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EIN GENTLEMAN UND HERZENSBRECHER von MARIE FERRARELLA Yohanna glaubt, in einem Märchen zu sein: Ihr neuer Chef ist unglaublich attraktiv und anziehend – genau der Richtige für sie! Doch nach zärtlichen Momenten der Nähe wendet sich Lukkas immer wieder von ihr ab. Sie muss herausfinden, warum er seinen Gefühlen nicht vertraut … UNENDLICHE ZÄRTLICHKEIT von DIANA HAMILTON Kaum hängt das wertvolle Gemälde, schon erhält die schöne Caro einen Anruf: Der erste Interessent meldet sich bereits! Aber dann erfährt Caro, wer das Bild kaufen will – Ben Dexter, mit dem sie den süßen Zauber einer ersten Romanze erlebte. Damals zerbrach ihre Liebe an einer Intrige … SAG EINFACH JA! von KIM LAWRENCE Luca di Rossi ist alles, wovon Frauen träumen: reich, charmant und umwerfend sexy! Dass dieser Mann Interesse an ihr hat, kann Judith eigentlich gar nicht glauben. Sein Angebot? Sie soll ihn heiraten, damit er das Sorgerecht für seine uneheliche Tochter bekommt!
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Seitenzahl: 560
Marie Ferrarella, Diana Hamilton, Kim Lawrence
JULIA SAISON BAND 81
IMPRESSUM
JULIA SAISON erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© Deutsche Erstausgabe 2024 in der Reihe JULIA SAISON, Band 81
© 2015 by Marie Rydzynski-Ferrarella Originaltitel: „Her Red-Carpet Romance“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Valeska Schorling Deutsche Erstausgabe 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg,in der Reihe BIANCA EXTRA, Band 61
© 2001 by Carol Hamilton Dyke Originaltitel: „The Billionaire Affair“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Fanny Gabor Deutsche Erstausgabe 2002 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1518
© 2003 by Kim Lawrence Originaltitel: „The Italian Playboy’s Proposition“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Bettina Röhricht Deutsche Erstausgabe 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe JULIA, Band 1110
Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 08/2024 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751525275
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. Jegliche nicht autorisierte Verwendung dieser Publikation zum Training generativer Technologien der künstlichen Intelligenz (KI) ist ausdrücklich verboten. Die Rechte des Autors und des Verlags bleiben davon unberührt. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY
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Cecilia Parnell griff nach dem Wohnungsschlüssel ihrer Kundin, hielt dann jedoch inne und zog die leere Hand wieder aus ihrer Jackentasche.
Sie hatte instinktiv den Schlüssel nehmen wollen, weil sie zu all den Wohnungen und Häusern ihrer Kunden Zutritt hatte. Neunzig Prozent ihrer Klientel war nämlich bei der Arbeit, wenn sie und ihre Reinigungskräfte kamen, und der Rest zog es in der Regel vor, nicht im Haus zu sein, während es vom Keller bis zum Dachboden blitzblank geputzt wurde.
Da Cecilia selbst großen Wert auf Privatsphäre legte, benutzte sie grundsätzlich keinen Schlüssel, wenn ein Kunde zu Hause war. Und Yohanna Andrzejewski war heute zu Hause. Das wusste Cecilia deshalb so genau, weil die junge Frau sie um ein persönliches Gespräch gebeten hatte.
Cecilia nahm an, dass sie mit der Arbeit des Reinigungsteams unzufrieden war. Was allerdings ein Novum wäre. Bisher hatte sich noch nie jemand bei ihr beschwert – in all den Jahren seit der Gründung ihres Unternehmens nicht.
Cecilia drückte auf die Klingel und trat einen Schritt zurück, um Yohanna eine Chance zu geben, sie durch den Spion zu sehen.
Ihre Kundin machte sich jedoch gar nicht erst die Mühe nachzusehen, wer vor ihrer Wohnungstür stand, sondern öffnete sofort. Anscheinend hatte sie schon auf Cecilia gewartet.
„Danke, dass Sie gekommen sind, Mrs. Parnell.“ Yohanna schloss die Tür hinter sich. Sie klang etwas atemlos, so als sei sie gerannt.
Oder als habe sie geweint.
„Das war doch selbstverständlich“, antwortete Cecilia freundlich. Sie wollte gerade etwas hinzufügen, als ihr auffiel, wie verstört die junge Frau aussah. Yohanna, die sonst immer gut gelaunt war, wirkte heute nicht nur traurig, sondern sah auch etwas blass aus. Sofort erwachte Cecilias Mutterinstinkt. „Was ist los?“, fragte sie besorgt.
Yohanna seufzte tief. „Ich … ich fürchte, ich muss Ihre Dienste kündigen“, murmelte sie. Es war ihr offensichtlich sehr unangenehm.
Cecilia konnte sich beim besten Willen keinen Grund vorstellen, warum man ihrem Reinigungsteam kündigen sollte. Sie ließ ihre Mitarbeiter immer sehr gründlich überprüfen, bevor sie sie einstellte. Dank ihrer Tochter, die Privatdetektivin war, war das kein Problem. All ihre Mitarbeiter waren seit mindestens zwei Jahren bei ihr und leisteten ausgezeichnete Arbeit.
Aber irgendetwas musste vorgefallen sein.
„Darf ich fragen, warum?“
Yohanna riss erschrocken die Augen auf, als ihr bewusst wurde, dass ihre Worte anscheinend etwas missverständlich gewesen waren. Sie beeilte sich, das wieder geradezurücken: „Oh nein, es liegt nicht an Ihnen oder Ihrem Team. Ich bin absolut begeistert von Ihrer Arbeit.“
Cecilia runzelte verwirrt die Stirn. „Dann verstehe ich nicht. Wenn Sie so zufrieden sind, warum kündigen Sie uns dann?“ Kaum hatte sie diese Frage gestellt, sah sie Tränen in den blauen Augen der jungen Frau schimmern. „Ach, Schätzchen, was ist los?“, wiederholte sie bestürzt. Diesmal verzichtete sie auf jegliche Förmlichkeit und nahm die junge Frau tröstend in die Arme.
Normalerweise behielt Yohanna ihre Probleme für sich selbst. Sie fiel anderen Menschen nicht gern zur Last, schon gar nicht denen, die ihr sowieso nicht helfen konnten. Doch heute war sie so verzweifelt und fühlte sich so hilflos und allein, dass sie keinen Widerstand leistete. „Ich bin gestern entlassen worden“, schluchzte sie. „Ich kann Sie mir nicht mehr leisten.“
Langsam führte Cecilia die junge Frau zu dem hellgrauen Sofa und setzte sich neben sie. „Machen Sie sich darüber mal keine Sorgen. Sie sind seit vier Jahren eine meiner zuverlässigsten Kundinnen, da finden wir schon eine Lösung. Erzählen Sie mir, was passiert ist.“
Yohanna holte tief Luft. Entlassen worden zu sein, war für sie eine völlig neue Erfahrung, und sie fühlte sich schrecklich.
„Mr. McGuire hat die Kanzlei an Walters & Sons verkauft“, erklärte sie Cecilia. Sie meinte die Rechtsanwaltskanzlei, in der sie gearbeitet hatte. „Die Übernahme wurde vor zwei Tagen rechtskräftig, ohne dass wir vorher darüber informiert wurden. Die Personalchefin hat mich gestern Morgen in ihr Büro gebeten und mir mitgeteilt, dass meine Dienste nicht mehr benötigt werden, da jemand von Walters & Sons meinen Job übernimmt.“
Cecilia konnte sich gut in die junge Frau hineinversetzen. Es musste ein schreckliches Gefühl gewesen sein, einfach so weggeschickt zu werden. In einem Moment war das Leben noch in Ordnung und geregelt, und im nächsten war die Zukunft total unsicher.
„Das ist ja furchtbar“, sagte sie voller Mitgefühl. „Ich mach Ihnen erst mal einen Tee. Dann können Sie mir in Ruhe alles erzählen.“ Sie stand auf. „Dann haben Sie also nichts von der Übernahme gewusst?“, fragte sie auf dem Weg zur Küche.
Yohanna folgte ihr wie ein herrenloses Hündchen. „Nein, gar nichts. Niemand von uns hat Bescheid gewusst. Und ich hab schon vor meinem Collegeabschluss dort gearbeitet. Neun Jahre lang. Neun ganze Jahre“, sagte sie verzweifelt. „McGuire’s ist wie ein Zuhause für mich gewesen.“ Wie zu sich selbst fügte sie hinzu: „Dort hat mir wenigstens niemand damit in den Ohren gelegen, dass ich kein Liebesleben habe.“
Cecilia konnte sich schon denken, wer Yohanna ständig in den Ohren lag. „Anders als Ihre Mutter, meinen Sie?“
Yohanna presste die Lippen zusammen und nickte. „Tut mir leid, dass ich so durch den Wind bin“, entschuldigte sie sich, „aber ich habe gerade mit ihr telefoniert.“
Als sie ihrer Mutter von ihrer Kündigung erzählte, hatte sie auf einen hilfreichen Rat gehofft. Oder zumindest etwas Mitgefühl.
Leider Fehlanzeige.
„Meine Mutter kennt nur eine Lösung für meine Probleme: zu heiraten.“
„Sie will bestimmt nur, dass Sie glücklich sind“, sagte Cecilia, während sie den Wasserkessel über der Spüle füllte.
