Larry Brent Classic 039: Zombies - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 039: Zombies E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Mordaugen Mehrere Liebespaare sind in der Gegend zwischen New York und Akersfield verschwunden. Überhaupt kommen zu dieser Zeit einige Menschen abhanden - u.a. Mike Coogan, der seinen Freund um ein Treffen am Telefon noch in derselben Nacht bittet, er taucht nicht wie versprochen Minuten später bei ihm auf, sondern erst nach drei Tagen. Er spricht von einem Gespensterhaus in Irland und einer dämonischen Familie, die sich die Crowdens nennen und die mit ihren leeren Augenhöhlen Menschen töten können, indem sie diese einfach nur anstarren - mit diesen Dämonen in Menschengestalt ist er vor einem Jahr in Kontakt getreten, und einer der Nachkommen agiert jetzt wohl in der Nähe von New York. Zombie-Wahn Die Fernseh-Journalistin Chantale de Loire hat auf dem alten Friedhof des kleinen französischen Ortes Montmirail ein unheimliches Erlebnis. Eigentlich möchte sie nur das Grab ihres Großvaters begutachten, doch muss sie bei ihrem nächtlichen Besuch auf dem vergessenen Totenacker feststellen, dass die dort Ruhenden nicht in ihren Gräbern bleiben wollen. Mehrere grässlich anzuschauende Zombies veranstalten schließlich eine Hetzjagd auf die junge Dame ...

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DAN SHOCKERS LARRY BRENT

BAND 39

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

978-3-95719-839-6

Dan Shockers Larry Brent Band 39

ZOMBIES

Mystery-Thriller

Mordaugen

von

Dan Shocker

Prolog

Als das Telefon schrillte, wusste er im ersten Augenblick nicht, ob er träumte oder ob es wirklich so war. Dr. Brian Flatcher fluchte leise vor sich hin, tastete im Dunkeln nach dem Hörer und merkte, dass der Apparat wirklich anschlug.

Der Arzt meldete sich verschlafen.

»Ich bin's, Mike ...«, sagte eine gepresst klingende Stimme. »Brian! Ich muss dich sprechen.«

Flatcher richtete sich unwillkürlich auf, und zwischen seinen Augen entstand eine steile Falte. Er fragte nicht: Was, jetzt, mitten in der Nacht? Kannst du dir denn keinen anderen Zeitpunkt dafür aussuchen? Er sagte:

»Worum geht's, Mike? Du weißt, dass ich immer ein offenes Ohr für dich habe.«

»Es geht mir schlecht ... da ist etwas, worüber ich unbedingt mit dir sprechen muss. Kann ich zu dir kommen?«

»Bist du krank?«

»Nein.«

»Deine Stimme klingt so merkwürdig.« Brian Flatchers Miene wirkte ernst. »Hast du Schmerzen?«

»Nein.«

»Was ist es denn?«

»Ein Problem. Ich muss noch heute Nacht darüber Klarheit gewinnen. Jede Stunde, die ich länger zögere, macht alles noch viel schlimmer. Niemand weiß es bisher. Du sollst es als erster wissen. Ich brauche deinen Rat. Was dabei herauskommt, entscheidet das Schicksal vieler Menschen.«

Flatcher verzog die Mundwinkel. Mikes Äußerung klang beinahe feierlich. Der Arzt wusste, dass Dr. Mike Coogan in der Forschung an geheimen Projekten für die Regierung arbeitete. Ob es damit zu tun hatte?

»Rufst du von zu Hause an?«, fragte er statt dessen, um den Faden nicht abreißen zu lassen. Er spürte, dass Mike einen Gesprächspartner brauchte, dass er Verständnis suchte.

»Nein, das wäre mir zu gefährlich.«

»Gefährlich?« Flatcher meinte, sich verhört zu haben. »Wen hast du denn zu fürchten?«

»Viele, Brian. Stell dich schon jetzt auf eine gruselige Nacht ein. Was ich dir zu sagen habe, sprengt dein Vorstellungsvermögen. Für zartbesaitete Gemüter ist das nichts, aber nicht hier am Telefon. Ich bin in einer Viertelstunde bei dir.«

Brian Flatcher wunderte sich. »Dann bist du schon ziemlich nahe an meinem Haus ...« Mike Coogan wohnte sechzig Meilen von Flatchers Wohnort entfernt.

»Genau, Brian. Tut mir leid, dass ich dir auf die Nerven falle ...«

»Du fällst mir nicht auf die Nerven.«

»Du hast deine Nachtruhe nötiger als ich. Schließlich kommt es bei dir öfter vor, dass du zu Kranken gerufen wirst. Und diesmal bin ich an der Reihe, dir eine oder zwei Stunden zu rauben. Ich habe nichts anderes auf dem Herzen, als dir etwas zu erzählen. Ich muss es einfach loswerden.«

»Ich erwarte dich.«

Wenn Mike Coogan nicht mal seine charmante Frau zu Rate zog, dann hatte das viel zu bedeuten. Mehr allerdings konnte auch Dr. Flatcher sich unter den geheimnisvollen Andeutungen seines Freundes, der mit ihm die Yale-Universität besucht und wie er dort promoviert hatte, nicht vorstellen.

»Das ist nett von dir. Vielen Dank! Ich komme sofort ...« Das waren Mike Coogans letzte Worte. Dr. Flatcher legte auf und hörte nie wieder etwas von seinem Freund. Er wartete in dieser Nacht vergebens. Mike Coogan kam nicht.

1. Kapitel

Der Mann hinter dem nierenförmigen Schreibtisch wirkte auf den ersten Blick sympathisch.

Er sah so aus, dass man selbst als Fremder sofort Vertrauen zu ihm fassen konnte. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass er eine dunkle Brille trug.

