Larry Brent Classic 005: Bluthände - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 005: Bluthände E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Der Fluch der blutenden Augen Ein Rummelplatz, in einer Geisterbahn. Ein Ort wo sich die Menschen freiwillig, auf ungefährliche Art eine Gänsehaut verpassen lassen. Auch Larry Brent sitzt in einem der Fahrzeuge, neben ihm eine junge wunderschöne Inderin. Gemeinsam fahren sie durch die künstlich geschaffene Horrorlandschaft, bis der Strom für einige Sekunden ausfällt. Die Frau neben ihm kippt langsam zur Seite, die Fahrt geht weiter, und gleich darauf stößt Larry durch einen schwarzen Vorhang wieder ins Tageslicht. Doch das Grauen bleibt. Das Gesicht der Inderin ist weiß wie Kalk, plötzlich trägt sie schwarze, wie Seide schimmernde Handschuhe, und sie atmet nicht mehr. Was ist passiert? Galt der Anschlag dem sympathischen PSA-Agenten? Und was haben die schwarzen Handschuhe für einen Sinn? Larry Brent gerät in ein tödliches Spiel um indische Götter und "blutende Augen". Die Bestie mit den Bluthänden Sie ist jung und hübsch, eine grazile Gestalt, wie er sie liebt. Seine Augen glühen, und sein angespanntes Gesicht verzerrt sich. Der Mann hinter dem Baumstamm hält den Atem an. Dann ist Brigitt Latour auf seiner Höhe - und die Bestie mit den Bluthänden springt sie an ... Viele Merkwürdigkeiten ergeben sich durch diesen Mord. Was hat es mit dem Verschwinden des PSA-Agent Mike Burtin alias X-RAY-10 auf sich? Ein Ruf aus der Vergangenheit des Maya-Volkes und ein Bild mit einer furchtbaren Darstellung führen Larry Brent auf die blutige Spur.

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DAN SHOCKERS LARRY BRENT

BAND 5

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

978-3-95719-805-1

Dan Shockers Larry Brent Band 5

BLUTHÄNDE

Mystery-Thriller

Der Fluch der blutenden Augen

von

Dan Shocker

Prolog

Das Skelett glühte giftgrün, so plötzlich, so nahe, dass Larry Brent und die junge Inderin, die den Platz mit ihm teilte, das Gefühl hatten, der Wagen der Geisterbahn müsse in den Knochenmann hineinfahren. Die langen Skeletthände stießen ruckartig auf die Gesichter der beiden Menschen zu. Da wich der Wagen plötzlich nach links aus und fuhr unter einem dunkelrot glühenden Tunneleingang hindurch. Eine riesige Spinne, deren große Augen unheilvoll glühten, war direkt über ihnen. Die Inderin schrie leise auf, als sie die klebrigen Fäden in ihrem Gesicht spürte.

Larry lachte. »Wenn man für den Schrecken noch bezahlen muss, dann ist das eine recht bittere Sache, nicht wahr?« Er gab keinen Zentimeter nach, als sie sich etwas mehr an ihn lehnte, fühlte den warmen, geschmeidigen Körper durch den seidigen Stoff des Saris.

Die Gestalt eines Schnitters war plötzlich vor ihnen. Larry erkannte, dass es eine raffinierte Projektion war. Die schlanke, hagere Gestalt reckte sich, hielt eine lange, rasiermesserscharfe Sense in der Hand, die im Schein eines unwirklichen Lichtes blinkte. Ein Windhauch streifte ihr Gesicht, als das mörderische Instrument um Haaresbreite über ihre Köpfe hinwegsauste.

Larry Brents hübsche Nachbarin duckte sich und zog den Kopf ein. Das dichte, blauschwarze Haar duftete angenehm nach einem exotischen Parfüm. Larry fiel es schwer, seinen Arm nicht um die Inderin zu legen. Die Nähe der Fremden faszinierte ihn, und er musste sich eingestehen, dass er einem so verführerischen Abenteuer nicht abgeneigt war. Es fiel ihm aber nicht schwer, ein Gespräch anzuknüpfen.

Doch in dieser Umgebung ließ sich sein Plan nicht so verwirklichen, wie er es gern gesehen hätte, zu viele Dinge lenkten ab, tauchten jäh auf und steuerten die Sinne.

Der bizarre Eingang einer Höhle öffnete sich vor ihnen. Aus verborgenen Lautsprechern wurde das Tosen eines ungeheuren Sturms hereingespielt. Windmaschinen wehten lange Lianen durch die Luft. Unheimliche Gestalten flankierten ihren Weg durch die düstere, gespenstische Höhle, die mit abstrus hässlichen und wirklich erschreckenden Lebewesen gefüllt war.

Ein Dämon stand vor ihnen, wuchs aus dem Boden empor und lachte grölend, dass es schaurig durch die Finsternis hallte. Ein dunkles Etwas löste sich von der Decke. Eine riesige Fledermaus. Das glühende Gesicht wuchs vor ihren Augen. Wie hypnotisiert starrten die Inderin und der Amerikaner in die großen, aufleuchtenden Pupillen, die in keinem Verhältnis zu dem spitzen Kopf standen, der sich in einen Totenschädel verwandelte.

Die Ereignisse überstürzten sich. Die Inderin schrie auf und schlug erschrocken die Hände vors Gesicht. Auch Larry war von der plötzlichen Verwandlung des Fledermauskopfes überrascht worden. Er zuckte zusammen, doch dann lächelte er. Die Inhaber der Geisterbahn hatten sich etwas einfallen lassen. Sie boten ihren Gästen etwas für das Geld. Was wollte man mehr?

Die Inderin atmete tief und schwer auf. Es klang wie ein Seufzer.

»Vielleicht sollten wir gegen den Schrecken etwas tun, Miss«, meinte X-RAY-3 leise. »Ich schlage vor, dass wir es am besten mit einem Sherry für Sie und einem Whisky für mich versuchen. Was meinen Sie?«

Sie wandte ihm das Gesicht zu. Die weißen Zähne blitzten in ihrem dunkelhäutigen Gesicht.

Sie wollte etwas sagen. Aber dazu kam es nicht mehr.

Die roten und grünen Lichterketten, die matt aufglühten, erloschen jäh. Der Wagen stand! Die elektrische Versorgung fiel aus, und die Dinge liefen so schnell ab, dass sich Larry später nur noch unvollkommen an die Reihenfolge erinnern konnte.

Der dunkelgrüne Zeltvorhang neben ihm teilte sich. Er fühlte einen Luftzug, und eine aus Draht und Kabeln bestehende Puppe, die an einem dünnen Faden hing, der mit zahlreichen hellen Glöckchen verbunden war, geriet in schaukelnde Bewegung. Eine schwarze Hand schoss aus der Finsternis auf ihn zu. Die Puppe, das wurde ihm erst jetzt bewusst, war von dem Faden abgelöst und wurde auf ihn zugeworfen. Instinktiv duckte sich Larry. Der Gegenstand verfehlte ihn um Haaresbreite. Aber er traf die Inderin.