„Sie will vor allem Enkelkinder“, protestierte Yohanna. „Von ihr aus könnte ich Godzilla heiraten, solange er ihr Enkelkinder beschert.“
Cecilia musste lächeln. „Die Enkel aus dieser Verbindung wären ihr bestimmt viel zu furchterregend.“ Sie stellte den Kessel auf den Herd und schaltete ihn ein. „Aber jetzt brauchen Sie einen neuen Job. Was machen Sie noch mal?“
„Ach, alles und nichts. Ich sorge dafür, dass alles rundläuft, koordiniere zum Beispiel die Termine, Meetings und Lieferungen. Und erledige Telefonate … Ich glaube, Sie könnten mich als Büromanagerin bezeichnen.“
Cecilia nickte. In ihrem Kopf ratterte es bereits. „Ich kenne jede Menge Leute mit guten Beziehungen“, sagte sie. „Ich werde mich ein bisschen umhören. Mal sehen, ob wir Sie nicht wieder sofort an den Mann bringen können.“ In mehr als einer Hinsicht, fügte Cecilia im Stillen hinzu. Ich muss Theresa und Maizie sofort erzählen, dass wir eine neue Mission haben.
„Echt?“ Yohannas Gesicht hellte sich wieder etwas auf. „Ich wäre Ihnen ja so dankbar, wenn Sie etwas für mich tun könnten.“
Cecilia lächelte der jungen Frau beruhigend zu. „Überlassen Sie das nur mir.“
Sie konnte es kaum erwarten, Maizie und Theresa anzurufen. Die beiden würden sofort alles über Yohanna und ihre gegenwärtige Notlage erfahren wollen. „Das kommt schon wieder in Ordnung“, versprach sie der jungen Frau, während sie heißes Wasser in eine Teetasse füllte. „Warten Sie’s nur ab.“
„Na hoffentlich“, murmelte Yohanna.
„Für einen Mann, dessen neuester Film seit drei Wochen auf Platz eins der Kinokassen steht, wirken Sie ganz schön niedergeschlagen“, sagte Theresa Manetti zu ihrem Kunden Lukkas Spader.
Seit zwölf Jahren hatte sie ihren eigenen Catering-Service und war jetzt gerade verantwortlich für die Verköstigung bei der spontanen Abschiedsparty, die der berühmte Produzent für seine Assistentin Janice Brooks gab.
Das große, breitschultrige sechsunddreißigjährige „Wunderkind“, wie man ihn in Fachkreisen nannte, zuckte nur die Achseln. „Ich kann mich nicht auf meinen Lorbeeren ausruhen, Theresa. In diesem Geschäft ist man immer nur so gut wie die neueste Produktion.“
Theresa musterte den jungen Mann aufmerksam. Er hatte gerade ein ganz anderes Problem, das sah sie an seinem besorgten Gesichtsausdruck. „Ihnen macht doch noch etwas anderes zu schaffen“, sagte sie. „Leugnen ist zwecklos, Lukkas. Ich habe zwei Anwälte großgezogen, also können Sie mir nichts vormachen. Außerdem sind Sie jung, sehen gut aus, und Ihnen liegt die Welt zu Füßen. Was ist los?“
Lukkas zuckte wieder mit den Schultern. Er mochte diese Frau, deren Catering-Firma er schon öfter engagiert hatte. Irgendetwas an Theresa Manetti erinnerte ihn an seine verstorbene Mutter. „Sie geht.“
„Sie?“, wiederholte Theresa und sah sich verwirrt im Zimmer um.
Er nickte. „Ja. Jan.“
Theresa war überrascht. „Sie meinen die junge Frau, für die Sie diese Abschiedsparty geben?“ Sie konnte sich die beiden beim besten Willen nicht als Paar vorstellen, aber wenn der Abschied dieser Jan ihm so zu schaffen machte, warum versuchte er dann nicht, sie zum Bleiben zu überreden?
Lukkas nickte wieder. „Ja. Sie heiratet so einen Engländer, den sie bei den Dreharbeiten für My Wild Irish Rose kennengelernt hat.“ Erst jetzt schien ihm zu dämmern, dass Theresa ihn gründlich missverstanden hatte. Hier ging es nicht um eine Herzensangelegenheit. „Verstehen Sie mich nicht falsch“, fügte er hastig hinzu. „Ich freue mich für Jan, aber ich weiß nicht, wie ich ohne sie klarkommen soll.“
„Warum?“, fragte Theresa. „Was macht sie denn so Wichtiges für Sie?“
„Sie organisiert mich“, antwortete Lukkas schlicht. „Ich habe die Ideen und die Inspiration, und Jan ist diejenige, die für eine möglichst reibungslose Umsetzung sorgt.“
Bestimmt kein leichter Job, dachte Theresa. „Und Sie kennen niemanden, der sie ersetzen kann?“
Theresa fand es ehrlich gesagt bedauerlich, dass seine Assistentin schon unter der Haube war. Sie und ihre beiden Freundinnen Maizie und Cecilia hatten nämlich seit fast einem Monat kein Projekt mehr gehabt. Sie liebten ihre Jobs, aber nichts war befriedigender, als Menschen zu verkuppeln, die einander normalerweise nie begegnet wären.
Plötzlich fiel ihr das Pokerspiel vom vorherigen Montag ein. Hatte Cecilia dabei nicht eine junge Frau namens Yohanna Sowieso erwähnt, die gerade ihren Job verloren hatte und viel zu sympathisch und hübsch war, um „ohne Seelengefährten zu leben“ – Cecilias Worte?
„Nein“, antwortete Lukkas. „Es wird nicht einfach, Jan zu ersetzen. Vielleicht sogar unmöglich.“
Theresa schmunzelte. Der Produzent war berühmt. Er war Single. Er sah fantastisch aus. Mit anderen Worten – er war perfekt. „Da wäre ich mir nicht so sicher“, sagte sie geheimnisvoll.
Verdutzt sah er sie an. „Kennen Sie vielleicht jemanden?“
Theresas Lächeln war so liebenswert wie aufrichtig – und aufmunternd. „Mein lieber Junge, ich kenne immer jemanden.“ Ihre Augen funkelten verschmitzt.
„Erzählen Sie mir mehr!“
Keine vierundzwanzig Stunden später stand Yohanna Andrzejewski vor Lukkas Spaders Tür. Der Tür des Lukkas Spader wohlgemerkt – Produzent einiger ihrer Lieblingsfilme.
Sie glaubte immer noch zu träumen. Gleichzeitig war sie so nervös, dass ihr die Knie zitterten.
Sie holte tief Luft, fasste sich ein Herz und drückte auf den Klingelknopf. Sofort musste sie lächeln. Der Klingelton bestand nämlich aus den Anfangstakten der Titelmusik zu seiner ersten Produktion: Dreamland. Sie schloss die Augen, während sie das Stück im Geiste weitersummte.
Und so sah Lukkas sie das erste Mal – mit geschlossenen Augen auf seiner Türschwelle stehend und sich zu einer Melodie wiegend, die nur in ihrem Kopf existierte.
„Kann ich Ihnen helfen?“
Die männliche Stimme, die Yohanna aus ihrer Trance riss, klang tief und sexy. Erschrocken schlug sie die Augen auf.
Der Typ sah ja sogar noch besser aus als auf Fotos. So gut, dass sein Anblick ihr glatt die Sprache verschlug und sie nicht mehr klar denken konnte. Sie brauchte eine Weile, um ihre Fassung zurückzugewinnen.
„Mein Name ist …“, begann sie heiser und räusperte sich verlegen, „… Yohanna Andrzejewski. Ich bin wegen des Jobs hier“, fügte sie überflüssigerweise hinzu.
Lukkas hatte zwar mit ihr gerechnet, aber sie war etwas zu früh dran – was ihm nur recht war. „Das habe ich mir fast schon gedacht.“ Er hielt ihr die Tür auf. „Kommen Sie rein.“
Sie betrat das Haus. „Sie öffnen Ihre Tür ja selbst“, sagte sie verwundert.
„Was bleibt mir anderes übrig? Sie hat noch nicht gelernt, von allein aufzugehen.“
Yohanna musste lachen. „Ich war überrascht, dass Sie ein Haus in Newport Beach haben“, sagte sie. „Ich wohne gar nicht so weit weg.“ Sie hatte mit einer längeren Anfahrt zu den Filmstudios gerechnet und war ehrlich gesagt erleichtert gewesen, dass er sie heute bei sich daheim in Orange County empfing.
„Es ist noch etwas chaotisch hier“, entschuldigte er sich. „Ich bin noch nicht ganz eingerichtet. Das hier ist für mich eine Art Ausweichzuhause. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe Hollywood.“ Er führte Yohanna in sein Büro im Erdgeschoss. Er setzte sich an den Schreibtisch und zeigte auf den Sessel gegenüber. „Aber manchmal habe ich einfach das Bedürfnis, mich zurückzuziehen.“
„Das kann ich verstehen, Sir.“
Lukkas fand ihr scheues Lächeln niedlich, aber es machte ihn auch etwas skeptisch. Würde diese zierliche, attraktive junge Frau diesem Job auch wirklich gewachsen sein?
„In Ihren Bewerbungsunterlagen steht, dass Sie zuletzt in einer Anwaltskanzlei gearbeitet haben? Sind Sie selbst Anwältin?“ Er wusste, dass die meisten Jura-Absolventen erst mal ganz unten anfangen mussten. Falls sie überhaupt einen Job fanden.
„Nein, Sir.“
„Lassen Sie das bitte.“
Yohanna hatte keine Ahnung, wovon er sprach. „Was soll ich lassen, Sir?“
„Mich ‚Sir‘ zu nennen. Dabei komme ich mir vor wie mein eigener Vater.“
„Sorry, Si…“, verhaspelte Yohanna sich, korrigierte sich jedoch in letzter Sekunde: „Mr. Spader.“
„Das ist ja noch schlimmer! Mein Name ist Lukkas. Glauben Sie, Sie schaffen es, mich so zu nennen?“
Yohanna nickte.
