Köpfe - Greg Bear - E-Book

Köpfe E-Book

Greg Bear

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Beschreibung

Wissen ist Macht

Vor Jahrhunderten ließen Tausende ihre Gehirne einfrieren in der Hoffnung, das Bewusstsein, die persönlichen Erinnerungen, das Ich über den Tod hinaus zu retten, um eines Tages in ferner Zukunft eine Wiederauferstehung zu erleben. Aber die Menschen dieser fernen Zukunft haben wenig Verständnis für derartige Wünsche. Sie sind nur an den Informationen interessiert, an verlorenem Know-how, das noch in den Köpfen sein könnte. Dass dieses Wissen jedoch nicht ungefährlich sein kann, erfährt der Wissenschaftler Mickey Sandoval am eigenen Leib, als seine Schwester Rho 410 dieser gefrorenen Köpfe auf den Mond bringt. Immer tiefer gerät er in einen Strudel aus Intrigen, der sich bis in die höchsten Kreise der Politik zieht – und mitten hinein in das Dunkle Geheimnis eines religiösen Kultes …

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GREG BEAR

KÖPFE

Roman

Das Buch

Vor Jahrhunderten ließen Tausende ihre Gehirne einfrieren in der Hoffnung, das Bewusstsein, die persönlichen Erinnerungen, das Ich über den Tod hinaus zu retten, um eines Tages in ferner Zukunft eine Wiederauferstehung zu erleben. Aber die Menschen dieser fernen Zukunft haben wenig Verständnis für derartige Wünsche. Sie sind nur an den Informationen interessiert, an verlorenem Know-how, das noch in den Köpfen sein könnte. Dass dieses Wissen jedoch nicht ungefährlich sein kann, erfährt der Wissenschaftler Mickey Sandoval am eigenen Leib, als seine Schwester Rho 410 dieser gefrorenen Köpfe auf den Mond bringt. Immer tiefer gerät er in einen Strudel aus Intrigen, der sich bis in die höchsten Kreise der Politik zieht – und mitten hinein in das Dunkle Geheimnis eines religiösen Kultes …

Der Autor

Titel der Originalausgabe

HEADS

Aus dem Amerikanischen von Irene Bonhorst

Überarbeitete Neuausgabe

Copyright © 1990 by Greg Bear

Copyright © 2015 der deutschsprachigen Ausgabe by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Covergestaltung: Das Illustrat

Ordnung und Kälte, Hitze und Politik. Der Schwindel der falschen Ordnung: Wut, Tod, Selbstmord und Zerstörung. Ich habe geliebte Menschen verloren, habe meine Illusionen verloren und eine geistige und körperliche Hölle durchgemacht, aber was mich nach dreißig Jahren immer noch im Traum heimsucht, sind die riesigen silbernen Kühlmaschinen, vier Etagen hoch, die unbewegt in der dunklen, leeren Höhlung der Eisgrube hingen; die Chaos-Druckpumpen mit ihrer ständigen saugenden Lautlosigkeit; der sich auflösende Geist meiner Schwester Rho; und William Pierces Gesichtsausdruck, als er sich seinem Lebensziel gegenübersah, in der Stille …

Ich glaube, dass Rho und William tot sind, aber ich werde mir dessen niemals ganz sicher sein. Noch viel weniger sicher bin ich mir über die vierhundertzehn Köpfe.

Fünfzig Meter unter dem aschigen Verwitterungsboden des Oceanus Procellarum, in der geografischen Mitte der ausgedehnten und zum größten Teil leeren Sandoval-Gebiete, war die Eisgrube aus einem vulkanischen Rülpser in der Ur-Vergangenheit des Mondes entstanden, eine natürliche Blase von beinahe neunzig Metern Durchmesser, die einst mit der wässrigen Sickerflüssigkeit eines Eisfalles in der Nähe gefüllt war.

Die Eisgrube war ein ergiebiger Wasserstollen gewesen, eins der größten Trinkwasserreservoirs auf dem Mond, doch es war längst erschöpft.