In dem Augenblick ruckte der Wagen wieder an, dumpf begannen die Lichter zu glühen, eine Dämonengestalt mit langen, spitzen Fingernägeln klapperte links neben ihnen.

»Sie geizen nicht mit Einfällen, ich ...« X-RAY-3 verstummte. Die Inderin legte sich sanft auf seinen Schoß, er fühlte ihren Kopf, das lange, weiche, duftende Haar.

Für den Bruchteil eines Augenblicks war es dem Amerikaner, als vernehme er im Rauschen der Lautsprecher und im Gewirr der Stimmen, die aus dem Dunkel an sein Ohr klangen, ein einziges, leises, aber intensiv geflüstertes Wort.

»Hira?«

Dann war der Wagen an dem grünen Zeltvorhang vorüber und wurde auf der kurvenreichen Schiene rasch auf die andere Seite hinübergetragen. Der Agent der Psychoanalytischen Spezialabteilung fühlte den reglosen Körper neben sich.

Er drückte die Inderin langsam in die Höhe, indem er sie an den Schultern packte.

»Ist Ihnen schlecht, Miss?« fragte er leise. Da sah er im grellen Aufleuchten eines langen Blitzes, der über einer künstlichen, gespenstischen Landschaft den düsteren Himmel spaltete, die Hände der Inderin. Sie steckten in schwarzen, seidig schimmernden Handschuhen, die sie zuvor nicht getragen hatte!

Ihr Gesicht wirkte blass und eingefallen, die Backenknochen traten hervor. Die Augen waren weit aufgerissen, der Mund halb geöffnet.

Sie atmete nicht mehr!

Sie war tot.

Zeit, sich lange Gedanken über das Wie und Warum der Dinge zu machen, hatte Larry Brent nicht.

Es war etwas Ungeheuerliches geschehen. Larry erinnerte sich an den Zwischenfall, als die Puppe von dunkler Hand in den Wagen geschleudert worden war.

Die Inderin war von ihr getroffen worden, daran gab es keinen Zweifel. Doch er sah die Puppe nicht mehr, sie musste wieder aus dem Wagen gefallen sein. Die schwarzen Seidenhandschuhe der Fremden irritierten ihn. Sie musste sie unbemerkt im Dunkeln angezogen haben. Der Wagen stieß mit den breiten Gummipuffern die Ausgangstür auf und rollte aus. Larry beugte sich nach vorn und sagte dem Besitzer durch das halbgeöffnete Kassenfenster von der Seite her: »Benachrichtigen Sie bitte sofort die Polizei! Es ist ein Unfall geschehen!«

Das Gesicht des Amerikaners war hart und entschlossen. Er war Zeuge eines Mordes – und doch konnte er praktisch nichts aussagen.

Bis zum Eintreffen der Polizei vergingen knapp zehn Minuten. Inspektor Hopkins von Scotland Yard leitete die Untersuchung. Er traf mit fünf Beamten ein.

Die Geisterbahn war auf Larry Brents Anordnung außer Betrieb gesetzt worden.

Nachdem sich Inspektor Hopkins ein erstes Bild von dem Fall gemacht hatte, ging er an der Seite eines Beamten und Larry Brents durch die hellerleuchtete Geisterbahn.

Der Besitzer folgte zwei Schritte hinter ihnen. Er war bleich und verstört. Mister Turing bedauerte offensichtlich den unerklärlichen Vorfall, noch mehr aber den Verlust, der ihm durch das Ereignis entstand. »Wir Schausteller haben es nicht leicht, Inspektor«, sagte er einmal, nachdem er sich endlich aufgerafft hatte, seinen Unwillen kundzutun. »Ich möchte Sie doch bitten, die Dinge voranzutreiben. Wir müssen das Geschäft nützen, wenn es sich bietet. Nicht jeden Tag läuft es so gut.«

Inspektor Hopkins nickte. Er warf dem Schausteller einen kurzen Blick zu. »Ich habe Verständnis für Ihre Lage, Mister Turing. Aber bitte, wir haben es auch nicht leicht. Haben Sie auch Verständnis dafür! Wir sind gekommen, um einen Unfall zu klären.«

Larry Brent merkte, wie merkwürdig Hopkins das Wort Unfall betonte. Die erste Untersuchung des Polizeiarztes hatte ergeben, dass die Inderin offensichtlich an einem Herzschlag gestorben war. Eine äußere Verletzung, sei es ein Einschuss oder eine Stichwunde, war jedenfalls nirgends festzustellen.

Das hatte Larry Brents Stand, der von Inspektor Hopkins ziemlich hart bearbeitet worden war, ein wenig erleichtert. Der erste Verdacht, der ohne Zweifel auf ihn gefallen war, war beiseite geräumt.

In knappen, präzisen Worten hatte X-RAY-3 die Situation geschildert. Inspektor Hopkins wollte wissen, was wirklich dran war. Die mysteriöse Puppe, die sich von der Schnur gelöst haben sollte, interessierte ihn.

Sie kamen durch die Höhle mit den zahllosen unheimlichen Gestalten. Jetzt aber, im Schein aller Lampen, wirkte sie eher lächerlich als gruselerregend. Die grellen Gestalten, die hauptsächlich in den Farben giftgrün, violett und rot bepinselt waren, hingen an scherenartigen Armen, die automatisch vorschnellten, sobald der Wagen eine bestimmte Stelle auf den Schienen überfuhr.

Die meisten Spukgestalten wurden auf diese Weise zu gespenstischem Leben erweckt.

Jetzt aber erkannte man das Kulissenhafte, das Unechte. Dennoch blieb eine Spur von Unbehagen in den zahlreichen verwinkelten Nischen und Ecken, die durch Blechwände oder Zeltbahnen voneinander getrennt waren.

Es war ein Labyrinth eigenartiger, besonderer Prägung.

Larry Brent, von dem bis zur Stunde niemand wusste, welcher Geheimabteilung er wirklich angehörte, führte den Inspektor von Scotland Yard an die Stelle, wo die Puppe fehlte.

Eine lange, mit zahllosen Glöckchen behangene Schnur war quer über die Schiene geführt. Links und rechts davon ragten aus der dünnen Blechwand zwei bewegliche Federn, die die Glöckchenschnur in heftige Bewegung versetzten, sobald die Seitenwände des durchrollenden Wagens mit den Federn in Berührung kamen.