„Gut.“ Er legte ihre Bewerbungsunterlagen auf den Schreibtisch, rückte seinen Stuhl dichter heran und beugte sich vor. „Jetzt sagen Sie mal, Yohanna mit dem unaussprechbaren Nachnamen – was, glauben Sie, befähigt Sie zu diesem Job?“
Yohanna neigte zu Bescheidenheit, aber sie hatte das Gefühl, dass dieser Mann ein gesundes Selbstvertrauen bevorzugte. Und Ehrlichkeit. Und ihr Gefühl trog sie nur selten. Sie hatte schon immer eine gute Menschenkenntnis gehabt. „Mrs. Parnell hat mir …“
Er hob eine Hand, um sie zu unterbrechen. „Wer ist Mrs. Parnell?“
„Eine Freundin von Theresa Manetti, der Frau, die …“
Wieder hob er die Hand. „Ich weiß, wer Theresa Manetti ist. Fahren Sie mit Ihrer Antwort auf meine Frage fort.“
Yohanna machte da weiter, wo sie aufgehört hatte. „Sie hat gesagt, Sie suchen jemanden, der zuverlässig Ihre Termine und die Projektabläufe koordiniert.“
Er musterte sie eindringlich. Yohanna wurde nicht schlau aus seinem Gesichtsausdruck. „Und das können Sie?“, fragte er schließlich.
In seiner Frage schwangen weder Belustigung noch Skepsis mit. Er war irgendwie schwerer zu durchschauen als die meisten anderen Menschen. Außerdem machte er sie nervös. Nicht nur, weil er so gut aussah, sondern weil sie diesen Job unbedingt haben wollte. Müßiggang war einfach nicht ihr Ding.
Yohanna versuchte, sich ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. „Ja, das kann ich.“ Innerlich beglückwünschte sie sich zu ihrer festen Stimme.
Zu ihrer Erleichterung breitete sich ein Lächeln über das Gesicht des Produzenten. Das ihn noch attraktiver machte, als er ohnehin schon war. Sie versuchte, ihr Herzklopfen zu ignorieren.
Kein leichtes Unterfangen.
„Sie sind ganz schön von sich überzeugt, oder?“, fragte er amüsiert.
Yohanna hob etwas das Kinn. „Ich kenne meine Stärken.“
„Mrs. Manetti offensichtlich auch. Sie hat Ihre Fähigkeiten in den höchsten Tönen gelobt, und ich vertraue Mrs. Manettis Urteil.“ Er sah Yohanna wieder so eindringlich, als wolle er so herausfinden, ob sie wirklich so gut war, wie die Frau vom Catering-Service behauptet hatte.
Ein längeres Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus.
Yohanna war Theresa Manetti nur flüchtig begegnet. Sie hatten ein paar Worte gewechselt, bevor sie das Vorstellungsgespräch in die Wege geleitet hatte. Mrs. Manetti hatte daher gar nicht die Zeit gehabt, sich ein Urteil über sie zu bilden.
Yohannas Nervosität wuchs. Sie brauchte diesen Job, und zwar dringend! Sie war zwar erst seit ein paar Tagen arbeitslos, aber der erzwungene Stillstand trieb sie allmählich in den Wahnsinn. Außerdem hatte sie gerade mal genug Geld auf dem Konto, um einen Monat zu überbrücken – anderthalb vielleicht, wenn sie nichts aß.
Zur Not konnte sie zwar auch zu ihrer Mutter ziehen, aber da würde sie lieber unter einer Autobahnbrücke leben. Seit acht Jahren kannte Elizabeth Andrzejewski nämlich nur ein Thema: Ehe und Kinder. Und nichts davon zeichnete sich zurzeit in Yohannas Leben ab.
„Als meine Assistentin hätten Sie keine geregelten Arbeitszeiten“, sagte Lukkas. „Und Sie müssten rund um die Uhr erreichbar sein. Ist das für Sie überhaupt zumutbar?“ Wieder sah er sie forschend an.
„Natürlich“, versicherte sie ihm wie aus der Pistole geschossen.
Lukkas war immer noch skeptisch. „Dann werden Sie also nicht in zwei Wochen in Tränen aufgelöst vor mir stehen, weil Ihr Mann sich über die Anzahl Ihrer Überstunden beschwert und Sie unbedingt geregeltere Arbeitszeiten wollen?“
„Eher unwahrscheinlich, da ich keinen Ehemann habe.“
Lukkas war immer noch nicht zufriedengestellt. „Was ist mit einem Verlobten? Oder einem Freund?“
„Nein und nein.“
„Im Ernst? Sie haben noch nicht mal einen Freund?“ Er sah sie so durchbohrend an, als halte er sich für einen menschlichen Lügendetektor.
„Nein, noch nicht mal das“, versicherte sie ihm.
„Das ist ein Witz, oder?“
Bei jemandem, der so aussah wie diese junge Frau hier, standen die Männer doch bestimmt Schlange. Lukkas war natürlich klar, dass ihn das nichts anging und es auch ziemlich indiskret war zu fragen, aber seine Neugier war stärker.
„Nein“, antwortete sie. „Es hat mich einfach noch nicht … erwischt, Si… Lukkas“, korrigierte sie sich hastig.
„Erwischt?“, wiederholte er verwirrt. „Was meinen Sie damit?“
„Na ja, ich bin noch nie einem Mann begegnet, bei dem es gefunkt hat. Und ohne das hat das alles doch keinen Sinn, oder?“, fügte sie achselzuckend hinzu.
„Allerdings“, murmelte er.
Er musste an sein einsames Leben denken. Es war nicht immer so gewesen.
Da Yohanna nicht gern über sich selbst redete, kehrte sie rasch zum Thema zurück. „Um es kurz zu machen – es gibt niemanden, der sich über meine Arbeitszeiten beschweren wird, egal, wie viel ich arbeiten muss.“
„Gut zu wissen. Ich mache nämlich eine Menge Überstunden, was dann auch für Sie gelten würde.“ Wieder sah er sie eindringlich an. „Sind Sie sicher, dass das okay für Sie ist?“
„Absolut.“
„Sie haben noch gar nicht nach Ihrem Gehalt gefragt.“
„Ich gehe davon aus, dass Sie mich fair bezahlen werden.“
Verblüfft sah er sie an. „Und wie kommen Sie darauf?“
„Na ja, wegen Ihrer Filme.“
„Das müssen Sie mir jetzt näher erläutern.“
„Ihre Filme sind alle Feel-good-Movies.“
In Yohannas Kindheit war der Fernseher ihr bester Freund gewesen. Ihre Eltern waren so oft unterwegs, dass sie sich die Zeit mit Filmen vertrieben hatte. „Hätten Sie eine dunkle Seite oder wären hinterhältig, würden Sie ganz andere Filme produzieren.“
„Vielleicht lockt mich ja nur das Geld.“
Yohanna schüttelte den Kopf. „Ab und zu vielleicht, aber das ist nicht das, was Sie hauptsächlich antreibt. Dafür sind Sie einfach zu integer. Zumindest behaupten das die Medien.“
Lukkas lachte kurz auf. „Sie haben anscheinend gut recherchiert.“ Er war beeindruckt.
„Das gehört zu meinem Job. Außerdem erlebt man so keine bösen Überraschungen.“
In dieser Frau steckt mehr, als ich dachte, schoss Lukkas durch den Kopf. „Wann können Sie anfangen?“
Yohannas Herzschlag beschleunigte sich. Sollte sie den Job tatsächlich bekommen? „Wann soll ich denn anfangen?“, warf sie den Ball zurück.
Er lachte. „Am liebsten gestern.“
„Das schaffe ich leider nicht“, antwortete sie trocken. „Aber wenn Sie wollen, fange ich morgen an.“
Hat sie den Job so dringend nötig? fragte Lukkas sich. Oder war sie aus einem anderen Grund so versessen darauf, für ihn zu arbeiten?
Seit seinem kometenhaften Aufstieg hatte er viele Enttäuschungen erlebt. Freunde hatten versucht, sich Vorteile durch ihn zu verschaffen, und Fremde hatten ohnehin oft Hintergedanken. Seitdem war er Menschen gegenüber ziemlich misstrauisch. Es dauerte eine Weile, bis er ihnen sein Vertrauen schenkte. Manchmal war das ganz schön anstrengend. „Okay, Sie können morgen anfangen.“
Yohanna war so glücklich, dass sie ihn am liebsten spontan umarmt hätte, doch sie beherrschte sich. Sie wollte nicht, dass er einen falschen Eindruck bekam.
„Sie haben drei Monate Probezeit“, fügte Lukkas hinzu. „Was heißt, dass ich Sie jederzeit ohne Angabe von Gründen feuern kann, wenn ich mit Ihnen unzufrieden bin.“
„Ich verstehe.“
Wieder sah er sie eindringlich an. „Ist das für Sie akzeptabel?“
„Natürlich.“
„Ich produziere gerade einen Western. Wir drehen direkt vor Ort – in Arizona. Ist das ein Problem für Sie?“
„Ganz und gar nicht.“
„Okay, dann erwarte ich Sie hier morgen früh um sieben. Bis morgen, Hanna.“
Yohanna öffnete den Mund, um ihn auf ihren richtigen Namen hinzuweisen, entschied sich dann jedoch dagegen. Irgendwie gefiel es ihr, dass ihr neuer Chef ihr einen Spitznamen gab. Das ließ auf eine gewisse Sympathie schließen. Menschen, die einem unsympathisch waren, gab man schließlich keinen Spitznamen, oder?
Oder höchstens einen beleidigenden.
„Bis morgen“, antwortete sie. „Bemühen Sie sich nicht, ich finde allein hinaus.“
Auf dem Weg zur Haustür musste sie sich beherrschen, nicht vor Freude zu tanzen.
Kaum hatte Yohanna ihre Wohnung betreten, klingelte auch schon ihr Telefon. Das konnte nur ihre Mutter sein, denn sie war die Einzige, die Yohanna auf dem Festnetz anrief. Alle anderen meldeten sich auf ihrem Handy.
Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, den Anruf einfach zu ignorieren. Telefonate mit ihrer Mutter waren immer so ermüdend. Aber wenn sie nicht ranging, würde ihre Mutter es wieder und wieder versuchen und irgendwann womöglich vor ihrer Tür auftauchen. Da war es besser, es einfach hinter sich zu bringen.
