Larry Brent Classic 003: Todestreppe - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 003: Todestreppe E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Nachts, wenn die Toten kommen In makabrer Umgebung treffen sie sich, um mit den Toten zu sprechen. Sie rufen sie, und die Toten kommen. Als Mister Boddingham, der verstorbene Mann einer Anwesenden, aus dem Reich der Toten zurückkehrt, wagen die Teilnehmer der Geisterbeschwörung kaum zu atmen. Doch da geschieht das Entsetzliche. Der schwebende Geisterkörper wird von dem anwesenden George Hunter angefallen, der ihm die "Maske" vom Gesicht reißen will, um somit einen Schwindel aufzudecken. Doch er trägt keine! Boddingham wird unter Hunters Händen zu einem Skelett aus bleich schimmernden Knochen. Die schwarze Wand hinter Hunter teilt sich, und Boddingham reißt ihn in eine unauslotbare Tiefe. Als Larry Brent nur wenig später aus einem brennenden Unfallfahrzeug einen Mann zieht, und erkennt, daß es sich um George Hunter handelt, beginnen nicht nur für ihn die schlaflosen Nächte. Die Treppe ins Jenseits Lord Randolph Callaghan, letzter Sproß einer alten Adelsfamilie, verkauft das Felsenschloß an der Steilküste. Sein kleiner Sohn kam dort auf der geheimnisumwitterten 14. Stufe der "Treppe ins Jenseits" ums Leben. Das Gerücht geht um, das Anwesen sei verhext. Edward Baynes, millionenschwerer Aktionär, erwirbt das Schloß. Er glaubt nicht an Spuk und böse Geister, die den Menschen übles wollen, aber schon bald muß er sich eines Besseren belehren lassen. Seine Tochter erleidet einen schweren Unfall, nachdem sie für immer an den Rollstuhl gefesselt ist. Der Millionär selbst verschwindet auf rätselhafte Weise.

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DAN SHOCKERS LARRY BRENT

BAND 3

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-803-7

Dan Shockers Larry Brent Band 3

DIE TODESTREPPE

Mystery-Thriller

Nachts, wenn die Toten kommen

von

Dan Shocker

Prolog

Sie hielten den Atem an. Der gespenstische grüne Stein hinter den mit mysteriösen Symbolen gekennzeichneten Milchglasscheiben veränderte sich. Ein Luftzug strich über die dunkelgekleideten Menschen, die sich in dieser makabren Umgebung zusammengefunden hatten. Auf einem Podest, das wie ein Altar wirkte, standen sieben erleuchtete Totenschädel, daneben in der dunklen Nische saß der Meister, kaum zu erkennen. Seine Hände lagen auf dem Kopf des starren, bleichen Mediums, das zu seinen Füßen hockte und ständig die totenblassen Lippen bewegte.

Das monotone Murmeln wurde stärker, eindringlicher, erfüllte den gespenstischen Raum und pflanzte sich durch die kahlen Gänge fort, über die steilen, schmalen Treppenstufen – bis hinauf zu den verlassenen Turmzimmern, in denen Fledermäuse hausten, wo Ratten und Mäuse im Gerümpel unter Spinnweben raschelten.

Doch sie achteten nicht darauf, sie lauschten nur der Stimme des Mediums, auf den lallenden Singsang, der sie in einen fast hypnotischen Bann zog.

Über die schwarze, mit Stoff bespannte Wand lief ein Zittern. Dann teilte sich der Vorhang. Niemand wagte sich zu bewegen. Sie hatten gehofft, dass er kommen würde, doch sie hatten nicht erwartet, in diesem Zustand!

Das grünlich-bleiche Skelett bewegte sich, kam aus dem Dunkel.

Die Stimme des Meisters drang durch den Raum. »Er ist zu früh gekommen, doch er ist es, er reagiert auf seinen Namen.«

Das Skelett veränderte sich. Die Knochen erschienen nur noch verwaschen, der Körper nahm die deutlich sichtbaren Umrisse eines Menschen an – eines Mannes. Er trug einen dunklen Abendanzug, einen Smoking, das weiße Hemd – es war blutverschmiert.

In den Reihen der Anwesenden verbreitete sich ein leises Aufstöhnen. Mrs. Boddingham verließ ihren Platz, als würde eine eiskalte Hand sie langsam in die Höhe ziehen.

»Mike«, wisperte sie, »mein Gott ... Mike, du bist gekommen, so wie du an jenem Abend gegangen bist, nach dem Mord, Mike!« Sie sprach wirr durcheinander, zitterte am ganzen Körper und war unfähig, sich von der Stelle zu bewegen. Die Hand mit den schweren goldenen Ringen, auf denen kostbare Diamanten und Brillanten glitzerten, kam langsam in die Höhe.

Wie unter einem inneren Zwang erhob sich Mrs. Ritchner, die Nachbarin von Mrs. Boddingham, legte ihre schmale Hand auf die Rechte Mrs. Boddinghams: »Der Meister hat uns gesagt, was passieren würde. Wir dürfen die Séance nicht stören, sonst ist vielleicht alles umsonst. Vielleicht wird Ihr Gatte ein zweites Mal nicht wieder erscheinen.«

Mrs. Boddingham setzte sich und starrte mit fiebrig glänzenden Augen auf die Gestalt ihres Mannes, der langsam auf sie zukam, der die Dunkelheit teilte wie ein wanderndes, zitterndes Licht, das seinen ganzen Körper umfloss.

Er kam aus der anderen Welt zu ihr – aus dem Reich der Toten!

Und dann die Stimme, eine Stimme, die nicht dem Meister gehörte.

Es war die Stimme des toten und zurückgekehrten Mr. Boddingham, eines reichen Maklers, der mit seinen Grundstücken Millionen verdient hatte.

»Frankie ... du musst auf Frankie achten, Darling! Ich ...« Weiter kam er nicht. Er drehte sich plötzlich um, als habe er vergessen, was er eigentlich wollte. Der Singsang des Mediums verstärkte sich. Die Stimme des Meisters klang ruhig und sicher aus der dunklen Ecke.

»Er wird zurückgerufen, wir können ihn nicht halten, wir versuchen es. Doch es gelingt nicht.«

Mr. Boddingham ging auf die schwarze Wand zu, er schien zu schweben. Plötzlich geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte!

Zwölf Besucher waren bei der Séance anwesend, den Meister und das Medium nicht eingerechnet. Sie trugen alle die schwarze, capeähnliche Kleidung mit den voluminösen Kapuzen, die ihre Gesichter verbargen.

Einer der Besucher sprang auf. Sein Stuhl kippte um, das Geräusch hallte wie ein Pistolenschuss durch die unheimliche Stille. Die sieben erleuchteten Totenschädel auf dem Podest flackerten, die bizarren, überdimensionalen Schatten der Schädel an der rohen Decke erwachten zu gespenstischem Leben und wirbelten wie unter einem starken Orkan durcheinander.

Der Mann, der aufgesprungen war, warf die Kapuze zurück. Zum Vorschein kam ein junges, gebräuntes, intelligentes Gesicht, das nicht in die Reihen der Millionäre hier gehörte. Es war George Hunter.

»Schwindel!« brüllte er, und seine Stimme hallte durch die Ruine. »Man führt euch an der Nase herum! Ich werde es euch beweisen!«

Er hechtete über den Glastisch und warf sich auf den verschwindenden Boddingham.

