Larry Brent Classic 054: Draculas Schreckensparty - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 054: Draculas Schreckensparty E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

Bogenschütze des Schwarzen Todes Als Fernando Dellas den Antiquitätenladen von Andrew Rustin betrat, war das Schicksal des Spaniers besiegelt. Wie aus dem Nichts taucht der Bogenschütze des Schwarzen Todes auf und sein Pfeil trifft sicher sein Ziel. Der Geschichtsforscher Dellas bricht tot zusammen. Doch der Pfeil des unheimlichen Rächers verschwindet, ebenso wie die steinerne Figur, die den tödlichen Schuss abgefeuert hat. Andrew Rustin glaubt an seinem Verstand zweifeln zu müssen. Was ist der Bogenschütze des Schwarzen Todes? Ein Geist oder eine verfluchte Statue? Larry Brent versucht die Angriffe aus dem Unsichtbaren abzuwehren. Schreckensparty bei Graf Dracula Reginald T. Broumsburg, der spleenige Millionär, möchte aus dem alten Schloss Kalenko am Fuße der Karpaten einen Vergnügungspark machen. An diesem unheilvollen Ort hatte Graf Dracula persönlich eine Nacht verbracht. Genau zu dieser Zeit verschwanden die Töchter und ein Cousin der Familie Kalenko spurlos. Zur Einweihungsfeier lud Broumsburg 120 Gäste ein, die einem einmaligen Gruselspektakel beiwohnen sollten. Als besonderes Highlight wird den Besuchern der hauseigene Wein Draculas Blut ausgeschenkt. Doch Brian Mandell lässt schockiert das Glas fallen, als seine Lippen die Flüssigkeit kosten - das Blut ist echt! In Panik flieht Mandell aus dem Festsaal und löst eine Kettenreaktion aus - denn Draculas Saat geht in ihm auf. Können Larry Brent, Iwan Kunaritschew und Morna Ulbrandson, die ebenfalls auf Schloss Kalenko weilen, Draculas Rückkehr verhindern?

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Seitenzahl: 325

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DAN SHOCKERS LARRY BRENT

BAND 54

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Linder

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Titelbildgestaltung: Mark Freier

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

978-3-95719-854-9

Dan Shockers Larry Brent Band 54

DRACULAS SCHRECKENSPARTY

Mystery-Thriller

Bogenschütze des Schwarzen Todes

von

Dan Shocker

Prolog

Das alte Haus stand genau an der Ecke der Straße. Der Verputz war verwittert, und nur noch andeutungsweise war zu sehen, dass der Anstrich vor langer Zeit mal hellgrün war. Es gehörte einem Engländer namens Andrew Rustin. Die gesamte untere Etage – stufenlos direkt von der Straße zu erreichen – diente ihm als Laden. Rustin stammte aus Liverpool, war vor vierzig Jahren auf einem Bananenfrachter gefahren und auf diese Weise nach Südamerika gelangt. Dort blieb er hängen. Weshalb ausgerechnet in diesem Nest – vierzig Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Lima – wusste er heute selbst nicht mehr. Wahrscheinlich war eines der rassigen Eingeborenen-Girls damals schuld daran, dass er blieb. Er hatte sich schon immer sehr für die Geschichte und das kulturelle Erbe alter Völker interessiert, und die geheimnisvollen Geschichten und Abenteuer der spanischen Entdecker hatten ihn schon als Junge fasziniert. Auch das war mit ein Grund für seine innere Unruhe, seine stetige Getriebenheit. Er wollte fremde Länder und Völker kennenlernen, wollte erfahren, wie sie gelebt hatten und was zu ihrem Untergang führte. Die Beschäftigung mit diesen Dingen hatte weitere neue Interessen in ihm geweckt. Er war zum leidenschaftlichen Sammler alter Sachen geworden. Dies betraf Kunst und Kitsch gleichermaßen. Aus dem Hobby wurde eines Tages ein Beruf. Rustin, der Abenteurer, Seemann und Weltenbummler, gab sein früheres Leben auf und wurde Antiquitätenhändler. Es sprach sich schnell herum, dass der Engländer eine Spürnase für außergewöhnliche Stücke hatte. Er verband fortan seine Reiselust mit seiner Sammlerleidenschaft, trampte von Ort zu Ort und trieb die ältesten Stücke auf. Wertvolle alte Möbel und Kunstgegenstände, nicht nur aus dem mittel- und südamerikanischen Raum. Er entdeckte sehr schnell, dass gutbetuchte Interessenten in den großen Städten auch für alte englische und französische Möbel und Uhren zu begeistern waren. In den vierzig Jahren, in denen er nun dieses Geschäft betrieb, hatte sich Rustin einen Namen gemacht und war bekannt dafür, dass er auch ausgefallene Wünsche erfüllte. Außer den Stammkunden gab es auch viele Fremde aus Übersee, die hier Urlaub machten und bei ihren Abstechern in die umliegenden Ortschaften das alte große Eckhaus mit den Antiquitäten entdeckten.

So erging es auch dem Mann, der an einem Morgen durch die staubige, lärmende Hauptstraße schlenderte und sich die Auslagen in den Geschäften ansah. Der Mann war fremd in der Stadt, allein und erblickte beim Überqueren der Straße das verwitterte Gebäude. Er warf einen Blick durch die verstaubten Fenster und sah zwischen den Möbeln, Bildern und Schnitzereien auf einem runden Sockel eine etwa mannshohe Skulptur, die sofort seine Aufmerksamkeit erregte. Der Interessent hatte eine solche Skulptur noch nie gesehen. Sie war schwarz, als wäre sie aus Ebenholz geschnitzt, stellte einen Bogenschützen dar, und zwar einen ganz außergewöhnlichen. Dieser hatte einen blankpolierten Totenschädel, trug ein schwarzes Gewand, und in den ebenfalls schwarzen Bogen war ein schwarzer Pfeil eingelegt. Der Betrachter warf einen letzten Blick durch das Fenster. Der Laden war leer. Der Inhaber hielt sich offenbar in einem Hinterzimmer auf. Der Kunde stieß die Tür auf. Ein helles Glöckchen bimmelte. In dem Laden roch es alt und modrig. Und alt war auch der Mann, der einen Trennvorhang nach hinten auseinanderdrückte und seinen frühen Kunden begrüßte. Andrew Rustin ging gebeugt und trug eine Brille, deren Gläser in ein dünnes, altmodisches Eisengestell gefasst waren. Rustins Gesicht war zerknittert. In dem groben, selbstgenähten Leinenhemd sah er mit seinem schulterlangen schütteren Haar aus wie eine alte Indianerfrau.