Sie holte tief Luft und griff nach dem Telefon. Mit etwas Glück hatte sich vielleicht nur jemand verwählt. „Hallo?“
„Das wurde ja auch mal Zeit“, sagte Elizabeth Andrzejewski vorwurfsvoll. „Wo warst du? Ach, ist auch egal. Ich wollte dir nur sagen, dass ich dein Zimmer schon vorbereitet habe.“
Yohanna schloss gequält die Augen. Bis vor einer Minute war sie vor lauter Freude über ihren neuen Job noch wie auf Wolken geschwebt. Sie hätte sich über jeden Job gefreut, den sie so kurz nach ihrer Entlassung bekommen hätte, aber ein Job bei Lukkas Spader war wie ein Sechser im Lotto.
Ihre Mutter hatte jedoch das Talent, Yohannas Freude einen Dämpfer zu versetzen und deren Probleme schlimmer darzustellen, als sie waren. Sie gab Yohanna immer das Gefühl, noch ein kleines Kind zu sein. Und zwar eins, das ohne seine Mutter völlig aufgeschmissen war.
Yohanna wusste natürlich, dass ihre Mutter es nur gut meinte. Sie wünschte nur, dass sie das nicht so oft tun würde. „Warum, Mutter?“
„Damit du einen Platz zum Schlafen hast natürlich!“
„Ich habe einen. Und zwar in meinem Schlafzimmer, in meiner Wohnung, schon vergessen?“
Elizabeth seufzte. „Kind, jetzt, wo du deinen Job verloren hast, wirst du dir diese überteuerte Wohnung nicht mehr lange leisten können. Du solltest sie verkaufen, bevor die Bank sie zwangsversteigern lässt.“
Yohanna war fassungslos. Was sollte das denn jetzt? „Die Bank wird meine Wohnung nicht zwangsversteigern, Mutter“, antwortete sie. „Ich habe meine Raten immer pünktlich bezahlt.“
„Das wirst du nicht mehr lange schaffen, jetzt, wo du gefeuert bist“, erklärte ihre Mutter voller Überzeugung.
„Entlassen, Mutter“, stieß Yohanna durch zusammengebissene Zähne hervor. Niemand brachte sie so schnell auf die Palme wie ihre Mutter. „Ich wurde nicht gefeuert, sondern entlassen.“
„Wie auch immer.“
„Da gibt es einen Unterschied! Der eine hat etwas mit Leistung zu tun, und der andere ist heutzutage leider eine traurige Tatsache. In meinem Fall war es Letzteres.“
„Letztlich läuft es aufs Gleiche hinaus: dass du keinen Job mehr hast und damit kein Einkommen. Ich komm gleich morgen früh zu dir und helfe dir beim Packen und …“
Yohannas Mutter war erbarmungsloser als ein Hurrikan, aber Yohanna würde nicht klein beigeben. „Ich werde meine Wohnung nicht verkaufen, Mutter!“
„Na schön, dann vermietest du sie eben“, entgegnete Elizabeth ungeduldig. „Dann kannst du wenigstens diese völlig überteuerte Hypothek tilgen, bis du wieder auf den Beinen bist …“
„Mutter, ich bin auf den Beinen!“ Yohanna hörte ihre Mutter seufzen – diesmal jedoch voller Mitleid.
„Du brauchst nicht die Starke zu spielen, Yohanna. Viele Menschen verlieren heutzutage ihre Jobs.“
Yohanna wollte ihrer Mutter nur ungern von ihrem neuen Job erzählen, weil die dazu neigte, alles schlechtzureden, doch Elizabeth würde sie so lange zu manipulieren versuchen, bis Yohanna ihr die Wahrheit sagte. „Mutter, hör auf. Ich muss weder zu dir zurückziehen noch meine Wohnung vermieten.“
„Aha! Und welche brillante Lösung für dein gegenwärtiges Problem schlägst du stattdessen vor?“
Mein gegenwärtiges Problem bist du, dachte Yohanna, behielt das jedoch für sich. Würde sie so etwas je laut äußern, wäre ihre Mutter mehr als nur verletzt, und das wollte Yohanna ihr nicht antun. Trotz allem. „Ich habe einen neuen Job, Mutter.“
„Schatz, ich habe dir doch gesagt, dass du mir nichts vorzuspielen brauchst.“ Offensichtlich glaubte sie Yohanna kein Wort.
„Ich mache dir nichts vor!“ Es fiel Yohanna schwer, ihre Ungeduld zu zügeln. „Ich werde Lukkas Spaders Assistentin.“
Ein bedeutungsschwangeres Schweigen breitete sich am anderen Ende der Leitung aus. „Und wobei genau braucht dieser Mann Assistenz?“, fragte Elizabeth irgendwann spitz.
„Lukkas Spader, Mutter“, wiederholte Yohanna langsam und deutlich. Kaum zu glauben, dass der Name ihrer Mutter nichts sagte. „Der Produzent“, fügte sie hinzu. Auch dieser Hinweis schien ihrer Mutter nicht auf die Sprünge zu helfen. „Du weißt doch – der Typ, der Forever Yours, Molly’s Man und Dangerous produziert hat!“
„Moment mal! Du meinst den Lukkas Spader?“, fragte ihre Mutter ungläubig.
Na endlich! dachte Yohanna erleichtert. „Genau. Das versuche ich schon die ganze Zeit, dir zu sagen.“
„Seit wann?“
„Seitdem Mr. Spader mich heute Morgen eingestellt hat.“
Elizabeth fiel es offensichtlich schwer, ihr Misstrauen zu überwinden. „Und was genau sollst du für ihn tun?“
Yohanna zählte innerlich bis zehn, um nicht die Beherrschung zu verlieren. „Ich werde seine Arbeitsabläufe für ihn organisieren, Mutter. Alles, was mit seinen Filmen zusammenhängt.“
„Sagst du mir auch die Wahrheit?“
Yohanna verdrehte genervt die Augen. Sie war dreißig Jahre alt, aber Elizabeth redete immer mit ihr, sie wäre sie gerade erst zwölf. Oder jünger. „Natürlich sage ich die Wahrheit, Mutter!“
Zu ihrer Überraschung hörte sie ihre Mutter erleichtert aufseufzen. „Na Gott sei Dank! Aber lass dir diese Chance nicht entgehen, wenn du verstehst, was ich meine.“
„Das werde ich schon nicht …“ Yohanna stutzte. Ihre Mutter meinte doch wohl nicht etwa …? Würde das denn nie aufhören?! „Er ist mein Chef, Mutter“, entgegnete sie gereizt.
„Na und? Heiraten Chefs nicht?“
Was zu viel war, war zu viel! „Ich muss auflegen, Mutter“, stieß Yohanna zähneknirschend hervor. „Ich habe noch einiges zu erledigen, bevor ich morgen den neuen Job anfange.“ Das war zwar gelogen, aber eine Notlüge war immer noch besser, als den Hörer auf die Gabel zu knallen.
Anstatt nach weiteren Details zu fragen, sagte Elizabeth nur: „Kauf dir was Schickes zum Anziehen. Etwas, das sexy ist. Diese Hollywood-Typen stehen auf sexy Frauen.“
Es war zwecklos! Elizabeth hatte in ihrem ganzen Leben noch nie zugegeben, sich falsch verhalten zu haben oder übergriffig geworden zu sein. Kein einziges Mal. Es hatte daher keinen Sinn, sich mit ihr zu streiten. „Aber selbstverständlich, Mutter“, sagte Yohanna daher nur. „Bye.“
Als sie auflegte, nahm sie sich vor, sich so schnell wie möglich ein neues Telefon zuzulegen – und zwar eins mit Rufnummernanzeige!
Yohanna hatte keine Ahnung, wann es ihr gelungen war, endlich einzuschlafen, aber sie fühlte sich, als habe sie gerade erst die Augen zugemacht, als ihr Wecker klingelte. Mühsam öffnete sie die Augen und warf einen Blick auf den Wecker.
Viertel vor sechs.
Um sieben erwartete Spader sie in seinem Haus in Newport Beach.
Stöhnend quälte sie sich aus dem Bett und ging in ihre erst kürzlich renovierte Küche. Wenn sie heute überhaupt etwas zustande bringen wollte, brauchte sie erst mal einen starken Kaffee.
Eine Tasse des schwarzen Gebräus gab ihr die nötige Energie, um zu duschen und sich anzuziehen. Und zwar im Eiltempo, weil sie so schnell wie möglich losfahren wollte. Nicht dass sie um diese Zeit schon mit viel Verkehr rechnete, aber man wusste nie, wann sich ein Stau bildete, und darauf wollte sie es lieber nicht ankommen lassen. Außerdem brach sie grundsätzlich lieber früher auf als auf den letzten Drücker. Nur pünktlich zu sein, reichte ihr nicht – sie war überpünktlich.
Beflügelt von nervöser Energie, saß sie keine halbe Stunde nach dem Aufstehen am Steuer. Zwanzig Minuten später parkte sie ihren Wagen gegenüber der Einfahrt von Spaders dreigeschossigem Haus. Normalerweise würde sie jetzt zu seiner Tür gehen und klingeln, aber sie wusste nicht, ob Lukkas Spader zu den Menschen gehörte, die es nicht mochten, wenn Besucher zu früh kamen.
Sie nahm sich vor, das so schnell wie möglich herausfinden.
Als kurz darauf ein Polizist an ihre Windschutzscheibe klopfte, drehte sich Yohanna erschrocken zu ihm um.
Er bedeutete ihr, die Fensterscheibe herunterzukurbeln.
Yohanna kam seiner Aufforderung hastig nach. „Stimmt etwas nicht, Officer?“, fragte sie.
„Das sagen Sie mir“, antwortete er. Als sie ihn nur verständnislos anstarrte, verlor er die Geduld. „Würden Sie mir bitte verraten, was Sie um diese Uhrzeit hier machen?“
„Ich warte darauf, dass es sieben Uhr wird“, erklärte sie.