»Was tun Sie, um Himmels willen!« Die Stimme des Meisters klang angsterfüllt durch das Dunkel. »Unser Kontakt zum Totenreich – Sie verärgern die Seelen der Verstorbenen!«

George Hunter lachte. Er packte Boddingham. Ein Schrei des Entsetzens ging durch die Reihen der Anwesenden.

George Hunter riss die dunkle Gestalt förmlich herum. Er wollte der Erscheinung die Maske vom Gesicht reißen, aber in dem Augenblick veränderte sich der Körper unter seinen Händen. Mr. Boddingham wurde zum Skelett! Die bleichen, schimmernden Knochen leuchteten in der Dunkelheit, die spitze Hand schoss vor. George Hunters Augen weiteten sich. Sein Körper bebte. Die schwarze Wand vor ihm teilte sich, ohne dass seine Sinne das noch mitbekamen. Das Skelett stürzte in die Tiefe und nahm den ermordeten Hunter mit in das Reich der Toten.

Donald Ritchner ließ sich bis vor das Zauntor fahren. Er zahlte vier Dollar, gab ein angemessenes Trinkgeld und stieg aus. Leichter Regen fiel vom nächtlichen Himmel. Es war kühl, doch Donald Ritchner spürte die Kälte nicht. Der Alkohol, den er zu sich genommen hatte, wärmte ihn auf. Der Millionär grinste stillvergnügt vor sich hin. Er war ein wenig beschwipst, doch er wusste genau, was er machte, was er dachte.

Er schloss das Tor auf. Caroline würde Augen machen, wenn er so spät nach Hause kam. Das war sonst nicht seine Art. Mittwochs traf er sich mit einigen Freunden im Club, da waren die Männer unter sich. Es wurde geklönt und Zoten gerissen, die nicht für die feinen Ohren der Damen gedacht waren.

Donald Ritchner lachte halblaut vor sich hin, während er auf die Eingangstür zuwankte. Er warf einen Blick in die Höhe, und er glaubte, hinter den zugezogenen Vorhängen im ersten Stockwerk einen schwachen Lichtschimmer wahrzunehmen. Seine Frau war also noch nicht im Bett, sie hielt sich im Salon auf. Caroline hatte auf seine Rückkehr gewartet.

Unwillkürlich presste er seine an sich schon schmalen Lippen zu einem dünnen, bleichen Strich zusammen. Es fiel ihm plötzlich ein, dass er wenigstens hätte anrufen können. Caroline sorgte sich um ihn. Zum Teufel, er hatte von einem bestimmten Zeitpunkt an aber auch an nichts mehr gedacht. Dieser Zeitpunkt musste gekommen sein, als Henry, ein Clubmitglied, das durch Spielautomaten zu seinem Reichtum gekommen war, seine Überraschung herausrückte. Die Überraschung war in Form einer glutäugigen arabischen Bauchtänzerin erschienen, die Henry engagiert hatte. Punkt Mitternacht, zu Henrys Geburtstag, hatte er sich dieses Geschenk selbst gemacht und es seinen Freunden in froher Laune vorgestellt. Und die Araberin hatte einige Proben ihres Könnens geliefert. Donald Ritchner musste sich gestehen, dass er schon lange nicht mehr einen solch heiteren Tag verlebt hatte.

Und diese delikate Darbietung hatte sich Donald Ritchner natürlich nicht entgehen lassen wollen.

Um halb zwei war er aufgebrochen. Zu diesem Zeitpunkt war keiner mehr im Club in der Lage gewesen, seinen eigenen Wagen nach Hause zu steuern, und da Donald Ritchner auch einige Gläser über den Durst getrunken hatte, ließ er seinen Wagen stehen und nahm ein Taxi.

Er glaubte ein leises Geräusch im Haus zu hören, doch er achtete nicht sonderlich darauf. Er überlegte gerade, was daran schuld gewesen war, dass er Caroline sein verspätetes Eintreffen nicht telefonisch mitgeteilt hatte. Dieses elende Vergessen! Fing es schon wieder an? Mit einer fahrigen Bewegung fuhr er über seine schweißnasse Stirn.

Erst vor zehn Tagen hatte er ein privates Kurheim verlassen, in dem er sechs Wochen lang wegen seiner krankhaften Gedächtnisschwäche behandelt worden war. Auch jetzt befand er sich noch in Behandlung eines Psychiaters.

Donald Ritchner lehnte sekundenlang am Türpfosten, dann ging er in das stille, dunkle Haus.

Der Bungalow war einstöckig. Er war kostspielig eingerichtet, etwas zu protzig vielleicht. Mancher Ziergegenstand, manches Bild war zu viel an den Wänden. Schon in der geräumigen, blau tapezierten Diele stand ein kostbarer handgeschnitzter Schrank aus dem Spanien des 16. Jahrhunderts. In die quadratischen Türfüllungen waren Reiter- und Kampfszenen eingeschnitzt und mit starken Farben bemalt.

Donald Ritchner hängte den Mantel an den Garderobenhaken, der aus dem Stoßzahn eines Elefanten gearbeitet worden war.

Dann stieg der Millionär mit unsicheren Schritten die mit einem dicken Perser belegten Treppenstufen zum ersten Stock hinauf.

Er hatte sich nicht getäuscht. Im Salon brannte noch Licht. Die Tür war nur angelehnt, und der sanfte, orangefarbene Schein einer kostbaren Stehlampe fiel heraus auf den breiten Flur.

»Caroline?« Donald Ritchner näherte sich dem Türspalt und streckte vorsichtig seinen Kopf in den Salon.

»Caroline?«

Die Sessel waren leer, ebenso die Couch. Eine kleine Seidendecke aus China war über dem Mosaiktisch verrutscht, und Donald Ritchners Blick ging unwillkürlich zum Ende dieser Tischdecke. Sein Herz verkrampfte sich, als er die Gestalt im grünen Morgenmantel auf dem Teppich liegen sah.

»Caroline!« Er merkte nicht, dass er den Namen seiner Frau förmlich herausschrie. Hastig stürzte er in den Salon. Was war los mit ihr? War sie ohnmächtig?

Seine Frau lag auf der Seite. Er drehte sie vorsichtig auf den Rücken. Sie atmete nicht, er fühlte keinen Puls mehr.

Caroline war tot.

Er wusste nicht, wie lange er sich schon über den Leichnam seiner Frau beugte. War es eine Minute, waren es zehn?

Dann erhob er sich, um die Polizei zu benachrichtigen. War seine Frau ermordet worden? Es gab keine Anzeichen einer äußeren Verletzung, keine Schusswunde, keine Stichverletzung. Gift? Unwillkürlich saugten sich seine Blicke an dem kleinen Fruchtsaftfläschchen und dem Glas fest, die auf dem Tisch neben einem Sessel standen.

Wie aus weiter Ferne wurde sein Bewusstsein erhellt und sagte ihm, dass hier etwas nicht stimmte, doch er vermochte nicht zu erklären, was es war. Zu stark war der Eindruck des eben Erlebten, seine Gedanken ließen sich nicht ordnen und fanden keinen Halt. Wie Blätter im Frühlingswind wirbelten sie durcheinander.

