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Diavolo, Italien
"Ob uns hier der Teufel begegnet?" Emma Graham kicherte wie ein kleines Schulmädchen, obwohl sie bereits Mitte zwanzig war. Die hübsche Studentin stellte den Rucksack direkt neben dem Ortsschild ab. "Los, ich mache ein Selfie von uns!"
Debby Conway zögerte. Sie war weit weniger aufgekratzt als ihre Freundin.
"Diavolo ... hört sich gruselig an."
"Ach was, komm schon her."
Die beiden Freundinnen stellten sich vor dem Ortsschild auf. Emma schaute bewusst verführerisch drein, als sie das Selfie machte.
"Sehe ich nicht aus wie eine leibhaftige Hexe?", feixte sie und reichte Debby das Smartphone.
Debby wurde blass vor Schreck, als sie das Foto auf dem Display sah.
Im nächsten Moment schrie sie auf und ließ das Smartphone zu Boden fallen ...
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Seitenzahl: 134
Cover
Impressum
Der Feuerfluch der Gaukler
Briefe aus der Gruft
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Dennis Simcott
eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-6817-8
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Der Feuerfluch der Gaukler
von Logan Dee
Diavolo, Italien
»Ob uns hier der Teufel begegnet?« Emma Graham kicherte wie ein kleines Schulmädchen, obwohl sie bereits Mitte zwanzig war. Die hübsche Studentin stellte den Rucksack direkt neben dem Ortsschild ab. »Los, ich mache ein Selfie von uns!«
Debby Conway zögerte. Sie war weit weniger aufgekratzt als ihre Freundin.
»Diavolo … hört sich gruselig an.«
»Ach was, komm schon her.«
Die beiden Freundinnen stellten sich vor dem Ortsschild auf. Emma schaute bewusst verführerisch drein, als sie das Selfie machte.
»Sehe ich nicht aus wie eine leibhaftige Hexe?«, feixte sie und reichte Debby das Smartphone.
Debby wurde blass vor Schreck, als sie das Foto auf dem Display sah.
Im nächsten Moment schrie sie auf und ließ das Smartphone zu Boden fallen …
«Spinnst du? Weiß du, wie teuer das Ding war?«
»Es … es tut mir leid«, stammelte Debby und blickte betroffen auf das auf dem steinigen Boden liegende Smartphone. Aber ihr Gesichtsausdruck spiegelte noch etwas anderes wider. Eine Mischung aus Entsetzen und Ekel. So als betrachte sie ein giftiges widerwärtiges Insekt.
»Was ist denn los mit dir?«, bohrte Emma nach. Sie bedauerte es bereits, ihre Freundin so angefahren zu haben, und streichelte ihren Arm. »Tut mir leid, dass ich dich so angemacht habe. Aber du weißt ja …«
Debby nickte. Das superteure Smartphone hatte Emma zum erfolgreichen Masterabschluss von ihren Eltern geschenkt bekommen. Praktisch als Zugabe zu dem Mini, der ebenfalls noch drin gewesen war. Emmas Eltern führten eine erfolgreiche Arztpraxis und zahlten derartige Geschenke aus der Portokasse. Im Gegensatz zu Debbys Eltern, die in London ein kleines Restaurant betrieben.
Emma bückte sich und hob ihr Smartphone auf. Sie befreite es von dem Straßenstaub und schaute sich das Selfie an. »Ist doch super geworden! Und Diavolo ist auch gut zu lesen. Schau mal …«
Sie reichte Debby erneut das Smartphone, aber ihre Freundin wich erschrocken zurück.
»Was ist denn bloß los mit dir?«, fragte Emma stirnrunzelnd.
Erneut blickte sie auf das Display. Sie sah darauf wirklich aus wie eine Hexe. Eine, die dem Teufel durchaus gefallen könnte. Die blonden Haare umrahmten ein attraktives Gesicht. Ihre im Fitnesscenter erworbene sportliche Figur betonte sie mit einer hautengen Jeans und einem ebenso engen Shirt, das sich über dem perfekt geformten Busen spannte.
Ihre Freundin Debby erinnerte dagegen ein wenig an Aschenputtel, aber das lag einzig und allein daran, dass sie wenig aus sich machte – fand zumindest Emma. Wie oft hatte sie ihrer Freundin geraten, es doch mal mit einer anderen Frisur zu versuchen. Oder sie ermuntert, mit ihr einen Boutiquenbummel in der Carnaby Street zu unternehmen. Aber Debby fühlte sich in ihren langen wallenden Kleidern und ihren Birkenstocksandalen wohler als in schicken Designerklamotten.
