Larry Brent Classic 063: Das Höllenbiest - Dan Shocker - E-Book

Larry Brent Classic 063: Das Höllenbiest E-Book

Dan Shocker

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Beschreibung

In der irischen Einöde treibt ein Serienkiller sein Unwesen. Als wären die scheinbar sinnlosen Morde nicht genug, beginnt in den Gräbern der verscharrten Leichen etwas Unheimliches zu wachsen.

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Band 63

Dan Shocker

DAS HÖLLENBIEST

Erscheinungstermine „Das Höllenbiest“

13.11.1973 als Zauberkreis Grusel-Krimi Taschenbuch Nr.8

September 1974 im Rekord Verlag als Leihbuch (Drucklegung) VÖ: 14.09.1974

September 1974 im Rekord Verlag als Paperback (Drucklegung)

26.08.1975 als Silber Grusel-Krimi Nr.98

April 1977 als Silber Grusel-Krimi-Neuauflage Nr. 98

© 2014 by BLITZ-Verlag

Redaktion: Jörg Kaegelmann

Fachberatung: Robert Lindner

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati

Illustration: www.ralph-kretschmann.de

Titelbildgestaltung: Mark Freier

Satz: Winfried Brand

All rights reserved

www.BLITZ-Verlag.de

ISBN 978-3-95719-863-1

„Wo zum Teufel steckt denn dieses gottverfluchte Tir baili?“

Zwei Flüche in einem Satz; das war selbst für einen irischen Wirt zu viel. Dunk Hillery trug einige Holzkrüge mit Guinness Ale. Seine Gäste mussten warten. Der Wirt blieb wie angewurzelt stehen und starrte den jungen Mann an. Ein Deutscher. Nicht mal dreißig Jahre alt. Er trug sein dunkles Haar schulterlang, dazu einen passenden Vollbart. Vor ihm auf dem Tisch lag eine Landkarte von Irland. In der Hand hielt er ein aufgeschlagenes Notizbuch. Er schien zu spüren, dass der Wirt ihn musterte und blickte auf.

„Es ist zum Verzweifeln!“, begann er erneut. „Ich hab in einem alten Schmöker aufregende Geschichten über eine Landschaft namens Tir baili gelesen. Hier in dieser Gegend müsste sie sein. Aber auf der Karte ist sie nicht zu finden.“

„Sie müssen den Namen falsch geschrieben haben“, erwiderte der Wirt.

Der junge Deutsche blickte erneut konzentriert in sein Notizbuch. „Da steht es doch. Deutlich und einwandfrei. Tir baili.“ Er las vor, was er aufgeschrieben hatte: „Meidet Tir baili! Druidenpriester haben hier grausige Blutorgien gefeiert. Der Geist der bösen Mächte schwebt noch über dem Ort. Meidet, hier Opfer zu bringen! Meidet das Blut! Blut, an diesem Ort vergossen, weckt Cho-Tosh, das Höllenbiest.“

Der Wirt bemerkte, dass der junge Mann den Namen CHO-TOSH in großen Druckbuchstaben noch mal gesondert aufgeschrieben hatte. Dunk Hillery machte sich ohne einen weiteren Kommentar davon. Als er an einem kleinen Tisch vorbeikam, wurde er von einem dort sitzenden alten Mann aufgehalten. „Was will er denn von dir wissen, Dunk?“ Der Alte wies mit einem Kopfnicken auf den jungen Deutschen.

„Irgendetwas, was er in einem alten Buch gelesen haben will“, nuschelte der Wirt beiläufig.

Der Alte blieb hartnäckig. „Kennst du ihn?“

„Nein. Ein Tourist. Kam vor ein paar Stunden an. Ist mit dem Auto unterwegs.“

Der Alte nickte. „Ein hellblauer Wagen. Hab ihn draußen gesehen. Ein deutscher Wagen …“ Der alte Mann erhob sich. Er musste ungefähr Mitte siebzig sein. Seine Kleidung war städtischer und sein Benehmen weltgewandter als das der anderen Gäste. Man wusste nur, dass er Gil Morrison hieß und ohne Anhang in einem Turm vor dem Dorf wohnte. Er war gebildeter als die meisten Dorfbewohner. Er hatte keine Freunde und auch kein Hobby, soviel man wusste. Doch das stimmte so nicht ganz. Wenn die Dorfbewohner seine Passion gekannt hätten …

Der Junge klappte sein Notizbuch zu, faltete die Landkarte zusammen und steckte beides in die Rocktasche. Dann nahm er einen kräftigen Schluck aus dem Bierkrug.