Der Mann war blind. Sein Name, David Gallun. Er war Leiter und Initiator der PSA, er hatte sie ins Leben gerufen, er war der geheimnisvolle X-RAY-1, der im Hintergrund die Fäden zog, dessen wahre Identität nur ganz wenigen Menschen bekannt war. Die Agentinnen und Agenten der PSA kannten ihren Chef nicht persönlich. Nur seine Stimme, wenn er sich über den PSA-eigenen Funksatelliten meldete, war ihnen bekannt.

David Gallun alias X-RAY-1, grauhaarig, väterlich, nahm in seinem Büro die neuesten Meldungen entgegen. Auf dem Schreibtisch standen mehrere moderne, flache Tonbandgeräte, in die Platte waren Mikrofone eingelassen, aus einem Schlitz glitt eine silberfarbene Metall-Folie, auf der in Braille-Schrift die entscheidenden Begebenheiten dieses Tages eingestanzt waren.

Außergewöhnlich schnell tastete der Blinde die Folie ab.

Seine Miene war ernst und verschlossen.

»Donald Richardson«, murmelte er, »verschwunden auf der Fahrt nach Hause. Sein Verschwinden ist rätselhaft, und es gibt keine vernünftige Erklärung dafür ... Richardson wurde noch gesehen, als er in seinen Wagen stieg und die Stadt verließ. Auf einer Ausfallstraße wurde er von einem Labor-Kollegen überholt. An der nächsten Kreuzung musste dieser Mann halten. Allen Gesetzen der Logik zufolge hätte wenig später auch Richardsons Wagen aufschließen müssen. Eine Kreuzung, auf der er in eine andere Richtung hätte fahren können, gab es nicht. Mister Borgh, Doktor der Physik und der Chemie, zeigte sich darüber überrascht und sagte auf der Polizei aus, dass eine Täuschung unmöglich wäre. Donald Richardsons Auto hätte an ihm vorbeikommen müssen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Aber der Wagen verschwand spurlos ...«

David Gallun nagte an seiner Unterlippe.

Dass Menschen auf rätselhafte Weise spurlos verschwanden, war keine Besonderheit. Überall in der Welt gab es solche Fälle, die die untersuchende Behörde immer wieder vor unlösbare Probleme stellte. Mehrere tausend Menschen tauchten Jahr für Jahr unter, ihr Schicksal wurde nie geklärt. Dabei handelte es sich eindeutig nicht um Verbrechen, wie entsprechende Untersuchungen bewiesen. Die auf rätselhafte Weise Untergetauchten waren angeblich in Risse und Spalten gerutscht, die die Dimensionen voneinander trennten. Sie verschwanden in anderen Räumen oder anderen Zeiten. Etwas Genaues wusste niemand. Bisher gab es nur Vermutungen.

Die Computer der PSA, von den Angehörigen der großen und schlagkräftigen Organisation scherzhaft »Big Wilma« und »The clever Sofie« genannt, speicherten die eingehenden Angaben.

Am Abend traf eine weitere, sehr ähnliche Meldung ein. Sie betraf einen gewissen Mike Coogan, der mit seinem Team an der Entwicklung neuer biologischer Waffen arbeitete und im Auftrag der Regierung in einem Betrieb tätig war. Auch Coogan war auf rätselhafte Weise verschwunden. Es gab eine Aussage seiner Frau Sue, die behauptete, er hätte sehr unruhig geschlafen. Dann sei er aufgestanden, um noch ein wenig im Garten spazierenzugehen ...

Von diesem Spaziergang war er nicht mehr zurückgekehrt.

Die zuständige Polizei hatte den Garten und die nähere Umgebung des Hauses gründlich abgesucht. Es gab keine Spuren von Gewalttätigkeit.

Hatte sich auch für Mike Coogan zufällig ein Spalt zwischen den Dimensionen geöffnet? War er ins Nichts gefallen? Irrte er durch ein anderes Universum, ohne jemals die Chance einer Rückkehr zu haben?

Einen Moment hielt David Gallun inne, starrte sinnend vor sich hin und schien vergessen zu haben, dass er die Folie mit der in Blindenschrift verfassten Botschaft noch immer in Händen hielt.

Auf der Schmalseite der Tischplatte befanden sich an seinem Sitzplatz mehrere Tasten. Eine davon betätigte er. Ein Mikrofon glitt langsam aus der Vertiefung.

»Hallo, Bony? Kannst du mich hören?«, fragte X-RAY-1.

Aus einem verborgenen Lautsprecher meldete sich gleich darauf eine klare Stimme. »Ja, Sir. Was kann ich für Sie tun?«

»Ich verlasse in wenigen Minuten das Büro. Wir werden nicht nach Hause fahren, Bony. Bereite dich schon mal seelisch auf eine größere Fahrt vor. Ich möchte mir gern das Anwesen und die Frau von Mister Coogan näher ansehen.«

Dass er »ansehen« sagte, passte nicht zu einem Mann, dessen Augen keine Bilder wahrnehmen konnten. Und doch störte sich der Empfänger, an den diese Worte gerichtet waren, nicht daran.

Er wusste, dass David Gallun eine andere Möglichkeit hatte, Menschen zu überprüfen. Er war ein Empath, das bedeutete, dass er Stimmungen und Gefühle anderer wahrnehmen konnte. Das Schicksal hatte ihn seines Augenlichts beraubt, ihm gleichzeitig eine andere Gabe zuteil werden lassen. Dass er sich dafür interessierte, in der Nähe Sue Coogans zu sein, schien seinen Grund zu haben ...

Ronald Pokins warf einen Blick auf die beleuchtete Skala der Uhr am Armaturenbrett.

»Noch zehn Minuten, Darling«, sagte er ruhig. »Dann sind wir da.« Seine Worte waren noch nicht verklungen, da gab es einen Knacks im Motor. »He?«, entfuhr es Pokins. »Das Ding wird uns doch jetzt nicht im Stich lassen. Noch acht Meilen bis zu Mary, die werden wir doch wohl noch schaffen ...«

Wie er es sagte, klang es nicht sehr überzeugend.