Mr. Turing wischte sich über die schweißbedeckte Stirn. »Hier kann keine Puppe fehlen«, sagte er mit einer theatralischen Geste. »Ich habe gleich gesagt, dass an der Stelle, die der Herr beschrieben hat, überhaupt keine Puppen aufgestellt sind. Die letzte Figur ist etwa fünf Meter weiter rechts. Und die ist lebensgroß. Sie glüht auf, bevor der Wagen den Ausgang passiert.«

Inspektor Hopkins und der ihn begleitende Beamte sahen sich aufmerksam um. Auch Larry suchte den Boden und die Ecken ab. Er ging bis dicht an die zusammengeknüpfte Zeltwand heran, und im gleichen Augenblick erinnerte er sich des dunklen Arms, der durch diesen Schlitz geragt hatte.

Neugierig warf er einen Blick durch die schmale Öffnung, sah keine zwei Schritte von sich entfernt die dunkle, mit Blech beschlagene Holzwand, die die Geisterbahn an dieser Stelle begrenzte.

Nachdenklich wandte er sich ab, als er Inspektor Hopkins' Stimme hinter sich vernahm.

»Tja, mein lieber Mister Brent, da scheinen wir uns doch getäuscht zu haben, nicht wahr?«

»Ich könnte schwören, dass eine Puppe ...«

Inspektor Hopkins winkte ab. Er war offensichtlich erleichtert, dass die Angelegenheit so unkompliziert verlief. »Vergessen Sie die Umgebung nicht, lieber Mister Brent! In einer Geisterbahn glaubt man, manches gesehen zu haben, was nachher gar nicht da war. Am besten, Sie machen in zehn oder zwanzig Minuten noch einmal eine Fahrt, und Sie werden erkennen, dass Sie manches bemerken, was Sie vorhin gar nicht gesehen zu haben glaubten. Die Eindrücke sind so vielseitig, dass man sie nicht alle auf einmal mitbekommt.«

»Das schließe ich nicht aus, Inspektor«, erwiderte X-RAY-3.

Inspektor Hopkins fuhr mit seiner Zunge über die trockenen, spröden Lippen. »Ich wusste schon von vornherein, dass wir hier nichts Außergewöhnliches feststellen würden. Doch ich wollte jeder Eventualität zuvorkommen. Es hätte ja wirklich ein Unfall sein können, nicht wahr?«

Das nicht wahr schien eine Lieblingsbemerkung von ihm zu sein.

»Unter diesen Umständen hätten wir auch Mr. Turings Geisterbahn schließen müssen. Doch dieses Verdachtsmoment ist beseitigt. Wir wissen nichts über den Gesundheitszustand der Dame, die sich zu Ihnen in den Wagen setzte, Mister Brent. Aber nachdem ich alles überdenken kann, sieht es doch ganz so aus, als ob sie wirklich einem Herzschlag zum Opfer gefallen sei. Vielleicht hat sie sich etwas zu viel zugemutet, vielleicht ist sie wirklich erschrocken, wer weiß?«

Sie gingen den Weg durch das Labyrinth der unheimlichen Gestalten, der angedeuteten Höhlen und Tunnelgänge zurück. Die kühle Nachtluft streifte ihre Gesichter. Draußen vor der Geisterbahn stauten sich die Menschenmassen. In Windeseile hatte es sich herumgesprochen, dass hier etwas passiert war. Über einen Funkwagen hatte der Assistent von Inspektor Hopkins einige Bobbys angefordert, die die Neugierigen zurückdrängten. Larry warf nur einen kurzen Blick auf die mit einem weißen Leintuch verhüllte Gestalt der toten Inderin.

Die Episode fand schnell ein Ende.

Zehn Bobbys trieben die Neugierigen zurück, als der Leichenwagen kam. Man bettete die Tote in einen einfachen schwarzen Sarg, den man schnell im Wagen verstaute. Knackend schlossen sich die Türen. Der schwarzgekleidete Fahrer schloss ab, nahm den Platz hinter dem Steuer ein und fuhr sofort los, nachdem sich einer der instruierten Begleiter von Inspektor Hopkins neben ihn gesetzt hatte.

Mr. Turing, der Besitzer der Geisterbahn, ein kleiner untersetzter Mann mit einer starken Stirnglatze, erhielt von Inspektor Hopkins die Erlaubnis, die Bahn wieder in Betrieb zu nehmen. Er atmete erleichtert auf und verschwand in dem kleinen Häuschen. Es fiel ihm schwer zu warten, bis der Leichenwagen abgefahren war. Es juckte ihn unter den Fingernägeln, jede Minute, die sich jetzt bis zweiundzwanzig Uhr noch bot, auszunutzen.

Er schaltete das Tonbandgerät ein. Beat erklang in voller Lautstärke und ließ die Membrane der Lautsprecher erbeben. Die Lichterketten sprangen an, Mr. Turings ölige Stimme forderte die Herumstehenden auf, an die Kasse zu treten und Karten zu kaufen.

Larry Brent und Inspektor Hopkins standen ein wenig abseits.

»Das Leben geht weiter, schnell sogar, wie Sie sehen, Mister Brent.« Hopkins bot dem PSA-Agenten eine Zigarette an.

X-RAY-3 nickte abwesend. Die Neugierigen trotteten davon, die Grüppchen lösten sich auf.

»Und vielleicht ist das gut so, nicht wahr?«, fuhr Inspektor Hopkins zwischen zwei Zügen fort. »Wohin kämen wir, wenn jede Belastung an uns hängenbliebe?« Larry wusste diese Worte recht gut zu deuten. Der Inspektor war ein Mann, der sich im Lauf der Zeit eine dicke Haut und eine eigene Lebensphilosophie zurechtgelegt hatte. Ob diese Philosophie jedoch uneingeschränkt anwendbar war, wagte er zu bezweifeln.

»Vielleicht sind Sie nicht überzeugt davon, dass die Dinge so liegen, wie Sie wirklich sind, Mister Brent«, sagte Inspektor Hopkins beim Davongehen. »Doch im ersten Augenblick sieht alles anders aus, als man denkt. Ich an Ihrer Stelle wäre sogar froh darum, dass die Angelegenheit sich – vorerst jedenfalls – so entwickelt hat. Zu Ihrem Vorteil doch, nicht wahr? Oder wäre es Ihnen lieber gewesen, wenn die Spur eines Verdachtes übriggeblieben wäre? Ein Verdacht, den ich nur auf Sie zurückführen hätte können, Mister Brent, bedenken Sie das immer! Sie waren schließlich zuletzt mit der Toten zusammen, nicht wahr?« Mit diesen Worten tastete Inspektor Hopkins die Innentasche seines Jacketts ab, nickte zufrieden und wandte sich ab. »Ihre Anschrift vom Hotel habe ich. Falls noch irgendetwas sein sollte – was ich nicht glaube – weiß ich, wohin ich mich wenden muss. Lassen Sie sich den Abend nicht vermiesen, Mister Brent! Genießen Sie die Tage, die Sie noch in England haben! Ich wünsche Ihnen einen guten Aufenthalt in unserem Land!«

Der Inspektor tippte an die Hutkrempe, winkte seinen beiden Begleitern, die noch zurückgeblieben waren, und stapfte über den mit Schotter überdeckten, ein wenig matschigen Boden davon.