Was war es nur, das ihn an dem Fruchtsaftfläschchen störte?

Donald Ritchner stürmte die Treppen hinunter. Sein Rausch war verflogen. Er rief zuerst den Arzt an, dann die Polizei.

»Bitte, kommen Sie sofort!« sagte er aufgebracht und nannte die Straße und Hausnummer, obwohl das gar nicht nötig gewesen wäre. Pickens war nicht groß, und die Millionäre, die hier in der Nähe des Big Black River ihre Bungalows und Ferienhäuser stehen hatten, waren im Ort bekannt. »Ich fürchte, es ist ein Mord geschehen.«

Er legte den Telefonhörer wie ein Zentnergewicht aus den Händen, und es fiel ihm auf, dass er sich nicht mehr daran erinnern konnte, was er eben vor wenigen Augenblicken in das Telefon gesagt hatte. Sein Gedächtnis ließ ihn im Stich!

Nervös hastete er die Treppen hinauf. Sein Herz pochte, und er hörte das Blut in seinen Schläfen rauschen. Bleich und niedergeschlagen kehrte er in den Salon seiner Frau zurück. Er konnte das Geschehen noch immer nicht fassen. Da fühlte er, wie das kalte Grauen seinen Nacken emporkroch. Das Zimmer war leer, die Leiche seiner Frau war verschwunden!

1. Kapitel

Larry Brent ging die schmale Straße hinab. Am Ende lag seine Pension, die auf den romantischen Namen Singing River getauft war. Der Eingang war durch zwei hellerleuchtete, wassergrüne Glassäulen geschmückt.

Es war zwei Uhr nachts. Larry hatte sich in der Nähe des Millionärsclubs aufgehalten. X-RAY-1 hatte ihn beauftragt, die Gesellschaft der Millionäre zu suchen und über bestimmte Personen etwas in Erfahrung zu bringen. Die PSA bearbeitete eine mysteriöse Angelegenheit, die ihr von den lokalen Polizeidienststellen übergeben worden war. Die Dinge aber waren zu undurchsichtig, als dass ein schnelles Vorankommen gewährleistet war. Larry brauchte dringend weitere Daten, damit die Computer der PSA in New York Auswertungen vornehmen konnten. Aus dem Bericht, den er kurz vor seiner Abreise aus New York von X-RAY-1 bekommen hatte, war zu entnehmen gewesen, dass eine Reihe von Betrügereien und Morden in unmittelbarem Zusammenhang mit der gehobenen Gesellschaftsschicht in Pickens im Staate Mississippi stand.

Als Angehöriger der PSA hatte Larry Brent sämtliche Sondervollmachten. Er trug die Deckbezeichnung X-RAY-3, die zum Ausdruck brachte, dass er über einen besonders hohen Intelligenzgrad verfügte. Unter den ersten zwanzig X-RAY-Agenten zu sein, bedeutete bereits, eine Sonderstellung einzunehmen. Die Prüfungen und Tests waren so gestaffelt, dass es praktisch niemals mehr als insgesamt zwanzig X-RAY-Agenten geben konnte. Ein X-RAY-Agent mit der Deckbezeichnung Nr. 21 hätte den scharfen Auswahlbestimmungen des geheimnisvollen Leiters der PSA, X-RAY-1, nicht mehr genügt.

Kurz nach seiner Ankunft in Pickens hatte Larry Brent schon den Kontakt mit einem Privatdetektiv aufgenommen, einem gewissen George Hunter. Larry hatte sich ihm als Versicherungsagent ausgewiesen, nachdem er herausgefunden hatte, dass der Detektiv Verbindung zu Mrs. Boddingham, einer reichen Millionärswitwe, besaß. Larry Brent wollte nun erst mal abwarten, inwieweit George Hunter ihm nützlich sein konnte, ob sein Kontakt zu Mrs. Boddingham etwas an den Tag brachte, was mit den Dingen, die er geheim hier in Pickens untersuchte, in Zusammenhang zu bringen war. Doch das konnten wiederum nur die Computer im Hauptquartier der Psychoanalytischen Spezialabteilung, kurz PSA, für die er arbeitete, entscheiden.

Die PSA wurde stets dann tätig, wenn sich Dinge ereigneten, die mit den herkömmlichen Methoden nicht zu klären waren. In diesem Fall ging es darum, dass Tote erscheinen konnten, dass sie Nachrichten aus dem Totenreich übermittelten, dass diese Toten sogar mordeten, wenn es in ihr Programm passte!

Was war daran?

Aufgrund seiner Ausbildung wusste Larry Brent, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gab, die mit dem normalen Menschenverstand schwer zu erfassen waren, und er hatte selbst während seiner erst kurzen Zugehörigkeit zur PSA schon manches rätselhafte Abenteuer zu bestehen gehabt. Er war mit Dingen konfrontiert worden, die nur ein speziell geschulter Geist verkraften konnte.

Wie die Konstellation in dem augenblicklichen Fall lag, wusste er noch nicht. Nichts war klar. Doch das konnte sich schon bald ändern.

Larry blieb stehen und zündete sich eine Zigarette an. Weit und breit war keine Menschenseele. Der Wind war kühl, ein wenig frisch, doch es war nicht sehr kalt. Die Winter in diesen Breiten verliefen verhältnismäßig mild. Die Straße glänzte feucht von dem leichten Nieselregen, der vorhin gefallen war. Der Asphalt glänzte wie dunkelblauer Stahl, und das Licht der Straßenlaternen spiegelte sich darin.

Larry ging weiter. Seine Schritte hallten auf der einsamen Straße, und der Rauch seiner Zigarette wurde von dem kühlen Wind über sein Gesicht geweht.

Plötzlich hörte er Motorengeräusche.

Ein Wagen kam mit verhältnismäßig rascher Geschwindigkeit die Straße vor Larry Brent herab. Im ersten Augenblick schenkte der Agent diesem Wagen keine besondere Aufmerksamkeit. Doch dann störte ihn die Geschwindigkeit des grauen Buick. Der Fahrer war entweder wahnsinnig oder betrunken – oder beides! Er musste das Gas wegnehmen, wenn er unbeschadet in die Kurve gehen wollte! Zweihundert Meter hinter Larry machte die Straße einen scharfen Knick nach links. An der Straßenecke stand ein Textilwarengeschäft. Die hellgraue, der Straße zugewandte Hausseite trug in großen Lettern den Namen des Ladens.

Der Buick rauschte vorbei.

Larry wirbelte herum. Er sah die dunkle, schemenhafte Gestalt des Fahrers über das Lenkrad gebeugt, registrierte, dass dieser den Wagen nicht herumriss, und schon krachte der Buick frontal gegen die graue Hauswand des Textilwarengeschäftes.

Die Stille der Nacht wurde wie von einem Kanonenschlag unterbrochen.

Verputzbrocken wirbelten durch die Luft, Glassplitter prasselten auf den Asphalt, das Metall knirschte und krachte, als es sich spaltete. Das Dach des Buicks klaffte handbreit auseinander.

Flammen schossen empor, lange, gierige Feuerzungen leckten über die Motorhaube, und schwarze Rauchwolken stiegen in die Höhe.