„Und dann?“
Klang der Officer etwas aggressiv, oder bildete sie sich das nur ein? „Dann klingele ich an Mr. Spaders Tür.“
Der Officer musterte sie skeptisch. „Und was dann?“
„Dann lässt er mich rein.“ Warum wollte er das alles wissen, fragte sie sich erstaunt. Sie sah doch bestimmt nicht aus wie eine Kriminelle, oder?
„Ach, so stellen Sie sich das also vor“, sagte der Officer mit einem sarkastischen Unterton.
Yohanna begann allmählich, sich unbehaglich zu fühlen. „Ich verstehe nicht …“
Der Officer seufzte ungeduldig. „Hören Sie mal, warum fahren Sie nicht einfach ins Kino, kaufen sich eine Tüte Popcorn und sehen sich die Filme des Mannes an, so wie alle anderen auch?“
Anscheinend hatte er sie nicht verstanden. „Aber Mr. Spader erwartet mich.“
„Na klar doch“, erwiderte der Officer ironisch. „Sie sehen doch ganz verständig aus. Stalking geht nie gut aus, weder für den Stalker noch für sein Opfer. Warum fahren Sie nicht einfach …“
„Moment mal!“, fiel Yohanna ihm entsetzt ins Wort. „Ich stalke Mr. Spader doch nicht. Ich arbeite für ihn!“
„Na klaaar“, sagte er gedehnt, bevor er todernst wurde. „Ich möchte Sie nur ungern verhaften, aber Sie lassen mir keine andere Wahl, Lady. Ich fordere Sie zum letzten Mal auf, nach Hause zu fahren und …“
„Fragen Sie ihn“, unterbrach Yohanna den Mann. „Er wird Ihnen bestätigen, dass ich für ihn arbeite. Gehen Sie einfach zu seiner Haustür und klingeln Sie“, fügte sie fast verzweifelt hinzu.
Wenn sie am ersten Tag nicht bei der Arbeit auftauchen würde, konnte sie den Job vergessen. Und vermutlich auch, wenn sie in Begleitung des Polizisten vor Spaders Tür stand.
„Das hätten Sie wohl gern! Damit Sie all Ihren verrückten kleinen Freundinnen erzählen können, dass Sie Lukkas Spader persönlich gesehen haben? Sorry, aber es ist nicht meine Aufgabe, Ihre armseligen kleinen Fantasien wahrzumachen. Sie haben jetzt die letzte Chance, ungeschoren …“
„Bitte, ich sage die Wahrheit, Officer! Ich arbeite für Lukkas Spader. Er hat mich gebeten, heute um sieben zu kommen, und so lange wollte ich warten. Ich bin keine Stalkerin“, beharrte sie.
„Ich habe Sie gewarnt, aber Sie lassen mir anscheinend keine andere Wahl.“ Der Mann hatte inzwischen eine Hand an seiner Dienstwaffe. „Steigen Sie aus dem Wagen. Sofort!“
Mit ihm war offensichtlich nicht zu scherzen. Er würde keinen Ungehorsam dulden.
Langsam hob Yohanna die Hände, damit der Polizist sie sehen konnte, und stieg aus dem Wagen.
„Gibt es ein Problem, Officer?“
Diese Frage kam von jemandem, der direkt hinter dem Polizisten stand. Yohanna beugte sich etwas zur Seite, um an ihm vorbeizusehen. Sie betete, dass sich ihre Vermutung bestätigte.
Und ihre Gebete wurden erhört.
Es war Lukkas.
Sie bekam weiche Knie vor Erleichterung.
„Nein, Sir. Ich habe mal wieder eine Stalkerin erwischt. Diese ist zwar nicht so gestört wie die andere, aber sie sieht trotzdem nach Ärger aus.“
Lächelnd trat Lukkas neben den Polizisten und sah Yohanna an. „Stimmt, das tut sie.“
„Wollen Sie Anzeige erstatten?“
Fassungslos starrte Yohanna den Mann an, den sie bisher für ihren neuen Arbeitgeber gehalten hatte. Hatte sie ihn am Tag zuvor so gründlich missverstanden? Nein, das konnte nicht sein! Er hatte ihr zwar keine schriftliche Zusage gegeben, aber sie konnte sich noch an jedes Wort erinnern.
Sie wollte Lukkas’ Erinnerung gerade ein bisschen auf die Sprünge helfen, als sie ihn sagen hörte: „Nein, diesmal nicht, Officer.“
Der Polizist betrachtete sie immer noch so misstrauisch wie eine Kriminelle. Ihr neuer Boss musste sich dringend etwas Besseres einfallen lassen, wenn er sie hier raushauen wollte.
„Mr. Spader, sagen Sie ihm, dass ich für Sie arbeite“, flehte sie.
Lukkas’ Lippen zuckten belustigt, als er sich zu dem Officer umdrehte. „Das tut sie tatsächlich. Heute ist Hannas erster Tag. Sie ist etwas zu früh dran, aber daran ist nichts verkehrt.“
Der Polizist nahm zögernd die Hand von seiner Dienstwaffe. „Ach so“, sagte er fast enttäuscht. Er richtete den Blick von dem Produzenten auf die Frau, die er fast verhaftet hätte. „Tut mir leid, aber ich handele lieber einmal zu oft als zu wenig.“
Seine Entschuldigung klang zwar nur halbherzig, aber immerhin. Yohanna beschloss, sie anzunehmen, und nickte.
Innerlich überschlugen sich ihre Gedanken. „Sie hatten eine Stalkerin?“, fragte sie Lukkas. Sie hatte zwar schon gelesen, dass es so etwas gab, aber sie hatte noch nie persönliche Erfahrungen damit gehabt und kannte auch niemanden, dem das widerfahren war.
Bis jetzt.
„Was ist passiert?“
Lukkas gab keine Antwort und ließ auch nicht erkennen, ob er sie gehört hatte. „Sind Sie startklar?“, fragte er stattdessen.
Yohanna schlussfolgerte daraus, dass er nicht über das Thema reden wollte. Sie konnte das gut verstehen, so neugierig sie auch war. Es ging um Spaders Privatleben, und sie war nur seine Angestellte – noch dazu neu und in der Probezeit. So jemandem vertraute man nicht sofort etwas Persönliches an.
Also zügelte sie ihre Neugier. „Aber sicher!“
Trotz ihrer erklärten Bereitschaft loszulegen, machte der Produzent keine Anstalten, in sein Haus zurückzukehren. Stattdessen zog er ein abgegriffenes Lederetui aus seiner Hosentasche. Als er es aufschlug, sah Yohanna, dass es sich um ein Scheckbuch handelte.
Er sah den immer noch anwesenden Officer an. „Ich habe gehört, Ihr Revier veranstaltet wieder sein traditionelles Wohltätigkeits-Basketballspiel“, sagte er, während er dem Bedford Police Department einen großzügigen Scheck ausstellte.
Als der Polizist sah, was Lukkas machte, vergaß er sofort die Verhaftung. „Ja, Sir“, sagte er erfreut.
„Hier.“ Lukkas trennte den Scheck heraus und reichte ihn dem Mann. „Das hier ist eine kleine Unterstützung.“
Dem Polizisten fielen beim Anblick des Betrags fast die Augen aus dem Kopf. „Allerdings, Sir!“
„Machen Sie weiter so mit Ihrer Arbeit“, sagte Lukkas, kehrte dem Mann den Rücken zu und ging zurück zum Haus.
Yohanna versuchte, mit ihm Schritt zu halten, was gar nicht so einfach war. Hinter sich hörte sie den Polizeiwagen wegfahren.
Lukkas warf einen Blick über eine Schulter. „Gehe ich zu schnell für Sie?“
„Nein“, behauptete Yohanna und versuchte ihr Bestes, einen Zahn zuzulegen.
Als er abrupt vor seiner Haustür stehen blieb und sich zu ihr umdrehte, wäre sie fast in ihn hineingerannt. Amüsiert hielt er sie an den Schultern fest. „Scheuen Sie sich nie, die Wahrheit zu sagen.“
Entschlossen hob sie das Kinn. „Gilt das auch umgekehrt?“
Lukkas antwortete nicht sofort, so als müsse er seine Antwort erst abwägen. „Ja.“
Yohanna beschloss, ihn auf die Probe zu stellen. „Dann beantworten Sie meine Frage, ob Sie eine Stalkerin hatten.“
„Touché“, sagte Lukkas lachend und öffnete die Haustür.
Yohanna ging davon aus, dass er die Frage einfach unbeantwortet in der Luft hängen lassen würde, doch als sie das Haus betrat, sagte er zu ihrer Überraschung: „Ja, ich hatte eine Stalkerin. Vor ein paar Jahren.“ Lukkas schloss die Tür hinter ihnen und ging durch das Haus zu seinem Büro – demselben Raum, in dem sie am Tag zuvor das Vorstellungsgespräch geführt hatten.
Diesmal war Yohanna weniger nervös und sah sich daher auf dem Weg dorthin etwas gründlicher um. Die Einrichtung wirkte eher behaglich als kühl und modern. Sie fragte sich, ob ihr neuer Chef die Möbel selbst ausgesucht hatte oder ob es die Arbeit eines Interior Designers war.
„Hat man sie verhaftet? Die Stalkerin, meine ich“, fügte sie hinzu.
„Warum wollen Sie das wissen?“ Lukkas mochte es nicht, wenn man ihm persönliche Fragen stellte.