„Sie sind fremd hier?“ Der alte Mann stand unvermittelt direkt hinter ihm und sprach ihn auf Deutsch an. „Ich habe Sie jedenfalls noch nie hier gesehen.“

Der Junge starrte den Alten an.

Der lächelte freundlich. „Sie sind Deutscher, hm?“

Der junge Mann wischte sich den Bierschaum mit dem Handrücken aus seinem Bart. „Stimmt.“

Gil Morrison sprach akzentfrei die gleiche Sprache. „War lange in Deutschland.“ Dann erzählte er von München und Berlin, von Nürnberg und Frankfurt und nannte dabei viele Einzelheiten. Sein Gegenüber hörte ihm interessiert zu.

„Das war vor rund fünfundzwanzig Jahren“, endete der Alte.

„Da hab ich noch in die Windeln gemacht.“ Der junge Mann winkte dem Wirt und bestellte zwei Whisky. „Ich heiße Horst Tenker.“

Der Alte nickte ihm zu. „Morrison. Gil Morrison.“

Sie ließen die Gläser klingen, und Horst Tenker bestand darauf, dass man die Bekanntschaft mit einer ganzen Flasche Whisky begießen müsse. Morrison bot an, eine besonders gute Flasche aus dem Geheimfach des Wirtes auszusuchen. Als sie probiert hatten, wollte Morrison wissen, wie der Whiskey schmeckte.

„Ein guter Tropfen“, lobte Horst Tenker.

„Der beste, den Sie hier finden können, lassen Sie sich das von mir gesagt sein. Versteh‘ was davon.“ Gil Morrison zog ein geheimnisvolles Gesicht. Er warf einen Blick in die Runde, als müsse er sich erst vergewissern, ob auch niemand ihr Gespräch belauschte. „Der Wirt macht ihn selbst. Sehen Sie sich den Mann einmal an!“

Tenker tat es.

„Haben Sie seine Schultern gesehen?“, fragte Morrison. „Breit wie ein Kleiderschrank, schlank in den Hüften, zweiunddreißig Jahre alt. Ein Weiberheld. Der hat ständig ‘ne andere im Bett. Und was für Weiber …“ Morrison spitzte die Lippen und ließ einen leisen Pfiff ertönen.

Tenker verstand nicht, was dieser Hinweis mit dem selbst gebrannten Whisky zu tun hatte.

Doch dann kam die Erklärung: „Dunk ist ein Teufelskerl. Ob blond, braun oder rot, ihm ist’s egal, nur hübsch muss sie sein, und solche Brüste muss sie haben.“ Er deutete die Größe an. „Wenn er wieder ein solches Prachtweib aufgegabelt hat, dann bekommt der Whiskey, den er in einer alten Holzwanne aus Großvaters Zeiten ansetzt, den letzten Pfiff. Seine jeweilige Liebhaberin muss in dem Gerstensaft baden. Das gibt dem Selbstgebrannten erst die besondere Note.“

Tenker lachte, während er sein halb geleertes Glas genau ansah.

„Lass mich dein Badewasser schlürfen“, sang Morrison brüchig. „Das war der Schlager, den wir in den Zwanzigerjahren drüben in Deutschland gesungen haben. Seinerzeit ein Riesenspaß für uns junge Männer. Keiner hat wohl daran gedacht, dass es so etwas wohl wirklich geben könne. Da muss man erst nach Irland fahren, lange genug hier leben und das Vertrauen der Leute gewinnen, um dann einen solchen Tropfen genießen zu dürfen, der nach einem alten Hausrezept hergestellt wird. Dunk hat mir erzählt, dass sein Großvater bereits seinen Selbstgebrannten auf diese Weise würzte.“

Horst Tenker schien nicht recht zu wissen, was er von dieser merkwürdigen Geschichte des Alten halten sollte. Er leerte tapfer sein Glas. „Das beste Badewasser, das ich jemals getrunken habe. Die Dame möchte ich kennenlernen, Morrison.“

Der Weißhaarige sah ihn nachdenklich an.

Sie unterhielten sich wie zwei alte Freunde und vergaßen die Umgebung. Nur hin und wieder wurden sie still und lauschten, wenn ein besonders stimmungsvolles Volkslied erklang und wo dann auch Gil Morrison nicht an sich halten konnte und im Verein mit den anderen mitsang.

