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Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Andrea, die blutjunge Frau des beliebten Tierarztes Dr. Hans-Joachim von Lehn, stand stirnrunzelnd vor ihrem geöffneten Kleiderschrank und schob die Kleider auf den Bügeln hin und her. Dann wandte sie sich zu ihrer Stiefmutter Denise von Schoenecker um. »Mutti, was soll ich nur mitnehmen?«, fragte sie ratlos. Denise lachte: »Kind, das sollte doch kein Problem für dich sein. Jedes deiner Kleider ist entzückend.« »Meinst du das wirklich? Wenn man auf dem Land lebt, kann man keine Vergleiche mit den Frauen in den Großstädten anstellen. Paris ist die Stadt der Mode, und die Pariserinnen sollen nicht nur sehr schick, sondern auch auffallend hübsch sein.« »Ich glaube, dass sind nur Illusionen. Auch in Paris gibt es Frauen, die nicht nach der Mode gekleidet sind. Aber selbstverständlich gibt es dort auch sehr elegante Frauen – wie überall auf der Welt. Zudem bleibt ihr ja kaum eine Woche in Paris. Du brauchst also keinen Schrankkoffer voller Kleider mitzunehmen«, scherzte Denise. »Mutti, ich möchte aber alle Frauen in Paris ausstechen. Hans-Joachim soll stolz auf mich sein. Er soll erst gar nicht auf den Gedanken kommen, andere Frauen zu bewundern.« »Deine Sorgen möchte ich haben, Andrea.«
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Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Andrea, die blutjunge Frau des beliebten Tierarztes Dr. Hans-Joachim von Lehn, stand stirnrunzelnd vor ihrem geöffneten Kleiderschrank und schob die Kleider auf den Bügeln hin und her. Dann wandte sie sich zu ihrer Stiefmutter Denise von Schoenecker um. »Mutti, was soll ich nur mitnehmen?«, fragte sie ratlos.
Denise lachte: »Kind, das sollte doch kein Problem für dich sein. Jedes deiner Kleider ist entzückend.«
»Meinst du das wirklich? Wenn man auf dem Land lebt, kann man keine Vergleiche mit den Frauen in den Großstädten anstellen. Paris ist die Stadt der Mode, und die Pariserinnen sollen nicht nur sehr schick, sondern auch auffallend hübsch sein.«
»Ich glaube, dass sind nur Illusionen. Auch in Paris gibt es Frauen, die nicht nach der Mode gekleidet sind. Aber selbstverständlich gibt es dort auch sehr elegante Frauen – wie überall auf der Welt. Zudem bleibt ihr ja kaum eine Woche in Paris. Du brauchst also keinen Schrankkoffer voller Kleider mitzunehmen«, scherzte Denise.
»Mutti, ich möchte aber alle Frauen in Paris ausstechen. Hans-Joachim soll stolz auf mich sein. Er soll erst gar nicht auf den Gedanken kommen, andere Frauen zu bewundern.«
»Deine Sorgen möchte ich haben, Andrea.« Denise lachte herzlich auf. »Ich hätte gar nicht gedacht, dass du so eifersüchtig sein kannst.«
»Ich denke immer noch an die Zeit, als Hans-Joachim in Amerika war. Damals hat man viel über ihn geredet. Er soll viele Freundinnen gehabt haben. Wenn ich ihn nach dieser Zeit frage, hüllt er sich in geheimnisvolles Schweigen.«
»Damals wart ihr ja noch nicht einmal verlobt, Andrea. Jeder junge Mann stößt sich erst die Hörner ab, bevor er heiratet. Gerade Männer, die ihr Leben in jungen Jahren genossen haben, werden die besten Ehemänner. Das ist eine alte Weisheit, Andrea.«