Da es meiner Familie, dem Multiplen Bund der Sandovals, widerstrebte, Mitglieder des Clans arbeitslos zu sehen, hatte sie die Grube als verlustbringende Farm weitergeführt. Sie unterhielt drei Dutzend Bewohner in einem Raum, der früher dreihundert beherbergt hatte. Sie war schrecklich vernachlässigt, schlecht geführt, und – was das schlimmste war für eine lunare Einrichtung – ihre Gänge und Gehege waren schmutzig. Der freie Raum an sich war leer und unbenutzt, da seine wassererhaltende Stickstoff-Atmosphäre längst versickert und der Grund nach mehreren Beben von Geröll bedeckt war.

Mein Schwager, William Pierce, hatte vorgeschlagen, ausgerechnet an diesem unwirtlichen Ort den absoluten Nullpunkt anzustreben, das universale Nonplusultra an Ordnung, Frieden und Stille. William untermauerte seine Bitte um die Nutzung der Eisgrube mit der Behauptung, er würde auf diese Weise ein Schweineohr in eine wissenschaftliche Seidentasche verwandeln. Als Gegenleistung konnte sich der MB Sandoval eines großen wissenschaftlichen Projekts rühmen, das seinen Status innerhalb des Tripel anhob und sich damit auch auf seine finanzielle Situation günstig auswirkte. Die Eisgrubenstation würde einem echten Zweck dienen und bot nicht nur Lebensraum für einige Dutzend müßige Eisgrubenleute, die sich als Farmer ausgaben. Und William hatte etwas ganz für sich allein, etwas wahrhaft Herausforderndes.

Rho, meine Schwester, unterstützte ihren Mann, indem sie all ihre beträchtliche Energie und allen Charme aufbot – und ihr gutes Verhältnis zu meinem Großvater, in dessen Augen sie niemals etwas falsch machen konnte.

Trotz Großvaters Befürwortung wurde das Vorhaben einer strengen Untersuchung durch das Sandoval-Syndikat unterzogen – bestehend aus den Geldgebern und Unternehmern sowie den Wissenschaftlern und Ingenieuren, von denen viele schon mit William zusammengearbeitet hatten und seine Begabung kannten. Rho steuerte seinen Vorschlag geschickt durch das Labyrinth von Begutachtung und Kritik.

Mit einer Fünf-zu-vier-Entscheidung des Syndikats und unter heftigem Protest von Seiten der Geldgeber und dem widerstrebenden Einverständnis der Wissenschaftler wurde Williams Projekt bewilligt.

Thomas Sandoval-Rice, der Direktor und Chef des MB-Syndikats, gab seine Zustimmung äußerst zögernd, doch er gab sie. Offenbar sah er einen gewissen Nutzen in einem risikoreichen, aufsehenerregenden Forschungsprojekt; die Zeiten waren schwer, und der Prestigewert spielte selbst für eine Familie der Oberen Fünf eine entscheidende Rolle.

Thomas beschloss, das Projekt als Übungsplatz für vielversprechende junge Familienmitglieder zu benutzen. Rho verwandte sich zu meinen Gunsten, ohne dass ich davon etwas wusste, und ich wurde mit einem Posten betraut, der weit über das hinausging, was ich aufgrund meines Alters und meiner Erfahrung verdiente, nämlich mit dem des Obersten Finanzmanagers und Beschaffungsmeisters der Station.

Die Loyalität gegenüber der Familie – und die flehentlichen Bitten meiner Schwester – zwangen mich, meine Ausbildung am Mare Tranquillitatis abzubrechen und zur Eisgruben-Station umzuziehen. Anfangs war ich darüber alles andere als begeistert. Ich fühlte mich mehr zu den freien Künsten berufen als zum Finanzwesen oder zum Management; ich hatte, in den Augen der Familie, meine Studienzeit für die Fächer Geschichte, Philosophie und terrestrische Klassik verschwendet. Dennoch besaß ich eine nicht unbeträchtliche Begabung für technische Wissenschaften – allerdings weniger für die Theorie – und hatte als Nebenfach Familienfinanzen belegt. Ich traute mir zu, mit dieser Aufgabe fertigzuwerden, und wenn auch nur, um meinen älteren Familienmitgliedern zu zeigen, was sich mit einer liberalen Denkungsweise alles bewerkstelligen ließ.

