren“, klärte Alan mich auf.
„Du meine Güte, das entwickelt sich hier zu einem Trinkgelage. Gut, das bei den Damen eine Ausnahme gemacht wird. Ich wüsste nicht, wie ich das alles trinken sollte.“ Alan grinste verschwommen. „Ich fürchte, my Dear, du wirst mir nachher ins Bett helfen müssen.“ Ein theatralischer Seufzer folgte. „Was macht man nicht alles für die Firma.“
Zugegeben; ich esse gerne gut, aber irgendwann ging nichts mehr. „Wenn ich jetzt noch irgendetwas essen soll, dann platze ich“, wisperte ich Alan zu, doch zum Glück hob der Gastgeber die Tafel auf. ‚Wunderbar, jetzt eine schöne heiße Dusche und dann ins Bett’, schoss es mir durch den Kopf. Leider blieb dieser Gedanke vorerst ein Wunschtraum, denn nach einigem hin und her ging es in einer kleineren Runde weiter, wobei unser Gastgeber ‚eine entspannenden Fußmassage’ ankündigte. „Keine Sorge“, versuchte Alan mich zu beruhigen, „hier werden Männlein und Weiblein getrennt massiert. Du kannst dich also in Ruhe entspannen.“ Leider war es in diesem Fall nicht so. Ich ließ mich resigniert mit den vier übrig gebliebenen Männern in einen Raum führen, in dem für jeden eine Liege parat stand. Bald darauf betraten fünf junge Damen den Raum und zogen ihren Kunden Schuhe und Strümpfe aus. „Ein Glück, dass ich keine Strumpfhose angezogen habe“, dachte ich. Die Füße wurden in einem Bottich mit heißem Wasser gewaschen, anschließend machten sich die jungen Damen ans Werk. Sie kneteten, klopften, drehten, drückten und massierten an den Füßen herum, dass es in den Gelenken nur so knackte und die Füße schmerzten. „Jetzt wirst du es überstanden haben“, dachte ich.
Dem war nicht so.
Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen, denn die für mich zuständige Masseurin zog ein kleines Glasgefäß aus ihrem Köfferchen.
Dieses Ding erinnerte fatal an Abbildungen, in denen das Schröpfen im Mittelalter gezeigt wurde. Zu meinem Entsetzen füllte die Chinesin ein wenig blaue Flüssigkeit in das Gefäß, steckte diese an und setzte das Ganze, als die Flamme aufloderte, auf meine Fußsohlen.
„Aua!“, quiekte ich. Das tat wirklich weh, besonders rechts. Die Masseurin zeigte sich völlig unbeeindruckt von diesem meinem Jammerton. Wahrscheinlich war sie ein viel heftigeres Geschrei gewohnt. Sie bewegte das Glasgefäß, welches sich an der rechten Fußsohle festgesaugt hatte eifrig hin und her, was nicht weniger schmerzte. Entschlossen mich nicht weiter foltern zu lassen zog ich meinen Fuß weg, worauf sich das Glas mit einem lauten ‚Plopp‘ löste. Verständnislos fixierte die Chinesin ihr widerspenstiges Opfer. Sie füllte verbissen neue Flüssigkeit in das Gefäß, um es in Windeseile wieder auf die Fußsohle zu setzen.
„AUA!“ Dieses Mal setzte ich mich durch, jedenfalls teilweise, denn die Masseurin beschränkte sich darauf, das Glas auf der anderen Fußsohle auf und ab zu bewegen. Es schien nicht so fest zu sitzen, denn es schmerzte weniger heftig. Endlich ließ sie von meinen malträtierten Füßen ab, rieb sie mit einer Lotion ein, rubbelte sie anschließend trocken und verließ, zusammen mit ihren Kolleginnen, den Raum. „Jetzt wirst du es überstanden haben“, dachte ich.
Dem war nicht so.
Wenig später klopfte es heftig an der Tür. Die Damen betraten erneut das Zimmer, dieses Mal mit einem Holzhammer bewaffnet. Die für mich zuständige Person bedeutete mir, mich flach hinzulegen. Ich versuchte, nicht an meine mühsam gestylte, mit Haarspray fixierte Frisur zu denken und folgte ihren Anweisungen mit einem resignierten Seufzer. Der Hammer wurde mir in die Hand gedrückt. Offensichtlich sollte ich mich damit selbst beklopfen, während die Masseurin mit einer Ganzkörpermassage begann. Ein Fünkchen Hoffnung keimte in mir auf: Würde es gelingen, die immer heftiger an mir herumknetende Person KO zu schlagen, ehe diese mein neues Seidenoberteil ruiniert und meine Hose völlig zerknittert hätte? Definitiv nicht, dazu war der Hammer zu klein. Obwohl – ein gezielter Hieb? Die, ob des widerspenstigen ausländischen Weibes immer rabiater werde Chinesin bedeutete mir, mich auf den Bauch zu drehen. Jetzt war schon alles egal. Schröpfgeräte auf den Fußsohlen, eine ruinierte Frisur und verknitterte Kleidung. Warum nicht auch noch ein verschmiertes Make-up? Gottergeben drehte ich mich in die gewünschte Position und ließ meinen sowieso schon schmerzenden Rücken auch noch verbiegen und beklopfen.
Irgendwann gehen auch die schlimmsten Prüfungen zu Ende. Ich hob vorsichtig den Kopf und sah in Alans grinsendes Gesicht, der sich ein weiteres Bier verordnet hatte.
Der Gastgeber trat auf uns zu. „Was`nt it good?“, fragte er. Ich murmelte etwas Belangloses, denn ich wollte einfach nur zurück ins Hotel. In der Lobby angekommen wurde noch kurz den Plan für den nächsten Tag besprochen, wobei sich herausstellte, dass man in der Zeit, in der Alan Verhandlungen führte, eine zweitägige Tour für mich arrangiert hatte.
Wohin es gehen sollte und wo ich übernachten würde, war den Ausführungen nicht zu entnehmen. „Seid doch froh“, meinte Alan, als wir endlich in Bett lagen. „So etwas erlebst du nie wieder.“ „Du hast Recht, sooo etwas erlebe ich nie wieder!“, seufzte ich.
„Hallo, I` m Fangfang.“ Eine zierliche Chinesin schüttelte mir, für ihre Zartheit erstaunlich kräftig, die Hand. Das sollte also meine Begleiterin für die nächsten zwei Tage sein. Hinzu kam Lulu, die nicht weniger kleine, aber ziemlich rundliche Freundin Fangfangs. Herr Lee, die Fahrer, musterte mich mit strengem Blick. Schnell schaute ich an mir herunter, aber sogar die Schuhe waren geputzt, er konnte nichts bemängeln.