„Ich bin nur neugierig, ob diese Frau immer noch glaubt, das Recht darauf zu haben, ein Teil Ihres Lebens zu sein.“
Lukkas fand Hannas Ausdrucksweise ziemlich originell. Anscheinend steckte tatsächlich ein sehr interessanter Mensch in der jungen Frau, die er da engagiert hatte. „Wenn man berühmt ist, gibt es immer jemanden, der das glaubt, Hanna“, antwortete er. „Aber was die fehlgeleitete junge Frau angeht, die ständig vor meinem Fenster aufgetaucht ist, lautet die Antwort Nein. Soweit ich weiß, ist sie in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht.“ Er blieb vor seiner Bürotür stehen. „Sonst noch etwas?“
Vermutlich wollte er allmählich anfangen zu arbeiten, aber Yohanna hatte noch eine weitere Frage. Hoffentlich reagierte er nicht ungeduldig. „Ja.“
„Dann nur zu.“
Es gab keinerlei Hinweis darauf, dass Lukkas die Geduld verlor – ein gutes Zeichen, wie Yohanna fand. „Hätte ich nicht ein paar Formulare für die Personalabteilung ausfüllen müssen?“ Obwohl Yohanna überglücklich über diesen Job war, wusste sie immer noch nicht, wie verbindlich das Ganze war.
Statt einer Antwort zeigte Lukkas auf seinen Schreibtisch, auf dem ein kleiner Stapel Unterlagen lag. Als Yohanna darauf zuging, stellte sie fest, dass sie für sie bestimmt waren, weil ihr Vorname auf dem ersten Blatt stand. „Ich hätte auch Ihren Nachnamen hinzugefügt“, erklärte Lukkas, „aber den könnte ich nie im Leben richtig buchstabieren.“
Sie musste lächeln. Ihr Name war öfter falsch geschrieben worden, als sie zählen konnte. „Ich habe als Kind zwei Tage gebraucht, ihn schreiben zu lernen. Ich habe schon ein paarmal mit dem Gedanken gespielt, ihn ändern zu lassen.“
„Lassen Sie das lieber“, riet Lukkas ihr. „Er hat Charakter. Und in der Filmindustrie ist so etwas nie verkehrt. Wenn Sie mit den Unterlagen fertig sind, gebe ich Ihnen eine Nummer, und dann können Sie sie ans Studio faxen. Und danach geht’s los.“
Yohanna setzte sich hin und füllte ihre Formulare aus.
Lukkas hob den Blick von seinen Notizen. Er hatte Rückenschmerzen, so wie immer, wenn er zu lange gesessen hatte. Das lag an einer alten Football-Verletzung aus College-Zeiten, die ihn immer unangenehm daran erinnerte, dass er nicht mehr ganz so jung war.
Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
Schon nach halb acht. Mehr als zwölf Stunden waren vergangen, seitdem sein Arbeitstag angefangen hatte. Nicht dass das für ihn etwas Besonderes war. Er arbeitete immer wie ein Besessener – vor allem wenn ein Projekt noch in den Kinderschuhen steckte.
Nur seine Mitarbeiter machten eigentlich immer früher Schluss.
Seine neue Assistentin hatte sich jedoch noch nicht über ihren langen Arbeitstag beklagt. Sie schien auch kein Problem mit seinem schnellen Arbeitstempo zu haben.
Leere Schachteln füllten den Papierkorb neben seinem Schreibtisch – Spuren ihres Mittagessens, das inzwischen fast sechs Stunden zurücklag.
Prompt begann Lukkas’ Magen zu knurren. Hanna musste auch schon völlig ausgehungert sein. Inzwischen hielt sie ihn vermutlich für einen unmenschlichen Sklaventreiber.
Ihr schien nicht aufzufallen, dass er sie gerade beobachtete, aber vielleicht tat sie auch nur so. Sie machte nämlich einen sehr scharfsinnigen Eindruck auf ihn. „Sind Sie müde?“, fragte er.
„Nein.“ Yohanna las sich gerade seine Notizen zu seiner neuen Produktion durch und hob daher nur flüchtig den Kopf. „Mir geht’s gut.“
„Das glaube ich nicht. Sagen Sie ruhig die Wahrheit: Sind Sie müde?“
Yohanna spielte für einen Moment mit dem Gedanken, wieder Nein zu sagen, aber offensichtlich wollte Spader etwas anderes von ihr hören. „Ein bisschen vielleicht“, gab sie widerstrebend zu, obwohl es nicht ihre Art war, sich zu beklagen.
Da er sie immer noch durchdringend ansah, gab sie es auf. „Okay, ehrlich gesagt bin ich ganz schön erledigt.“
Seine Mundwinkel zuckten amüsiert. „Na also, hab ich’s doch gewusst. War doch gar nicht so schwer, oder?“
„Leicht war es auch nicht. Zumal mir nicht ganz klar war, was Sie von mir hören wollten.“
„Die Wahrheit, Hanna. Immer die Wahrheit.“ Lukkas legte seinen Kugelschreiber weg. Das hier zu klären, war wichtiger als seine Notizen. „Sie werden mir keine große Hilfe sein, wenn ich bei jeder Ihrer Antworten auf meine Fragen zwischen den Zeilen lesen muss. Ich brauche absolute Ehrlichkeit von Ihnen.“
„Niemand will absolute Ehrlichkeit, sondern nur seine Version der Wahrheit“, antwortete Yohanna, bevor sie sich bremsen konnte.
Ihre Antwort verblüffte ihn offensichtlich. Für eine Weile sah er sie unschlüssig an, so als wisse er nicht, was er damit anfangen sollte. „Wie alt sind Sie, Hanna?“, fragte er schließlich.
„Dreißig“, sagte sie, ohne zu zögern.
Lukkas wusste, dass die meisten Frauen über zwanzig der Frage nach ihrem Alter auswichen. Sie ist wirklich etwas Besonderes. „Dreißig und schon so zynisch?“
Yohanna sah das anders. „Ich bin nicht zynisch. Aber wenn man immer nur hundertprozentig ehrlich ist, kann das manchmal ganz schön verletzend sein.“
Lukkas lehnte sich in seinem Sessel zurück und wippte etwas vor und zurück. „Wie kommen Sie darauf?“
„Wenn eine Freundin Sie zum Beispiel fragt, ob sie in dem Kleid, das sie trägt, fett aussieht, will sie kein Ja hören. Sie will, dass man ihr versichert, dass es ihr gut steht.“
„Und was ist, wenn sie tatsächlich fett darin aussieht? Schadet man seiner Freundin nicht mehr, wenn man ihr nicht die Wahrheit sagt?“
Yohanna schüttelte den Kopf. „Wenn ihr das Kleid wirklich nicht steht, kommt sie auch von allein drauf. Sie will ein Kompliment hören.“
„Das ist doch nicht Ihr Ernst!“
„Oh doch! Eine Freundin weiß es mehr zu schätzen, wenn man Rücksicht auf ihre Gefühle nimmt, als wenn man brutal ehrlich mit ihr ist.“
„Mit anderen Worten, es ist okay zu lügen?“
„Wenn man sich nicht zu einer Notlüge überwinden kann, kann man stattdessen was Nettes über die Farbe sagen. Dass sie ihre Augen betont oder ihrem Hauttyp schmeichelt.“
„Mit anderen Worten, das Wort ‚fett‘ sollte man um jeden Preis vermeiden“, schlussfolgerte Lukkas.
Yohannas Augen blitzten amüsiert auf, bevor sich ein Lächeln über ihr Gesicht breitete. Lukkas gefiel ihr Lächeln. Sehr sogar. „Das Adjektiv ‚fett‘ gehört nur vor das Wort ‚Gehaltserhöhung‘ oder ‚Regenwolke‘.“
„Das sind schon zwei Wörter“, entgegnete Lukkas belustigt.
Yohanna wurde plötzlich bewusst, dass sie Lukkas’ Notizen total vergessen hatte. „Sorry, ich rede zu viel.“
„Das stimmt. Aber bisher fand ich es ganz unterhaltsam.“ Grinsend fügte Lukkas hinzu: „Na, wie war ich?“
Yohanna sah ihn verwirrt an. „Wie meinen Sie das?“
„Ich habe Ihnen gerade die Wahrheit gesagt und dann etwas Nettes hinzugefügt, um das Ganze etwas abzumildern. Ich wollte wissen, ob ich mich Ihrer Theorie entsprechend verhalten habe.“
Yohanna wusste im ersten Moment nicht, wie sie darauf reagieren sollte. War das jetzt sarkastisch gemeint? Ihr Bauchgefühl sagte Nein, aber sie kannte den Mann noch nicht lange genug, um das beurteilen zu können.
Sie beschloss, seine Frage zu beantworten. „Das haben Sie“, antwortete sie lächelnd. „Sorry, ich wollte Sie nicht belehren. Aber so sehe ich das nun mal.“ Verunsichert zuckte sie mit den Schultern. „Meine Mutter sagt immer, ich sei zu vorlaut.“
„Ihre Mutter hat unrecht“, sagte Lukkas zu ihrer freudigen Überraschung. „Es ist nie verkehrt, seine Meinung zu sagen – es sei denn natürlich, Sie kritisieren einen meiner Filme. Dann hört bei mir der Spaß auf“, witzelte er.
„Hat das denn schon mal jemand getan?“, fragte sie neugierig. „Einen Ihrer Filme kritisiert, meine ich?“
Da brauchte Lukkas nicht lange nachzudenken. Er wusste ganz genau, welcher Kritiker welchen Film verrissen hatte. Er hatte nur keine Ahnung, warum sich schlechte Kritiken immer unauslöschlich in sein Gedächtnis einbrannten, während er die guten sofort wieder vergaß. „Ein oder zwei Mal.“
„Die spinnen ja wohl. Ich finde Ihre Filme super.“
Lukkas musste über ihren todernsten Gesichtsausdruck lachen. „Sie brauchen sich nicht solche Mühe zu geben. Sie haben den Job doch schon.“
„Ich sage das nicht wegen des Jobs, sondern weil mir Ihre Filme wirklich gefallen“, beharrte sie. „Sie geben einem ein gutes Gefühl.“
„Das habe ich mit ihnen auch beabsichtigt.“
Dieses Gespräch ging weit über den Job hinaus – weiter, als Lukkas beabsichtigt hatte. Normalerweise sprach er nicht gern über seine Filme. Er produzierte sie lediglich. Wie sie dann hinterher beim Publikum ankamen, lag nicht mehr in seiner Hand.
