Larry Brent Classic 022: Homunkula - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 022: Homunkula E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Homunkula, Luzifers Tochter In der Dunkelheit geht alles blitzschnell. Eine Lederpeitsche zischt durch die Luft und schlingt sich mehrmals um den Hals des Opfers, das röchelnd zusammenbricht. Der unheimliche Mörder stürzt sich auf sein Opfer. Wenige Minuten später betritt er durch eine geheime Verbindungstür den Nachbarraum. Eine zarte, weiße Hand streckt sich dem Ankommenden entgegen. Der Mann reicht der Schönen einen großen Becher, den er mitgebracht hat und der mit einer Flüssigkeit gefüllt ist. "Trink", sagt der Ankömmling. "Er war neugierig. Ich habe ihm aufgelauert. Das ist das Blut des Schnüfflers - Larry Brent." Eine Frau, so schön, daß sie jeden Mann betört, ein Hotel mit vielen Geheimnissen und das verschwinden von Larry Brent alarmiert seine Kollegen von der PSA. Todeskuß vom Höllenfürst Doreen Shelter sieht die wundervoll leuchtenden Blumen in einer Vase auf dem Tisch ihres Hotelzimmers. Sie spürt einen leichten Druck auf der Stirn, der sich rasch verstärkt, und nimmt an, daß es von den Blumen kommt. Man soll nachts im Schlafzimmer keine Blumen haben. So will sie die Vase auf den Flur bringen. Doreen Shelter erhebt sich wie in Trance, aber statt die Blumenvase wegzutragen, beugt sie sich über die Blüten, um ihren betörenden Duft einzuatmen. Die Blüten berühren ihr Gesicht, und sie empfängt den Todeskuß des Satans. Farbenrausch und Duft werden für sie zu einem Feuersturm, der direkt aus der Hölle in ihren Körper weht. Doreen Shelter spürt ihn schon nicht mehr.

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DAN SHOCKERS LARRY BRENT

BAND 22

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

978-3-95719-822-8

Dan Shockers Larry Brent Band 22

HOMUNKULA

Mystery-Thriller

Homunkula, Luzifers Tochter

von

Dan Shocker

Prolog

Er verhielt in der Bewegung. Seine Augen versuchten die Dunkelheit zu durchdringen. Er wusste, dass dies das Zimmer war, in dem sie sich aufzuhalten pflegte. Durch die zugezogenen Gardinen fiel der schwache Schein der Sterne und tauchte das Innere des Salons in anheimelnde Dämmerung. Für den Bruchteil eines Augenblicks unterließ der Mann die Aufmerksamkeit, zu spät erkannte er dann die Gefahr ...

Etwas zischte durch die Luft, und eine Lederpeitsche schlang sich mehrmals um seinen Hals. Mit gurgelndem Laut stürzte der Getroffene zu Boden und versuchte, im Fall noch den Riemen vom Hals zu lösen. Zitternd tastete er nach seiner Gurgel, aber die Peitsche schnitt in seine Haut und stellte ihm die Luft ab. Sein Todeskampf währte mehrere Minuten. Dann tauchte der Gegner aus dem Schatten neben dem großen handgeschnitzten Schrank, löste mit Leichtigkeit den Lederriemen und ließ die Peitsche achtlos auf den Boden fallen. Der gleiche Mann tauchte fünf Minuten später im Nachbarraum auf, nachdem er die mobile Schrankwand nach außen gedreht und durch den geheimen Durchlass Eingang gefunden hatte. In einem Sessel saß ein Traum von einer Frau, eingehüllt in ein Negligé, das den schattengleichen Körper kaum verhüllte.

Eine zarte weiße Hand streckte sich dem Ankommenden entgegen, und der Mann reichte der Schönen den großen Becher, den er hielt. »Trink«, sagte der Hagere. »Er war neugierig. Ich habe ihm aufgelauert. Das Blut des Schnüfflers Brent, meine Liebe!«

»Ist Vater noch nicht da?« Mary Dragger sprach diese Worte schon, als sie die Wohnungstür öffnete. Der achtjährige Eddy hockte am Küchentisch und tat so, als würde er seine Schulaufgaben machen. Dass er damit seit dem frühen Nachmittag nicht sonderlich weit gekommen war, bewiesen die Schmierblätter und das mit Männchen und Tintenflecken übersäte Löschblatt. Mary Dragger fühlte sich nicht in der Verfassung, ein Donnerwetter über dem Haupt des Sohnes zu entladen.

Sie hatte Sorgen. Henry war noch nicht zurück. Das war merkwürdig. Sie war gewohnt, dass ihr Mann pünktlich von der Arbeit nach Hause kam, im Gegensatz zu anderen Kollegen, die beschlossen, erst einen Teil ihres Lohnes flüssigzumachen oder ihn mit anderen Frauen zu vertrinken. Mary Dragger wischte sich über die Stirn. Sie hatte schon bei allen Bekannten und Freunden in der Nachbarschaft in der Hoffnung nachgefragt, dass Henry vielleicht dort zu finden sei. Aber diese Hoffnung hatte sich nicht erfüllt. Es war jetzt wenige Minuten nach acht. Keine Spur von Henry Dragger! Plötzlich bekam sie es mit der Angst zu tun. Es musste etwas passiert sein!

Um halb neun hielt sie es nicht länger aus. Nachdem sie Eddy bei den restlichen Aufgaben geholfen hatte, sorgte sie dafür, dass er sich zu Bett begab. Sie verließ das kleine einfache Haus und machte sich auf den Weg zur Polizeistation, um sich dort nach Henry zu erkundigen und eine Vermisstenmeldung aufzugeben. Sie ahnte Unheil. Aber ihr einfaches Gemüt war außerstande sich vorzustellen, was mit ihrem Mann wirklich geschehen war.

Um halb neun lebte er noch und schwelgte in einem Gefühl der Lust und Zufriedenheit. Henry Dragger hatte eine neue Variante des Lebens entdeckt und war dem Zufall dankbar, dass das Schicksal seine Schritte ins Moor-House geführt hatte. Auf die Empfehlung eines Bekannten hin war eigentlich der Stein ins Rollen gekommen. Heute sah er sie zum drittenmal.