»Siehst du denn die Gestalt nicht?«, fragte Debby nun irritiert.
»Welche Gestalt?« Unwillkürlich sah Emma über die Schulter nach hinten. Aber da war niemand.
»Auf dem Foto!«, beharrte Debby
Stirnrunzelnd betrachtete Emma das Selfie nun zum dritten Mal. Sie bemühte sich, darauf eine Gestalt zu erkennen – vielleicht jemand weit entfernt im Hintergrund? –, aber außer einem schwarzen Schatten, der aus irgendeinem Grund zwischen ihr und Debby zu erkennen war, gab es darauf nichts Ungewöhnliches zu sehen. Und erst recht nichts, das Debbys Verhalten erklären würde.
»Tut mir leid, Liebes, aber ich kann keine Gestalt auf dem Foto sehen.«
Nun beugte sich Debby ebenfalls erneut über das Smartphone. Sie musste sich dazu überwinden. Der Widerwille war ihr deutlich anzumerken.
»Da … da ist tatsächlich niemand«, sagte sie schließlich.
»Sag ich doch!«
»Aber vorher stand da jemand direkt hinter uns. Eine Gestalt mit einem Gesicht, das ganz aus Flammen bestand!«
»Du spinnst!«
Debby kniff die Lippen zusammen und verschränkte die Arme. »Wenn du meinst …«
»Ach komm, jetzt sei nicht eingeschnappt. Vielleicht … vielleicht hat ja irgendwas reflektiert …«
Obwohl sie wusste, dass das nicht sein konnte, denn das Display bestand aus spiegelfreiem Glas. Aber sie dachte nicht daran, sich die Laune verderben lassen. Schließlich waren sie eine Stunde hier hochgewandert, um eines »der ältesten Bergdörfer der italienischen Riviera, dessen verwinkelte Gassen an ein Labyrinth erinnern« zu erkunden. Demnach erwartete sie hier oben »das ursprüngliche Italien«, wie der Kellner im Hotel ihnen vorgeschwärmt hatte. »Und eine Überraschung«, hatte er betont, ohne zu verraten, wie die wohl aussah.
Allerdings hätte Emma nicht gedacht, dass der Marsch so anstrengend werden würde. Kein Wunder, die Sonne stand fast senkrecht am Himmel und bescherte eine unerträgliche Hitze. Eigentlich herrliches Strandwetter. Oder eins um – noch besser – auf der schattigen Terrasse ihres Hotels zu liegen und einen Cocktail zu schlürfen …
Emma seufzte. »Lass uns weitergehen. Laut Luigi erwartet uns in Diavolo zumindest ein Gasthaus. Ich brauche unbedingt einen eiskalten Hugo.«
Dass ihre Freundin in einem Bergdorf ausgerechnet ihren aktuellen Lieblings-Cocktail serviert bekommen würde, bezweifelte Debby. Der Gedanke heiterte sie kurz auf. Andere hätten den Urlaub mit Emma sicherlich nervig gefunden. Sie war verwöhnt, sprunghaft, launisch, exzentrisch – aber eben auch ihre beste Freundin.
Typisch Emma, dachte sie in der Regel, wenn Emma ihre Launen auslebte und beispielsweise im Hotel vor allen Leuten den Kellner zur Schnecke machte. Vor einigen Tagen hatte sie Luigi ziemlich bloßgestellt, als der die Eiswürfel vergessen hatte. Zum Glück war der nicht nachtragend gewesen. Im Gegenteil, er hatte ihnen sogar den Tipp gegeben, sich doch mal Diavolo anzusehen. Regelrecht geschwärmt hatte er von dem Ort. Und ihnen sogar einen Stadtplan in die Hand gedrückt.
»Hast recht. Allerdings reicht mir schon ein Wasser …«, sagte Debby.
»Wie? Ist die Flasche schon leer?«
Debby seufzte innerlich. »Ja, leider«, sagte sie und musste daran denken, dass sich Emma strikt geweigert hatte, Gepäck mitzuschleppen. Debby hatte stattdessen einen kleinen Rucksack mit Proviant und einer Wasserflasche mitgenommen. Und natürlich hatte sie schwesterlich geteilt, als der Weg hinauf immer beschwerlicher wurde und die Schwüle immer unerträglicher.