Das hatte seinen Grund.

Schon so oft hatte der alte Ford aus den fünfziger Jahren das Ehepaar im Stich gelassen. Aus unerfindlichem Grund jedoch konnte sich Ronald Pokins nicht von dem »guten alten Stück« trennen, wie er immer wieder betonte. Er steckte Unsummen in Reparaturen, um das schwarze Vehikel, von dem Linda Pokins sagte, es sehe aus wie ein »fahrender Sarg«, zu erhalten.

Linda Pokins, eine attraktive Vierzigerin, hielt den Atem an.

»Wenn wir jetzt auf der Strecke liegenbleiben, wäre das fatal, Ron«, murmelte sie.

»Mit ein wenig Rückenwind müsste es noch zu schaffen sein«, entgegnete Pokins. Aber auch sein Scherz vermochte die eingetretene Entwicklung nicht mehr zu beeinflussen.

Die Geschwindigkeit sank rapide, plötzlich stand der Wagen. Trotz mehrmaliger Versuche ließ er sich nicht mehr starten.

Ronald Pokins zerdrückte einen Fluch zwischen den Zähnen.

Linda strich sich das lose in die Stirn fallende Haar zurück. »Mary wird sich Sorgen machen.«

Mary war ihre unverheiratete Schwester. Sie wohnte in Akersfield, einem kleinen Ort, in dem nur wenige hundert Menschen lebten und der auf keiner Landkarte verzeichnet war. Akersfield lag knapp 200 Meilen nördlich von New York.

Mary war vor einer Woche erkrankt und hatte Linda gebeten, während der Zeit ihrer Krankheit zu ihr zu kommen.

Linda Pokins war sofort aufgebrochen. Sie hatte ein besonderes Verhältnis zu ihrer um fast 20 Jahre älteren Schwester, die praktisch Mutterstelle bei ihr eingenommen hatte.

Schwester Mary lebte auf einer alten Farm, die längst nicht mehr bewirtschaftet wurde. Mary hatte sie seinerzeit erstanden und für Reisende ein Motel daraus gemacht. Nach dem Neubau der Umgehungsstraße war eine Geschäftsflaute eingetreten. Die Kunden blieben aus, denn um nach Akersfield zu gelangen, hätten sie einen Umweg machen müssen. Das Motel geriet in Vergessenheit. Mary, die die Einsamkeit liebte, blieb in Akersfield.

Ronald Pokins seufzte. »Tut mir leid, da ist nichts zu machen ...« Er starrte auf die nächtliche Straße, die schmal und kerzengerade zwischen dichtstehenden Alleebäumen verlief.

In den schwarzen Wipfeln bewegte der Wind raschelnd die Blätter.

Weit und breit war Einsamkeit. Kein Fahrzeug kam ihnen entgegen, keines hinter ihnen her.

»Ich geh zurück«, sagte Ronald Pokins unvermittelt. »Etwa eine Meile zurück habe ich zwischen Bäumen Lichter gesehen. Beleuchtete Fenster in einem einsam stehenden Haus.«

Auch Linda erinnerte sich sofort wieder daran. »Willst du wirklich ...«

Ronald ließ sie nicht ausreden. »Eine andere Möglichkeit gibt es nicht, das weißt du. Ich werde von dort aus eine Reparaturwerkstatt anrufen. Du weißt ja, dass ich von technischen Dingen nichts verstehe ...«

»Umso schneller müsstest du dich von der Klapperkiste trennen«, konnte Linda sich die Bemerkung nicht verkneifen.

»Warte hier auf mich, Darling«, entgegnete er, ohne auf ihre Worte einzugehen. »Schließ sämtliche Fenster von innen. Man weiß nie, wer vorbeikommt.«

Er griff nach hinten. Auf dem Rücksitz lag sein Regenmantel. »Ich nehme ihn vorsorglich mit ... Es sieht nach Regen aus.«

»Beeil dich.«

»Natürlich.« Er schlug die Tür zu, schlüpfte in den grauen Gummimantel und zog den Hut tiefer in die Stirn. Die ersten Tropfen klatschten schwer auf das Wagendach und gegen die Windschutzscheibe.

Ronald Pokins schlug eine schnellere Gangart an.

Seine Frau drückte die Sicherungsknöpfe an allen vier Fenstern herunter. Die Temperatur in dem Pannenfahrzeug sank rasch. Fröstelnd schlüpfte Linda Pokins in ihre Wollweste und probierte während der Abwesenheit ihres Mannes mehrere Male, den Ford zu starten. Doch der Motor gab keinen Laut von sich.

Linda Pokins war im Innern des dunklen Fahrzeuges eingesperrt. Unbehagen erfüllte sie, und sie konnte die aufkommende Furcht plötzlich nicht mehr unterdrücken. Sie wusste nicht, was es war, aber der Gedanke, dass sie ihren Mann nicht mehr lebend sehen würde, war so stark, so intensiv, dass ihr Herzschlag raste, und kalter Schweiß auf ihrer Stirn perlte.

Einen Moment hatte Linda Pokins das Gefühl, laut schreien zu müssen.

Schon zuckte ihre Hand nach dem Sicherungsknopf, um ihn hochzuziehen. Linda wollte Ronald zurückrufen, um ihn zu warnen und um nicht allein zu sein. Im letzten Augenblick hielt sie inne. Sie fasste sich an die Stirn und fragte sich, ob sie noch bei Verstand war. Mit einem Mal schien ihr das eigene Verhalten lächerlich.

Linda Pokins atmete tief durch und zwang sich zur Ruhe.

Sie starrte zwischen den dunklen, am Straßenrand stehenden Bäumen hindurch und versuchte, nicht mehr an ihre Angst zu denken.

Doch das war leichter gesagt als getan.

Die Angst war noch immer da, verstärkte sich sogar noch, als die Frau sah, dass sich zwischen den Bäumen etwas bewegte ...