Larry stand nachdenklich in der Nähe der Geisterbahn. Der Betrieb lief wieder, als wäre nichts geschehen.

Mr. Turing saß hinter dem kleinen Fenster seiner Kasse. Seine fetten Finger nahmen das Geld entgegen und gaben Karten aus, während er die Musikpausen immer wieder dazu benutzte, die gespenstische Gestaltung seiner Geisterbahn lautstark zu verkünden. Er schreckte jetzt nicht einmal davor zurück, Leute mit schwachem Herz davor zu warnen, eine Fahrt mit seiner Bahn zu wagen.

»Sie müssen Nerven wie Drahtseile haben, um das zu verdauen, was Ihnen Turings Geisterbahn bietet, Herrschaften!« Und er schaltete einen Lautsprecher zur Innenübertragung um. Schreie des Erschreckens und des Vergnügens! »Kommen Sie, sehen Sie, staunen Sie. Für alleinreisende Damen ist Vorsicht geboten! Am besten ist es, Sie nehmen sich einen männlichen Begleiter mit!«

Er schlug Kapital aus dem ungewöhnlichen Vorfall vor einer halben Stunde. X-RAY-3 näherte sich der Kasse. Er war mit der Vorstellung des Inspektors nicht zufrieden. Hopkins sah die Dinge anders als er. Der Amerikaner hatte sich dem Scotland Yard-Beamten gegenüber als Tourist ausgegeben. So ahnte dieser nicht einmal, mit wem er wirklich gesprochen hatte. Wenn es für Larry brenzlig geworden wäre, hätte er sich anderer Kanäle bedienen müssen, um einer eventuellen Verhaftung vorzubeugen. Larry löste noch einmal eine Karte für die Geisterbahn. Ein Phänomen beschäftigte ihn.

Mr. Turing war so mit dem Kartenausgeben beschäftigt, dass er auf den einzelnen Fahrgast nicht achtete. Larry stieg in einen roten Wagen, der langsam heranratterte. Ein junger Bursche von knapp neunzehn Jahren teilte das Wägelchen mit ihm.

Die Fahrt ging los. Larry achtete mit aufmerksamen Augen auf die Dinge, die ihm geboten wurden, die ihn erschrecken und gruseln sollten. Er kam an der Stelle vorbei, wo die Glöckchen hingen. Ein schrilles und nerventötendes Gebimmel ging los, als die Seitenwände des Wagens die beiden Federn in Vibrationen versetzten.

Der Wagen rollte weiter, kam an der letzten, unheimlich aufglühenden Gestalt vorüber und stieß die Tür nach draußen auf.

Und da wusste er es!

Der Wagen war nicht stehengeblieben, wie das vorhin der Fall gewesen war!

Er nutzte die erstbeste Gelegenheit, um sich an Mr. Turing zu wenden.

Der Besitzer der Geisterbahn hörte sich das, was X-RAY-3 zu sagen hatte, nur flüchtig an. »Ja, vorhin. Wir hatten einen Stromausfall. Nein, es ist nicht üblich, dass die Wagen stehenbleiben. Der Stromausfall kam zustande, weil eine Sicherung herausgesprungen war. Aber der Schaden war gleich wieder behoben.«

Larry Brents rauchgraue Augen wurden eisig. »Das Seltsame daran war, dass es genau in dem Augenblick geschah, als die Inderin starb.«

Turing zuckte kaum merklich zusammen. Doch den geübten Augen des Agenten entging die Bewegung nicht. »Ah, Sie sind der Herr, der mit der Inderin ...«

»Richtig. Ich saß bei ihr im Wagen.«

Turing zuckte die Achseln. »Schicksal. Was will man dagegen machen? Der Stromausfall im Augenblick des Todes – ist Zufall. Im Übrigen, was wollen Sie eigentlich? Was geht Sie das Ganze an? Maßgebend ist für mich die Ansicht der Polizei. Und es sieht ganz so aus, dass die Frau nicht durch einen gewaltsamen Tod umkam.«

»Das sieht so aus, richtig«, bediente sich Larry Brent der Worte des Untersetzten. »Aber viele Dinge scheinen auf den ersten Blick anders zu sein als beim zweiten. Der beste Beweis ist Ihre eigene Geisterbahn, Mister Turing.«

»Was wollen Sie damit sagen?« Die Stimme des Schaustellers klang rau.

»Im Dunkeln sehen die Dinge anders aus als bei grellem Licht. Man sieht dann das Gestänge, die Mechanismen, die die Puppen und Schauergestalten steuern. Warum haben Sie eigentlich Inspektor Hopkins gegenüber den Stromausfall zur Todeszeit verschwiegen?« Larry hatte ursprünglich Tatzeit sagen wollen, aber er überlegte es sich im letzten Augenblick anders.

»Man hat mich nicht danach gefragt. Und ich hatte vorhin den Kopf so voll mit anderen Dingen, dass ich nicht mehr daran gedacht habe. Und nun gehen Sie! Ich muss meine Abrechnung fertig machen. Ich will schließen.«

Erst jetzt fiel X-RAY-3 auf, dass während der letzten Minuten nur noch vereinzelt Wagen in der Geisterbahn verschwunden waren. Links stauten sich jetzt die Wägelchen, eines hinter dem anderen. Ein schmuddelig gekleideter Hilfsarbeiter, unrasiert, mit ungepflegtem Haar, schob die Wagen ineinander.

Die letzten Fahrgäste verließen die Geisterbahn. Der Publikumsverkehr hatte nachgelassen. An manchen Ständen ging bereits das Licht aus.

»Gute Nacht, Mister Turing«, verabschiedete sich Larry Brent höflich von dem Engländer und erntete für seinen Gruß nur ein dumpfes, unwilliges Murren.

Das markante, scharfgeschnittene Gesicht des PSA-Agenten war wie aus Stein gemeißelt. Die klugen Augen blickten in eine unwirkliche Ferne. In dem Augenblick hätte einem unbemerkten Beobachter klar werden müssen, welche Energie und Ausdauer in diesem sportlichen Körper steckte.

Im Gesicht des Amerikaners regte sich nichts, als er durch die Budenstraßen ging und langsam dem Ausgang des Rummelplatzes zustrebte. Die letzten Musiktöne verklangen, die Lichter gingen aus, es wurde dunkel auf dem Platz, wo vor einer halben Stunde noch Jubel und Trubel herrschten.

In Gruppen, als Pärchen und einzeln entfernten sich die Menschen, suchten ihre Autos auf oder gingen zu Fuß. Die meisten wohnten in der Nähe. Larry Brent war der einzige, der praktisch im Zentrum Londons zu Hause war.