Man konnte Diavolo auch mit dem Wagen ansteuern. Auf der anderen Seite des Bergs führte eine schmale Serpentinenstraße hinauf. Allerdings hatte man sie gewarnt, die Straße zu benutzen, da diese allenfalls mit einem Trecker oder SUV befahrbar war. Mit Emmas funkelnagelneuem Mini hätten sie da keine Chance gehabt. Also waren sie den Pfad hochgewandert.
Während sie den Weg fortsetzten, zogen die ersten dunklen Wolken am Himmel auf.
»Manchmal kommt hier oben in den Bergen ein Gewitter von einem Moment zum nächsten runter«, sagte Debby.
»Wer sagt das?«
»Mein Reiseführer.«
Emma verdrehte die Augen. »Das ist doch keine Bibel. Und außerdem würde ein Schauer ganz guttun …« Sie streckte sich, und die Schweißflecke an ihrem Shirt traten noch deutlicher hervor.
Debby erwiderte nichts darauf. Sie wusste es besser. Gegen einen Schauer hätte auch sie nichts einzuwenden gehabt. Aber vor plötzlich auftretenden Gewittern hatte ihr Reiseführer ausdrücklich gewarnt.
Unwillkürlich ging Debby nun schneller, mehrmals beschwerte sich Emma, dass sie kaum mitkam. Nach fünf Minuten klatschten die ersten schweren Regentropfen herab. Aus der Ferne war ein Grummeln zu hören. Ein tiefer grollender Laut, der näher und näher kam.
»Hoffentlich schaffen wir’s noch rechtzeitig«, sagte Emma. Von ihrer Sorglosigkeit war plötzlich nichts mehr zu spüren. Das sich ankündigende Gewitter machte auch ihr Angst. Ihr wurde bewusst, dass es hier oben nirgendwo einen schützenden Ort gab, um sich vor den Naturgewalten in Sicherheit zu bringen. Rechts war nur die Felswand, und links ging es tief hinab.
»Schau mal dort!« Debby sah es zuerst – das in den Fels eingemeißelte übergroße Gesicht, das eine flammende Fratze darstellte.
»Echt gruselig«, stellte Emma fest und verschränkte die Arme. Sie spürte, wie eine Gänsehaut ihren Leib überzog. Die Fratze wirkte grausam und lüstern zugleich. Die steinernen Augen schienen sie zu durchbohren. »Der Typ macht mir irgendwie Angst. Gut, dass er nur aus Stein ist.«
Trotz ihrer lockeren Wortwahl fühlte sie sich zunehmend unwohler.
Debby schwieg und ging weiter. Auch sie fühlte sich alles andere als wohl. Noch immer spukte ihr das Selfie durch den Kopf. Aber auch das Gesicht im Felsen war nicht dazu angetan, ihre Besorgnis zu zerstreuen. Zu sehr erinnerte es sie an die Gestalt auf dem Foto. Und sie war sich sicher, dass sie es sich nicht eingebildet hatte!
Der Regen klatschte nun herab. Im Nun waren die beiden jungen Frauen nass bis auf die Haut. Und erfrischend war er nur im ersten Moment. Die Wolken hatten die Sonne verdrängt, und die Temperatur sank rapide.
Doch bereits nach der übernächsten Kurve tauchten plötzlich die ersten Häuser vor ihnen auf. Schwarze hingeduckte Bauten, deren Mauern von dem Regen wie Käferrücken glänzten. Der Pfad verbreiterte sich. Hinter den ersten Behausungen erhoben sich dicht an dicht weitere Bauten. Manche schienen direkt in den Berg hineinzuwachsen. Zu sehen war kein Mensch, dafür brannte hinter einigen Fenstern Licht. Mittlerweile war es so dunkel geworden, als sei es bereits Abend.
»Und was machen wir jetzt?«, rief Emma. Sie musste gegen den Wind anschreien.
»Notfalls klopfen wir an irgendeiner Tür und bitten darum, dass man uns Schutz gewährt, bis der Regen vorüber ist.«
»Hier wohnen bestimmt nur irgendwelche Freaks!«
»Also schön. Irgendwo muss es ja hier ein Gasthaus geben … Warte mal, Luigi hat uns doch den Lageplan gegeben …«
Sie zog ihn aus dem Rucksack und versuchte ihn zu studieren, dabei hatte der Regen ihn bereits nach Sekunden durchnässt.