»Andererseits sagt man aber auch, dass die Katze das Mausen nicht lässt.« Andrea musste plötzlich lachen. Dann aber wurde sie wieder ernst. »Ich bin eine pflichtvergessene Mutter!«, rief sie in einem völlig veränderten Ton. »Ich mache mir Sorgen um meine Garderobe, statt an Peterle zu denken, den ich nun fünf Tage allein lassen muss.«
»Du bist gut, Andrea. Allein lässt du ihn gewiss nicht. Oder willst du behaupten, dass ein Kind in Sophienlust allein ist?«
»Natürlich nicht. Bei dir ist mein kleiner Sohn in den besten Händen. Nicht wahr, du nimmst ihn am Abend mit nach Schoeneich?«
»Das habe ich dir doch schon versprochen. Die Kinder in Sophienlust können es kaum erwarten, dass Peterle zu ihnen kommt. Besonders Pünktchen und Heidi warten voller Sehnsucht auf diesen Augenblick.«
»Aber du überlässt Peterle keinen von ihnen. Heidi ist doch erst vier. Und Pünktchen? Na ja, sie ist schon sehr vernünftig mit ihren zwölf Jahren. Aber eben doch noch ein Kind. Am liebsten würde ich hierbleiben. Soll ich Hans-Joachim nicht doch allein nach Paris fliegen lassen?«
»Das würde ich an deiner Stelle lieber nicht tun«, neckte Denise ihre bildhübsche Stieftochter. »Denk an die eleganten schönen Pariserinnen.«
»Ach, Mutti, du willst mich doch nur hochnehmen!« Übermütig blitzte es in Andreas blauen Augen auf. »Ich werde Hans-Joachim auf keinen Fall allein fliegen lassen. Gelegenheit macht Diebe, heißt es doch.«
»Was höre ich da?«, rief Hans-Joachim von Lehn von der Tür her. »Du willst mir nicht einmal Gelegenheit zu einem Seitensprung geben, teures Weib?«
»Das könnte dir so passen, du Wüstling.« Andrea umarmte ihn und zupfte ihn dabei ziemlich kräftig an seinen blonden Haaren. »Ich werde meine Augen in Paris offenhalten, um dir keine Möglichkeit zu geben, dich fortzuschleichen. Paris ist nun mal ein Sündenbabel.«
»Du tust mir weh, du grobes Weib.« Lachend befreite er sich und sah seine hübsche Schwiegermutter verschmitzt an. »Da habe ich mir etwas zusammengeheiratet.«
In diesem scherzenden Ton wäre es noch ein Weilchen weitergegangen, wenn Peterle sich nicht durch empörtes Schreien im Nebenzimmer bemerkbar gemacht hätte. Auch die Dogge Severin bellte laut.
Andrea eilte, gefolgt von Denise, in das mit weißen Schleiflackmöbeln ausgestattete Kinderzimmer, wo ihr Sprössling im Stubenwagen lag und erbärmlich schrie. Aufgeregt stand die schwarze Dogge Severin neben dem Wagen. Andrea hob ihren Sohn hoch. »Was fehlt dir denn, Peterle?«, fragte sie erschrocken. »Hoffentlich wird er nicht krank. Dann muss ich dich wirklich allein nach Paris fliegen lassen«, wandte sie sich an ihren Mann, der ebenfalls ins Kinderzimmer gekommen war.
»Wenn du nasse Windeln als Krankheit bezeichnest, dann dürfte dein Sohn chronisch krank sein«, neckte Denise sie.
»Seine Windeln sind tatsächlich nass. Ich bin wirklich dumm«, klagte Andrea sich an. »Das kommt nur daher, dass ich ganz durcheinander bin vor Freude über die Pariser Reise, Hans-Joachim.«
»Dann solltest du lieber daheimbleiben, Andrea«, schlug er vor und brachte sich schnell in Sicherheit, als sie ihn mit funkelnden Augen ansah.
