Larry Brent Classic 028: Das Höllentor - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 028: Das Höllentor E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Das Tor zur Hölle Mit dem letzten Bus erreicht Ellen Mummert die "Green Station". Die einsamen Schritte der Inhaberin eines kleinen Ladengeschäftes hallen durch die leeren nächtlichen Straßen. Noch fast eine Meile Fußweg liegen vor ihr. Eigentlich ist sie nicht unbedingt ängstlich, doch die Zeitungsberichte der letzten Zeit haben sich auch in ihr Gedächtnis gebrannt. Ein Mörder geht um, von der Presse Phantom Würger getauft. Als sie plötzlich in den Büschen vor sich eine Gestalt sieht, bleibt ihr fast das Herz stehen. Monsterbestie Gorho Als die beiden Criola-Brüder nachts in das Haus von Achmed Khaa-Shazaam einsteigen, planen sie einen großen Fischzug und hoffen auf reiche Beute. Doch was auf sie in dem vermeintlich leeren Haus wartet, ist schlimmer als alles was sie sich vorstellen können. Während Rafael das obere Stockwerk durchsucht nimmt sich Nicolas das untere vor. Als Rafael seine Durchsuchung beendet hat wird er stutzig. Kein Geräusch ist von seinem Bruder mehr zu hören, kein Laut dringt aus dem Keller. Als er nach unten geht um nach ihm zu sehen, wird er von einem schwarzen, klebrigen Etwas angegriffen. Im tanzenden Licht der Taschenlampe kann er nicht viel erkennen, nur soviel, das dieses Wesen, das kaum etwas Menschenähnliches an sich hat, eine blutverschmierte und zerkratze Hand hat, die den Ring seines Bruders trägt!

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DAN SHOCKERS LARRY BRENT

BAND 28

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

978-3-95719-828-0

Dan Shockers Larry Brent Band 28

DAS HÖLLENTOR

Mystery-Thriller

Das Tor zur Hölle

von

Dan Shocker

Prolog

Es war der letzte Bus, der um 23 Uhr an der Green Station hielt.

Ellen Mummert griff nach ihrer Handtasche und stieg aus.

»Good night!«, sagte die Dreiunddreißigjährige zu dem Busfahrer, der hinterm Steuer saß und gähnte.

»Night«, reagierte der Mann kurz. Er war froh, dass dies die letzte Fahrt war und er den Bus in die Zentralgarage bringen konnte.

Die junge Engländerin verließ die Station, der Bus hinter ihr fuhr an, und die roten Rücklichter verschwanden in der Nacht.

Ellen Mummert ärgerte sich, dass sie den vorhergehenden Bus verpasst hatte. Aber sie und Nancy hatten sich zu viel zu erzählen gehabt, hatten sich lange nicht mehr gesehen. Die College-Freundin war vor zehn Jahren nach Kanada ausgewandert. Mit einer Touristengruppe unternahm sie eine Reise quer durch Europa. Für einen Tag war ein Aufenthalt in London, ihrer früheren Heimat, vorgesehen. Die Teilnehmer hatten Gelegenheit, einen Einkaufsbummel durch die Metropole zu machen.

Portobello Road, Carnaby Street, Kings Road ... Namen, die Fremden vertraut waren und die ihren Reiz auch auf Einheimische nicht verloren hatten.

In einer kleinen, schicken Boutique in der Kings Road hatten sie sich getroffen, Nancy und Ellen. Nancy als Besucherin, Ellen als Inhaberin des kleinen Ladengeschäftes.

Sie hatten sich sofort wiedererkannt und waren übereingekommen, den Abend gemeinsam zu verbringen. Bis in die letzte Minute waren sie zusammen gewesen. Kurz vor Mitternacht startete dann die Chartermaschine nach Stockholm, mit der Nancy Hiller flog.

Die Schritte der einsamen, nächtlichen Spaziergängerin hallten durch die Allee.

Die Sevenoaks Road war einige Meilen lang, und bis Ellen Mummert nach Pratts Bottom kam, wo sie zu Hause war, musste sie eine Stunde Fußweg rechnen.

Als Kind war sie oft diesen Weg gegangen. Aber sie war kein Kind mehr, und im reiferen Alter machte man sich mehr Gedanken und Sorgen. Die Befürchtung, dass etwas passieren könnte, war nicht von der Hand zu weisen.

Gerade in den letzten Wochen beschäftigte die Menschen in London und Umgebung nur ein Thema: der Phantom-Würger!

Dem Unhold waren bis jetzt insgesamt acht Frauen zum Opfer gefallen.

Er beging seine Taten ausschließlich in den dunklen Country-Alleen, in Parks und auf Waldwegen. Dort überfiel er einsame Frauen, tat ihnen Gewalt an und erwürgte sie dann. Um den Hals der Opfer fand man regelmäßig einen verknoteten BH.

Scotland Yards Jagd nach dem Unheimlichen war bisher ergebnislos verlaufen. Es gab keine präzisen Anhaltspunkte, um den Phantom-Würger zu überführen.

Ellen Mummert fühlte ein unbehagliches Frösteln, als sie daran dachte, dass weit und breit keine menschliche Siedlung war.

Die Dunkelheit rundum bedrückte sie mit einem Mal.

Hinter jeder der windschiefen, uralten Eichen, die den hügeligen Boden beiderseits der Straße flankierten, konnte sich eine einsame Gestalt verbergen und ihre Schritte beobachten.

Unruhe und Nervosität stiegen in ihr auf, und Ellen ertappte sich dabei, dass ihre Blicke öfter zur Seite schweiften und ihr die Phantasie schattenhafte Bewegungen zwischen den Alleebäumen vorgaukelte.

Aber alles war nur Einbildung.

Schließlich war es nicht die Regel, dass sie hier zu später Stunde allein herumlief. Es war ein Ausnahmefall. Und hätte der Phantom-Würger sie in den letzten Tagen eingehend beobachtet, dann wüsste er, dass sie normalerweise mit dem Bus um zehn nach acht an der Green Station eintraf und fünf Minuten später schon in einen Country-Bus umstieg.