„Leiden Sie unter Flugangst?“
Lukkas’ direkte Frage gleich bei Yohannas Eintreffen überrumpelte sie etwas. Wie immer seit über einer Woche war sie frisch und munter bei ihm erschienen – bereit, wieder eine Menge dazuzulernen. Bisher machte ihr der neue Job einen Riesenspaß. „Nicht, dass ich wüsste. Warum?“
„Wir machen einen kleinen Ausflug.“
Ihr schwante nichts Gutes, aber sie klammerte sich an dem Wörtchen „klein“ fest. „Wo geht es denn hin?“, fragte sie nervös, während sie Lukkas zu seinem Wagen folgte.
Er lächelte verschmitzt … und unglaublich sexy. „Warum so neugierig? Mögen Sie keine Überraschungen?“
„Nein, ich ziehe es vor zu wissen, was auf mich zukommt“, gab sie zu. „Und zwar immer.“ Nachdem er die Türen seines Wagens geöffnet hatte, stieg Yohanna auf der Beifahrerseite ein. Wenn sie an ihre sogenannte Freisetzung dachte, gab es nur eine Antwort auf seine Frage: „Überraschungen gefallen mir nur bei anderen.“
Lukkas warf eine Aktentasche auf den Rücksitz und setzte sich hinters Steuer. „Hm, ein Leben ohne Überraschungen?“ Er startete den Motor und fuhr los. „Wo bleibt denn da der Spaß?“ Er streifte sie mit einem Blick. „Sie haben doch gern Spaß, oder, Hanna?“
„Sehr gern sogar, aber auf Überraschungen kann ich verzichten.“
Lukkas fuhr auf die Autobahn. „Wie Sie meinen. Gefällt Ihnen Arizona?“
Noch so eine Frage. Doch dann fiel Yohanna wieder ein, dass er bei ihrem Vorstellungsgespräch erwähnt hatte, dass sein nächster Film in Arizona gedreht wurde. „Keine Ahnung“, gestand sie.
„Wieso nicht?“
„Weil ich noch nie in Arizona war.“ Vermutlich hielt er sie jetzt für eine Stubenhockerin. Sie war in ihrem Leben noch nicht viel rumgekommen, während er überall auf der Welt unterwegs war.
„Dann werden wir jetzt was dagegen unternehmen“, erklärte Lukkas.
„Wir fliegen also nach Arizona?“, fragte sie, während sie versuchte, ihre Nervosität zu verbergen.
„Das könnte man aus meinen Worten schlussfolgern, ja.“ Der Verkehr wurde etwas dichter, sodass Lukkas gezwungen war, das Tempo zu drosseln.
Gestern hatte er gar nichts von der Reise erwähnt. „Warum fliegen wir nach Arizona?“
„Weil dort der Film gedreht wird“, erklärte er. „Zumindest größtenteils, denn die Innenaufnahmen finden im Studio statt. Das Monument Valley kann man jedoch nicht gut nachbauen“, fügte er hinzu und warf ihr wieder einen Seitenblick zu. „Schon mal davon gehört?“
„Ich weiß nur, dass dort mehrere John-Wayne-Filme gedreht wurden.“
Er lächelte. Ihr Wissen beeindruckte ihn. Sie beeindruckte ihn, und zwar immer mehr.
„Dann wissen Sie das also.“
„Ja, das weiß ich“, bestätigte sie. „Dann finden die Dreharbeiten im Monument Valley statt?“
„Nein.“
Okay, jetzt war sie endgültig verwirrt. „Ja was nun? Wenn Sie dort nicht drehen, warum haben Sie mich dann gefragt, ob ich das Tal kenne?“
„Ich dachte, ich stelle Ihre Allgemeinbildung mal ein bisschen auf die Probe.“ Wieder lächelte er. „Vielleicht blenden wir das Tal ein oder zwei Mal bei den Außenaufnahmen ein, aber erst mal fliegen wir nach Sugar Springs. Das liegt in der Nähe von Tombstone.“
Sie näherten sich einem kleinen Flughafen, auf dem ungefähr zwölf Kleinflugzeuge standen. Dazu gehörte auch Lukkas’ Privatjet.
„Ich wusste ja gar nicht, dass es hier einen Flughafen gibt.“
„Gibt es auch nicht. Das hier ist eher eine Landebahn. Aber mein Flugzeug ist klein, also reicht das.“
Yohannas Nervosität wuchs. „Sie können fliegen?“
„Ich habe zumindest mal ein paar Flugstunden genommen.“
„Aber Sie haben keinen Pilotenschein?“
„Noch nicht.“ Als er ihre Panik sah, fügte er rasch hinzu: „Keine Sorge, ich bin nicht derjenige, der sich ins Cockpit setzt. Ich habe einen Piloten engagiert.“ Lukkas fuhr auf sein schon bereitstehendes Flugzeug zu. „Gut, Sie haben wieder Farbe im Gesicht“, sagte er amüsiert.
Verwirrt sah sie ihn an. „Wie bitte?“
„Als Sie gerade gedacht haben, ich wäre der Pilot, sind Sie ganz blass geworden. Jetzt sehen Sie wieder normal aus.“
„Muss wohl am Licht liegen.“ Yohanna wollte ihm nicht den Eindruck vermitteln, dass sie kein Vertrauen in ihn hatte. Soweit sie wusste, hatten die meisten Produzenten ein Riesenego. Bei Lukkas war ihr das bisher zwar noch nicht aufgefallen, aber vielleicht täuschte das ja.
„Mag sein. Aber ob Sie es glauben oder nicht – ich bin ich nicht lebensmüde. Risiken gehe ich höchstens beim Casting ein.“ Lukkas parkte den Wagen und öffnete seine Tür. „Na los, kommen Sie schon“, forderte er sie auf, bevor er ausstieg und mit Riesenschritten auf sein Flugzeug zueilte.
Yohanna konnte gar nicht so schnell reagieren. Außerdem hatte er ihr immer noch nicht verraten, warum er sie mitnahm. Ihrer Meinung nach konnte sie ihre Arbeit genauso gut von seinem Büro in Bedford aus erledigen. Das Ganze kam ihr schrecklich impulsiv vor.
„Was genau machen wir eigentlich in Arizona?“, fragte sie, nachdem sie ebenfalls aus dem Wagen gestiegen war und ihn eingeholt hatte.
„Letzte Details klären, bevor es mit den Dreharbeiten losgeht. Außerdem will ich mir vorher noch alles gründlich ansehen, damit uns nicht womöglich erst nach Abschluss der Dreharbeiten auffällt, dass auf dem Saloon-Tresen ein Smartphone herumliegt.“
Klang vernünftig. „Und was mache ich?“
„Sie schreiben alles auf, was mir auffällt, damit ich nichts vergesse.“
Lukkas eilte eine kleine Gangway hoch und begrüßte den Piloten. „Jacob, das ist Hanna … wie auch immer. Sie übernimmt Janices Job. Hanna, das ist Jacob Winter, der beste Pilot weit und breit.“
Ein paar Minuten später umklammerte Yohanna ängstlich die Armlehnen ihres Sitzes, während das Flugzeug abhob.
„Ich habe den Eindruck, Sie sind noch nicht oft geflogen“, sagte Lukkas.
„Ihr Eindruck ist richtig.“
Zitterte etwa ihre Stimme? Das sah der jungen Frau, die er kennengelernt hatte, gar nicht ähnlich. „Wie oft sind Sie schon geflogen?“
Sie holte tief Luft. „Erst einmal“, gestand sie widerstrebend.
Das erklärte den Todesgriff um die Armlehnen. „Warum haben Sie vorhin nichts gesagt?“
„Was hätte das denn gebracht? Wären Sie dann stattdessen mit dem Auto gefahren? Sie sind der Chef, da muss ich mich Ihnen anpassen, nicht umgekehrt.“
Sie war wirklich bemerkenswert. Lukkas hatte nicht damit gerechnet, dass ihn in seinem Alter noch jemand so beeindrucken konnte. Irgendwie beruhigend.
„Ihre Einstellung gefällt mir, Hanna. Ich denke, dass wir gut zusammenarbeiten werden.“ Schmunzelnd senkte er den Blick zu ihren verkrampften Händen. „Ich stelle Ihnen deshalb auch nicht die neuen Armlehnen in Rechnung.“
Yohanna schärfte sich ein, sich nicht so kindisch zu benehmen. Es kostete sie fast übermenschliche Anstrengung, aber es gelang ihr, die Hände von den Armlehnen zu lösen. „Sorry“, murmelte sie.
„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Viele Menschen leiden unter Flugangst.“
„Sie halten mich jetzt bestimmt für total albern. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben zu kommen, ist schließlich verschwindend gering. Autofahren ist viel gefährlicher. Aber obwohl ich das weiß, habe ich Angst, so irrational das auch ist.“
Lukkas erstarrte. Sein aufmunterndes, amüsiertes Lächeln erlosch.
Yohanna erschrak. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Und falls ja – was konnte es gewesen sein?
Als sie die letzten Sätze im Kopf rekapitulierte, kam sie zu dem Schluss, dass Lukkas’ Stimmungsänderung nichts mit Flugzeugabstürzen zu tun haben konnte. Nach dieser Bemerkung hatte er noch gelächelt.
Blieben also nur noch Autounfälle.
Vermutlich war jemand, den er kannte, bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Je mehr sie darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher kam ihr diese Schlussfolgerung vor.
Aber sie konnte Lukkas nicht direkt fragen. Damit würde sie vielleicht nur Salz in seine offene Wunde streuen.
Nein, es musste einen anderen Weg geben, die Wahrheit herauszufinden.
Spontan fiel ihr Cecilias Freundin Mrs. Manetti ein, die das Vorstellungsgespräch eingefädelt hatte. Sie wusste vielleicht Bescheid.