Also doch! Sie wurde beobachtet und im Innern des Ford wurde es ihr mit einem Mal entsetzlich eng ...

Ronald Pokins zog die Schultern hoch, hielt den Kopf gesenkt und lief den Weg zurück, den sie gefahren waren.

Der Regen rauschte herab, und der Mann wurde trotz des Gummimantels nass. Das Wasser spritzte an seinen Hosenbeinen hoch.

Er lief so schnell er konnte, ohne auch nur ein einziges Mal einen Blick zurückzuwerfen. Selbst wenn er das getan hätte, würde er das Pannenfahrzeug nicht mehr wahrgenommen haben. Es war von Dunkelheit und Regen verhüllt.

Pokins hielt Ausschau nach dem beleuchteten Haus. Plötzlich sah er schwaches Licht durch die Baumreihe schimmern.

Von der Straße führte ein schmaler Weg zwischen den Bäumen durch. Diesen hatte Ronald Pokins beim Vorbeifahren nicht wahrgenommen.

Er lief ihn entlang.

Der stärker aufkommende Wind peitschte die prallen, schwarzen Wolken am nächtlichen Himmel.

Das kleine Haus wirkte mit seiner dunklen Fassade, den Erkern und den schmalen hohen Fenstern wie ein Relikt aus einer anderen Zeit.

Ein hölzerner Zaun umgab das Grundstück, das sich von der Umgebung des Waldes kaum unterschied. Hinter dem Zaun wuchsen Birken und Ahorn, ein schmaler Trampelpfad führte zum Eingang. Das Haus war einstöckig, aus dem Dach ragten mehrere Gauben.

Hinter dem schmalen Gebäude vernahm Ronald Pokins leises Rauschen, wie wenn ein kleiner Bach vorbeiströmte.

Der Mann aus New York suchte die Klingel. Es gab aber keine.

Das Tor war angelehnt. Es schien, als würde das Haus ihn erwarten.

Doch darüber machte sich Pokins keine Gedanken.

Er stieß die Tür auf und lief den Trampelpfad, der durch den heftigen Regen aufgeweicht war, auf das einsame Haus zu.

Dort gab es einen Klingelknopf, und auf einem verwitterten Schild stand der Name »Link«.

Die vier Sandsteintreppen waren durch einen Vorbau überdacht, in dem sich ein kleines rundes Fenster befand.

Pokins gewann den Eindruck, dass genau über der Treppe ein handtuchschmales Zimmer sein musste.

Er warf jedoch keinen Blick nach oben, denn er war heilfroh, endlich dem strömenden Regen zu entrinnen.

Hätte er nach oben gesehen, wäre ihm das bleiche Gesicht mit den schwarzen, wie ausgebrannt wirkenden Augen aufgefallen, das sich für eine Sekunde dort zeigte ...

Er betätigte den Klingelknopf.

Pokins fuhr zusammen. Die Tür öffnete sich in dem Moment, als er die Hand vom Knopf zurücknahm.

Auf der Schwelle stand eine alte Frau.

Ernst war ihr welkes Gesicht, das schlohweiße Haar hochgesteckt, und sie starrte ihn aus kleinen, schwarzen Augen an.

»Aber woher ...«, begann Pokins verwirrt, »wieso ...«

»Ich hab Sie kommen sehen«, fiel ihm die Alte ins Wort. »Was wünschen Sie?«

Er war über ihre ungewöhnliche Reaktion überrascht.

Sie zeigte sich weder erstaunt darüber, dass er hier zu später Stunde auftauchte, noch fragte sie, wer er sei.

»Ich habe eine Autopanne«, erwiderte Pokins mechanisch. »Der Wagen steht in Richtung Akersfield. Wir sind noch etwa acht Meilen von dort entfernt. Meine Frau wartet im Auto. Beim Vorbeifahren habe ich dieses Haus und das Licht hinter den Fenstern bemerkt. Ich bin zurückgelaufen in der Hoffnung, hier ein Telefon benutzen zu können, um die nächste Reparaturwerkstatt zu verständigen.«

»Ein Telefon haben wir und benutzen dürfen Sie es auch. Bitte kommen Sie doch herein.« Die alte Dame trat zur Seite. Sie hatte vor dem Fremden keine Furcht und stellte auch jetzt noch keine Fragen. Pokins fing an, sich unbehaglich zu fühlen. Unwillkürlich musterte er seine Umgebung genauer.

Die kleine Diele, in die er trat, hatte eine dunkle Holzdecke, an der eine altmodische, mit buntem Stoff bespannte Lampe hing. Sie spendete müdes Licht. An der Wand rechts neben der Tür stand ein dunkler Eichenschrank. Er hatte die Farbe der Türen und war mit aufwendiger Schnitzerei versehen. Der massive Schrank war zu wuchtig für den kleinen Raum, so dass dieser noch enger und düsterer wirkte. Die Türen mündeten in die Diele, eine steile Treppe führte einen Stock höher. Dort oben herrschte ziemliche Dunkelheit.

»Sie sind Missis Link, nicht wahr?«, fragte Pokins mechanisch, nur um überhaupt etwas zu sagen.

»Ja«, lautete die einsilbige Antwort. »Gehen Sie geradeaus zur angelehnten Tür. Das Telefon steht im Wohnzimmer.«

Sie schob den Riegel am Haustürschloss nach vorn.

Pokins kam es komisch vor, der alten Frau vorauszugehen, aber der Weg am Schrank vorbei war so eng, dass zwei Personen gleichzeitig nicht nebeneinander gehen konnten.

»Wohnen Sie allein im Haus?«

»Ja.«

Sie hatte keine Scheu, ihm dies zu bestätigen. Der Gedanke, dass er möglicherweise mit ganz anderen Absichten gekommen sei, dass er ihre Lebenssituation kannte, schien ihr überhaupt nicht zu kommen.