Er überquerte eine Straße. Ein Taxi ratterte hinter ihm heran. Eine alte, schwarze Kiste mit Speichenrädern und knatterndem Auspuff. Ein Wagen, der mindestens zwanzig Jahre alt war. In jedem anderen Land der Welt wäre ein solches Vehikel schon längst auf dem Schrotthaufen gelandet. Nicht so in London.

»Taxi, Sir?« Die Stimme des Chauffeurs klang dunkel. Er hatte das rechte Fenster halb heruntergekurbelt.

Larry nickte. »Sie kommen wie gerufen!« Seine Worte kamen ihm wenig später erst richtig in den Sinn. Und da war es schon fast zu spät.

1. Kapitel

Das Flugzeug rollte langsam auf die Startbahn.

Zeit: 22.39 Uhr. Ort: London Heathrow.

Die Maschine der Indian Airlines Corporation gewann rasch an Geschwindigkeit. Die vier Triebwerke röhrten auf, die Positionslichter unter dem Rumpf des Flugzeugs blinkten rhythmisch.

An Bord der Maschine, die zum Flug nach Delhi startete, befanden sich 86 Passagiere. Davon waren 51 Inder, die restlichen 35 Fluggäste setzten sich aus Angehörigen aller europäischen Nationen zusammen. Und von diesen waren wieder fünfzehn Engländer. Einer von ihnen hieß Oliver Sholtres. Ein junger Journalist, intelligent, mit dem Blick für das Wesentliche. Er hatte nur einen schwarzen Diplomatenkoffer dabei. Sein Abflug war sehr überraschend, um nicht zu sagen, überstürzt erfolgt, nachdem er eine Depesche erhalten hatte. Ein Telegramm von Shena. Der Inder schrieb an einem Werk über die Geschichte seines geheimnisvollen Landes. Oliver Sholtres und Shena hatten sich vor Jahren in England kennengelernt, als Shena einige Semester Journalistik und Sprachstudien in England belegt hatte.

Oliver Sholtres lehnte sich zurück. Die letzte Stunde hatte er gar nicht richtig gelebt. Erst jetzt begriff er, dass er im Flugzeug saß, dass ein Abenteuer seinen Anfang nahm, von dem er niemals geglaubt hatte, es könne Wirklichkeit werden.

Doch offensichtlich hatte er sich getäuscht. Der kurze Text, den Shena ihm telegraphiert hatte, sprach Bände.

»Ich habe den Beweis! Komme sofort! Shena.« Oliver hatte auf diesen Text gewartet, ohne jemals daran zu glauben, dass er eines Tages wirklich bei ihm eintreffen würde.

Wie aus weiter Ferne hörte er die Begrüßung der Stewardess über die Bordlautsprecher, die den Fluggästen eine gute Reise wünschte und einige Bemerkungen über die Flugroute machte. Dann kam der Hinweis, dass die Anschnallgurte wieder abgelegt werden könnten.

Die Maschine war in der Luft. Oliver Sholtres warf einen Blick durch das Fenster. Unter ihm die endlose Lichterkette, das dschungelartige Häusermeer von London.

Der Journalist schloss die Augen und atmete tief durch. Er musste zur Ruhe kommen. Erst jetzt wurde ihm die Hetzerei der letzten Stunde bewusst.

Ob sich die Reise lohnen würde?

Er hoffte, und er fürchtete es zugleich. Schließlich kannte er Shena gut genug, um zu wissen, dass sich der Inder niemals zu einer unüberlegten Handlung hinreißen lassen würde. Wenn er etwas wusste, dann war dieses Wissen gut fundiert.

Er hatte Beweise!

Aber es war nicht ungefährlich, sie zu verwerten.

Seine schmalen, energischen Lippen formten sich zu einem kaum merklichen Lächeln.

Was war heute schon ungefährlich? Die Berichterstatter in den Grenzgebieten von Israel und Jordanien, im Kongo – sie setzten täglich ihr Leben aufs Spiel. Auch seine Mission konnte ihm den Tod bringen. Rasch und unerwartet. Doch die Einmaligkeit des Abenteuers, das Gewissheit bringen konnte, war ihm das Risiko wert.

Er wollte sie selbst sehen, die Augen, die den Tod brachten. Die blutenden Augen, wie Shena sie bezeichnet hatte!

Die Straßen waren noch verhältnismäßig stark befahren. Doch dies war nicht allein der Grund, weshalb der Chauffeur einige Zeit brauchte, um in die City von London zu kommen.

Der Außenbezirk, in dem sich Larry Brent aufgehalten hatte, lag immerhin fast achtzehn Kilometer vom Zentrum entfernt.

Über die Commercial Road gelangten sie in das Zentrum.

Larry war in Gedanken versunken. Nur unbewusst bekam er mit, dass der Fahrer den Wagen nach links steuerte.

Als die Ausläufer des Dockviertels sichtbar wurden, merkte X-RAY-3 erst, was los war. Er schreckte aus seinen Überlegungen auf.

»Sie sind falsch, Mister. Sie hätten rechts abbiegen sollen. Das Ambassador-Hotel liegt am Woburn Place. Hatte ich das nicht gesagt?«

Larry war ein wenig benommen. War er etwa eingeschlafen? Nein, er war nur in Gedanken versunken gewesen. Er kam nicht los von den Dingen, die er abends erlebt hatte.

Der Fahrer hielt es nicht für notwendig, sich umzudrehen. Sein Fuß drückte das Gaspedal hinab, und der Wagen beschleunigte. Die lange, düstere Straße führte zur Themse. Larry war blitzartig hellwach.

»Halten Sie sofort an!« Er pochte gegen die Trennscheibe.

Der Chauffeur reagierte nicht. Wie ein Gehetzter jagte der Wagen über die Straße und überholte einen alten, dunklen Ford, der kurz darauf nach rechts in eine enge Seitenstraße abbog.

Es war offensichtlich, dass er so schnell wie möglich die Themse hinunter wollte, nachdem sein Fahrgast gemerkt hatte, dass die Fahrtroute nicht stimmte.

X-RAY-3 riss seine Smith & Wesson Laserwaffe aus der Halfter.

»Halten Sie sofort an!« befahl er. »Oder ich schieße!«

Der Chauffeur wandte nur kurz den Blick. Larry Brent sah das bleiche, schweißüberströmte Gesicht des Mannes, dessen Augen sich weiteten. Es schien ihn mehr als zu überraschen, dass der Fahrgast bewaffnet war.

»Sie werden es nicht wagen zu schießen«, stieß er hervor, während sein Fuß das Gaspedal ganz durchdrückte. Das alte Fahrzeug jagte mit halsbrecherischer Geschwindigkeit durch die nächtliche Straße. Kein Passant war zu sehen. Hinter den dunklen Fenstern der Häuser schliefen die Menschen, aus einer Kneipe am Ende der Straße ertönte das schrille Lachen einer Frau.