Die Luft war kühl und feucht.

Ellen Mummert, etwas beruhigter, schlug den Kragen des hellen Übergangsmantels hoch. Ein kühler Wind streifte ihr Gesicht und rötete ihre Wangen.

Kein Auto kam hinter ihr her, und keines begegnete ihr.

Aber da, wie aus dem Boden gewachsen, nahm sie eine Bewegung wahr.

Ein Mensch!

Aus den Augenwinkeln heraus stellte sie voller Erstaunen fest, dass der Mann drüben nur eine blaugemusterte Hose und ein offenstehendes Sporthemd trug, das einen leichten orangefarbenen Schimmer hatte.

Bei der herrschenden Temperatur und den Witterungsverhältnissen verstand sie das ganz und gar nicht.

Jemand, der längere Zeit unterwegs war, lief nicht so herum!

Und das nächste Haus lag gut eine Meile entfernt, dass man hätte sagen können, der Mann sei nur mal kurz an die frische Luft gegangen.

Da stimmte doch etwas nicht!

Sie schrie auf und erstarrte in der Bewegung.

Die Gestalt, die noch eben drüben gestanden hatte, war verschwunden!

War weg wie ein Spuk.

Ellen Mummert warf den Kopf herum.

Folgte ihr der Fremde, war er schnell und lautlos wie ein Schatten auf diese Straßenseite gekommen?

Aber die Straße hinter ihr war leer. Die gespenstische Episode erfüllte sie mit Schrecken. Sie hatte einen Menschen gesehen, und nun war dieser im wahrsten Sinne des Wortes wie vom Erdboden verschluckt? Gab es so etwas? Oder bildete sie sich das nur ein? Sie begann zu rennen, und das Blut lief wie heiße Lava durch ihren Körper. Ihr Atem flog, bald bekam sie Seitenstechen und musste wieder langsamer laufen.

Ellen war ungefähr hundert Meter weiter, als sie an eine Wegkreuzung kam, die auf der anderen Seite der Straße lag und tief in den Wald führte.

Der Pfad war ausgefahren und ungefähr drei Meter breit. Und dort sah sie den Fremden wieder. Er bewegte sich! Sein helles Hemd hob sich scharf von dem dunklen Hintergrund ab. Sie sah die lebensgroße Gestalt ganz deutlich, die Gesichtszüge, die Haarfarbe, die moderne Frisur. Der Eindruck währte zehn Sekunden lang. Dann verschwand die Erscheinung, löste sich lautlos und schlagartig auf. Ellen Mummert wimmerte leise. Sie war totenbleich, und ihre Nackenhaare sträubten sich.

1. Kapitel

Die Luft war angenehm warm, der Himmel noch strahlend blau. Nur die schrägstehende Sonne kündete den nahen Abend an.

In Acapulco, dem mondänen Strandbad, herrschte an den weißen Ufern und im Wasser um diese Zeit noch viel Betrieb.

Quarmo Lipiades, ein Indio, befand sich seit zwei Tagen in der Stadt.

Rücksichtnahme und Hoffnung darauf, dass er bereit war, ein Geheimnis preiszugeben, das für die PSA von größtem Nutzen sein konnte, hatte die Schwedin Morna Ulbrandson dazu veranlasst, ihm finanziell behilflich zu sein und ihm die Reise von Mexico-City nach Acapulco mit dem Jet zu ermöglichen.

Unter Furcht hatte Lipiades die Hauptstadt verlassen, in der Hoffnung, der Rache des unheimlichen, der Dämonengöttin Rha-Ta-N'my opfernden Raymondo Camaro zu entweichen.

Camaro hatte die Sekte systematisch aufgebaut, und gerade unter den Indianern gab es sehr viele Anhänger, die dem Kult heimlich frönten.

Doch Camaro war unbestritten ihr Meister.

Quarmo Lipiades wusste, dass er ein Gelübde abgelegt hatte, er wusste auch, dass er sein Leben unwiderruflich in Rha-Ta-N'mys Dienst gestellt hatte.

Aber je länger er den Einflüssen des Geheimkultes fernblieb, je öfter er am Strand auftauchte, die frohen Menschen sah und wieder merkte, was das Leben eigentlich für ihn bedeutete, desto fremder und unwirklicher kamen ihm die Dinge vor, die er erlebt hatte.

Quarmo Lipiades lächelte, als er daran dachte, und er war glücklich darüber, dass es ihm gelungen war, den Bann abzustreifen. Es war doch nicht alles so, wie Camaro ihm eingeredet hatte. Man konnte dem Fluch ausweichen, wenn man nur wollte.

Camaro hatte seine Spur verloren!

Lipiades musste wieder an die Begegnung mit der blonden Schwedin denken. Irgendwie, so schien es ihm, war dieses Gespräch merkwürdig verworren und unbefriedigend gewesen. Es hatte Lücken in seinem Gedächtnis gegeben, für die er keine Erklärung gefunden hatte. Er nahm jedoch an, dass dies mit der Anspannung und der Angst zusammenhing, unter denen er während der vorangegangenen Stunden gestanden hatte.

Aber nun vermochte er wieder frei und klar zu denken, der Druck war von ihm gewichen, und er schrieb es der heiteren, beschwingten Atmosphäre dieses Ortes zu, wo er vor Jahren schon als Junge tollkühne Sprünge von den Felsen direkt ins Meer gewagt hatte.

Aus sechzig, siebzig Metern Höhe schnellten die dunkelhäutigen Körper ab, rasten in die Tiefe und es sah aus, als würde sie auf den zerklüfteten, spitzen Felsen, die aus dem gischtigen Wasser ragten, zerschmettern.