Alte Leute, zumal wenn sie allein lebten, waren von Natur aus misstrauisch. Mrs. Link schien ein solches Misstrauen nicht zu kennen. Oder, sie fühlte sich sicher ... Die Frau erschien ihm umso rätselhafter, je länger er sich in ihrem Haus aufhielt.

»Es ist sehr nett von Ihnen, dass Sie mir die Möglichkeit bieten, anzurufen. Ich hoffe, dass alles klappen wird.«

»Rufen Sie bei Jim an«, warf Mrs. Link ein. Sie drückte die angelehnte Tür ganz auf. Im dahinterliegenden Raum standen englische Stilmöbel. Es brannte eine dreiflammige Stehlampe. Auf dem Schirm aus vergilbtem Pergament war eine Reiterszene abgebildet.

»Wer ist Jim?«

»Er besitzt die kleine Tankstelle, etwa 12 Meilen von hier entfernt. Nebenbei macht er auch Reparaturen.«

»Ob mir damit gedient ist, wage ich zu bezweifeln, Missis Link. Ich brauche einen Fachmann, der weiß, wo's langgeht. Mein Auto ist nicht mehr das jüngste.«

»Jim ist Tüftler. Schwierige Probleme sind seine Spezialität ... Moment, ich such Ihnen die Nummer heraus. Ich glaube, dass Sie auf diese Weise am schnellsten zum Ziel kommen.«

»Vielen Dank! Sie sind sehr nett, Missis Link.«

Die Frau winkte ab und lief mit kleinen Schritten zu dem flachen, runden Tisch, auf dem das Telefon stand. Auf einer Ablage darunter stapelten sich Zeitungen, Versandhauskataloge und Telefonbücher.

Während die Alte in einem Telefonbuch blätterte, sah sich Pokins um. Eine antike englische Standuhr tickte dumpf und monoton und erfüllte mit ihren Schlägen das stille, einsame Haus. Die Schatten in den Ecken des Raumes schienen zu atmen ...

Ronald Pokins war alles andere als ein feinfühliger, nerviger Mensch, doch er empfand die Atmosphäre des Hauses bedrückend. Eine Erklärung dafür hatte er nicht.

Alte Bilder hingen an den Wänden, sie zeigten ausschließlich Reit- und Jagdmotive.

»Stammt Ihre Familie aus Großbritannien?«, fragte Ronald Pokins, während er auf die Nummer wartete.

»Nein. Aber die meines Mannes. Seine Vorfahren stammten aus der Gegend um Devonshire.«

»Die berühmte Moor- und Nebelgegend.«

»Richtig. Ich sehe, Sie kennen sich aus.«

»Nur ein wenig. Ich bin ein Freund englischer Krimis. Durch die Lektüre habe ich einiges über Land und Leute erfahren.«

»Ah, da ist Jims Telefonnummer«, rief Mrs. Link aus, ohne auf seine Erwiderung einzugehen. »Kommen Sie, ich wähle Jim an, empfehle Sie ihm, und dann können Sie selbst mit ihm sprechen ...«

Die Freundlichkeit der Alten verwirrte ihn nicht mehr. Die Frau war eben so! Er gewann den Eindruck, dass Mrs. Link ihn absichtlich aufhielt. Sie lebte allein, sprach wahrscheinlich nach langer Zeit mal wieder mit jemandem und ...

Das Geräusch ging parallel mit dem Wählen am Telefon.

Leise Schritte!

Da war noch jemand im Haus!

Mrs. Link hatte doch ausdrücklich erwähnt, dass sie allein lebe ...!

Pokins wirbelte herum. Er starrte in zwei Augen, die ihn durchdringend musterten.

Es ging alles so schnell, dass er in dieser einzigen Sekunde, die ihm zum Erkennen noch blieb, nichts mehr vom Aussehen dieser seltsamen Augen mitbekam.

Eine rätselhafte Kraft bannte ihn, und Pokins glaubte, in einen gleißenden, wild sich drehenden Strudel zu blicken.

Pokins Hände kamen noch in die Höhe. Er wollte sie vors Gesicht schlagen, riss dabei den Mund auf, und ein gellender Schrei kam über seine Lippen, der durch das nächtliche Haus hallte.

Ronald Pokins sah ein feuriges Gleißen, das sich wie ein Bohrer in seine Augen fraß. Er meinte, in dem ungeheuren Schmerz zu vergehen.

Der weiße Ford Mustang glitt wie ein Pfeil über die Ausfallstraße, die in westlicher Richtung von New York wegführte.

In dem Fahrzeug saßen zwei Männer.

Einer war dunkelhaarig, jung, von hagerer Gestalt.

Das war Bony. Der treue Begleiter David Galluns.

X-RAY-1 saß auf dem Hintersitz. Der grauhaarige Mann mit der Blindenbrille wirkte völlig entspannt und ruhig, so als würde er schlafen.

Doch in Wirklichkeit waren seine Sinne aufs äußerste gespannt, in erster Linie sein Sondersinn, den er sich nach seinem lebensgefährlichen Unfall auf ungeklärte Weise erworben hatte.

Ein Autounfall, absichtlich herbeigeführt durch einen Verbrecher namens Ron Silker, hatte ihn an den Rand des Grabes gebracht. Bony war als erster an der Unfallstelle gewesen und hatte Hilfe herbeigerufen. David Gallun konnte einer Notoperation unterzogen werden. Die fast zwanzig Zentimeter lange Narbe war noch heute im Nacken zu sehen. Sie führte hinter dem Ohr aufwärts zum Kopf. Während der Operation war David Gallun einige Minuten klinisch tot. Doch er konnte ins Leben zurückgeholt werden. Während der Genesung stellte er erste Anzeichen einer Veränderung an sich fest. Er merkte, dass er Stimmungen und Gefühle anderer Menschen empfangen konnte ...

Diese Fähigkeit wollte er am späten Abend einsetzen.

Eine Stunde Fahrt von New York entfernt lag der Wohnort, in dem Sue Coogan, die Frau des verschwundenen Forschers, lebte.