Der Wirt kam zu Tenker an den Tisch und fragte wie beiläufig, ob er nicht ein paar Tage bleiben wolle. „Sie haben Morrison kennengelernt“, fuhr er fort. „Der kann Ihnen hier eine ganze Menge zeigen. Er hat Zeit und spielt gern den Fremdenführer. Und er selbst kann mit einer Besonderheit aufwarten, die Ihnen von allen Anwesenden bestimmt sonst keiner bieten kann. Morrison lebt in einem alten Turm. Dort gibt es noch Geister und Feen.“

Morrison drehte sich den beiden zu und winkte ab. „Sie dürfen nicht alles glauben, was Dunk erzählt, Horst.“ Das Gesicht des alten Mannes glühte rosarot. „Turm stimmt“, gestand er. „Aber Feen und Geister nicht. Es gibt in Irland genauso wenige Gespenster wie sonst irgendwo auf der Welt. Auch wenn sich die Burschen hier auf Originalgespenster, Spukschlösser und Geisterburgen so viel einbilden. Der Turm, in dem ich wohne, ist schon vierhundert Jahre alt. Auch da soll es angeblich ein Turmgespenst gegeben haben. Seit fünfundzwanzig Jahren hause ich dort, und das Gespenst hat sich bis zur Stunde noch nicht blicken lassen.“

„Du hast es vertrieben!“ Dunk Hillery grinste und ging dann zwei Tische weiter, um dort eine Bestellung entgegenzunehmen.

„Kann man in einem so alten Turm wirklich leben?“ Tenker sprach schon mit schwerer Zunge.

„Man kann noch mehr!“ Auch Morrison hatte bereits Mühe, noch einen anständigen Satz zu formulieren. „Ich züchte meine eigenen Kartoffeln, mein Gemüse und meinen Salat. Und ich …“ Er wurde von einem unverhofften Schluckauf überrascht und musste sich unterbrechen. „Ich habe sogar … eine eigene Ziege, jawohl … und die melke ich … die gibt mir Milch … die Milch der frommen Denkungsart …“ Er lachte laut, griff nach der Flasche und knallte sie auf den Tisch. Im allgemeinen Krawall der Kneipe ging das Geräusch unter.

„Einen Turm!“ Tenker musste fast schreien, um sich verständlich zu machen. „Einen Turm habe ich schon gesehen. Auch von innen. Aber noch nie bewohnt. Wie geht das mit den Möbeln, wenn die Wände rund sind? Haben Sie auch einen runden Kleiderschrank, Gil?“

„So vornehm bin ich nicht, mein Lieber! Kleiderschrank? Wozu diesen Luxus? Für die paar Klamotten, die ich besitze, reichen ein paar Nägel in der Wand. Da hängt alles dran, was ich nicht gerade mit mir rumtrage.“

„Den Turm möcht‘ ich sehen.“

Die Nachtluft war frisch und kühl.

Nur wenige Schritte von Dunky’s Inn entfernt stand ein alter VW Bus, mit dem Tenker die Rundreise durch Irland machte. Der Deutsche wollte unbedingt mit dem Wagen bis zur Behausung von Gil Morrison fahren. Doch der Alte konnte ihn von dieser Idee abbringen.

„Mit Alkohol im Blut setzt man sich nicht ans Steuer“, predigte Morrison mit erhobenem Zeigefinger. „Außerdem tut uns ein Spaziergang gut, Horst. Wenn du Land und Leute kennenlernen willst, musst du zu Fuß gehen. Schau dich um, schreite mit offenen Augen durch die Welt, lass dir nichts entgehen!“

Tenker blickte sich um. Viel war nicht zu sehen. Die Nacht war dunkel und sternenlos. Leichter Nebel wogte über dem steppenartigen Gelände, direkt neben der einsamen Gaststätte. Weit und breit kein Haus, nur weites, irisches Land, in der Nähe irgendwo Lough Derg, ein einsamer See. Die nächste größere Ansiedlung war Donegal, rund vierzig Kilometer weiter westlich. Tenker hatte die Karte im Kopf. Oft genug hatte er sie in den letzten Tagen studiert, um sich über seine weitere Reise klar zu werden.