»Dort lang!«, bestimmte Debby schließlich. Sie durchschritten ein Tor, das in eine meterhohe Mauer eingelassen war, und gelangten in das Innere des Dorfes. Rasch verloren sie sich in den labyrinthischen Gassen. Noch immer war kein Mensch zu sehen, aber wer wagte sich bei dem Unwetter auch schon hinaus?
Schließlich tauchte vor ihnen ein Gebäude auf, das die anderen um zwei Stockwerke überragte.
»Das Gasthaus!«, stellte Debby erleichtert fest.
»Hat es auch einen Namen?«
»Keine Ahnung.« Aber auch Debby sah das im Wind schaukelnde Schild, auf dem ein Kopf aufgemalt war, der frappierend der in den Felsen eingemeißelten Fratze ähnelte.
Sie liefen die letzten Meter.
Gott, bitte mach, dass es nicht geschlossen hat, flehte Debby.
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus, als die schwere Tür nach innen nachgab. Rasch trat sie ein und suchte Zuflucht vor dem Unwetter. Emma folgte ihr dichtauf.
Es dauerte ein paar Momente, bis sich Debbys Augen an das schummrige Licht im Innern gewöhnt hatten, aber dann erkannte sie die wuchtige Theke, die Tische und die hochgestellten Stühle.
»Wahrscheinlich haben die ausgerechnet heute ihren Ruhetag«, sagte Emma.
»Immerhin sind wir hier vor dem Regen sicher und …«
Sie verstummte, als schwere Schritte zu hören waren. Im nächsten Moment wurde eine Tür aufgestoßen, und ein Schatten schob sich in den Gastraum. Ein kleiner, gedrungener Mann kam auf sie zu. Er mochte um die fünfzig sein und hatte schütteres Haar. Er wirkte ungepflegt und nicht sehr vertrauenserweckend. Mit Schaudern blickte Debby auf seine blutbefleckte Schürze.
Als er die beiden Frauen sah, bemühte er sich um ein Lächeln, das jedoch irgendwie falsch wirkte, wie Debby fand.
»Was kann ich für Sie tun? Wir haben heute geschlossen …«
»Verzeihen Sie, aber wir suchen nur Zuflucht vor dem Unwetter«, erklärte Debby in bestem Italienisch. Meine Freundin und ich sind von dem Unwetter überrascht worden.«
Der Mann runzelte die Stirn. »Hat Sie denn niemand gewarnt? Der Wetterbericht hat Gewitter angekündigt. Wo kommen Sie überhaupt her?«
Debby erklärte es ihm.
»Normalerweise verirren sich kaum Touristen hierher«, sagte der Mann, der sich nun als Filippo – »einfach nur Filippo« – vorstellte. »Wir haben hier oben ja auch nichts zu bieten. Aber jetzt, wo Sie schon mal da sind …« Ihm schien plötzlich etwas durch den Kopf zu gehen. Er rieb sich die Bartstoppeln, und das Lächeln auf seinen Lippen wirkte geradezu diabolisch, als er fortfuhr: »So, wie es aussieht, kommen Sie hier auch im Moment nicht mehr weg. Wenn der Himmel hier oben erst einmal seine Schleusen öffnet, kann es stundenlang so weitergehen …
»Aber dann ist es dunkel«, entfuhr es Emma.
Filippo zuckte mit den Schultern. »Ein Zimmer kann ich Ihnen gerne anbieten …«
»Gerne. Notfalls …«
Emma stupste ihre Freundin in die Rippen und unterbrach sie. »Niemals! Ich habe heute Abend noch was Dringendes vor …«
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können, Signorina«, erwiderte Filippo, und diesmal erinnerte sein Grinsen frappant an die Fratze auf dem Wirtshausschild über dem Eingang.
☆
»Mir ist kalt, ich friere erbärmlich. Ich habe Hunger und will hier weg!«
Filippo hatte recht behalten. Das Unwetter hatte nicht aufgehört. Im Gegenteil, es hatte an Stärke noch zugenommen. Der Wirt hatte ihnen schließlich ein Zimmer zugewiesen. Hagelkörner prasselten gegen die Fensterscheiben. Draußen war es finster wie in einem Schacht.