Denise verabschiedete sich nach einer Weile. Andrea begleitete sie zu ihrem Wagen. »Morgen früh bringen wir Peterle zu dir. Dann fahren wir gleich weiter nach Frankfurt, Mutti. Unsere Maschine fliegt gegen Mittag.«
»Ich werde gegen neun Uhr in Sophienlust sein. Ich nehme an, Vati kommt auch mit, um sich von euch zu verabschieden.«
»Das ist fein. Hans-Joachim und ich wären ja heute Abend gern noch nach Schoeneich gekommen, aber es geht nicht. Hans-Joachim hat noch eine Menge zu tun. Schließlich muss er die Praxis fünf Tage allein lassen. Ein Glück, dass unser Tierpfleger, Herr Koster, schon fast ein halber Tierarzt ist. Die leichten Fälle kann er übernehmen. Sonst müssen die Leute mit ihren Tieren nach Roggendorf zu Dr. Petzold fahren. Aber Hans-Joachim will sich den Tierärztekongress in Paris auf keinen Fall entgehen lassen.«
»Womit er auch recht hat.« Denise gab ihrer Tochter einen Kuss, dann stieg sie in ihren Wagen ein und fuhr los. Ihr Weg führte sie über Sophienlust, wo sie bereits sehnsüchtig von ihrem Jüngsten erwartet wurde.
Denise fuhr Henrik liebevoll durch seinen meist schwer zu bändigenden braunen Haarschopf. »Bist du mit den Schulaufgaben fertig?«, fragte sie.
Schelmisch blitzte es in den grauen Jungenaugen auf. »Ja, Mutti, aber Nick hat mir geholfen. Er kann ganz toll rechnen.«
»Ich weiß das, Henrik. Wo steckt er denn?«
»Er ist bei den Ponys und gibt den beiden neuen Kindern die erste Reitstunde. Mutti, ist es wahr, dass das Pony Nicki schon sehr alt ist? Nick hat erzählt, dass er es geschenkt bekam, als du noch nicht mit meinem Vati verheiratet warst.«
»Das stimmt, Henrik. Nick war damals erst fünf. Also zwei Jahre jünger, als du heute bist.«
»Und ihr seid damals hierhergekommen, weil Nicks Urgroßmutter gestorben war und Nick Sophienlust geerbt hatte.« Henrik kannte diese Geschichte bereits auswendig, aber er wollte sie immer wieder hören, weil sie ihm so gut gefiel. Er vergötterte seinen Halbbruder Nick und ahmte ihn in allem nach. Als er noch jünger war, hatte er nicht verstehen können, dass Nicks Urgroßmutter nicht auch die seine war. Aber nun wusste er, dass seine Mutti früher einmal mit einem Herrn von Wellentin verheiratet gewesen war, der noch vor Nicks Geburt tödlich verunglückt war. Danach hatte es seine Mutti sehr schwer gehabt. Sie war damals arm gewesen und hatte Nick, der eigentlich Dominik hieß, in einem Kinderheim unterbringen müssen, das aber lange nicht so schön gewesen war wie Sophienlust.
Doch dann hatte Nick Sophienlust geerbt, und seine Mutti hatte seinen Vati kennengelernt. Die beiden hatten geheiratet, und dann war er, Henrik, geboren worden. Aber nicht nur seine Mutti hatte schon ein Kind gehabt, sondern auch sein Vati. Er hatte sogar zwei Kinder aus erster Ehe gehabt: Andrea und Sascha.
»Mutti, bitte erzähle mir doch noch mal die Geschichte von Vati und dir«, bat Henrik und strich Denise schmeichelnd über den Handrücken.
»Ja, Henrik, aber erst auf der Fahrt nach Schoeneich. Ich muss jetzt ein paar Dinge mit Frau Rennert besprechen.«
»Tante Ma ist bei Magda in der Küche, Mutti.«
»Bleib bitte in der Nähe, Henrik. Ich möchte dann gleich nach Schoeneich fahren. Kommt Nick mit?«
»Nein, Mutti, er will heute hier übernachten. Nicht wahr, wenn ich älter bin, bekomme ich auch ein eigenes Zimmer in Sophienlust?«, fragte Henrik gespannt.
»Ja, Henrik.« Denise stieg die Freitreppe des schönen alten Herrenhauses empor. Sie hatte das Äußere dieses Hauses so gelassen, wie es von Anfang an gewesen war. Innen waren allerdings einige Veränderungen nötig gewesen, als das Haus in ein Kinderheim umgewandelt worden war. Nur die Wohnhalle mit dem offenen Kamin, dem hochlehnigen Sofa, dem antiken Tisch und den bequemen braunen Ledersesseln und das stilecht eingerichtete Biedermeierzimmer hatten ihren ursprünglichen Charakter behalten.