Quarmo Lipiades war einer dieser Todesspringer. Gestern, einen Tag nach seiner Ankunft, hatte er zum ersten Mal wieder auf dem Felsen gestanden und in die brausende Tiefe unter sich gestarrt. Ein Gefühl von Abenteuer, Freiheit und Angst war in ihm aufgestiegen. Und dann hatte er es doch wieder gewagt und war gesprungen. Ein Versuch, der ihm als Probe dienen sollte, ob er noch fähig war, seinen Muskeln zu befehlen, seinen Sprung richtig zu bemessen. Einen Fehler konnte man sich nur einmal erlauben. Die Gelegenheit zu einem zweiten gab es nicht mehr.

Für halb sechs hatte Quarmo Lipiades seinen Todessprung in die Tiefe angekündigt. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich stets die Nachricht wenn es wieder ein Mutiger wagen wollte. Danach gab mancher einen Peso, zum Dank dafür, dass er das hatte sehen dürfen und dass alles gutgegangen war. Manchem Sensationslüsternen aber sah man auch an, dass er traurig darüber war, dass es nicht doch schiefgegangen war und es keinen Toten gegeben hatte!

Quarmo stieß sich von der Mauer ab, gegen die er gelehnt stand und von der aus er die Telefonzelle im Auge behielt.

Er wollte noch im Teotihuacan in Mexico-City anrufen und mit der blonden Frau, die sich ihm als Morna Brent vorgestellt hatte, sprechen.

Sicher suchte sie noch immer ihren Mann.

Lipiades wusste etwas über dessen Verbleib und war bereit, darüber zu sprechen. Vor achtundvierzig Stunden noch wäre seine Zunge wie gelähmt gewesen. Es war einem Anhänger Rha-Ta-N'mys streng untersagt, auch nur eine Andeutung über das Ritual und die Menschen zu machen, die dazu auserwählt waren.

Von Brent wusste er, dass er nicht für die Corrida der Dämonen ausgewählt worden war.

Lipiades war Zeuge geworden, wie sie den zu einem Paket verschnürten Larry Brent wieder in das Flugzeug schafften. Einer der Vermummten und der dämonische Torero waren mit der Maschine weggeflogen.

Als Anhänger des Rha-Ta-N'my-Kultes waren ihm andere Indiogruppen bekannt, die ebenfalls die Dämonengöttin verehrten. Er hatte mal etwas davon gehört, dass im Herzen Perus die zentrale Kultstätte Rha-Ta-N'mys wiederentdeckt worden sei. Aber das war mehr ein Gerücht als eine Gewissheit.

Man hatte davon geflüstert, dass das Tor zur Hölle einer kleinen Gruppe von Eingeweihten bekannt sei. Was es jedoch damit und den Wächtern auf sich hatte, wusste niemand von ihnen genau.

Aufgrund seiner Beobachtungen glaubte Quarmo Lipiades, dass der Gesuchte nach Peru verschleppt worden war. Es war ein Verdacht, mehr nicht. Aber dieser Hinweis konnte für Senora Brent, die so gut zu ihm gewesen war, unter Umständen ein entscheidender Schritt sein.

Nach dem dritten Klingelzeichen meldete sich der Portier des Teotihuacan in Mexico-City.

Quarmo Lipiades bat, mit Senora Brent verbunden zu werden.

Er erfuhr, dass sie vor vierundzwanzig Stunden abgereist war.

»Allerdings hat sie eine Nachricht hinterlassen. Für einen Senor Lipiades. So war doch Ihr Name, nicht wahr?«, klang die etwas hohe Stimme des Portiers an das Ohr des Indios.

»Ja, das ist mein Name.«

»Senora Brent hat darum gebeten, Ihnen folgendes zu sagen, wenn Sie anrufen: ein gewisser Senor Raymondo Camaro sei tot, und Sie möchten so gut sein und die folgende Nummer in Mexico-City anrufen.« Der Portier nannte die sechsstellige Zahl. Lipiades musste darum bitten, dass ihm die Nummer wiederholt wurde. Er hatte keinen Kugelschreiber zur Hand.

Er prägte sich die Nummer ein, bedankte sich und legte auf.

Camaro war tot!

Die Nachricht traf ihn wie ein Keulenschlag. Wie war es zu seinem Ende gekommen?

Lipiades hatte noch Zeit, und bevor ihm die Telefonnummer entfiel, wollte er mit der Person sprechen, welche Senora Brent offensichtlich in ihr Vertrauen gezogen hatte.

Doch niemand meldete sich. Da gab Lipiades es auf.

Er ahnte nicht, dass die Nummer in Mexico-City einer Person gehörte, die seit Morna Ulbrandsons Abflug beauftragt war, die Interessen der PSA mit den Fahndungen der inländischen Behörden abzustimmen.

Aber dieser Mann, Franco de Calvados, war nicht zu Hause.

Lipiades verließ die Telefonzelle und schlenderte zu den Felsen hinüber, wo sich eine große Anzahl Schaulustiger eingefunden hatte. Er nahm sich vor, nach seinem Todessprung noch mal anzurufen. In Gedanken sagte er sich die sechsstellige Zahl mehrmals vor und prägte sie sich ein.

Der Pfad, der den Fels hochführte, war schmal und steinig. Am Rand war kurz vor der Absprungstelle ein kleiner Altar mit christlichem Symbol und einer Vase frischer Blumen zurechtgemacht. Die Todesspringer knieten meistens hier nieder und sprachen ein kurzes Gebet, ehe sie auf die Plattform stiegen und sich in die Tiefe stürzten.

Quarmo Lipiades verhielt im Schritt, grüßte nickend zu dem kleinen, aus rauem Stein aufgerichteten Altärchen und ging dann die letzten Schritte zur Felsspitze. Er war ganz in Gedanken versunken, fühlte sich frei und beschwingt. Camaro war tot, und der Bann, dem Lipiades ausgesetzt gewesen war, wurde immer schwächer. Rha-Ta-N'mys schädliche Einflüsse hatten keine Kraft mehr. Er sagte sich von ihr los.

Mechanisch streifte er seine khakifarbene Hose und das bunte Hemd ab. Auf dem Körper trug er eine knapp sitzende, weinrote Badehose.