Er war fasziniert und begriff nicht, dass es eine Frau von solcher Schönheit überhaupt gab. Sie war eine Göttin, die zu einem Unwürdigen herabstieg, und er konnte dieses Glück noch immer nicht richtig fassen. Der Raum, in dem er sich mit ihr aufhielt, war ein kleines Paradies. Schöne, ausgesuchte Möbel, die man in einer Kneipe wie dem Moor-House nicht erwartete, bewiesen den auserlesenen Geschmack der Bewohnerin. Auf dem Boden lagen dicke Fellteppiche. Es war angenehm, darauf barfuß zu gehen. Henry Dragger fühlte sich wohl.

Die Tatsache, dass er verheiratet war und einen kleinen Sohn hatte, dass er sich um seine Familie sorgen musste – das alles berührte ihn nicht mehr. Er lebte in einer Traumwelt. Die ersten beiden Male hatte die geheimnisvolle Schöne ihm nur wenige Minuten ihrer Gunst gewährt. Doch heute endlich schien das Eis gebrochen. Er starrte sie immer nur an.

»Du bist schön«, murmelte er wie in Trance, und seine Augen glänzten. »In deiner Gegenwart kann man die Welt vergessen. Ich habe dich lieb, erst jetzt weiß ich, was Liebe überhaupt ist!« Er kniete vor ihr auf dem flauschigen Teppich, und seine Hände glitten durch ihr langes, seidiges Haar, das ihr vornehm bleiches, wie aus weißem Marmor gemeißeltes Gesicht rahmte. Ihre feuchten Lippen öffneten sich und dufteten verführerisch. Weiße, blitzende Zähne schimmerten wie auserlesene Perlen. Sie lächelte nur und sagte kein Wort. Henry Dragger schüttelte den Kopf.

»Warum schweigst du? Sag doch nur mal ein Wort, ein einziges Wort!« Sie lächelte wie eine schöne, große Puppe. Aber sie war mit Leben erfüllt. Ihr Fleisch war warm und lockte. »Wie heißt du? Sag mir wenigstens deinen Namen!« Henry Dragger sprach leise.

Als Antwort wieder nur dieses stille, unergründliche Lächeln. Ihr Gesicht näherte sich dem seinen. Seine Hände lösten sich von ihrem schwarzen Haar, schoben sich zärtlich über die nackten, makellosen Schultern und streichelten die festen Oberarme. Das Unglück brach über Henry Dragger herein, als sein Geist und seine Seele von ganz anderen Stimmungen erfüllt waren. Die Hand der geheimnisvollen Schönen, die eben noch liebevoll seinen Nacken kraulte, wurde zur tödlichen Waffe.

Blitzartig fuhr die Rechte gegen Draggers Halsschlagader. Dieser heimtückische Karateschlag warf den keineswegs schwächlichen Mann auf die Seite. Erstaunen, Verwirrung, Ratlosigkeit und Entsetzen spiegelten sich im Blick des Engländers. Kein Laut kam mehr über seine Lippen. Es wurde ihm schwarz vor Augen. Das schöne Gesicht beugte sich über ihn. Mordgier stand in diesen Augen zu lesen. Ein kleines Messer lag wie durch Zauberei plötzlich in der Hand der Frau. Mit einem kurzen Ruck war Draggers Halsschlagader durchschnitten. Die unheimliche Mörderin war so geschickt, dass nicht ein einziger Tropfen des dunkel und schnell hervorquellenden Blutes auf den Teppich floss oder die Kleidung des Toten benetzte.

Sie hatte Erfahrung in diesem seltsamen und grausamen Ritual. Ihre feuchten Lippen legten sich wie ein Saugnapf auf die Schnittwunde, und das Blut des Opfers füllte ihren Mund.

Gegen zehn Uhr herrschte im Moor-House lebhafter Betrieb. Nahezu alle Tische waren besetzt. Unter den Stammgästen, die fast ausschließlich aus dem Ort stammten, befand sich auch Ryan Cohen, ein alter Säufer, dem man hier schon zum Frühschoppen begegnen konnte. Es sah ganz so aus, als ob Cohen im Moor-House einquartiert sei. Er war Mitte Fünfzig, wirkte aber älter. Durch seine Adern floss mehr Alkohol als Blut. Er rühmte sich wegen seiner Trinkfestigkeit, und er konnte in der Tat eine ganze Menge vertragen. Es gab niemand in Tiverton und Umgebung, der von sich aus mit reinem Gewissen behaupten konnte, Cohen jemals nüchtern gesehen zu haben. Aus diesem Grund nahm man ihn auch nicht ganz ernst. Cohen war seit jeher ein Sonderling gewesen. Was er so von sich gab, nahm man hin in der Meinung, dass der Mann sowieso nur Unsinn redete. Cohen gehörte irgendwie zum Inventar des Moor-House. Wenn er mal Schulden hatte – und die hatte er eigentlich immer – dann schuftete er wie ein Verrückter für Mister Franklin, den Inhaber der Kneipe. Cohen räumte im Keller auf, brachte die leeren Flaschen aus sämtlichen Ecken und Winkeln des windschiefen Hauses hervor und sorgte dafür, dass diese Flaschen auch wirklich leer zum Getränkegroßhändler zurückfanden.

Jedermann mochte Cohen. Auch wenn er viel Unsinn redete. Aber vielleicht machte ihn gerade das so liebenswert. Er war so etwas wie ein Clown, einer, an dem man seine Freude haben konnte und der einem die eigenen kleinen Fehler – wenn auch verzerrt wie bei einer Karikatur – vor Augen hielt.