Denise fand die Heimleiterin, Frau Else Rennert, die Kinderschwester Regine und die Köchin Magda in der Küche. Gemeinsam besprachen sie nun den Wochenspeiseplan für die Kinder und Erwachsenen in Sophienlust.
Henrik lief indessen zu den Koppeln, wo Nick zwei Brüdern, die vor ein paar Tagen nach Sophienlust gekommen waren, die erste Reitstunde gab.
Nick war ein hoch aufgeschossener hübscher Junge mit dunklen Augen und schwarzlockigen Haaren. Er hatte viel Temperament und ein Herz für alle Kinder und Tiere. Überall war er beliebt. Er liebte Sophienlust sehr und zeigte offen, wie stolz er auf sein Erbe war.
»Na, Kleiner, willst du auch reiten?«, fragte er seinen kleinen Halbbruder lächelnd.
»Ich kann jetzt nicht, Nick. Mutti wartet auf mich. Wir fahren nachher gleich nach Schoeneich zurück. Kommst du mit?«
»Nach Schoeneich? Nein, heute bleibe ich über Nacht in Sophienlust.«
»Na ja, da kann man nichts machen.« Henrik unterdrückte einen Seufzer. Wenn er doch endlich schon so alt wie Nick wäre …
Nick konzentrierte sich wieder auf seine beiden kleinen Reitschüler, die noch recht unsicher auf den Ponys saßen. »Keine Angst!«, rief er ihnen fröhlich zu. »Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Fritz, du musst etwas gerader sitzen.«
»Ich gehe jetzt. Also, dann bis morgen.« Henrik nickte seinem großen Halbbruder zu und lief zum Herrenhaus zurück.
*
Am nächsten Morgen herrschte große Aufregung in Sophienlust. Denise war mit Henrik gleich nach dem Frühstück von Schoeneich herübergekommen. Da es ein schulfreier Sonnabend war, wurde Peterle ein festlicher Empfang bereitet. Alle Mädchen standen wartend auf der Freitreppe, als Andrea und ihr Mann mit dem Baby eintrafen.
Schwester Regine nahm der jungen Mutter den kleinen Jungen ab. Peterle kannte die Kinderschwester bereits gut. Er patschte ihr laut jauchzend ins Gesicht.
Andrea und Hans-Joachim verabschiedeten sich rasch von allen. Andrea hatte plötzlich Tränen in den Augen. »Nicht wahr, Mutti, ihr passt gut auf Peterle auf?«
»Keine Sorge, mein Kleines. Peterle ist bei uns allen in bester Obhut. Und in der Nacht bleibt er in Schoeneich, damit ich immer ganz in seiner Nähe bin. Vati konnte leider nicht mitkommen, weil er dringend zum Bürgermeisteramt fahren musste. Er lässt euch noch herzlich grüßen.«
Hans-Joachim blickte ungeduldig auf seine Armbanduhr. »Wenn wir nicht losfahren, fliegt die Maschine ohne uns ab«, mahnte er und stieg in den Wagen ein.
Auch Andrea setzte sich ins Auto. Noch immer schwammen ihre Augen in Tränen.
Hans-Joachim fuhr los. Andrea winkte zurück und trocknete dabei ihre Tränen. Ihr Mann lächelte gutmütig. »Du bist mir eine«, sagte er kopfschüttelnd. »Zuerst willst du unbedingt mit nach Paris fliegen. Und nun, wo es soweit ist, heulst du wie ein Schlosshund.«
»Es ist doch nur wegen Peterle. Zum ersten Mal trenne ich mich für so viele Tage von ihm.«
»Andrea, du kannst noch aussteigen.« Hans-Joachim fuhr langsamer.