Larry Brent hatte keine Sekunde gezögert. Schon als er erkannte, was sich ereignen würde, war er in weiten Sätzen über die Straße gehetzt. Er erreichte die Tür des Wagens, noch ehe die ersten Flammen aus der Motorhaube schlugen. Mit Gewalt versuchte Larry die verklemmte Tür aufzureißen. Es war hoffnungslos.

Er riss und zerrte wie ein Verzweifelter.

Der Buick füllte sich mit Rauch. Wie durch einen dichten Nebelvorhang erkannte Larry die dunkle Gestalt, die über dem Lenkrad zusammengesunken war und die kein Lebenszeichen mehr von sich gab.

Der Fahrer hatte wohl kaum den Frontalzusammenstoß überlebt, und doch konnte Larry nicht tatenlos mit ansehen, wie ein Mensch verbrannte. Vielleicht war er nur schwerverletzt, vielleicht konnten die Ärzte noch etwas für ihn tun – dieses Vielleicht war es, diese winzige Ungewissheit, die ihn zum Handeln zwang.

Mit seiner Körperkraft allein konnte er nichts erreichen. Ohne weitere wertvolle Sekunden zu verlieren, riss Larry seine Smith & Wesson Laserwaffe aus dem Holster. Der helle, nadelfeine Strahl schnitt die verklemmte, verschobene Tür förmlich heraus. Larry ging – so gut es ihm unter den gegebenen Umständen möglich gewesen war – sehr vorsichtig zu Werke, um dem Verletzten, falls er noch lebte, nicht zusätzlich zu schaden.

Die schlaffe Gestalt lag neben dem Steuerrad. Die Flammen züngelten gierig über die Motorhaube. Jeden Augenblick konnte es zu einer vernichtenden Explosion kommen.

Larry riss den Körper aus dem brennenden Buick. Das Gesicht des Fahrers war von zahlreichen Glasscherben zerschnitten, aus dem linken Augenwinkel lief ein dünner Blutfaden. Der Mann war tot! Hier konnte niemand mehr helfen. Larry Brent schleifte ihn über die Straße, weg von dem brennenden Wrack. Sein Atem stockte plötzlich. Wie aus endloser Ferne bekam er mit, dass die einsame Straße auf einmal sehr belebt war. Eine Sirene erklang. Vom anderen Ende der Fahrbahn näherten sich Polizei und Feuerwehr, die Menschen stürzten an die Fenster, einige eilten auf die Straße.

Aber Larry hatte kein Interesse mehr für das, was um ihn herum vorging. Der Tote in seinen Armen – er kannte ihn.

Es war George Hunter!

Donald Ritchner wankte. Der Schweiß brach ihm aus allen Poren, seine Augen flackerten, und über seine Lippen kam ein dumpfes Stöhnen, ohne dass ihm das bewusst wurde.

Dann riss er die Tür vollends auf, blickte sich gehetzt um, zog die Vorhänge zurück, um auch dahinter nachzusehen. Nichts! Das Zimmer war leer.

Narrte ihn ein Spuk? Ließ ihn sein Gedächtnis im Stich? War das der Anfang des Wahnsinns? Sah er schon Dinge, die es überhaupt nicht gegeben hatte?

Hatte er seine Frau gesehen? Hatte er sie nicht gesehen? Was war Wirklichkeit, was Halluzination? Ein ungeheures Dröhnen erfüllte seinen Kopf, und es fiel ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Er konnte sich an nichts mehr erinnern.

Die Telefongespräche! Er hatte noch vor wenigen Augenblicken ein oder zwei Telefongespräche geführt. Mit wem? Weshalb? Die Verwirrung wurde immer größer, und seine Überlegungen kehrten wieder zum Ausgangspunkt zurück: Er hatte seine Frau aufgefunden, tot, in ihrem Salon! Aber jetzt war sie verschwunden.

Donald Ritchner fühlte die Angst, die seine Kehle zuschnürte, und spürte, wie ihm die Luft knapp wurde. Er löste die Krawatte und öffnete mit fahrigen Fingern den oberen Kragenknopf. Vor seinen Augen flimmerte es.

Wie von Sinnen durchsuchte er das gesamte Stockwerk, riss sämtliche Türen auf, guckte unter jeden Tisch, in jeden Schrank und hinter jeden Vorhang. Er rief den Namen seiner Frau, und seine Stimme hallte durch das einsame, leere Haus. Es erfolgte keine Antwort. Er ging zum Telefon und wählte eine Nummer. Vielleicht war Caroline bei ihren Freundinnen?

Mrs. Boddingham meldete sich. »Oh, Mister Ritchner.« Ihre Stimme klang frisch und keineswegs so, als käme die Frau aus dem Bett. Donald Ritchner schöpfte sofort neue Hoffnung. Er fragte nach Caroline. »Nein, Mister Ritchner, sie ist nicht mehr hier. Sie ist gegen ein Uhr gegangen. Ist sie denn noch nicht zu Hause?« Mrs. Boddinghams Frage hallte wie ein fernes Echo in ihm nach. »Nein, ich ... ich weiß es noch nicht«, beeilte er sich zu sagen. »Ich bin gerade nach Hause gekommen. Da ich ihren Mantel nicht in der Garderobe sah, dachte ich, dass sie vielleicht ... aber es ist nicht ausgeschlossen, dass sie oben im Salon ist. Vielen Dank, Mrs. Boddingham!«

Er legte auf. Sein Gesicht war glühend heiß. Sekundenlang stand er reglos neben dem Telefontischchen. Das Klingeln riss ihn in die Wirklichkeit zurück.

Es war jemand vor dem Haus! Wer begehrte um diese Zeit noch Einlass? Da fielen ihm wieder seine beiden Telefongespräche ein, und alle Farbe wich aus seinem Gesicht.

Er hatte den Leichnam seiner Frau gefunden und den Arzt und die Polizei benachrichtigt!

Donald Ritchner ging schleppend zur Tür. Wie sollte er dem Sheriff die Situation erklären, wie dem Doktor?

Er öffnete. Dr. Pandell stand draußen. Er war Mitte Vierzig, ein Sportstyp, wie Frauen ihn mochten.

»Ich hoffe, es ist nichts Ernstes, Mister Ritchner!« meinte er nach der Begrüßung. »Sie waren am Telefon sehr erregt, Sie waren nicht in der Lage, mir genauere Einzelheiten mitzuteilen. Auch jetzt wirken Sie noch etwas zerfahren, Mister Ritchner.« Dr. Pandell musterte den Millionär mit einem merkwürdigen Blick.

»So, bin ich das?« entgegnete Donald Ritchner mit heiserer Stimme, und er war nicht in der Lage, den Blick des Arztes zu erwidern. »Tja, meine Frau, wie erkläre ich Ihnen das am besten?«

Er warf einen Blick hoch zur geschlossenen Salontür und wollte noch etwas sagen, doch seine Entscheidung wurde hinausgeschoben. Reifen quietschten vor dem Haus, eine Autotür wurde aufgerissen, hastige Schritte erklangen auf dem harten Boden. Dann ertönte abermals die Haustürklingel. Wenige Augenblicke später standen Sheriff Starton und zwei Sergeanten, die ihn begleiteten, in der geräumigen Diele.

Donald Ritchner wusste nicht, was er alles sagte, was er alles tat. Er schien erst dann wieder zu sich zu kommen, als der Sheriff oben im Salon stand, ein paar flüchtige Worte mit Dr. Pandell sprach, und als sich die beiden Begleiter des Sheriffs im Hause umsahen.