»Ihr habt euch wohl noch gar keine Gedanken darüber gemacht, was im Moment in dieser Gegend eigentlich vorgeht, wie?« Cohen blickte sich in der Runde um, als erwarte er, dass jedermann ihm zuhöre. »Ich sage euch, das Ganze hängt mit einem Weib zusammen. Mit einem teuflischen Weib! Die Männer fallen auf sie rein!« Er redete mit schwerer Zunge. Seine Augen waren wässrig, und wenn er nach dem Glas griff, geschah es mit einer kantigen und ungelenken Bewegung. Ein junger Bursche mit einer Stirnglatze starrte Cohen an. »Wie kommst du darauf, Alter?«, fragte er. »Immer wieder fängst du an, von diesem Weib zu erzählen. Hast du sie denn schon mal gesehen?«

»Nein, gesehen – nicht!« Cohen wischte mit der Rechten durch die Luft. »Aber schon – von ihr – gehört.« Er beugte sich nach vorn, stierte mit wässrigen Augen über den Tisch und sah seine Tischnachbarn einen nach dem anderen an. »Eine Frau, sage ich euch – wie sie noch keiner – noch keiner, betone ich – gesehen hat!«

»Gib mir ihre Adresse, Cohen!« Der Mann, der das rief, hatte einen roten stoppeligen Haarschopf, einen Quadratschädel und buschige Augenbrauen, die an kleine Drahtbürsten erinnerten. Ryan Cohen wandte ruckartig den Kopf. »Nein, O'Sully, das würdest du bereuen. Selbst, wenn ich sie hätte – ich gäbe sie dir nicht!«

»Er will allein mit ihr schlafen!«, rief der rothaarige Ire. Gelächter kam auf. »Ich würde dir in diesem Fall ein Tauschgeschäft vorschlagen, Cohen.« Auch O'Sully war nicht mehr ganz nüchtern.

»Tauschgeschäft? Wenn ich Geschäft höre, bin ich sofort voll da.« Cohen erhob sich. Er war klein und untersetzt. »Was wollen wir tauschen?«

»Ich sorge dafür, dass du eine Woche lang im Alkohol baden kannst – und du nennst mir einige Details von dem Superweib.«

Cohens Gesicht wurde schlagartig ernst. »Allzu viel reden, ist ungesund. Es gibt Dinge, die man lieber nicht näher kennenlernen sollte. Vergiss, was ich gesagt habe! Ich weiß nichts. Es war nur so ne Rederei von mir.« Die letzten Worte waren kaum verklungen, da tauchte der Wirt am Tisch auf. Er war auf die Streiterei aufmerksam geworden. »Was soll der Unsinn, Ryan?«, sprach der Wirt das Faktotum an. »Was redest du da wieder für sinnloses Zeug?«

»Er kennt ein Superweib«, maulte O'Sully. Er kraulte sich am Hinterkopf, und die kurzgeschorenen Stoppeln gaben ein Geräusch von sich, als würde man eine rohe Kartoffel über ein Reibeisen ziehen. »Erst gibt er an – und dann zieht er den Schwanz ein!«

Der Wirt winkte ab. »Lasst ihn in Ruhe! Ihr wisst doch, wie er ist!« Der Dicke wischte sich seine roten Hände an der grauen Schürze ab.

Cohen protestierte. »Stuart – das darfst du nicht sagen!« Er redete so laut, dass die Gespräche an den Nachbartischen verstummten. »Ich weiß genau, was ich sage.«

»Okay. Dann fang aber nicht dauernd vom selben Kram an! Erzähl mal 'nen anderen Schwank aus deinem Leben! – Ich spendier dir noch einen Drink.« Stuart Franklin redete mit Cohen wie mit einem kleinen Kind, das man beruhigen musste, dem man ein Geschenk versprach, und damit hatte es sich. Der dicke Wirt watschelte zu seiner Stellung hinter der Theke zurück, zapfte weiter Bier und warf gelegentlich einen Blick hinüber zu dem Tisch, an dem Cohen saß und finster vor sich hinstarrte. Hin und wieder drehte Stuart Franklin auch den Kopf, und es schien, als lausche er auf ein ganz bestimmtes Geräusch irgendwo aus dem Nebenzimmer. Aber er hörte nichts, weil der Krach im Wirtsraum zu groß war. Von einem Ohr seines breiten Gesichts zum anderen grinsend, kehrte Franklin an den Tisch zurück, knallte eine Flasche billigen Fusels auf die Platte und meinte: »Nur unter der Bedingung, dass du jetzt endlich den Schnabel hältst.« Cohen wischte sich über sein faltiges Gesicht. »Soll das ... eine Bestechung ... sein?«, hickste er.

»Es geschieht in deinem eigenen Interesse!« Franklin sagte es mit einer gewissen Schärfe im Tonfall.

»Okay, okay, ich halt ... schon den Mund.« Cohen stülpte die Unterlippe über die Oberlippe, zog die Nase hoch und wandte sich trotzig wie ein kleiner Junge ab. »Aber ich weiß, was ich weiß«, murrte er. Er umklammerte die Schnapsflasche, als befürchte er, Franklin könnte sie ihm aufgrund dieser Bemerkung wieder wegnehmen. Der Wirt hatte die letzten Worte noch gehört. »Du bereitest dir nur selbst Scherereien, mein Lieber. Sei vorsichtig!«

O'Sully schüttelte den Kopf. »Jetzt begreife ich überhaupt nichts mehr«, knurrte der Ire. »Erst heißt es, seine Phantasie gehe mit ihm durch, und jetzt warnst du ihn, nicht zu viel zu reden. Wie passt das zusammen?« Stuart Franklin druckste einige Sekunden lang herum. Er wollte nicht so recht mit der Sprache heraus. »Spuck's aus, Franklin«, sagte der Ire.

»Nun – es ist doch so: jemand könnte sich angesprochen fühlen.«

»Dann heißt das also ...«

Franklin ließ den Iren nicht aussprechen. »Das heißt nichts. Cohens Phantasie geht mit ihm durch. Aber alles, was er sagt, bleibt nicht auf diesen Raum hier beschränkt, kapiert ihr das? Wenn er ein paar über den Durst getrunken hat, dann krakeelt er auch auf dem Nachhauseweg. Und Cohen – hat er erst Gefallen an einem Thema gefunden – hämmert fest auf ein und demselben herum. Ich fürchte, er weiß gar nicht, dass er sich mit seinem Gerede in des Teufels Küche begeben kann.«

Cohen kicherte wie ein Gnom. »Da kann er recht haben, der Stuart, Freunde ...! Teufels Küche ...! Wer weiß, wer weiß? Und das Superweib ist niemand anders als Luzifers Tochter... hihihi.« Er konnte sich vor Lachen schier wälzen, während Franklins Miene eisig wurde.