»Ich denke gar nicht daran.« Jetzt lachte sie ihn unter Tränen an. »Ich komme mit und passe auf dich auf.«
»Darüber bin ich aber froh. Aber vielleicht muss ich auf dich aufpassen?«
»Du auf mich? Wieso? Na, weißt du, ich habe dich noch kein einziges Mal betrogen.«
»Das wäre ja noch schöner.« Er blickte sie verliebt an. »Ich dich auch nicht, Andrea.«
»Dabei warst du oft allein unterwegs, Hans-Joachim.«
»Na und?« Er grinste jungenhaft. »Wenn man dich zur Frau hat, ist man froh, sich einmal ausruhen zu können.«
»Hans-Joachim, schäme dich!«, rief sie empört.
»Ich schäme mich in Grund und Boden«, erwiderte er vergnügt.
Andrea lehnte sich bequemer zurück. Nun erst fing sie an, sich auf Paris richtig zu freuen.
»Ich bin so unendlich glücklich, dass du mich mitgenommen hast«, sagte sie leise zu ihrem Mann und fasste nach seiner Hand.
»Ich habe mir schon lange gewünscht, einmal mit dir zusammen Paris zu erleben, mein Liebling«, erwiderte er ebenso leise und drückte zärtlich ihre Hand.
*
Kerstin Liebrecht war ein zierliches Mädchen mit langen blonden Haaren und großen blauen Augen. Erst vor ein paar Tagen hatte sie ihren zwölften Geburtstag gefeiert. Ihre Stiefmutter und ihre Halbschwester Erika hatten diesen Tag mit ihr zu Hause verbracht, während ihr Vati wieder einmal nicht dagewesen war.
Kerstin wusste, seit ihre Stiefmutter im Haus war, hatte ihr Vater kaum noch Zeit für sie. Trotzdem liebte sie ihn unendlich und war sehr stolz auf ihn. Als Auslandskorrespondent war er viel auf Reisen. Dann war sie mit ihrer Stiefmutter Petra und ihrer dreijährigen Halbschwester Erika meist allein. Sie wohnten in einem hübschen Einfamilienhaus an der östlichen Peripherie von München. Ein gepflegter Garten umgab das Haus. An warmen Sommertagen saßen sie meist auf der Terrasse.
Kerstin presste ihre Lippen fest aufeinander und blickte traurig auf die Rue du Faubourg St. Honore hinab. Hier, in Paris, fühlte sie sich einsamer denn je, weil ihr Vati kaum mit ihr beisammen war. Auch jetzt war er nicht da. Er war am Vormittag zum Palais Elysee gefahren, um an einem politischen Treffen teilzunehmen. Zuvor hatte er sie gebeten, brav im Hotel zu bleiben. Dabei schien die Sonne doch so schön.
Kerstin unterdrückte einen tiefen Seufzer, als sie sich vom Fenster des Hotelzimmers abwandte. Sie dachte im Moment an die aufregende Szene mit Petra, die es in München vor ihrer Abreise gegeben hatte. Bei dem Gedanken daran schämte sie sich sehr. Sie hatte längst erkannt, wie ungezogen sie sich ihrer Stiefmutter gegenüber benommen hatte.
Kerstin konnte nicht leugnen, dass ihre Stiefmutter sehr hübsch war. Aber sie hasste sie von ganzem Herzen, weil ihr Vati sie liebte. Dabei hatte sie geglaubt, er würde nach dem Tod ihrer Mutti nie wieder eine andere Frau lieb haben. Ihre Mutter war Holländerin gewesen und vor fünf Jahren an einer schweren Krankheit gestorben. Über ein Jahr lang war Kerstin dann mit ihrem Vati allein gewesen. Aber dann hatte er Petra kennengelernt und sie bald darauf geheiratet.
Von Anfang an hatte sich Kerstin dagegen gewehrt, Petra Mutti zu nennen. Sie sagte einfach Petra zu ihr. Ihre Stiefmutter war immer sehr freundlich zu ihr. Aber ihr wäre es lieber gewesen, sie hätte sie schlecht behandelt.