In der Bungalow-Siedlung wohnten viele reiche Leute.

Die Häuser waren groß und schön, die Gärten erinnerten an Parks. Viele Eingänge waren romantisch beleuchtet.

Das Haus der Coogans war nicht ganz so groß. Es lag in einem gepflegten parkähnlichen Garten in der Oak-Tree-Road. Sie hatte ihren Namen zu Recht. Überall wuchsen Eichen, zum Teil mächtige, verkrüppelte Stämme, die seit Menschenalter dort standen.

Im Schritttempo steuerte Galluns Diener den weißen Ford Mustang am Haus vorüber.

X-RAY-1 wirkte angespannt. Er empfing Stimmungen und Gefühle, die Erwartung ausdrückten.

Von der Straße aus war das Haus kaum zu sehen.

Mit leiser Stimme forderte Gallun Bony auf, am Ende der Oak-Tree-Road zu wenden und einige Meter vom Haus der Coogans entfernt auf der anderen Straßenseite zu parken.

»Es ist nur eine Person im Haus. Missis Coogan ...«, bemerkteX-RAY-1. »Sie telefoniert. Es wird jemand kommen. Ein Mann ...«

Seine Prophezeiung erfüllte sich schon eine halbe Stunde später.

Vom anderen Ende der Straße näherte sich ein Taxi. Zwanzig Schritte vom Coogan-Haus entfernt hielt es.

Ein Mann stieg aus. Er war groß, schlank und dunkelhaarig und trug einen grauen Straßenanzug.

Der Ankömmling zündete sich eine Zigarette an und schlenderte dann gemächlich die mit Bäumen flankierte Allee entlang.

»Er beobachtet die Umgebung«, murmelte Gallun. »Verhalten wir uns ruhig.«

Der weiße Ford war eines von zahlreichen am Straßenrand abgestellten Autos. Alle Wagen waren unbeleuchtet. Da der Ford im Schatten zweier mächtiger Eichen stand, waren die beiden Männer im Innern noch besser durch die Dunkelheit geschützt.

Der Ankömmling schien mit seiner Inspektion zufrieden. Er stand an der Umzäunung des Coogan-Anwesens, warf die angerauchte Zigarette zu Boden und trat die Kippe aus. Dann drückte er die Eingangspforte nach innen. Sie war nicht verschlossen.

Wer war der Mann, der um diese Zeit bei Mrs. Coogan einen Besuch machte? Ein naher Verwandter? Ein Freund? Der Unbekannte erreichte die Haustür. Wie von Geisterhand bewegt, öffnete sie sich. Der späte Gast trat einen Schritt vor, wurde von der Dunkelheit im Korridor geschluckt und griff nach vorn. Er riss die Frau, die hinter der Tür stand, an sich und küsste sie leidenschaftlich.

»Nicht, wenn uns jemand sieht, Brian«, sagte Sue Coogan bewegt, als sie endlich ihre Lippen von seinem Mund lösen konnte. Der Arzt, der beste Freund ihres Mannes, lachte leise und schob mit dem rechten Fuß die Tür zu.

Die Stimmungen, die diese beiden Menschen erfüllten, empfing der Empath David Gallun kraftvoll, und er war erstaunt darüber, dass die besorgte Mrs. Coogan drei Tage nach dem Verschwinden ihres Mannes bereits einen Liebhaber empfing.

Hätte er gewusst, dass dieser Liebhaber ausgerechnet Dr. Brian Flatcher war, der Mann, mit dem Mike Coogan wenige Minuten vor seinem mysteriösen Verschwinden noch gesprochen hatte, wäre X-RAY-1 um einiges verwunderter gewesen ...

Keine Spur von Trauer war in ihr. Freude, Erregung und Leidenschaft. Und eine Spur von Angst erreichte den sensiblen Blinden.

Die Konstellation war derart außergewöhnlich, dass X-RAY-1 sich entschloss, noch auf andere Weise in Aktion zu treten.

Über Autotelefon rief er die Zentrale an und hinterließ für seine Agenten Larry Brent, Iwan Kunaritschew und Morna Ulbrandson eine Nachricht.

Brent war erst spät am Abend nach New York zurückgekehrt und hielt sich noch in seinem Büro auf um den Bericht über die »Pest« fertigzustellen, der so viele unschuldige Menschen zum Opfer gefallen waren.

Larry erhielt den Auftrag, in die Oak-Tree-Road zu kommen und das Haus Nr. 117 zu beobachten.

Der Fremde musste lückenlos überwacht werden. Von dem Moment an, da der Besucher das Haus verließ, sollte X-RAY-3 in Erfahrung bringen, wohin er sich wandte und wer er war.

Im Haus Nr. 117 gingen die Lichter aus ...

Als eine Stunde vergangen war und ihr Mann noch immer nicht zurückgekommen war, wurde Linda Pokins unruhig.

Nach einer weiteren halben Stunde, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, hielt sie nichts mehr zurück. Wäre in diesem Moment ein Auto vorbeigekommen, sie hätte es angehalten. Aber in der ganzen Zeit ihres Wartens hatte sich kein Fahrzeug weit und breit gezeigt.

Linda ließ aus Sorge um ihren Mann keine weitere Minute verstreichen. Sie band sich ein Kopftuch um und stieg aus dem Auto. Zum Glück regnete es kaum noch.

Die frühere Angst war wieder da. Aber diesmal war es eine andere. Da war nicht mehr das Gefühl vorherrschend, beobachtet zu werden, sondern die Furcht, dass Ron etwas zugestoßen sein könnte.

Sie zog den Autoschlüssel ab, sicherte den Wagen und lief los. Dabei sah sie weder nach rechts noch nach links. Linda Pokins lief mitten auf der nächtlichen, feucht glänzenden Straße.

Wie lange es dauerte, ehe sie den schmalen Weg erreichte, der zu dem einsam stehenden Haus der Mrs. Link führte, wusste sie nicht.