Lipiades ging bis zur äußeren Felsspitze vor, streckte die Arme aus und konzentrierte sich auf den Sprung.

Sechzig Meter unter ihm donnerte die Gischt gegen die aus dem Wasser ragenden Felsspitzen, bizarre, kahle, feuchte Gebilde, die dort wie Rücken sich duckender Urwelttiere zu lauern schienen.

Die Brandung tobte und brauste.

Quarmo Lipiades hob den Blick und sah weit hinaus auf den Pazifischen Ozean. Blau und klar wie ein unendlicher Spiegel, der in der Ferne den Horizont berührte, lag die Wasserfläche vor ihm. Auf den Felsen gegenüber standen die Schaulustigen. Gebannt starrten sie herüber, als Quarmo Lipiades zum Sprung ansetzte.

Das Ganze war Übungssache und Konzentration. Er musste sich nur fest genug abstoßen, um in weitem Bogen durch die Luft zu fliegen, damit er über die Felsnasen hinauskam, die aus dem Wasser wuchsen.

In dem Augenblick, als er sich machtvoll abstieß, geschah es.

Ein Zittern und Rütteln ging durch den Untergrund. Wellenförmige Bewegungen liefen durch die Erde.

»Die Erde bebt!« Ein gellender Aufschrei erreichte Quarmo Lipiades' Ohren vom gegenüberliegenden Felsen, als sich der Indio bereits abgestoßen hatte und mit Entsetzen feststellen musste, dass dieses schreckliche Naturereignis seinen Absprung beeinflusste!

Die bizarren, zerklüfteten Felsen unter ihm kamen direkt auf ihn zu.

Der Erdstoß dauerte drei Sekunden, und auch die Schaulustigen auf dem Felsen gegenüber spürten das Beben. Sie stoben auseinander, als wäre eine Bombe in ihrer Mitte explodiert.

Aber das Schwanken war nur schwach.

Niemand wurde verletzt oder getötet.

Niemand?

Quarmo Lipiades ruderte wie wild mit den Armen, als er sah, dass der Sprung nicht über die zitternden Erdblöcke hinausführte.

Mit schreckgeweiteten Augen sah er die spitzen Zacken auf sich zukommen.

Sein Körper zerschmetterte auf dem Felsen. Schlaff wie ein nasser Sack lag er auf dem harten, schwarzen Gestein, und die Gischt schwemmte über ihn hinweg und wusch das Blut ab, das aus seinem Leib sickerte.

Die junge Engländerin war froh, als sich das dunkle Haus vor ihr abzeichnete.

Zweihundert Meter davon entfernt, an der kleinen, menschenleeren Straße, die romantisch und verträumt lag, stand eine altmodische Laterne, in deren Lichthof die kleinen, roten Häuser standen.

Ellen Mummert atmete auf, als sie den Schlüssel ins Schloss steckte und in den dämmrigen Flur trat.

Im Haus lebte außer ihr nur noch ihre Mutter. Obwohl noch nicht zu alt, erst Anfang sechzig, hörte sie kaum etwas. Vor drei Jahren hatte ein Nervenfieber fast zum Verlust ihres Gehörs geführt.

Ellen legte den hellen Mantel ab. Darunter trug sie eine glutrote, halbdurchsichtige Bluse mit weißen weiten Ärmeln und eine lange, sandfarbene Hose.

Vor dem Spiegel begutachtete sie ihr Aussehen.

Die Haut war frisch und rosig, man sah ihr den längeren Aufenthalt in der kühlen, feuchten Luft an.

Ellen presste die Lippen zusammen. Ihr Gesichtsausdruck wirkte angespannt. Die Stirn war in Falten gelegt.

Hatte sie sich in ihrer Aufregung täuschen lassen?

War der Mann einfach im Unterholz verschwunden, schnell und lautlos, ohne dass ihr das in ihrer Erregung aufgefallen war?

Zurückblickend kam ihr die letzte Stunde wie ein Traum vor.

Sie konnte sich kaum noch erinnern, so aufgeregt und nervös war sie gewesen.

Ellen Mummert griff zum Telefonbuch, suchte die Nummer von New Scotland Yard heraus und wählte.

Im Zimmer 26 schlug das Telefon an.

Inspektor Stuart Frencly im Sonderdezernat hob den Hörer ab.

Aus dem Zimmer der Telefonleitstelle meldete sich George Bliss. »Da ist ein Anruf für euch, Stuart«, sagte er. »Ein Mädchen glaubt den Phantom-Mörder gesehen zu haben.«

»Stell durch, Georgie«, erwiderte Frencly. Er war vierzig Jahre alt, dunkelhaarig, von untersetzter Statur, für die er seine Schreibtischarbeit verantwortlich machte.

Am anderen Ende der Strippe ertönte die Stimme von Ellen Mummert. Das Mädchen berichtete, was es gesehen hatte.

Das Team arbeitete rund um die Uhr. Hinweisen, die sich vielversprechend anhörten, ging man sofort nach, wenn es sich irgendwie ermöglichen ließ.

Stuart Frencly ließ sich alle Details erzählen, ohne Ellen Mummert einmal zu unterbrechen. Sie konnte eine genaue Beschreibung des Mannes geben, von dem sie vermutete, dass es sich eventuell um den Phantom-Würger handelte. Die verdächtige Person war zweimal kurz hintereinander in der Nähe der einsamen Spaziergängerin aufgetaucht und dann wieder verschwunden.

Ellen gab genau die Stelle an, und Frencly sah auf der Karte nach. Anschließend bedankte er sich für den Anruf, ließ sich noch Ellen Mummerts Privat- und auch die Geschäftsadresse geben, versprach dem Tipp nachzugehen und hängte dann auf.

Merkwürdig war die ganze Sache! Fachleute, die die Mordfälle der vergangenen Wochen genau studiert hatten, waren einhellig der Auffassung, dass es sich bei dem Phantom-Würger um einen Geistesgestörten handelte. Ein solcher konnte ohne Zweifel so herumlaufen, wie Ellen Mummert ihn beschrieben hatte!