Sheriff Starton war ein behäbiger, etwas dicklicher Mann. Er trug eine randlose Brille, die er ständig zurechtrücken musste, weil sie von seiner Nase rutschte.

»Hier also hat Ihre Frau gelegen, Mister Ritchner?« Er umkreiste genau die Stelle, die ihm der Millionär angegeben hatte. »Aber jetzt ist sie nicht mehr da.« Er warf einen Blick über seine Brillengläser hinweg und musterte Donald Ritchner. Der Mann machte einen verzweifelten Eindruck, war erregt, nervös und zerfahren.

Und widersprach sich ständig.

Sheriff Starton wusste nicht, was er von der Sache halten sollte.

Donald Ritchner schloss die Augen. Er versuchte, innerlich zur Ruhe zu kommen. »Es ist genauso, wie ich Ihnen sagte, Sheriff«, kam es tonlos über seine Lippen. »Zum wievielten Male soll ich noch das gleiche wiederholen?«

Dr. Pandell ließ Donald Ritchner keine Sekunde aus den Augen.

Einer der Sergeanten kehrte zurück. Er wechselte ein paar Worte mit dem Sheriff. Dann wandte sich dieser an den Millionär.

»Es tut mir leid, Mister Ritchner! Wir können von Ihrer Frau keine Spur entdecken. Wir haben das ganze Haus durchsucht.« Er schob seine Brille in die Höhe. »Haben Sie sich bestimmt nicht getäuscht?« fragte der Sheriff, und seine Blicke begegneten sich mit denen von Dr. Pandell. »Sie haben etwas getrunken, Mister Ritchner, vielleicht nicht viel, aber Sie waren einmal krank und ...«

Donald Ritchners Gesicht lief blutrot an. Er hatte mit diesem Einwand gerechnet. »Ich bin nicht verrückt, Sheriff«, stieß er hervor. »Ich weiß, was ich gesehen habe!« Er blickte sich um, als suche er irgendwo in diesem Raum nach einer Bestätigung für seine Worte. Seine Augen verengten sich plötzlich. Natürlich – das Fruchtsaftfläschchen, das Glas ... Seine Blicke irrten durch das Zimmer. »Da, auf dem Tisch ...« Er war nicht in der Lage, weiterzusprechen.

»Was ist auf dem Tisch, Mister Ritchner?« Die Stimme von Sheriff Starton klang ruhig, und doch glaubte der Millionär einen leichten zynischen Unterton herauszuhören. »Ich kann nichts sehen.«

Donald Ritchner starrte auf den flachen Tisch. »Ich sehe es ebenfalls nicht mehr. Doch Fläschchen und Glas existierten, Sheriff! Ich habe beides dort stehen sehen. Jemand muss es weggenommen haben.«

Er sah die ungläubigen Gesichter und erkannte seine Situation.

Dr. Pandell meinte: »Sie brauchen Ruhe, Mister Ritchner! Es wird das Beste sein, wenn ich meinen Kollegen verständige. Sie sind verwirrt. Es wäre vielleicht besser für Sie gewesen, wenn Sie heute keinen Alkohol zu sich genommen hätten. Sie befanden sich bei Dr. Waller in psychiatrischer Behandlung, nicht wahr?«

Täuschte er sich oder war es Wirklichkeit? Betonte Dr. Pandell das Wort psychiatrischer nicht ein wenig zu stark?

Wie aus endloser Ferne vernahm Donald Ritchner die Worte von Sheriff Starton.

»Haben Sie denn schon einmal versucht, in Ihrem Bekanntenkreis nach Ihrer Frau zu fragen? Vielleicht ist sie bei einer Freundin, vielleicht wissen Sie das nicht mehr.«

Der Millionär lachte heiser. Jetzt fing es also schon wieder an. Die Behandlung, die ganze Kur umsonst? Er bemerkte nicht, wie scharf er auf die Bemerkung des Sheriffs reagierte.

»So, mit Mrs. Boddingham haben Sie schon gesprochen«, erklang die Stimme des Sheriffs wieder. »Dort hält sie sich nicht auf? Ah ... sie hätte dort sein können? Mittwochs treffen sich die Damen immer zum Bridge?«

Dr. Pandell öffnete seine Tasche. Donald Ritchner fühlte kaum den Einstich der Injektionsnadel. »Das wird Sie beruhigen, Mister Ritchner«, erklang die vertraute Stimme des Arztes. »Entspannen Sie sich, versuchen Sie, an nichts zu denken!«

Willig ließ sich Donald Ritchner zur Couch führen.

Sheriff Starton sah den Millionär über seine Brillengläser hinweg an. »Wir werden auf alle Fälle unser Möglichstes tun, das versichere ich Ihnen, Mister Ritchner. Zu Ihrer Beruhigung jedoch sei schon jetzt gesagt, dass meine Leute innerhalb Ihres Hauses keinerlei Anhaltspunkte finden konnten, die auf eine Gewalttat schließen lassen. Wir werden unsere Nachforschungen jedoch weiter ausdehnen.«

Er verließ mit den beiden Sergeanten den Bungalow. Der Arzt folgte gleich darauf. »Er ist etwas verwirrt«, meinte er. »Und wird jetzt einschlafen. Wenn er erwacht, wird er sich wahrscheinlich an die ganze Sache überhaupt nicht mehr erinnern. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob sich sein Zustand verschlimmert. Auf alle Fälle werde ich Dr. Waller benachrichtigen.«

»Unmittelbare Lebensgefahr besteht nicht?« fragte Sheriff Starton, während er in seinen Wagen stieg. »Ich meine, dass er vielleicht auf die Idee kommt und selbst Hand an sich legt?«

»Ausgeschlossen!« entgegnete Dr. Pandell. »Damit ist keineswegs zu rechnen. Er leidet unter einer einwandfreien Gedächtnisschwäche, es ist eine Lücke in seinem Bewusstsein. Ich bin sogar überzeugt davon, dass sich das wieder ganz von selbst geben wird. Mister Ritchner ist noch nicht sehr lange in Gesellschaft. Die zahlreichen Eindrücke, die heute Abend auf ihn eingestürmt sind, haben ihn verwirrt. Sicher hat Mrs. Ritchner ihm auch eine Mitteilung über ihre Abwesenheit hinterlassen, und es wird ihm einfallen, sobald er erwacht.«

Der Sheriff verabschiedete sich. Eine Minute später rauschte sein Wagen davon. Gleich darauf fuhr auch Dr. Pandell weg. Er warf noch einen letzten Blick auf den dunklen, verlassenen Bungalow des Millionärs. Das flache Gebäude war von der Straße etwas zurückgebaut. Ein parkähnlicher Garten schloss sich von der Seite her an. Von Ritchners Grundstück bis zum nächsten Nachbarn war es fast ein Kilometer. Die Reichen hier am Big Black River hatten ihre Grundstücke so eingerichtet, dass keiner dem anderen zu nahe kam. Dr. Pandells Wagen verschwand in der Dunkelheit. Der Arzt sah nicht, wie sich ein dunkler, unförmiger Schatten neben dem Haus hinter den Büschen bewegte – und wie ein Augenpaar dem davonrasenden Wagen nachsah.