»Sie wünschen?«, fragte er auf Spanisch. Er beherrschte mehrere Sprachen und hatte eine ausgeprägte Menschenkenntnis. Oft sah er auf Anhieb, welcher Nationalität die Leute waren, die sein Geschäft betraten. Diesmal hatte er es mit einem Spanier zu tun.

»Sie haben ein interessantes Stück in Ihrem Laden, das meine Aufmerksamkeit erregt hat, Senor.«

»Ich habe viele interessante Stücke. Was meinen Sie?«

»Den schwarzen Bogenschützen.«

Der Besucher deutete auf die Skulptur, die auf der rechten Seite mitten zwischen allerlei anderen Sachen stand.

»Einen schwarzen Bogenschützen?«, echote Rustin, und zwischen seinen buschigen Augenbrauen entstand eine steile Falte. In seinen Augen wurde ein ungläubiger Ausdruck erkennbar. »Aber ich ...«

Rustin unterbrach sich. Er hatte sagen wollen, dass es einen schwarzen Bogenschützen in seinem Laden nicht gab, und er hatte den Besucher schon in Verdacht, so früh einige Tequilas zu viel getrunken zu haben. Aber dann hatte er das Gefühl, zu träumen. Der fremde Besucher deutete auf die Statue, und Rustin ließ hörbar die Luft aus. »Das gibt es doch nicht!«, entfuhr es ihm überrascht. »Von dem weiß ich ja gar nichts ... Wie kommt denn der hierher?«

Der Mann, der den Laden betreten hatte, sah seinerseits den Engländer an, als hätte dieser zum Frühstück keinen Kaffee, sondern Alkohol getrunken. Der Besucher grinste, weil er an einen Scherz glaubte. »Bei all dem, was Sie hier stehen haben, kann es leicht passieren, dass man die Übersicht verliert.«

»Unsinn!«, stieß Andrew Rustin hervor. »Ich kenne jedes einzelne Stück im Laden. Ich bin dreiundsiebzig, aber mein Gedächtnis, junger Mann, funktioniert noch ausgezeichnet.« Rustin bückte sich, um eine Truhe beiseite zu schieben, die ihm den Weg zur Skulptur des schwarzen Bogenschützen versperrte, als es geschah ...

Der Pfeil löste sich von der Sehne! In dem düsteren, stillen Laden war das Surren deutlich zu hören. Der Spanier riss ungläubig die Augen auf, war wie geschockt und unfähig zu reagieren. Dieses kurze Zögern wurde ihm zum Verhängnis. Der Pfeil traf ihn mitten ins Herz …

Der Getroffene taumelte gegen einen Tisch, auf dem eine Vase stand. Sie kippte und zerschellte auf dem Steinboden. Der Spanier kam nicht mal mehr zum Schreien. Als er zu Boden ging, war er bereits tot. Es war Andrew Rustin, der entsetzlich schrie, sofort in die Hocke ging und sich über den Fremden beugte. Dem alten Antiquitätenhändler aus Liverpool blieb keine Zeit, sich über das ungewöhnliche Ereignis Gedanken zu machen. Die weiteren Geschehnisse strapazierten seine Nerven und gingen so schnell über die Bühne, dass er den Ablauf im Einzelnen nicht verfolgen konnte. Andrew Rustin duckte sich nur, aus einem bedingten Reflex heraus, weil er fürchtete, dass der Schütze einen zweiten Pfeil abfeuern würde. Aber im Zustand der Benommenheit und Verwirrung fragte sich der Mann noch, woher die schwarze Gestalt eigentlich einen zweiten Pfeil hätte nehmen sollen. Einen Köcher mit Ersatzmunition trug sie nicht bei sich. Außerdem – wie hätte eine Statue sich selbst mit Munition versorgen können? Die Tatsache, dass sich ein Schuss gelöst hatte, erklärte Rustin sich so, dass es sich bei der Skulptur offenbar um eine mechanische Puppe handelte. Diese konnte einen Pfeil abschießen, aber nicht absichtlich töten. Der Tod des Fremden war ein bedauerlicher Unfall. Die Mechanik hatte sich selbst ausgelöst, und der Spanier hatte genau im Schussfeld des Pfeils gestanden. Dass es nicht so war, begriff Andrew Rustin kurze Zeit später. Noch während er unwillkürlich den Kopf einzog und sich über den Fremden beugte, verblassten die Umrisse des Pfeiles in der Brust des Getroffenen. Der Pfeil – löste sich auf wie ein Schemen!

Rustin stöhnte. Aus den Augenwinkeln registrierte er gleichzeitig eine Bewegung. Die Skulptur des Schwarzen Todes! Wo war sie?

Der Platz, an dem sie eben noch zwischen all dem Gerümpel gestanden hatte, war leer! Verschwunden war der Spuk. Zurück blieb nur der Tote in Andrew Rustins Laden …

1. Kapitel

In Moraira, rund sechzig Kilometer vor Alicante, ahnte kein Mensch etwas von den Dingen, die sich in Südamerika abspielten. Und doch sollten vier Personen aus Moraira damit zu tun bekommen. Dramatisch war schon der Auftakt. Ines und Paco Felicidad bewirtschafteten ein kleines Fischrestaurant in einer Seitenstraße unweit des Strandes. Hier standen noch die kleinen alten Häuser, wie sie einst typisch für Moraira waren. Einige Hochhäuser am Ortseingang, in denen Apartments, Büros und eine Bank untergebracht waren, hatten den Charakter des einst unbekannten Fischerdorfes völlig verändert, wie auch Hunderte von Häusern in den Bergen rund um Moraira und in Strandnähe, wo hauptsächlich Deutsche und Holländer ihre Zweit- und Ferienwohnsitze hatten. Im Sommer drängten sich Tausende von Touristen in den engen Gassen und am Strand, besonders am Markttag, der einmal wöchentlich abgehalten wurde. Um die Mittagszeit aber waren Gassen und Straßen leer. Alles hielt Siesta ...