Sie atmete auf, als sie die beleuchteten Fenster schwach durch die Dunkelheit schimmern sah.

Ronald hielt sich noch immer dort auf ... Was er wohl so lange zu besprechen hatte?

Vielleicht gab es Schwierigkeiten mit dem Reparaturdienst. Offensichtlich hatte es beim ersten Mal nicht geklappt, und Ron versuchte weiterhin, eine Firma zu erreichen.

Einen Augenblick breitete sich Erleichterung in ihrem Herzen aus.

Dann sah sie unter dem Vorbau im Streulicht aus den Fenstern die reglose Gestalt. Sie lag vor der untersten Treppe.

Linda Pokins' Herzschlag stockte.

Der graue Gummimantel! Der Hut!

»Ron ...«, kam es wie ein Hauch über ihre Lippen. Sie stürzte nach vorn.

Da war etwas passiert. Ronald Pokins war überhaupt nicht am Ziel angekommen. Vor den Stufen des Hauses war er zusammengebrochen.

Linda ging in die Hocke und berührte den Reglosen leicht an der Schulter. »Ron«, sagte sie tonlos.

Doch er bewegte sich nicht. Er sagte kein Wort.

Sie drehte ihn vorsichtig auf die Seite, denn er lag mit dem Gesicht auf dem Boden.

Der Hut verrutschte.

Selbst im Zwielicht unter dem Vorbau erkannte Linda Pokins das Ungeheuerliche.

Ronald Pokins Gesicht war totenbleich. Darin gähnten zwei schwarze Löcher im Durchmesser einer Billardkugel.

Ronald Pokins – hatte keine Augen mehr!

Da, wo sie gewesen waren, befanden sich die Löcher. Sie gingen tief in seinen Kopf, und es sah aus, als wäre ein Bohrer von vorn eingedrungen und auf der anderen Seite des Schädels wieder ausgetreten.

Linda Pokins konnte in die Löcher sehen und durch sie hindurch auf den schlammigen, aufgeweichten Trampelpfad, der auf der anderen Seite des Kopfes von Ronald Pokins begann ...

Sie hockte da wie in Trance ... grauenerfüllt.

Ein Alptraum bewahrheitete sich.

Fragen über Fragen stürmten auf sie ein.

Plötzlich fiel von der Seite her ein Schatten über sie.

Linda Pokins Kopf flog herum. Aus dem Schatten der Hauswand löste sich eine Gestalt. Die Frau war im nächsten Moment auf den Beinen und handelte mechanisch, ohne darüber nachzudenken. Linda Pokins ergriff die Flucht. Wie von Furien gehetzt, rannte sie davon. Das Grauen schnürte ihr die Kehle zu, das Herz schlug ihr bis zum Hals. Der aufgeweichte Boden schmierte unter ihren Füßen. Wasser spritzte hoch. Hände griffen nach ihr. Wie Klauen krallten sich die Fingernägel des Verfolgers in die groben Maschen der Strickweste, die sie trug.

Zum ersten Mal drang ein gellender Schrei aus Linda Pokins Kehle. Die junge Frau wusste nicht, woher sie die Kraft nahm, weiterzulaufen und nicht wie hypnotisiert stehenzubleiben.

Sie machte einen blitzschnellen Schritt nach vorn, ohne auch nur einen einzigen Blick nach hinten zu werfen. Das Gesicht ihres Mannes mit den ausgebrannten, ausgehöhlten Augen stand wie ein Fanal vor ihrem geistigen Auge.

Ronald war einer ungeheuerlichen, unerklärlichen Gefahr in die Arme gelaufen. Vielleicht in der Gestalt des Fremden, der nun auch sie zurückhalten und töten wollte?!

Das Entsetzen und die Todesangst verliehen ihr in diesen Sekunden unglaubliche Kraft. Sie konnte sich dem Zugriff entwinden und stürzte nach vorn. Die Strickweste rutschte über ihre Schultern. Linda verdrehte den Arm, der Ärmel wurde nach hinten gerissen. Es gelang ihr zwar, sich dem ersten Zugriff zu entziehen, aber die Strickweste befand sich nun in den Händen des Verfolgers. Durch den Ruck wurde Linda Pokins zu Boden geworfen. Sie fiel in den Schlamm. Braunes Wasser spritzte ihr ins Gesicht. Linda Pokins schrie wie am Spieß, als die dunkle Gestalt sich auf sie stürzte.

»Hiilffeee!«

Im Haus brannte Licht, vielleicht wusste man dort noch gar nichts von dem Unheimlichen, der sie anfiel ...

Wenn er allerdings der alleinige Bewohner des Hauses war, durfte sie keine Hilfe von Außenstehenden erwarten, dann war sie auf sich selbst angewiesen.

Linda Pokins schlug und trat um sich.

Aber gegen die Kräfte des Angreifers richtete sie nichts aus. Im Nu war sie unterlegen.

Sie wurde von harter Hand emporgerissen.

Ihr Gesicht kam dem ihres Gegners so nahe, dass sie es direkt vor sich sah.

Es war hart und bleich, wie aus Marmor gemeißelt.

Die schwarzen Augen starrten sie unerbittlich an. Es waren Augen ohne Leben! Sie blickten starr.

»Still«, zischte der Fremde. »Keinen Ton!«

Sie atmete schnell. Schweiß perlte auf ihrer Stirn.

»Was ... bedeutet das alles?«, stammelte sie. »Wer ... sind Sie? Was geht hier vor?«

Linda wagte nicht noch mal einen Ausfallversuch, aus Angst, seinen Zorn und seine Wut nur noch mehr anzustacheln.

»Es hat keinen Sinn, wenn du schreist«, entgegnete der Fremde, ohne auch nur mit einem einzigen Wort auf ihre Fragen einzugehen. »Hier gibt es niemand, der dich hören könnte. Was wolltest du hier?«

»Mein Mann ... ich wollte ... nach ihm suchen.«

»Du warst auch im Auto?«

»Ja.«

»Wer noch?«

»Niemand sonst ...«

»Sagst du auch die Wahrheit?« Der Unbekannte mit den unbeweglich starren Augen verstärkte den Druck seiner Hände um ihre Kehle.