Scheinbar war ich für William und sein Projekt zuständig und lediglich dem Syndikat und dem Finanzdirektorium gegenüber verantwortlich, doch natürlich stellte William sehr schnell seine eigene Hackordnung auf. Ich war damals zwanzig Jahre alt, William zweiunddreißig.

Die Höhlung war mit Schaumstein ausgesprüht, um die atembare Atmosphäre abzugrenzen und zu versiegeln. Ich beaufsichtigte die Generalreinigung, die Überholung der bereits vorhandenen Gehege und Gassen und die Investition in ein verhältnismäßig spartanisch ausgestattetes Labor.

Große Kühlmaschinen, die seit dem Ende der Eisförderung in der Station eingelagert waren, wurden in die Höhle transportiert, so dass dadurch viel mehr Kühlkapazität zur Verfügung stand, als William für seine Arbeit eigentlich benötigte.

Vibration erzeugt Wärme. Die Generatoren, die das Labor der Eisgrube mit Energie versorgten, waren auf der Oberfläche installiert, damit ihr Lärm und ihr Beben von den Kühlmaschinen und Williams Laborausrüstung getrennt waren. Die übrige Vibration wurde durch die Aufhängung in einem raffinierten Geflecht aus Stahlfedern und Magnetschwebefeldern gedämpft.

Die Wärmeradiatoren der Eisgrube waren ebenfalls in der Nähe der Oberfläche aufgestellt, sechs Meter tief in den Schatten offener Gräben eingelassen, wo sie nie die Sonne sahen, sondern die Vorderseiten der alles absorbierenden Schwärze des Raums zuwandten.

Drei Jahre waren seit der Umwandlung vergangen. Immer wieder hatte William die Erreichung seines Ziels verfehlt. Er forderte immer ausgefallenere und teurere Gerätschaften an, und meistens wurden sie ihm nicht genehmigt. Er hatte sich in die Abgeschiedenheit zurückgezogen, ein Opfer immer stärkerer Stimmungsschwankungen.

Ich traf William im Hauptliftschacht am Anfang der Gasse, die zur Eisgrube führte. Normalerweise begegneten wir uns nur im Vorübergehen, wenn er pfeifend durch die kalten Gesteinsgassen zwischen seinem Wohngehege und dem Labor unterwegs war. Er hatte einen Kasten mit Denker-Unterlagen und zwei Spulen Kupferrohrleitung bei sich und machte einen vergleichsweise fröhlichen Eindruck.

William war ein knorriger Stock von einem Mann, zwei Meter groß, mit tiefliegenden schwarzen Augen, einem langen, schmalen Kinn, schmalen Lippen, Augenbrauen und Haaren so dunkel wie der Raum und mit einem tiefen Schatten um die Kieferpartie. Er war selten still oder ruhig, außer bei der Arbeit; er konnte äußerst grob und schroff sein. Wenn er in einer Versammlung oder einer Diskussion über das lunare Com-Netz richtig loslegte, gebärdete er sich manchmal streitsüchtig bis zur Selbstzerstörung, und doch wurde er von den Menschen, die am engsten mit ihm zu tun hatten, geliebt und geachtet. Einige der Sandoval-Ingenieure hielten William für ein Genie im Umgang mit Werkzeugen und Maschinen, und bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen mir vergönnt war zu beobachten, wie seine Musikerhände das gesamte Instrumentarium inspirierten und überzeugten und verführten und wie durch eine willentliche Übereinkunft aller Teile der Materie etwas konstruierten, konnte ich dieser Einschätzung nur beipflichten; doch es war weniger Liebe, die ich für ihn empfand, als vielmehr Hochachtung.

Auf die für sie typische Art war Rho verrückt nach ihm; aber schließlich war sie ebenso verbohrt wie William. Es war ein Wunder, dass sich ihre Vektoren ergänzten.