In dem Augenblick, als Larry Brent seine Feststellung machte, wurde ihm klar, dass dies hier alles andere war als ein Unfall. George Hunter hatte eine heiße Spur gehabt. Larry erinnerte sich nur zu gut daran, dass der Privatdetektiv äußerst zuversichtlich gewesen war.

Wie hatte er doch noch gesagt, nachdem Larry mit ihm in Kontakt getreten war? »Ich kann mir denken, dass Sie als Versicherungsagent – oder wäre es nicht besser zu sagen: als Versicherungsdetektiv? – Interesse daran haben, einiges über die Boddinghams in Erfahrung zu bringen. Mir scheint, dass wir sogar hinter ein und derselben Sache her sind, wenn auch jeder aus einem anderen Grund. Sie, um eine Frage für Ihre Gesellschaft zu klären, ich aus privaten Gründen, um meinen Ruf als Detektiv aufzumöbeln.«

Noch jetzt hörte Larry Hunters Stimme in seinen Ohren. Sie hatten sich beide nur flüchtig gekannt, und doch hatte Larry schon in den ersten Minuten nach ihrer Bekanntschaft das Gefühl gehabt, es mit einem hervorragenden Detektiv zu tun zu haben. George Hunter konnte ihm wirklich nützlich sein, und er hatte etwas gewusst, er hatte es zumindest angedeutet. Larry bedauerte jetzt, zu diesem Zeitpunkt nicht neugierig gewesen zu sein. Doch es war unmöglich gewesen, mit der Tür ins Haus zu fallen.

Die Straße belebte sich mit Menschen, der Polizeiwagen fegte heran, ebenso die Feuerwehr. Schaumlöscher traten in Aktion, ehe es zu einer gefährlichen Explosion durch den brennenden Buick kam.

Larry sah einen Teil des Schlüsselbundes aus der Hosentasche des toten Detektivs ragen und erblickte die Brieftasche, die aus dem Jackett gerutscht war. Ausweispapiere waren zu sehen.

Merkwürdig! Irgendetwas stimmte hier nicht. Larry Brent fand, dass die ganze Situation einen groben Schnitzer enthielt. George Hunters Gegner hatten den Detektiv umbringen wollen. Für Larry gab es keinen Zweifel, dass dieser schon tot gewesen war, als man ihn hinter das Steuer des Buick klemmte.

Genau in dieser Sekunde geschah es!

Eine Stichflamme schoss aus George Hunters Kleidung. Sofort war der tote Körper in ein Meer züngelnder Flammen mit dunklem, quellendem Rauch eingehüllt.

Geistesgegenwärtig warf sich Larry herum. Instinktiv riss er den Schlüsselbund aus der Hosentasche des Toten und nahm ihn an sich, ohne dass dies jemand in diesen Sekunden der Aufregung bemerkte.

George Hunters Leiche brannte lichterloh. Als die umstehenden Feuerwehrleute endlich begriffen, was eigentlich geschah, und die Löschgeräte einsetzten, hatten die mörderischen Flammen ihr Vernichtungswerk fast vollendet.

Der verkohlte Leichnam lag unter einem weißen Schaumberg begraben.

Larry kam auf die Beine. Während seine Gedanken das Ungeheuerliche zu begreifen versuchten, gab er einem Polizeibeamten bereits einen ersten Zeugenbericht und erklärte, dass er den Toten identifiziert habe. Er wies sich aus als Versicherungsagent. Immer wieder gingen seine Blicke zu dem Schaumberg, unter dem der Tote lag. Die Leiche war präpariert gewesen, doch der Zündmechanismus musste durch irgendeinen Defekt nicht rechtzeitig funktioniert haben. George Hunters Leiche hatte sicher mitsamt dem Auto verbrennen sollen!

Die Polizei löste die Menge der Neugierigen langsam auf. Ein Leichenwagen kam, und die Aufräumungsarbeiten begannen, nachdem man George Hunter – vielmehr das, was von ihm übriggeblieben war – abtransportiert hatte.

Eine knappe Stunde später wiesen nur noch die Öl- und Brandflecken auf dem Boden und die zerschundene Wand des Textilgeschäftes auf das Drama hin, das sich hier abgespielt hatte. Ein paar Neugierige standen noch an den Haustüren und besprachen das Unglück, aber einer nach dem anderen zog sich in das warme Haus und das Bett zurück.

Larry Brent hatte der Polizei seine derzeitige Anschrift im Singing River gegeben, falls irgendwelche Rückfragen notwendig sein sollten. Die Polizei wusste nur, dass ein Versicherungsagent namens Larry Brent dort ein Zimmer mittlerer Preisklasse bewohnte.

Dass derselbe Versicherungsagent noch in derselben Nacht die Wohnung des toten George Hunter aufsuchte, das allerdings ahnte die Polizei in Pickens nicht!

Der PSA-Agent wusste, dass er noch vor der Polizei da sein musste.

Das Haus war zweistöckig und hatte einen spitzen Giebel. Hunter hatte darin nur eine Dachkammer bewohnt. Soweit Larry unterrichtet war, hatte der Detektiv diese Kammer erst vor einem halben Jahr bezogen. Davor lebte er in Jackson.

Es war alles ruhig. Im Haus brannte kein Licht, alle schliefen. Larry öffnete mit dem Schlüssel die Haustür, leise und bedächtig, jedes unnötige Geräusch vermeidend. Er lauschte in das Dunkel. Die Treppen zeichneten sich schemenhaft in der Finsternis vor ihm ab. X-RAY-3 drückte vorsichtig die Tür ins Schloss und stieg dann die Treppenstufen hoch. Die Dielen unter seinen Schritten knarrten, und Larry Brent blieb mehr als einmal stehen, um sich zu vergewissern, dass noch alles im Haus still war. Wenn man auf sein Eindringen aufmerksam wurde und die Polizei rief, würde die Situation recht unangenehm für ihn werden.

Alles würde gefährdet sein, sobald man erst einmal wusste, dass er als PSA-Agent fungierte. Nur im geheimen konnte er sein Ziel erreichen, deshalb durften selbst offizielle Stellen in Pickens nicht ahnen, wer sich hinter dem Namen Larry Brent wirklich verbarg.

Niemand bemerkte sein Eindringen. Ungesehen erreichte er die Dachkammer. Leise steckte Larry den Schlüssel ins Schloss, der ihm passend erschien. Er wollte ihn herumdrehen, aber es ging nicht, die Tür war nicht abgeschlossen.

Zwei Sekunden lang setzte Larrys Herzschlag aus. War bereits jemand hier gewesen? Kam er zu spät? Plötzlich zuckte er zusammen. War da nicht ein Geräusch hinter der Tür?

Nein, er hatte sich getäuscht.

Er drückte die Klinke herunter und spähte in das Dunkel der Dachkammer. Er musste die Tür weiter öffnen, um den Raum besser überblicken zu können.

Und dann ging alles blitzschnell. Larry Brent sah die dunkle Gestalt. Sie stand vor dem Schreibtisch hinter der Tür. In der einen Hand hielt der Fremde eine daumengroße Taschenlampe. Der feine Strahl ermöglichte es ihm, das Notwendigste auf dem Schreibtisch zu erkennen.

Ein Dielenbrett unter Larrys Füßen knarrte. Wie von einer Tarantel gestochen, wirbelte der Fremde herum. Bei der heftigen Bewegung wischte er Papiere von George Hunters Schreibtisch.