»Dein Jammern hilf uns auch nicht weiter«, entgegnete Debby.
Im Gegensatz zu ihrer Freundin hatte sie sich mit der Situation abgefunden. Im Grunde fand sie sie sogar auf prickelnde Weise spannend. Die immer gleichen Tage am Strand und die Nächte in den Clubs würde sie bald vergessen haben. Aber von der Nacht in den Bergen würde sie vielleicht ihren Enkeln noch erzählen.
Gut, der Wirt war ein wenig unheimlich, aber immerhin hatte er extra für sie ein schmackhaftes Essen zubereitet: Trippa alla fiorentina. Ihr hatte es vorzüglich geschmeckt, nur Emma hatte den Teller naserümpfend beiseitegeschoben, als sie spitzbekam, dass es sich um Kutteln und andere Innereien handelte. Kein Wunder, dass sie Hunger hatte.
»Wir hätten nie hier hochwandern sollen«, maulte Emma. »Wer hatte überhaupt die Idee?«
»Du«, erinnerte Debby sie.
»Das war eine Scheißidee! Bloß weil dieser Idiot von Luigi mich heiß gemacht hat. Glaubst du etwa, ich krieg in dieser Dreckbude auch nur ein Auge zu? Bestimmt ist das Bett voller Wanzen.«
»Bestimmt«, sagte Debby, obwohl sie nicht glaubte, dass es im Zimmer Ungeziefer gab. So schmutzig, wie Emma behauptete, war es nicht. Allenfalls wirkte alles ein wenig verschlissen und staubig.
»Und wer sagt uns, dass dieser Filippo uns heute Nacht nicht einen Besuch abstattet? Vielleicht hat er ja noch ein paar Kumpels, die nur darauf gewartet haben, dass hier mal wieder ein paar Frauen auftauchen …«
»Du guckst zu viel Horrorfilme. Ich wette, morgen früh siehst du alles mit anderen Augen …
»Morgen früh! Bis dahin bin ich verhungert. Und verdurstet! Wenn wir wenigstens Wein mit nach oben genommen hätten.«
»Gute Idee«, sagte Debby. »Ich geh runter und bitte Filippo um eine Flasche.« Emmas Nörgelei ging ihr allmählich auf die Nerven. Wenn sie ihre Freundin mit Alkohol beruhigen konnte, würde ihr das nur recht sein. Sie erhob sich von dem wackeligen Stuhl und schritt zur Tür.
»Du willst mich hier allein lassen?«, entfuhr es Emma.
»Glaubst du etwa, du wirst entführt, wenn ich mal ein paar Minuten nicht auf dich aufpasse?«
»Na gut, aber beeil dich!«
Debby war froh, sich wenigstens für kurze Zeit von Emma loszueisen. Sie kannte sie nicht wieder. Als ob sie mit der Ankunft in Diavolo ihr Selbstbewusstsein irgendwo abgegeben hätte.
Auf der Treppe nach unten hörte Debby Stimmengemurmel. Es hörte sich nach vielen Leuten an. Einige von ihnen schienen miteinander zu streiten. Sie überlegte kurz, ob es nicht besser wäre, ins Zimmer zurückzukehren, entschied sich aber dagegen. Feige war sie noch nie gewesen, auch wenn sie neben Emma meistens wie ein Mauerblümchen wirkte.
Das Erste, was ihr auffiel, als sie den Gastraum betrat, war der flackernde Schein der zahlreichen Fackeln, die an den Wänden hingen. Das Zweite waren die vielen Frauen und Männer, die den Raum nun füllten. Hatte Filippo nicht was von Ruhetag erzählt?
Tag vielleicht, aber nicht Abend …
Die Leute saßen an den Tischen und tranken und diskutierten lautstark. Einige andere standen in Grüppchen zusammen und stritten miteinander. Filippo stand hinter der Theke und beeilte sich, mit dem Weinausschenken nachzukommen, während mehrere Frauen die gefüllten Gläser unter das Volk brachten. Das Merkwürdigste aber waren die Gewänder, die die Gäste trugen. Sie waren aus farbigen Tüchern gewebt und wirkten ebenso altertümlich wie die Kopfbedeckungen. Debby hatte den Eindruck, in eine bunte Karnevalsgesellschaft hineinzuplatzen.