Dass der Mann sie nicht ansprach und wie ein Spuk wieder verschwand, gab Frencly ebenfalls zu denken.

Psychologen sprachen bei Triebtätern von einer gewissen Anlaufzeit. Entweder war dieser Zeitpunkt bei dem Phantom-Würger noch nicht wieder gekommen, oder er hatte den furchtbaren Trieb, der ihn seine Taten begehen ließ, bereits zu diesem Zeitpunkt anderweitig abreagiert.

Das aber bedeutete: in den nächsten Stunden oder Tagen würde eine neue Mordmeldung bei New Scotland Yard eingehen und die Tat trüge alle Kennzeichen des Phantom-Würgers!

Der Gedanke an eine solche Möglichkeit ließ Stuart Frencly aktiv werden. Er hatte alles gegeneinander abgewägt und wollte sofort die Gegend in Augenschein nehmen, die Ellen Mummert ihm genannt hatte.

Stuart Frencly griff zum Telefon und wählte die Nummer seines Kollegen Alec Brains. Der war Inspektor wie er, aber von Chiefinspektor Edward Higgins dazu bestimmt worden, die Leitung der kleinen Sonderkommission, die aus insgesamt vier Scotland-Yard-Beamten bestand, zu übernehmen.

Alec Brains wohnte in der Kings Road. In einem der kleinen Häuser, welche Schauspieler, Maler und Schriftsteller bevorzugten, hatte er sein Domizil. Er war eingefleischter Junggeselle, dreiundvierzig Jahre alt, und es war kaum noch damit zu rechnen, dass er jemals den Weg zum Standesbeamten fand. Er strebte das auch gar nicht an und vertrat den Standpunkt, dass es keinen Sinn hatte, sich wegen einer einzigen Frau die Chancen mit allen anderen zu verderben.

Obwohl eine halbe Stunde nach Mitternacht, meldete sich Alec Brains mit einer erstaunlich frischen und ausgeruhten Stimme.

»Nanu?«, wunderte sich Stuart Frencly. »Ferngesehen und so spät noch auf den Beinen? Nach den Strapazen der letzten fünf Tage habe ich nicht damit gerechnet.«

Alec Brains lachte. »Besuch«, sagte er einsilbig. »Da hat man Verpflichtungen.«

Dass sich diese Verpflichtungen in einer attraktiven Blondine mit Schmollmund und einem von der Sonne am Mittelmeer gebräunten Körper niederschlugen, konnte Stuart Frencly nicht wissen.

Die Blondine lag nackt auf dem breiten französischen Bett und hatte die langen Beine ausgestreckt.

Alec Brains saß am Bettrand. Auf dem niedrigen Messingtisch stand der altmodische Telefonapparat, in den er sprach.

Die Blondine zog die Beine an, kraulte den Inspektor im Nacken und hauchte Küsse auf seinen Rücken und seine Schultern.

»Besuch? Okay, ich verstehe. Ich höre die Verpflichtung gerade schnurren. Bist du unter die Katzenfreunde gegangen?«, frotzelte Stuart, der hellhörig geworden war und auch das leise Flüstern vernahm, das eigentlich nur für Alec Brains bestimmt war.

»Für Katzen hatte ich schon immer etwas übrig. Aber plaudern wir nicht unsere Privatangelegenheiten am Telefon aus. Das Gespräch läuft über die Dienstleitung. Wo brennt es?«

Stuart Frencly berichtete von Ellen Mummerts Anruf und von den Gedanken, die er sich im Zusammenhang damit gemacht hatte.

»Und jetzt willst du nachsehen, ob der Bursche immer noch zwischen den Bäumen rumschleicht oder sich vielleicht irgendwo häuslich niedergelassen hat, hm?« Alec Brains seufzte. »Ich bin in einer Viertelstunde drüben. Mach dich reisefertig! Wir nehmen meinen Wagen, der ist dann schon fahrbereit.«

Alec Brains legte auf, erhob sich, griff nach der Decke und zog sie mit einem Ruck nach oben und deckte vorsichtig die Füße von Janette Plusom zu. »Damit du dich nicht erkältest!«, murmelte er. »Die Füße muss man immer schön warm halten.«

Alec Brains fuhr einen taubenblauen Morris.

Der Inspektor kam gut durch die Innenstadt, brauchte jedoch statt der angegebenen Viertelstunde zwanzig Minuten.

Stuart Frencly kam ihm sofort entgegen. Er trug einen Trenchcoat und einen Hut, den er tief in die Stirn gedrückt hatte.

Alec Brains öffnete die Tür, und sein Kollege nahm neben ihm Platz.

Sie passierten den Castle Wood, hielten sich dann weiter links, streiften Eltham und benutzten schließlich die kerzengerade, in die Nacht führende White Horse Hill High Street. Sie passierten das Memorial, erreichten die Chrislehurst Road und kamen endlich auf jenen Teil der Sevenoaks Road, der direkt zur Green Station führte.

Von hier aus hatte Ellen Mummerts Weg Richtung Pratts Bottom begonnen.

Alec Brains fuhr langsam, mit voll aufgeblendeten Lichtern. Es kam ihnen kein Fahrzeug entgegen.

Eine Zeitlang war während der Fahrt ein Wagen hinter ihnen gewesen, aber der war seit der Green Station verschwunden. Offenbar war er die Abzweigung Richtung Cudham gefahren.

Alec Brains und Stuart Frencly beobachteten die aus der Finsternis gerissene Straße, die Seitenstreifen und die in den Wald führenden Wege sehr genau.

Nichts zeigte sich.

Sie fuhren im Schritttempo.

Auf diese Weise erreichten sie die Wegkreuzung, die Ellen Mummert angegeben hatte.

Alec Brains hielt. Die beiden Yard-Beamten verließen den Wagen und sahen sich direkt an der Wegmündung um. Im Schein der Taschenlampe suchten sie den Boden ab.