Dichte Nebelschleier umwehten die Beine der zwei einsamen Spaziergänger. Das Licht von Dunky’s Inn fiel immer weiter zurück, um schließlich zu erlöschen. Schon bald zweigte der Weg ab, auf dem die beiden Männer schritten. Gil Morrison hielt sich rechts. Sie gelangten auf einen holprigen Pfad, der sich quer durch das hügelige Gelände schlängelte. „Gleich sind wir da“, knurrte Morrison und zerrte seinen jugendlichen Begleiter mit.

„Sind das die Grenzbefestigungen nach Nordirland?“, frotzelte Tenker. „Ich hab das Gefühl, du willst mich nach Londonderry entführen.“

Gil Morrison ging auf die Witzelei ein. „Keine Angst! So weit laufen wir nicht. Das sind ja noch mindestens achtzig Kilometer. Was soll ich da drüben?“ Er blieb stehen. „Hier ist mein Castle, und hier fühle ich mich sicher. Da drüben … da werfen sie mit Bomben. Da macht einem das Leben keinen Spaß mehr.“

Tenker nickte energisch. Inzwischen standen sie vor einer massiven Holztür, an der ein riesiges Schloss hing. „Und hier wohnst du?“, fragte er ungläubig und wischte sich über das bärtige Gesicht.

Gil Morrison nickte, kramte in seiner Hosentasche herum, suchte wohl einen Schlüssel und fand schließlich das Richtige. Umständlich schloss er die Tür auf. „Tritt ein, bring Glück herein! So sagt man doch bei dir zu Hause, oder?“ Er machte eine einladende Bewegung. „Aber brich dir nicht das Genick“, warnte er sofort, als Tenker auf den ausgetretenen nach unten führenden Stufen ins Straucheln geriet. Gil Morrison griff nach seinem Arm, und seine funkelnden Augen richteten sich auf den Nacken des muskulösen jungen Deutschen. „Das brauch ich noch!“

Den letzten Satz murmelte er so leise, dass Horst Tenker ihn nicht hören konnte.

Morrison zeigte seinem Gast das Innere der Turmbehausung. Elektrisches Licht gab es nicht, auch kein fließendes Wasser. Das holte Morrison aus einer nahen Quelle.

„Aber es gibt Fackeln und sogar eine Taschenlampe“, erklärte der Alte weiter. Seine Stimme hallte im Inneren des Turms. Irgendwo im morschen Gebälk raschelte es. Erschreckt flogen Fledermäuse davon.

Tenker bestand darauf, mit einer Fackel bewaffnet durch die ungewöhnliche Behausung zu gehen. Morrison präsentierte ihm zuerst den Turm, der ausschließlich Wohnzwecken diente. Aber der Turm war nicht so geräumig, dass Küche, Wohnzimmer und Schlafraum hätten nebeneinanderliegen können. Die Küche befand sich unten. Eine einfache Feuerstelle, ein grob zusammengezimmerter Tisch,plumpe Stühle. Neben dem eisernen Herd, der in einer Nische stand, lag ein Stapel Holz, ordentlich aufeinandergeschichtet.

In schlichten Holzregalen sah man Aluminiumtöpfe und Tongefäße, ein paar alte Teller und Tassen. Es war nur das vorhanden, was wirklich notwendig war. Eine gewundene Treppe führte hinauf in das Zimmer, in dem Morrison schlief. Außer einem alten Eisenbett mit einer ebenso brüchigen Matratze gab es in einer finsteren Ecke nur noch eine kunstvoll bemalte Truhe.

„Interessant wird es weiter unten, Horst. In den Kellern. Dort hab ich die Folterkammer.“

Tenker war Feuer und Flamme. „So was hab ich noch nie gesehen, Gil! Dieser Tag wird mir unvergesslich bleiben. Vielleicht weiß ich morgen früh, wenn ich aufwache, nichts mehr von alledem. Du musst mir versprechen, mir dann alles noch mal zu zeigen.“

„Ha! Horst! Du bist genau der Gast, den ich mir wünsche. Gehen wir runter!“

Flaschen gab es genug im Hause. Unten in der sogenannten Küche standen sie in einer Holzkiste beisammen. Die meisten waren leer. Doch es gab noch eine gut gefüllte Flasche. Tenker nahm sie in die Hand und studierte das Etikett. „W-h-i-s-k-e-y. Warum Whiskey und nicht Whisky?“