»Still jetzt, Cohen! Trink deinen Saft und damit basta! Hört nicht auf ihn, bringt ihn auf andere Gedanken!« Der Wirt wandte sich abrupt ab und kümmerte sich um seine anderen Gäste. »Er ist ein Dummkopf«, winkte Cohen ab. »Ein guter Kerl, spendiert mir hin und wieder einen. Aber dafür arbeite ich auch genug. Ich rede wohl heute Abend ein bisschen viel, wie? Egal, was er von mir denkt ... seit die neue Bude da vorn steht, geht etwas hier vor ... und Blackstone Cottage steht ebenfalls damit in Verbindung. Es hat sich etwas um uns verändert ... erste Anzeichen zeigen sich. Was geschah mit den Männern ... die spurlos verschwanden, he?« Beifallheischend blickte er sich in der Runde um. Das Gespräch am Tisch verstummte mit einem Mal. Cohen hatte in unverantwortlicher Weise zwei Worte genannt, die er lieber nicht gesagt hätte. Die einfachen Menschen dieser Gegend fürchteten diesen Begriff. Blackstone Cottage. Das war gleichbedeutend mit der Hölle. Cohen wusste das. Er war Bewohner dieser Gegend, war hier aufgewachsen und wusste, was es bedeutete, diese Namen in den Mund zu nehmen. Selbst O'Sully, der erst seit fünfzehn Jahren hier wohnte, war überzeugt davon, dass etwas Wahres an dem dran war, was die Menschen sich von Blackstone Cottage erzählten.

»Ich geh nach Hause«, sagte Andy Smith, leerte sein Glas, knallte eine Handvoll Münzen auf den Tisch und ging, ohne noch ein Wort des Abschieds zu sagen. Auch der Blonde mit der Stirnglatze stand von seinem harten Stuhl auf. »Ich schließ mich an«, sagte er leise, nickte mit dem Kopf und ging ebenfalls. Aber sein Blick schweifte über Cohen hinweg. »Du bist ein alter Schwätzer, Cohen«, presste O'Sully zwischen den Zähnen hervor. Das gerötete Gesicht des Iren wirkte noch roter, als es von Natur aus schon war.

»Jetzt hast du sie vertrieben. Du wirfst aber auch alles in einen Pott.« Cohen brummte etwas in seinen Bart, füllte ein Glas und jagte den Fusel die Kehle hinab. Er war vom schärfsten Stoff schon so abgehärtet, dass er nicht mal mehr ein leichtes Brennen verspürte. »Schmeckt wie Spülwasser«, schimpfte er laut genug, dass Franklin es noch auf der anderen Seite der geräumigen Wirtschaft hören konnte. Doch der dicke Wirt tat so, als hätte er nichts vernommen. Cohen blickte von seinem Glas auf. Er nahm die Gestalt des breitschultrigen Iren nur noch schemenhaft wahr.

»In dem neuen Hotel ... geht einiges vor. Als es noch nicht in dieser Gegend war, hatten die Leute nur Angst vor Blackstone Cottage. Vielleicht ist das Weib ... wirklich von dort drüben hervorgegangen, das entzieht sich meiner Kenntnis. Ich weiß nur, dass sie in dem neuen Hotel schon gewesen ist.«

O'Sully seufzte. Es hatte keinen Sinn, Cohen noch länger zuzuhören. Er warf Kraut und Rüben durcheinander. Was er da mehr im Selbstgespräch schon vor sich hinplapperte, war heller Unsinn. »Soll ich dich nach Hause bringen, Ryan?«, erkundigte der Ire sich.

»Nach Hause? Denk nicht dran! Viel zu früh!« Cohen verzerrte das Gesicht. »Außerdem: was soll ich zu Hause? Bin doch allein ... Hier sind wenigstens Menschen. Ich wollte ... gern mit dir noch ein bisschen plaudern ... wegen der Frau, weißt du.«

Drei Minuten später verließ auch O'Sully das Moor-House. Cohen blieb allein am Tisch zurück, schimpfte halblaut vor sich hin und füllte sein Glas wieder auf. »Narren, alles Narren«, lallte er. »Sie wollen nichts wahrhaben. Aber ich werde es ihnen beweisen ... bald ... ich muss nur zusehen, dass ich die Sache richtig anpacke.« Er wandte den Kopf und blickte hinüber zur Theke.

Dort stand der fette Wirt und erwiderte seinen Blick. Cohen winkte nur ab. »Trottel ... auch nur ein Trottel ... will nichts wahrhaben und wir sind alles arme Schweine ... können nicht in das neue Hotel ... Sündenzentrum ... für Touristen, für Playboys ... dort verschwinden sie, kann einer sagen, was er will.« Sein Blick wanderte weiter. Über die Tische hinweg, an denen nur noch vereinzelt ein paar Gäste hockten, rauchten, sich unterhielten und ein Bier oder einen Whisky tranken. Es war Monatsende, das merkte man. Die meisten blieben kürzer als normal. Cohen kannte alle, die regelmäßig hierherkamen, auch die, welche nur hin und wieder einen Blick ins Moor-House warfen und sich eine Flasche Bier oder eine Schachtel Zigaretten holten.

Gelegentlich traf man auch einen Fremden hier an, einen, der von weither kam, eine Wanderung durch das Moor machte, einen, der der Großstadt mal den Rücken kehrte und weltabgelegen seinen Urlaub verbringen wollte. Das kam selten vor. Auch heute Abend gab es einen Fremden im Moor-House.

Cohen war dieser Mann schon vor Stunden aufgefallen. Er saß am Nebentisch und musste die ganze Zeit über das Gespräch mitbekommen haben. Es schien zwar so, als hätte sich dieser junge Mann nicht dafür interessiert, was zufällig an seine Ohren gedrungen war. Aber dieser Eindruck täuschte. Der Fremde wandte den Blick, zündete sich eine Zigarette an und schaute auf Cohen, der halb auf dem Tisch lag, mit seinem Glas spielte und zusammenhangloses Zeug vor sich hinredete. Schwankend erhob sich das Faktotum.

»Soll ich Ihnen helfen?«, wandte sich der Fremde sofort an ihn. Ryan Cohen schüttelte den Kopf. »Ich weiß selbst, wohin ich gehen muss, junger Mann!« Er musterte sein Gegenüber von Kopf bis Fuß. »Noch nie gesehen ... fremd hier ... London? Edinburgh? Glasgow?” Offenbar hatte er bereits Erfahrungen in dieser Richtung gesammelt. Er schien im Glauben zu sein, dass jeder, der sich hierher verirrte, nur aus der Großstadt stammen konnte.