Doch es gab noch eine andere Option …
Yohanna warf Lukkas einen verstohlenen Blick zu. Er schien komplett in einen dunklen Aktenordner vertieft zu sein. Unauffällig schaltete sie ihr Smartphone ein und drückte auf die App für eine Suchmaschine.
Lukkas im Blick behaltend, tippte sie die Worte „Autounfall“ und seinen Namen ein und wartete nervös auf das Ergebnis. Der Empfang war so schlecht, dass die Suche im Netz eine Ewigkeit zu dauern schien.
Sie wollte gerade aufgeben und ihr Handy ausschalten, als sich auf dem Display langsam zwei Fotos aufbauten – das erste von einer schönen jungen Frau und das zweite von einem wie ein Akkordeon zusammengequetschten Unfallwagen.
Nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit tauchte auch die Schlagzeile eines Zeitungsartikels darunter auf: „Schwangere Produzenten-Frau bei Autounfall getötet“.
Der Ehemann der toten Frau war Lukkas Spader.
Yohanna war so schockiert, dass ihr die Kinnlade runterfiel und sie die Schlagzeile nur fassungslos anstarrte.
Als ihr bewusst wurde, wie verräterisch ihre Körpersprache sein musste, drückte sie hastig auf die Home-Taste ihres Smartphones. App-Icons ersetzten den Artikel auf dem Display, als sei er nie da gewesen. Unter anderen Umständen hätte sie ihn sofort gelesen, aber jetzt war nicht der passende Zeitpunkt.
Nicht auszudenken, wenn Lukkas zufällig zu ihr herübersehen und mitbekommen würde, was sie las! Ihre achtlose Bemerkung über Flugzeugabstürze und Autounfälle war schon schlimm genug gewesen – unabhängig von der Tatsache, dass sie keine Ahnung gehabt hatte, dass seine Frau bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Sie hatte trotzdem schmerzliche Erinnerungen in ihm wachgerufen.
Am liebsten hätte sie sich bei ihm entschuldigt und ihm erklärt, dass sie ahnungslos gewesen war. Bis jetzt hatte sie überhaupt nicht gewusst, dass er mal verheiratet war.
Natürlich hatte sie sich über ihn informiert, aber nur als Produzenten, nicht über sein Privatleben. Der einzige Artikel, in dem etwas über ihn privat gestanden hatte, hatte ihn als einen von Hollywoods begehrtesten Junggesellen bezeichnet. Für sie hieß das lediglich „nicht verheiratet“.
Yohanna warf ihm einen weiteren verstohlenen Blick zu. Wie konnte sie ihren Fauxpas nur wiedergutmachen? Oder war es besser, die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen?
„Wir werden gleich landen“, drang Lukkas’ tiefe Stimme in ihr Gefühlschaos. „Sie sollten das da vielleicht ausschalten.“ Er deutete auf das Smartphone in ihrer Hand.
„Natürlich, mach ich sofort.“ Rasch verstaute Yohanna das Gerät.
„Sie haben gesagt, dass sie nicht leiden musste“, hörte sie Lukkas sagen, als sie zur Landung ansetzten.
Ruckartig hob Yohanna den Kopf und sah ihn an. Hatte er etwa den Artikel auf dem Display gesehen? „Wie bitte?“, fragte sie mit gespielter Ahnungslosigkeit.
„Meine Frau. Bei ihrem Autounfall“, erklärte Lukkas. „Die Zeugen am Unfallort haben gesagt, dass sie sofort tot war und nicht gelitten hat. Ich habe den Artikel gesehen“, fügte er zur Erklärung hinzu.
Okay, dann brauche ich es auch nicht mehr abzustreiten, dachte Yohanna. „Tut mir schrecklich leid. Ich hatte absolut keine Ahnung. Hätte ich davon gewusst, hätte ich die gedankenlose Bemerkung über Flugzeugabstürze und Autounfälle nie gemacht.“
„Ich weiß.“ Er lächelte traurig. „Auch nach fast drei Jahren habe ich mich noch nicht daran gewöhnt, dass sie nicht mehr da ist.“ Seine Stimme bekam einen sehnsüchtigen Unterton. „Manchmal rechne ich wieder damit, ihre Stimme zu hören oder sie aus der Küche kommen zu sehen.“
„Es tut mir so leid“, wiederholte Yohanna fast flüsternd. Sie fühlte sich schrecklich hilflos, wollte jedoch nicht zu irgendwelchen übermäßig verwendeten und klischeehaften Phrasen greifen, die bei solchen Anlässen üblich waren. So etwas wurde der Trauer dieses Mannes noch nicht mal ansatzweise gerecht.
Sie wusste noch, wie verzweifelt sie selbst nach dem Tod ihres Vaters gewesen war. Damals war sie erst zwölf Jahre alt. Noch Wochen später hatte sie sich entwurzelt gefühlt. Als wäre die Welt um sie herum ihr fremd geworden.
Sie hatte sehr lange gebraucht, um über den Verlust hinwegzukommen. Wie schlimm musste es dann erst sein, einen Ehepartner zu verlieren … ganz zu schweigen von einem ungeborenen Kind. Was für eine unerträgliche Vorstellung!
„Ja, mir auch“, murmelte Lukkas und löste den Sicherheitsgurt.
„Moment mal, sollten Sie nicht lieber angeschnallt bleiben?“, fragte Yohanna bestürzt. Hoffentlich hatte ihre gedankenlose Bemerkung ihn nicht zu einer leichtsinnigen Reaktion veranlasst.
„Nur, wenn ich diesen Sitz mitnehmen will.“ Er zeigte auf das Fenster neben ihr. „Wir sind schon gelandet.“
Blinzelnd blickte sie hinaus ins Freie. Das Flugzeug stand bereits. Wie hatte ihr das nur entgehen können? „Ach.“ Sie kam sich leicht idiotisch vor. Bisher lief dieser Tag überhaupt nicht gut.
Lukkas nahm seinen Aktenkoffer aus dem Gepäckfach. „Keine Sorge, Sie werden bald Routine beim Fliegen haben.“
Yohanna schnallte sich ebenfalls ab, nahm ihre Tasche und folgte Lukkas aus dem Flugzeug. Sie nahm sich vor, abends den Artikel zu lesen, um weiteren gedankenlosen Bemerkungen vorzubeugen.
Ein silbergrüner Toyota mitsamt Fahrer stand schon bereit, um sie abzuholen.
„Willkommen, Mr. Spader“, rief der etwa vierzigjährige, durchschnittlich große Mann neben dem Wagen, kaum dass sie in Hörweite waren. Er öffnete die Tür hinter dem Fahrersitz.
„Danke fürs Abholen, Juan“, bedankte Lukkas sich. Er nickte in Yohannas Richtung. „Das ist Hanna. Sie ist die Nachfolgerin von Janice.“
Der Mann nickte ihr lächelnd zu. „Da haben Sie sich ja einiges vorgenommen, Hanna. Janice hatte die Gabe, überall gleichzeitig zu sein.“
Na vielen Dank auch, dachte Yohanna. Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Ich werde mein Bestes versuchen.“
Lukkas bedeutete ihr mit einer Geste, vor ihm in den Wagen zu steigen. „Der bloße Versuch reicht leider nicht. Sie müssen Ihr Bestes geben“, sagte er spitz.
Yohanna fühlte sich jetzt erst recht unter Druck gesetzt, aber Gott sei Dank lief sie dann immer zu Höchstform auf. Es gehörte zu ihren Prinzipien, Herausforderungen anzunehmen, anstatt sich von ihrer vermeintlichen Unüberwindlichkeit abschrecken zu lassen. Sie gab grundsätzlich ihr Bestes.
„Keine Sorge. Nichts gegen Janice, aber ich werde erledigen, was zu erledigen ist. Und zwar schnell.“
„Wir werden sehen.“
Yohanna straffte entschlossen die Schultern. Das werden wir allerdings.
„Haben Sie das alles hier errichten lassen?“, fragte sie Lukkas verblüfft, als sie sich zwanzig Minuten später Sugar Springs näherten.
Sie kam sich vor wie bei einer Zeitreise in die Vergangenheit. Die Stadt sah aus wie dem späten neunzehnten Jahrhundert entsprungen. Pferde waren an Pfosten vor Gebäuden aus verwittertem Holz gebunden, von denen das größte der Saloon war. Die Straßen waren nicht asphaltiert, sondern bestanden aus Lehm, den die Sonne steinhart gebrannt hatte.
Yohanna ließ das Fenster runter, um sich besser umsehen zu können. Es war wie in einem alten Western. Sie sah eine Zeitungsredaktion, einen Barber-Shop, der gleichzeitig eine Arztpraxis war, und ein altmodisches Warenhaus. Es gab sogar eine heruntergekommene Sheriff-Station.
„Nein, diese Stadt sah schon so aus, als ich sie entdeckt habe. Toll, oder? Halten Sie da drüben, Juan“, fügte Lukkas hinzu und zeigte nach vorn.
„Da drüben“ war der Saloon. Lukkas stieg aus und wartete, bis Yohanna seinem Beispiel gefolgt war.
Verblüfft sah sie sich um. „Sie haben hier nichts gemacht, um den historischen Look so rüberzubringen?“
„Ich nicht, aber Jeff Richards.“
Der Name sagte Yohanna nichts. Bedauernd schüttelte sie den Kopf. „Ich fürchte, ich weiß nicht, wer …“
Lukkas hatte auch nicht von ihr erwartet, den Mann zu kennen. „Richards hat die Stadt quasi gekauft, indem er ihre Steuerschulden übernommen hat. Es war seine Idee, sie in eine Touristenattraktion zu verwandeln. Wir mieten sie für die Außenaufnahmen und ein paar der Innenaufnahmen. Danach kann er seine Stadt als den Schauplatz von The Sheriff From Nowhere anpreisen.“