Wir gingen nebeneinander her. »Rho ist von der Erde zurück. Sie befindet sich auf dem Flug von Port Yin nach hier«, sagte ich.

»Hab' ihre Nachricht erhalten«, sagte William und stieß sich mit Schwung ab, um die Gesteinsdecke drei Meter über uns zu berühren. Sein Handschuh holte einige träge Brocken Schaumstein herunter. »Ich muss die Robotniks veranlassen, neu zu sprühen.« Er bediente sich einer nonchalanten Sprechweise, die verriet, dass er nicht wirklich die Absicht hatte, dem Gedanken die Tat folgen zu lassen. »Ich hab' jetzt endlich den QL in Gang gebracht, Micko. Die Interpretation ergibt einen Sinn. Meine Probleme sind gelöst.«

»Das behauptest du jedes Mal, bevor irgendein neuer Effekt dich wieder aus der Bahn wirft.« Wir waren bei einer großen, runden weißen Keramiktür angelangt, die den Eingang zur Eisgrube verschloss, und hielten vor einer weißen Linie an, die William vor drei Jahren an dieser Stelle dick aufgemalt hatte. Die Linie durfte nur auf seine Aufforderung hin überquert werden.

Die Luke öffnete sich. Warme Luft strömte in den Gang; die Eisgrube war immer wärmer als ihre Umgebung, da sie mit sehr vielen Gerätschaften gefüllt war. Dennoch roch die warme Luft kalt; ein Widerspruch, den ich nie zu lösen vermocht hatte.

»Ich habe jetzt die letzte Quelle externer Strahlung erschöpft«, sagte William. »Irgendein terrestrisches Metall, angereichert mit einem Niederschlag des zwanzigsten Jahrhunderts.« Er zog mit einem Ruck die Hand zurück. »Ich habe es durch Mondstahl ersetzt. Und der QL funktioniert damit tatsächlich. Ich bekomme klare Antworten – so klar, wie sie ein Quantenlogiker geben kann. Lass mir meine Illusionen.«

»Verzeihung«, sagte ich. Er zuckte großmütig die Achseln. »Ich würde gern zur Tat schreiten.«

Er blieb stehen, zog ein Gesicht, das Unsicherheit ausdrückte, und fiel dann etwas in sich zusammen. »Tut mir leid, Mickey. Ich habe mich wie ein echter Klotz bekommen. Du hast dafür gekämpft, du hast es für mich durchgesetzt, du verdienst es zu sehen. Komm mit!«

Ich trat nach William über die Linie und folgte ihm über die vierzig Meter lange, zwei Meter breite Brücke aus Draht und Gitterwerk in die Eisgrube.

William ging vor mir her, zwischen den Chaos-Druckpumpen hindurch. Ich wandte den Blick ab von den eiförmigen Bronzetori, die zu beiden Seiten der Brücke aufgestellt waren. Sie erinnerten mich an abstrakte Skulpturen, und sie gehörten zu den empfindsamsten und feinsten von Williams Werkzeugen, die immer in Betrieb waren, auch wenn sie nicht mit Williams Mustern verbunden waren.

Auf dem Weg zwischen den Pumpen hindurch spürte ich ein Kribbeln im Innern, als ob mein Körper ein großes Ohr wäre, das auf etwas lauschte, das es kaum wahrnahm: eine unbestimmte, saugende Stille. William sah sich zu mir um und grinste voller Mitgefühl. »Ein gespenstisches Gefühl, was?«

»Ich kann es nicht ausstehen«, gestand ich.

»Mir geht es genauso, aber es ist süße Musik, Micko. Wirklich süße Musik.«

Hinter den Pumpen und mit der Brücke durch einen kurzen, schmalen Steg verbunden, hing die Höhlung, umschlossen von einem Faradayschen Käfig. Hier, im Innern einer Kugel von einem Meter Durchmesser aus makellosem im Orbit geschmolzenem Quarz, das von einer spiegelnden Schicht aus Niobium überzogen war, befanden sich acht daumengroße Keramikzellen, von denen jede ungefähr eintausend Atome Kupfer enthielt. Jede Zelle war von einem eigenen supraleitfähigen Elektromagneten umgeben. Das waren die mesoskopischen Muster, groß genug für die Untersuchung der makroskopischen Eigenschaften der Temperatur, klein genug, um innerhalb des mikroskopischen Bereichs der Quantenkräfte zu bleiben. Sie durften niemals eine Temperatur über ein Millionstel Kelvin erreichen.