„Weil wir hier in Irland sind und nicht in Schottland. Wir schreiben Whiskey mit e. Und das ist richtig. Denn wir haben diesen Göttertrank erfunden.“

„Und die Schotten?“

„Erbärmliche Nachahmer! Ich kann es dir in den Urkunden zeigen. In Irland trank man schon im elften Jahrhundert Whiskey. Die Schotten lernten ihn erst im fünfzehnten kennen. Dabei mälzen sie ihn heute noch auf offenen Sieben, sodass der Torfqualm das feine Aroma zerstört. Egal. Probier ihn!“

Der alte Mann hatte sein Opfer für diese Nacht gefunden. Tenker hatte sich in seinem Netz verfangen.

Alles lief stets nach dem gleichen Schema ab. Gil Morrison spielte seine Todesmelodie mit Gelassenheit und Virtuosität. Er führte seinen Gast in die kühlen, finsteren und feuchten Kellerräume. Grobes Mauerwerk schimmerte unter dem Licht der blakenden Fackeln. Tenker glaubte, in einer Katakombe zu sein. In den einzeln unterteilten Kellerräumen gab es schwere Türen aus feuchten, schwarzen Bohlen. Morrison führte den Deutschen direkt in eine geräumige Halle. Hier gab es einen breiten Tisch. Die Platte war glatt und mit einer hellen Lackfarbe bestrichen. Vor dem Tisch, etwa drei Meter entfernt, standen drei Stühle, weiter links befand sich ein Kasten. Weiß lackiert und quadratisch. An den Wänden hingen rostige Folterinstrumente, wie sie im Mittelalter üblich gewesen waren.

Als Tenker hinter die Stühle trat, entdeckte er ein Podest, das aus sauber geschnittenen und geschmirgelten Brettern errichtet worden war. Darauf befand sich ein mit rotem Samt überzogener Sessel. Mit der Fackel leuchtete er den dunklen Hintergrund aus. „Sieht ja beinahe aus wie in einem Gerichtssaal“, murmelte er und griff sich an den Kopf. „Ich glaube, ich bin ziemlich betrunken, Gil. Das alles ist doch … ziemlich modern. Was hat es mit der Einrichtung auf sich? Eine ehemalige Richtstätte? Aber das Podest, der Sessel, die Stühle und der breite Tisch … das stammt doch alles aus neuerer Zeit.“

„Ich will es dir erklären.“ Doch Morrison schien selbst so viel getrunken zu haben, dass er vergaß, was er eigentlich hatte erklären wollen. „Ich bin … müde …“ Er gähnte.

Tenker sah, wie sein Gastgeber aus dem Lichtkreis taumelte.

Der alte Mann wurde immer wieder von Ekel und Ohnmacht überwältigt, sobald ihm wieder eine neue Aufgabe gestellt wurde. Nehmen Sie sich zusammen, Bergmann!, durchpeitschte eine harte Stimme sein Gehirn. Walten Sie Ihres Amtes!

Morrison schloss seine Augen. Bilder der Vergangenheit stiegen in ihm auf. Ein großer Gerichtssaal, Menschen, Richter, harte Gesichter. Darüber eine Stimme: Zum Tode verurteilt!

Aus der Reihe der Richter löste sich eine Gestalt in schwarzer Robe. Morrison fühlte die Blicke des Mannes wie Messerstiche. Schreiten Sie zur Obduktion!, dröhnte wieder diese Stimme.

Alle Figuren erstarrten. Morrison blieb der Atem weg. Sein Herz verkrampfte sich. Es waren immer wieder dieselben Bilder, Bilder der Vergangenheit, die ihn quälten. Er konnte sich nicht wehren. Er musste stillhalten, sich ergeben. Die Stimmen verhallten, die Gestalten verschwanden. Morrison war wieder mit sich allein. Er fand in die Realität zurück und wusste, was er zu tun hatte. Er richtete sich auf und wandte sich lächelnd an Tenker. „Komm, Horst! Ich will dir etwas zeigen, was dich interessieren wird.“ Er ging auf die Tischplatte zu. Die Fackel, die er in der Hand hielt, steckte er in einen dafür vorbereiteten Halter in der Wand.

Horst Tenker taumelte heran. „Dein Whisky …“

„Whiskey mit e vorm y“, verbesserte Morrison. „Ich höre das fehlende e.“ Er kicherte. „Leg dich hier hin! Ich werde dir etwas vorführen.“