»Wir werden uns unterhalten ... über Land und Leute, junger Mann ... ich werde Ihnen eine Menge zu erzählen haben ... bin gleich zurück. Bitte warten Sie auf mich! Ich spür ein menschliches Rühren.« Mit diesen Worten drückte Cohen den Fremden, der ihn um mindestens drei Köpfe überragte, zur Seite und setzte sich Richtung Theke in Bewegung. Neben der Theke schloss sich eine Nische an, in der zwei Türen nebeneinander lagen. Auf der einen stand Gentlemen, auf der anderen Privat.

Ryan Cohen wurde in diesem Augenblick weder von einem Wirtshausgast noch von Stuart Franklin beobachtet, der einige Posten addierte und deshalb ganz in Gedanken war. Cohen war so blau, dass er nicht merkte, welche Tür er erwischte. Es war die mit der Aufschrift Privat. Ein schmaler, dunkler Korridor führte von hier aus direkt zum Hinterausgang. Cohen steuerte mit schwerer Schlagseite auf die Tür zu und öffnete sie. Kühle, feuchte Nachtluft schlug ihm entgegen. Feine Nebelschwaden wogten vor ihm auf und hüllten ihn ein. Verständnislos blickte Ryan Cohen an der schwarzen Wand hoch, die sich neben ihm wie ein Gebirge auftürmte.

Es war die Bretterwand des Schuppens, in dem leere, schimmelnde Fässer und Kisten lagerten. Nebenan stand eine kleine, klapprige Lattenhütte, durch die der Wind pfiff. Cohen wusste im ersten Moment nicht, wo er sich befand.

»Hat wieder einer das Fenster offen gelassen«, knurrte er und tastete sich an der Bretterwand entlang. »Die Geschäfte scheinen schlecht zu gehen ... bei Stuart ... verstehe das nicht ... jetzt hat er doch wahrhaftig seine Latrine ausbauen lassen ... die Leute trinken zu wenig, ich sage es immer wieder. Die Wirte gehen vor die Hunde, wenn man ihnen nicht unter die Arme greift.« Er steuerte auf eine dunkle Ecke zu.

»Ist auch nicht die feine englische Art«, tönte seine leise, etwas nörgelhaft klingende Stimme im Dunkeln. Cohen nahm die beiden unteren beleuchteten Fenster nur noch verschwommen hinter den Nebelbänken wahr, als er sich in die Büsche schlug, welche auf der anderen Seite des Weges standen. Es war ihm entgangen, dass genau dem Schuppen gegenüber ein Wagen parkte. Ein schwarzer Lieferwagen, der sich nicht von der Dunkelheit abhob.

Der seltsame Transport, der eine Minute nach dem Verlassen des Hauses die ausgetretenen Stufen der steilen Kellertreppe hochkam, entging dem Mann zunächst ebenfalls. Zwei Männer trugen einen Sarg. Leise und mit Bedacht kamen sie aus der dunklen Tiefe empor, und die Tatsache, dass sie trotz der herrschenden Dunkelheit nirgends anstießen, bewies, dass sie sich hier auskannten. Hinter dem seltsamen Zug lief eine junge, attraktive Frau, die in einen dunklen, leicht fallenden Mantel gehüllt war. Die beiden Männer trugen die Kiste zu dem Lieferwagen. Der Vorangehende riss die Tür auf und stellte das vordere Ende des Sarges ab. Der andere drückte wortlos nach. Der Sarg verschwand im Innern des Wagens. Der eine der beiden Männer blieb im Laderaum, der andere – ein hochgewachsener, schlanker Mann mit sportlich federndem Gang – setzte sich hinter das Steuer des Autos, nachdem seine hübsche Begleiterin es sich bereits auf dem Beifahrersitz bequem gemacht hatte. Der Chauffeur startete und stieß zurück.

»Wieder geschafft«, sagte er leise, indem er den Blick wandte. »Keiner hat etwas bemerkt.« Er lächelte. Die hübsche Frau an seiner Seite blickte geradeaus auf den ungepflasterten Weg, auf dem der Lieferwagen holpernd davonfuhr. »Du bist schön wie am ersten Tag«, murmelte er erregt, als er das klassisch schöne Gesicht betrachtete und dabei sekundenlang nicht auf den Weg blickte. »Es wäre unvorstellbar für mich, ohne dich zu leben.« Sie wandte den Kopf und lächelte. Ihre Lippen schimmerten. Aber die schöne Frau sprach kein Wort. Ihre Blicke begegneten sich. Für Bruchteile von Sekunden ...

Es war der gleiche Moment, als Ryan Cohen aus den Büschen am Wegrand trat, vor dem vorbeifahrenden Wagen förmlich zurückprallte, den Halt verlor und zu Boden stürzte. Cohen sah hinter dem dunklen Fenster auf seiner Seite das helle, fast weiße Gesicht einer Frau. Dies alles kam ihm wie ein Traum vor und sickerte nicht ganz bis in sein Bewusstsein durch. Aber etwas wurde doch angesprochen, woran er sich später nicht mehr erinnern konnte. »Aber ... aber ... das ist sie doch ... die aus dem neuen Hotel ... wie kommt die denn hierher?«

1. Kapitel

Er wusste nicht mehr, wie er in die Gaststätte zurückkam. Er wankte durch die Tür. Franklin wurde auf ihn aufmerksam. Sein Gesicht nahm eine ungesunde Farbe an. »Ryan! Wo kommst du denn her?« Der dicke Wirt knallte die Tür zu. »Kannst du nicht lesen? Privat steht an der Tür.«

Cohen zuckte die Achseln. »Kam mir gleich so merkwürdig vor, aber streiten wir uns nicht darüber. Ob ich tagsüber oder nachts ... das ist doch egal.«

»Ich kann es nicht dulden, dass ohne mein Wissen hier jemand durchgeht und ...« Franklin winkte ab. Es hatte alles keinen Sinn. »Ich werde dich nach Hause bringen. Du gehörst ins Bett.«

»Kommt nicht in Frage, mein lieber Stuart! Erstens habe ich die Flasche noch nicht leer und zweitens werde ich erwartet. Jemand will sich mit mir unterhalten«, widersprach Cohen. Der junge Fremde wurde auf die Schwierigkeiten, die zwischen dem Wirt und dem Gast bestanden, aufmerksam, verließ seinen Platz und näherte sich den beiden. »Entschuldigen Sie bitte«, schnaufte Franklin. »Halsstarriger Bursche ... manchmal nicht zu genießen. Muss am Wetter liegen. Er will sich unbedingt noch mit Ihnen unterhalten.«

»Kann er. Wenn's ihm Freude macht«, entgegnete der Bursche.