Ines und Paco Felicidad machten heute allerdings eine Ausnahme. Sie waren noch mit Einräumen beschäftigt. Das Restaurant war renoviert und hatte neue Möbel bekommen. Über dem Eingang hing ein riesiger blauer Fisch mit dem Namen des Lokals: Alfredo Pescadores. Überall in Südspanien war der blaue Fisch mit diesem Namen das Markenzeichen eines Mannes, der aus ärmsten Verhältnissen stammte und im Laufe der Jahre in vielen Urlaubsorten seine Kettenläden errichtet hatte. Insgesamt gehörten Alfredo bisher dreizehn Geschäfte. Hier in Moraira war bis jetzt das letzte entstanden. Aus einem alten Eissalon, den ein Ehepaar jahrelang führte und aus Altersgründen aufgegeben hatte, war ein Alfredo Pescadores geworden.

Ines und Paco Felicidad waren Alfredos Angestellte, die diese Filiale leiten sollten. Das junge Paar, das längere Zeit in Deutschland als Bedienung in einer Gastwirtschaft gearbeitet hatte, freute sich über die Chance, die Alfredo Mendoles ihnen bot, denn die beiden waren am Umsatz beteiligt und sollten die Filiale in eigener Verantwortung führen. Dies war auch der Grund dafür, dass sie selbst letzte Hand anlegten, um die Tische zu gruppieren, wo kleine Blumensträuße und Begrüßungsgeschenke erfreuen sollten. Um fünf Uhr nachmittags war Eröffnungszeit. Dann wollte auch Alfredo Mendoles dabei sein, der es sich nicht nehmen ließ, die Neueröffnung vorzunehmen. Die örtliche Presse und ein Reporter eines speziell für Deutsche und Holländer gedruckten Magazins, das an der ganzen Costa Blanca zur Verteilung kam, waren dazu eingeladen. Sie wollten früher kommen und die Einrichtung begutachten und schon mal ein paar Worte mit dem jungen Paar Felicidad sprechen. Ab fünf Uhr würde man wohl nicht mehr dazu kommen. Nach der Vorankündigung in der Presse und der Reklame auf den Plakaten, die überall hingen, war mit großem Andrang zu rechnen. Jedem Besucher wurde ein Freigetränk offeriert, und alle in den nächsten drei Tagen angebotenen Speisen gab's zum halben Preis. Alfredo legte dabei drauf, aber er wusste, dass diese Reklame die beste Mundwerbung war und in kürzester Zeit jeder im Ort und in der Umgebung Alfredo Pescadores kannte.

»Ich glaube, da kommt schon einer.« Ines Felicidad blickte unwillkürlich auf, als das Geräusch eines haltenden Autos vor dem Restaurant zu hören war. Ein dunkelgrüner Seat stoppte vor dem Eingang. Zwei jüngere Männer saßen in dem Auto, einer davon mit einem dicken, aber dennoch gepflegten Lippenbart.

»Ein bisschen früh der Besuch, würde ich sagen«, murmelte Paco und stellte den Stuhl ab, den er aus dem Hinterzimmer geholt und von schützenden Pappmanschetten befreit hatte, mit denen Tische und Stühle angeliefert worden waren. »Wir brauchen noch mindestens 'ne Stunde, Ines. Wir haben als frühesten Termin vier Uhr gesagt, nicht drei ...«

Der Beifahrer verließ den Wagen und steuerte auf die gläserne Tür zu. Der Mann trug eine beigefarbene Sommerhose und ein kariertes, ärmelloses Sporthemd.

»Ich kümmere mich um ihn«, sagte Ines zu ihrem Mann. »Vielleicht kann er nicht später kommen und will jetzt seine Fragen stellen und ein paar Aufnahmen machen. Hier drüben sind wir schon fertig ... Vielleicht will er uns auch nur etwas sagen.« Sie waren beide so sehr auf die geladenen und zu erwartenden Gäste eingestellt, dass ihnen ein anderer Gedanke gar nicht kam. Um einen normalen Besucher konnte es sich nicht handeln, denn an der Tür stand groß und auffällig die Öffnungszeit, und früher kam erfahrungsgemäß auch niemand, um etwas zu essen. Kein Geschäft hatte um diese Zeit offen.

Der junge Mann mit dem Bart lächelte freundlich durch die Glastür, und Ines Felicidad drehte den Schlüssel um.

»Buenos dias, Senor! Wir haben Sie zwar noch nicht erwartet. Sie sind etwas früh dran. Aber kommen Sie ruhig herein, wenn's nicht anders geht ...«

»Es geht auch nicht anders, Senora. Wir kommen nicht unbedingt dann, wenn man uns erwartet. Wir haben unseren eigenen Zeitplan.«

Das Lächeln auf den schön geschwungenen Lippen der jungen Spanierin gefror. »Ich verstehe nicht, Senor ...«, flüsterte sie und hielt das Ganze für einen Scherz. Der andere hatte vielleicht eine besondere, ihr unverständliche Art von Humor. Spätestens in dem Moment, wo sie etwas Dunkles metallisch in der Hand des Fremden aufblitzen sah, wurde ihr aber bewusst, dass es hier um etwas ganz anderes ging.

»Paco!«, schrie sie.

Da ergriff der Fremde sie auch schon und drückte ihr den Lauf der Waffe zwischen die Rippen. »Mach keinen unnötigen Aufstand«, zischte der Bewaffnete. »Wenn du dich ruhig verhältst, wird dir kein Haar gekrümmt.«

»Aber – das ist doch irrsinnig, was ihr da macht! Wir haben keinen Pfennig Geld in der Kasse und ...«

»Wir wollen kein Geld.« Der Bewaffnete schob die bleiche Ines Felicidad bis zum Tresen vor sich her. Paco Felicidad stand da wie angewurzelt und wagte angesichts der deutlichen Situation nichts zu unternehmen. Ines schwebte in Lebensgefahr, sie war eine Geisel in der Hand des Gangsters. Der Mann am Steuer, ein hagerer Bursche mit eingefallenen Wangen und kantigen Gesichtszügen, tauchte nun ebenfalls auf. Er trug etwas unter dem Arm, das in einen Mantel eingeschlagen war.

»Hinter den Tresen, alle beide, los!«, zischte der Bewaffnete und winkte Paco Felicidad mit der Pistole. Der ließ sich nicht zweimal auffordern, gesellte sich an Ines' Seite und wollte ihre Hand nehmen.