»Keine Fußspuren«, konstatierte Alec. »Wenn er aber hier gestanden hat, wie die Anruferin behauptet, dann müsste man etwas sehen können.« Er musterte seinen Kollegen. »Ihre Stimme klang absolut überzeugend?«, fragte er zweifelnd.

»Absolut, Alec!«

»Hoffentlich handelte es sich bei ihr um keines jener überspannten Mädchen, die hinter jeder Hausecke oder jedem Baum den Phantom-Würger sehen. Ich habe keine Lust, mir die Nacht um die Ohren zu schlagen, während zu Hause meine Verpflichtungen auf mich warten.« Er zündete sich eine Zigarette an, ohne Stuart Frencly eine anzubieten. Der hatte vor einem guten halben Jahr die letzte Zigarette aus der Hand gelegt und sich geschworen, nie wieder ein Stäbchen anzufassen. Seit dieser Zeit naschte er umso mehr. Manchmal ertappte man ihn dabei, wie er heimlich in die Schreibtischschublade griff und nach einer Praline oder einem Stück Schokolade angelte.

»Gehen wir den Weg entlang«, schlug Stuart Frencly vor. Er fummelte in seiner Manteltasche herum und nahm ein Eukalyptus-Bonbon heraus. Das entfernte Papierchen steckte er fein säuberlich zusammengefaltet in die Tasche zurück. »Wenn er hier gestanden hat, ist er vielleicht auch den Weg gegangen. Hier hat ihn Miss Mummert zum letzten Mal gesehen.«

»Das braucht nichts zu bedeuten.«

Sie gingen nebeneinander her. Der Boden knirschte unter ihren Füßen. Die Bäume warfen lange, gespenstische Schatten, wenn sie von den starken Lampen angestrahlt wurden.

»Hier hinten hat doch Lord Bramhill sein Landhaus stehen«, sagte Stuart Frencly, nachdem sie eine Weile gegangen waren. »Vielleicht hat man dort etwas gemerkt.«

Noch hundert Schritte, und sie standen genau vor dem im viktorianischen Stil errichteten Gebäude. Einstöckig, mit Erkern, gepflegter englischer Rasen, ein offener, blühender Garten. Unter einem überdachten Anbau, von einem streng geschnittenen Heckenzaun umgeben, standen aus unpoliertem Holz grob zusammengezimmerte Stühle, eine Bank und ein großer Tisch, an dem mindestens zwanzig Personen auf einmal Platz nehmen konnten.

Das Landhaus war in L-Form errichtet.

Hinter dem Erker an der Ecke in der ersten Etage brannte Licht, das in dem Augenblick verlöschte, als die beiden Scotland-Yard-Beamten auf der Bildfläche erschienen.

Alec Brains und Stuart Frencly sahen sich an.

»So laut waren wir doch gar nicht, hm?«, meinte Alec.

»Und die Taschenlampen hatten wir auch ausgeknipst«, wunderte sich Stuart Frencly. »Da scheint einer Röntgenaugen zu haben.« Er schob den Hut ein wenig aus der Stirn. »Die Bramhills sind ausgeflogen? Ich bin zwar kein Fachmann für Archäologie, aber ich weiß zumindest doch so viel, dass man aus der Ferne kein Licht ein- und ausschalten kann.«

Eine schwere, schmiedeeiserne Lampe mit bernsteingelbem Glas hing genau über dem Eingang. Aber sie brannte nicht.

Alec Brains betätigte den Türklopfer, der aus oxidiertem Kupfer bestand und einen Löwenkopf darstellte, der die Zunge herausstreckte.

Dumpf dröhnte das Klopfgeräusch durch das stille Haus.

Im selben Augenblick erscholl hinter der Tür ein ohrenbetäubendes Bellen.

Unwillkürlich prallte Alec Brains zurück.

Oben im Erker ging wieder das Licht an. Ein Schatten fiel quer durch das Zimmer. Eine Tür klappte im Haus. Schritte hörte man keine.

»Wer ist da?«, fragte eine ölige Stimme hinter der Tür. Das Bellen brach mit dem Auftauchen des unsichtbaren Bewohners dieses Hauses abrupt ab.

»Scotland Yard«, antwortete Alec Brains.

Er warf seinen Zigarettenstummel auf den Boden und trat ihn mit dem Absatz aus.

»Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass ich bewaffnet bin«, sagte die Stimme hinter der Tür. »Außerdem sind zwei Hunde im Haus. Sie wissen also woran Sie sind, wenn sich herausstellen sollte, dass Sie mir nicht die Wahrheit gesagt haben. In diesem Fall werde ich die Hunde auf Sie hetzen.«

»Wir können uns legitimieren«, sagte Brains und trat einen Schritt zurück, als die Tür spaltbreit geöffnet wurde.

Der Lauf eines Jagdgewehrs zeigte sich im Türspalt. Darunter erschien der große Kopf einer deutschen Dogge. Funkelnde, blutunterlaufene Augen blitzten die beiden Beamten an.

Lautlos schwang die Tür weiter auf.

Nun wurde der Mann sichtbar, der das Gewehr hielt.

Er trug einen dunkelblauen, seidig schimmernden Morgenmantel, war nicht sehr groß und hatte eine würdevolle Haltung.

»Darf ich Ihre Papiere sehen?«, sagte der Gewehrträger. Die deutsche Dogge hockte hechelnd neben ihm, und Speichel troff von den dunklen Lefzen. Sie war groß wie ein Kalb, lohfarben und hielt die beiden Männer im Auge. Der andere Hund war von derselben Rasse. Er stand zwei Meter weiter abseits, als sei er darauf abgerichtet, sofort zu Hilfe zu kommen, wenn der Angriff des ersten unter Umständen fehlschlagen sollte.

