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»Pardon, ich bin Bahnkunde!«Zugausfälle, Böschungsbrand, Personen im Gleis, defekte Klimaanlagen, Umleitungen – in den fünfundzwanzig Jahren, die Reinhard Rohn zwischen Köln und Berlin pendelte, hat er fast alles erlebt, was man sich an Bahnerlebnissen denken kann – und auch noch ein wenig mehr. Absolut unterhaltsam und mit freundlicher Gelassenheit beschreibt er, wie man all diese Missgeschicke überlebt – und doch ans Ziel kommt, wenn auch nicht pünktlich und nicht immer auch dahin, wo man ursprünglich hinwollte. Und auch einige Rätsel werden hier gelöst, etwa, was eine Steckdose im ICE mit Schrödingers Katze zu tun hat, warum Wolfsburg nicht existiert, welche Gefahren ein Hurrikan über Hamm mit sich bringt oder was Schnee in Leipzig Hauptbahnhof für Reisende bedeuten kann. – Aufregende Bahngeschichten von einem leidenschaftlichen und leidgeprüften Bahnfahrer!
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Seitenzahl: 83
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Reinhard Rohn lebt in Köln und war über 25 Jahre als Lektor und Verlagsleiter im Berliner Aufbau-Verlag beschäftigt, ausgestattet mit einer Bahncard 100 für die zweite Klasse. Er hat bisher über 20 Kriminalromane veröffentlicht. Über seine Erlebnisse mit der Bahn hat er bisher hartnäckig geschwiegen.
Mawil ist Comiczeichner in Berlin. Seine Comics erscheinen im In- und Ausland, er zeichnet für Magazine und Zeitungen wie den Tagesspiegel in Berlin, lehrt als Dozent, und manchmal liest er auch aus seinen Comics vor.
Zugausfälle, Böschungsbrand, Personen im Gleis, defekte Klimaanlagen, Umleitungen – in den 25 Jahren, die Reinhard Rohn zwischen Köln und Berlin pendelte, hat er fast alles erlebt, was man sich an Bahnerlebnissen denken kann – und auch noch ein wenig mehr. Absolut unterhaltsam und mit freundlicher Gelassenheit beschreibt er, wie man all diese Missgeschicke überlebt – und doch ans Ziel kommt, wenn auch nicht pünktlich und nicht immer auch dahin, wo man ursprünglich hinwollte. Und auch einige Rätsel werden hier gelöst, etwa, was eine Steckdose im ice mit Schrödingers Katze zu tun hat, warum Wolfsburg nicht existiert, welche Gefahren ein Hurrikan über Hamm mit sich bringt oder was Schnee in Leipzig Hauptbahnhof für Reisende bedeuten kann. – Aufregende Bahngeschichten von einem leidenschaftlichen und leidgeprüften Bahnfahrer!
Pardon, ich bin Bahnkunde
Mein unbekannter Freund in Oebisfelde
Was eine Steckdose bei der Bahn mit Schrödingers Katze zu tun hat
Dem Lokführer ist heiß
Kurz vor der Verhaftung
Hurrikan über Hamm
Wolfsburg existiert nicht
Ein Rucksack geht allein auf Reisen
Besuch einer Schulklasse
Der DB-Navigator lügt vielleicht nicht, aber er sagt die Unwahrheit
Wir müssen über Hygiene sprechen
Eine Umleitung ist eine Umleitung ist eine Umleitung
Der schöne 2. September
Sorry – kein Empfang
Eine Verspätung ist eine Verspätung ist keine Verspätung
Inge, bist du noch dran?
Alles für die Katz
Mein Abend auf Gleis 6
Kühe im Gleis
Bitte benutzen Sie ein anderes Verkehrsmittel – oder gestrandet im Hamburger Hauptbahnhof
Rotwein und der beste Kellner der Welt
Schnee in Leipzig Hauptbahnhof
Köln hat einen Dachschaden
»Tut mir leid – wir haben keinen Strom mehr.«
Hindernisrennen dank Schaffner
Last Exit: Osnabrück
Was hier nicht zur Sprache kam
Alle Bahnregeln auf einen Blick
Nachbemerkung und Dank
Das Dampfroß
Mein Dampfroß, Muster der Schnelligkeit,
Läßt hinter sich die laufende Zeit,
Und nimmt’s zur Stunde nach Westen den Lauf,
Kommt’s gestern von Osten schon wieder herauf.
Aus: Adalbert von Chamisso, »Das Dampfroß«, 1830 – verfasst fünf Jahre bevor in Deutschland die erste Eisenbahn fuhr
Der Bahnvorstand
Der Bahnvorstand des kleinen Orts
bedünkt vom Rang sich eines Lords.
Ein Vororts-, Fern- und Güterzug
zu gleicher Zeit(!) – das ist genug.