Larry kam nicht mehr dazu, seine Smith & Wesson Laserwaffe aus dem Holster zu ziehen. Er kam nicht einmal mehr dazu, überhaupt eine Abwehrbewegung zu machen.

Ein Alptraum rollte vor seinen Augen ab.

Die dunkle Gestalt vor ihm schien plötzlich wie durch ein inneres Licht zu leuchten.

Die Knochen wurden sichtbar, die Schädeldecke – die mahlenden Kiefer.

Ein Skelett stand vor Larry Brent!

Die Knochenhand schoss blitzschnell nach vorn. X-RAY-3 fühlte den spitzen Widerstand auf seiner Brust. Seine Muskeln und Sehnen zogen sich schmerzhaft zusammen. Er wurde wie von der Faust eines Giganten zur Seite geschleudert und landete auf der schwachen Bettstatt.

Krachend zersplitterte das morsche Holz. Das Geräusch hallte durch das Haus wie ein Donnerschlag.

Und dann war der Teufel los.

Dr. Pandell hatte sich getäuscht. Sein Beruhigungsmittel verfehlte die Wirkung. Donald Ritchners aufgepeitschter Körper sprach nicht darauf an. Der Millionär wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere. Zusammenhanglose Worte sprudelten über seine Lippen. Donald Ritchner befand sich in einer Art Halbschlaf. Dann siegte sein Bewusstsein über das Medikament, das in seinem Blut schwamm.

Stöhnend richtete er sich auf. Sie hatten eine Wandleuchte brennen lassen, und er sah, dass er sich im Salon seiner Frau befand.

Wie war das vorhin gewesen? Sheriff Starton hatte zu ihm gesprochen, und Dr. Pandell musste auch dagewesen sein. Nur bruchstückweise fügten sich die Erinnerungsfetzen aneinander, formten jedoch kein vollständiges Bild.

Benommen erhob er sich, torkelte wie ein Betrunkener durch den Raum und musste sich an Tisch und Sessel abstützen. Der Boden unter seinen Füßen wogte wie die Wellen eines Ozeans. Minutenlang irrte Donald Ritchner durch sein eigenes Haus, ohne zu wissen, was er eigentlich anfangen sollte.

Caroline! Wie ein Blitz zuckte es plötzlich in seinem Bewusstsein. Und für einen Augenblick setzte seine Erinnerung voll ein. Caroline war verschwunden – kurz nachdem er sie tot aufgefunden hatte. So war es doch gewesen. Und Sheriff Starton hatte ihm keinen Glauben geschenkt. Es war nicht anders zu erwarten gewesen.

Die krankhafte Gedächtnisschwäche, unter der er gelitten hatte, war den Leuten hier im Ort bekannt.

Doch alles lief noch einmal wie ein Film vor ihm ab. Er konnte sich an jedes Detail erinnern. Da war nichts von einer Gedächtnisschwäche zu erkennen, im Gegenteil: kristallklar schälte sich alles hervor, sobald er sich die Mühe machte und intensiv nachdachte. Die Aufregung hatte ihn verwirrt. Dann war das bisherige Ermittlungsergebnis von Sheriff Starton hinzugekommen, das seine Beobachtungen und Behauptungen widerlegte.

Irgendetwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu. Man trieb ein teuflisches Spiel mit ihm! Er kam einfach von dem Gedanken nicht los, dass seine Frau wirklich tot war. Es war ein unbestimmtes, bohrendes Gefühl, das wie ein Zentnergewicht auf ihm lastete.

Zum dritten Mal kehrte er in den Salon seiner Gattin zurück. Sein Blick fiel auf den flachen Tisch. Und da sah er es wieder: Das Fruchtsaftfläschchen und das Glas!

Im selben Augenblick schienen sich seine Muskeln und Sehnen wie unter einem schweren inneren Krampf zusammenzuziehen.

Als Sheriff Starton da war, war der Tisch leer gewesen!

Oder täuschte er sich? Ließ seine Erinnerung ihn wieder einmal im Stich? Nein, diesmal war es nicht die Erinnerung. Er wusste sogar noch die Bemerkung, die der Sheriff diesbezüglich gemacht hatte. »Ein Fruchtsaftfläschchen und ein Glas auf dem Tisch? Ich kann nichts sehen, Mister Ritchner.«

Der Schweiß glänzte auf seiner Stirn! Seine Hände zitterten! Er griff nach dem Saftfläschchen, drehte es wie einen hochexplosiven Gegenstand zwischen den Fingern und starrte mit fiebrig glänzenden Augen darauf.

Plötzlich erkannte er, was ihn von Anfang an an diesem Fläschchen gestört hatte, gleich nachdem er seine Frau gefunden hatte. Es konnte eigentlich gar nicht hier im Salon seiner Frau sein! Es hatte Grapefruitsaft enthalten. Grapefruitsaft! Er war der einzige in diesem Haus, der Grapefruitsaft trank! Seine Frau trank nur Gemüsesaft.

Unwillkürlich roch er an dem Fläschchen, konnte aber nichts Verdächtiges feststellen. Misstrauen stieg in ihm auf. War das Fläschchen eigentlich für ihn gedacht gewesen? Er erschrak, als dieser Gedanke in ihm auftauchte. Er setzte voraus, dass es damit etwas auf sich haben musste. Was eigentlich gab ihm die Gewissheit zu einem solchen Schluss? Angst und Furcht packten ihn wieder. War das Fläschchen vielleicht durch ihn selbst hierhergekommen?

War er vor der Zeit schon einmal zu Hause gewesen?

Er wusste nicht mehr, was er denken sollte. Ratlosigkeit breitete sich in ihm aus, und Angst, immer wieder diese entsetzliche Angst, dass vielleicht irgendetwas geschehen sein könnte, woran er die Schuld hatte. Schuld, die sich früher oder später herausstellen musste.

Hatte er selbst die Leiche versteckt und das Fruchtsaftfläschchen verborgen?

Er wusste später nicht mehr zu sagen, wie er eigentlich dazu gekommen war, den Schreibsekretär seiner Frau zu öffnen.

Es war ein antikes Stück mit kostbaren Intarsienarbeiten. Er stand an der Wand neben dem Fenster. Donald Ritchner wusste, wo der Schlüssel aufbewahrt wurde, in einem flachen Geheimfach unter der Klapptür.

Er schloss den Sekretär auf. Fein geordnet lagen Briefe, Fotos und Papiere in den Fächern. Auf der Schreibplatte lag ein angefangener Brief an eine Freundin Carolines. Der Brief trug das gestrige Datum.

Donald Ritchner kontrollierte ein Fach nach dem anderen. Er erhoffte sich durch irgendein Schriftstück oder durch sonst etwas einen Hinweis, der ihm weiterhalf. Er fühlte sich wie ein Detektiv, der eine Fährte verfolgte.

Caroline führte eine Art Tagebuch, das war ihm bekannt. Doch welche Gedanken sie zu Papier brachte, darum hatte er sich niemals zuvor gekümmert.

Er sah Briefe durch und betrachtete Fotografien.

Plötzlich stieß er auf das ledereingebundene Tagebuch. Es lag unter einem Stoß unbeschriebenem Papier. Er blätterte es flüchtig durch. Die letzte Eintragung stammte vom 25. Januar. Das war der gestrige Tag gewesen.