Der Mann prüfte den Ausweis. »Ich bin Charles«, sagte er. »Der Butler seiner Lordschaft. Lord und Lady Bramhill sind nicht zu Hause. Ich habe sie auch schon zurückerwartet, aber wahrscheinlich wird es erst morgen so weit sein. Lord Bramhill hatte diesen Abend oder den morgigen als möglichen Rückreisetermin vorgesehen. Bisher ist kein Telegramm eingetroffen, das eine Änderung dieses Termins vorsieht.«

Er reichte den Ausweis zurück. Frenclys Legitimation wollte er erst gar nicht sehen. Er bat die beiden Scotland-Yard-Beamten näherzutreten. Den Hunden gab er einen leisen Befehl, worauf sie sich in den Hintergrund der dämmrigen Halle zurückzogen.

Die Diele war fast so groß wie ein Tanzsaal. Wertvolle Bilder in alten, handgeschnitzten Rahmen, kostbare Teppiche und eine schwere, mit echtem Leder überzogene Polstergarnitur bestimmten den Eindruck, den man von der riesigen, im Halbrund gebauten Diele gewann.

Eine schmale, hölzerne Treppe führte auf eine umlaufende Galerie.

»Wir wollen uns nicht lange aufhalten«, übernahm Alec Brains das Kommando. »Heute Abend wurde an der Wegmündung vorn ein Mann gesehen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass dieser in Verbindung mit einer Anzahl von Verbrechen in Zusammenhang zu bringen ist, mit deren Aufklärung wir derzeit befasst sind.«

Die beiden Yard-Beamten standen mitten in der Halle. Der Geruch von trockenem, verbranntem Kaminholz hing in der Luft.

Butler Charles wies darauf hin, dass er den ganzen Tag über im Haus gewesen sei. »Wenn sich der Fremde in der Nähe aufgehalten hätte, wäre er mir nicht entgangen. Vor allen Dingen hätten die Hunde angeschlagen.«

Diesem Argument konnte man sich nicht entziehen.

Butler Charles machte einen steifen, etwas arroganten Eindruck, und mit hochgezogenen Augenbrauen gab er Antwort.

Alec Brains und Stuart Frencly verabschiedeten sich schon kurz daraufhin wieder.

Zwanzig Schritte vom Haus entfernt blieben sie stehen und beobachteten noch ein paar Minuten aus der Ferne das Landhaus. Sie warteten, bis die Lichter erloschen. Dann gingen sie den Weg zurück, den sie gekommen waren. Sie merkten beide nicht, dass ein dunkles Augenpaar ihre Schritte verfolgte.

Der Mann hinter den Stämmen hielt den Atem an und rührte sich nicht.

Die beiden Scotland-Yard-Beamten verschwanden in der Dunkelheit.

John Duffrean grinste still vor sich hin.

Der rothaarige Ire war mit seiner Leistung wieder mal zufrieden.

Seit einer Woche hatte er genauso wenig Schlaf gehabt wie Alec Brains.

Duffrean war Fotoreporter eines Sensationsblattes. Diese Zeitung lebte von romantischem Klatsch der Fürsten und Königshäuser und von den kleinen Sensationen, die das Leben als Würze mitgab.

Duffrean wusste, dass Scotland Yards Sonderkommission, die Higgins gegründet hatte, kaum noch aus der Arbeit herauskam.

Alec Brains jagte den Phantom-Würger! Und Duffrean war nicht der Mann, der es abwarten konnte, bis offiziell eine Meldung auf den Redaktionstisch flatterte, wo man ihm mitteilte, dass er zur Pressekonferenz eingeladen wurde.

John Duffrean war berühmt und berüchtigt dafür, dass er die unwahrscheinlichsten Bilder brachte. Fotos, die das Königshaus schockierte, Aufnahmen, welche die Betroffenen vor die Frage stellten, wie und wann Duffrean die Aufnahmen geschossen haben könnte.

Duffrean hatte das Gefühl, dass die Sonderkommission unter Leitung von Inspektor Brains bald vor einem entscheidenden Schachzug stand. Und da Duffrean wusste, dass man diesen Schachzug nicht ohne Brains durchzog, brauchte sich Duffrean nur in der Nähe von Brains' Wohnung einzuquartieren und das Haus beobachten oder beobachten zu lassen.

Nur zwei Häuserblöcke weiter, auf der anderen Seite der Kings Road, neben einer Bank und einem Schnellimbiss, gab es ein kleines altes Hotel.

Henrys Old Inn hieß der Laden. Henry, der mit seiner Inn gealtert war, hatte zwar noch fünf Zimmer anzubieten, aber darin gediehen selbst nicht mal mehr die Wanzen. Henry war dem Whisky verfallen und hatte das kleine Hotel, das vor dreißig Jahren in der Innenstadt noch gern besucht wurde, ziemlich weit herunterkommen lassen.

Jetzt war er auf ein paar Stammgäste, die selbst nicht viel Geld hatten und oft anschreiben ließen, angewiesen.

Die Zimmer standen meistens leer, wenn nicht hin und wieder eine Dirne einen Unterschlupf brauchte oder für ein paar Stunden ein Bett mietete, um mit einem Freier ihren Beruf auszuüben.

Durch diese kleinen Finanzspritzen hielt sich Henry finanziell über Wasser. Aber es war nur noch eine Frage der Zeit, bis das kleine, originelle Hotel aufgegeben werden musste. Der Laden war total verschuldet.

John Duffrean, der London wie seine Hosentasche kannte, schaltete sofort. Er steckte Henry eine Zehnpfundnote zu, mit der er das Zimmer zunächst für eine Woche mietete, ohne es allerdings ständig zu benutzen. Für fünf Pfund extra übernahm der alte Henry stundenweise Wache am Fenster, blickte durch den Feldstecher und brauchte nur zu melden, wann Brains abends nach seiner normalen Dienstzeit noch mal das Haus verließ.

Duffrean hatte in dieser Nacht jedoch selbst Brains Weggang bemerkt und sofort seinen Mini-Cooper bestiegen. Mit ihm war er den beiden Männern von Scotland Yard gefolgt.