Tränen lösten sich von den langen dunklen Wimpern der Zwölfjährigen, als sie an die große Freude ihres Vaters bei Erikas Geburt dachte. Deshalb hasste sie auch ihre kleine Halbschwester. Dabei war Erika wirklich sehr niedlich. Sie war nun schon drei Jahre alt. Ihr Vati behauptete immer, sie sei sein kleiner Sonnenschein.
Kerstin überließ sich nun ihrem Kummer. Leise schluchzte sie in sich hinein.
Zur gleichen Zeit betrat Steffen Liebrecht das Hotel. Er war ein gut aussehender Mann mit intelligenten Zügen, dunklen Augen und schwarzen Haaren. Er war auffallend groß und hatte etwas schlaksige Bewegungen.
Als Auslandskorrespondent hatte er oft Gelegenheit, interessante Frauen kennenzulernen. Er sorgte dafür, dass Petra nie etwas davon erfuhr, denn er wollte ihr nicht wehtun.
Steffen wusste, Petra hatte es schon schwer genug mit Kerstin, die sehr eigenwillig war und einen großen Dickkopf hatte. Selbst er wurde manchmal nicht mit ihr fertig. Ein wenig bereute er auch seinen schnellen Entschluss, Kerstin nach Paris mitzunehmen.
Steffen fuhr mit dem Lift nach oben und betrat kurz darauf sein Zimmer, das durch eine Tür mit Kerstins Zimmer verbunden war.
Kerstin trocknete sich schnell die Augen und lief ins Nebenzimmer. »Ich bin so froh, dass du endlich da bist, Vati«, gestand sie. »Ich habe so sehr auf dich gewartet.« Sie umarmte ihn und gab ihm einen Kuss.
»Kerstin, ich habe dir bereits in München gesagt, dass ich in Paris nur wenig Zeit für dich habe. Wenn du willst, bringe ich dich zum nächsten Flugzeug. Petra kann dich dann in München-Riem abholen.«
»Nein, ich will bei dir bleiben.« Kerstin schob die Unterlippe vor.
»Mein Gott, Kind, werde doch endlich vernünftig. Petra ist so lieb zu dir, und du dankst ihr das mit Aufsässigkeit und Ablehnung. Auch zu Erika bist du oft sehr hässlich.«
»Weil ich sie nicht mag. Und Petra mag ich auch nicht.«
Steffen unterdrückte einen Seufzer. »Wie soll das nur weitergehen? Petra ist nun mal meine Frau und deine Mutter.«
»Meine Stiefmutter!«, rief Kerstin erregt. »Und Erika ist meine Stiefschwester.«
»Deine Halbschwester, mein Kind.«
»Das ist doch dasselbe. Oder?« Trotzig blitzte sie ihn an.
»Nein, es ist nicht dasselbe. So, Kerstin, nun sei brav. Zieh dir eine Jacke über. Wir gehen jetzt essen.« Er blickte auf die Armbanduhr. »Es ist schon zwei Uhr. Hoffentlich bekommen wir noch ein Menü.«
»Nicht wahr, Vati, du hast mich genauso lieb wie Erika?«, fragte Kerstin weinerlich.
»Natürlich, Kerstin.« Liebevoll sah er sie an und nahm sich vor, etwas mehr Geduld mit ihr zu haben. Vielleicht würde sie eines Tages einsehen, dass auch Petra sie lieb hatte. Petra tat wirklich alles, um ihre Liebe zu gewinnen. Seit vier Jahren gab sie Kerstin in allem nach und wurde nie ungeduldig, wenn das Kind ungezogen war. Im Stillen bewunderte er ihre Engelsgeduld.
Kerstin lächelte erleichtert. »Wir bleiben doch noch lange in Paris, Vati?«, erkundigte sie sich.
»Das kann ich im Moment noch nicht sagen. Aber jetzt komm. Wir werden heute in einem baskischen Restaurant essen. Ich kenne ein sehr hübsches.«
Stolz saß Kerstin kurz darauf neben ihrem Vater in einem Taxi. Hell schien die Sonne. Alle Menschen machten frohe Gesichter. Auch ihr Vati schien in bester Stimmung zu sein.