Er streckt die Hand vorn in die Brust
und blickt mit wahrer Feldherrnlust.
Er steckt den Arm bald her, bald hin:
Sein Leben hat nun wirklich Sinn ...
Zum Größten sprach sein Herz nun: »Komm!«
Er ist ein Mensch; voilà! un homme!
Christian Morgenstern, »Der Bahnvorstand«, aus Galgenlieder, 1905
Vorweg – die Bahn ist ein phantastisches Verkehrsmittel. Weder mit dem Auto noch mit dem Flugzeug gelangt frau oder man so bequem und umweltfreundlich von A nach B. Der Reisende kann arbeiten, lesen, schlafen (Bitte mit geschlossenem Mund!), aus dem Fenster schauen, essen (Es muss ja nicht immer gleich ein hartgekochtes Ei sein.) oder seinen Gedanken nachhängen. Was in Deutschland am 7. Dezember 1835 mit der ersten Eisenbahnfahrt von Nürnberg nach Fürth begann – es waren etwa sechs Kilometer –, könnte eine einzigartige Erfolgsgeschichte sein, aber leider fühlt es sich, auf kalten Bahnsteigen stehend, mit bangem Blick auf die Anzeigentafel (falls sie funktioniert), meistens ganz anders an. Gedanken an Glück, Entspannung, Reiselust etc. tauchen selten auf, wenn man sich fragt, ob der Zug überhaupt kommt, was es mit der veränderten Wagenreihung auf sich hat oder warum der Ersatzzug nur aus der Hälfte der angezeigten Waggons besteht.
Mehr als 20 Jahre lang hatte ich das oftmals zweifelhafte Vergnügen, zwischen Köln und Berlin zu pendeln – Bahncard, zweite Klasse, Preis zuletzt über 4.000 € – und auch sonst in ganz Deutschland auf einem Schienennetz, das knapp 40.000 Kilometer umfasst, unterwegs zu sein. Von diesem zweifelhaften Vergnügen handelt dieses Buch. Meine Erlebnisse sind gewiss anekdotisch und weisen doch über sich hinaus, und ich bin sicher, viele Leserinnen und Leser werden sich in meinen Abenteuern in der einen oder anderen Form wiederfinden. Insofern hat die Lektüre vielleicht auch etwas Tröstliches. Wir Bahnkunden sind in unserem Unglück nicht allein. Nein, wir sind viele missverstandene, enttäuschte, unglückliche Bahnkunden, die sich wünschen, dass es nicht – wie von der Politik angekündigt – bis zum Jahr 2070 dauert, bis wir eine halbwegs verlässliche Bahn bekommen sollen. Oder wie sagte ein befreundeter Autor, mit dem ich mehrmals per Bahn auf Lesereise ging (und ja, wir haben trotz Schwierigkeiten nie eine Lesung verpasst): »Wir lieben die Bahn – aber, leider, sie liebt uns nicht.«
Man tut Oebisfelde vermutlich nicht unrecht, wenn man das Städtchen nicht als Nabel der Welt bezeichnet. Oebisfelde liegt an der Grenze von Niedersachsen zu Sachsen-Anhalt, hat knapp 5.000 Einwohner und wurde im 11. Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt. Zu ddr-Zeiten befand sich der Ort im innerdeutschen Grenzgebiet, was mit zahlreichen Einschränkungen und Unannehmlichkeiten für die Bewohner verbunden war. Schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war Oebisfelde ein Eisenbahnknotenpunkt – und nun war es wieder von Bedeutung, wie ich an einem Montagmorgen leidvoll erfahren musste.
Der Sprinter war ohne Verzögerung um 6 Uhr 17 von Köln gestartet – einer pünktlichen Ankunft in Berlin stand eigentlich nichts im Wege (Nein, sorry, das darf man nicht so leichtfertig hinschreiben – irgendwas kann auch 500 Meter vor dem Endbahnhof im Wege stehen und dafür sorgen, dass man mindestens eine Stunde zu spät kommt. bahnregel 3: Ein Ziel ist erst dann wirklich erreicht, wenn man am Zielbahnhof ausgestiegen ist.), bis wir Reisenden kurz vor Hannover von der Existenz Oebisfeldes, genauer gesagt vom dortigen Stellwerk erfuhren. Die Schnellstrecke Hannover–Berlin, im September 1998 in Betrieb genommen, passiert den Ort, und im Stellwerk Oebisfelde wird der Verkehr überwacht und reguliert – falls Personal vorhanden ist. Wie wir jedoch per freundlicher und bemerkenswert offener Durchsage erfuhren, war kein Personal mehr vor Ort. Die Nachtschicht habe kulanterweise noch zwei Stunden drangehängt, aber leider, leider sei niemand zur Frühschicht erschienen. Das Stellwerk sei unbesetzt, daher müsse unser Zug wie alle folgenden umgeleitet werden – von Hannover über Braunschweig nach Magdeburg, dann weiter über Potsdam nach Berlin. Der Haltepunkt Berlin-Spandau entfalle daher zum großen Bedauern.