»Heute Abend wieder in der Ruine. Ich hoffe, mit Sandra zusammenzutreffen.«

Donald Ritchner wurde bleich. Am 25. in der Ruine? In welcher Ruine, und wieso ausgerechnet am 25.? Das war doch der Tag, an dem sie zum Bridgespiel bei Mrs. Boddingham weilte? Hastig blätterte er ein paar Seiten zurück.

»12. Januar. – Der Meister und das Medium haben drei Tote zurückgeholt. Sandra war dabei, doch zu einem Sprechkontakt kam es nicht. Vielleicht bei der nächsten Séance. Der Meister ist äußerst zuversichtlich.«

Donald Ritchner saß vor dem Sekretär wie aus Stein gemeißelt.

Er brauchte erst einige Minuten, um mit den Tatsachen fertigzuwerden. Dann vergewisserte er sich. Die Mittwoch-Eintragungen überwogen. Und mittwochs – niemals ein Wort vom Bridgespiel bei Mrs. Boddhingham!

Seine Frau war bei spiritistischen Sitzungen anwesend gewesen, bei Séancen! Sie behauptete, Kontakt zu Toten gehabt zu haben, Botschaften empfangen zu haben. Sogar zwei Begegnungen mit Sandra waren vermerkt! Sandra war die vor sechs Jahren verstorbene Schwester seiner Frau. Von Sandra hatte Caroline ein nicht unbedeutendes Aktienvermögen geerbt. Und mit Sandra hatte Caroline gesprochen? Die Welt stand Kopf. Donald Ritchner verstand gar nichts mehr. Er blätterte mechanisch in dem Tagebuch weiter. Die Zeilen schienen vor seinen Augen zu tanzen.

Seine Frau hatte ihn belogen. Bis zu diesem Augenblick hatte er nicht gewusst, dass sie einer mysteriösen Gemeinschaft angehörte.

Die Ruine wurde in den Tagebuchaufzeichnungen immer wieder erwähnt, ohne dass sie näher bezeichnet wurde. Doch das war auch nicht nötig. Donald Ritchner glaubte zu wissen, was damit gemeint war. Es gab hier im Umkreis von einigen hundert Kilometern nur eine Ruine.

Es war eine alte deutsche Burg, die sich vor einigen Jahren ein spleeniger Millionär von Europa nach Amerika kommen ließ. Stein für Stein wurde in Germany abgetragen, nummeriert und katalogisiert und auf ein Schiff verfrachtet. Und Stein für Stein wurde diese alte Burg, die Ruine, wie sie allgemein bezeichnet wurde, hier am Big Black River wieder aufgebaut.

Für amerikanische Touristen war diese Burg eine Attraktion, und der Millionär ließ die erste Zeit sein Anwesen geöffnet, und jeder konnte für bare Münze durch die Burg streifen und sich vorstellen, wie die Europäer im Mittelalter gelebt hatten. Dann aber schloss der Millionär – wie hieß er doch noch? – die Burg für den Publikumsverkehr.

Donald Ritchner dachte nach. Jameson hieß der Besitzer, ein alter, reicher Eigenbrötler, der sein Vermögen schließlich bei gewagten Spekulationen aufs Spiel setzte – und verlor. Niemand wusste, was aus ihm geworden war.

Donald Ritchner klappte das Tagebuch zu. War diese Ruine damit gemeint? Wurden in ihr die Séancen veranstaltet?

Seine Neugierde war geweckt.

Mit beinahe hypnotischer Gewalt ergriff sie immer stärker von ihm Besitz.

Was war dort wirklich vorgefallen? Warum hatte seine Frau niemals mit ihm über diese Dinge gesprochen, was hatte sie dazu veranlasst zu schweigen? Er hatte immer geglaubt, ihr volles Vertrauen zu haben.

Wie unter einer Zentnerlast erhob er sich. Er überlegte, dass es nicht das Schlechteste wäre, die geheimnisvolle Ruine des Millionärs Jameson einmal näher unter die Lupe zu nehmen – als er das Geräusch vernahm.

Es war beim Haus.

Er lauschte. Der Wind rauschte in den kahlen Zweigen der Bäume und Sträucher und pfiff um das Haus. Plötzlich war dieses Geräusch auch innerhalb des Hauses. Dumpf schlug irgendwo ein Fenster zu. Donald Ritchner riss die Tür auf und stürzte die Treppen hinab. Er schaltete sämtliche Lichter an. Die Tür zum Empfangszimmer war nur angelehnt. Sie wich unter einem Luftzug zurück und klappte wieder gegen den Türpfosten.

Mit angehaltenem Atem näherte sich Donald Ritchner der Tür und riss sie blitzschnell auf. Die Vorhänge gegenüber bewegten sich im Wind. Das Fenster war nicht ganz geschlossen gewesen, und der heftiger werdende Wind hatte die beiden Flügel aufgedrückt. Donald Ritchner knipste das Licht an und blickte sich vorsichtshalber um, als befürchte er, es könne doch jemand in der Nähe sein.

Ungewissheit, Angst und Niedergeschlagenheit breiteten sich wieder stärker in ihm aus. Er hatte auf einmal ständig das Gefühl, dass unsichtbare Augen jede seiner Bewegungen verfolgten und genau registrierten.

Hektisch zog er sich aus dem Empfangszimmer zurück und vergaß, den Lichtschalter umzudrehen, näherte sich der Treppe – und da geschah es: Sämtliche Lichter erloschen!

Die Dunkelheit hüllte ihn wie ein schwerer schwarzer Mantel ein. Und daraus ertönte die Stimme seiner Frau!

»Don, ich habe dich die ganze Zeit erwartet!«

Larry Brent war drei Sekunden benommen. Sämtliche Glieder schmerzten ihm, und er war nicht fähig, seine Muskeln anzuspannen.

Er sah, wie die Skeletterscheinung auf die Zimmertür zuhuschte. Unten im Haus ging eine Tür. Licht wurde angeknipst. Eine Stimme rief nach oben: »Mister Hunter? Sind Sie das?«

Weiter unten ging eine andere Tür. Ein paar Leute im Haus waren aufgewacht.

Ein Schrei ertönte gellend durch das ganze Haus. Das Skelett raste die knarrenden Treppenstufen hinab. Mrs. Finch, eine ältliche Dame mit spitzer Nase und einem für ihr Alter etwas zu faltigen Gesicht, stand auf dem Treppenabsatz, bereit, nach oben zu gehen, um die Ursache der nächtlichen Ruhestörung zu ergründen.

Als das schimmernde Skelett vor ihr auftauchte, stand sie zunächst wie erstarrt. Sie fühlte den Luftzug vor ihrem Gesicht, den die mysteriöse Erscheinung verursachte, und dann schrie sie, als ob man sie in siedendes Öl tauche.

Wie ein aufgescheuchtes Huhn sprang sie auf die Seite, aber nicht mehr rechtzeitig genug. Die Knochenhand streckte sich nach ihr aus. Sie fühlte etwas wie einen Stromstoß durch ihren Körper rasen. Mit aufgerissenen Augen wurde sie herumgeschleudert und stürzte verkrampft über die Schwelle ihrer Wohnungstür.