»Bitte ... wenn es mir Freude macht und es macht mir Freude, große sogar!«, hakte Cohen sofort nach. Er verdrehte die Augen, und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Franklin musste ihn stützen. Cohen hing an der Seite des fetten Wirtes wie ein Auswuchs. Mit der Linken krallte sich der Betrunkene in das karierte Hemd des Gastwirts. Er hing mit seinem ganzen Gewicht dran. Es krachte und ein Knopf sprang ab.

»Dein Hemd ist morsch, mein Lieber.« Irgendetwas hatte Cohen noch mitbekommen.

Franklin schüttelte den Kopf. »Ich verfrachte ihn ins Wohnzimmer auf die Couch. Da kann er seinen Rausch ausschlafen.« Gesagt, getan ...

Der junge Besucher ging dem Wirt zur Hand. Franklin war nicht so zimperlich. Er ließ den schlafenden Cohen, dem die frische Luft draußen den letzten Rest versetzt hatte, einfach auf die altersschwache Couch plumpsen. »Eigentlich schade«, murmelte der junge Mann.

»Schade? Wieso, Mister Racker?«

»Blacker war mein Name«, verbesserte der andere.

»Dann hatte ich Sie heute Abend falsch verstanden. Ich hatte noch gar keine Gelegenheit, mich richtig um Sie zu kümmern. Sie kamen zu einem recht unglücklichen Zeitpunkt, als das Haus sich gerade füllte. Ich mache alles allein hier. Angestellte kann ich mir nicht leisten. Da kommen leider auch die Fremden etwas zu kurz. Woher kommen Sie eigentlich?«

»Aus New York.”

Stuart Franklin pfiff durch die Zähne, während er in seiner Hosentasche kramte. Er beförderte eine zerdrückte Zigarettenschachtel hervor und schnickte mit dem Zeigefinger gegen den Boden, dass das Stäbchen zur Hälfte herausrutschte. Blacker griff danach. »Danke!«

Franklin reichte seinem Gast auch Feuer. »Sie sagten vorhin etwas von schade. Was meinten Sie damit? Wir sind ganz davon abgekommen.«

»Ich saß am Nebentisch«, begann Blacker, während er einen Blick auf den schnarchenden Cohen warf. »Da bekam ich einiges mit. Was er da erzählte, klang zwar verworren – aber dennoch interessant.«

Franklin winkte ab. Die beiden Männer verließen das Zimmer, passierten die nach verbranntem Fett riechende Küche und gelangten von dort aus wieder in den Gastraum. »Das darf man nicht ernst nehmen.«

»Er redete von einem neuen Hotel, das es hier in der Nähe geben soll. Was für ein Hotel ist das?«

»Es hat keinen guten Ruf. Die Einwohner sehen es als eine Art Absteige für Playboys an. Unsereiner kann sich dort keinen Drink und erst recht kein vernünftiges Essen leisten. Das Haus wurde für reiche Leute gebaut. Für Fremde.«

»Eigentlich erstaunlich. So weit entfernt von der nächsten Großstadt, praktisch mitten im Moor. Dass ein solches Haus Erfolg haben und sich überhaupt halten kann!«

Franklin zuckte die Achseln. »Das wundert uns hier alle, Mister Blacker. Aber scheinbar stimmt die Kasse bei denen. Es sieht ganz so aus, als ob nur Eingeweihte den Weg nach dort finden. Vielleicht gibt man sich Adresse und Telefonnummern mündlich weiter. Wer weiß?«

»Da mögen Sie nicht mal so unrecht haben, Mister Franklin. Gestatten Sie noch eine Frage: Dieser Cohen hat im Zusammenhang mit diesem Hotel eine Frau erwähnt, die einmalig sein soll?«

Franklin verdrehte die Augen. Er nahm einen kräftigen Zug an seiner Zigarette, als müsse er sich erst stärken. Dann gab er Antwort. »Phantasie! Das ist Cohens Stärke. Delirium tremens, so kann man es unter Umständen auch bezeichnen. Cohen hat seinen Verstand vertrunken. Man kann ihn nicht ernst nehmen.«

»Ich weiß nicht. Irgendwie passt das, was er da von sich gab, zu einer Sache, mit der ich mich befasse.«

Franklin starrte sein Gegenüber an. »Ich verstehe Sie nicht, Mister Blacker. Sind Sie von der Polizei?«

»Nein! Wie kommen Sie darauf?«

»Nur so.« Franklin blies den Zigarettenrauch steil vor seinem Gesicht hoch. Dann fuhr der Wirt fort: »Sie stellen so merkwürdige Fragen.«

»Ich suche einen Freund. Er ist mir vorausgereist. Ich weiß, dass er in dieser Gegend abgestiegen sein muss«, fühlte Blacker sich veranlasst zu erklären. Franklin musterte sein Gegenüber. Blacker machte auf ihn keinen guten Eindruck. Er sah nicht besonders gut aus mit seinen stoppeligen, bräunlichen Haaren, seinem pockennarbigen Gesicht und den Sommersprossen auf der Nase. Als besonderen männlichen Reiz schien Blacker es zu empfinden, dass er einen rötlich-blonden Schnurrbart trug.

»Was schließen Sie daraus?«

»Entweder ist mein Freund nie hier angekommen – oder ihm ist etwas passiert. Die zweite Möglichkeit scheint die wahrscheinlichere zu sein. Es gibt Hinweise, die darauf schließen lassen, dass er im Moorgebiet zu tun hatte. Wir wollten uns hier treffen. Doch das schlug fehl.«

»Wann war das? Ich meine, wann traf ihr Freund in dieser Gegend ein, Mister Blacker?«

»Das muss vor fünf oder sechs Tagen gewesen sein.«

»Wäre es möglich, dass er aufgrund seines Aussehens und seiner Brieftasche in der Lage gewesen wäre, in dem neuen Hotel abzusteigen?«

»Sicher.«

»Haben Sie ein Bild von Ihrem Freund?«, erkundigte der Dicke sich.