Erstaunte Gesichter im Waggon – ein unbesetztes Stellwerk auf einer der wichtigsten Strecken Deutschlands? Hatte man niemanden im Umkreise von – sagen wir – 50 Kilometern für diese Tätigkeit auftreiben können? Und was genau mag den Bahnmitarbeiter so kurzfristig von seinem Dienst abgehalten haben?
Ich stellte mir ein unfreundliches, kaltes Stellwerk mit grauem Betonboden und hässlichen Plastikmöbeln vor und einen mürrischen unausgeschlafenen Mann mittleren Alters mit einem Becher, in dem der Kaffee längst kalt geworden war, vor einem Pult mit blinkenden Lichtern. Gut, wirklich kein Traumjob, aber hoffentlich hatte unser Stellwerksmann nicht einfach gekündigt oder war gar abgehauen, sondern kurierte nur eine leichte Grippe aus, so dass er morgen wieder auf dem Posten wäre, wenn es doch nirgendwo einen Ersatz für ihn gab.
Oder aber – eine andere Vorstellung – er war pünktlich in der Früh zum Dienst erschienen, hatte jedoch mit Blick auf das Stellwerksgebäude nach kurzem Zögern, in dem die Erkenntnis lag, in so einem hässlichen Gebäude nie wieder arbeiten zu wollen, umgedreht und war zu seinem Auto – einem alten roten Mazda – zurückkehrt, um sich einen anderen Job, ein anderes Leben zu suchen.
Fahrdienstleiter in einem Stellwerk sei ein sehr verantwortungsvoller Job mit einer viel zu kurzen Ausbildung, erklärte dann der Schaffner auf Nachfrage, das wolle eigentlich keiner mehr machen – zu viel Stress, viel zu viel Verantwortung, dabei zu wenig Geld und zu wenig Ehre.
Also zuckelte unser Zug Richtung Braunschweig, dann nach Magdeburg über S-Bahngleise bei Potsdam über die Berliner Stadtgrenze. Wir hatten am Ziel über 90 Minuten Verspätung. Die Verspätungsgutscheine fanden reißenden Absatz – nur nicht bei mir, dem Bahncard-100-Mann. Für solche wie mich gibt es allenfalls zehn Euro pro über einstündiger Verspätung.
Am Abend war ich versucht, die Hotline der Bahn zu bemühen. Was ist mit eurem Mann in Oebisfelde (Ich muss gestehen, dass ich stets einen Mann vor Augen hatte.)?, wollte ich gerne fragen. Hat er sich auskuriert? Ist er wieder auf dem Posten? Oder hat er mit seinem roten Mazda tatsächlich das Weite gesucht?
Auf dem Navigator sah ich dann, dass die Züge zwischen Berlin und Hannover immer noch Verspätung hatten. Von einem verschwundenen Fahrdienstleiter in Oebisfelde war jedoch nirgendwo die Rede. Aber als ich am Freitag die Strecke dann in Richtung Köln passierte, meinte ich tatsächlich, einen roten Mazda am Stellwerk Oebisfelde, das vorbildlich besetzt war, zu sehen, doch möglicherweise habe ich es mir auch nur eingebildet.
Hier verrate ich kein Geheimnis: Eine wlan-Verbindung im Zug ist ein seltenes Gut; man sollte sie sofort, ja unverzüglich für dringende E-Mails oder wichtige Webseiten nutzen. In jeder nächsten Sekunde kann die Verbindung verschwinden und auch nicht mehr wiederkehren, ohne dass man einen Grund dafür erfährt.
(bahnregel 5: Wichtige E-Mails zuerst beantworten – der wlan-Zugang kann von einer Sekunde auf die nächste verschwinden.)
Mit dem elektrischen Strom verhält es sich ähnlich – und doch auch ganz anders. Steckdosen sind in der Bahn kein Allgemeingut. In den älteren Zügen findet man so gut wie gar keine, die als modern geltenden ices sind jedoch mit diesem eigentlich unverzichtbaren Serviceartikel ausgestattet. Doch sollte man sich nicht zu früh freuen. Nicht nur, dass der Strom oftmals im ganzen Waggon nicht fließt; manchmal sind die Steckdosen zwar nicht defekt, sie funktionieren allerdings auch nicht.
So ähnlich wie bei dem Physiker Erwin Schrödinger und seinem Gedankenexperiment zur Quantenphysik. In diesem Experiment – ich hatte leider nur den Grundkurs im Abitur, kann es daher nicht wirklich erklären – ist eine Katze zu einem bestimmten Zeitpunkt des physikalischen Prozesses gleichzeitig lebendig und tot.