Larry Brent schluckte. Es war gefährlich, etwas zu unternehmen. Er brachte nicht nur das Leben des Fahrers in Gefahr – sondern auch sein eigenes.

Dennoch konnte er die Dinge nicht einfach treiben lassen.

Ein Gedanke erfüllte ihn schlagartig, als sein Blick auf die Türgriffe an den Seiten fiel. Doch genauso schnell, wie ihm der Einfall gekommen war, ließ er ihn wieder fallen. Das war reiner Selbstmord! Es war unmöglich, eine Tür aufzureißen und aus dem fahrenden Wagen zu springen. Die Geschwindigkeit war zu hoch. Er würde sich das Genick brechen.

Der Chauffeur lag halb über das Steuer gebeugt und holte alles aus dem Taxi heraus. Die Karosserie des Wagens klapperte, und die Reifen quietschten auf dem feuchten Kopfsteinpflaster, als die Straße einen scharfen Knick nach links machte. Der Fahrer nahm das Gas kaum weg.

Der kantige Wagen rollte sekundenlang nur auf den beiden äußeren Rädern, dann berührten auch die beiden andern Reifen den Boden.

Links breitete sich das dunkle, brackige Wasser der Themse aus. Larry erkannte aus den Augenwinkeln heraus die Umrisse eines alten Motorschiffes, das am Kai angelegt hatte.

Er begriff die Vorgänge nicht, aber sein Gefühl sagte ihm, dass sie mit den Geschehnissen auf dem Rummelplatz in Verbindung standen. Irgendetwas hatte man mit ihm vor.

Doch dazu durfte er es nicht kommen lassen. Der Fahrer hatte einen Auftrag, oder war zumindest selbst daran interessiert, ihn an einen bestimmten Ort zu bringen. Er musste diese Absicht vereiteln, um sich seine Bewegungsfreiheit zu erhalten.

»Ich habe Sie gewarnt«, stieß der PSA-Agent hervor. Die Waffe kam hoch, sie blinkte matt und bläulich in Larrys Hand. Im Rückspiegel sah der Chauffeur die Reaktion seines Fahrgastes, der nur durch die irrsinnige Geschwindigkeit des Taxis daran gehindert wurde, den Wagen zu verlassen.

»Sie werden es nicht wagen! Dann sind Sie auch dran!«

Die Stimme des Mannes klang rau, hart und doch spielte ein gewisser Zweifel mit – eine Spur von Angst. Larry Brents Lippen waren nur noch ein schmaler, harter Strich in seinem reglosen, maskenhaft starren Gesicht. Er wusste, was er riskierte.

Es wäre ihm in diesen Sekunden ein Leichtes gewesen, mit dem Strahl der Laserwaffe die metallene Halteklammer aufzuschweißen, die die beiden Trennscheiben zusammenhielt, und die nur von der Seite des Fahrers geöffnet werden konnten. Er hätte diesem dann in das Steuer greifen können, doch im Prinzip hätte das nichts an seiner jetzigen Situation geändert. Larry musste den Chauffeur dazu bringen, auf die Bremse zu treten oder zumindest das Gas wegzunehmen.

Er handelte, ohne noch eine einzige Sekunde zu zögern.

Sein rechter Zeigefinger krümmte sich um den kühlen Abzugshahn. Der nadelfeine Strahl verließ den Lauf, durchschlug lautlos die dünne Glasscheibe und traf genau die Stelle rechts unter dem Armaturenbrett. Der schmutzige Kokosläufer fing sofort Feuer. Knisternd sprangen Funken hoch, im Nu stand der ausgetrocknete Teppich in Flammen.

Die Dinge überstürzten sich.

Über die Lippen des Chauffeurs kam ein heiserer Aufschrei.

Die Bakelitverkleidung unter dem Armaturenbrett begann zu schmelzen, der Stoffbezug an der Tür fing Feuer. Die Rauchentwicklung setzte sofort so stark ein, dass der Fahrer heftig husten musste.

Er riss seinen Fuß vom Gaspedal. Angst und Entsetzen zeichneten seine Miene. Was für einen Fahrgast hatte er da aufgelesen? Sie hatten ihm nichts davon gesagt, dass er gefährlich werden könnte. Sein Auftrag sollte glatt und reibungslos vonstatten gehen!

Sein Fuß trat voll auf die Bremse. Der Wagen machte einen Satz nach vorn, die Reifen quietschten auf dem Pflaster. Da vorn links – der große, schwarze Schatten! Ein Lkw, der ihnen entgegenkam, wurde zu einem unüberwindlichen Berg, der sich vor ihnen auftürmte. Mit voller Wucht knallte das Taxi schräg gegen den Laster, wurde herumgerissen und über die andere Straßenseite geschleudert.

Larry Brent stieß mit dem Kopf in die linke hintere Ecke. Der Wagen überschlug sich. Larry sah, wie der brackige Wasserspiegel auf sie zukam, und er begriff noch, dass das Taxi über den Damm gefegt worden war. Rauch und Feuer hüllten die Kabine des Chauffeurs ein, wie durch einen Glutvorhang erkannte Larry schemenhaft die Umrisse der über dem abgeknickten Steuer zusammengebrochenen Gestalt.

Es gab einen ungeheuren Knall, als ob die Kühlerhaube des Wagens auseinanderfliegen würde. Das Auto klatschte ins Wasser. Eine riesige Fontäne spritzte in die Höhe. Es zischte und rauschte, dunkelblauer Qualm hüllte ihn ein und raubte ihm den Atem.

Wasser drang durch den Boden des Taxis.

Vor Larry Brents Augen drehte sich alles, und er fühlte, dass er einer Ohnmacht nahe war. Mit ungeheurer Willensanstrengung hielt er sich bei Bewusstsein und zwang sich zum Handeln. Röchelnd schöpfte er Atem, die restliche Luft, die noch vorhanden war, durchsetzte sich mehr und mehr mit Rauch. Der Feuerschein erlosch, das Wasser der Themse erstickte die Flammen, ehe sie auf den Benzintank übergreifen konnten.

Als ströme Blei durch seine Adern, kam Larrys Rechte nach vorn. Mühsam versuchte er sich nach oben zu ziehen. Es kostete ihn ungeheure Anstrengung, sich aufzurichten. Er spürte das Wasser, das seine Füße umspülte. Es floss rasch und unaufhaltsam in den Wagen und füllte ihn. Jetzt stand der Wasserspiegel schon bis an seine Knie. Es war kalt, aber Larry Brent spürte die Kälte kaum.

Er durfte jetzt nicht schlappmachen.

Die Flut gurgelte durch die Ritzen und Spalten, das Taxi sank in die Tiefe. Larry hob den Kopf. Er atmete Rauch ein und hustete so heftig, dass sich sein Körper verkrampfte.

Eine Sekunde wurde zur Ewigkeit.