»Aber natürlich. Moment bitte!« Blacker griff in sein Jackett und holte eine Brieftasche hervor. Er kramte zwischen einzelnen Papieren herum, legte ein Scheckheft zur Seite und hielt dann ein einfaches Passfoto zwischen den Fingern. »Das ist er.«

Franklin nahm das Bild entgegen und betrachtete es eingehend. »Nein, habe ich nie gesehen«, schüttelte der Wirt den Kopf.

»Dreißig, groß, schlank, sportlich, rauchgraue Augen.«

»Spricht er auch ein so ausgezeichnetes Englisch wie Sie als Amerikaner?«

»Ja. Er hat viele Jahre seines Lebens in diesem Land verbracht.«

Franklin sah sich das Bild nochmal genau an. Die Person auf der Fotografie stellte Larry Brent dar. Aber das wusste Stuart Franklin nicht.

Peter Blacker wandte seinen Kopf Richtung Küchentür. »Schade, dass Cohen außer Gefecht ist.«

»Jetzt, nachdem Sie wissen, dass es das Hotel gibt, können Sie sich dort informieren. Das dürfte doch keine Schwierigkeiten bereiten. Haben Sie schon mit der Polizei gesprochen?«

»Ja. Da weiß niemand etwas.«

»Das hätte mich auch gewundert. Am besten, Sie fragen im Hotel selbst mal nach. Wenn Sie morgen früh ...«

»Ich fahre heute Abend noch, Mister Franklin!«

Der Mund des Wirts blieb offen stehen. »Aber so spät! Es ist bald Mitternacht! Und dann bei diesem Wetter!«

»Wo liegt das Hotel?«

»Richtung Exeter.«

»Dann fahr ich gleich los!«

»Das ist nicht so einfach. Bei dem Nebel könnten Sie leicht das Hinweisschild am Wegrand übersehen.«

»Ich pass schon auf. – Was steht drauf?«

»Der Name des Hotels: Hunters Village. Ungefähr zwölf Meilen von hier. Warten Sie doch das Tageslicht ab!«

»Das kann ich nicht. Ich kann nicht warten, wenn ich das Gefühl habe, etwas gleich erledigen zu können. Hunters Village. Interessanter Name. Was jagt man dort? Hübsche Frauen, wenn man Cohen glauben darf. Wie sagt man doch, Mister Franklin? Kinder, Betrunkene und Narren sagen die Wahrheit! Cohen wirft möglicherweise etwas durcheinander. Aber er weiß etwas. Sie brauchen keine Angst zu haben! Ich komme wieder. Das Zimmer, das ich für diese Nacht gemietet habe, bezahle ich. Ich zahle sogar zwei weitere Tage voraus, weil ich der festen Ansicht bin, nochmal hierherzukommen. Halten Sie mir Cohen warm und geben Sie ihm nicht zu viel zu trinken! Ich möchte ihm nochmal begegnen, ehe er an Alkoholvergiftung eingegangen ist.«

Peter Blacker musste dem Wirt im Stillen recht geben, als er sich hinter das Steuer des mausgrauen Minicoopers setzte und den Schlüssel im Zündschloss drehte. Es war in den letzten beiden Stunden sehr neblig geworden. »Es ist gefährlich!«, warnte Franklin ihn nochmal, als Blacker das Fenster herunterkurbelte, um bessere Sicht zu haben. »Wenn Sie vom Weg abkommen, sind Sie verloren! Sie haben keine Ahnung, wie tückisch das Moor an manchen Stellen ist. Am gefährlichsten wird es dann, wenn Sie am Hinweisschild nach rechts abbiegen müssen. Eine kurvenreiche Straße mitten durch eine bewaldete Ebene. Da kann leicht etwas passieren.«

»Keine Angst, Mister Franklin! Es wird schon schiefgehen. Verdammt klein, diese englischen Autos. Wenn ich kräftig aufs Bremspedal treten muss, rutsche ich garantiert mit dem Fuß durch die Kühlerhaube. Pech, dass der Leihwagenhändler kein anderes Fabrikat mehr zur Verfügung hatte. – Gute Nacht, Mister Franklin!«

Der Nebel war so dicht, dass Blacker teilweise nur im Schritttempo fahren konnte. Der Amerikaner hatte das Gefühl, allein auf der Welt zu sein. Niemand begegnete ihm, am Wegrand war kein Licht, das auf eine menschliche Behausung hinwies, und selbst wenn in der Nähe eine Siedlung gewesen wäre, er hätte sie nicht mal wahrgenommen. Blacker kurbelte das Fenster wieder herunter. Die Luft, die sein Gesicht fächelte, war kühl und unangenehm. Ständig beschlugen die Scheiben, so dass die an sich nicht gute Sicht noch schlechter wurde. Nach einer Fahrt von dreißig Minuten hatte er sieben Meilen zurückgelegt, und er musste in der Tat froh sein, dass er nicht vom Weg abgekommen war. Blackers Gesicht war angespannt. Die Tatsache, dass er das Fenster heruntergekurbelt hatte, machte ihn auf die fernen, qualvollen Schreie aufmerksam. Im ersten Moment glaubte Blacker, sich verhört zu haben. Dann bremste er, stellte den Motor ab und lauschte. Die Schreie kamen von links. Jemand befand sich in Gefahr!

»Hiiilfeee! Hiiilfeee!« Langgezogen und schrecklich hörte es sich an, als erwarte ein Mensch jeden Augenblick seinen Tod. Blacker riss die Tür auf und stürzte ins Freie. Sekundenlang verharrte er in der Bewegung, hielt den Atem an, lauschte und starrte in die dichte Wand aus Nebel, die sein Blickfeld begrenzte.

»Hiiilfeee!« Da war es wieder! Näher, verzweifelter! Im Nebel vor ihm ein schweres Atmen, eilige, knirschende Schritte auf dem feuchten Boden, die näher kamen. »Hier ist jemand! Hallo – können Sie mich hören?« Blacker schrie es hinaus, so laut er konnte. Sein Rufen hallte durch Nacht und Nebel.