»Nichts da! Ihr braucht kein Händchen zu halten ... Das könnt ihr tun, wenn wir wieder verschwunden sind. Euch wird nichts passieren, wenn ihr vernünftig seid und keine Dummheiten macht. Wir wollen nichts von euch.«

»Was wollt ihr aber dann?«, stieß Paco Felicidad hervor.

Er erhielt darauf keine Antwort. Aber das, was dann geschah, sagte mehr als tausend Worte. Der Komplize des Schützen rollte blitzschnell den Mantel von dem länglichen Gegenstand, den er unter dem Arm trug. Darunter hervor – kam eine Axt ...

Damit machte er sich über die Einrichtung her. Mit wuchtigen Schlägen zertrümmerte er die neuen Tische und Stühle und machte in wenigen Minuten Kleinholz aus ihnen. Ascher und Vasen zerschellten auf den farbenfrohen Fliesen. Die Päckchen mit den Begrüßungsgeschenken, die schon auf den Tischen verteilt waren, und in denen blaue Keramikaschenbecher in Fischform eingewickelt waren, flogen durch die Luft und fielen ebenfalls der Zerstörungswut anheim. Der Mann mit der Axt wütete wie ein Berserker und verschonte auch den Tresen und die Regale mit den Flaschen und Gläsern nicht. Paco und Ines Felicidad standen mit dem Rücken zur Wand, bedroht durch die auf sie gerichtete Waffe. Sie wagten nicht, etwas zu unternehmen. Verzweifelt, ratlos und voller Angst wurden sie Zeugen des ungeheuerlichen Vorgangs.

»Warum?«, stieß Ines Felicidad hervor, und Tränen schossen ihr in die Augen. »Warum, um Himmels willen, tut ihr das alles?«

Flehentlich starrte sie durch die großen Fenster nach draußen. Die Straße lag menschenleer. Drüben am Uferrand erkannte sie Menschen. Aber die waren zu weit entfernt, um mitzukriegen, was hier vorging. Die vollen Flaschen mit Wein, Likör und Kognak zerschellten auf dem Fußboden. Der war mit Glasscherben und unzähligen Lachen verschiedener Flüssigkeiten übersät. Der unheimliche Vorgang währte nicht länger als fünf Minuten. Dann waren kein Tisch, kein Stuhl, keine Flasche und kein Glas mehr ganz. In dem Fischrestaurant, das in knapp zwei Stunden hätte eröffnet werden sollen, sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Ines Felicidad zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub. Am liebsten wäre sie dem Mann mit dem Schnurrbart ins Gesicht gesprungen. Aber der auf sie gerichtete Lauf der Waffe hielt sie davor zurück, leichtsinnig zu werden und aufgewühlten Gefühlen nachzugeben. Das Krachen und Scheppern verstummte. Der Unhold mit der Axt wickelte sein Zerstörungsinstrument wieder ein.

»Mit den besten Grüßen an Alfredo«, stieß der Bewaffnete hervor. »Ihr braucht nicht viel zu berichten. Er sieht selbst, dass wir hier waren. Richtet ihm aus, dass er die Finger davon lassen soll. Wenn er es nicht tut, stecken wir die Bude das nächste Mal in Brand ... Ihr beide bleibt hier stehen, bis wir außer Hör- und Sichtweite sind. Wenn sich auch nur einer vorher von der Stelle rührt, jage ich ihm 'ne Kugel in den Bauch. Es wäre schade um deine Figur, Kleine«, fügte der mit dem Schnurrbart grinsend hinzu. »Du hast genau das richtige Gewicht. Blei macht schwerer ...«

Er ließ die Waffe sinken. In Ines Felicidads Augen flackerte kurz ein verräterisches Licht. Ein Gedanke war ihr gekommen, und es wurde ihr in der Aufregung nicht bewusst, dass sie sogar den Kopf ein wenig zur Seite drehte. Ihr Blick fiel auf die Klinke der Tür des Hinterzimmers. Es war nicht verschlossen. Dahinter stand das Telefon. Sie brauchten nicht auf die Straße zu laufen. In dem Moment, wo die beiden Gangster im Auto saßen und davonbrausten, würde sie ...

Doch der mit dem Schnurrbart schien Gedanken lesen zu können. Mit einem schnellen Schritt zur Seite war er an der fraglichen Tür, drehte den Schlüssel um und ließ ihn in der Tasche verschwinden. In Ines' Antlitz stand die Enttäuschung. Der Bärtige schüttelte den Kopf. »Tss, tss«, machte er und streichelte mit dem kühlen Lauf der Waffe über die Wangen der wie versteinert stehenden Spanierin. »Wer wird denn solche kriminellen Gedanken haben? Die Polizei wollen wir doch ganz aus dem Spiel lassen, nicht wahr?«

Er zischte ihnen zu, sich mit den Gesichtern zur Wand zu stellen. Dann war an dem knirschenden Glas unter den Sohlen der beiden Eindringlinge zu hören, dass sie sich aus dem Staub machten. Von der Tür her warnte noch mal die Stimme des Bewaffneten. Dann krachte ein Schuss. Eine Flasche mit Bacardi-Rum, die in dem Regal oberhalb der Köpfe von Ines und Paco Felicidad als einzige die Zerstörung überstanden hatte, zerplatzte mit lautem Knall. Paco und Ines zogen unwillkürlich die Köpfe ein. Der Rum ergoss sich über ihre Schultern. Die Tür fiel ins Schloss, der Motor des Seat heulte auf, und dann schoss ein Wagen mit quietschenden Reifen über das grobe Kopfsteinpflaster.

Paco Felicidad warf sich herum. »Ich versuche, zu erkennen wohin sie fahren, mir das Nummernschild zu merken«, stieß er hervor.

»Pass auf, Paco!«

»Mir kann nichts passieren. In diesem Stadium schießen die nicht mehr.«

Er irrte sich. Sie hatten es mit skrupellosen Gangstern zu tun. Der Seat war schon fünfzig Meter entfernt und raste die Straße an der Uferbefestigung entlang. In dem Moment, als Paco Felicidad auf die Straße rannte, sah er die Hand mit der Waffe aus dem Seitenfenster ragen. Ein Schuss fiel. Geistesgegenwärtig suchte Felicidad am Boden Deckung. Wohin die Kugel ging, wusste er nicht. Bei der rasenden Fahrt jedenfalls war ein genaues Zielen nicht möglich. Felicidad presste das Gesicht auf den Boden. Seine Hoffnung, einen Blick auf das Nummernschild werfen zu können, erfüllte sich nicht. Er glaubte zu erkennen, dass der Wagen aufgrund des ersten großen Buchstabens in der Provinz Alicante zugelassen war. Das war aber auch alles. Der Seat verschwand um die Hausecke.