Larry wusste später nicht mehr, wie er im Einzelnen reagiert hatte. Doch sein in zahllosen Gefahren geschulter Körper und Geist ergänzten sich in diesen entscheidenden Sekunden, ohne dass ihm das recht zu Bewusstsein kam.

Noch eine Handbreit Luft bis zur Decke, dicke, mit Rauch angefüllte Luft. Er atmete durch die Nase. Seine Augen tränten, und seine Brust spannte sich und brannte innerlich wie Feuer.

Mit zitternden Fingern drückte er den Griff der Tür herab und stieß mit den Schultern dagegen, um sie nach außen zu drücken. Es ging nicht! Siedendheiß lief es über seinen Rücken. Er fühlte, wie ihm der Schweiß ausbrach und sein Kreislauf zusammenzubrechen drohte.

Unter Aufbietung aller Kräfte versuchte er es ein zweites Mal. Der Druckausgleich war doch vorhanden, es musste gehen! War die Tür durch den Zusammenstoß verklemmt?

Nein, sie gab nach!

Larry Brent wusste nicht mehr, wie er sich abstieß und an die Oberfläche tauchte.

Die kühle Luft, die mit einem Mal sein Gesicht streifte, war wie ein Geschenk des Himmels.

Mechanisch bewegte er Arme und Beine und atmete tief durch. Die frische Luft füllte seine Lungen und trieb die letzten Reste der Rauch- und Rußpartikel heraus. Sein Blick klärte sich, seine Bewegungen wurden kraftvoller und erfolgten gezielter.

Er schwamm ans Ufer. Ein Scheinwerfer flammte auf. Larry sah dunkeluniformierte Gestalten den Damm herabkommen. Oben auf der Straße standen mehrere Autos. Lichter blinkten, eine Sirene erklang. Feuerwehrmänner ließen ein Schlauchboot zu Wasser. Hände griffen nach dem Amerikaner und zogen ihn an Land. Ausgepumpt und schweratmend taumelte Larry einem Sergeanten in die Arme.

Jemand klopfte ihm auf die Schulter. Der PSA-Agent hörte die Befehle, die über ein Megaphon gegeben wurden. Man wollte den Chauffeur des Taxis noch an die Oberfläche bringen. Zeit dazu war noch genügend, man konnte es schaffen. Die Polizei, der Unfallwagen und die Rettungsmannschaften waren schnell zur Stelle gewesen. Ein Hausbewohner hatte den Unfall bemerkt und sofort Alarm gegeben. Der Lkw-Fahrer, so bekam Larry nebenbei mit, während man ihm behilflich war, den Damm hochzukommen, wollte Unfallflucht begehen. Die Polizei stellte ihn und nahm eine Blutprobe von ihm. Der Fahrer des Lkw war angetrunken gewesen.

Larry Brent war nur leicht verwundet, außer einigen Prellungen und Hautabschürfungen war keine ernstliche Verletzung festzustellen. Er war erschöpft, und der Arzt verlangte von dem Amerikaner, sich während der nächsten Tage zu schonen.

Eine erste Vernehmung erfolgte. Larry sagte das, was notwendig war, kein Wort zu viel. Er machte sich Vorwürfe, dass er das Risiko falsch eingeschätzt hatte. Er erwähnte nichts vom Einsatz der Laserwaffe und der offenbaren Absicht des Taxichauffeurs, ihn zu entführen. Es zeichneten sich Dinge ab, die die Londoner Polizeibehörden und Scotland Yard unnötig belastet hätten. Es ging ganz offensichtlich nur um Larry Brents Person. Warum stellte man ihm nach? Was wollte man von ihm? Vielleicht hätte er es erfahren, wenn es ihm gelungen wäre, den Chauffeur zum Reden zu bringen.

X-RAY-3 wischte sich über die Stirn. Das Auftauchen des betrunkenen Lkw-Fahrers hatte eine andere Situation geschaffen. Jetzt, wo er den Überblick hatte, wurde Larry klar, dass er das Risiko richtig eingeschätzt hatte. Weder ihm noch dem Chauffeur wäre ein Haar gekrümmt worden. Er hätte den Fahrer zum Bremsen gezwungen, und dann wären die Dinge so gelaufen, wie sie ihm vorgeschwebt hatten. Er hinterließ seine Hotelanschrift. Ein Sergeant machte ihm den Vorschlag, ihn zum Hotel zu bringen. Larry nahm das Angebot dankbar an.

Als er den Polizeiwagen verließ, schaffte man gerade den schlaffen Körper des Chauffeurs an das Ufer.

»Lebt er?« wollte Larry wissen. Einer der Feuerwehrmänner nickte. »Es sieht nicht gut aus, aber vielleicht kriegen sie ihn durch.« X-RAY-3 sah, dass das rechte Bein des Fahrers aufgerissen und blutüberströmt war. Larry schloss für eine Sekunde die Augen. Es war ein Wunder, dass er so glimpflich davongekommen war. Wie aus weiter Ferne hörte er die Stimme des freundlichen Sergeanten: »Auch der Taxichauffeur dürfte an dem Unfall nicht ganz unschuldig sein, Mister Brent. Er hatte ein ziemliches Tempo drauf.«

Larry nickte. Das hatte er schon zu Protokoll gegeben. Der Lkw-Fahrer hatte dies ebenfalls sofort zu seiner Verteidigung vorgebracht.

Der Sergeant musterte den sympathischen Amerikaner von der Seite und drehte den Zündschlüssel im Schloss herum. Der Wagen sprang sofort an.

»Na ja, meine Kollegen werden sich mit dem Problem noch herumzuschlagen haben. Vielleicht stoßen sie dabei auch auf eine kleine Überraschung.«

Larry wurde sofort hellhörig. »Überraschung?«

»Dass der Wagen zum Beispiel gestohlen war. Der Bursche hat zuvor irgendeinen Coup gestartet, nahm Sie dann aber trotzdem auf, um eine Art Alibi zu haben oder um den Anschein zu erwecken, dass er wirklich der Besitzer des Wagens sei und das Taxi besetzt. Die machen doch heute die tollsten Dinger.«

Er wollte den Wagen aus der Parklücke herausfahren, als Larry die Unruhe unter den Polizeibeamten am Straßenrand und am Unfallwagen bemerkte. Im gleichen Augenblick sprangen auch schon zwei Beamte quer über die Straße und winkten dem Sergeanten, der Larry zum Ambassador-Hotel bringen wollte, gestenreich zu.

Der Sergeant kurbelte das Fenster herunter und hielt an. »Was ist?«

»Ich glaube, du musst dableiben, Pit. Wir brauchen deinen Fahrgast noch einmal.« Larry Brents Augenlider schlossen sich zu einem schmalen Spalt.

»Ich denke, es war alles okay? Was ist jetzt noch?«

Einer der Polizisten kam auf seine Seite. »Wussten Sie, dass ein weiterer Fahrgast im Taxi war, Sir?«

»Nein.« Larrys Stimme hätte nicht überraschter klingen können.