»Hier! Hier!« Es war die Stimme einer jungen Frau. Blacker erkannte die schemenhaften Umrisse des Körpers, der taumelnd und wankend hinter Nebelfetzen auftauchte. Sofort sprang der Amerikaner nach vorn und entfernte sich aus dem Lichtkreis der Scheinwerfer. Die junge Frau, die offensichtlich auf der Flucht war, konnte kaum noch auf den Beinen stehen. Sie taumelte Blacker in die Arme.

»Schnell!«, keuchte sie. Ihr Atem flog. Schweiß perlte auf ihrer Stirn. »Ist das Ihr Wagen? Wir müssen von hier verschwinden ... sie sind ... hinter mir!« Blacker fragte nicht lange und handelte. Ehe sich die Fremde versah, hielt sie der junge Amerikaner auf seinen starken Armen und war mit drei, vier raschen Sätzen an der Tür. Die langbeinige Fremde hatte Mühe, in den Minicooper zu kommen. »Da muss man das Fahrgestell einziehen«, bemerkte Blacker grinsend. »Tut mir leid, ich hab's nicht größer!«

»Macht nichts! Die Hauptsache, das Ding hier ist dicht, damit sie uns nicht herauszerren.«

Blacker verstand diese Bemerkung zwar nicht, aber er sorgte dafür, dass alles ziemlich schnell über die Bühne ging. Er schlug die Tür hinter sich zu, legte den Gang ein und ließ die Kupplung los.

»Wie schnell soll ich starten?«, fragte er, mit einem raschen Seitenblick auf seine unerwartete Begleiterin. Sie war hübsch. Schätzungsweise zwei- oder dreiundzwanzig. Das Haar trug sie in zwei offenen Zöpfen, was sie noch jünger erscheinen ließ. Kluge Augen, ein sinnlicher Mund, hübsche kleine Nase. »Warten Sie!«, bat die Fremde und wies kopfnickend in die Richtung, aus der sie gekommen war. Am Straßenrand, kaum erkennbar, zeichneten sich die Umrisse mehrerer großer Hunde ab. »Donnerwetter!«, kam es erstaunt über die Lippen des Amerikaners. »Wollten diese Ungeheuer Sie auffressen?«

»Bluthunde«, bemerkte das Mädchen. Ihr Atem war ruhiger geworden. »Ich bemerkte zu spät – fast zu spät – dass das Grundstück von Hunden bewacht wurde. Als ich es merkte, nahm ich die Beine in die Hand. Dann stürmten sie auch schon hinter mir her.« Sie lächelte und musterte den Mann hinter dem Steuer, der ihr das Gesicht zuwandte, mit langem, prüfendem Blick. »Vielen Dank! Sie haben mir das Leben gerettet. Ich muss dem Zufall dankbar sein, dass Sie gerade hier vorbeikamen. Übrigens, mein Name ist Nancy.« Sie streckte ihm die Hand hin. Er ergriff sie.

»Peter«, sagte er und lächelte. »Freue mich, Sie kennenzulernen.« Nancy blickte an der Schulter des Amerikaners vorbei hinaus ins Freie. Der Mini-Cooper rollte langsam an. »Einen Augenblick noch«, bat das Mädchen erregt. »Steuern Sie doch bitte den Wagen so, dass das Licht quer über die Fahrbahn fällt und den Hunden genau entgegenkommt.«

»Können wir, wenn es sein muss.« Blacker drehte am Steuer. Das Licht der Scheinwerfer wanderte über die Straße und ließ sekundenlang die Augen der Hunde aufglühen. Die Tiere wichen sofort zurück, heraus aus dem Lichtkreis, und tauchten lautlos wie Schatten im Dunkeln und Nebel unter. »Das also ist es«, flüsterte Nancy. »Deshalb kamen die Tiere nicht näher. Sie fürchten das Licht.«

»Oder mein großes Auto«, scherzte Blacker.

Das Mädchen schien es nicht gehört zu haben. »Sie sind darauf dressiert, Licht zu meiden. Wenn man das weiß, genügt es schon, das nächste Mal eine starke Taschenlampe aufblitzen zu lassen, um sie sich vom Leib zu halten.«

Blacker nickte anerkennend. »Sie sind eine bemerkenswerte Person, Nancy. Eben erst den Höllenhunden entkommen, und schon spielen Sie mit dem Gedanken, es wieder mit den Viechern aufzunehmen. Ist der Mann, den Sie besuchen wollten, so ein phantastischer Kerl? Vielleicht hat dessen Frau die Bluthunde auf Sie gehetzt?« Nancy lachte. Sie wischte sich über die Stirn. »Haben Sie mal 'ne Zigarette?«, fragte sie. Blacker nickte, reichte ihr eine und zündete sie an, während der Wagen langsam weiterrollte. »Nichts von alledem«, fuhr Nancy fort, während sie tief inhalierte. »Ich bin Journalistin.«

»Oha.« Blacker pfiff leise durch die Zähne. »Dann haben Sie Ihre hübsche Nase wohl zu tief in anderer Leute Dreck gesteckt.«

»So ähnlich. Aber ich muss etwas herausfinden.«

»Ist es so wichtig?«

»Für mich schon. Wohin fahren Sie? Richtung Exeter?«

»Ja. Aber nicht in die Stadt. So weit komme ich nicht. Ihnen zuliebe allerdings ...«

»Nicht nötig«, unterbrach Nancy ihn, ehe er seinen Satz zu Ende brachte. »Je näher ich Blackstone Cottage bin, desto besser. Irgendwo steht noch mein Wagen. Aber die Stelle jetzt bei Nacht und Nebel zu suchen, wäre etwas vermessen. Obwohl ich mehrere Tage hier herumgestrichen bin und mir die Gegend genau angesehen habe, erscheint es mir jetzt in der Dunkelheit zu gefährlich, den Abstellplatz noch zu suchen. Ich komme morgen nochmal her.«

»Dann nehme ich Sie am besten mit ins Hotel.«

»Es gibt nur eins in der Gegend«, erwiderte sie sofort. »Das ist das Hunters. Und dorthin wollen Sie?«

»Wenn es erlaubt ist.«