Paco Felicidad erhob sich und fuhr sich mit einer fahrigen Bewegung durchs Haar. Ines stürzte hinter ihm aus dem verwüsteten Restaurant. Erleichtert stellte sie fest, dass ihr Mann unverletzt war. Von dem mittäglichen Überfall auf das Restaurant hatte niemand in der Nachbarschaft und am Ufer etwas mitbekommen. Durch das ständige Rauschen der Brandung war dort nicht mal der Schuss gehört worden.

Ines und Paco liefen in den verwüsteten Raum zurück, und der Spanier rannte die Tür zum Hinterzimmer ein, um ans Telefon zu kommen. Zuerst rief Paco Felicidad Alfredo Mendoles an, der in einem Hotel zu erreichen war. Mendoles sagte zu, sofort zu kommen, und forderte Felicidad auf, die Polizei zu verständigen. Mendoles traf noch vier Minuten vor der Streife ein. Der Besitzer der Kettenrestaurants war für einen Spanier erstaunlich groß. Er überragte das Ehepaar Felicidad um eineinhalb Kopflängen. Mendoles war ein stattlicher Mann und trug einen hellen Maßanzug, sein Auftreten war selbstsicher wie das eines erfolgreichen Geschäftsmannes. Als er die Verwüstung sah, die die beiden Unbekannten angerichtet hatten, wurde jedoch auch er blass und verlor sichtlich von seiner Sicherheit.

»Was wollten die Kerle hier, Senor Mendoles?«, fragte Ines Felicidad verzweifelt. Sie stand inmitten der Trümmer und Scherben und wusste nicht recht, wo sie mit Aufräumen anfangen sollte.

»Wenn ich das wüsste, Ines«, entgegnete Alfredo Mendoles mit rauer Stimme, »wäre mir auch wohler. Aber eine Vermutung gibt es, und vielleicht entspricht sie auch dem wahren Hintergrund. Irgendjemand hier in Moraira oder der näheren Umgebung will kein neues Alfredos haben. Ein Konkurrent gibt mir auf diese Weise zu verstehen, dass ich meine Finger von dem Geschäft lassen soll ...« Er schüttelte den Kopf. Ein raues Lachen drang aus seiner Kehle. »Wer immer dahintersteckt – er wird sein Ziel nicht erreichen, meine Freunde! Es ist ihm zwar gelungen, die heutige Eröffnung zu vereiteln, aber so leicht lässt sich Alfredo Mendoles nicht ins Bockshorn jagen.«

Die Polizisten trafen ein, und kurze Zeit später tauchte dann ein Kriminalist aus Alicante auf, in dessen Zuständigkeitsbereich der Vorfall fiel. Mendoles wurde gefragt, ob er Feinde hatte. »Jeder erfolgreiche Geschäftsmann hat Neider und damit auch Feinde«, antwortete er nachdenklich.

»Kennen Sie den einen oder anderen, Senor Mendoles, auch zufällig mit Namen? Wer käme zum Beispiel für eine solche Tat in Frage?«, wollte der Mann aus Alicante wissen. Er war klein und schmächtig und sah eher aus wie ein schüchterner Kolonialwarenhändler denn wie ein Kriminalbeamter. Er wirkte zerfahren und schien mit seinen Gedanken ständig woanders zu sein.

»Leider nein, Capitano«, entgegnete Mendoles achselzuckend.

»Aber die Nachricht, die man Ihnen hinterlassen hat, Senor Mendoles, und die von Ihren beiden Filialleitern übermittelt wurde, lässt doch den Schluss zu, dass eine ganz bestimmte Person Sie treffen wollte. Moment ...«, fügte er plötzlich hinzu und zog noch mal sein abgegriffenes Notizbuch hervor, das er vorsichtig aufklappte, als befürchte er, es würde bei einer zu schnellen Bewegung in einzelne Blätter zerfallen. Ziemlich zerpflückt sah es auch aus. »Der Bewaffnete mit dem Schnurrbart hat laut Senora Felicidads Aussage wörtlich gesagt: Mit den besten Grüßen an Alfredo ... Er sieht selbst, dass wir hier waren. Richtet ihm aus, dass er die Finger davonlassen soll ...

Wovon, Senor, sollen Sie die Finger lassen?«

»Wahrscheinlich von der Eröffnung des neuen Restaurants.«

»Sie sagen wahrscheinlich. Gibt es noch eine andere Möglichkeit?«

»Nicht, dass ich wüsste.«

»Wurden Sie schon mal bedroht – oder mussten Sie an eine Organisation in der Vergangenheit eine sogenannte Schutzgebühr bezahlen?«

Capitano Gonzca wusste, wovon er sprach. Wie in anderen Ländern wurde auch hier an der Costa Blanca schon mit Mafia-Methoden gearbeitet. Wirte und Geschäftsinhaber wurden von Banden dazu gezwungen, regelmäßige Zahlungen zu leisten. Damit erkauften die Erpressten sich Ruhe vor Nachstellungen und Beschädigungen. Wer nicht regelmäßig seinen Obolus entrichtete, musste damit rechnen, dass ihm das Lokal oder Geschäft verwüstet oder im Endeffekt in Brand gesetzt wurde. Genau die gleiche Drohung war auch gegenüber Ines und Paco Felicidad ausgesprochen worden. Doch Mendoles wollte nichts davon wissen. »Ich habe bisher noch nie eine Gebühr bezahlt – und werde es auch in Zukunft nicht tun. Wer hinter dem Anschlag steckt, Capitano, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich vertraue jedoch auf Ihre Findigkeit und Aufmerksamkeit. Vielleicht waren es nur zwei Randalierer, die sich wichtig machen wollten.«

»Oder die den Auftrag hatten, die Eröffnung zu verhindern«, sinnierte Capitano Gonzca.