Da auch außerhalb Londons noch genügend Verkehr herrschte, war nichts von seiner Verfolgung bemerkt worden.

Erst in der Höhe der Green Station war die Straße ziemlich einsam geworden.

Duffrean war weiter zurückgeblieben, um nicht die Aufmerksamkeit der Vorausfahrenden zu erregen.

Schließlich hatte er sich dazu entschlossen, die Autolichter zu löschen, und so war sein vollkommen dunkles Fahrzeug Brains' Morris gefolgt.

Er hatte immer genügend Abstand gehalten, um nicht bemerkt zu werden. Als er die Bremslichter sah, blieb er selbst stehen und wartete den weiteren Lauf der Dinge ab.

Es wunderte ihn, dass die beiden Yard-Beamten den Wagen verließen und den Weg entlang gingen, der zu Lord Bramhills Landhaus führte.

Was hatte das zu bedeuten?

Als die beiden Beamten verschwunden waren, startete Duffrean. Er hatte seinen Mini hundert Meter entfernt in einen anderen, normalerweise nur für Fußgänger bestimmten Waldweg gefahren und dort abgestellt. Zu Fuß war er dann Brains und Frencly nachgeschlichen und Zeuge des nächtlichen Besuchs bei Butler Charles geworden.

Duffrean konnte sich keinen Reim darauf machen.

Er betrachtete die Kamera, die er langsam in die Ledertasche gleiten ließ und die er immer umhängen hatte, wenn er auf Fotojagd war.

Er hatte mehrere Aufnahmen gemacht. Brains und Frencly würden ihn verteufeln, wenn sie diese Bilder bei Gelegenheit in einem groß aufgemachten Sensationsbericht entdecken würden.

John Duffrean arbeitete mit einem infrarotempfindlichen Film und einem Spezialobjektiv. Und dieses Knusperhäuschen hier im Wald wollte er sich gut merken.

Im Begriff, seinen Beobachtungsplatz zu verlassen, zuckte er zusammen.

Auf dem Weg vor dem Haus erblickte er eine Gestalt, die sich der flachen Treppe näherte.

John Duffrean, gewohnt schnell zu reagieren, hielt wie durch Zauberei die Kamera in der Hand.

Klick – eine Aufnahme war geschossen.

Die zweite ...

Was hatte der Fremde hier zu suchen? War das der Mann, den Brains und Frencly erwartet hatten, den sie hier im Haus des Lords zu treffen beabsichtigten?

Duffrean senkte den Blick. Er wollte eine Nahaufnahme schießen und das Objektiv neu einrichten.

Er musste den Blickwinkel verändert haben. Er sah die Gestalt nicht mehr.

John Duffrean warf den Kopf in die Höhe. Der Weg vor ihm war leer.

Der Ire biss die schmalen Lippen zusammen.

Er lauschte in die Nacht. Der Mann war entweder durch einen geheimen Eingang im Haus verschwunden oder er war in der Dunkelheit untergetaucht.

Alles in der Nähe ringsum war totenstill. Kein Zweig knackte. Die Hunde im Haus verhielten sich ruhig.

Nach einer Viertelstunde verließ Duffrean seinen Beobachtungsplatz. Der Fremde war nicht wieder aufgetaucht. Aber die Episode war interessant und ungewöhnlich genug, um die Phantasie des Sensationsreporters anzuregen.

Er fuhr in dieser Nacht in seine Wohnung in der Baker Street.

Dort angekommen machte er sich sofort in der Dunkelkammer zu schaffen, um den Film zu entwickeln.

John Duffrean erlebte in dieser Nacht seine zweite Überraschung.

Die ersten Bilder waren ausgezeichnet. Deutlich waren Brains und Frencly zu sehen, wie sie vor Lord Bramhills Landhaus standen, Butler Charles mit dem Jagdgewehr zwischen dem Türrahmen, die beiden deutschen Doggen, die zähnefletschend die Szene belebten.

Aber dann kamen die Bilder, die er von dem unbekannten Mann geschossen hatte.

Nur der Weg war darauf zu sehen, im Vordergrund das runde Blumenbeet, im Mittelpunkt des Bildes die Tür des Hauses. Kein Mensch davor. John Duffreans Lippen entrann ein leises Stöhnen. Alle drei Bilder waren einwandfrei, zeigten aber nicht die Hauptperson, auf die es ihm ankam.

Wachte oder träumte er?

Ein furchtbarer Verdacht stieg in ihm auf.

Er hatte etwas gesehen, was der Film nicht registrierte!

Wer immer es auch gewesen sein mochte, den er vorhin beobachtet hatte, es konnte sich um keinen Menschen aus Fleisch und Blut handeln!

2. Kapitel

X-RAY-1 hörte sich die Bandaufnahme an, die ihm der mexikanische Nachrichtendienst überspielt hatte. Aufmerksam lauschte der Mann mit dem grauweißen Haar und der dunklen Brille der ruhigen, berichtenden Stimme.

»Die sofort eingesetzte Untersuchungskommission hat die Arena auf der Halbinsel Yucatan Zentimeter für Zentimeter abgesucht. Dabei ist man auf Höhlen gestoßen, die vor kurzer Zeit offensichtlich noch von einzelnen Indios bewohnt gewesen sind, aber nun verlassen waren. In den brüchigen Mauern eingemauert fand man neun männliche Leichen!« Es folgten die Namen der identifizierten Personen. Larry Brent befand sich nicht unter ihnen. Der Sprecher erwähnte die ausgedehnten Suchaktionen im Gebiet der Arena, in der Menschen offensichtlich wie Stiere getötet worden waren.

Morna Ulbrandsons Einsatz in Mexico-City hatte einen Erfolg gebracht. Aus dem geheimnisvollen, unvollständigen Buch, von dem Teile in aller Welt verstreut existieren sollten, hatte die schwedische Mitarbeiterin der PSA zwei Seiten aufgetrieben, die von Camaro und der Greisin Rosana Getaboje benutzt worden waren.