»Ja«, krächzte Linda Pokins.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, lockerte der Angreifer seinen Griff. Mit einem Ruck warf er sich die halbbewusstlose Frau über die rechte Schulter und ging zum Haus. Ohne auf den Toten am Boden zu achten, stieg er über ihn hinweg. Die Tür öffnete sich geheimnisvoll, wie von selbst.

Mrs. Link ließ den Gast mit der größten Selbstverständlichkeit ein. In ihrem welken Gesicht bewegte sich kein Muskel.

Der Mann mit den starren Augen schleppte sein Opfer durch den düsteren Flur. Hinter der nach oben führenden Treppe lag der Kellereingang.

Wie eine Statue stand die Alte an der Haustür.

Der gelbliche Lichtschein auf dem Flur fiel nach draußen und traf den augenlosen Kopf des Toten.

Der unheimliche Mann öffnete die Kellertür und schaltete Licht ein. Eine steile, kahle Steintreppe führte nach unten. Mehrere Türen mündeten auf den schmalen Gang. Das Ziel des Mannes war die letzte Tür. Dahinter befand sich ein labormäßig eingerichteter Raum, der im Licht einer kleinen Lampe zu erkennen war.

Der Ankömmling legte sein Opfer auf eine niedrige Bahre, griff dann nach einer Spritze und verabreichte Linda Pokins eine Injektion.

Die Glieder der Frau wurden augenblicklich schlaff, ihr Kopf fiel zur Seite.

An der Wand über der Bahre hingen mehrere großformatige Fotos. Auf allen waren Menschen mit leeren Augenhöhlen zu sehen ...

Der Mann verließ das Kellerlabor.

Mrs. Link stand noch immer an der Haustür.

»Ich bin gleich wieder zurück, Mutter«, sagte der Mann mit dem starren, leblosen Blick. »Ich bring ihn nur noch fort ...« Die Frau nickte. »Sei auf der Hut, Glen«, sagte sie leise und besorgt.

»Du weißt, dass ich nichts riskiere. Ich bin schlau, Mutter, sehr schlau. Und ich bin anders als sie ...« Der mit Glen Angesprochene wuchtete sich den toten Ronald Pokins auf die Schulter.

Man sah ihm die Kraft, die in ihm steckte, nicht an.

Glen Link verschwand mit der augenlosen Leiche im nahen Wald und merkte nicht, dass in der undurchdringlichen Dunkelheit zwischen den Stämmen eine Gestalt lauerte, die jeden seiner Schritte genau beobachtete ...

2. Kapitel

Der Pontiac fuhr mit hoher Geschwindigkeit auf der nächtlichen Straße. Scheinwerfer spiegelten sich auf dem feuchten Asphalt.

In dem schwarzen Fahrzeug saß ein einzelner Mann, groß, mit rotem Haupthaar und einem nicht minder roten Vollbart. Im rechten Mundwinkel hing ein Torso von Zigarette, auf der selbst bei genauem Hinsehen kein Markenzeichen zu erkennen war. Es war eine Selbstgedrehte, deren Gestank das Innere des Fahrzeuges erfüllte.

Aber der Mann mit dem roten Vollbart fühlte sich offensichtlich wohl. Er summte leise ein altes russisches Lied vor sich hin und inhalierte tief den scharfen Rauch.

Der Pontiac wurde von Iwan Kunaritschew alias X-RAY-7 gelenkt. Der gebürtige Russe kam aus nördlicher Richtung nach New York, aus Richtung Akersfield.

Im Licht der aufgeblendeten Scheinwerfer erblickte der PSA-Agent schon von weitem das am Fahrbahnrand abgestellte Auto.

Es war dunkel.

Unwillkürlich nahm Kunaritschew den Fuß vom Gaspedal.

Vielleicht hatte jemand eine Panne und brauchte Hilfe ...

Aber warum sicherte der den Wagen dann nicht durch Blinkleuchte und Warndreieck, um andere Fahrer rechtzeitig auf das Hindernis aufmerksam zu machen?

Vielleicht war es auch ein Liebespaar, das auf dieser einsamen Verbindungsstraße glaubte ungestört zu sein.

X-RAY-7 fuhr langsam an dem Ford vorüber.

Im Wagen saß kein Mensch.

Wäre es warm und trocken gewesen hätte Kunaritschew noch eine Erklärung dafür gefunden. Die Insassen wären dann vermutlich spazieren gegangen.

Doch bei den herrschenden Witterungsverhältnissen wurde sein Misstrauen geweckt.

Er fuhr noch fünf Meter weiter, zog den Pontiac rechts heran und schaltete die Blinkanlage ein.

Dann lief er zu dem abgestellten Fahrzeug zurück.

Iwan Kunaritschew starrte in den dunklen Innenraum.

Der alte Ford war verschlossen und vom Fahrer weit und breit keine Spur.

Iwan blickte sich um, sah die schnurgerade verlaufende Straße entlang und konzentrierte sich dann auf die Bäume, die die Straße zu beiden Seiten flankierten.

Plötzlich knackte ein Ast im Dunkeln auf der anderen Straßenseite.

Die Augen des Russen verengten sich.

»Hallo?«, fragte er. »Ist da jemand?«

Er rief es laut über die Straße hinweg.

Das Echo antwortete. Keine fremde Stimme ...

Aber da war jemand! Auf keinen Fall war es ein Tier. Beinahe körperlich spürte der Russe die Nähe eines Menschen.

War hier ein Verbrechen geschehen?

X-RAY-7 überquerte die Straße. Und da hörte er es in der Stille der Nacht von neuem.

Ein Zweig knackte. Feuchtes Laub raschelte.