»Der Termin kann nicht gehalten werden. Das ist alles. Ich werde an der Tür ein entsprechendes Plakat anbringen. Die Eröffnung des neuen Fischrestaurants ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. In spätestens zwei Tagen sind die neuen Möbel da.«

»Und dann kommen die Burschen nochmal!«

»Das, Capitano, ist dann Ihre Sache und die der Guardia Civil. Wenn die Mutmaßung besteht, sollten Sie an diesem Tag in der Nähe sein. Vielleicht können Sie die komischen Vögel einfangen, ehe sie weiteres Unheil anrichten. Sieht fast so aus, als wollten sie hier ein Exempel statuieren und zeigen, dass sie präsent sind und jederzeit wieder zuschlagen können ... Vielleicht eine ganz neue Gruppe, Capitano?«

»Mhm, vielleicht.« Gonzca klappte sein mitgenommen aussehendes Notizbuch zu. »Wir werden die Augen offen halten. Ich verstehe immer noch nicht, wovon Sie die Hände lassen sollen. Das beschäftigt mich unaufhörlich.«

»Nun, Capitano, vielleicht kommen Sie noch dahinter.«

Während Gonzca mit zwei Angehörigen der Guardia Civil noch mal eine letzte Runde durch das verwüstete Lokal drehte, ohne nennenswerte Spuren sichern zu können, wollte Ines Felicidas von Mendoles wissen, wie es weitergehen soll.

»Wir packen jetzt alle an«, teilte Alfredo Mendoles ihr mit. »In einer halben Stunde haben wir die Scherben und das Kleinholz draußen.«

»Und dann?«

»Dann hängen wir das neue Plakat an und öffnen die Tür ganz weit. Die Gratisgetränke schenken wir auf alle Fälle aus. Da wir unseren Kunden nicht zumuten können, im Stehen zu speisen, vertrösten wir sie auf übermorgen ... Ich werde dann allerdings leider nicht dabei sein können.«

Gonzca, der sich verabschieden wollte, bekam diese Bemerkung noch mit.

»Sie kehren nach Estepona zurück?« Es war bekannt, dass Alfredo Mendoles dort abseits in den Bergen ein Haus hatte, das der eingefleischte Junggeselle allein bewohnte.

»Nein. Ich fahre nach Madrid weiter. Ich habe zusammen mit dort ansässigen Freunden einen Urlaub geplant. Und das, was geschehen ist, ist nicht wert, diesen Urlaub abzublasen.«

»Wohin soll denn die Reise gehen, Senor Mendoles?«

»Nach Lima in Peru.«

Die Mordkommission unter der Leitung von Capitano Almirez, die den Fall Bogenschütze zu bearbeiten hatte, stand vor einem Rätsel. Alles, was der alte Antiquitätenhändler aussagte, hörte sich so unwahrscheinlich an, dass niemand es so recht glauben wollte. So war es nicht verwunderlich, dass ernsthafte Zweifel an Rustins Aussagen aufkamen. An einem allerdings war nicht zu zweifeln: Die Leiche war da, und die Wunde war eindeutig durch einen Pfeil hervorgerufen worden. Wo aber waren Tatwaffe und Todespfeil geblieben?

An dieser Frage schieden sich die Geister. José Almirez und seine Mannschaft stellten den ganzen Laden bei der Suche nach dem angeblichen Todesschützen und dem Pfeil auf den Kopf.

War der Alte ein Mörder? Stimmte etwas mit seinem Geist nicht?

Bisher war Andrew Rustin noch nie unangenehm in Erscheinung getreten, und ein Motiv für den Mord schien es nicht zu geben. Der tote Spanier war ein Tourist, den seine Papiere als Fernando Dellas auswiesen. Wo er untergebracht war, wurde zurzeit überprüft. Dellas war nicht ausgeraubt worden. Er hatte verhältnismäßig große Barmittel bei sich, eine Kreditkarte und mehrere Reiseschecks. Raubmord lag also nicht vor. Almirez, der die Angewohnheit hatte beim Nachdenken mit dem Finger über den Rücken seiner gebogenen Nase zu streichen, kam nicht weiter. Er kehrte immer wieder an den Ausgangspunkt zurück, forderte Rustin zum wiederholten Mal auf, die Geschichte noch mal zu erzählen und hoffte dabei, dass der alte und offenbar geistesgestörte Mann sich in Widersprüche verwickelte. Aber das war nicht der Fall. Andrew Rustin machte einen erstaunlich frischen und geistig beweglichen Eindruck auf ihn, so dass Almirez sich zu fragen begann, ob an der außergewöhnlichen Darstellung nicht doch etwas dran sein könnte. Seltsame und unheimliche Verbrechen hatte es zu allen Zeiten gegeben. Gerade in einem Land wie diesem, in dem der Glaube an Geister und Dämonen so lebendig war wie in kaum einem anderen, war ein geheimnisvoller Mord aus der Hand einer steinernen Statue nicht auszuschließen. Almirez hätte leichter daran glauben können, wenn der steinerne Todesschütze wenigstens seinen Standort beibehalten hätte. Dann wäre wenigstens eine gewisse Ordnung gewahrt geblieben. Aber eine Skulptur, die sich nach einem vollendeten Mord auch noch unsichtbar machen konnte, war doch zu viel ...

José Almirez war überfordert. Er tat mehr als seine Routinearbeit, weil Andrew Rustin und das düstere Geschäft ihn besonders interessierten. Er ließ die Leiche ins Leichenschauhaus schaffen. Der tote Spanier wurde nicht freigegeben, solange alles so verworren war. Mehr als drei Stunden hielt sich Almirez in dem schummrigen, modrig riechenden Antiquitätengeschäft auf. Spuren hatte man keine sichern können, denn es gab keine. An der Stelle, die Rustin als den Standort der auf einem Sockel stehenden Skulptur angegeben hatte, entdeckte er einen kreisrunden, hauchdünnen Abdruck im Staub, der den Boden bedeckte. Hier hatte zweifellos etwas gestanden. Wäre es verschoben worden, hätte sich das durch Schleifspuren äußern müssen.

»Die Statue scheint nicht besonders schwer gewesen zu sein ... vielleicht war sie aus Holz«, sagte Almirez unvermittelt.

»Wie kommen Sie darauf?«, fragte der Antiquitätenhändler erstaunt.

»Sie wurde offensichtlich sehr vorsichtig hochgehoben.« José Almirez ließ sein Gegenüber nicht aus den Augen, als er diese Bemerkung machte.