Das Labor befand sich am Ende der Brücke, einhundert Quadratmeter umschlossener Arbeitsraum, bestehend aus einem dünnen Stahlrahmen, über den eine schwarze Plastikwand gezogen war. An schwingungsdämpfenden Seilen und Federn und Magnetfeldern von der hohen Kuppel der Eisgrube hängend, umgaben drei der vier zylindrischen Kühlmaschinen das Labor wie die Säulen eines Urwaldtempels, überwuchert von einem Dschungel aus Rohren und Kabeln. Abwärme wurde mittels elastischer Rohre durch das Schotternetz oben an der Höhlung und durch das Dach aus Schaumstein darüber weggeführt; die eingegrabenen Radiatoren an der Oberfläche stießen die Wärme dann in den Raum ab.

Die vierte und letzte war die größte Kühlmaschine, und sie war direkt über der Höhlung angebracht, fest verbunden mit der äußeren Fläche der Quarzkugel. Aus der Ferne ähnelten die Kühlmaschine und die Hohlblase vielleicht einem gedrungenen, altmodischen Quecksilberthermometer, wobei die Höhlung den Kolben darstellte.

Das T-förmige Labor war in vier Räume aufgeteilt, zwei im Längsstrich des T, jeweils einer quer in den Seiten. William führte mich durch die Tür des Labors – genauer gesagt, einen beweglichen Vorhang – in den ersten Raum, in dem ein kleiner Metalltisch und ein Stuhl, ein auseinandergenommener Nano-Robotnik und Schränke aus Würfeln und runden Scheiben standen. Im zweiten Raum nahm der QL-Denker eine zentrale Plattform mit etwa einem halben Meter Seitenlänge ein. An der Wand links neben dem Tisch befand sich eine manuelle Schaltarmatur – wie sie nur noch selten in Gebrauch waren – und zwei Fenster, von denen aus man die Höhlung überblicken konnte. Der Raum war still und kühl und erinnerte ein wenig an eine Klosterzelle.

Fast seit Beginn des Projektes beharrte William dem Syndikat gegenüber auf der Behauptung – übermittelt durch Rho und mich, da wir ihm niemals erlaubten, persönlich in Erscheinung zu treten –, dass diese Gerätschaften selbst vom geschicktesten menschlichen Bedienungspersonal nicht perfekt gehandhabt werden konnten, und auch nicht von den kompliziertesten computergesteuerten Operateuren. All seine Fehlschläge, pflegte er in besonders düsterer Stimmung zu erklären, hatten ihren Grund in diesem Problem: in der Unfähigkeit der makroskopischen Operateure, mit den Quanteneigenschaften der Muster in Übereinstimmung zu kommen.

Was er – was das Projekt – erforderte, war ein Quantenlogik-Denker. Doch diese wurden nur auf der Erde hergestellt, und sie wurden nicht exportiert. Weil ihre Produktionszahl so gering war, wurden auf dem schwarzen Markt des Tripels keine angeboten, und die Kosten eines Ankaufs unter Umgehung der terrestrischen Behörden und des Transports waren gewaltig. Rho und mir gelang es nicht, das Syndikat zu einem solchen Erwerb zu überreden. William nahm mir das offenbar persönlich übel.

Unser Durchbruch kam mit der Nachricht, dass ein älteres Modell eines QL-Denkers von einem asiatischen Industrie-Konsortium zum Verkauf angeboten wurde. William hatte entschieden, dass dieser sogenannte veraltete Denker unseren Bedürfnissen durchaus gerecht würde – er war jedoch verdächtig billig und entsprach zweifellos nicht mehr dem neusten Stand der Technik. Das störte William nicht.