Mit einer Geste winkte der Beamte den Amerikaner aus dem Auto. Der Engländer ließ den PSA-Agenten keine Sekunde aus den Augen.

»Durch den Aufprall im Wasser ist der Kofferraumdeckel des Taxis aufgesprungen. Die Rettungsmannschaft hat den Leichnam entdeckt, der im Kofferraum lag!«

Man führte Larry zu der Leiche.

»Sie haben den Toten nicht gesehen?« Das war eine seltsame Frage, und der Tonfall, in dem sie vorgetragen wurde, war es ebenfalls. Befremdet blickte X-RAY-3 auf. »Ich sehe ihn eben zum ersten Mal.«

Der Sergeant, der vorhin das Protokoll aufgenommen hatte, blickte ernst drein. »Wir haben es plötzlich nicht nur mehr mit einem Unfall zu tun, sondern offensichtlich spielt auch ein Mord in der Angelegenheit eine Rolle!«

Der Sergeant machte eine kleine Pause, als müsse er seine Worte erst wirken lassen. »Wir haben festgestellt, dass dem Toten mit einem harten Gegenstand auf den Kopf geschlagen wurde. Er starb daran. Der Name des Mannes ist Henry Peters. Er ist der eigentliche Fahrer des Taxis. Die Papiere weisen das eindeutig aus.«

Larry atmete tief durch. Die Dinge wurden immer komplizierter und mysteriöser. »Wer aber ist der Mann, der mich gefahren hat?« wollte er wissen. Seine Stimme klang fest und sicher.

Der Sergeant zuckte die Achseln. »Das wissen wir noch nicht. Wir werden es aber herausbekommen. Es kam uns – zunächst einmal – nur darauf an, von Ihnen zu wissen, ob Sie Mister Peters zuvor schon gesehen haben. Aber offenbar ist dies nicht der Fall.«

»Ich wurde von dem Mann angesprochen, den Sie hinter dem Steuer des Taxis fanden, Sergeant.« Larry Brent wiederholte noch einmal die Geschichte, die er vorhin schon zu Protokoll gegeben hatte. Es begann mit seinem Besuch auf dem Rummelplatz, mit dem Taxifahrer, der ihn ansprach, mit der Fahrt zur Themse. »Wie ich bereits sagte, habe ich das erst ziemlich spät bemerkt. Ich bin fremd hier in London, das Straßenbild ist mir noch nicht so vertraut. Erst recht am Abend fällt es schwer, sich zu orientieren. Als ich merkte, wo ich in etwa war, bat ich darum, aussteigen zu dürfen. Doch der Fahrer beschleunigte statt dessen die Fahrt. Dann kam es zu dem Unfall. Der Wagen fing sofort Feuer.«

Wie schwer ihm diese Lüge fiel! Aber hier war sie notwendig. An dem Bild der Dinge hätte sich im Grunde genommen nichts geändert, wenn er erwähnt hätte, dass das Feuer durch die Laserwaffe entstanden war. Er hätte die Dinge nur noch verwirrt und eine Kette von Nachfragen und Nachforschungen in Gang gesetzt, die für einen PSA-Agenten alles andere als gut waren. Die Stärke eines Agenten der Psychoanalytischen Spezialabteilung lag darin, dass nur eine verschwindend kleine, führende Gruppe von Menschen auf der Welt überhaupt wusste, dass es diese geheime Institution gab.

Der Sergeant, der ihn hatte zurückrufen lassen, musterte ihn eingehend. »Die Dinge muss man in einem anderen Licht betrachten, Mister Brent.«

X-RAY-3 verstand, was das bedeutete. »Man muss nicht, Sergeant«, antwortete er mit fester Stimme. »Es hat sich nichts daran geändert. Sie wollen mich mit dem Mord in Verbindung bringen?«

»Nichts spricht dagegen!«

»Nichts spricht dafür, Sergeant! Man kann mir nichts nachweisen. Ich war Fahrgast, und ich wurde von dem Mann aufgenommen, der den Wagen gefahren hat.«

Der Sergeant nickte. »Das sagen Sie! Und ich glaube Ihnen auch. Sie sind fremd in unserem Land. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Sie der Bursche in eine Sache verwickeln wollte, um den Verdacht auf Sie zu lenken.«

Larry war über diesen plötzlichen Gedankenumschwung überrascht.

»Wir werden mehr wissen, sobald wir die Identität des Fahrers festgestellt haben. Noch eins, Mister Brent: Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir Ihnen während der nächsten Tage einige Fragen stellen müssen. Sie werden verstehen, dass ich den Fall weitermelden muss. Scotland Yard wird sich der Angelegenheit annehmen. Verlassen Sie bitte während der nächsten Tage nicht die Stadt!«

»In Ordnung, Sergeant. Ich werde mich zur Verfügung halten.«

Damit war das Gespräch beendet. Der Sergeant wandte sich ab, und der mit Pit angesprochene Beamte, der Larry vorhin zum Hotel hatte fahren wollen, ging mit dem Amerikaner zu dem bereitstehenden Wagen. Diesmal begleitete sie ein weiterer Beamter, der sich auf den Rücksitz neben Larry setzte. Offenbar war eine stillschweigende Übereinkunft getroffen worden, zur Vorsicht einen zweiten Mann im Wagen zu haben.

Als das Auto abfuhr, sah Larry den Sergeant, der ihn zurückgerufen hatte, am Funkwagen stehen.

Er konnte nicht hören, was er sagte, aber er konnte sich denken, dass eine erste Berichterstattung an Scotland Yard erfolgte. Was er nicht wusste, war, dass der Sergeant den Vorschlag machte, den amerikanischen Touristen namens Larry Brent nach Möglichkeit sofort unter polizeiliche Bewachung zu stellen.

»Vielleicht zeichnen sich Dinge ab, die wir im Augenblick noch nicht übersehen können«, sagte er in das Mikrophon, und er sah dabei aus den Augenwinkeln dem davonfahrenden Wagen nach. »Es ist nicht auszuschließen, dass er Hand in Hand mit dem Burschen gearbeitet hat. Denn wenn man es genau besieht, mutet seine Geschichte etwas merkwürdig an. Er will erst ziemlich spät bemerkt haben, dass der Fahrer gar nicht die Richtung zum Ambassador-Hotel eingeschlagen hat. Das kann man glauben, man kann es aber auch lassen. Andererseits konnte ich ihm nichts nachweisen, ich hatte keinen Grund, ihn festzuhalten.«

»Wir werden uns um die Angelegenheit kümmern«, sagte die Stimme am anderen Ende der Strippe.

Sie brachten ihn zum Hotel, und Larry bedankte sich. Der Sergeant, der den Wagen gesteuert hatte, begleitete ihn noch bis an den Hoteleingang.