»Sie ist verschwunden – genauso rätselhaft und geheimnisvoll, wie sie in meinen Laden kam, Capitano«, erwiderte Rustin mit einem scharfen Unterton in der Stimme. »Ich weiß, dass sich das alles unglaublich und verrückt anhört. Aber ich habe weder den Verstand verloren, noch greife ich die Geschichte aus der Luft. Ich stehe, wie Sie, vor einem Rätsel und kann mir das alles nicht erklären. Aber ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt ... von A bis Z. Sie müssen damit genau so fertig werden wie ich.«

»Eben das, Rustin, fällt mir noch schwer.«

Almirez brummte der Schädel, als er ins Revier zurückfuhr. Er verfasste seinen Bericht, während die Fotos, die bei Rustin gemacht worden waren, im Labor entwickelt wurden. Der Capitano aus Lima hatte das Gefühl, an der Nase herumgeführt worden zu sein. Seinem Assistenten gegenüber ließ er die Bemerkung fallen, dass dieser Fall eigentlich etwas für Geistersucher sei und nicht für die Polizei von Lima. »Da müssen Spezialisten ran«, murrte er.

Zu diesem Zeitpunkt ahnte er noch nicht, dass genau in dieser Richtung schon etwas in Bewegung gesetzt worden war. Auch am Polizeihauptquartier von Lima war die Computertechnik nicht vorübergezogen. Alle Daten, die über den mysteriösen Vorfall in Andrew Rustins Laden bekannt geworden waren, befanden sich im Computer. Und von dort aus nahm die Meldung ihren Weg um die Erde.

Zwei Stockwerke unter dem bekannten Restaurant Tavern on the Green im Central Park von Manhattan hatte eine Organisation ihren Sitz, die inzwischen in eingeweihten Kreisen einen legendären Ruf genoss: Die PSA, die Psychoanalytische Spezial-Abteilung. Sie hatte sich zur Aufgabe gemacht, ungewöhnlichen Vorgängen in aller Welt nachzugehen und sie aufzuklären. Dem Leiter der Organisation, der die Deckbezeichnung X-RAY-1 trug und dessen wahre Identität im Kreis der eigenen Mitarbeiter bis zur Stunde unbekannt war, gingen aus allen Teilen der Welt Nachrichten über außergewöhnliche Vorfälle ein. Die beiden großen Hauptcomputer – genannt Big Wilma und The clever Sofie – werteten alle eingehenden Funkinformationen umgehend aus, archivierten sie und beschleunigten die Entscheidungsfreude des PSA-Leiters.

So kam es, dass in der Stunde, wo die Routinemeldung an die Computer erging, X-RAY-1 unterrichtet wurde. Die New Yorker Ortszeit war mit der in Lima identisch, und X-RAY-1 reagierte umgehend. Er nahm Kontakt zu seinem besten Mann auf. Das war Larry Brent alias X-RAY-3 – ein Agent, der in unzähligen, gefahrvollen Abenteuern seinen Mann gestanden hatte und im Umgang mit dem Ungewöhnlichen vertraut war. Alle Agentinnen und Agenten der PSA hatten eine besondere Ausbildung genossen und standen in vorderster Linie bei der Bekämpfung von Ereignissen, die die herkömmlichen Polizeiorganisationen vor oftmals unlösbare Rätsel stellten. Männer vom Schlag Larry Brents und Frauen von der Art Morna Ulbrandsons waren die Helden und Heldinnen einer neuen Zeit, in der das Unheimliche und Verborgene wie selten zuvor wieder an die Oberfläche drängte, um Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen und den Tod zu verbreiten. Vampire, Geister, Dämonen, Werwölfe, Untote, Wiedergänger, Blutsauger, künstliche Menschen wie Frankenstein und geheimnisvolle Geschöpfe aus dem Jenseits beschäftigten die Frauen und Männern der PSA, die unerschrocken ihren Dienst verrichteten, um das Grauen zu beseitigen und die Rätsel, die diese Welt stellte, zu lösen.

Larry Brent alias X-RAY-3 war einer der Erfolgreichsten in den Reihen der Organisation. Erst vor wenigen Stunden von einem außergewöhnlichen Abenteuer aus Frankreich zurückgekehrt, hielt er sich in seinem Büro auf und verfasste einen Abschlussbericht. Larry blickte auf, als aus dem Lautsprecher der internen Sprechanlage die vertraute Stimme seines geheimnisvollen Chefs erklang und ihm die ersten Informationen über den schwarzen Bogenschützen mitteilte.

»Ihre Maschine, X-RAY-3, fliegt in eineinhalb Stunden.«

»Das war mal wieder nur ein kurzer Aufenthalt in New York, Sir.«

»Es wird auch mal wieder ein längerer darunter sein ... Ich frage mich allerdings, was Sie an dieser Stadt so fasziniert? Sind es die Abgase? Ist es der Lärm?«

»Die Freunde, Sir ... Und das gute Essen im Tavern ...«

»Ich werde Ihnen allen einen Tisch reservieren, wenn der Fall Bogenschütze abgeschlossen ist.«

»Das ist ein Wort, Sir.«

»Und vielleicht werde ich dann mit von der Partie sein.«

X-RAY-3 hob die Augenbrauen. »Das, Sir, wäre wohl die Krönung eines erfolgreichen Abschlusses. Ich werde mich bemühen, den schwarzen Bogenschützen so schnell wie möglich zu finden und dann werde ich Sie an Ihr Versprechen erinnern.« Der Gedanke, den großen unbekannten Mann kennenzulernen, erregte ihn. Wie oft hatten sie schon über X-RAY-1 gesprochen, Vermutungen geäußert, wie er wohl aussehen mochte und was für ein Mensch er war. Aber aus Erfahrung wussten sie alle, dass man einen Menschen nicht allein von seiner Stimme her beurteilten konnte.