Das Syndikat hatte dem Wunsch nach dieser Anschaffung entsprochen – zur allgemeinen Überraschung, wie ich vermute. Vielleicht war es Thomas' letztes Geschenk und endgültige Prüfung für William – falls noch weitere teure Requisiten nötig würden, ohne zumindest eine Aussicht auf Erfolg, dann würde die Eisgrube geschlossen werden.

Rho war zur Erde gereist, um mit dem asiatischen Konsortium handelseinig zu werden. Der Denker war verpackt und verfrachtet worden, und vor sechs Wochen war er angekommen. Ich hatte zwischen dem Zeitpunkt des Handelsabschlusses und ihrer Nachricht von Port Yin, dass sie wieder auf dem Mond eingetroffen war, nichts von ihr gehört, und ich war begierig zu erfahren, wie es ihr ergangen war.

William beugte sich über die Plattform und tätschelte den QL voller Stolz. »Er kann jetzt fast alles«, sagte er. »Wenn wir Erfolg haben, dann ist es zu einem großen Teil das Verdienst des QL.«

Der QL nahm etwa ein Drittel der Fläche der Plattform ein. Unter der Plattform war die getrennte Energieversorgung für den QL installiert; nach dem allgemein herrschenden Brauch im Tripel waren alle Denker mit Energievorräten ausgerüstet, die ein ganzes Jahr lang den Betrieb ohne Nachschub von außen gewährleisteten.

»Wer wird den Nobelpreis bekommen, du oder der QL?«, fragte ich. Ich beugte mich auf die Höhe des QL hinab, um seinen weißen zylindrischen Behälter zu betrachten. William schüttelte den Kopf.

»Es hat sowieso noch nie jemand außerhalb der Erde je den Nobelpreis bekommen«, entgegnete er. »Sicher habe ich auch ein gewisses Verdienst an der Sache, weil ich dem QL das Problem vermittelt habe.« Ich verspürte die größte Zuneigung zu meinem Schwager, wenn er auf meinen bissigen Humor positiv reagierte.

»Was ist damit?«, fragte ich und berührte den Interpretanten leicht mit dem Finger. Mit dem QL durch faustdicke optische Kabel verbunden und eine Hälfte der Plattform bedeckend, stellte der Interpretant einen Denker für sich dar. Er nahm die komplizierten Betrachtungen des QL in sich auf und gab sie so sinngetreu wie möglich in einer für Menschen verständliche Sprache weiter.

»Ein Wunder für sich.«

»Klär mich darüber auf.«

»Du hast dich nicht mit den Unterlagen beschäftigt«, rügte mich William.

»Ich war zu sehr eingespannt, gegen das Syndikat zu kämpfen, um mich auch noch damit zu beschäftigen«, sagte ich. »Außerdem weißt du doch, dass Theorie noch nie zu meinen Stärken gehört hat.«

William kniete sich auf der anderen Seite des Tisches nieder und machte ein nachdenkliches, ehrfurchtsvolles Gesicht. »Hast du mal was über Huang-Yi Hsu gelesen?«

»Erzähl«, sagte ich geduldig.

Er seufzte. »Du hast aus lauter Unwissenheit für diese Anschaffung bezahlt, Mickey. Ich hätte dich ganz gemein hereinlegen können.«

»Ich traue dir, William.«

Er nahm das mit großzügigem Zweifel hin. »Huang-Yi Hsu erfand schon vor 2010 die post-Boolesche Drei-Grundsätze-Logik. Bis 2030 schenkte ihr niemand Beachtung. Inzwischen war er gestorben; er hatte Selbstmord begangen, anstatt sich Pekings Herrschaft der Sieben zu ergeben. Ein genialer Mann, doch meiner Meinung nach eine echte Anomalität in menschlichem Denken. Dann kamen einige Physiker der Cramerschen Laborgruppe an der Universität von Washington darauf, dass sie mit Hilfe von Hsus Arbeit Probleme in der Quantenlogik lösen konnten. Die post-Boolesche und die Quantenlogik waren füreinander geschaffen. Im Jahre 2060 war der erste QL-Denker fertiggestellt, doch niemand rechnete damit, dass er ein Erfolg werden würde.