»Es war noch kein Versprechen, X-RAY-3, nur die Andeutung einer Möglichkeit, die ...« X-RAY-1 unterbrach sich und fuhr mit ein wenig verändert klingender Stimme fort. »Soeben wird die Meldung von Capitano José Almirez aus Lima ergänzt, X-RAY-3. Die Fotos, die vom Tatort gemacht wurden, haben etwas zu Tage gefördert, was Capitano Almirez eigentlich nicht glauben wollte. Auf einem Bild ist angeblich der schwarze Bogenschütze zu sehen. Dabei hat Almirez einwandfrei zu erkennen gegeben, dass es in Andrew Rustins Antiquitätengeschäft überhaupt keine Skulptur gab, auf die die Beschreibung gepasst hätte ...«

»Der Fall, Sir, nimmt Formen an, die den Verdacht zulassen, dass wir schon früher hätten tätig werden sollen ...« Das war ein Widerspruch in sich. »Aber leider ist das ja nicht möglich. Es muss immer erst etwas passieren, ehe wir davon erfahren.«

Larry Brent beschäftigte sich noch mit der mysteriösen Angelegenheit, als die Maschine nach Lima bereits startete. Was für ein Geheimnis steckte hinter der Skulptur, die mordete, die manchmal sichtbar war, manchmal unsichtbar und zu einem Zeitpunkt, als niemand sie wahrnehmen konnte, vom Objektiv einer Kamera erfasst und fotografiert wurde? Larry hatte das Gefühl, in ein Abenteuer besonderer Art zu fliegen, als die Boeing 747 steil in den Himmel stieg.

Es war schon nach Geschäftsschluss, als Andrew Rustin Besuch bekam. Der ehemalige Seemann war darüber nicht sonderlich erstaunt. Es war nichts Besonderes, dass oft spät abends noch Zigeuner und Indios an seine Tür klopften, um ihm Sachen anzubieten, die sie verkaufen wollten. Nach den aufregenden Ereignissen, die ihn nach wie vor beschäftigten und ihm nicht aus dem Kopf gingen, war Rustin zwar weniger davon angetan, den Besucher noch zu empfangen, aber er ging nicht ab von seiner Gewohnheit.

Es handelte sich um eine Indianerin. Sie war ziemlich alt, hatte einen weiten Weg hinter sich, und Rustin kannte sie nicht. »Ich bin Aima«, stellte sie sich vor und sagte, dass sie in den Bergen zu Hause war und einmal wöchentlich den weiten Weg in die Stadt unternahm, um auf dem Markt ihre Waren zu verkaufen. Es handelte sich vor allem um handgewebte Hemden und Umhänge mit angenähten Fransen und eingesetzten Gewebeteilen und buntbemalte Tongefäße mit plastischer Wiedergabe seltsamer mystischer Wesen und Götter. »Ich habe gehört, dass du Ware kaufst. Man hat mich zu dir geschickt ...«

Viele Indios fanden den Weg zu ihm. Andrew Rustin war für sie so etwas wie eine Geheimadresse. Man wusste, dass er Ausgefallenes kaufte und nicht schlecht dafür bezahlte. Gerade den Indios gegenüber war der Mann aus Liverpool sehr großzügig. Er wusste aus eigener Anschauung, in welch armseligen Verhältnissen diese Menschen lebten, in baufälligen Hütten oder gar Höhlen, und dass es ihnen am Nötigsten mangelte. Gerade deshalb wollte er sich nicht den Ruf eines Halsabschneiders erwerben. Für gut erhaltene Dinge zahlte er besser, auch wenn dann seine Gewinnspanne geringer war. Doch darauf kam es ihm nicht an. Er kaufte und verkaufte schon lange nicht mehr, um großen Profit zu machen. Ihm bereitete das Geschäft einfach Freude, die Suche in abgelegenen Ecken und Winkeln und das Vergnügen, das er empfand, wenn er mal wieder etwas fand, das ein Kunde schon lange suchte.

Rustin seufzte. »Ja, das ist schon richtig, Aima ... aber es geht dabei um alte Sachen. Ich kaufe keine neu gefertigten Kleidungsstücke oder Tonkrüge. Dafür ist der Markt zuständig.«

»Ja, ich weiß«, ließ die Alte sich nicht entmutigen. »Ich habe dir auch nichts Neues mitgebracht. Dieses Gefäß hier, Rustin, schau es dir an ... und sprich dann weiter ...«

Der Engländer tat ihr den Gefallen. Das Tongefäß schimmerte grünlich und trug auf der Außenseite die plastische Wiedergabe zweier übereinander hockender Wesen aus der indianischen Mythologie. Der Boden war leicht beschädigt, ebenfalls der Rand des Gefäßes. Rustin betrachtete den Gegenstand im Licht und merkte, wie sein Puls schneller ging. Wenn man vierzig Jahre mit Antiquitäten zu tun hatte, wenn man die Indianer und ihre Geschichte kannte, hatte man auch einen Blick für die Dinge, mit denen sie sich seit jeher umgaben. Der Händler wollte es beim ersten Blick nicht glauben. Er sah ein zweites Mal hin, klopfte die Wände des Gefäßes vorsichtig ab und lauschte mit angehaltenem Atem dem verwehenden hellen Klang.

»Wo hast du das Gefäß her, Aima?«, fragte er leise und machte keinen Hehl aus seiner Verwunderung und Überraschung.

»Irgendwo aus den Bergen.«

»Wo genau?«

»Das weiß ich nicht. Kinder haben damit gespielt. Ich habe es mir von ihnen geben lassen, weil ich dachte, du könntest etwas damit anfangen. Alte Sachen sind doch dein Geschäft ...«

Sie sagte es mit solcher Selbstverständlichkeit, dass Andrew Rustin alle Sorgen des hinter ihm liegenden Tages vergaß und unwillkürlich lächelte. »Richtig, Aima, und dieses Gefäß ist sehr alt ...« Dafür hatte er einen Blick.

Er konnte sofort eine Fälschung von einer echten Antiquität unterscheiden. Er merkte es dem gebrannten Ton an, wie alt er war, hatte im wahrsten Sinn des Wortes eine Nase für diese Dinge. Er konnte das Alter riechen. Rustin vermutete, dass das Gefäß mindestens vierhundert Jahre alt war. So hatte man zwischen dem fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert handwerklich gearbeitet. Er wusste, dass die Indianer sich noch heute der gleichen Technik bedienten, dass sich bei der Herstellung ihrer handwerklichen Arbeiten kaum etwas geändert hatte. Jemand, der keine Ahnung von der Geschichte und dem Handwerk dieser Menschen hatte, konnte da leicht getäuscht werden. Aber ein Andrew Rustin nicht. Er hielt ein wirklich altes Stück in Händen. »Hast du noch mehr?«, fragte er unvermittelt.